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Nachrichten von der kleineren Hälfte - Stiftung Märtplatz

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B-Post<br />

<strong>Nachrichten</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>kleineren</strong> <strong>Hälfte</strong><br />

2007/9


In einem wun<strong>der</strong>schönen Land lebte einst in einem wun<strong>der</strong>schönen Schloss eine wun<strong>der</strong>schöne<br />

Prinzessin. Sie war so schön, dass sich die Sonne selber, die doch schon so<br />

vieles gesehen hatte, darüber verwun<strong>der</strong>te, so oft sie ihr ins Gesicht schien. Eines Tages<br />

fiel <strong>der</strong> Prinzessin ihr Lieblingsspielzeug, ein goldenes Windrädchen, in den Brunnen im<br />

Schlosspark. Sie begann bitterlich zu weinen, als es plötzlich grässlich schnaubte und<br />

schnorchelte. Vor ihr sass eine hässliche Kröte und sagte: «Ich hole dir dein Windrädchen<br />

wie<strong>der</strong> herauf, aber ich will einen Kuss <strong>von</strong> dir.» Da küsste die Prinzessin, die zu<br />

allem bereit war, das schauerliche Wesen, und die Kröte verschwand im Wasser. Plötzlich<br />

krachte und rumpelte es überall rund um sie herum, und bald stand an <strong>der</strong> Stelle<br />

des Schlosses ein riesengrosses Atomkraftwerk mit fünf Reaktoren und fünf Kühltürmen.<br />

Am Eingang stand die wi<strong>der</strong>liche<br />

Kröte und sprach: «Da hast du dein Windrädchen<br />

wie<strong>der</strong>.»<br />

Unterdrückte Min<strong>der</strong>heiten i:<br />

<strong>der</strong> Alleinsitzer<br />

Finde ich im Tram o<strong>der</strong> im Bus zwei leere Sitze nebeneinan<strong>der</strong>, setze ich<br />

mich grundsätzlich nicht ans Fenster, son<strong>der</strong>n auf die Gangseite. So<br />

besteht am ehesten die Möglichkeit, dass <strong>der</strong> Platz neben mir leer bleibt.<br />

An<strong>der</strong>e sollen meinetwegen halt stehen, aber ich will doch keine Tuchfühlung<br />

mit Fremden. Ich hab meine Ruhe verdient und will sie auch<br />

haben.<br />

Und da kommt so ein frem<strong>der</strong> Fötzel und fragt, ob <strong>der</strong><br />

Platz neben mir noch frei sei. Ausgerechnet mich fragt<br />

er das. Wo doch an<strong>der</strong>e ebenfalls auf <strong>der</strong> Gangseite<br />

sitzen. Was kann ich dafür, dass ich an<strong>der</strong>e Leute<br />

nicht leiden mag?<br />

Tja, liebe Leute, so geht es, wenn man die<br />

Zeichen vergangener Zeiten nicht richtig<br />

deutet.<br />

Mahnend<br />

Ihre Min<strong>der</strong> Heidi


Warum nicht wie<strong>der</strong> einmal einen kleinen Spaziergang im Zürcher Nie<strong>der</strong>dorf<br />

machen, dort irgendwo, zum Beispiel in einem tiefen Keller, beim Gedanken an<br />

Eisbären ein kühles Bier trinken, dann gemütlich zum Bahnhof schlen<strong>der</strong>n, den<br />

Zug nach Bern nehmen, im Speisewagen ein Zweierli Aigle les Murailles genies-<br />

sen, um schliesslich in <strong>der</strong> Bundesstadt an <strong>der</strong> Neubrückstrasse 70 bei einem Dreierli Montepulciano d’Abruzzo<br />

einen Teller Caramelle zu essen? Auf dem Heimweg im Zug könnten Sie die auf dem Sitzplatz gegenüber liegen<br />

gebliebene Kulturzeitschrift durchblättern und vielleicht bei einem Beitrag über den Menschenrechtler Bruno<br />

