Nur schwarz oder weiß - Klinik am Korso gGmbH
Nur schwarz oder weiß - Klinik am Korso gGmbH
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<strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong><br />
<strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>, Fachklinik für gestörtes Essverhalten, Ostkorso 4, 32545 Bad Oeynhausen<br />
Chefarzt: Dr. med. Georg Ernst Jacoby, Arzt für Psychotherapeutische Medizin, Arzt für Psychiatrie<br />
<strong>Nur</strong> <strong>schwarz</strong> <strong>oder</strong> <strong>weiß</strong><br />
Essgestörte Patienten mit<br />
Borderline-Syndrom<br />
K L I N I K I N T E R N<br />
Klinische Beobachtungen weisen<br />
schon lange auf einen Zus<strong>am</strong>menhang<br />
zwischen Persönlichkeitsstörungen,<br />
insbesondere der Borderline-Störung,<br />
und gestörtem Essverhalten hin. So<br />
wird der Anteil essgestörter Patienten<br />
mit einer Borderline-Persönlichkeit in<br />
der Literatur mit 10 bis 40 Prozent angegeben.<br />
Gerade Bulimikerinnen zeigen<br />
ähnliche Verhaltensweisen wie<br />
Borderline-Patienten. Mit ihrem Konzept<br />
der „therapeutischen Gemeinschaft“<br />
bietet die <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> Borderline-Patienten<br />
mit Essstörungen<br />
die nötige Sicherheit und Geborgenheit,<br />
sich anzuvertrauen, sich zu akzeptieren<br />
und sich zu ändern.<br />
Die „therapeutische<br />
Gemeinschaft“ bietet<br />
den Patienten die notwendige<br />
Sicherheit<br />
und Geborgenheit.<br />
Borderline-Patienten sind charakterisiert<br />
durch ihre Impulsstörung. Diese äußert sich<br />
unter anderem in Selbstverletzungen, im<br />
Konsum von Drogen, im Glücksspiel und<br />
sehr häufig in bulimischen Essattacken.<br />
Vielfältige neurotische Symptome, die für<br />
einen Außenstehenden oft schwer verständlich<br />
sind <strong>oder</strong> bizarr erscheinen, kennzeichnen<br />
ebenfalls die Borderline-Persönlichkeit.<br />
Ihr Leben ist von großer Angst geprägt,<br />
die sich in verschiedenen Phobien<br />
äußern kann und bei vielen Patienten zu<br />
einer allgemeinen Nervosität und inneren<br />
Unruhe führt. Mit Hilfe von Trancezuständen,<br />
in die sich die Patienten versetzen können,<br />
werden unangenehme Gefühle abgewehrt.<br />
Borderline-Patienten zeigen außerdem<br />
weiter auf Seite 2<br />
I N H A L T<br />
Ausgabe Oktober 2002<br />
Chefarzt:<br />
Dr. med.<br />
Georg Ernst Jacoby,<br />
Arzt für Psychotherapeutische<br />
Medizin,<br />
Arzt für Psychiatrie<br />
INTERVIEW<br />
Gestaltungstherapie in der<br />
<strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong><br />
Bilder sind die „Apotheke der Seele“:<br />
In der Gestaltungstherapie können die<br />
Patienten ihre eigenen Körperbilder malen,<br />
verdrängte Bilder wiederfinden und<br />
ein neues Bild von sich gestalten.<br />
Seite 6/8<br />
AUS DEN ABTEILUNGEN<br />
Wissenschaftliche Studie<br />
Wie sich die Selbstwahrnehmung von<br />
essgestörten Patienten im Laufe der<br />
Therapie verändert, hat Ingrid Seidel<br />
mit einer eigens dafür konzipierten Studie<br />
ermittelt. Seite 9<br />
EXPERTENINTERVIEW<br />
Den inneren Bildern<br />
auf der Spur<br />
Interview mit Rosemarie<br />
Schuckall, leitende Kunsttherapeutin<br />
bei Anad/pathways<br />
in München.<br />
Seite 11/12<br />
GESUNDHEITS- UND<br />
SOZIALPOLITIK<br />
Der informierte Patient<br />
In unserer Wissens- und Informationsgesellschaft<br />
fordert der „m<strong>oder</strong>ne Patient“<br />
zunehmend Aufklärung und Mitspracherecht.<br />
Seite 13/14<br />
Die <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> im Internet:<br />
www.klinik-<strong>am</strong>-korso.de
<strong>Klinik</strong> Intern<br />
Auffälligkeiten in ihrem sexuellen Verhalten.<br />
Dazu gehört Promiskuität genauso wie<br />
das Auftreten sexueller Identitätsstörungen.<br />
Gelegentlich dekompensieren Borderline-Patienten<br />
und werden vorübergehend<br />
psychotisch.<br />
Eins<strong>am</strong>keitsdepression<br />
in der Kindheit<br />
Die in der früheren Entwicklungsphase<br />
gestörten und fixierten Erwachsenen sind<br />
nicht in der Lage, verschiedene Teilaspekte<br />
des Selbsterlebens zu integrieren. Sie<br />
fühlen sich als unterschiedliche Wesen, je<br />
nachdem, ob sie glücklich, gesättigt und erfüllt<br />
sind <strong>oder</strong> ob sie sich verlassen, allein<br />
und hungrig fühlen. Es gelingt ihnen auch<br />
nicht, sich als Menschen zu erleben, die in<br />
der Lage sind, sowohl Liebe als auch Hass<br />
zu empfinden, was zur Folge hat, dass sie<br />
entweder gespaltene Persönlichkeiten entwickeln<br />
<strong>oder</strong> aber ihre eigenen negativen<br />
Anteile auf andere projizieren. Auch die anderen<br />
werden aufgeteilt in „nur gute“ und<br />
„nur böse“ Menschen, sie werden idealisiert<br />
<strong>oder</strong> dämonisiert. Dazu ist ein beträchtliches<br />
Ausmaß an Realitätsverleugnung<br />
notwendig. Das Entstehen einer Borderline-Störung<br />
kann auch auf eine „Verlassenheitsdepression“<br />
(Masterson) in der<br />
frühen Kindheit zurückgeführt werden. Dieses<br />
Gefühl, unverstanden und „mutterseelenallein“<br />
zu sein, führt zu einer alles erfüllenden<br />
archaischen Angst. Diese ihrerseits<br />
wird oft mit Wut überdeckt. Die Wut wird<br />
dann manchmal noch mit Verachtung gespickt<br />
<strong>oder</strong> durch eine allgemeine Freudlosigkeit<br />
überschichtet.<br />
Einfühls<strong>am</strong>e Betreuung ist<br />
das A und O<br />
Für eine tiefenpsychologische, oft stationäre<br />
Behandlung sind klare Regeln notwendig.<br />
Dabei sollte das konkrete Vorgehen<br />
dem Patienten angepasst werden und<br />
variabel sein. Außerdem sollten die Patienten<br />
über die notwendigen Schritte vorab<br />
informiert werden. Eine „positive Übertragung“<br />
zu einem Therapeuten, der längerfristig<br />
zur Verfügung steht und der das<br />
Gefühl eines liebevollen Gehaltenwerdens<br />
vermitteln kann, ist anzustreben. „Hintertürchen“<br />
sollten geschlossen werden. Das<br />
heißt, es sind weder Drogen noch Rasierklingen<br />
erlaubt. Zugleich sollten „Vordertüren“<br />
geöffnet werden. Der Patient bekommt<br />
in einer therapeutischen Gemeinschaft das<br />
Gefühl, akzeptiert und geliebt zu werden,<br />
Bedürfnisse äußern zu können und ein<br />
Recht darauf zu haben, dass diese Bedürf-<br />
Gemeins<strong>am</strong>keiten zwischen<br />
Borderline-Syndrom<br />
und Essstörungen<br />
Der Anteil der Essgestörten mit Borderline-Persönlichkeit<br />
wird in der Literatur<br />
mit 10–40% angegeben. Wir fanden<br />
bei unseren Patienten eine Rate<br />
von 29 %.<br />
Beide Krankheitsbilder betreffen überwiegend<br />
Frauen (70 % bei der Borderline-Störung,<br />
90 % bei der Bulimie).<br />
Bei beiden Krankheitsbildern sind häufige<br />
Selbstverletzungen, extreme Stimmungsschwankungen<br />
sowie eine mangelnde<br />
Frustrationstoleranz bekannt.<br />
Bulimikerinnen gehen wie Borderline-<br />
Patienten oft Beziehungen ein, die<br />
zwischen Idealisierung und Entwertung<br />
wechseln.<br />
Bei Borderline-Patienten und Bulimikerinnen<br />
treten je nach Situation verschiedene<br />
Persönlichkeitsaspekte<br />
unterschiedlich in den Vordergrund<br />
(z. B.: Dr. Jekyll und Mr. Hyde).<br />
nisse auch wahrgenommen und nach Möglichkeit<br />
erfüllt werden. Die Patienten werden<br />
ermutigt, ihre Gefühle der Wut, der<br />
Angst und tiefen Depression zu spüren und<br />
zu äußern. Dabei werden sie liebevoll gehalten.<br />
Die medik<strong>am</strong>entöse Therapie spielt<br />
hingegen in der Behandlung der Borderline-Störung<br />
eine untergeordnete Rolle.<br />
Klinische Beobachtungen belegen einen<br />
Zus<strong>am</strong>menhang der Borderline-Störung<br />
und des posttraumatischen Belastungssyndroms<br />
(PTBS). Beide sind durch Über-<br />
02 <strong>Klinik</strong> Report<br />
regbarkeit, Vermeidungsverhalten, emotionale<br />
Taubheit, Erinnerungslücken und das<br />
Sichaufdrängen von Bildern und Stimmungen<br />
gekennzeichnet. Möglicherweise geht<br />
auch ein Aufmerks<strong>am</strong>keitsdefizits-/ Hyperaktivitätssyndrom<br />
der Jugendlichen oft in<br />
eine Borderline-Störung über.<br />
Essstörungen und<br />
Borderline-Syndrom<br />
Ein Zus<strong>am</strong>menhang, der uns in der <strong>Klinik</strong><br />
<strong>am</strong> <strong>Korso</strong> besonders interessiert, besteht<br />
zwischen dem Borderline-Syndrom<br />
und essgestörtem Verhalten, insbesondere<br />
der Bulimie. Lacey hat hier den Typus der<br />
„Multi-Impulsive-Bulimic“ beschrieben. Bulimikerinnen<br />
ähneln nicht nur durch ihre<br />
zwiegespaltenen Verhaltensmuster und<br />
