Weltumsegelung - bei den Seenomaden
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Weltumsegelung - bei den Seenomaden
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<strong>Weltumsegelung</strong><br />
seenoma<strong>den</strong><br />
„Den Löwenanteil der letzten<br />
zwanzig Jahre waren wir<br />
unterwegs. Das ist kein Ausstieg<br />
zwischendurch, auch kein Trip oder<br />
Projekt. Das ist unser Leben.“
Leben mit dem<br />
Wind<br />
Bilanz. Seit zwei Jahrzehnten segeln die Seenoma<strong>den</strong><br />
über alle Meere. ihre letzte große Reise führte sie zum<br />
zweiten Mal um <strong>den</strong> Globus. Und mehrfach an ihre<br />
Grenzen. Wer<strong>den</strong> sie nun sesshaft bleiben?<br />
Text: Doris Renoldner. Fotos: Wolfgang Slanec<br />
Vor gefühlten hundert<br />
Jahren lernte ich Wolf<br />
kennen. Wir saßen im<br />
Café Hummel und teilten eine<br />
Melange, Wolf erzählte, dass er<br />
ein Boot besitze und davon<br />
träume, um die Welt zu segeln.<br />
Der Kaffee war rasch ausgetrunken,<br />
Wolf voll in Fahrt.<br />
Wortreich schilderte er gestrandete<br />
Yachten, Aussteiger auf<br />
Gomera, Sturm in der Straße<br />
von Gibraltar. Ich glaubte ihm<br />
kein Wort. Aber er gefiel mir.<br />
Dann traf ich ihn wieder und<br />
erkannte, dass er der freieste<br />
Mensch war, <strong>den</strong> ich jemals gesehen<br />
hatte. Sparbuch oder guter<br />
Job waren ihm egal, er trug<br />
lange Haare und bunte Brillen,<br />
kletterte in steilen Wän<strong>den</strong> und<br />
zeigte mir, dass man sein Leben<br />
auch außerhalb vorgestanzter<br />
Schablonen führen kann.<br />
Mittlerweile sind wir verheiratet,<br />
haben zweimal die Welt<br />
umrundet und da<strong>bei</strong> 110.000<br />
Seemeilen geloggt. Den Löwenanteil<br />
der letzten zwanzig Jahre<br />
waren wir unterwegs. Das ist<br />
kein Ausstieg zwischendurch,<br />
auch kein Trip oder Projekt.<br />
Das ist unser Leben. Wir haben<br />
wenig und wir haben viel. Viel<br />
Natur, viel frische Luft, viel<br />
Zweisamkeit und Selbstbestimmung.<br />
Ein Sein im Hier und<br />
Jetzt. Nomad ist unser schwimmendes<br />
Zuhause. Alles, was wir<br />
besitzen, ist in Armeslänge von<br />
uns entfernt. Was wir nicht mitführen<br />
können, findet Platz in<br />
der Erinnerung. Eine Lebensweise,<br />
die bestimmte Dinge<br />
voraussetzt. Gesundheit vor<br />
allem, und Urvertrauen. Und<br />
einen entspannten Umgang mit<br />
dem Mangel an Sicherheit.<br />
Vor dem Aufbruch zu unserer<br />
zweiten großen Fahrt, im<br />
Jänner 2002, stan<strong>den</strong> wir vor<br />
einem altbekannten Problem.<br />
Wir brauchten Geld. All unsere<br />
Ersparnisse waren in die Bootsrenovierung<br />
geflossen. Daher<br />
setzten wir auf zahlende Mitsegler,<br />
die uns während des ersten<br />
Reiseabschnitts begleiten<br />
sollten. Mit dem Wermutstropfen<br />
des Terminsegelns. Üblicherweise<br />
wissen wir nicht, wo<br />
wir in einem Monat sein oder<br />
was wir in einem halben Jahr<br />
tun wer<strong>den</strong>. Außerdem sind<br />
Routenplanung auf der Seekarte<br />