inhAlt 007/9<br />

1 Titelbild<br />

<strong>von</strong> Lana Prijic<br />

3 Editorial<br />

<strong>von</strong> Jürg Bingler<br />

4 Castel Pergine: Gastfreundschaft vom<br />

Allerfeinsten<br />

<strong>von</strong> Jürg Jegge<br />

7 Seite <strong>der</strong> Fotografen<br />

8 Das Berner Restaurant «La Rotonda»:<br />

Multikulti wie aus dem Rezeptbüchlein<br />

<strong>von</strong> Jürg Bingler<br />

12 Menschenrechtler Bruno Manser:<br />

Verschollen im Dschungel<br />

<strong>von</strong> Alexan<strong>der</strong> Debrunner<br />

15 Seite <strong>der</strong> Fotografen<br />

16 Die Geschichte vom Eisbären, vom Bier<br />

und einer Standing Ovation<br />

<strong>von</strong> Jim Sailer<br />

18 Ein Film über den schmalen Grat zwischen<br />

Wahnsinn und Normalität<br />

<strong>von</strong> Andrea Casalini<br />

20 Eric Chapin über Schizophrenie und das<br />

Windhorse-Projekt<br />

<strong>von</strong> Andrea Casalini<br />

24 Pitter-Fax<br />

<strong>von</strong> Klaus Pitter<br />

Manser hängen bleiben. Und in Zürich im Tram kämen<br />

Sie dann endlich auch dazu, die mitgenommene Zei-<br />

tung zu lesen und würden dort auf eine Schwärmerei<br />

über ein stimmungsvolles, kleines Hotel in Pergine in<br />

Oberitalien stossen. Und, wäre das was? Sie könnten<br />

natürlich auch ganz einfach die B-Post, die Sie hier<br />

vor sich haben, durchblättern und lesen. Denn da<br />

steht noch Einiges mehr über Eisbären, Bier, Cara-<br />

melle, Manser und Pergine. Eine Frage drängt sich da<br />

schon auf: Sollen wir – Jürg Jegge in Sachen Castel<br />

Pergine (Seite 4) und ich im Fall La Rotonda (Seite 8)<br />

– das wirklich tun? Sollen wir wirklich zwei Orte, die<br />

uns lieb sind, einer weiteren Öffentlichkeit preisge-<br />

ben? Sollen wir uns schlicht und einfach den Ast<br />

absägen, auf dem wir so gern sitzen? Sollen wir das<br />

Risiko eingehen, uns eines Tages <strong>von</strong> Dernier-Cri-<br />

Schnösels und Schickimickis verdrängen zu lassen,<br />

nur weil es gerade in ist, in einem Einsternhotel zu<br />

wohnen o<strong>der</strong> Caramelle zu essen? Ich denke wir dür-<br />

fen, denn, so wie wir die beiden Häuser und ihre<br />

Patrons kennen, wird das nie geschehen, weil sie es<br />

auch nicht wollen.<br />

editoriAl<br />

Jürg Bingler<br />

B-POST 2007/9, 13:27 Uhr, Seite /


cAstel PerGine:<br />

GAstfreUndschAft voM Allerfeinsten<br />

Von Jürg Jegge Verena Schnei<strong>der</strong> war die erste Geschäftsleiterin, ihr Mann Theo <strong>der</strong> erste <strong>Stiftung</strong>srats-<br />

präsident <strong>der</strong> Ausbildungsstätte <strong>Märtplatz</strong>, den <strong>der</strong> Autor vor 22 Jahren im Zürcher Unterland gegründet hat.<br />

Seit rund 15 Jahren führen sie das Schlosshotel in Pergine.<br />

Ein Einstern-Hotel? Aber was für eines! Majestätisch<br />

thront das mittelalterliche Schloss auf<br />

dem Felsen über dem Städtlein Pergine in Oberitalien,<br />

ein paar Kilometer <strong>von</strong> Trento. Man<br />

kann sich gut vorstellen, wie sich die Leute seinerzeit<br />

fürchteten, dort hinaufzupilgern. Auch<br />

die Eingangshalle hat <strong>von</strong> <strong>der</strong> Architektur her<br />

etwas Abschreckendes, ausserdem kommt<br />

man beim Hinaufsteigen am Gefängnis vorbei.<br />

Aber oben erwartet einen Gastfreundschaft<br />

vom Allerfeinsten.<br />

Sicher: Die Zimmer sind einfach ausgestattet.<br />

Wer in die Ferien fährt, um fernsehen zu können,<br />

ist hier fehl am Platz. Auch eine Minibar fehlt.<br />

Den Wellnessbereich sucht man ebenfalls vergebens,<br />

ebensowenig ist man hier willens, dem<br />

Gast die Knautschzonen zu walken. Wer zu<br />

Fuss heraufgekommen ist, schwitzt sowieso<br />

schon, also kann man sich die Sauna auch<br />

gleich sparen. Aber: Wo findet man liebevoll<br />

erhaltenes neugotisches Mobiliar? Wo Matratzen,<br />

auf denen man schläft wie in Abrahams<br />

Schoss?<br />

Brot, keine Watte!<br />

Wo wird einem zum Frühstück Tasse für Tasse<br />

ein Kaffee aus <strong>der</strong> Kolbenmaschine gebracht,<br />

<strong>der</strong> himmelweit über <strong>der</strong> üblicherweise gereichten<br />