Persönlichkeitsanteile Patienten mit einer<br />
Borderline-Störung, sie weisen auch weitere<br />
auffällige Gemeins<strong>am</strong>keiten auf. Borderline-Störungen<br />
scheinen oft mit einem sexuellen<br />
Missbrauch in Zus<strong>am</strong>menhang zu<br />
stehen. Die typischen Spaltungsvorgänge<br />
könnten auch aus der Missbrauchssituation<br />
erklärt werden. Essgestörte sind ebenfalls<br />
häufig sexuell missbraucht. Es scheint<br />
sich dabei jedoch nicht um einen spezifischen<br />
Zus<strong>am</strong>menhang zu handeln. Selbstverletzungen<br />
sind sowohl bei Borderline-<br />
Patienten wie bei Essgestörten häufig. Ein<br />
Drittel unserer essgestörten Patienten hat<br />
Selbstverletzungen in der Vorgeschichte<br />
angegeben. Als häufigste Motive für Selbstverletzungen<br />
wurden Trauer, Wut, Selbsthass<br />
und Stress beschrieben. Seltener dienen<br />
Selbstverletzungen dazu, ein Gefühl<br />
der Lebendigkeit zu vermitteln, <strong>oder</strong> stehen<br />
in Zus<strong>am</strong>menhang mit sich aufdrängenden<br />
Erinnerungsbildern.<br />
Was die Körperbildstörungen betrifft,<br />
sind diese bei der Magersucht und der Bulimie<br />
in der Literatur gut beschrieben. Wenig<br />
ist dagegen bekannt über die Körperbildstörungen<br />
der Borderline-Patienten.<br />
Vieles bleibt noch zu verstehen von den<br />
(weiblichen) Körpern als „Bedeutungslandschaften“.<br />
CA Dr. med. Georg Ernst Jacoby
L E I T A R T I K E L<br />
In Zukunft unverzichtbar<br />
Elektronische Kommunikation im Gesundheitswesen<br />
Frau H. aus dem Rheinland leidet<br />
seit vielen Jahren unter extremer Fehlsichtigkeit.<br />
Sie ist das Brillentragen<br />
leid und möchte ihre Augen lasern lassen.<br />
Ein in München erstelltes Zweitgutachten<br />
bestätigt die Kölner Erstdiagnose.<br />
Frau H. entscheidet sich aus<br />
medizinischen und Vertrauensgründen<br />
für den Eingriff in München, der durch<br />
mehrtägige Linsentests eines Bonner<br />
Fachlabors vorbereitet werden soll.<br />
Untersuchungsdaten und -fakten müssen<br />
also von München zur Patientin,<br />
von dieser ins Fachlabor, von dort zurück<br />
und anschließend zum Operateur<br />
gelangen. Hinzu kommt das Ergebnis<br />
der üblichen allgemeinärztlichen<br />
Untersuchung vor einer OP. Fazit: Viel<br />
beschriebenes Papier auf langen postalischen<br />
Wegen, Faxe und etliche Telefonate<br />
zur Abstimmung von Terminen,<br />
Fakten und Methoden.<br />
Dr<strong>am</strong>atischere Züge hingegen trägt folgender<br />
Fall: Mit Verdacht auf Schlaganfall<br />
wird ein 50-Jähriger in ein Krankenhaus<br />
eingeliefert. Seine Patientendaten aber liegen<br />
wohl verwahrt bei seinem Hausarzt und<br />
sind in der Notnacht, weil dieser im Urlaub<br />
ist, nicht verfügbar. Doch keineswegs nur<br />
beim Wettlauf mit dem Tod spielt der rasche<br />
und kontrollierte Zugriff auf Gesundheitsdaten<br />
und -fakten eine entscheidende<br />
Rolle. Denn m<strong>oder</strong>ne Informationstechnologien<br />
– E-Mail und Internet – optimieren<br />
auch die Qualität medizinischer Versorgung,<br />
verbessern die patientenorientierten Angebote<br />
und erschließen letztendlich auch<br />
Wirtschaftlichkeitspotenziale im Gesund-<br />
Ganz bequem von<br />
zu Hause aus kann<br />
der Patient seine<br />
Gesundheitsakte im<br />
Internet selbst verwalten.<br />
heitswesen, wenn sie denn aufeinander abgestimmt,<br />
verzahnt und kompatibel wären.<br />
Während in Deutschland die zweite Generation<br />
der Krankenversicherten-Karte –<br />
der elektronische Gesundheitspass – noch<br />
heftig diskutiert wird, gibt es in den USA<br />
bereits mehrere praktizierte Lösungen, und<br />
zwar sowohl<br />
für die in einem Ärztenetz angelegte<br />
und gepflegte elektronische Patientenakte<br />
mit Notfalldaten, Befunden und<br />
Diagnosen als auch<br />
für die vom Patienten selbst angelegte<br />
und geführte Gesundheitsakte im Internet.<br />
Hier kann der Patient Daten lesen<br />
und eingeben; Ärzte können das ebenfalls,<br />
aber nur, wenn der Patient sie<br />
dazu autorisiert.<br />
Schlusslicht Deutschland<br />
Mit wachsender Geschwindigkeit wandelt<br />
sich das Internet vom reinen Informa-<br />
Leitartikel<br />
tionsmedium zu einer weltweiten Kommunikationsplattform,<br />
und die <strong>am</strong> Gesundheitsprozess<br />
Beteiligten, also Patienten,<br />
Ärzte, Apotheker, Therapeuten und Krankenhausmanager,<br />
tun gut daran, im wechselseitigen<br />
Interesse politische, technische,<br />
rechtliche und sozial-ethische Lösungen<br />
einzufordern und in einer konzertierten Aktion<br />
voranzutreiben. Und dies nicht nur, weil<br />
die Zeit drängt, denn nach dem Beschluss<br />
der EU-Regierungschefs vom Juni 2000 haben<br />
sich die Mitgliedstaaten dazu verpflichtet,<br />
bis Ende dieses Jahres eine flächendeckende<br />
Telematik-Infrastruktur für<br />
den <strong>am</strong>bulanten und den stationären Sektor<br />
zur Verfügung zu stellen. Doch Fehlanzeige<br />
derzeit in Deutschland: Im Unterschied<br />
zu anderen europäischen und außereuropäischen<br />
Staaten gibt es immer noch<br />
kein nationales Strategiepapier zur Umsetzung<br />
dieses Beschlusses.<br />
Der guten Vorsätze gibt es indes viele: So<br />
soll die zweite Generation der Krankenversicherten-Karte<br />
auf Basis einer multifunk-<br />
<strong>Klinik</strong> Report 033
Leitartikel<br />
Durch die Gesundheitsakte<br />
ließen sich nicht nur unnötige<br />
Untersuchungen, sondern<br />
auch kostspielige Doppelmedikationen<br />
vermeiden.<br />
tionalen Smart-Card als Datenspeicher medizinische<br />
Angaben über die Erkrankung<br />
und Medikation des Patienten enthalten, zur<br />
Arzneimitteldokumentation dienen und als<br />
Kommunikationsschnittstelle Behandlungsund<br />
Verwaltungsabläufe unterstützen, beispielsweise<br />
durch den elektronischen Arztbrief<br />
<strong>oder</strong> das elektronische Rezept.<br />
Bei dem Begriff Telematik<br />
handelt es sich um eine<br />
Wortschöpfung der 70er<br />
Jahre. Sie setzt sich zus<strong>am</strong>men<br />
aus den Worten<br />
Telekommunikation und<br />
Informatik.<br />
Die Einführung eines solchen Gesundheitspasses<br />
könnte also als „Schuhlöffelprojekt“<br />
zur flächendeckenden Einführung<br />
von Telematik im Gesundheitswesen dienen.<br />
Denn es wächst die Einsicht, dass eine<br />
effektive und kontinuierliche Versorgung<br />
von Patienten und ein institutionsübergreifendes<br />
Behandlungsmanagement auch eine<br />
übergreifende Kommunikation von patientenbezogenen<br />
Informationen und eventuell<br />
sogar eine institutionsübergreifende Integration<br />
dieser Daten erfordert.<br />
Das elektronische Rezept<br />
Während die Spitzenorganisationen im<br />
Gesundheitswesen die Einführung des Rezepts<br />
als wichtigen Beitrag für mehr Wirt-<br />
Doppel- <strong>oder</strong> unnötige Untersuchungen<br />
lassen sich vermeiden.<br />
Es stehen bessere Vergleichsmöglichkeiten<br />
mit früheren Behandlungsdaten<br />
zur Verfügung.<br />
Unwirks<strong>am</strong>e Therapieversuche werden<br />
verringert, die Compliance wird<br />
erhöht.<br />
Eine zeit- und ortsunabhängige Zugriffsmöglichkeit<br />
auf strukturierte<br />
Daten ist gewährleistet.<br />
Der Patient wird zur aktiven Auseinandersetzung<br />
mit seiner Krankheit<br />
durch zusätzliche Informationen aus<br />
dem Netz angeregt.<br />
Mehr Komfort wird vor allem Diabetikern,<br />
Herzkranken und Asthmatikern<br />
geboten, die ihre Vitalpar<strong>am</strong>e-<br />
04 <strong>Klinik</strong> Report<br />
schaftlichkeit und Transparenz bejubeln,<br />
wird sich so mancher Patient die Frage stellen,<br />
was die Umstellung vom altbekannten<br />
Rezept auf das digitalisierte Rezept für seine<br />
eigene medizinische Versorgung bedeutet.<br />
Vorteile der elektronischen Gesundheitsakte<br />
ter, beispielsweise Blutdruck und<br />
Puls, in die Gesundheitsakte eintragen.<br />
Denn Waage, Blutzucker- und<br />
Blutdruckmessgerät lassen sich per<br />
Modem ans Netz andocken. Die<br />
Werte werden dann automatisch<br />
per Datenleitung an die Netzakte<br />
geschickt und dort eingetragen.<br />
Falls Gewicht, Blutzucker <strong>oder</strong> Blutdruck<br />
Besorgnis erregend sind,<br />
wird der Arzt automatisch per<br />
E-Mail benachrichtigt.<br />
Zugang und Wirkungsgrad von Aufklärungsk<strong>am</strong>pagnen<br />
lassen sich<br />
verbessern, weil sie den Benutzer<br />
über das Netz besser erreichen.<br />
Letztendlich erschließt die Gesundheitsakte<br />
Potenziale für eine informierte,<br />
gesundheitsbewusste und<br />
leistungsfähige Gesellschaft.
