01.12.2012 Aufrufe

„Dick & Dünn“ in Berlin - Klinik am Korso gGmbH

„Dick & Dünn“ in Berlin - Klinik am Korso gGmbH

„Dick & Dünn“ in Berlin - Klinik am Korso gGmbH

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>, Fachkl<strong>in</strong>ik für gestörtes Essverhalten, Ostkorso 4, 32545 Bad Oeynhausen<br />

Chefarzt: Dr. med. Georg Ernst Jacoby, Arzt für Psychotherapeutische Mediz<strong>in</strong>, Arzt für Psychiatrie<br />

Hunger, Leib und Seele<br />

20-jähriges Jubiläum<br />

<strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong><br />

„Hunger, Leib und Seele“ lautete das<br />

Motto der Tagung, zu der anlässlich ihres<br />

20-jährigen Bestehens die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong><br />

<strong>Korso</strong> e<strong>in</strong>geladen hat. Mehr als 250<br />

Fachleute und Interessierte s<strong>in</strong>d der E<strong>in</strong>ladung<br />

gefolgt und diskutierten <strong>am</strong> 29.<br />

und 30. Mai über neueste Erkenntnisse<br />

<strong>in</strong> der Forschung und Therapie von Essstörungen.<br />

„In den letzten 20 Jahren haben wir etwa<br />

9000 essgestörte Patienten behandelt“, betont<br />

Dr. Georg Ernst Jacoby, der seit über 18<br />

Jahren als Chefarzt die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> <strong>in</strong> Bad<br />

Oeynhausen leitet. Sie ist derzeit die e<strong>in</strong>zige<br />

Institution <strong>in</strong> Europa, die sich ausschließlich<br />

auf die psychosomatische Behandlung von<br />

Kl<strong>in</strong>ik.report<br />

Patienten mit Essstörungen spezialisiert hat.<br />

„Die Spezialisierung hat sich bewährt“, sagt<br />

Dr. Jacoby im H<strong>in</strong>blick auf die guten Erfolge,<br />

die die E<strong>in</strong>richtung <strong>in</strong> Nordrhe<strong>in</strong>-Westfalen mit<br />

ihrem Behandlungskonzept <strong>in</strong> der Vergangenheit<br />

erreicht hat.<br />

Karsten Braks, Diplom-Psychologe und wissenschaftlicher<br />

Mitarbeiter der Kl<strong>in</strong>ik, präsentierte<br />

hierzu aktuelle Nachuntersuchungsergebnisse<br />

und gab e<strong>in</strong>e Übersicht über abgeschlossene<br />

und laufende wissenschaftliche<br />

Projekte <strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>. Dazu gehört<br />

auch das Geme<strong>in</strong>schaftsprojekt der Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong><br />

<strong>Korso</strong> und der FU Berl<strong>in</strong>, dessen Ergebnisse<br />

Werner Köpp, Privatdozent an der FU Berl<strong>in</strong>,<br />

dem <strong>in</strong>teressierten Publikum vorstellte.<br />

Weiter auf Seite 2<br />

Editorial<br />

1/2005<br />

Sehr geehrte Leser<strong>in</strong>nen und Leser,<br />

die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> ist 20 Jahre alt geworden.<br />

Sie ersche<strong>in</strong>t mir oft als – längst<br />

volljähriges – Lebewesen mit eigener<br />

Geschichte und eigenem Charakter, zu<br />

dessen Bildung jeder Patient und jeder<br />

Mitarbeiter beigetragen hat. Jeder hat<br />

gewissermaßen e<strong>in</strong> Stück von sich hiergelassen.<br />

Räume, Mauern und Garten<br />

haben We<strong>in</strong>en und Lachen, Sehnsucht<br />

und Schwermut von 9 000 Patienten <strong>in</strong><br />

sich aufgesogen.<br />

E<strong>in</strong> therapeutisches Leitbild, <strong>in</strong> dem wir<br />

zus<strong>am</strong>mengefasst haben, was für unsere<br />

Arbeit charakteristisch ist und was<br />

uns <strong>am</strong> Herzen liegt, f<strong>in</strong>den Sie auf der<br />

nächsten Seite. Ansonsten stellt der<br />

neue Kl<strong>in</strong>ikreport e<strong>in</strong> Sonderheft dar,<br />

das sich mit dem weit gespannten Themenbogen<br />

unserer Fachtagung zum<br />

20. Geburtstag beschäftigt.<br />

Ihr<br />

Dr. med. Georg Ernst Jacoby,<br />

Arzt für Psychotherapeutische Mediz<strong>in</strong>,<br />

Arzt für Psychiatrie<br />

Die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> im Internet:<br />

www.kl<strong>in</strong>ik-<strong>am</strong>-korso.de<br />

Schwerpunktthemen<br />

• Podiumsdiskussion<br />

Ist Adipositas e<strong>in</strong>e Essstörung?<br />

Seite 4/5<br />

• Pharmakotherapie<br />

Spironolacton bei Bulimiepatienten<br />

Seite 7<br />

• Kunsttherapie<br />

Ausstellung zur Jubiläumstagung<br />

Seite 10


Adipositas im Fokus<br />

des öffentlichen Interesses<br />

Die epidemieartige Ausbreitung der Adipositas<br />

weckt zunehmend das öffentliche<br />

Interesse für diese Erkrankung: Dabei wird<br />

sie häufig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Atemzug mit Magersucht<br />

und Bulimie erwähnt. Ob es sich bei der Adipositas<br />

aber tatsächlich um e<strong>in</strong>e Essstörung<br />

handelt, darüber diskutierten der Ernährungspsychologe<br />

Prof. Dr. Volker Pudel und<br />

der Psychosomatiker Prof. Dr. Stephan Herpertz<br />

(siehe S. 4).<br />

Prof. Dr. Alfred Wirth, Präsident der Deutschen<br />

Adipositas-Gesellschaft, wies <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em<br />

Vortrag auf die Bedeutung der körperlichen<br />

Aktivität – auch im Vergleich zu den<br />

weit mehr diskutierten Diäten und Reduktionskosten<br />

– h<strong>in</strong> (siehe S. 6).<br />

Dr. Georg Ernst Jacoby kann mit<br />

Recht auf e<strong>in</strong>e erfolgreiche Zeit<br />

zurückblicken. Seit mehr als<br />

18 Jahren leitet er als Ärztlicher<br />

Direktor die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>.<br />

Weitere Beiträge renommierter Wissen-<br />

schaftler lieferten ebenfalls aktuelle Aspekte<br />

der Therapie von Bulimie und Magersucht:<br />

So entwickelte der Diplom-Psychologe<br />

Werner Kraus aus Ste<strong>in</strong>hagen aus e<strong>in</strong>em<br />

Phasenmodell der Anorexia nervosa praktische<br />

therapeutische Konsequenzen. Indes<br />

Die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> ist die e<strong>in</strong>zige<br />

Spezialkl<strong>in</strong>ik für psychogene Essstörungen.<br />

Die Patienten fühlen<br />

sich von den Spezialisten und unter<br />

ihresgleichen besonders verstanden.<br />

Die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> ist <strong>am</strong> christlich-humanistischen<br />

Menschenbild<br />

orientiert. Dienst <strong>am</strong> Kranken und<br />

christliche Nächstenliebe verb<strong>in</strong>den<br />

sich mit der klassischen humanistischen<br />

Idee, dass der ganze<br />

Mensch im Mittelpunkt steht.<br />

Die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> ist e<strong>in</strong>e kle<strong>in</strong>e<br />

E<strong>in</strong>heit mit e<strong>in</strong>em f<strong>am</strong>iliären Bezugsrahmen.<br />

Dieser Bezugsrahmen<br />

wird durch Plenarveranstaltungen<br />

und die Zuordnung zu festen, für<br />

die verschiedenen therapeutischen<br />

Aufgaben konstanten Gruppen gefördert.<br />

Das Pr<strong>in</strong>zip der therapeutischen Geme<strong>in</strong>schaft<br />

bed<strong>in</strong>gt e<strong>in</strong>e partnerschaftliche<br />

Zus<strong>am</strong>menarbeit mit<br />

den Patienten. Dem entspricht e<strong>in</strong>e<br />

partnerschaftliche Kooperation zwischen<br />

den Mitarbeitern, die sich <strong>in</strong><br />

täglichen Groß- und Kle<strong>in</strong>te<strong>am</strong>sitzungen<br />

treffen.<br />

Im Rahmen der therapeutischen<br />

Geme<strong>in</strong>schaft kann die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong><br />