gesamteuropäischen Hotelfrühstücksgülle<br />

steht? Und dazu gibts, neben <strong>der</strong> in Italien üblichen<br />

Weissbrotwatte, ein altösterreichisches<br />

Brot, dessen Mehl extra in Österreich gemahlen<br />

und in <strong>der</strong> Nachbarschaft verarbeitet wird.<br />

Dazu einen Käse und einen Schinken, beide<br />

<strong>von</strong> exzellenter Qualität, und die hausgemachten<br />

Konfitüren.<br />

Weiter: Ein liebevoll hergerichtetes und serviertes<br />

Essen im mittelalterlichen Speisesaal. Und<br />

die Weine! Praktisch alles, was im Trentino auf<br />

Flaschen gezogen wird, ist dort zu erschwinglichen<br />

Preisen vorhanden. Und zum Abschluss<br />

des Tages sitzt es sich in <strong>der</strong> gemütlichen Bar<br />

wun<strong>der</strong>bar. Ein Trottel, wer die Minibar im Zimmer<br />

vermisst.<br />

eine grosse Familie<br />

Verena Schnei<strong>der</strong> ist eine hervorragende Gastgeberin,<br />

das ist auf Schritt und Tritt zu spüren.<br />

Das überträgt sich auch aufs Personal. Und ihr<br />

Mann Theo ist ein ebenso hervorragen<strong>der</strong> Architekt,<br />

auch dies ist deutlich zu sehen. Wie<br />

<strong>der</strong> im Schloss Altes und Neues nebeneinan<strong>der</strong><br />

stellt, ohne dass das Neue zu kurz kommt o<strong>der</strong><br />

dem Alten Gewalt angetan wird, das muss ihm<br />

erst jemand nachmachen. Sein bisher tollstes<br />

Stück hat er mit dem Umbau des alten Stalles<br />

auf dem Schlossgelände zum Schnei<strong>der</strong>schen<br />

Wohnhaus geliefert. Seine Handschrift ist auch<br />

spürbar bei den Ausstellungen im und ums<br />

Schloss. Jedes Jahr kommt jemand an<strong>der</strong>er<br />

zum Zuge, sehr berühmte Leute haben dort<br />

ausgestellt. Im grasbewachsenen Schlosshof,<br />

zwischen den wuchtigen Eisenplastiken einer<br />

kleinen, feingliedrigen Künstlerin kann man<br />

wun<strong>der</strong>bar, etwa mit einem Buch, den Tag verknotzen.<br />

Ich kenne Vre und Theo seit etwa 30 Jahren. Er<br />

hat das Waschhäuschen umgebaut, in dem ich<br />

in Rorbas wohne. Die beiden waren Nachbarn<br />

und wurden Freunde. Gemeinsam haben wir<br />

manche gute Stunde erlebt, manches wun<strong>der</strong>bare<br />

<strong>von</strong> Vre zubereitete Essen genossen, manchen<br />

guten Wein getrunken, manches gute<br />

Gespräch geführt. Gemeinsam haben wir auch<br />

den <strong>Märtplatz</strong> aufgebaut. Vre war die erste<br />

Geschäftsleiterin, Theo <strong>der</strong> erste <strong>Stiftung</strong>sratspräsident.<br />

Sie haben Stunden und Stunden für<br />

dieses verrückte Projekt hergegeben, ohne<br />

...weiter gehts auf seite 6<br />

Majestätisch thront<br />

das mittelalterliche<br />

Schloss auf dem<br />

Felsen über dem<br />

Städtlein Pergine in<br />

Oberitalien.


Fotos: Atelier A<br />

B-POST 2007/9, 07:49 Uhr, Seite /


Aus dem Stück<br />

«schWeyk im ZWeiten Weltkrieg»<br />

<strong>von</strong> Bertold Brecht<br />

cAstel PerGine<br />

Fortsetzung <strong>von</strong> Seite 5<br />

auch nur einen Dank zu erwarten. Eins ist<br />

sicher: Ohne die beiden wäre <strong>der</strong> <strong>Märtplatz</strong> nie<br />

entstanden. Es braucht für so etwas eben nicht<br />

nur ungebremste Spinner wie mich, es braucht<br />

auch seriöse Spinner wie die beiden.<br />

Irgendwann freute dann Theo das Häuserbauen<br />

nicht mehr. Er hatte es satt, zusehen zu müssen,<br />

wie seine Ideen <strong>von</strong> den Hausherren zurechtgestutzt,<br />

halbbatzig umgesetzt und anschliessend<br />

halbherzig verteidigt wurden. So ergriffen<br />

sie die Gelegenheit und übernahmen das<br />

Schloss im Trentino als Pächter.<br />

VorBild in Prag<br />

Komm und setz dich, lieber Gast<br />

Setz dich uns zu Tische<br />

Dass du Supp und Krautfleisch hast<br />

O<strong>der</strong> Moldaufische.<br />

Brauchst ein bissel was im Topf<br />

Musst ein Dach habn überm Kopf<br />

Das bist du als Mensch uns wert<br />

Sei geduldet und geehrt<br />

Für nur 80 Heller.<br />

Referenzen brauchst du nicht<br />

Ehre bringt nur Schaden<br />

Hast ein’ Nase im Gesicht<br />

Und wirst schon geladen.<br />

Sollst ein bissel freundlich sein<br />

Witz und Auftrumpf brauchst du kein’<br />

Iss dein’ Käs und trink dein Bier<br />

Und du bist willkommen hier<br />

Und die 80 Heller.<br />

Seither sehe ich die beiden nur mehr selten.<br />

Aber jedesmal, wenn ich in Pergine bin, überkommt<br />

mich das selbe Gefühl: Die ziehen<br />

immer noch am gleichen Strick wie ich. All das,<br />

was mir wichtig ist, das machen die auch. Ob<br />

jetzt jemand den <strong>Märtplatz</strong> leitet o<strong>der</strong> in dieser<br />