„Mit der beschlossenen<br />
Gemeins<strong>am</strong>en Erklärung<br />
des Bundesministeriums<br />
für Gesundheit und der<br />
Spitzenorganisationen<br />
zum Einsatz der Telematik<br />
im Gesundheitswesen ist<br />
ein entscheidender Durchbruch<br />
beim Auf- und<br />
Ausbau der Telematik in<br />
Deutschland erreicht.”<br />
Ulla Schmidt,<br />
Bundesministerin für Gesundheit<br />
Die Vorteile liegen jedoch klar auf der Hand:<br />
Bei der Verordnung <strong>oder</strong> der Rezepteinlösung<br />
haben Arzt und Apotheker die Möglichkeit,<br />
aktuelle Informationen über die Medik<strong>am</strong>ente<br />
abzurufen, sie auf ihre Inhaltsstoffe hin abzufragen<br />
und gegebenenfalls wegen Unverträglichkeitsreaktionen<br />
ein besser verträgliches<br />
Medik<strong>am</strong>ent auszuwählen.<br />
Gesundheitsakte:<br />
Daten weltweit verfügbar<br />
Hauptvorteil einer gemeins<strong>am</strong> von Arzt<br />
und Patienten geführten elektronischen Gesundheitsakte<br />
hingegen ist, dass ihre Daten<br />
weltweit verfügbar sind, wo immer ein<br />
Arzt <strong>oder</strong> ein mündiger und internetfähiger<br />
Bürger und Patient über einen Internet-<br />
Rechner verfügen. Als Herr seiner Daten<br />
kann der Patient, der seine Gesundheitsakte<br />
im Internet im Wesentlichen selbst einrichtet<br />
und pflegt, entscheiden, wem er Zugriff<br />
auf seine Daten gewährt. Ausgewählte<br />
Teilbereiche seiner Gesundheitsbiografie<br />
kann er an seine Gesundheitsbetreuer<br />
weitergeben und somit ermöglichen, dass<br />
auch eine Kommunikation unter Ärzten,<br />
Apothekern, Therapeuten und Krankenkassen<br />
unter seiner Kontrolle aufgebaut werden<br />
kann.<br />
K O M M E N T A R<br />
lektronischer Gesundheits-, Notfall-<br />
Eund Mutterpass sowie die Gesundheitsakte<br />
im Internet sind sowohl unverzichtbare<br />
Bausteine eines m<strong>oder</strong>nen, patientenorientierten<br />
Gesundheitssystems<br />
als auch schlüssige Konsequenz touristischer<br />
und medizinischer Globalisierung.<br />
Da sich die verschiedenen Dokumentationssysteme<br />
auf unterschiedliche Ländersprachen<br />
umstellen lassen, könnte<br />
sich selbst ein chinesischer Arzt in Mandarin<br />
einen Überblick über den Gesundheitszustand<br />
seines deutschen Patienten<br />
verschaffen. Solcher Möglichkeiten wollen<br />
wir uns doch angesichts einer immer<br />
enger zus<strong>am</strong>menwachsenden Weltbevölkerung<br />
nicht begeben.<br />
Jedoch ist die persönlich geführte und<br />
von Ärzten sowie Therapeuten kontrollierte<br />
Gesundheitsakte im Web nicht für<br />
jeden Patienten geeignet. Vergessen dürfen<br />
wir vor allem nicht jene älteren und<br />
weniger mit informationstechnologischen<br />
Raffinessen vertrauten Generationen,<br />
die in unserem Solidarsystem ebenso<br />
berechtigte Ansprüche auf dessen ITbasierte<br />
Vorzüge haben. Um einen weiteren,<br />
vertiefenden Schritt in das Zwei-<br />
Klassen-System abzumildern, muss hier<br />
der Hausarzt als Datentreuhänder fungieren,<br />
trotz komplizierten Datenschutzes<br />
bei wechselseitig wachsendem Informationsbedürfnis.<br />
Kommentar Leitartikel<br />
von<br />
Rechtsanwalt<br />
Erhard Hackler<br />
Zunächst jedoch gilt es, unsere Hausaufgaben<br />
zu machen. Und da kommen<br />
uns die Bundestagswahlen zur Erinnerung<br />
daran gerade recht. Denn die nordrhein-westfälische<br />
Gesundheitsministerin<br />
verwies erst kürzlich auf einen vom<br />
niederländischen Gesundheitsministerium<br />
durchgeführten internationalen Vergleich<br />
von acht hoch entwickelten Industriestaaten<br />
zum Einsatz von Informationstechnologien<br />
und Telematik im Bereich<br />
Gesundheit. Dabei lag Deutschland nur<br />
im Mittelfeld und in einigen Anwendungsfeldern<br />
sogar zurück.<br />
Was wir also schnellstens brauchen,<br />
sind klare Entscheidungen der Gesundheitsministerkonferenz,<br />
um die Ergebnisse<br />
laufender Pilotprojekte in den<br />
Bundesländern synergetisch zu koordinieren<br />
und bei Würdigung aller berechtigten<br />
Interessen der Kostenträger und<br />
Leistungserbringer die Rolle des Patienten<br />
in der Telematik nicht zu vernachlässigen.<br />
<strong>Klinik</strong> Report 055
Interview<br />
I N T E R V I E W<br />
„Augen“-fällig und be-„greifbar“<br />
Gestaltungstherapie in der <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong><br />
In der Gestaltungstherapie können die Patientinnen ihre eigenen Körperbilder<br />
malen, vergessene, verdrängte Bilder wiederfinden und ein neues Bild von sich gestalten.<br />
Die augenfällig und begreifbar gewordenen Gefühle und Selbstanteile lassen<br />
sich besser akzeptieren und letztendlich auch integrieren. Mehr darüber erfahren<br />
wir in einem Interview mit Ingrid Seidel, Simone Wolf und Günter Kreher, Gestaltungstherapeuten<br />
in der <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>.<br />
Was ist Gestaltungstherapie?<br />
Bilder sind die „Apotheke der Seele“. Wir<br />
wissen, dass in der Malerei – wie auch in<br />
den anderen Ausdrucksformen – das Unbewusste<br />
mitgestaltet. Das heißt, mit den Mitteln<br />
der Kunsttherapie können wir dazu beitragen,<br />
dass die für eine Krankheitsentstehung,<br />
die Krankheitsakzeptanz und die Heilung<br />
wichtigen Aspekte wie Wahrnehmen<br />
und Spüren, Erleben und Umgehen mit den<br />
eigenen Möglichkeiten sichtbarer werden.<br />
Welchen Stellenwert hat die Gestaltungstherapie<br />
bei der Behandlung von<br />
Patienten mit Essstörungen?<br />
Bei Essstörungen agieren die Patientinnen<br />
ihr Leiden über den Körper aus. Bei dieser<br />
Auseinandersetzung geht es unabhängig<br />
von den Ursachen der Krankheit immer auch<br />
um Selbst-Bilder und neue Entwürfe des<br />
Selbst, um Fremd-Bilder, Ideale und Vorbilder<br />
– letztendlich um Körperbilder, um die<br />
Selbstwahrnehmung und deren Veränderung<br />
und um die Körperformen.<br />
Die Kunsttherapie bietet in besonderer<br />
Weise ideale Möglichkeiten des Sichtbarmachens<br />
an: Was noch nicht in Worte zu<br />
fassen ist, weil es zur Stabilisierung des<br />
Ichs verdrängt wurde, als zu beängstigend<br />
erlebt wird – <strong>oder</strong> als wertlos galt, kann<br />
sich hier einen Weg ans Licht suchen. Auf<br />
scheinbar spielerischer Ebene kann probiert<br />
werden, was eine Erweiterung der eigenen<br />
Handlungsmöglichkeiten anbahnen<br />
und bedeuten kann. Man kann hier von<br />
Probehandeln sprechen.<br />
Mit welchen Methoden arbeiten Sie in<br />
der Gestaltungstherapie?<br />
Wir begleiten die Patientinnen künstlerisch,<br />
was die Anwendung der Materialien<br />
betrifft, und analytisch, was sich auf die Begleitung<br />
durch den therapeutischen Prozess<br />
bezieht. Entsprechend den individuellen<br />
Anforderungen entwickeln wir mit den<br />
Patientinnen Zielvorstellungen und setzen<br />
daran orientiert Methoden ein.<br />
06 <strong>Klinik</strong> Report<br />
Ob malen <strong>oder</strong> formen –<br />
das Erleben steht bei der<br />
Gestaltungstherapie im<br />
Vordergrund.<br />
Wenn es bei einer Patientin eine große<br />
Kontrolliertheit gibt, die mit Angst vor dem<br />
Kontrollverlust einhergeht und man sieht,<br />
die Patientin zeichnet <strong>am</strong> liebsten mit Blei<strong>oder</strong><br />
Buntstiften, kann man ihr ein Experiment<br />
vorschlagen: Das Angebot könnte sein,<br />
es einmal mit Aquarell- <strong>oder</strong> Fingermalfarben<br />
zu probieren – Techniken, die fließender<br />
sind. Der Angst, das Material nicht in die vorgedachten<br />
Bahnen bringen zu können, würden<br />
wir durch eine aufmerks<strong>am</strong>e Begleitung<br />
während des Gestaltens begegnen.<br />
Wir arbeiten mit verschiedenen Methoden<br />
und bieten unterschiedliche Materialien<br />
an. Zu unserem „Handwerkszeug“ gehören<br />
flüssige und feste Farben, Stifte und<br />
Kreide, Ton, Stein, Holz und Naturmaterial.<br />
Wir arbeiten auch mit Foto und Video, eben-
so gehören Rollenspiel, Maskenbau und<br />
Theater zum Repertore. Daneben werden<br />
Methoden wie das Formenzeichnen und die<br />
Arbeit <strong>am</strong> Tonfeld angeboten. Hier kann<br />
kombiniert, ergänzt und aufgebaut werden.<br />
Der Erlebnisbericht kann erweitert, Formen,<br />
Bewegungen, Gefühle können entdeckt,<br />
ausprobiert und verändert werden.<br />
Wie werden Gefühle, die bei der Gestaltungstherapie<br />
entstehen, verarbeitet?<br />
Ziel der Therapie ist es, sich besser mit<br />
allen Empfindungen wahrzunehmen, sich<br />
besser zu spüren und dieses zuzulassen, ob<br />
es Freude <strong>oder</strong> auch Trauer und Schmerz<br />
sind. Wenn es gelingt, Blockierungen zu lösen,<br />
können Gefühle als wahre Energiebringer<br />
genutzt werden. Somit wird der Ausdruck<br />
von Gefühlen Inhalt der Therapie. So<br />
kann es einen Tag wichtig sein, mit<br />
schmerzvollen Gefühlen, voller Trauer und<br />
Tränen die Gestaltungstherapie zu verlassen,<br />
wie es angebracht sein kann, in einem<br />
düsteren Bild nach Anhaltspunkten für eine<br />
Aufhellung zu forschen, dort anzusetzen<br />
und in diesem – <strong>oder</strong> in einem zweiten Bild<br />
– etwas gegen die Düsternis zu setzen, um<br />
ein Gegengewicht zu schaffen. Oder andererseits<br />
in bunten, scheinbar heiteren Bildern<br />