<strong>Korso</strong> als e<strong>in</strong>e Art Versuchslabor<br />

für Gefühle und Akzeptanz aufgefasst<br />

werden. Sie will e<strong>in</strong>e Art experimentelle<br />

Mustergesellschaft<br />

verwirklichen.<br />

2 Kl<strong>in</strong>ik.Report<br />

Was zeichnet die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> aus?<br />

Die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> arbeitet ressourcenorientiert.<br />

Verblüffend ist<br />

nicht nur der Anteil von hoch begabten<br />

und hoch leistenden Patienten,<br />

sondern auch deren kreative Ausdrucksfähigkeit.<br />

Unser Behandlungskonzept ist tiefenpsychologisch<br />

bzw. psychodyn<strong>am</strong>isch<br />

orientiert, d. h., wir wollen<br />

die Motive unserer Patienten verstehen<br />

und nicht nur ihr Verhalten<br />

ändern. Wir beschäftigen uns daher<br />

mit ihrer Lebensgeschichte und<br />

ihren Beziehungsmustern. Gleichwohl<br />

s<strong>in</strong>d wir uns bewusst, dass<br />

das Verstehen der Psychodyn<strong>am</strong>ik<br />

nicht ausreicht, um die suchtartige<br />

Eigendyn<strong>am</strong>ik der Essstörungen zu<br />

ändern.<br />

Unser Therapieprogr<strong>am</strong>m ist <strong>in</strong>tegrativ,<br />

<strong>in</strong>novativ und pragmatisch.<br />

Wir verfolgen e<strong>in</strong>en multimodalen,<br />

multiprofessionellen und zugleich<br />

pragmatischen Therapieansatz. Die<br />

Zus<strong>am</strong>menarbeit verschiedener,<br />

vielfältig ausgebildeter Mitarbeiter<br />

lässt „viele Blumen blühen“. Dadurch<br />

werden die Patienten auch<br />

parallel auf mehreren Kanälen angesprochen.<br />

Die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> versucht alle<br />

neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse<br />

aufzunehmen. Wir führen<br />

verschiedene wissenschaftliche<br />

Projekte aus den Bereichen Mediz<strong>in</strong>,<br />

Psychologie und Sozialwissenschaften<br />

u. a. mit universitären<br />

Kooperationspartnern durch.


haben Frau Dr. Katr<strong>in</strong> Imbierowicz aus Bonn<br />

und Herr Prof. Dr. He<strong>in</strong>rich Wernze aus Würzburg<br />

auf ganz unterschiedlichen Wegen Neuland<br />

betreten: Während Frau Dr. Imbierowicz<br />

e<strong>in</strong> neu entwickeltes Expositionskonzept unter<br />

Benutzung von Ganzkörperspiegeln zur<br />

Behandlung der Körperschemastörungen bei<br />

Anorexie und Bulimie vorstellte (siehe S. 8),<br />

wies Herr Prof. Wernze auf überraschende Effekte<br />

von Spironolacton auf die bulimische<br />

Symptomatik, Stimmung, den Androgenspiegel<br />

und die Insul<strong>in</strong>regulation bei Patienten<br />

mit Essattacken h<strong>in</strong> (siehe S. 7).<br />

Die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong><br />

stellt sich vor<br />

Unter Kollegen: Die Tagung anlässlich des 20-jährigen Bestehens der<br />

Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> sorgte für reichlich Diskussionsstoff<br />

Therapeuten und Mitarbeiter der Kl<strong>in</strong>ik<br />

<strong>am</strong> <strong>Korso</strong> nutzten die Anwesenheit von Kollegen,<br />

Betroffenen und deren F<strong>am</strong>ilien und<br />

stellten die verschiedenen Therapiebereiche<br />

der E<strong>in</strong>richtung vor: Ingrid Seidel, Kunsttherapeut<strong>in</strong><br />

<strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>, beleuchtete<br />

die Möglichkeiten der Gestaltungstherapie<br />

und zeigte diesbezüglich Beispiele des<br />

gewaltigen kreativen Potenzials essgestörter<br />

Patienten. Simone Wolf, Kerst<strong>in</strong> Häcker,<br />

Barbara Daiber und Günter Kreher gaben <strong>in</strong>des<br />

den Teilnehmern die Gelegenheit, die<br />

Arbeitsweise der Kunst- und Gestaltungstherapie<br />

<strong>in</strong> Workshops praktisch kennen zu<br />

lernen. Ebenso vermittelten Kunstausstellungen<br />

im Theater und <strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik e<strong>in</strong>en<br />

E<strong>in</strong>druck vom künstlerischen Schaffen der<br />

Patienten. Auch die Körpertherapie stellt e<strong>in</strong>en<br />

besonderen Schwerpunkt der therapeutischen<br />

Arbeit mit Essgestörten dar. Monika<br />

Bartels, Und<strong>in</strong>e Bartsch, Gisela Neumann<br />

und Margot Gerdes-Herrmann boten Interessierten<br />

die Möglichkeit zur Selbsterfahrung<br />

an.<br />

Auf Begeisterung stieß auch die Clowntherapie,<br />

die – so Uta Wedemeyer aus Dort-<br />

Die zahlreichen Teilnehmer der Jubiläumsveranstaltung<br />

lauschten mit großem Interesse den Vorträgen der Referenten<br />

mund – e<strong>in</strong>e spielerische Begegnung mit<br />

dem eigenen Wesenskern ermöglicht. Sylvia<br />

Baeck aus Berl<strong>in</strong> h<strong>in</strong>gegen verdeutlichte <strong>in</strong><br />

ihrem Sem<strong>in</strong>ar, wie e<strong>in</strong>e Anleitung zur<br />

Selbsthilfe aussehen und wie die Effizienz<br />

der Kosten sparenden und Autonomie fördernden<br />

Selbsthilfegruppen durch e<strong>in</strong>e vorgegebene<br />

Struktur verbessert werden kann<br />

(siehe S. 9). Eva Baumann analysierte <strong>in</strong> ihrem<br />

Beitrag die Bedeutung der Medien bei<br />

der Vermittlung von Schönheitsidealen und<br />

d<strong>am</strong>it der Ausbreitung von Essstörungen.<br />

Andererseits schlug sie vor, die präventiven<br />

Möglichkeiten der Medien zu nutzen. Barbara<br />

W<strong>in</strong>ske, Barbara Jäger und Melanie Speer<br />

gaben e<strong>in</strong>e E<strong>in</strong>führung <strong>in</strong> die Ernährungstherapie,<br />

die e<strong>in</strong> essenzieller Therapiebauste<strong>in</strong><br />

ist und den Patienten hilft, physiologischen<br />

von seelischem Hunger unterscheiden<br />

zu lernen. Der Vortrag zum Thema „Spiritueller<br />

Hunger“ von Frau Dr. Lotte Hartmann-<br />

Kottek aus Kassel beschloss dann den weit gespannten<br />

Bogen der Tagungsthemen.<br />

Die Tagungsteilnehmer waren von der positiven<br />

Atmosphäre der Tagung sehr bee<strong>in</strong>druckt,<br />

stellt Dr. Georg Ernst Jacoby zufrieden<br />

fest. Sowohl die Referenten als auch die angebotenen<br />

Workshops und Sem<strong>in</strong>are stießen<br />

auf großes Interesse. „Die Besucher unserer<br />

Tagung haben viel Wissen und Material für die<br />

Praxis mit nach Hause nehmen können.“<br />

Kl<strong>in</strong>ik Report 3


Tagungsbericht<br />

Ist Adipositas e<strong>in</strong>e<br />

Essstörung?<br />

Podiumsdiskussion zwischen<br />

Prof. Dr. med. Stephan Herpertz<br />

und Prof. Dr. rer. nat. Volker Pudel<br />

Adipositas wird häufig <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Atemzug mit Magersucht und Bulimie erwähnt.<br />

Doch unbeachtet dabei bleibt, ob es sich tatsächlich um e<strong>in</strong>e Essstörung handelt.<br />

Die renommierten Experten Prof. Dr. med. Stephan Herpertz und Prof. Dr.<br />

rer. nat. Volker Pudel diskutierten auf der Jubiläumstagung <strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong><br />