Weise ein Hotel, da ist kein Unterschied. Für<br />

beide ist <strong>der</strong> «Krug» in Prag das geistige Vorbild,<br />

wie ihn Brecht besungen hat. In beiden<br />

Fällen geht es darum, dass man mit dem, was<br />

man selber kann und gerne macht, an<strong>der</strong>n<br />

Menschen etwas weitergibt. Das ist ein Vorschuss<br />

auf eine lebenswertere, menschlichere<br />

Welt. Und <strong>der</strong> ist wichtig in einer Zeit, in <strong>der</strong> die<br />

Leute vor allem auf ihre Kapitalien schauen,<br />

und in <strong>der</strong> es infolgedessen auch viele lieblose<br />

Einglie<strong>der</strong>ungsstätten und miserable Hotels<br />

gibt. Auch solche mit mehreren Sternen.<br />

Einmal schaun wir früh hinaus<br />

Obs gut Wetter werde<br />

Und da wurd ein gastlich Haus<br />

Aus <strong>der</strong> Menschenerde.<br />

Je<strong>der</strong> wird als Mensch gsehn<br />

Keinen wird man übergehn<br />

Ham ein Dach gegn Schnee und Wind<br />

Weil wir arg verfroren sind.<br />

Auch mit 80 Heller!<br />

Wo wird einem zum<br />

Frühstück Tasse für<br />

Tasse ein Kaffee aus<br />

<strong>der</strong> Kolbenmaschine<br />

gebracht, <strong>der</strong><br />

himmelweit über<br />

<strong>der</strong> üblicherweise<br />

gereichten<br />

gesamteuropäischen<br />

Hotelfrühstücksgülle<br />

steht?


Foto: Johannes Dietschi<br />

seite <strong>der</strong> fotoGrAfen<br />

B-POST 2007/9, 11:52 Uhr, Seite /7


dAs Berner restAUrAnt<br />

«lA rotondA»:<br />

MUltikUlti wie AUs deM<br />

rezePtBüchlein<br />

Von Jürg Bingler Es gibt hierzulande wohl nicht so viele<br />

Beizen wie diese: Hier sorgen Italiener, Schweizer, Spanier und<br />

Tamilen – insgesamt sieben Menschen – gemeinsam liebevoll<br />

und fürtrefflich für das Wohl ihrer Gäste.<br />

Nachdem <strong>der</strong> Bus <strong>der</strong> Städtischen Verkehrsbetriebe<br />

Bern vor dem Gebäude an <strong>der</strong> Neubrückstrasse<br />

70 angehalten und einen Teil seiner<br />

Passagiere ins Freie entlassen hat, betreten<br />

meistens einige gut gelaunte Gäste «La<br />

Rotonda», das Restaurant <strong>von</strong> Beatrice und<br />

Alessio «Alex» D’Alfonso-Probst. «Üs gfallt’s<br />

hie eifach», «es isch fasch wie dehei, so gmüetlech<br />

und lieb» und «ds Ässe isch o sehr guet,<br />

nid eso höchgstoche wie a angeren Ort» wird<br />

gelobt.<br />

Oberhalb <strong>der</strong> Fensterfront zur Strasse hin hängen<br />

sie: Collaviti, Hänzi, Sermeter, Häberli,<br />

Varela, Yakin, Schwegler, Wölfli, Tiago, Magnin<br />

und wie sie alle heissen. Nicht sie hängen dort,<br />

son<strong>der</strong>n ihre Leibchen mit schwarzer Schrift<br />

auf gelbem Grund. Unverkennbar: Hier sind<br />

die Berner Young Boys zu Hause, nicht aufgeblasen<br />

und laut, eher wie in <strong>der</strong> eigenen Wohnstube.<br />

Hier wird gegessen, diskutiert, gejasst<br />

und hin und wie<strong>der</strong> über eine rote Karte stirngerunzelt.<br />

Pokale und erinnerungen<br />

An den an<strong>der</strong>n Wänden hängen Reklamebil<strong>der</strong><br />

aus <strong>der</strong> Mitte des letzten Jahrhun<strong>der</strong>ts, romantische<br />

Schnülzchen <strong>von</strong> Coca Cola o<strong>der</strong> Moka<br />

Efti, die Beatrice D’Alfonso liebevoll und schelmisch<br />

augenzwinkernd überall gesammelt hat.<br />

An ganz prominenter Stelle aber prangt ein<br />

Aquarell mit dem Kirchlein <strong>von</strong> Lettomanoppello,<br />

dem Geburtsort <strong>von</strong> Alex D’Alfonso.<br />

Über <strong>der</strong> Bar sind neben den Fotos <strong>der</strong> YB-<br />