nach verborgenen dunklen Seiten zu<br />
schauen und diesen mehr Raum zu geben.<br />
Sind alle Patienten gleich gut für diese<br />
Therapieform geeignet?<br />
Wir hören häufiger von Patientinnen „Ich<br />
kann nicht malen.“ Dies ist eine Selbstblockade,<br />
die auch aus anderen Bereichen bekannt<br />
ist. In der Verbindlichkeit, an allen angebotenen<br />
Therapieformen teilzunehmen,<br />
liegt für viele die Chance, in gestalterischen<br />
Bereichen neue, die eigenen Möglichkeiten<br />
erweiternde Erfahrungen zu machen. Jeder<br />
Mensch kann auf Materialien Spuren hinter-<br />
Ingrid Seidel<br />
Dipl.-Kunsttherapeutin, Malerin,<br />
seit 2 Jahren in der <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> tätig<br />
Ich mag die kunsttherapeutische Arbeit, weil mit<br />
den Bildern, Objekten, Gestaltungen, Erlebnisse<br />
und Gefühle Ausdruck finden können, für die es<br />
vielleicht noch keine Worte gibt. Sie werden sichtbar,<br />
finden Beständigkeit und bieten sich gleichzeitig<br />
für Veränderungen an, die wir begleiten können.<br />
Patientinnen können mit der Kunst Fähigkeiten<br />
neu <strong>oder</strong> wieder entdecken.<br />
Simone Wolf<br />
Dipl.-Kunsttherapeutin, seit 1 1/2 Jahren<br />
in der <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> tätig<br />
Ich finde es gut, dass der Mensch im künstlerischen<br />
Tun ganzheitlich angesprochen wird und<br />
sich wieder mit seinen Gefühlen, seinem Handeln<br />
wie auch seiner Intellektualität, die beim Gestaltungsprozess<br />
zus<strong>am</strong>menwirken, einbringen und<br />
erfahren kann. Der Vorgang, beispielsweise eine<br />
Situation – auch eine problematische – in eine<br />
Form zu bringen, ist bereits mit Eigenaktivität und<br />
Selbstkompetenz verbunden und wirkt so der oft<br />
empfundenen Hilf- und Handlungslosigkeit entgegen.<br />
Das Praktische an Bildern und Objekten<br />
ist außerdem, dass sie als Zeugen von schon Erreichtem<br />
bleiben.<br />
lassen <strong>oder</strong> diese in Formen bringen, welche<br />
als persönliche Ausdrucksformen empfunden<br />
werden. Hier können Wege geöffnet<br />
werden, die zur Bewusstheit eigener schöpferischer<br />
Kreativität führen können.<br />
Welche Bedeutung hat das Arbeiten in<br />
der Gruppe für den Therapieerfolg?<br />
Für Patientinnen mit Essstörungen eine<br />
große. Bei der Verabschiedung der Patienten<br />
im Plenum der <strong>Klinik</strong> wird in ganz besonderer<br />
Weise fast immer der Gruppe und<br />
einzelnen Mitpatienten für deren Unterstützung<br />
gedankt. Die Patientinnen fühlen<br />
sich hier oftmals zum ersten Mal in ihrer<br />
Problematik verstanden, im Gegensatz zum<br />
Unverständnis ihrer Umwelt.<br />
Sie profitieren von einer gesunden Konfrontation<br />
durch ihre Mitpatientinnen, denn<br />
Essgestörte durchschauen sich mit ihren<br />
Interview<br />
Von rechts: Ingrid Seidel, Simone Wolf, Günter Kreher<br />
Günter Kreher<br />
Gestaltungs- und Soziotherapeut, seit 14 Jahren<br />
in der <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> tätig<br />
Mich haben Bilder und Geformtes schon immer<br />
fasziniert. Ich stelle bei mir ein fortdauerndes<br />
Interesse an den Empfindungen und Bedeutungen<br />
fest, die von den Patientinnen mit ihren Gestaltungen<br />
verbunden werden. Besonders<br />
spannend erlebe ich, wenn sich Gestaltetes<br />
während des Entstehens verändert, wenn sich<br />
im Bild <strong>oder</strong> in der Form eine Entwicklung vollzieht.<br />
Tricks und Selbsttäuschungen. Sie erleben<br />
den therapeutischen Prozess der anderen,<br />
können voneinander lernen und sich<br />
wiedererkennen. So beobachten zum Beispiel<br />
welche Lösungen andere finden, welche<br />
Wagnisse sie eingehen? Und sie erhalten<br />
Unterstützung bei Krisen. Das macht<br />
Mut.<br />
Inwieweit arbeiten Sie mit anderen<br />
Fachbereichen zus<strong>am</strong>men, Stichwort:<br />
Interdisziplinarität?<br />
In der <strong>Klinik</strong> gibt es einen intensiven täglichen<br />
Austausch zwischen den Therapeuten<br />
und Therapeutinnen, die mit den Patientinnen<br />
zus<strong>am</strong>menarbeiten.<br />
Wir bedanken uns bei Ingrid Seidel,<br />
Simone Wolf und Günter Kreher ganz herzlich<br />
für das Gespräch.<br />
<strong>Klinik</strong> Report 077
Interview<br />
Vorteile der Kunst- und<br />
Gestaltungstherapie<br />
Malen und Tonen erlauben leichter als<br />
Sprache einen direkten Ausdruck von<br />
Träumen, Fantasien und anderen inneren<br />
Erfahrungen, die eher als Bilder<br />
denn als Worte auftauchen.<br />
Ins Bild gebrachte Projektionen entkommen<br />
der inneren Zensur wesentlich<br />
leichter als verbal geäußerte, so dass<br />
der therapeutische Prozess beschleunigt<br />
wird.<br />
Die Produkte sind dauerhaft und verändern<br />
sich nicht. Ihr Inhalt kann nicht<br />
durch Vergessen aus der Welt geschafft<br />
werden und die Autorschaft ist schwer<br />
zu leugnen. Einmal aus dem Unbewussten<br />
aufgetaucht, arbeiten sie innerlich<br />
weiter.<br />
Die Autonomie des Malenden wird gefördert.<br />
Er lernt mehr und mehr, mit<br />
seinen eigenen Bildern umzugehen<br />
und sie für seine Heilung und Entwicklung<br />
einzusetzen. So ersetzt die Beziehung<br />
zu den Bildern (= Innenwelt)<br />
langs<strong>am</strong> die Abhängigkeit vom Therapeuten.<br />
Oft entdecken die Malenden in ihren Bildern<br />
eine Kraft, Stärke und Lebendigkeit,<br />
die sie bisher an sich nicht wahrgenommen<br />
haben. Dies stärkt ihr Selbstvertrauen<br />
und ihren Glauben daran, ihre<br />
Probleme selbst lösen zu können.<br />
Kommunikationsmöglichkeiten werden<br />
erweitert und vertieft. Der Zugang zu<br />
sich und den anderen über das Wort<br />
ist oft versperrt. In die Bildsprache<br />
aber gleitet das Unbewusste ohne<br />
Mühe, fördert Erkennen, gibt Ermutigung<br />
und Bereicherung.<br />
Ungelöste Konflikte werden in der Regel<br />
von Konzentrationsstörungen begleitet.<br />
Der Gestaltungsvorgang jedoch<br />
nimmt sehr schnell gefangen und bindet<br />
die Aufmerks<strong>am</strong>keit. Der Gestaltende<br />
vergisst alles um sich her und ist<br />
vollkommen versunken, versunken<br />
konzentriert.<br />
Quelle: Gertaud Schottenloher; Kunst- und<br />
Gestaltungstherapie: Kösel-Verlag 1989 2 ,<br />
Seite 136f.<br />
08 <strong>Klinik</strong> Report<br />
Ausschnitte aus einem Therapieverlauf<br />
Frau B., 31 Jahre, seit über 10 Jahren Bulimie mit zeitweiligen Hungerperioden.<br />
Die Bilder, die im Rahmen der Gruppengestaltungstherapie gemalt wurden, zeigen<br />
einen Ausschnitt aus einem längeren Prozess. Es entstanden Werke davor<br />
und danach. Dennoch beziehen sich die hier dargestellten Bilder in der Abfolge<br />
aufeinander – thematisch wie auch durch wiederkehrende Form- und Strukturelemente<br />
in den Bildern.<br />
„<strong>Nur</strong> Wasser?<br />
Nein, ich brauche<br />
Halt“, sagt<br />
die Patientin zu<br />
ihrem ersten<br />
Bild in der erstenGestaltungstherapiesitzung.<br />
Ein doppelter Rahmen begrenzt auf dem<br />
Bild das Wasser. Er wird von der Patientin<br />
als notwendig, zugleich als einsperrend<br />
empfunden. Sie stellt die Verbindung zu ihrer<br />
bulimischen Symptomatik her, in der sie<br />
kein Maß findet und sich dann durch rigide<br />
Verhaltensauflagen zu kontrollieren<br />
sucht. Auch im Alltagsleben orientiert sich<br />
die Patientin sehr stark an äußeren Vorgaben.<br />
Ein Kasten für beschämende Erlebnisse.<br />
Die Farben erzählen von den d<strong>am</strong>it verbundenen<br />
heutigen und<br />
früheren<br />
Emotionen.<br />
Vehement gezogene senkrechte und<br />
waagerechte Striche liegen diesem Bild als<br />
Struktur zu Grunde. Die Patientin setzt sich<br />
hier mit einer bevorstehenden Situation<br />
auseinander, in der es darum gehen würde,<br />
sich gegenüber einer bestimmten Anforderung<br />
abzugrenzen. Im Sinne eines<br />
Probehandelns erlebt<br />
sie sich während<br />
der Gestaltung<br />
als selbstkompetent.<br />
In dem roten<br />
Feld steht „Nein“.<br />
Erstaunlich findet<br />
die Patientin, dass<br />
Abgrenzung – zunächst im Bild – in einer<br />
künstlerisch ansprechenden statt zerstörenden<br />
Form möglich ist.<br />
Bei der Aufgabe,<br />
„Chaos“<br />
zu malen,<br />
macht die PatientinfolgendeErfahrung:<br />
Das Chaos tritt nicht in der von ihr<br />
befürchteten Form ein, da immer wieder individuelle<br />
Ordnungsprinzipien durchkommen.<br />
Sie zieht die Parallele zu ihrer – für<br />
essgestörte Menschen typischen – Angst<br />
vor Chaos und Kontrollverlust, wenn einmal<br />
die starren Ernährungsregeln aufgegeben<br />
werden.<br />
Körperbild. Verhältnis<br />
zu meinem Körper.<br />
Wo sitzt die Kraft? Die<br />
Patientin verspürt verschiedeneEnergiefelder<br />
in sich.<br />
Das Thema<br />
„Weiblichkeit”<br />
wird gegen<br />
Ende der Therapie<br />
noch<br />
einmal wichtig.<br />
Dieses Bild mit geschwungenen Formen<br />
und Farbverläufen wurde überwiegend mit<br />
den Fingern durch Verreiben von Pastellkreide<br />
auf dem Papier gemalt. „Meine weiche<br />
Seite“ nennt es die Patientin. Es ist<br />
zum einen eine Neuentdeckung für sie, zum<br />
anderen ein Wiederanknüpfen an ihre beginnende<br />
Sexualität als Jugendliche vor<br />
den oben genannten Erlebnissen.