über die Frage: „Ist Adipositas e<strong>in</strong>e Essstörung?“<br />

Prof. Dr. med. Stephan Herpertz<br />

Übergewicht und Adipositas s<strong>in</strong>d <strong>in</strong> allen Industrienationen<br />

weit verbreitet und gehen<br />

mit e<strong>in</strong>er Vielzahl von Gesundheitsproblemen<br />

und massiven psychosozialen Belastungen<br />

e<strong>in</strong>her. Neben den Erbanlagen wird<br />

die komplexe Ätiologie der Adipositas vornehmlich<br />

durch den Lebensstil bestimmt, <strong>in</strong><br />

den u. a. <strong>in</strong>trapsychische und <strong>in</strong>terpersonelle<br />

Probleme e<strong>in</strong>fließen.<br />

Die Schere zwischen dick<br />

und dünn wird immer größer<br />

Die offenkundige Schere zwischen dem<br />

auch weiter im Anstieg begriffenen durchschnittlichen<br />

Körpergewicht und dem immer<br />

rigider werdenden Figurdiktat mag evolutio-<br />

när durchaus s<strong>in</strong>nvoll se<strong>in</strong>, um den mit Übergewicht<br />

und Adipositas assoziierten Krankheiten<br />

wie Diabetes mellitus und Bluthochdruck<br />

entgegenzuwirken. Individuell prädis-<br />

poniert diese Schere <strong>in</strong>sbesondere Frauen<br />

nicht selten zu e<strong>in</strong>er Selbstwertproblematik,<br />

von der wiederum klassische psychische<br />

Störungen wie Depression, Angst oder Phobien,<br />

aber auch Essstörungen <strong>in</strong>sbesondere<br />

vom bulimischen Typ ihren Ausgang nehmen<br />

können.<br />

Psychische Störungen<br />

als Ursache oder Folge<br />

Psychische Belastungen bzw. Störungen<br />

als Folge der Adipositas werden weniger<br />

kontrovers diskutiert als Sichtweisen, die<br />

die Psychogenese der Adipositas („psychogene<br />

Adipositas“) <strong>in</strong> den Vordergrund stellen.<br />

Frühere vornehmlich psychoanalytisch<br />

„Individuelle psychologische Faktoren<br />

spielen bei der Entwicklung der Adipositas<br />

e<strong>in</strong>e nicht zu unterschätzende Rolle.“<br />

orientierte Konzeptualisierungen unternahmen<br />

den Versuch, die Adipositas e<strong>in</strong>er bestimmten<br />

Persönlichkeitsstruktur zuzuordnen,<br />

was allerd<strong>in</strong>gs auf Grund fehlender empirischer<br />

Evidenz revidiert werden musste.<br />

4 Kl<strong>in</strong>ik.Report<br />

Prof. Dr. med. Stephan Herpertz<br />

ist Ärztlicher Direktor der Abteilung<br />

Psychosomatische Mediz<strong>in</strong> und Psychotherapie<br />

der Westfälischen Kl<strong>in</strong>ik <strong>in</strong><br />

Dortmund<br />

Prof. Dr. med.<br />

Stephan Herpertz<br />

Dennoch lassen kl<strong>in</strong>ische Beobachtungen<br />

<strong>in</strong>nerhalb des Ges<strong>am</strong>tkollektivs e<strong>in</strong>e Subgruppe<br />

von adipösen Menschen identifizieren,<br />

bei denen die Nahrungsaufnahme u. a.<br />

der Spannungsabfuhr und dem zum<strong>in</strong>dest<br />

temporären Aufschub ängstlich-bedrückender<br />

Gefühle dient. Als prägnantes Beispiel<br />

gilt die B<strong>in</strong>ge-Eat<strong>in</strong>g-Störung, die sich, obwohl<br />

bisher nur im Rahmen von Forschungskriterien<br />

formuliert, neben der Anorexia<br />

und Bulimia nervosa als dritte Essstörung<br />

neu etabliert hat. Auch zeigen neuere<br />

Langzeituntersuchungen an K<strong>in</strong>dern und Jugendlichen,<br />

dass Depression im K<strong>in</strong>desalter<br />

e<strong>in</strong>en Vorbote für die Entwicklung e<strong>in</strong>er späteren<br />

Adipositas darstellt.<br />

Zus<strong>am</strong>menfassend müssen Konzepte zur<br />

Entstehungsweise der Adipositas e<strong>in</strong><br />

psycho-sozio-biologisches Wechselspiel im<br />

S<strong>in</strong>ne e<strong>in</strong>es Kont<strong>in</strong>uums von primär genetischen<br />

bis h<strong>in</strong> zu <strong>in</strong>dividuellen psychologischen<br />

Wirkfaktoren berücksichtigen. E<strong>in</strong> Dilemma<br />

vieler Adipositasbehandlungskonzepte<br />

ist die unzureichende Diagnostik der<br />

<strong>in</strong>dividuellen Wirkfaktoren <strong>in</strong>nerhalb dieses<br />

Kont<strong>in</strong>uums.


T agungsbericht<br />

Prof. Dr. rer. nat. Volker Pudel<br />

Was ist e<strong>in</strong>e Essstörung? Sie ist e<strong>in</strong>e Verhaltensstörung,<br />

die sich — aus welchen Gründen<br />

auch immer — auf die Nahrungsaufnahme<br />

fokussiert und durch charakteristische<br />

Essverhaltensweisen gekennzeichnet<br />

ist. Genau das aber liegt bei der Adipositas<br />

nicht vor. Adipositas, und <strong>in</strong> der milderen<br />

Form Übergewicht, haben <strong>in</strong> Deutschland<br />

e<strong>in</strong>e altersabhängige Prävalenz, die im<br />

Durchschnitt bei deutlich über 50 Prozent<br />

liegt. Die Mehrheit e<strong>in</strong>er Nation als essgestört<br />

zu bezeichnen, macht wenig S<strong>in</strong>n und<br />

kollidiert mit dem Normalitätsbegriff. Die<br />

Pathogenese der Adipositas besteht <strong>in</strong> der<br />

Wechselwirkung zwischen evolutionsbiologischer<br />

Disposition (Genetik) und den Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

der modernen Gesellschaft<br />

(Nahrungsüberfluss, Immobilität).<br />

Die Ursache dafür ist unbekannt. Adipöse<br />

Menschen werden <strong>in</strong> ihrem Essverhalten<br />

durch <strong>in</strong>nere Signale wie Hunger, Appetit<br />

und Sättigung, aber auch durch Außenreize<br />

reguliert. So basiert ihre Nahrungsaufnahme<br />

auf e<strong>in</strong>em ungestörten Essverhalten,<br />

Prof. Dr. rer. nat. Volker Pudel<br />

Prof. Dr. rer. nat. Volker Pudel<br />

leitet die ernährungspsychologische<br />

Forschungsstelle der Georg-August-<br />

Universität Gött<strong>in</strong>gen<br />

das auf Grund von Genetik und Lebensbed<strong>in</strong>gungen<br />

den Fettspeicher auffüllt und zu<br />

Übergewicht und Adipositas führt. E<strong>in</strong> biologisch<br />

gewolltes Resultat, das sich früher<br />

als Überlebensstrategie für unausweichliche<br />

Hungerperioden bewährt hat, heute<br />

aber durch ausbleibende Notzeiten zum pathogenen<br />

Faktor wird. So betrachtet ist die<br />

Adipositas ke<strong>in</strong>e Folge e<strong>in</strong>es gestörten Essverhaltens,<br />

sondern die Konsequenz evolutionsbiologischer<br />

Progr<strong>am</strong>me, des nachhaltigen<br />

Lebensmittelangebots sowie der<br />

„Technisierung“ der Bewegung.<br />

„Essstörungen s<strong>in</strong>d im Diagnostic and<br />

Statistical Manual of Mental Disorders (DSM IV) klassifiziert.<br />

Die Adipositas wird man dort vergeblich suchen.“<br />

B<strong>in</strong>ge-Eat<strong>in</strong>g-Disorder<br />

Die normative Festsetzung der schlanken<br />

Figur als gesellschaftliches „Schönheitsideal“<br />

beschert dem übergewichtigen/adipösen<br />

Menschen e<strong>in</strong>en Konflikt, zu dessen Lösung<br />

zudem oft <strong>in</strong>adäquate Methoden (z. B.<br />

Schlankheitsdiäten) empfohlen werden.<br />

Werden diese Methoden realisiert, kann es<br />

<strong>in</strong> deren Folge zu Essstörungen (vorzugsweise<br />

Bulimia nervosa, B<strong>in</strong>ge Eat<strong>in</strong>g Syndrome)<br />

kommen. Auch s<strong>in</strong>d Persönlichkeitsstörungen<br />

<strong>in</strong> Folge der sozialen Diskrim<strong>in</strong>ie-<br />

rung des Übergewichts zu beobachten. So<br />

können Essstörungen, <strong>in</strong>sbesondere die<br />

B<strong>in</strong>ge Eat<strong>in</strong>g Disorder (BED), die Gewichtszunahme<br />