Schütteler Briefchen und Postkarten angepinnt,<br />

vor allem aber allerhand Porträts <strong>von</strong><br />

Rotonda-Gästekin<strong>der</strong>n. Und über allem thronen<br />

zahlreiche Pokale, welche Alex D’Alfonso<br />

während seiner Fussballaktivzeit gewonnen<br />

hat. Und diese herrlich scheusslichen Dinger<br />

sind auch nur dort, weil Beatrice gesagt hatte:<br />

«Entwe<strong>der</strong> du nimmst sie mit ins Restaurant,<br />

o<strong>der</strong> ich werfe sie weg».<br />

In <strong>der</strong> Rotonda gibt es alles, was das normal<br />

sterbliche, aber dennoch wählerische Gemüt<br />

begehrt, vom dezenten Wein aus Italien, mit<br />

Vorliebe aus den Abruzzen, bis zum echten


König Fussball domi-<br />

niert die Souvenir-<br />

Ecke im Restaurant<br />

«Rotonda».<br />

Espresso mit einem auserlesenen Grappa,<br />

vom kleinen Häppchen als Vorspeise über Pasta,<br />

Pizza, Saltimbocca, Cassata bis hin zur Spezialität<br />

des Hauses, den Caramelle, «Teigwaren-<br />

Bonbons, gefüllt mit Spinat und Ricotta, an<br />

einer Tomaten-, Mascarpone-, Cognacsauce».<br />

Und wer beim Lesen <strong>der</strong> Speisekarte vor lauter<br />

Angeboten zögert, bekommt es schnell mit<br />

Alex zu tun: «Sag, was du willst, kein Problem».<br />

Er fügt noch zwei, drei persönliche Vorschläge<br />

hinzu, und bald steht das Gewünschte vor<br />

dem Gast.<br />

Hin und wie<strong>der</strong> wird aus dem Wirt <strong>der</strong> Künstler<br />

Alex. Dann nämlich holt er ein Jasskartenspiel<br />

hervor und zaubert seinen Gästen bühnenreif<br />

was vor. Er liebt diese Rolle, denn darin ist er<br />

perfekt, und die spitzbübische Freude darüber,<br />

seine Tricks und Geheimnisse auch bei noch<br />

so viel Bittibätti für sich zu behalten, ist ihm<br />

auf den Leib geschrieben.<br />

multikulti Wie selBstVerständlich<br />

Sieben Menschen sind direkt für das Wohl <strong>der</strong><br />

Gäste verantwortlich: Chef Alessio D’Alfonso-<br />

Probst, seine Gattin Beatrice, ihr Sohn Franco,<br />

ausgebildeter Koch und einer <strong>der</strong> unermüdlichen<br />

und vielbeschäftigten DJs <strong>der</strong> Stadt,<br />

<strong>der</strong> Kellner und Vater <strong>von</strong> zwei Kin<strong>der</strong>n José<br />

Baron aus <strong>der</strong> asturischen Stadt Oviedo in<br />

Spanien, <strong>der</strong> Koch und Vater <strong>von</strong> zwei Kin<strong>der</strong>n<br />

Kunasulan Kunasingam aus Sri Lanka sowie<br />

...weiter auf Seite 10<br />

B-POST 2007/9, 15:36 Uhr, Seite /9


dAs Berner restAUrAnt «lA rotondA»: MUltikUlti wie<br />

Fortsetzung <strong>von</strong> Seite 9<br />

<strong>der</strong> Pizzabäcker Kandasamy Krishnan, verheiratet<br />

und Vater eines Kindes, ebenfalls aus Sri<br />

Lanka sowie seine Gemahlin Rajitha. Die<br />

Küche befindet sich im Keller. Wer aber glaubt,<br />

sie sei ein finsteres, stickiges Loch, täuscht<br />

sich: sie ist geräumig, hat Fenster und ist alles<br />

in allem ein guter Arbeitsplatz. Die Bestellungen<br />

<strong>der</strong> Gäste werden auf einen Zettel notiert,<br />

dieser dann mit einem Wäscheklämmerli versehen<br />

und mittels Rohrpost vom Restaurant in<br />

die Küche spediert.<br />

Im Frühling, wenn die Kastanien vor dem Haus<br />

langsam zu neuem Leben erwachen, reckt sich<br />

auch <strong>der</strong> kleine Garten aus dem Winterschlaf<br />

und aus dem Rotonda wird ein lauschiger Treffpunkt<br />

im Grünen.<br />

Vor etwa einem Jahr feierte die Rotonda ihr<br />

zehnjähriges Bestehen. Der Weg bis zu diesem<br />

Anlass war allerdings nicht immer leicht. Alessio<br />

D’Alfonso kam am 17. Februar 1947 als<br />

eines <strong>von</strong> acht Kin<strong>der</strong>n im 4000-Seelen-Dorf<br />