Hintergrund:<br />
Die Patientinnen haben in der <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> eine durchschnittliche<br />
Aufenthaltszeit von acht bis zehn Wochen. Während<br />
der ges<strong>am</strong>ten Zeit bleiben sie mit 10-12 Patientinnen aller drei<br />
Krankheitsbilder (Anorexie, Bulimie, Adipositas) in einer festen<br />
Gruppe. Jede Gruppe hat an einem Tag der Woche eine kunsttherapeutische<br />
Einheit, die sich über den ganzen Tag erstreckt.<br />
Daraus ergibt sich ein über lange Zeit konstanter Rahmen für<br />
die Studie. Diese Studie führe ich jetzt über 2 Jahre mit jeweils<br />
3 Gruppen pro Woche durch.<br />
Methode:<br />
In einem immer gleich bleibenden Setting fertigen die Patientinnen<br />
jeweils zu Beginn der kunsttherapeutischen Einheit ein<br />
„Selbstbildnis“ an: „Bitte stellen Sie sich vor, Sie betreten einen<br />
Raum und befinden sich im Türrahmen. Bitte zeichnen Sie<br />
sich in den vorgegebenen Rahmen so hinein, wie Sie sich gerade<br />
fühlen.“ Dafür steht ein vorgedrucktes Blatt mit einem Rahmen<br />
in der Größe 20 x 10 cm zur Verfügung. Die Zeichnungen<br />
werden mit einem Bleistift gemacht, es darf auch radiert werden.<br />
Der Zeitrahmen ist auf fünf Minuten begrenzt.<br />
Ergebnis:<br />
Folgende Erkenntnisse ergeben sich bisher in auffälliger Konstanz:<br />
Die selbstwahrgenommene Größe innerhalb des Rahmens<br />
verändert sich im Laufe der Therapie. Anfänglich ganz kleine<br />
Figuren finden langs<strong>am</strong> zu einer angemessenen Größe,<br />
Krisen, Angst einflößende Situationen lassen auch das<br />
„Selbst“ wieder kleiner werden. Andere sprengen zunächst<br />
fast den Rahmen.<br />
Die Personen finden oft erst<br />
im Laufe der Zeit wieder Boden<br />
<strong>oder</strong> den Füßen, die<br />
Füße sind oft um einige<br />
Zentimeter über dem Boden.<br />
Dabei fehlen manchmal auch<br />
entscheidende Gliedmaße:<br />
die Füße auf denen man<br />
stehen kann, die Hände, die<br />
zupacken.<br />
Wissenschaftliche Studie<br />
Aus den Abteilungen<br />
Veränderung der Selbstwahrnehmung im Verlauf der Therapie<br />
bei Patientinnen mit gestörtem Essverhalten<br />
Patientinnen mit starken Körperschemastörungen „verzerren“<br />
auch die Zeichnung: Stark anorektische zeichnen sich<br />
dick, mit überdimensionalen Bäuchen und Oberschenkeln,<br />
manche Körper wirken schlicht unwirklich.<br />
Die Patientinnen „durchwandern“<br />
den Rahmen, zu Beginn der Therapie<br />
verschwinden sie fast in der<br />
linken Ecke, schweben, liegen<br />
manchmal auf dem Boden, blicken<br />
nach links <strong>oder</strong> rechts, um dann im<br />
weiteren Verlauf der Therapie einen<br />
angemessenen Platz in der<br />
Bildmitte mit festem Stand auf<br />
dem Boden zu finden. Und sie<br />
schauen aus dem Bild heraus, sind<br />
sich wieder selbst ein angemessenes Gegenüber.<br />
Diskussion:<br />
Kurz vor Abschluss der Therapie biete ich den Patientinnen an,<br />
sich mit mir die ganze Serie anzusehen. Dies wird von ihnen oft<br />
als tagebuchähnliche Rückschau erlebt. Die Patientinnen können<br />
häufig bei Betrachtung der Zeichnung genau benennen, wie ihr<br />
Befinden zu der Zeit war. Und: Sie haben noch einmal ihre eigene<br />
Entwicklung vor Augen, auch längst vergessene „Höhen und<br />
Tiefen“, Rückschläge und Erfolge werden noch einmal sichtbar.<br />
Diese Zeichnungen sind zunächst grundsätzlich nicht Bestandteil<br />
der jeweiligen kunsttherapeutischen Arbeit an dem jeweiligen Tag,<br />
nur auf besondere Auffälligkeiten und Veränderungen werden die<br />
Patientinnen angesprochen. Gleichwohl sind sie Bestandteil der<br />
Überlegungen in den jeweiligen Te<strong>am</strong>sitzungen.<br />
Ausblick:<br />
Die hier gezeigten Bilder geben nur einen kleinen Einblick. Die<br />
wissenschaftliche Aufbereitung wird noch einige Zeit in Anspruch<br />
nehmen, sie sind auch Grundlage von zwei Diplomarbeiten,<br />
die zurzeit von zwei Studentinnen gefertigt werden, die<br />
ihr Praktikum bei mir absolviert haben. Ingrid Seidel<br />
Das Verfahren wurde von Ingrid Seidel im Rahmen ihrer Tätigkeit<br />
in der <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> entwickelt<br />
<strong>Klinik</strong> Report 099
Hilfe zur Selbsthilfe Buchtipp<br />
HILFE ZUR SELBSTHILFE<br />
Die DAGTP stellt sich vor<br />
Verein Deutscher Arbeitskreis Gestaltungstherapie/<br />
Klinische Kunsttherapie e.V.<br />
Gestaltungstherapeuten/innen<br />
mit langjähriger Berufserfahrung in<br />
Fachkliniken für Psychosomatik und<br />
Psychotherapie gründeten 1979 den<br />
Verein Deutscher Arbeitskreis Gestaltungstherapie<br />
e.V. Zwölf Jahre später<br />
wurde der Verein umbenannt in Deutscher<br />
Arbeitskreis Gestaltungstherapie/Klinische<br />
Kunsttherapie e.V. Durch<br />
die N<strong>am</strong>enserweiterung „Klinische<br />
Kunsttherapie“ soll deutlich gemacht<br />
werden, dass die tiefenpsychologisch<br />
fundierte Gestaltungstherapie als eine<br />
psychotherapeutische Methode im Klinischen<br />
Bereich angesiedelt ist.<br />
Der Verein richtet sein Augenmerk auf die<br />
Weiterentwicklung der Gestaltungstherapie<br />
nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen<br />
von Tiefenpsychologie und Sozialpsychologie,<br />
auf die Erarbeitung der Grundlagen<br />
für einen zu etablierenden Berufsstand<br />
des Gestaltungstherapeuten/klinischen<br />
Kunsttherapeuten sowie auf Veranstaltungen<br />
zur Fort- und Weiterbildung. Des<br />
Weiteren unterstützt der DAGTP die Veröffentlichung<br />
von gestaltungstherapeutischen<br />
Gedanken, Konzepten und Ideen.<br />
Fort- und Weiterbildung<br />
Seminare zur Einführung in die Gestaltungstherapie,<br />
die seit der Gründung des<br />
DAGTP e.V. durchgeführt werden, bieten die<br />
Möglichkeit, die Gestaltungstherapie kennen<br />
zu lernen. Diese Erfahrungen können<br />
in den Trainingsgruppen weiter vertieft und<br />
intensiviert werden. Einführungsseminar<br />
und Trainingsgruppe bilden den Inhalt des<br />
Grundkurses. In den Fortbildungsseminaren<br />
werden spezielle Gesichtspunkte und Akzente<br />
der gestaltungstherapeutischen Tätigkeit<br />
erarbeitet und betrachtet.<br />
Außerdem führt die DAGTP jährlich eine<br />
Fachtagung mit praxisbezogenen Vorträgen<br />
durch. Sie dient dem Austausch beruflicher<br />
Erfahrungen und ermöglicht den Teilneh-<br />
BUCHTIPP<br />
10 10 <strong>Klinik</strong> Report<br />
mern fachbezogene Reflexion und Kontakte<br />
mit Kolleginnen und Kollegen, die in diesem<br />
Fachbereich tätig sind.<br />
Weitere Informationen erhalten Interessierte<br />
beim Verein Deutscher Arbeitskreis<br />
Gestaltungstherapie/Klinische Kunsttherapie<br />
e.V., Joachim-Friedrich-Straße 30, 10711<br />
Berlin<br />
Kunst- und Gestaltungstherapie<br />
Eine praktische Einführung<br />
Gertraud Schottenloher<br />
Kunst- und Gestaltungstherapie<br />
München: Kösel-Verlag<br />
5. Auflage 2000, 21,50 Euro<br />
Der spontane kreative Ausdruck spielt für die Entwicklung der Psyche in jedem<br />
Lebensalter eine wichtige Rolle. Er ermöglicht Einsicht in die eigene Persönlichkeit,<br />
in den Ausdruck und die Verarbeitung von Gefühlen und Konflikten. Dies<br />
ist für alle Menschen von großer Bedeutung. Die Fähigkeit zur Einsicht und<br />
Selbstheilung setzt allerdings voraus, dass sich bildnerisches Gestalten <strong>am</strong> Prozess<br />
und <strong>am</strong> seelischen Ausdruck orientiert und nicht <strong>am</strong> Produkt.<br />
Die Autorin Gertraud Schottenloher vermittelt in ihrem Buch Ideen und Übungen<br />
aus dem Bereich der Kunst- und Gestaltungstherapie mit dem Ziel, diese<br />
innerhalb und außerhalb des klinischen Bereiches verfügbar zu machen. Die<br />
Übungen wurden vor allem in der Humanistischen Psychologie und in eigener<br />
11-jähriger Praxis entwickelt. Sie sind sowohl therapeutisch als auch erzieherisch<br />
und heilpädagogisch einzusetzen.<br />
Über die Übungsvorschläge hinaus werden Anregungen vermittelt, wie mit Hilfe<br />
der Bilder therapeutisch weitergearbeitet werden kann, um Kinder und Jugendliche<br />
zu unterstützen, ihre seelischen Verknotungen zu lösen.