und deren Umsetzung in die<br />
Realität zwei verschie<strong>den</strong>e Paar<br />
Schuhe. Quer Mittelmeer und<br />
hinaus in <strong>den</strong> Atlantik ging die<br />
Rechnung auf. Aber ab Argentinien<br />
war Schluss mit lustig.<br />
Spätestens dort bereuten wir,<br />
uns einen strikten Fahrplan<br />
auferlegt zu haben.<br />
Rund SüdameRika. In Patagonien<br />
bestimmte der Wind unser<br />
Sein, er war das Maß aller Dinge,<br />
diktierte die Form der Bäume<br />
und lehrte uns Geduld und<br />
Respekt. In schlimmen Stürmen<br />
lernten wir unsere Feigheit<br />
kennen, durchschritten die<br />
Höllen der Angst, zitterten um<br />
unser Boot und zum ersten Mal<br />
auch um unser Leben. Ist alles<br />
überstan<strong>den</strong>, kann man leicht<br />
mutig sein, darüber schreiben<br />
3/2010 yachtrevue 15
<strong>Weltumsegelung</strong><br />
seenoma<strong>den</strong><br />
und re<strong>den</strong>. Aber nie die Demut<br />
verlieren, sie ist eine gute Begleiterin<br />
auf dem Meer. Als<br />
uns nach der Rundung des Südzipfels<br />
von Amerika der Bootsnachbar<br />
<strong>bei</strong>m Anlegen in<br />
Puerto Williams fragte, woher<br />
wir kämen, fühlten wir uns<br />
wie Hel<strong>den</strong> und antworteten<br />
lässig: „Kap Hoorn. Und du?“<br />
„Antarktis.“ Von wegen Hel<strong>den</strong>tum<br />
…<br />
Mitte März, Herbstbeginn<br />
auf der Südhalbkugel. Wir nah<br />
16 yachtrevue 3/2010<br />
men das längste und wildeste<br />
Fjordlabyrinth der Erde in Angriff.<br />
2.000 Seemeilen in der<br />
Einsamkeit Südchiles, abseits<br />
jeglicher Zivilisation. Wochenlang<br />
kämpften wir um jede<br />
Meile Richtung Nor<strong>den</strong>, gegen<br />
wütende Schneestürme, Hagelschauer<br />
und lähmende Flauten.<br />
Nässe und Kälte drangen durch<br />
Mark und Bein, und unsere<br />
nicht isolierte Nomad verwandelte<br />
sich in eine Tropfsteinhöhle.<br />
Das ständige Bangen, ob<br />
„Wir lebten außerhalb der Zeit und vermissten<br />
nichts. Waren wir jemals glücklicher?“<br />
Anker und Landleinen halten,<br />
strapazierte unsere Nerven. Dazwischen<br />
entschädigte uns die<br />
Natur mit ungezähmter Schönheit<br />
für ihre schlechten Launen.<br />
Augenblicke, die sich für immer<br />
einbrannten: Nomads Bug, der<br />
sich knirschend durch Trei<strong>bei</strong>s<br />
zu <strong>den</strong> Gletscherabbrüchen<br />
schiebt, das Schnaufen der Seelöwen,<br />
der rotierende Flügelschlag<br />
der Dampferenten, der<br />
erste Sonnenstrahl nach langer<br />
Schlechtwetterperiode. Ein<br />
Schatz an Erinnerungen, <strong>den</strong><br />
uns niemand nehmen kann.<br />
Obwohl wir <strong>den</strong> Wettlauf mit<br />
dem Südwinter verloren, erreichten<br />
wir allen Widrigkeiten<br />
zum Trotz Puerto Montt, das<br />
nördliche Ende des Fjordlabyrinths.<br />
Die Fahrt um Südamerika<br />
hatte uns alles abverlangt,<br />
aber auch reich beschenkt.<br />
Die härteste Konfrontation mit<br />
<strong>den</strong> Elementen war gleichzeitig<br />
die tiefste Begegnung mit dem<br />
Leben.