steigern und/oder die Gewichtsabnahme<br />

beh<strong>in</strong>dern, ohne sie aber grundsätzlich<br />

als Ursache der <strong>in</strong>itialen Entwicklung<br />

der Übergewichtigkeit ansehen zu<br />

müssen. Die BED wird im DSM-IV als Essstörung<br />

beschrieben. Die Heißhungerattacken,<br />

die nicht mit kompensatorischem Verhalten<br />

e<strong>in</strong>hergehen, können Übergewicht<br />

und Adipositas verursachen. Daher kann nur<br />

bei Adipösen mit BED davon ausgegangen<br />

werden, dass diese Essstörung als Ursache<br />

der Adipositas anzusehen ist.<br />

Multimodale Behandlung<br />

Wenn der Adipositas also im Regelfall ke<strong>in</strong>e<br />

Essstörung als Ursache zu Grunde liegt,<br />

stellt sich die Frage, wie Adipositas behandelt<br />

werden muss. Konsens besteht, dass nur e<strong>in</strong>e<br />

multimodale Behandlung mit Schwerpunkt<br />

auf e<strong>in</strong>em veränderten Ess- und Bewegungsverhalten<br />

aussichtsreich ist. Müsste also das<br />

ungestörte durch e<strong>in</strong> gestörtes Essverhalten<br />

ersetzt werden, um die Gewichtsreduktion zu<br />

erzielen und langfristig zu stabilisieren?<br />

Diese Möglichkeit besteht, wie z. B. bei der<br />

Bulimia nervosa zu beobachten ist, wenngleich<br />

die Gewichtsregulation mit der Entwicklung<br />

anderer Störungen erkauft wird. Die<br />

rigide Verhaltenskontrolle, die <strong>in</strong> der Gegenregulation<br />

mündet, kann bereits als gestörtes<br />

Essverhalten bezeichnet werden. D<strong>am</strong>it können<br />

adipöse Patienten sekundär Essstörungen<br />

entwickeln, die aber nicht als Ursache der<br />

Adipositas, sondern als Resultat <strong>in</strong>adäquater<br />

„Therapie“ auftreten. Moderne Adipositastherapie<br />

versucht daher, e<strong>in</strong> günstigeres Verhaltensmanagement<br />

zu tra<strong>in</strong>ieren, um die Effekte<br />

der Genetik und Umwelt zu entschärfen.<br />

Die kognitive, flexible Kontrolle des eigenen<br />

Ess- und Bewegungsverhaltens hat sich dafür<br />

bewährt, ohne dass sie als „gestörtes Verhalten“<br />

bezeichnet werden müsste.<br />

Kl<strong>in</strong>ik Report 5


Tagungsbericht<br />

Aktiv gegen die Pfunde<br />

Mit effektiver Bewegungstherapie gegen Adipositas<br />

Sport und Übergewicht: Was auf den ersten Blick unvere<strong>in</strong>bar ersche<strong>in</strong>t, stellt<br />

sich bei näherer Betrachtung als e<strong>in</strong>e der wichtigsten Maßnahmen für die Gewichtsreduktion<br />

und -kontrolle dar. „Um erfolgreich abzunehmen, müssen Art,<br />

Umfang und Intensität der Bewegung stimmen“, betonte Prof. Dr. med. Alfred<br />

Wirth, Bad Rothenfelde, auf der Jubiläumstagung der Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>.<br />

Prof. Dr. med. Alfred Wirth ist Präsident<br />

der Deutschen Adipositas-Gesellschaft<br />

Immer mehr Menschen <strong>in</strong> Deutschland<br />

s<strong>in</strong>d zu dick. Laut Robert Koch Institut s<strong>in</strong>d<br />

bereits 54 Prozent der Frauen und 66 Prozent<br />

der Männer übergewichtig. Mit Übergewicht<br />

geht e<strong>in</strong>e Reihe von Erkrankungen wie<br />

Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes mellitus<br />

Typ 2, Fettstoffwechselstörungen und<br />

Bluthochdruck e<strong>in</strong>her. Aber auch die Zunahme<br />

adipöser K<strong>in</strong>der und Jugendlicher nimmt<br />

bedrohliche Ausmaße an. „Ursache hierfür<br />

ist weniger e<strong>in</strong>e Änderung der Ernährung<br />

oder des Essverhaltens, sondern vielmehr<br />

e<strong>in</strong>e zunehmende körperliche Inaktivität <strong>in</strong><br />

Beruf und Freizeit“, me<strong>in</strong>t Prof. Dr. med.<br />

Alfred Wirth.<br />

S<strong>in</strong>nvolle Bewegungstherapie<br />

Bei der Wahl geeigneter körperlicher Belastungsformen<br />

gilt es zu berücksichtigen,<br />

dass Übergewichtige durch die konstant erhöhte<br />

Gewichtslast ihre Gelenke deutlich<br />

mehr beanspruchen und dass für sie vergleichsweise<br />

niedrige Belastungen bereits<br />

hohe Intensitäten darstellen. Was für e<strong>in</strong>en<br />

Normalgewichtigen locker im „Sprechtempo“<br />

vollbracht wird, führt beim Übergewichtigen<br />

bereits zu heftigem Keuchen und<br />

Atemnot. „Die Intensität der Belastung sollte<br />

sich daher an den Kriterien e<strong>in</strong>es Herz-<br />

Kreislauf-Tra<strong>in</strong><strong>in</strong>gs orientieren“, empfiehlt<br />

Prof. Wirth. Richtgröße sei üblicherweise die<br />

Herzfrequenz, die an der Grenze der aeroben<br />

Stoffwechsellage liegen sollte.<br />

Kontrolliert werden kann die adäquate<br />

Herzfrequenz anhand e<strong>in</strong>er Spiroergometrie<br />

oder durch Laktatmessungen. „Die Belastungsdauer<br />

sollte üblicherweise 20 bis 60<br />

M<strong>in</strong>uten betragen“, sagt Prof. Wirth, „<strong>am</strong><br />

besten täglich.“ Geeignet seien vor allem<br />

Ausdauersportarten, bei denen große Muskelgruppen<br />

zum E<strong>in</strong>satz kommen. Aber auch<br />

e<strong>in</strong> Kraftausdauertra<strong>in</strong><strong>in</strong>g <strong>in</strong> Komb<strong>in</strong>ation<br />

mit e<strong>in</strong>em Ausdauertra<strong>in</strong><strong>in</strong>g ist laut Prof.<br />

Wirth zur Gewichtsreduktion s<strong>in</strong>nvoll.<br />

Um langfristig Gewicht zu reduzieren,<br />

muss die Behandlung der Adipositas auf<br />

mehreren Ebenen erfolgen. „Die besten Therapieerfolge<br />

liefert daher die Komb<strong>in</strong>ation<br />

6 Kl<strong>in</strong>ik.Report<br />

„Wer Freude <strong>am</strong> Sport<br />

hat, die Entspannung<br />

genießen kann und das<br />

Sporterlebnis geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong><br />

mit e<strong>in</strong>em Partner<br />

oder e<strong>in</strong>er Gruppe wahrnimmt,<br />

wird mit großer<br />

Wahrsche<strong>in</strong>lichkeit über<br />

lange Zeit körperlich<br />

aktiv bleiben.“<br />

aus Bewegungstherapie, Ernährungstherapie<br />

und Verhaltensmodifikation“, resümiert<br />

Prof. Wirth.<br />

I M P R E S S U M<br />

Kl<strong>in</strong>ik.Report<br />

Herausgeber:<br />

MedCom Verlags GmbH<br />

He<strong>in</strong>emannstraße 34<br />

53175 Bonn<br />

Tel.: 0228/30821-0<br />

Fax: 0228/30821-33<br />

<strong>in</strong> Zus<strong>am</strong>menarbeit mit:<br />

Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong><br />

Fachkl<strong>in</strong>ik für gestörtes Essverhalten<br />

Ostkorso 4<br />

32545 Bad Oeynhausen<br />

Tel.: 05731/181-0<br />

Fax: 05731/181-118<br />

Internet: www.kl<strong>in</strong>ik-<strong>am</strong>-korso.de<br />

E-Mail: <strong>in</strong>fo@kl<strong>in</strong>ik-<strong>am</strong>-korso.de<br />