EXPERTENINTERVIEW<br />
Den inneren Bildern<br />
auf der Spur<br />
Interview mit Rosemarie Schuckall,<br />
Leiterin der Kunsttherapie bei<br />
Anad/pathways in München<br />
Bei der Behandlung seelischer Störungen<br />
spielt die Kunst- und Gestaltungstherapie<br />
als diagnostisches und therapeutisches<br />
Medium eine immer bedeutendere<br />
Rolle. Warum?<br />
Die Kunsttherapie hat sich als diagnostisches,<br />
vor allen Dingen aber als therapeutisches<br />
Medium gut etablieren können. Sie<br />
konnte sich für einen Bereich profilieren,<br />
wo die Verbalisierungsfähigkeit vom komplexen<br />
seelischen Geschehen an Grenzen<br />
stößt. Dies kann viele Gründe haben. Ein-<br />
mal, weil sich die inneren Dimensionen<br />
des Patienten traumabedingt und<br />
krankheitsspezifisch noch in einem<br />
präverbalen Stadium befinden und<br />
sich d<strong>am</strong>it einer primär rationalen Bearbeitung<br />
verweigern. Oder aber auch,<br />
weil die zu Grunde liegende Störung so<br />
widersprüchlich-komplex und/<strong>oder</strong><br />
angstinduzierend ist, dass sie sich einem<br />
unmittelbaren Zugriff entzieht.<br />
An dieser Stelle bietet die Kunsttherapie<br />
die Möglichkeit, durch das Bild<br />
einen tiefen und symbolischen Ausdruck<br />
für das zum Teil noch unbewusste<br />
seelische Geschehen zu finden. Der<br />
dargebotene Bildinhalt kann im Sinne<br />
eines objekthaften Vermittlers verstanden<br />
werden, in dem das Traumatische<br />
plötzlich real und für jedermann sichtbar<br />
werden kann, ohne zunächst eine Interpretation<br />
zu fordern. Eine intensive therapeutische<br />
Beschäftigung mit dem Bild (=<br />
Symbol) kann dabei durchaus auch auf verbaler<br />
Ebene erfolgen, kann dabei seine innere<br />
Realität und Auswirkungen bestätigen<br />
und sich natürlich auch therapeutisch modifizierend<br />
bearbeiten lassen. Der Bildinhalt,<br />
das Symbol, bleibt aber als ausschließlicher<br />
Bezugspunkt und gleichzeitig<br />
sichernde Rückzugsebene unverändert erhalten.<br />
Die Gleichzeitigkeit eines Redens<br />
„über“ das, was mit Hilfe des Mediums Bild<br />
extrakorporiert wurde, wie auch eines „Hin-<br />
Experteninterview<br />
ein“-Gehens in den Bildinhalt (den u. U.<br />
dargestellten Konflikt) bedeutet für den Patienten<br />
eine besondere innere Freiheit, die<br />
der Methode und dem Konzept Kunsttherapie<br />
ihren eigenständigen Raum im Therapiegebäude<br />
gewährt.<br />
Rosemarie Schuckall<br />
Ausbildung <strong>am</strong> Institut für Kunst und<br />
Therapie (IKT)<br />
Lehranalyse bei Dr. W. Trauth,<br />
Gesellschaft für Psychoanalyse u.<br />
Psychotherapie (GPP)<br />
Hypnotherapeutische Weiterbildung<br />
bei Dr. Kaiser-Rekkas und Dr. Ebell in<br />
München<br />
Systemische Ausbildung (ISTOB)<br />
Tätigkeit in der Uni-Kinderklinik für<br />
Psychotherapie/Psychosomatik<br />
Gruppenarbeit in der Tagesklinik der<br />
Psychiatrischen Uni-<strong>Klinik</strong> München<br />
Leitung der Kunsttherapie bei<br />
Anad/pathways München<br />
Forschungsschwerpunkte: Traumatherapie,<br />
Essstörungen, Konfliktverarbeitungs-Strukturen<br />
<strong>Klinik</strong> Report 11 11
Experteninterview<br />
Gefahrloser Zugang<br />
zum Konflikt<br />
Dieses Oszillieren im<br />
Standpunkt ermöglicht<br />
dem Patienten einen vergleichsweise<br />
gefahrlosen<br />
Zugang zum Konflikt, weil<br />
methodenimmanent sowohl<br />
der Zugang als auch<br />
der Fluchtweg (die Möglichkeit,<br />
ausschließlich<br />
<strong>am</strong> Symbol selbst bleiben<br />
zu können) gegeben sind.<br />
Das Dargestellte, das<br />
Bild, mit seiner ihm innewohnenden<br />
Symbolik sowie der versteckten<br />
und gleichzeitig offenbarten<br />
seelischen Szenerie gestattet dem Therapeuten,<br />
wichtige diagnostische Einblicke<br />
in das gegenwärtige Erleben und<br />
die Konfliktkonfiguration des Patienten<br />
zu nehmen.<br />
Worin besteht der Unterschied<br />
zwischen der Kunst- und der Gestaltungstherapie?<br />
Beide werden in der Praxis häufig synonym<br />
gebraucht, wobei die Wortzus<strong>am</strong>mensetzung<br />
aus „Kunst“ und „Gestaltung“<br />
verdeutlichen mag, dass sowohl<br />
bildnerische als auch handwerklich<br />
plastische Gestaltungsmittel genutzt<br />
werden können.<br />
Im Rahmen der Initiative ANAD/<br />
pathways arbeiten Sie mit essgestörten<br />
Patienten im Alter von 14 bis 30 Jahren zus<strong>am</strong>men.<br />
Welche Erfahrungen konnten Sie<br />
hier s<strong>am</strong>meln?<br />
Essgestörte Patienten neigen sehr zu Abstraktion<br />
und abwehrender Intellektualisierung<br />
ihrer Gefühle. Die Kunsttherapie ist die<br />
Tür zu diesen Gefühlen und Empfindungen,<br />
die im bildnerischen Gestaltungsprozess<br />
fassbare Wirklichkeit, also Realität werden<br />
dürfen. An dieser Stelle darf ich noch auf<br />
meine Ausführung zu Frage eins verweisen.<br />
Welche Schwerpunkte setzen Sie in Ihrer<br />
Arbeit mit essgestörten Patienten?<br />
Die Frage ist für mich problematisch, weil<br />
die Krankheitssituationen dieser Patientin-<br />
12 12 <strong>Klinik</strong> Report<br />
nen so komplex sind. Jeder<br />
essgestörte Patient ist ein Individuum<br />
und gestaltet somit<br />
seine eigene Essstörung.<br />
D<strong>am</strong>it gibt es so viele<br />
Schwerpunkte, wie es Patienten<br />
gibt, die an dieser<br />
Krankheit leiden.<br />
Gibt es je nach Störungsbild<br />
und Alter der essgestörten<br />
Patienten unterschiedliche<br />
Muster <strong>oder</strong> Leitbilder,<br />
die sich in den Arbeiten der<br />
Patienten wiederfinden?<br />
Ja, die gibt es natürlich. Jugendliche<br />
wählen Sujets <strong>oder</strong> Konfliktdarstellungen,<br />
die mit Sexualität<br />
und Erwachsenwerden zu tun haben,<br />
aber auch mit der Abgrenzung<br />
gegenüber Autoritäten, Eltern und<br />
Schule. Bei alldem geht es immer<br />
darum, bestehen zu können, das<br />
eigene Leben zu erfassen und gestalten<br />
zu dürfen. Bei älteren Patientinnen<br />
spielen Beziehungen,<br />
F<strong>am</strong>ilienkonflikte <strong>oder</strong> Probleme in<br />
der Arbeit eine große Rolle.<br />
Für alle Altersgruppen steht der<br />
K<strong>am</strong>pf um die eigene Identität sowie<br />
ein ängstlich-<strong>am</strong>bivalentes Suchen<br />
nach verlässlichen Beziehungen<br />
im Zentrum der meisten inneren<br />
Kämpfe. Die Essstörung bedeutet<br />
dabei nicht selten eine<br />
komplexe Art Widerstand zu leisten sowie<br />
natürlich ein Wahrgenommenwerden und<br />
ein Abgrenzen zu erzwingen, welches in<br />
herkömmlicher Weise nicht adäquat möglich,<br />
erlaubt bzw. negativ sanktioniert worden<br />
war.<br />
Wir bedanken uns bei Frau Schuckall<br />
ganz herzlich für das Interview
23-jährige Studentin mit Bulimie<br />
Dargestellt ist die Arbeit einer 23-jährigen<br />
Studentin mit Bulimie. Es besteht ein<br />
schwerwiegender Konflikt zwischen dem<br />
Wunsch nach sexueller Identität und adäquater<br />
Partnerschaft versus <strong>am</strong>bivalente Bedürfnisse<br />
nach kindlichem Gehaltenwerden,<br />
Geborgenheit und passiver Sicherung.<br />
Die Patientin sagt zu ihrem Bild, dass<br />
in der Gestalt des erwachsenen Engels<br />
schon viel von dem Gesunden und altersgemäß<br />
Stimmigen gut fühlbar in ihr zum<br />
Ausdruck kommt. Das sei es ja, was sie<br />
immer ersehnt hätte, wozu sie aber lange<br />
keine Empfindungen habe herstellen können.<br />
Andererseits sei da gleichzeitig auch<br />
noch ein Gefühl von kindlicher Zerbrechlichkeit<br />
und Verletzlichkeit in ihr, welches<br />
mit dem Erreichten immer wieder heftig<br />