Grundprinzip. Ob<br />
am Strand der Insel Wallis im<br />
Südpazifik (gr. Bild), in <strong>den</strong><br />
Fjor<strong>den</strong> Feuerlands (ganz li.),<br />
auf Moorea (Mitte) oder der<br />
Osterinsel (li.) – die Seenoma<strong>den</strong><br />
lebten im Einklang<br />
mit der Natur und nach dem<br />
Motto „Weniger ist mehr“<br />
ZeitloS im PaZifik. Nach<br />
über einem Jahr in Patagonien<br />
wuchs die Sehnsucht nach wärmeren,<br />
tropischen Gefil<strong>den</strong>.<br />
Im Februar 2004 steckten wir<br />
Nomads Bug in die unendliche<br />
Weite des Pazifiks, machten uns<br />
auf zu entlegenen Inseln, die<br />
seit der Kindheit unsere Phantasie<br />
beflügelt hatten. Traum<br />
und Wirklichkeit verschmolzen,<br />
als wir auf der Robinson Crusoe<br />
Insel jenen Aussichtspunkt<br />
erklommen, wo vor 300 Jahren<br />
der schottische Seemann Alexander<br />
Selkirk (alias Robinson<br />
Crusoe) Tag für Tag <strong>den</strong> Horizont<br />
nach einem Rettungsschiff<br />
abgesucht hatte. Auf der<br />
Osterinsel ankerte Nomad in<br />
der Bucht von Anakena vor <strong>den</strong><br />
geheimnisvollen Steingiganten<br />
namens Moai, auf Pitcairn rasten<br />
wir mit Steve Christian, UrururEnkel<br />
von Obermeuterer<br />
Fletcher Christian, in einem<br />
halsbrecherischen Ritt durch<br />
die Brandung, um in der BountyBay<br />
anzulan<strong>den</strong>.<br />
In <strong>den</strong> Tuamotus traf Nomads<br />
Kurslinie jene von Susi Q,<br />
unserer ersten Yacht. Immer<br />
wieder hatten wir davon gesprochen,<br />
zu diesen Atollen, die<br />
unsere Gedanken wie magisch<br />
anzusaugen schienen, zurückzukehren.<br />
Jetzt waren wir hier.<br />
Wie neun Jahre zuvor fiel unser<br />
Anker im Sü<strong>den</strong> des Fakarava<br />
Atolls. Lang erträumtes Wiedersehen<br />
mit unserem Freund Manihi,<br />
der heute statt der legendären<br />
Fischfalle eine kleine<br />
Pension betreibt. Zeitlos zogen<br />
wir durch das Reich der Ringe,<br />
erwachten je<strong>den</strong> Morgen in einer<br />
Postkartenidylle. Vor einem<br />
unbewohnten Motu blieben wir<br />
einen ganzen Monat, ernährten<br />
uns von Fisch, Reis und Kokosnüssen;<br />
Lagerfeuer am Strand<br />
inklusive. Ein simples Leben,<br />
schonend im Umgang mit<br />
Energie und Natur. Ein Leben<br />
zum Anfassen, fern von<br />
EMails, Facebook, TVBerieselung,<br />
Fast Food und Rastlosigkeit.<br />
Waren wir jemals<br />
glücklicher?<br />
Doch so sparsam wir auch<br />
waren, die Bordkasse blinkte<br />
auf Reserve und Nomad verlangte<br />
nach einer neuen Steuersäule.<br />
In Tahiti erwischte uns<br />
ein tropischer Sturm, der uns<br />
bis heute in <strong>den</strong> Knochen sitzt.<br />
Nicht angekündigte 60 bis 70<br />
Knoten in stockdunkler Nacht,<br />
slippender Anker, Kollision<br />
mit dem Nachbarboot, Dingi<br />
und Windfahne aus der Heckplattform<br />
gerissen und futsch,<br />
Propeller samt Welle verbogen,<br />
Bimini zerrissen. Schock. Wir<br />
parkten unsere lädierte Lady<br />
in einer Werft und flogen nach<br />
klingende münze<br />
finanzen. Wie kalkuliert man eine <strong>Weltumsegelung</strong>?<br />
Der Budgetplan der Seenoma<strong>den</strong><br />
Diese Frage kommt wie das Amen im Gebet: „Wie könnt ihr euch das<br />
leisten?“ Und gleich danach: „Wie viel Geld braucht man auf einer <strong>Weltumsegelung</strong>?“<br />
Also. Klingt simpel, ist simpel: Man gibt das Geld aus, das man zur Verfügung<br />
hat. Und je sparsamer man ist, desto länger kann die Reise dauern,<br />
das ist eine einfache Schlussrechnung. Wir benötigten durchschnittlich<br />
10.000 Euro im Jahr. Auf abgelegenen Inseln und in der Wildnis Patagoniens<br />