Lettomanoppello in den Abruzzen, rund 20 km<br />

südwestlich <strong>von</strong> Pescara, zur Welt und ging<br />

dort zur Schule bis er 16 Jahre alt war. Dann<br />

verliess er seinen Geburtsort, kam nach Adelboden<br />

in die Ferien und ist seither in <strong>der</strong><br />

Schweiz. Einmal noch musste er zurück nach<br />

Italien, um zwischen 1966 und 1968 während<br />

insgesamt zehn Monaten als Infanteriekanonier<br />

Dienst zu tun. Dabei lernte auch er sein<br />

Heimatland <strong>von</strong> Norden bis Süden kennen.<br />

Das wollte er in jedem Fall machen. Er erinnert<br />

sich, was er sich damals, <strong>der</strong> deutschen Sprache<br />

noch nicht ganz so mächtig, vorgenommen<br />

hatte: «I wott mis Läbe frei ha». Die Gastronomie<br />

war <strong>von</strong> Anfang an die Welt <strong>von</strong> Alex.<br />

Es begann im «Sternen» in Adelboden, dann<br />

ging’s nach Birsfelden bei Basel und wie<strong>der</strong><br />

zurück ins Berner Oberland. In den 70er Jahren<br />

stieg er <strong>von</strong> den Bergen herunter und lebt<br />

seither im Raum Bern. Stationen waren die<br />

«Glocke», das «Café Rudolf» bevor es zur Börgerbude<br />

wurde, ein ehemaliger Coiffeursalon<br />

an <strong>der</strong> Eigerstrasse, «John Valentine» und «La<br />

Trattoria» beim Inselspital. Einmal nur hatte er<br />

genug und war für ein halbes Jahr Verkäufer<br />

auf dem Gemüsegrossmarkt, um dann aber<br />

wie<strong>der</strong> ins «Don Camillo» zurückzukehren, wo<br />

er bis 1990 blieb.<br />

Seine Frau Beatrice kam am 29. Mai 1956 im<br />

oberaargauischen Wiedlisbach zur Welt und<br />

besuchte dort die Schulen. 1972 absolvierte<br />

sie in <strong>der</strong> Nähe <strong>von</strong> Payerne ein Welschlandjahr<br />

und danach im Inselspital eine Lehre als<br />

Spitalgehilfin. Während zehn Jahren war sie<br />

dann in <strong>der</strong> gleichen Abteilung, in <strong>der</strong> Rehabilitation<br />

für Schwerstbehin<strong>der</strong>te tätig. Beim Tanz<br />

im «National» lernte sie 1975 Alex kennen, im<br />

Juli 1982 heirateten sie und am 30. Oktober<br />

1983 kam Sohn Franco zur Welt, <strong>der</strong> heute als<br />

Koch im elterlichen Betrieb arbeitet.<br />

Von <strong>der</strong> «Famiglia siciliana»<br />

ins «rotonda»<br />

1990 übernahmen Alex und Beatrice die «Famiglia<br />

Siciliana» im Länggassquartier, einer zur<br />

gemütlichen Beiz umfunktionierten Tiefgarage.<br />

Ganz Bern liebte diesen Ort, den sie 1996<br />

wegen Differenzen mit <strong>der</strong> Vereinsleitung aufgaben,<br />

um schliesslich schräg vis-à-vis des «Bierhübeli»<br />

die Rotonda aufzumachen.<br />

Eines ist sicher, <strong>der</strong> Liebe Gott griff kriterienlos<br />

in alle Schachteln, als er die Rotonda-Gäste<br />

schuf. Da gibt es den stets etwas geschäftigen<br />

Schlossherrn und Nationalrat aus dem Bündnerland,<br />

den gelegentlich recht vollmundig auftretenden<br />

Versicherungsratgeber und CVP-<br />

Nationalrat, die quirlige Sozialarbeiterin mit<br />

dem gut erzogenen Labrador, den Chefbeam-<br />

Eines ist sicher, <strong>der</strong><br />

Liebe Gott griff kri-<br />

terienlos in alle<br />

Schachteln, als er die<br />

Rotonda-Gäste schuf.