Chefredakteur<strong>in</strong> (V. i. S. d. P.):<br />

Dipl. Biol. Andrea Hertle<strong>in</strong><br />

Mediz<strong>in</strong>isch-wissenschaftliche Mitarbeit:<br />

Chefarzt Dr. med. Georg Ernst Jacoby


T agungsbericht<br />

Pharmakotherapie<br />

Effekte von Spironolacton auf das<br />

Essverhalten bei Bulimie-Patienten<br />

Die zusätzliche Gabe von Spironolacton sche<strong>in</strong>t e<strong>in</strong>e positive Wirkung auf Essdruck,<br />

Brechhäufigkeit und Stimmung bulimischer Patienten zu haben. Dies belegen<br />

Ergebnisse aktueller Untersuchungen. „D<strong>am</strong>it stellt Spironolacton <strong>in</strong>sbesondere<br />

bei Patienten, bei denen psychotherapeutische Interventionen ohne Erfolg<br />

bleiben, e<strong>in</strong>e Behandlungsoption dar“, folgerte Prof. Dr. med. He<strong>in</strong>rich Wernze,<br />

Würzburg, auf der Jubiläumstagung der Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>.<br />

Prof. Dr. He<strong>in</strong>rich Wernze hat im Jahr<br />

2 000 e<strong>in</strong>e Gruppe von Bulimie-Patient<strong>in</strong>nen<br />

mit Spironolacton behandelt<br />

und als erster positive E<strong>in</strong>flüsse auf<br />

Essdruck, Brechhäufigkeit und Stimmung<br />

beobachtet. Prof. Wernze ist als<br />

niedergelassener Internist und Endokr<strong>in</strong>ologe<br />

<strong>in</strong> Würzburg tätig.<br />

Die Pathogenese der Bulimie ist angesichts<br />

der Vielzahl ätiologischer Faktoren<br />

nicht e<strong>in</strong>heitlich. Biopsychologische Aspekte,<br />

die nicht nur zentralnervöse Transmitter,<br />

sondern auch periphere Hormonsysteme<br />

und den ges<strong>am</strong>ten Metabolismus betreffen,<br />

werden bei der Ursachenforschung allerd<strong>in</strong>gs<br />

eher vernachlässigt. Ausgangspunkt<br />

für letztere Überlegungen lieferten Befunde,<br />

dass Spironolacton, e<strong>in</strong> so genannter Aldosteron-<br />

und Androgen-Antagonist, bei<br />

Frauen mit polycystischen Ovarien und Menstruationsanomalien<br />

nicht nur die Androgenisierungszeichen<br />

(Hirsutismus, Akne, Alopezie),<br />

sondern auch das Essverhalten und<br />

die Stimmungslage günstig bee<strong>in</strong>flusst.<br />

Rückgang<br />

bulimischer Symptome<br />

Das seit 1960 bekannte und verträgliche<br />

Pharmakon erwies sich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Pilotstudie<br />

auch bei Bulimie als wirks<strong>am</strong>. Der E<strong>in</strong>fluss<br />

auf Sättigungs-/Hungergefühl, Ess-/Brechattacken<br />

und psychologische Charakteristika<br />

wurde psychometrisch mittels verschiedener<br />

Instrumente (BITE, BSKE, SCL-90 u.<br />

a.) dokumentiert. Der oft rasche Rückgang<br />

der bulimischen Symptomatik und die Stimmungsverbesserung<br />

waren signifikant mite<strong>in</strong>ander<br />

korreliert. Auf Grund des günstigen<br />

Effekts e<strong>in</strong>es anderen Androgen-Rezeptor-Blockers<br />

(Flut<strong>am</strong>id, Bergman 1996) auf<br />

die Bulimie-Symptomatik liegt die Vermutung<br />

nahe, dass Androgene auf zentralnervöser<br />

Ebene <strong>in</strong> Prozesse e<strong>in</strong>greifen, die Essverhalten<br />

und psychologische Merkmale bee<strong>in</strong>flussen.<br />

Bereits 1991/92 wurde nachgewiesen,<br />

dass bulimisches Verhalten gehäuft beim<br />

PCO-Syndrom vorkommt. Auch die beim<br />

PCO-S bekannte Hyper<strong>in</strong>sul<strong>in</strong>ämie nach def<strong>in</strong>ierter<br />

Kohlenhydratzufuhr ist bei der Bulimie<br />

bekannt. Erhöhte Insul<strong>in</strong>spiegel fördern<br />

die ovarielle Testosteron/Androstendion-<br />

Biosynthese. Androgene sche<strong>in</strong>en die Folgen<br />

des Seroton<strong>in</strong> — Mangels im ZNS, der<br />

zu gesteigerter Aggressivität und Impulsivität<br />

führt, zu verstärken und s<strong>in</strong>d vermutlich<br />

auch an der Stimmungsverschlechterung<br />

bzw. Depression sowie an der erhöhten<br />

Stressreagibilität bei bulimischen Patienten<br />

beteiligt.<br />

„Es konnte beobachtet<br />

werden, dass Bulimie<br />

gehäuft bei Frauen auftritt,<br />

die unter dem Syndrom<br />

der Polycystischen<br />

Ovarien (PCO) leiden.“<br />

Forschungsbedarf<br />

für die Zukunft<br />

Die Zus<strong>am</strong>menhänge zwischen abnormem<br />

Essverhalten und Androgenen bedürfen<br />

weiterer Erforschung. Auch wenn pharmakotherapeutische<br />

Aspekte angesichts<br />

der Heterogenität der Bulimie nur vage formuliert<br />

werden können, stellt Spironolacton<br />

potenziell e<strong>in</strong>e zusätzliche Behandlungsoption<br />

für solche Patient<strong>in</strong>nen dar, bei denen<br />

psychotherapeutische Verfahren kaum Verbesserungen<br />

br<strong>in</strong>gen oder bei denen sich<br />

e<strong>in</strong> persistierender Verlauf etabliert hat. Bei<br />

der Auswahl der Patient<strong>in</strong>nen können psychologische<br />

Charakteristika und kl<strong>in</strong>ischer<br />

Status (Übergewicht, Adipositas) sowie Hormonbefunde<br />

(freies Testosteron, Androstendion)<br />

H<strong>in</strong>weise geben.<br />

Kl<strong>in</strong>ik.Report 7


Tagungsbericht<br />

Hilfe, ich b<strong>in</strong> zu dick!<br />

Vom Körperbild zur Körperschemastörung<br />

Obwohl sie häufig nur noch Haut und Knochen s<strong>in</strong>d, f<strong>in</strong>den sich magersüchtige<br />

Mädchen und Frauen zu dick. Was für Außenstehende kaum nachvollziehbar<br />

ist, wird <strong>in</strong> der Psychologie als Körperschemastörung bezeichnet. Das Gewicht<br />

zu stabilisieren und Konflikte zu bearbeiten, darf daher <strong>in</strong> der Behandlung magersüchtiger<br />

und bulimischer Patienten nicht das alle<strong>in</strong>ige Ziel der Therapie se<strong>in</strong>,<br />

forderte Dr. Katr<strong>in</strong> Imbierowicz aus Bonn auf der Jubiläumsveranstaltung <strong>in</strong> der<br />

Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>.<br />

Das Körperbild ist e<strong>in</strong> wesentlicher Teil<br />

des Selbstkonzeptes und besteht aus der<br />

Ges<strong>am</strong>theit der Wahrnehmungen, Wertungen,<br />

Affekte und Kognitionen bezüglich des<br />

eigenen Körpers.<br />

Es bleibt lebenslang durch biologische<br />

und soziokulturelle Faktoren bee<strong>in</strong>flussbar,<br />

wobei die Pubertät als besonders sensible<br />

Phase für die Entwicklung e<strong>in</strong>es negativen<br />

Körperbildes, <strong>in</strong>sbesondere bei Frauen, gilt.<br />

„Nur wenn es gel<strong>in</strong>gt,<br />

Körperbild und Selbstwertgefühl<br />

der Betroffenen<br />

dauerhaft zu verbessern,<br />

können wir langfristig<br />

die Erkrankung <strong>in</strong><br />

den Griff bekommen“<br />

Der Übergang zur Entwicklung e<strong>in</strong>er Körperschemastörung,<br />

wie sie typisch für Essstörungen,<br />

<strong>in</strong>sbesondere Anorexie und Bulimie,<br />

ist, ist fließend. Zwei wesentliche Prozesse<br />

spielen hier e<strong>in</strong>e Rolle: Zum e<strong>in</strong>en blicken<br />

magersüchtige und bulimische Patienten<br />

häufig auf traumatische Erfahrungen wie<br />

z. B. soziale Ausgrenzung auf Grund ihres<br />

Aussehens zurück, die ihr Körperbild negativ<br />

bee<strong>in</strong>flussen (Internalisation). Zum an-<br />

deren projizieren sie Gefühle von Überforderung,<br />

Ohnmacht und Insuffizienz auf ihren<br />

Körper. Durch strenges Diätverhalten<br />

oder Erbrechen s<strong>in</strong>d sie jedoch <strong>in</strong> der Lage,<br />

Macht auf ihren Körper auszuüben und ihn<br />

zu kontrollieren (Projektion).<br />

Die Körperschemastörung ist somit e<strong>in</strong>e<br />

pathologische und krankheitsspezifische<br />

Ausformung des Körperbildes. Hier besteht<br />

e<strong>in</strong>e andauernde Störung der Wahrnehmung,<br />

Wertung, Affekte und Kognitionen<br />

bezüglich des eigenen Körpers. „Die Ausprägung<br />

der Körperschemastörung hat deshalb<br />

für den Behandlungserfolg der Anorexie<br />

und der Bulimie e<strong>in</strong>e große prognostische<br />

Bedeutung“, betont Dr. Imbierowicz.<br />

Wegen der Verankerung im Selbstkonzept<br />

ist sie allerd<strong>in</strong>gs schwer therapierbar. Umso<br />

wichtiger ist es, mit Hilfe e<strong>in</strong>es spezifischen<br />

Therapieangebots die Körperschemastörung<br />

zu behandeln. „Wir wollen mit der Behandlung<br />

erreichen, dass die Betroffenen<br />

weder e<strong>in</strong>e möglichst wohlwollende noch<br />

e<strong>in</strong>e übertriebene, sondern e<strong>in</strong>e realistische<br />

Auffassung von ihrem Körper haben“, erklärt<br />

die Bonner Psycholog<strong>in</strong>.<br />

Körperbezogenes<br />

Selbstwertgefühl stärken<br />

Im Mittelpunkt der Behandlung steht die<br />

kognitive Therapie. Hierbei werden die typi-<br />

8 Kl<strong>in</strong>ik.Report<br />

Dr. Katr<strong>in</strong> Imbierowicz von der Kl<strong>in</strong>ik<br />

für Psychosomatische Mediz<strong>in</strong> und<br />

Psychotherapie der Universität Bonn<br />

schen Fehlannahmen zur Bedeutung des<br />

Aussehens korrigiert. So etwa auch die Annahme,<br />

dass Menschen, die schlank s<strong>in</strong>d,<br />

automatisch auch glücklich s<strong>in</strong>d. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus lernen die Patienten bestimmte „körperbezogene“<br />

Situationen oder Rituale wie<br />

z. B. Sauna- oder Schwimmbadbesuch nicht<br />

mehr wie gewohnt zu vermeiden. In der<br />

Spiegelkonfrontation betrachten Magersucht-<br />

und Bulimie-Kranke ihren Körper, versuchen<br />

ihn zu beschreiben und ungeliebte<br />

Stellen neutral zu bewerten.<br />

Dr. Imbierowicz betont jedoch, dass die<br />

Behandlung der Körperschemastörung nur<br />

e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er Bauste<strong>in</strong> im ges<strong>am</strong>ten Therapiekonzept<br />

ist: „Es handelt sich hierbei um e<strong>in</strong><br />

zusätzliches Therapieprogr<strong>am</strong>m und kann<br />

deshalb immer nur e<strong>in</strong>e Ergänzung zur Behandlung<br />

von Patienten mit Anorexie und<br />

Bulimie se<strong>in</strong>.“


Tagungsbericht<br />

Gruppenarbeit <strong>in</strong> der Selbsthilfe<br />

Anleitung zur Selbsthilfe <strong>am</strong> Beispiel<br />

der Beratungsstelle <strong>„Dick</strong> & <strong>Dünn“</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

Selbsthilfe und Anleitung – e<strong>in</strong>e paradoxe Angelegenheit? Während noch <strong>in</strong> den 80er Jahren über diese Frage kontrovers<br />

wurde, besteht <strong>in</strong>zwischen ke<strong>in</strong> Zweifel mehr, dass e<strong>in</strong>e Gruppenanleitung bei Patienten mit Essstörungen s<strong>in</strong>nvoll ist. Silvia<br />

Baeck, Geschäftsführer<strong>in</strong> der Beratungsstelle <strong>„Dick</strong> & <strong>Dünn“</strong> <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong>, veranschaulichte den Teilnehmern der Jubiläumsveranstaltung<br />

<strong>in</strong> der Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong>, wie e<strong>in</strong>e Anleitung zur Selbsthilfe aussehen sollte.<br />

Als Kl<strong>in</strong>iknachsorge haben sich Gruppen<br />

als sehr nützlich und oft als erste unkompliziert<br />

organisierbare Hilfestellung erwiesen.<br />

Der Vorteil von Gruppen ist nicht nur<br />

die Niedrigschwelligkeit, sondern auch die<br />

kostengünstige Möglichkeit, langfristig<br />

Unterstützung zu erfahren. Bestes Beispiel<br />

für den therapeutischen Erfolg von angeleiteten<br />

Gruppen ist die Beratungsstelle <strong>„Dick</strong><br />

& <strong>Dünn“</strong>. Seit ihrer Gründung 1985 hat der<br />

geme<strong>in</strong>nützige Vere<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e Gruppenangebote<br />

immer wieder den Bedürfnissen der Betroffenen<br />

angepasst.<br />

Struktur der<br />

Selbsthilfegruppen<br />

Das Sett<strong>in</strong>g sieht folgendermaßen aus: Im<br />

Vorlauf der Gruppenarbeit f<strong>in</strong>det immer e<strong>in</strong>e<br />

Beratung statt. E<strong>in</strong>mal wöchentlich treffen<br />

sich dann etwa acht bis zehn Teilnehmer<strong>in</strong>nen<br />

für 1,5 Stunden. Dabei gibt es für Bulimie/Magersucht<br />

und Esssucht jeweils getrennte<br />

Gruppen. Die Anleitung ist auf 10 Sitzungen<br />

beschränkt. Daneben gibt es e<strong>in</strong>e<br />

Reihe von Spezialgruppen. Dazu gehören:<br />

• Gruppen für Jugendliche bis 18 Jahre<br />

• Männer/Frauen und symptomgemischte<br />

Langzeitgruppen<br />

• Gruppen mit kunsttherapeutischem<br />

Ansatz<br />

• Elterngruppen<br />

• Gruppen für Frauen ab 30 Jahren<br />

Silvia Baeck ist Geschäftsführer<strong>in</strong><br />

der Selbsthilfegruppe Dick & Dünn<br />

e.V. <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong> und Autor<strong>in</strong> des Ratgebers<br />