sanken die monatlichen Kosten unter 500 Euro, in „zivilisierten“<br />
Gegen<strong>den</strong> stiegen sie auf 1.000 Euro und mehr.<br />
Diese Zahlen sind allerdings schwer übertragbar, <strong>den</strong>n jeder Segler hat<br />
einen anderen Lebensstil. Aber grundsätzlich verschlingt ein kleines, simples<br />
Boot weniger Geld als ein großes, aufwändig ausgestattetes; auf unserer<br />
ersten <strong>Weltumsegelung</strong> mit der nur 9,50 m langen Susi Q kamen wir<br />
<strong>bei</strong> weitem günstiger davon. Vielleicht waren außerdem unsere Bedürfnisse<br />
in jungen Jahren beschei<strong>den</strong>er.<br />
Bei der aktuellen Reise waren die großen Brocken die Instandhaltung<br />
der Nomad, Treibstoff (vor allem in Mittelmeer und Patagonien), Vollkaskoversicherung<br />
(darauf hatten wir <strong>bei</strong> der ersten <strong>Weltumsegelung</strong> verzichtet)<br />
und Landreisen. Ein riesiges Loch in die Bordkassa rissen die <strong>bei</strong><strong>den</strong> Heimflüge<br />
von Tahiti. Für Restaurant und Marinabesuche gaben wir kaum<br />
etwas aus. War kein Verzicht: Selbstgefangener Fisch, Reis, dazu eine<br />
Trinknuss, das schmeckt uns immer noch am besten.<br />
Fixkosten. Instandhaltung der Nomad war ein großer Posten im<br />
Budget, Nahrungsmittel ein kleiner; Fisch und Kokosnüsse taten es auch<br />
3/2010 yachtrevue 17
<strong>Weltumsegelung</strong><br />
seenoma<strong>den</strong><br />
Wien, um Geld zu verdienen.<br />
Wir produzierten die Multimediashow<br />
Um Kap Hoorn in<br />
die Südsee, mit der wir durch<br />
Österreich tingelten. Der Kameramann<br />
Christian Berger,<br />
bekannt für Filme wie „Das<br />
weiße Band“ oder „Caché“,<br />
stellte eine Doku über uns<br />
fertig, die wir als DVD „Leben<br />
mit dem Wind“ vertrieben.<br />
Als wir genug Geld <strong>bei</strong>sammen<br />
hatten, kauften wir Tickets<br />
nach Tahiti.<br />
18 yachtrevue 3/2010<br />
ZuRück Zu nomad. Zurück<br />
nach Hause. Von Tahiti kreuzten<br />
wir gegen <strong>den</strong> Passat zurück<br />
zu <strong>den</strong> spektakulären Marquesas<br />
und gingen im Mai 2006<br />
ernsthaft auf Westkurs. Inseln,<br />
Inseln, Inseln. Wir stoppten in<br />
<strong>den</strong> Cook Islands auf Suwarrow,<br />
jenem legendären unbewohnten<br />
Eiland, auf dem sich vor<br />
50 Jahren Tom Neale aussetzen<br />
ließ, um seinen Traum an der<br />
Realität zu messen. Über Wallis<br />
segelten wir nach Fidji in die<br />
„Für alles Schöne im Leben hast du im<br />
Voraus bezahlt“<br />
von Yachten kaum besuchte<br />
Lau Gruppe. Bereits Ende<br />
Oktober läutete Xavier die<br />
Hurrikansaison ein, und wir<br />
vertschüssten uns nach Neuseeland.<br />
Man soll <strong>den</strong> Zyklonen<br />
nicht auf der Nase herumtanzen.<br />
1.200 Seemeilen in nur sieben<br />
Tagen auf Halbwindkurs:<br />
Ständig überspültes Deck, tropfende<br />
Luken, Waschmaschine<br />
mit Schleudergang. Vollgas.<br />
Aber es lohnte sich, <strong>den</strong>n kaum<br />
in Opua angekommen, zog<br />
Sturm auf. Geschwindigkeit<br />
kann auch für Sicherheit stehen.<br />
Die meisten Fahrtensegler<br />
streichen in Neuseeland für ein<br />
halbes Jahr die Segel. Für uns<br />
begann hier ein neues Abenteuer.<br />
Wir wollten runter in <strong>den</strong><br />
„Southern Ocean“, bis nach Stewart<br />
Island, Antipode zu Österreich.<br />
Wollten einen Rundblick<br />
über das Meer werfen und wissen:<br />
Da geht es nach Hause.<br />
Und da auch. Im windzerzausten<br />
Port Pegasus, auf 47 Grad
Festmahl. Frisch auf<br />
<strong>den</strong> Tisch kam der von Wolf<br />
gefangene Tunfisch, zubereitet<br />
wurde er im Backrohr.<br />
Was überblieb, kochte Doris<br />