AUs deM rezePtBüchlein<br />

ten aus dem Bundesamt für Kultur, ein wandelndes<br />

Geschichtslexikon, den Politologen<br />

aus dem Bundesamt für Statistik, den Schriftsteller<br />

und Leiter einer Ausbildungsstätte im<br />

Zürcher Unterland, das Berner Ärztepaar, den<br />

älteren immer etwas traurig blickenden In<strong>der</strong>,<br />

den Steuer- und Firmenberater aus dem Quartier<br />

mit seiner Lebensgefährtin, den das Älterwerden<br />

übenden Pensionär Giovanni aus den<br />

Nord-Abruzzen, den kugelrunden, hintergründig<br />

weise lächelnden Filippo aus Kalabrien, die<br />

emmentalische Sprachlehrerin mit italienischer<br />

Vergangenheit und portugiesischen Ambitionen,<br />

den Veteranen mit Haudegenimage aus<br />

dem ehemaligen EMD und daneben unzählige<br />

Menschen wie du und ich. Und allen gefällt es<br />

hier. O<strong>der</strong> wie es ein Journalist und Gast <strong>der</strong><br />

ersten Stunde auf den Punkt brachte: «Wenn<br />

es das Rotonda nicht gäbe, müsste man es<br />

erfinden!»<br />

restaurant la rotonda<br />

Neubrückstrasse 70<br />

3012 Bern<br />

031 301 30 15<br />

Sonntag und Montagabend geschlossen<br />

Vier Stars (v. l.):<br />

Carlos Varela,<br />

Hakan Yakin,<br />

Marco Wölfli und<br />

Alex D’Alfonso<br />

Foto: Johannes Dietschi<br />

Sieben gute Geister (v. l.):<br />

Kandasamy Krishnan,<br />

Franco D’Alfonso,<br />

Rajitha Krishnan,<br />

Beatrice D’Alfonso,<br />

Alex D’Alfonso,<br />

José Baron und<br />

Kunasulan Kunasingam<br />

B-POST 2007/9, 21:09 Uhr, Seite


Menschenrechtler BrUno MAnser:<br />

verschollen iM dschUnGel<br />

Seit dem 23. Mai 2000 gibt es vom Schweizer Regenwaldschützer Bruno Manser kein Lebens-<br />

zeichen mehr und 2006 wurde er für tot erklärt. Alexan<strong>der</strong> Debrunner sprach mit seiner<br />

Schwester Monika Nie<strong>der</strong>berger und Bruno-Manser-Fonds-Mitarbeiter J. Rudolf Dietrich.<br />

Im Frühling 2000 brach Bruno Manser ein weiteres<br />

Mal in den Urwald <strong>von</strong> Sarawak auf. Sein<br />

Ziel: die Penan, eines <strong>der</strong> letzten Urwaldvölker<br />

im Regenwald <strong>von</strong> Borneo. Heute gibt es noch<br />

10’000 Penan, die im malaysischen Bundesstaat<br />

Sarawak leben. Doch wie lange noch?<br />

Bruno Manser ist <strong>von</strong> seiner Reise im Jahre<br />

2000 nicht zurückgekehrt und wurde 2006 für<br />

tot erklärt. Was führte zu seinem Verschwinden?<br />

Alexan<strong>der</strong> Debrunner sprach mit J.<br />

Rudolf Dietrich, Mitarbeiter des Bruno-Manser-Fonds,<br />

und Monika Nie<strong>der</strong>berger <strong>der</strong> jüngeren<br />

Schwester <strong>von</strong> Bruno Manser über das<br />

mysteriöse verschwinden einer Person, die ihr<br />

Leben den Urvölkern dieser Erde widmete.<br />

Alexan<strong>der</strong> Debrunner: Welche Vermutungen<br />

haben sie, was mit Bruno Manser geschehen<br />

ist?<br />

J. Rudolf Dietrich / Monika Nie<strong>der</strong>berger:<br />

Ruedi Suter stellt in seinem Buch «Die Stimme<br />

des Waldes» Vermutungen an, wie es gewesen<br />

sein könnte. Doch wir wissen es nicht. Es<br />

besteht die Möglichkeit, dass Bruno Manser<br />

hinterrücks <strong>von</strong> <strong>der</strong> Armee o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>en Kreisen<br />

überfallen, getötet o<strong>der</strong> verschleppt worden<br />

ist. Bruno Manser war in Malaysia eine<br />

unerwünschte Person. Er hatte viele Freunde<br />

aber auch Feinde, vor allem in <strong>der</strong> Regierung<br />

und in <strong>der</strong> Holzindustrie. Beson<strong>der</strong>s die Regierung<br />

hat er mit seinem Fallschirmabsprung vor<br />

die Residenz <strong>von</strong> Chief Minister Taib Mahmud<br />

gegen sich aufgebracht. Natürlich ist <strong>der</strong> Aufenthalt<br />

im Regenwald nicht ungefährlich, aber<br />

Bruno Manser war ein erfahrener Waldläufer<br />

und hat sich während sechs Jahren im Urwald<br />

sehr gute Kenntnisse angeeignet. Was einen<br />

Unfall natürlich trotzdem nicht ausschliesst,<br />

obwohl we<strong>der</strong> persönliche Gegenstände<br />

gefunden wurden o<strong>der</strong> je ein Lebenszeichen<br />

auszumachen war. Wir wollen uns aber nicht<br />

auf Spekulationen einlassen.<br />

Wäre es möglich, dass Bruno Manser sich in<br />

einem Gefängnis befindet o<strong>der</strong> einfach im<br />

Urwald untergetaucht ist?<br />

Dass er sich im Gefängnis befindet, ist praktisch<br />

ausgeschlossen. Es gibt keinen Grund,<br />

ihn über Jahre in einem Gefängnis einzusperren,<br />

denn das könnte die malaysische Regierung<br />

nicht verantworten. Man hätte Bruno<br />

Manser eher umgebracht, als ihn in einem<br />

Gefängnis festzuhalten, es würde nur Unkos-<br />

ten verursachen und Bruno Manser müsste<br />

ständig <strong>von</strong> <strong>der</strong> Umwelt abgeschottet werden.<br />