„Essstörungen bei K<strong>in</strong>dern und<br />

Jugendlichen“<br />

Die angeleitete Gruppenarbeit hat e<strong>in</strong>e<br />

Reihe von Vorteilen: So bietet die Gruppe<br />

den Betroffenen nicht nur e<strong>in</strong>en geschützten<br />

Rahmen, sondern hilft ihnen, ihre Eigenverantwortung<br />

zu stärken und neu erlernte Verhaltensweisen<br />

auszuprobieren.<br />

„Die Arbeit <strong>in</strong> der Gruppe<br />

wird neben der E<strong>in</strong>zelberatung<br />

zur Bewältigung<br />

von Essstörungen<br />

immer wichtiger.“<br />

Welche Vorteile bietet<br />

die Gruppenanleitung?<br />

Empathische und kompetente Anleiter<strong>in</strong>nen<br />

bieten Ermutigung, Schutz<br />

und Sicherheit<br />

Vertrauen entsteht durch strukturierte<br />

Rahmenbed<strong>in</strong>gungen und gewährte<br />

Anonymität<br />

Das Eigenverständnis wird gefördert<br />

Konstruktive Arbeitsweisen werden<br />

e<strong>in</strong>geübt (z. B. Kommunikationsregeln,<br />

Feedback)<br />

E<strong>in</strong>sichten über das Ausmaß des<br />

schädigenden Verhaltens werden<br />

vermittelt<br />

Motivation zur Eigenverantwortung<br />

und zur Akzeptanz der professionellen<br />

Behandlung werden erarbeitet<br />

Wir legen den Fokus auf ressourcenorientiertes<br />

und nicht defizitorientiertes<br />

Arbeiten<br />

Aktuelle Informationen und Anregungen<br />

fließen immer wieder <strong>in</strong> die<br />

Gruppenarbeit e<strong>in</strong><br />

Kl<strong>in</strong>ik Report 9


A usstellung<br />

Bär<br />

„Hier b<strong>in</strong> ich! Hört mir doch<br />

endlich mal zu!“, ruft der Bär<br />

laut. D<strong>am</strong>it spricht er aus, was<br />

der Patient<strong>in</strong> <strong>in</strong> der Realität noch<br />

nicht gel<strong>in</strong>gt. Im Gestaltungsprozess<br />

wurde der jungen Frau<br />

erstmalig bewusst, was ihr <strong>in</strong> ihrer<br />

F<strong>am</strong>ilie fehlte: Aufmerks<strong>am</strong>keit<br />

und Interesse an ihren Wünschen<br />

und Bedürfnissen. Zugleich<br />

wurde ihr mit Hilfe des<br />

Bären klar, dass sie selbst etwas<br />

dazu beitragen kann, sich Gehör<br />

zu verschaffen.<br />

10 Kl<strong>in</strong>ik.Report<br />

Beziehungs-Ansichten<br />

Wie erlebe ich Beziehung? Fühle ich mich aufgehoben und angenommen<br />

oder eher abgestoßen? Immer wieder wird dieses Thema <strong>in</strong><br />

der Gestaltungstherapie von Patient<strong>in</strong>nen mit Essstörungen aufgegriffen.<br />

Sie bietet den Betroffenen die Möglichkeit, sich im wahrsten S<strong>in</strong>ne<br />

des Wortes e<strong>in</strong> Bild von der jeweiligen Beziehung zu machen. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus können sie Ideen für Veränderungen entwickeln und e<strong>in</strong><br />

neues, anderes Bild von der Beziehung entstehen lassen, mit dem Ziel,<br />

dieses vielleicht <strong>in</strong> der Realität auszuprobieren. Im Rahmen der Ausstellung<br />

zur Tagung haben die Mitarbeiter<strong>in</strong>nen der Kunsttherapie der<br />

Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> dazu e<strong>in</strong>ige Beispiele präsentiert.<br />

Paar<br />

„Nimm mich <strong>in</strong> die Arme!“<br />

Der Wunsch nach mehr Aufmerks<strong>am</strong>keit<br />

und Nähe durch<br />

den Ehemann nimmt <strong>in</strong> dem<br />

aus Ton geformten Paar Gestalt<br />

an. Der Wille, dieses sichtbar<br />

gewordene Bedürfnis mit dem<br />

Partner zu besprechen, wird<br />

auf diese Weise gestärkt.<br />

Beziehung<br />

zur Mutter<br />

Bis zum Zeitpunkt der<br />

Tonarbeit beschreibt die 18jährige<br />

bulimische Patient<strong>in</strong><br />

(kle<strong>in</strong>ere Figur) die Beziehung<br />

zu ihrer Mutter (größere<br />

Figur) als durchaus gut und<br />

eng. Nach der Kunsttherapiesitzung<br />

ist sie sehr überrascht<br />

darüber, wie sie ihr<br />

Verhältnis dargestellt hat.<br />

Mit dem Größenunterschied<br />

und den überlangen<br />

Armen sieht sie unbewusst<br />

das Empf<strong>in</strong>den von „Vere<strong>in</strong>nahmt-Werden“<br />

ausgedrückt.<br />

Nur der Kopf und die oberen<br />

Extremitäten s<strong>in</strong>d jeweils<br />

ausgeformt, die sockelförmige<br />

untere Körperhälfte deutet<br />

auf e<strong>in</strong> starres Verhältnis<br />

zwischen beiden h<strong>in</strong>. Insbesondere<br />

ihre Abwehrbewegung<br />

zur vere<strong>in</strong>nahmenden<br />

Mutter irritiert die Patient<strong>in</strong><br />

beim Betrachten. Im nachfolgenden<br />

Gespräch sieht die<br />

Patient<strong>in</strong> ihr Verhältnis zur<br />

Mutter zum ersten Mal kritisch.<br />

Eigene Autonomiewünsche<br />

werden deutlich.


P atientenforum<br />

Patienten greifen zum Stift<br />

Kurzgeschichte: Begegnung im Supermarkt<br />

E<strong>in</strong>es Tages, als ich schon lange aus der<br />

Kl<strong>in</strong>ik entlassen worden war, traf ich me<strong>in</strong>e<br />

Essstörung im Supermarkt.<br />

Sie sprang ohne zu fragen <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>kaufswagen<br />

und rief mit schriller Stimme:<br />

„Na, wie geht’s?“ „Was willst du?“, fragte ich<br />

genervt. Me<strong>in</strong>e Essstörung sah mich prüfend<br />

an. „Du siehst hungrig aus.“ „Hör auf“,<br />

sagte ich, „es ist nicht mehr so wie früher.“<br />

Me<strong>in</strong>e Essstörung warf mir e<strong>in</strong>en ungläubigen<br />

Blick zu. „Ke<strong>in</strong>e Schokolade, Pizza,<br />

Chips? Ach komm, erzähl mir nichts.“ Sie<br />

gr<strong>in</strong>ste. Es war e<strong>in</strong> hämisches Gr<strong>in</strong>sen und<br />

ich er<strong>in</strong>nerte mich daran, wie ich früher<br />

Angst vor diesem Gr<strong>in</strong>sen gehabt und der<br />

Essstörung gehorcht hatte.<br />

Ich blickte me<strong>in</strong>er Essstörung direkt <strong>in</strong> die<br />

Augen. „Lass mich <strong>in</strong> Ruhe, ich brauche<br />

dich nicht mehr.“ Me<strong>in</strong>e Essstörung lachte<br />

so laut, dass es durch den ganzen Supermarkt<br />

hallte. „Du brauchst mich nicht mehr?<br />

Das glaubst du doch wohl selbst nicht.<br />

Irgendwann wirst du auf den Knien angerutscht<br />

kommen und mich anflehen, wieder<br />

bei dir zu se<strong>in</strong>.“ „Werde ich nicht“, flüsterte<br />

ich, aber ich merkte, dass me<strong>in</strong>e Stimme zitterte<br />

und ich auf e<strong>in</strong>mal große Angst hatte.<br />

„Also gut, du hast Recht“, hörte ich mich<br />

sagen, „lass uns zur Tiefkühlpizza fahren!“<br />

In unserer neuen Rubrik<br />

Patientenforum haben<br />

die Patienten der Kl<strong>in</strong>ik<br />

<strong>am</strong> <strong>Korso</strong> die Möglichkeit,<br />

selbst zu Wort zu<br />

kommen. In eigenen Texten,<br />

aber auch Gedichten,<br />

Briefen oder Interviews<br />

br<strong>in</strong>gen sie ihre Gefühle,<br />

Wünsche und Ängste zum<br />

Ausdruck und können sich<br />

d<strong>am</strong>it ganz persönlich an<br />

unsere Leser wenden.<br />

Me<strong>in</strong>e Essstörung hüpfte aufgeregt im E<strong>in</strong>kaufswagen<br />