ein. Eingelegter Fisch war<br />
willkommene Abwechslung<br />
auf langen Überfahrten<br />
Süd, fan<strong>den</strong> wir uns am anderen<br />
Ende der Welt wieder.<br />
Hätten wir hier eine riesige<br />
Stricknadel durch <strong>den</strong> Globus<br />
gestochen, wäre ihre Spitze in<br />
Österreich erschienen.<br />
im HinteRHof deR SüdSee.<br />
Weiter weg geht nicht, zwangsläufig<br />
befan<strong>den</strong> wir uns also<br />
von nun an auf dem Heimweg.<br />
Ein Gedanke, der uns gar nicht<br />
gefiel. So schenkten wir uns ein<br />
weiteres Jahr in der Südsee,<br />
nicht im erschlossenen Teil<br />
zwischen Tahiti und Fidji,<br />
sondern quasi in der Wildnis,<br />
Lichtjahre vom Lifestyle Bora<br />
Boras entfernt. Im Juli 2007<br />
setzten wir Segel Richtung Melanesien<br />
und Mikronesien, eine<br />
Kette von Archipelen im Westpazifik.<br />
Tikopia, Nanumea, Ailuk,<br />
Nukuoro, Kapingamarangi,<br />
Kitava – klingende, kaum bekannte<br />
Namen in einem ozeanischen<br />
Kosmos, weit abseits<br />
gängiger Fahrtenseglerrouten.<br />
Denn hier lässt sich kein gemütlicher<br />
Urlaubstörn segeln.<br />
Tagelang mühte sich Nomad<br />
hart am Wind durch Konvergenzzonen<br />
und stürmischen<br />
Passat, an Land lauerten Myria<strong>den</strong><br />
von Moskitos und Fliegen<br />
auf. Jeder kleine Schnitt wucherte<br />
zum Tropengeschwür, in<br />
brütender Hitze geriet jegliche<br />
Aktivität zu ungeheurer Anstrengung.<br />
Wir trafen auf<br />
Kulturen fern der Neuzeit,<br />
archaisch, voller Tabus und<br />
rätselhafter Rituale. Manchmal<br />
fühlten wir uns wie Außerirdische.<br />
In Tikopia robbten wir<br />
auf allen Vieren in die Hütte<br />
des Häuptlings und krochen<br />
nach gewährter Audienz rückwärts<br />
wieder hinaus. Dem<br />
Chief das Hinterteil zu zeigen,<br />
wäre ein grober Fauxpas gewesen<br />
… In <strong>den</strong> Marshall Inseln<br />
durfte ich nur lange Sackkleider<br />
tragen, <strong>den</strong>n weibliche Knie<br />
und Oberschenkel sind einzig<br />
und alleine dazu da, <strong>den</strong> Männern<br />
<strong>den</strong> Kopf zu verdrehen.<br />
Außerdem kein Landgang mit<br />
nassen Haaren, das würde<br />
auf soeben ausgeübten Sex<br />
schließen lassen. In Kitava verschenkten<br />
die Menschen ihre<br />
gesamte YamsErnte, um ihrerseits<br />
von anderen beschenkt zu<br />
wer<strong>den</strong>. Gaben verpflichten,<br />
Schenken verbindet. Schnell<br />
wur<strong>den</strong> wir Teil dieser archaiischen<br />
Schenkkultur. Die<br />
Insulaner brachten Yams, Süßkartoffeln,<br />
Papayas und Schnitzereien<br />
im Kanu zu uns an<br />
Bord. Wir gaben Reis, Zucker,<br />
Kleidung und Angelzeug zurück.<br />
Elf Monate verbrachten<br />
wir in <strong>den</strong> Hinterhöfen der<br />
Südsee, lebten außerhalb unse<br />
rer Zeit. Wir vermissten nichts,<br />
weder Telefon, Fernseher, Internet<br />
oder Supermarkt. Die Insulaner<br />
lehrten uns Genügsamkeit:<br />
Weniger, statt immer mehr.<br />
Ständiger Begleiter war unser<br />
Unbehagen vor der Rückkehr<br />
in die Zivilisation. Und<br />
ein Gefühl von Zerrissenheit.<br />
Als ob uns das Wandern zwischen<br />
<strong>den</strong> Welten daran hindern<br />
würde, uns irgendwo heimisch<br />
zu fühlen. In Darwin,<br />
Australien, erwachten wir<br />
endgültig aus der pazifischen<br />
Traumzeit, außerdem stand ein<br />
längerer Werftaufenthalt am<br />
Programm. Wir rüsteten Nomad<br />
für <strong>den</strong> letzten Teil der<br />
Reise und gaben in einem Monat<br />
mehr Geld aus, als im ganzen<br />
Jahr davor. Unter sengender<br />
Sonne schraubten, flexten,<br />
schweißten, pinselten und werkelten<br />