konkurrieren würde. Es ist ihr jetzt bewusst,<br />
dass es im Moment wohl darum<br />
geht, auch diesen Anteil in ihr „Erwachsenenempfinden“<br />
und in ihr „Selbst“ zu<br />
integrieren und ihm einen guten Platz zu<br />
geben. Es ist ihr wichtig, nicht gänzlich<br />
darauf verzichten zu müssen, denn der<br />
Teil gehöre ja auch zu ihr. Sie signalisiert<br />
aber auch, dass der Engel mit der Therapie<br />
und diesem Schutzraum hier, den sie<br />
braucht, zu tun hat. „Engel, stell dich vor<br />
mich, d<strong>am</strong>it ich mich unter deinem Schutz<br />
entwickeln kann!“ Hier auf dem Bild sieht<br />
sie die Zus<strong>am</strong>menhänge zum ersten Mal<br />
und ist erstaunt, wie viel sich bei ihr schon<br />
innerlich gewandelt hat.<br />
15-jährige Gymnasiastin<br />
mit Anorexie<br />
Die Patientin ist eine 15-jährige Gymnasiastin.<br />
Mit Beginn der Pubertät begannen<br />
Essstörungen, zunächst gelegentliche bulimische<br />
Attacken. Im Rahmen der Ablösung<br />
von zu Hause und einer ersten Beziehung<br />
bildete sich eine Anorexie heraus. Verstärkt<br />
hat sich das Krankheitsbild, als der Partner<br />
einen gemeins<strong>am</strong>en Ferienaufenthalt vorschlug.<br />
Die Patientin interpretiert, dass es ganz<br />
und gar ihr Ziel sei, von der Krankheit<br />
wegkommen zu können, was für sie schon<br />
greifbar sei. Noch aber empfände sie sich<br />
wie festgeklebt in der Magersucht. Sich<br />
KURZ NOTIERT<br />
Weiterbildung<br />
Kurz notiert Experteninterview<br />
davon lösen zu können, sei sehr schwer,<br />
alles ziehe sich so zäh, „wie ein angepappter<br />
Kaugummi, der Fäden zieht“, wo<br />
sie sich dauernd hin- und hergerissen fühle.<br />
Die Veränderungen und die Loslösung<br />
von der Anorexie, auch von dem so sicheren<br />
Gefühl in und mit der Krankheit,<br />
„wo ich mich so eingerichtet habe, irgendwie<br />
kenne ich das alles schon so gut”,<br />
seien genauso stark zu spüren wie dieses<br />
zähe Anpappen. Es sei „richtig ekelhaft –<br />
so wie ein pappiger Kaugummi, der <strong>am</strong><br />
Schuh klebt, wo man sich so komisch anstellt<br />
und verrenken muss, d<strong>am</strong>it er abgeht.“<br />
Zu einer Weiterbildungsveranstaltung mit dem Thema „Essstörungen” laden <strong>am</strong> 11. Dezember<br />
dieses Jahres die Ärztek<strong>am</strong>mer Westfalen-Lippe und die <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> ein. Unter<br />
Leitung von Herrn Dr. Jacoby, Chefarzt der <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>, wird eine Vielfalt von Themen,<br />
die sich mit den Krankheitsbildern Anorexia nervosa, Bulimia nervosa und Adipositas<br />
beschäftigen, diskutiert. Dazu gehört die Phänomenologie der drei verschiedenen Formen<br />
von Essstörungen genauso wie Ursachen, Verbreitung und Behandlungsmöglichkeiten.<br />
Des Weiteren wird Karsten Braks, psychologischer Therapeut und wissenschaftlicher<br />
Mitarbeiter der <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>, die neuesten Ergebnisse der 2-Jahres-Kat<strong>am</strong>nese-<br />
Erhebungen vorstellen.<br />
Interessierte erhalten weitere Informationen direkt bei der <strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>, Fachklinik für<br />
gestörtes Essverhalten, Ostkorso 4, 32545 Bad Oeynhausen, Tel.: 0 57 31/18 1 0.<br />
<strong>Klinik</strong> Report 13 13
Gesundheits- und Sozialpolitik<br />
G E S U N D H E I T S - U N D S O Z I A L P O L I T I K<br />
Der informierte Patient<br />
Der aufgeklärte Bürger als Co-Produzent<br />
seiner Gesundheit<br />
Der Patient im Mittelpunkt des<br />
Gesundheitswesens. Dass dies in Zukunft<br />
so sein wird, zeichnet sich bereits<br />
deutlich ab. Der stetige Wandel unserer<br />
Gesellschaft zu einer Wissens- und<br />
Informationsgesellschaft macht unsere<br />
Bürger zu aufgeklärten und mündigen<br />
Patienten, die immer mehr Selbstbestimmung<br />
und Mitspracherecht einfordern.<br />
Ein Patient betritt die Arztpraxis mit einem<br />
Stapel Papier unter dem Arm. Er hat<br />
sich durch Massenmedien, Fachzeitschriften<br />
und das Internet über alternative<br />
Therapiemöglichkeiten informiert, die<br />
er nun mit seinem Hausarzt diskutieren<br />
möchte. Vielleicht konfrontiert er aber auch<br />
seinen Arzt mit dem Ausdruck einer ärzt-<br />
14<br />
Immer mehr Patienten, darunter auch<br />
Jugendliche und junge Erwachsene,<br />
haben das Bedürfnis, gut und umfassend<br />
informiert zu werden.<br />
lichen Leitlinie und den entsprechenden<br />
Empfehlungen einer wissenschaftlichen<br />
Fachgesellschaft. Was in Deutschland noch<br />
Zukunftsmusik ist, gehört in anderen europäischen<br />
Ländern und in den USA schon<br />
längst zum Praxisalltag.<br />
Der Patient<br />
als Verbraucher<br />
Im Einklang mit dem international zu<br />
beobachtenden Trend zu einer stärkeren<br />
Verbraucherorientierung im Gesundheitswesen<br />
lassen sich aufgeklärte und selbst-<br />
Wo informiert sich<br />
der Patient?<br />
46 %<br />
Massenmedien<br />
19 %<br />
Fachzeitschriften<br />
4–5%<br />
Internet<br />
30%<br />
Sonstige<br />
bewusste Patienten heute weniger denn je<br />
eine Behandlung einfach „verordnen“. Im<br />
Technologie- und Informationszeitalter verlassen<br />
sie ihre traditionell passive Rolle und<br />
fordern mehr Information sowie Mit- und<br />
Der Arzt muss dem Patienten<br />
helfen, die Fülle der<br />
Informationen zu sichten<br />
und zu gewichten.<br />
Selbstbestimmung. Politisch ist dies gewollt.<br />
Denn nur ein gut informierter Patient<br />
kann seinen Beitrag im Gesundheitswesen<br />
leisten. Nicht zuletzt deshalb wurden die<br />
Förderung von Selbsthilfeorganisationen
Aufgeklärte und selbstbe-<br />
wusste Patienten lassen<br />
sich heute weniger denn je<br />
eine Behandlung einfach<br />
„verordnen“.<br />
sowie die Prävention und Gesundheitsförderung<br />
als Pflichten der Krankenversicherung<br />
gesetzlich verankert. Informierte Patienten<br />
sind eher bereit, einen sinnvollen<br />
Ressourceneinsatz mitzutragen, und man<br />
wird sie besser überzeugen können, dass<br />
nur das Notwendige und Sinnvolle getan<br />
werden kann. Eine wachsende Patienteninformation<br />
und Transparenz im Gesundheitswesen<br />
definieren die neue Rolle des<br />
Patienten als Verbraucher und Partner des<br />
Arztes. Der Patient wird mehr und mehr<br />
zum Co-Produzenten seiner Gesundheit,<br />
und der Arzt verliert auf Grund der allgemeinen<br />
Verfügbarkeit von Experteninformationen<br />
sein Wissensmonopol.<br />
Leitlinien:<br />
nicht nur für Ärzte<br />
Das Internet verändert die Beziehungen<br />
zwischen Arzt und Patienten. Die Zahl der<br />
im Netz weltweit verfügbaren Leitlinien<br />
geht mittlerweile in die Tausende. Allein auf<br />
den deutschsprachigen Internetseiten der<br />
Arbeitsgemeinschaft der wissenschaftlichen<br />
medizinischen Fachgesellschaften<br />
(AWMF), Düsseldorf, sind für jedermann<br />
mehr als 600 medizinische Leitlinien abrufbar.<br />
Derzeit werden hier rund 50.000 Seitenabrufe<br />
pro Monat registriert, Tendenz<br />
steigend. Verstärkte Aufmerks<strong>am</strong>keit gilt<br />
allerdings dabei der Qualität der Leitlinien,<br />
die sowohl nach internationaler Definition<br />
als auch nach dem Grundverständnis von<br />
Bundesärztek<strong>am</strong>mer und kassenärztlicher<br />
Bundesvereinigung systematisch entwickelte<br />
Empfehlungen sind, die Grundlagen<br />
für die gemeins<strong>am</strong>e Entscheidungsfindung<br />
von Ärzten und deren Patienten zu einer im<br />
Einzelfall sinnvollen gesundheitlichen Versorgung<br />