auf und ab. „Au ja, au ja, zur<br />

Tiefkühlpizza!“, schrie sie durch den ganzen<br />

Supermarkt, so dass es mir schon fast pe<strong>in</strong>lich<br />

war. Ich schob den E<strong>in</strong>kaufswagen <strong>in</strong><br />

die Tiefkühlabteilung und öffnete den<br />

Deckel der Gefriertruhe.<br />

E<strong>in</strong>en kurzen Moment hielt ich <strong>in</strong>ne. Dann<br />

packte ich me<strong>in</strong>e Essstörung an der Gurgel,<br />

schmiss sie zu den Pizzen und machte den<br />

Deckel zu. Me<strong>in</strong> Herz raste, und als mich die<br />

Essstörung mit ihren großen Augen durch<br />

den Glasdeckel der Truhe anglubschte,<br />

hatte ich schon fast e<strong>in</strong> bisschen Mitleid.<br />

Als sie jedoch blau anlief und so bibbernd<br />

da saß, wie ich es <strong>in</strong> me<strong>in</strong>en schlimmsten<br />

Hungerphasen getan hatte, konnte ich mir<br />

e<strong>in</strong> Gr<strong>in</strong>sen nicht mehr verkneifen. Ich<br />

streckte ihr noch e<strong>in</strong>mal die Zunge raus,<br />

und als ich me<strong>in</strong>en E<strong>in</strong>kaufswagen zur<br />

Kasse schob, fühlte ich mich so befreit<br />

wie noch nie!<br />

Maja J.<br />

Kl<strong>in</strong>ik Report 11


+++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++<br />

Neues Onl<strong>in</strong>e-Forum<br />

für Männer mit Essstörungen<br />

„Wahre“ Männer kennen ke<strong>in</strong>e Magersucht<br />

– noch immer ist dieser Irrglaube<br />

weit verbreitet. Dabei sieht die Realität anders<br />

aus: Offiziell rechnet man d<strong>am</strong>it, dass<br />

etwa 5—15 Prozent aller Erkrankten männlich<br />

s<strong>in</strong>d, wobei die Dunkelziffer vermutlich<br />

weit höher liegt.<br />

Die gesellschaftlichen Anforderungen an<br />

e<strong>in</strong>e schlanke, durchtra<strong>in</strong>ierte Figur, die Auflösung<br />

der Geschlechterrollen, e<strong>in</strong>e krank<br />

machende Ernährung – all das trägt dazu<br />

bei, dass immer mehr Jungen und Mädchen<br />

unter Magersucht und Bulimie leiden. Wenn<br />

Männer mit Essstörungen zu kämpfen haben,<br />

stoßen sie jedoch stärker als Frauen<br />

auf das Unverständnis ihrer Umgebung.<br />

Deutschlands größtes Informations- und<br />

Kommunikationsportal rund um Essstörungen<br />

www.hungrig-onl<strong>in</strong>e.de bietet daher<br />

nun auch Männern und Jungen e<strong>in</strong>e eigene<br />

Plattform. In e<strong>in</strong>em speziellen Themenforum<br />

können sich Betroffene, Interessierte<br />

und Angehörige zu den spezifischen Fragen<br />

und Problemen rund um die männliche Seite<br />

von Essstörungen austauschen.<br />

Frühe Weichenstellung<br />

Schon bei Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>dern lassen sich<br />

e<strong>in</strong>deutige Risikofaktoren für späteres<br />

Übergewicht ausmachen. Zu diesem Ergebnis<br />

ist e<strong>in</strong>e britische Langzeitstudie<br />

gekommen, die jüngst im „British Medical<br />

Journal“ erschienen ist.<br />

Geme<strong>in</strong>s<strong>am</strong> mit se<strong>in</strong>en Kollegen wertete<br />

Dr. John J. Reilly aus Glasgow Daten von über<br />

8 000 K<strong>in</strong>dern im Alter von sieben Jahren<br />

aus. Insges<strong>am</strong>t waren danach 9,2 Prozent<br />

der Jungen und 8,1 Prozent der Mädchen im<br />

Alter von sieben Jahren übergewichtig.<br />

Als wichtigste Risikofaktoren identifizierten<br />

die Forscher Übergewicht bei den Eltern,<br />

e<strong>in</strong>en Fernsehkonsum von mehr als acht<br />

Stunden pro Woche und e<strong>in</strong>e Schlafdauer<br />

von weniger als 10,5 Stunden pro Nacht, beides<br />

im Alter von drei Jahren. Als weitere unabhängige<br />

Risikofaktoren ermittelten sie<br />

e<strong>in</strong> überdurchschnittlich hohes Gewicht mit<br />

acht und achtzehn Monaten, e<strong>in</strong>e überdurchschnittlich<br />

schnelle Gewichtszunahme<br />

im ersten Jahr nach der Geburt, schnelles<br />

Wachstum zwischen Geburt und dem Alter<br />

von zwei Jahren sowie die Entwicklung<br />

von viel Körperfett und e<strong>in</strong>e Adipositas, die<br />

sich bereits im Vorschulalter der K<strong>in</strong>der manifestiert.<br />

Trotz der komplexen Mechanismen, die zu<br />

Übergewicht führen, werde e<strong>in</strong>es ganz deutlich,<br />

so die Forscher: Es sei das Umfeld der<br />

Kle<strong>in</strong>k<strong>in</strong>der, das wesentlich das Risiko für<br />

späteres Übergewicht bestimme. Präventionsmaßnahmen<br />

müssten daher schon <strong>in</strong><br />

diesem Alter ansetzen.<br />

Hungern bis<br />

<strong>in</strong> den Tod<br />

„Dünn zu se<strong>in</strong> ist besser, als gesund zu<br />

se<strong>in</strong>“ oder „Du darfst nie etwas essen, ohne<br />

Dich dabei schuldig zu fühlen.“ Mit diesen und<br />

ähnlichen Losungen putschen sich Magersüchtige<br />

im Internet gegenseitig auf, um länger<br />

an ihrer Essstörung festhalten zu können.<br />

Auf den Seiten werden die Besucher mit Bildern<br />

ausgemergelter Körper konfrontiert und<br />

mit Tipps, wie man auch bei lebensbedrohlichem<br />

Untergewicht noch weiter abnehmen<br />

kann. Die Botschaft ist: „Du bist immer noch<br />

nicht dünn genug“ und dient gleichermaßen<br />

als Bestätigung des gestörten Körperempf<strong>in</strong>dens<br />

wie auch als Ansporn, sich immer weiter<br />

runterzuhungern.<br />

Es wäre aber falsch, dem Internet die<br />

Schuld an dieser Entwicklung zu geben.<br />

„Essstörungen gibt es schließlich nicht erst<br />

seit der Entstehung des Internets“, sagt<br />

Dr. Jan Nedoschill, Arzt an der K<strong>in</strong>der- und Jugendpsychiatrie<br />

der Universitätskl<strong>in</strong>ik Erlangen<br />

und Mitbegründer der virtuellen<br />

Selbsthilfegruppe bei Essstörungen Hungrig-Onl<strong>in</strong>e<br />

e.V. „Aber es ist äußerst wichtig,<br />

dass Betroffene statt Seiten, die sie noch tiefer<br />

<strong>in</strong> ihre Krankheit verstricken, Hilfsangebote<br />

im Internet vorf<strong>in</strong>den. Die Anonymität<br />

des Internets erleichtert es dabei vielen,<br />

nach Hilfe zu fragen und den ersten Schritt<br />

bei der Bewältigung der Essstörung zu tun.“<br />

Patientenforum<br />

Die Kl<strong>in</strong>ik <strong>am</strong> <strong>Korso</strong> bietet ehemaligen<br />

Patient<strong>in</strong>nen e<strong>in</strong>e Internetplattform, auf der<br />

sie sich austauschen, neue Erfahrungen mit<br />

ihrer Erkrankung aufschreiben oder e<strong>in</strong>fach<br />

nur mite<strong>in</strong>ander kommunizieren können.<br />

Bereits auf der Homepage der Kl<strong>in</strong>ik<br />

(www.kl<strong>in</strong>ik-<strong>am</strong>-korso.de) f<strong>in</strong>den Interessierte<br />

e<strong>in</strong>en Button mit der Aufschrift „Patientenforum“.<br />

Dort können sie sich mit e<strong>in</strong>em<br />

eigenen Benutzern<strong>am</strong>en und Passwort<br />

e<strong>in</strong>loggen. Registrieren können sich allerd<strong>in</strong>gs<br />

nur ehemalige Patient<strong>in</strong>nen der Kl<strong>in</strong>ik<br />

<strong>am</strong> <strong>Korso</strong>. D<strong>am</strong>it möchte die E<strong>in</strong>richtung verh<strong>in</strong>dern,<br />

dass Missbrauch betrieben wird.<br />

+++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++ NEWS +++

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!