wir Woche um Woche.<br />
indik und atlantik. Am 20.<br />
August 2008 verließen wir <strong>den</strong><br />
roten Kontinent und zogen hinaus<br />
in <strong>den</strong> Indik. Ab jetzt ging<br />
Weite Reise<br />
auf einen Blick. Die zweite <strong>Weltumsegelung</strong> der Seenoma<strong>den</strong><br />
in Zahlen und Fakten<br />
Herbst 2000: Kauf einer 12 Jahre alten Sonate Ovni 41, ein aus gemustertes<br />
Charterschiff aus Aluminium<br />
2001: Generalsanierung des Bootes und Ausrüstung für<br />
Langfahrt<br />
Jänner 2002: Start zur zweiten <strong>Weltumsegelung</strong> in Izola, Slowenien<br />
2002: Mittelmeer, Gibraltar – Kanaren – Kap Verde Inseln<br />
November 2002: Atlantiküberquerung von Santiago, Kap Verde nach Rio<br />
de Janeiro, Brasilien; 2.663 Seemeilen in 20 Tagen<br />
2003: Rund Südamerika (Brasilien, Uruguay, Argentinien, Chile),<br />
inklusive Kap Hoorn<br />
2004–2006: Pazifik via Osterinsel, Französisch Polynesien, Tuamotus,<br />
Cook Inseln, Fidji, Marquesas etc. Dazwischen zweimal<br />
6 Monate in Österreich (Vortragstournee)<br />
2007: Neuseeland bis zur Südspitze Stewart Island<br />
2007–2008: Westpazifik, Südsee: Vanuatu, Salomonen, Tuvalu, Kiribati,<br />
Marshall Inseln, Mikronesien, Papua Neuguinea<br />
2008: durch die Torres Straße nach Darwin, Australien, 6.750<br />
Seemeilen quer Indischer Ozean: Christmas Island,<br />
Chagos, Mauritius, Réunion; Südafrika, Richards Bay<br />
2009: Südafrika, Kap Agulhas, Kap der Guten Hoffnung, Atlantik,<br />
Mittelmeer; 7.500 Seemeilen ab Kapstadt via St. Helena,<br />
Kap Verde, Azoren nach Südspanien<br />
Oktober 2009: Ankunft in Izola; seit Dezember liegt Nomad in der Marina<br />
Sant´Andrea (San Giorgio di Nogaro, Italien) an Land<br />
fazit: 65.000 Seemeilen, 30 Länder, 24 Zeitzonen, 7 Jahre und 9 Monate<br />
3/2010 yachtrevue 19
<strong>Weltumsegelung</strong><br />
seenoma<strong>den</strong><br />
es mit Riesenschritten heimwärts.<br />
7.000 Seemeilen bis Südafrika,<br />
dazwischen Trittsteine<br />
wie Ashmore Reef, Christmas<br />
Island, Cocos Keeling. Eine tropische<br />
Depression, die uns bereits<br />
auf der Fahrt nach Chagos<br />
im Nacken saß, entwickelte sich<br />
zu Asma, dem ersten tropischen<br />
Zyklon der Saison. So<br />
mutierte das unbewohnte Atoll<br />
unserer Träume zum Albtraum.<br />
Auflandiger Starkwind verlangte<br />
kurz nach der Ankunft An<br />
20 yachtrevue 3/2010<br />
kerplatzwechsel. Bei peitschendem<br />
Regen und miserabler<br />
Sicht tasteten wir uns wie über<br />
ein Minenfeld durch die riffgespickte<br />
Lagune. Nach zwei Tagen<br />
zog Asma ab und wir konnten<br />
endlich an Land. Dort der<br />
nächste Schock. K.O. durch Kokosnuss,<br />
die Wolf aus drei Metern<br />
Höhe am Kopf traf. Zum<br />
ersten Mal verfluchte ich die<br />
Tatsache, völlig einsam, ohne<br />
Arzt, Spital oder sonstige Hilfe<br />
zu sein. Gott sei Dank kam<br />
„Wir trafen auf rätselhafte Kulturen fern<br />
der Neuzeit“<br />
mein Skipper mit Platzwunde,<br />
Beule und lädiertem Genick<br />
glimpflich davon. Wie zerbrechlich<br />
unser Glück doch ist.<br />
Planänderung. Wegen der<br />
frühen Wirbelsturmaktivität<br />
segelten wir statt über Nord<br />
Madagaskar und <strong>den</strong> MozambikKanal<br />
die südlichere Route<br />
über Mauritius und Réunion<br />
und erreichten zum Nikolo<br />
2008 Südafrika. Neuer Kontinent,<br />
neues Land, neues Abenteuer.<br />
Wie immer nach langen<br />
Seestrecken freuten wir uns auf<br />
festen Bo<strong>den</strong> unter <strong>den</strong> Füßen.<br />
Safari im Wildreservat, Trekkingtour<br />
durch die Drakensberge,<br />
Klettern am Tafelberg.<br />
Dazwischen anspruchsvolles<br />