darstellen. Im Sinne dieser zielorientierten<br />
Definition ist es mehr als nur<br />
folgerichtig, Leitlinien – vor allem dann,<br />
wenn sie nach den Prinzipien der evidencebased<br />
medicine entwickelt werden – in die<br />
Sprache der Patienten zu „übersetzen“.<br />
Mehr Klarheit<br />
und Transparenz<br />
Dass dies praktikabel ist, hat zum Beispiel<br />
die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin<br />
und F<strong>am</strong>ilienmedizin (DEGAM)<br />
gezeigt. Sie hat d<strong>am</strong>it begonnen, von vorneherein<br />
auch patientenspezifische „Infozepte“<br />
und Patienten-Faltblätter zum festen<br />
Bestandteil ihrer Leitlinien zu machen. D<strong>am</strong>it<br />
können diese mehr Klarheit und Transparenz<br />
schaffen und so als vertrauensbildende<br />
Maßnahme die Kommunikation zwischen<br />
Arzt und Patient dialogischer gestalten<br />
helfen. Auch überzogenen, manchmal<br />
falschen Erwartungen, die nicht zuletzt auf<br />
Sensationsberichte in Publikumsmedien<br />
zurückzuführen sind, lässt sich so kompetent<br />
begegnen.<br />
Die US-<strong>am</strong>erikanischen Hochschulen treffen<br />
heute bereits Vorbereitungen, junge<br />
Ärzte auf diesen Wandel vorzubereiten. Der<br />
Gesundheits- und Sozialpolitik<br />
Arzt muss dem Patienten helfen, die Fülle<br />
der Informationen zu sichten und zu gewichten.<br />
Denn das Angebot ist für den Patienten<br />
unübersichtlich, und seine Qualität<br />
kann er nur in den seltensten Fällen einschätzen.<br />
Daher ist die Initiative der Ärzteschaft<br />
zu begrüßen, die gemeins<strong>am</strong> mit<br />
dem Dachverband der Selbsthilfegruppen<br />
in Deutschland ein Gütesiegel für medizinische<br />
Informationen etablieren möchte.<br />
I M P R E S S U M<br />
<strong>Klinik</strong> Report<br />
Herausgeber:<br />
MedCom Verlags GmbH<br />
Godesberger Allee 154<br />
53175 Bonn<br />
Tel.: 0 2 2 8 /3 08 21-0<br />
Fax: 0 2 2 8/3 08 21-33<br />
in Zus<strong>am</strong>menarbeit mit:<br />
<strong>Klinik</strong> <strong>am</strong> <strong>Korso</strong><br />
Fachklinik für gestörtes Essverhalten<br />
Ostkorso 4<br />
32545 Bad Oeynhausen<br />
Tel.: 0 57 31/1 81-0<br />
Fax: 0 57 31/1 81-1 81<br />
Internet: www.klinik-<strong>am</strong>-korso.de<br />
E-Mail: info@klinik-<strong>am</strong>-korso.de<br />
Chefredakteurin (V. i. S. d. P.):<br />
Dipl. Biol. Andrea Hertlein<br />
Medizinisch-wissenschaftliche Mitarbeit:<br />
Chefarzt Dr. med. Georg Ernst Jacoby<br />
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Verantwortung<br />
der Medien<br />
Ärzte und Wissenschaftler warnen<br />
vor einer bedrohlichen Zunahme<br />
von Essstörungen in den industrialisierten<br />
Ländern. Allein in Berlin müssen<br />
über 37.000 esssüchtige Frauen<br />
versorgt werden, so Mediziner <strong>am</strong> Universitätsklinikum<br />
Benj<strong>am</strong>in Franklin<br />
(UKBF) der Freien Universität Berlin.<br />
Schuld daran ist nach Ansicht von Experten<br />
nicht zuletzt das durch Werbung<br />
und Medien propagierte Schönheitsideal<br />
vom dünnen, erfolgreichen<br />
Menschen, das gerade auf Jugendliche<br />
einen erheblichen Einfluss ausübt.<br />
Zwar sind Werbung und Medien nicht die<br />
einzigen Ursachen für die zunehmende Häufigkeit<br />
von Essstörungen, Medieneffekte<br />
dürften aber zumindest indirekt das Verhalten<br />
der Konsumenten beeinflussen und ein<br />
Klima schaffen, dem sich Jugendliche oft<br />
schwer entziehen können. Ärzte fordern des-<br />
Eine Untersuchung von Wissenschaftlern<br />
der John Hopkins<br />
School of Public Health ergab,<br />
dass das Normalgewicht der<br />
<strong>am</strong>erikanischen Schönheitsköniginnen<br />
zunehmend gesundheitlich<br />
bedenkliche Maße annimmt.<br />
Der Wissenschaftler Benj<strong>am</strong>in<br />
Caballero analysierte mit seiner Kollegin<br />
Sharon Rubinstein Größe und<br />
Gewicht der Schönheitsköniginnen<br />
von 1922 bis 1999. Das Ergebnis, das<br />
in der Zeitschrift der American Medical<br />
Association veröffentlicht wurde,<br />
ist äußerst interessant. Der Body-<br />
Mass-Index (BMI) ist bei den Schönheitsköniginnen<br />
stark rückläufig.<br />
halb die Medien auf, einen positiven Beitrag<br />
zur Gesundheitsförderung zu leisten, indem<br />
kein gesundheitsgefährdendes Schlankheitsideal<br />
propagiert werde. Vielmehr sollten<br />
eine gesunde Ernährung und regelmäßige<br />
körperliche Betätigung gefördert und Unterschiede<br />
in Körpergröße, Form und Gewicht<br />
akzeptiert und auch gezeigt werden.<br />
Schönheitsköniginnen<br />
zu dünn<br />
Gekürte Schönheitsidole haben ein<br />
gesundheitlich bedenkliches Körpergewicht<br />
So besaß Miss America des Jahres<br />
1922 noch einen BMI, der den heutigen<br />
Normalwerten entspricht. Im Verlauf<br />
der Jahrzehnte wurden jedoch<br />
zunehmend Frauen gekürt, die nach<br />
dem BMI-Maß unterernährt sind.<br />
Schönheitsköniginnen, so die Forscher,<br />
definieren, welche Schönheitsideale,<br />
inklusive Körpergewicht, m<strong>oder</strong>n<br />
sind. Der tatsächliche Einfluss<br />
von Schönheitswettbewerben auf<br />
das Essverhalten und den Lebensstil<br />
junger Frauen sei zwar nicht ausreichend<br />
untersucht, trotzdem könne<br />
man davon ausgehen, dass sie einen<br />
starken, wenn auch indirekten Einfluss<br />
ausüben.<br />
Fernsehen<br />
fördert Bulimie<br />
Seitdem es auf den Fidschi-Inseln Fernsehen<br />
gibt, treten bei den einheimischen<br />
Frauen vermehrt Essstörungen auf. Zu diesem<br />
Ergebnis k<strong>am</strong> die <strong>am</strong>erikanische Psychologin<br />
Anne Becker vom Harvard Eating Disorders<br />
Center, die seit 12 Jahren die Essgewohnheiten<br />
der Insulaner studiert. Nach dem Start des<br />
einzigen Senders im Jahre 1995 nahmen Essstörungen<br />
dr<strong>am</strong>atisch zu. Das Fernsehen, so<br />
die Forscherin, habe das Schönheitsideal der<br />
Bewohner komplett verändert. Die Sendungen,<br />
die im Fernsehen zu sehen sind, st<strong>am</strong>men<br />
zum Großteil aus den USA, Australien<br />
und England. Nach einem Bericht des Journal<br />
of the American Medical Association JAMAwar<br />
es früher m<strong>oder</strong>n stämmig zu sein. Beckers<br />
Befragung ergab jedoch, dass sich mittlerweile<br />
fast 75 Prozent der Mädchen zu dick<br />
fühlen. 15 Prozent der Mädchen versuchten<br />
drei Jahre nach dem Start des Fiji-Senders ihr<br />
Gewicht durch Erbrechen zu kontrollieren.<br />
Cholesterin und<br />
Essgewohnheiten<br />
Mehrere kleine Mahlzeiten<br />
<strong>am</strong> Tag sinnvoll<br />
Wer mehrere kleine Mahlzeiten<br />
zu sich nimmt, hat bessere Blutfettwerte<br />
als derjenige, der seltener<br />
isst, so Katrin Raschke, Diplom-<br />
Ökotrophologin beim Deutschen Institut<br />
für Ernährungsmedizin und Diätetik<br />
(D.I.E.T.) in Bad Aachen.<br />
Wissenschaftliche Studien zeigen, dass die Konzentrationen<br />
des Ges<strong>am</strong>t- und LDL-Cholesterins direkt mit der<br />
Zahl der täglichen Mahlzeiten zus<strong>am</strong>menhängen. Deutlich<br />
niedriger lagen die Cholesterinwerte bei Personen, die<br />
mindestens sechs Mal täglich aßen, im Vergleich zu denen,<br />
die nur ein <strong>oder</strong> zwei Mahlzeiten zu sich nahmen.<br />
Wichtig: Trotz vieler Mahlzeiten sollte jedoch nicht<br />
mehr gegessen, sondern die normale Nahrungsmenge<br />
nur anders verteilt werden. Viele kleine Mahlzeiten helfen<br />
außerdem, Heißhungerattacken vorzubeugen und<br />
starke Blutzuckerschwankungen zu vermeiden.<br />
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