Küstensegeln <strong>bei</strong> sonniger Flaute<br />
oder eisigem Sturm. Überfüllte,<br />
von Schwell geplagte Häfen,<br />
Starkwind am Kap Agulhas,<br />
dem südlichsten Zipfel Afrikas<br />
und Flaute am Kap der Guten<br />
Hoffnung. Nach Kap Hoorn<br />
vor sechs Jahren auch diese
Fremde Welten<br />
Die Seenoma<strong>den</strong> suchten<br />
stets <strong>den</strong> Kontakt zu <strong>den</strong><br />
Einheimischen, nahmen an<br />
Festen und Ritualen teil.<br />
Auf Tikopia durfte Wolf <strong>den</strong><br />
Häuptling rasieren – eine<br />
große Ehre, vor allem für<br />
einen Weißen<br />
Hürde geschafft. Hatten wir<br />
jetzt Mount Everest und K2 des<br />
Segelns bezwungen? Hinkender<br />
Vergleich. Die <strong>bei</strong><strong>den</strong> Bergriesen<br />
sind immer gleich hoch,<br />
während man die Kaps in Tagestörns<br />
umschippern kann, ohne<br />
je gefährliches Wetter erlebt zu<br />
haben. Die immer genaueren<br />
Wetterberichte über Funk, Fax<br />
und Internet machen es möglich.<br />
Bei jedem Landgang gingen<br />
wir auf die Pirsch nach Internetcafés,<br />
um die aktuellsten<br />
WetterWebseiten zu durchforsten.<br />
Auf Nomad sind wir<br />
immer noch unplugged, kein<br />
Satellitentelefon und EMail an<br />
Bord. Wir genießen es, auf See<br />
nicht erreichbar zu sein, <strong>den</strong><br />
Kontakt zum Rest der Welt zu<br />
verlieren.<br />
Atlantik, letzter Ozeangigant<br />
dieser Reise. Anfang April 2009<br />
rauer Start von Kapstadt mit<br />
Kurs auf St. Helena. Keine Ahnung,<br />
wann ich das letzte Mal<br />
so fürchterlich unter der Seekrankheit<br />
litt, vielleicht <strong>bei</strong><br />
meiner Jungfernfahrt vor 20<br />
Jahren. Dafür purzelten die<br />
Meilen – nur elf Tage zu Napoleons<br />
Exilinsel. In der James<br />
Bay schaukelte Nomad wilder<br />
als draußen auf See. Wie Tarzan<br />
und Jane schwangen wir uns<br />
<strong>bei</strong>m Anlan<strong>den</strong> auf Haltetauen<br />
vom Beiboot auf <strong>den</strong> Kai. 700<br />
Meilen weiter hatte uns der<br />
Schwell des Südatlantiks immer<br />
noch im Griff. Ascension, dieses<br />
ins Meer gefallene Stückchen<br />
Mond, wies uns ab. Meterhohe<br />
Brandung erstickte je<strong>den</strong><br />
Gedanken an Landgang im<br />
Keim. Also weiter. Schwächelnder<br />
Passat ließ uns viel zu früh<br />
in die windstille Zone gleiten.<br />
Meter für Meter quälten wir<br />
uns eine Woche lang mit flappen<strong>den</strong><br />
Segeln Richtung Äquator.<br />
„Wenn das so weiter geht,<br />
brauchen wir noch fünf Wochen<br />
zu <strong>den</strong> Kap Ver<strong>den</strong>!“ kalkulierte<br />
Wolf und schmiss entnervt<br />
die Maschine an. Nach<br />
zwei Stun<strong>den</strong> setzte sich die<br />
Vernunft durch. Der Ozean war<br />
zu groß für unseren Dieseltank.<br />
Nach 25 Tagen erreichten wir<br />
endlich die Insel Santiago; mit<br />
zerrissenem Großsegel und<br />
kaputtem Getriebe.<br />
deR Sack iSt Zu. Genau vor<br />
dieser Insel kreuzten wir unsere<br />
Kurslinie von 2002 und hatten<br />
somit zum zweiten Mal die<br />
Welt umsegelt. Die Zeit wie<br />
ausgelöscht, als wären wir erst<br />
gestern gestartet. Ein Blick in<br />
<strong>den</strong> Spiegel: Die Reise ist nicht<br />
spurlos an uns vorüber gegangen.<br />
Meine ersten graue Haare,<br />
ein Spinnennetz von Falten in<br />
unseren Gesichtern. Zeugen<br />
demnächst in diesem theater<br />
nachbereitung. Buch und Multivisionsschau zur zweiten<br />
<strong>Weltumsegelung</strong> der Seenoma<strong>den</strong> sind in Ar<strong>bei</strong>t<br />
Nein, sie liegen nicht auf der faulen Haut: Doris Renoldner und Wolf Slanec<br />
sind vielmehr schwer beschäftigt, schreiben sie doch derzeit an ihrem<br />
ers ten Buch, das im Herbst 2010 erscheinen soll. Parallel dazu stellen sie<br />
eine neue Multivisionsschau zusammen, mit der sie ebenfalls ab Herbst auf<br />
Tour gehen wollen.<br />
Bis dahin zeigen sie ihre <strong>bei</strong><strong>den</strong> bereits legendären Vorträge: „Seenoma<strong>den</strong><br />
– 8 Jahre um die Welt“ <strong>bei</strong> der Tullner Messe sowie am 19. 3. ab 19.30<br />
Uhr im Grazer Heimatsaal, und „Seenoma<strong>den</strong> – Um Kap Hoorn in die Südsee“<br />
am 13. 3. ab 19 Uhr in Edlitz (Gasthof zum Grünen Baum).<br />
Weitere Infos auf der neu gestalteten Homepage www.seenoma<strong>den</strong>.at<br />
peitschender Stürme und erbarmungsloser<br />
Sonne. Spuren<br />
von Angst und Freude, von<br />
Staunen und Begreifen.<br />
Die <strong>Weltumsegelung</strong> war<br />
damit komplett, doch die Reise<br />
noch lange nicht zu Ende. 1.500<br />
Meilen bis zu <strong>den</strong> Azoren. Und<br />
über 4.000 Meilen bis Izola.<br />
Zwei Tage später in Tarrafal der<br />
große Dämpfer. Mitten in der<br />
Nacht kamen Banditen an Bord.<br />
Computer, Bargeld, Kleidung,<br />
Schuhe weg. Zum Glück<br />
schreckten wir erst auf, als die<br />
Diebe mit der Beute abzogen.<br />
Geschockt lichteten wir <strong>den</strong><br />
Anker; hier wollten wir nicht<br />
mehr bleiben.<br />
Die nächste Etappe hart am<br />
Wind gegen <strong>den</strong> NordostPassat<br />
brachte uns an <strong>den</strong> Rand der Erschöpfung.<br />
Die kräftezehren<strong>den</strong><br />
Dreistun<strong>den</strong>wachen der letzten<br />
Monate steckten uns in <strong>den</strong><br />
Knochen. Oft musste ich <strong>bei</strong>m<br />
Wachwechsel Wolfs Namen fünf<br />
Mal rufen, bis meine Stimme in<br />
sein betäubtes Bewusstsein<br />
drang und er in der Lage war<br />
aufzustehen. Müdigkeit, Müdigkeit,<br />
Müdigkeit. Manchmal<br />
wie Folter. Das Bordleben beschränkte<br />
sich auf das Allernotwendigste.<br />
Essen und Schlafen.<br />
Selbst Pinkeln in <strong>den</strong> „Cockpit<br />
Klokübel“ war beschwerlich, die<br />
Toilette im Vorschiff blieb überhaupt<br />
unbenützt.<br />
Dann die Hafenmauer von<br />
Horta im Morgendunst, ein<br />
magischer Moment. Unversehrt<br />
in Europa angekommen zu sein,<br />
verschaffte uns eine tiefe Befriedigung.<br />
„Für alles Schöne im<br />
Leben hast du im Voraus bezahlt“,<br />
sagte Wolf leise und<br />
drückte mich fest an sich.<br />
Das Mittelmeer war in Sachen<br />
Segeln ein Flop. Die meiste<br />
Zeit Flaute oder Gegenwind;<br />
aber was soll’s. Am 9. Oktober<br />
2009 schloss sich der Kreis in<br />
Izola, dort, wo dieses Abenteuer<br />
begonnen hatte. Zum zweiten<br />
Mal hatten wir <strong>den</strong> Globus umrundet,<br />
das machte uns demütig<br />
und dankbar. In unsere Aufregung<br />
und Freude mischte<br />
sich aber auch Furcht. Vor der<br />
Heimkehr, vor <strong>den</strong> Umstellungen,<br />
die das Leben an Land mit<br />
sich bringen würde. In Izola<br />
von Bord zu gehen, fiel uns<br />
unglaublich schwer. Wir hatten<br />
das Gefühl, uns gegen <strong>den</strong><br />
natürlichen Lauf der Dinge<br />
zu stemmen.<br />
*<br />
Im Moment leben wir in einer<br />
kleinen Wohnung in Puchberg<br />
am Schneeberg, schreiben unser<br />
Buch, bereiten eine neue<br />
Multivisionsschau vor. Manchmal<br />
träume ich, dass Wolf mich<br />
fragt, ob wir wieder lossegeln<br />
wollen. Ich wäre leicht zu überre<strong>den</strong>.<br />
Ich weiß, er wird irgendwann<br />
fragen. Vielleicht in zwei,<br />
drei Jahren. Vielleicht morgen,<br />
gleich nach dem Frühstück … n<br />
3/2010 yachtrevue 21