Aber dies sind nur Spekulationen, denn wir<br />

wissen nicht wo und weshalb er in einem<br />

Gefängnis sein sollte. Dass Bruno Manser im<br />

Urwald untergetaucht sein könnte, ist sehr<br />

unwahrscheinlich, denn so wahnsinnig viel<br />

Urwald gibt es in Sarawak gar nicht mehr. Die<br />

Penan wüssten das, und es ist sehr unwahrscheinlich,<br />

dass ihn die Penan verstecken würden,<br />

ohne dass wir es wüssten. Auch wenn sie<br />

sich zur Verschwiegenheit verpflichtet hätten,<br />

würde es irgendwann durchsickern. Es gibt<br />

noch die Möglichkeit, dass er sich im Urwald in<br />

Kalimantan (indonesischer Teil <strong>von</strong> Borneo)<br />

aufhält, aber es ist sehr unwahrscheinlich.


Bruno Manser hat sich<br />

ein halbes Leben lang<br />

für ein an<strong>der</strong>es Volk<br />

eingesetzt, laut seinen<br />

eigenen Angaben mit<br />

einem Erfolg <strong>von</strong> unter<br />

zehn Prozent. Das hat<br />

ihn natürlich frustriert<br />

und nachdenklich<br />

gemacht.<br />

Warum sollte er sich dort aufhalten? Wieso<br />

sollte er dies seinen Freunden und vor allem<br />

seiner Freundin zumuten?<br />

Was wäre geschehen, wenn Bruno Manser<br />

nach seiner Reise im Jahre 2000 einfach<br />

zurückgekehrt wäre?<br />

Er hätte in <strong>der</strong> ersten Jahreshälfte 2000 noch<br />

die eine o<strong>der</strong> an<strong>der</strong>e Aktion in Sarawak machen<br />

wollen und hätte uns dies gemeldet. Das ist<br />

jedoch nie passiert, was uns beunruhigte.<br />

Ansonsten hätte er die Aktionen durchgeführt<br />

und wäre höchst wahrscheinlich nach Basel<br />

zurückgekehrt. Dort hätte er vielleicht ganz<br />

normal eine Familie gegründet, diesen Wunsch<br />

hat er jedenfalls einmal geäussert. Bruno Manser<br />

hat sich ein halbes Leben lang für ein an<strong>der</strong>es<br />

Volk eingesetzt, laut seinen eigenen Angaben<br />

mit einem Erfolg <strong>von</strong> unter zehn Prozent.<br />

Das hat ihn natürlich frustriert und nachdenklich<br />

gemacht. Bruno Manser hätte sich wie<strong>der</strong><br />

mehr Zeit für sich genommen, denn die letzten<br />

Jahre waren alles an<strong>der</strong>e als einfach für ihn. Er<br />

hat sich einer Lebensweise untergeordnet, die<br />

ihm eigentlich gar nicht zusagte. Bruno Manser<br />

hätte ein Leben in und mit <strong>der</strong> Natur bevor-<br />

zugt, um all seine Sinne zu stärken. Stattdessen<br />

ist er um die ganze Welt gereist, um auf<br />

das Schicksal <strong>der</strong> Penan und des Regenwaldes<br />

hinzuweisen.<br />

Welche Ziele hatte sich Bruno Manser für die<br />

Zukunft gesetzt und woran arbeitete er vor seinem<br />

Verschwinden?<br />

Die Abholzung des Regenwaldes und <strong>der</strong><br />

Schutz <strong>der</strong> Urbevölkerung waren sicher seine<br />

grössten Sorgen. Schon vor zehn Jahren hat<br />

Bruno Manser ein Reservat für die Penan<br />

gefor<strong>der</strong>t. Dieses Jahr wurde unter an<strong>der</strong>em<br />

mit <strong>der</strong> Hilfe des Schweizer Staatssekretariats<br />

für Wirtschaft, «Seco» (www.tropenwald.ch),<br />

<strong>der</strong> Pulong Tau Nationalpark verwirklicht. Flächenmässig<br />

ist er viel kleiner als <strong>von</strong> Bruno<br />

gefor<strong>der</strong>t, aber es ist zumindest ein Anfang. Er<br />

wollte etwas für die Penan erreichen, sei es in<br />

<strong>der</strong> Form eines Reservates, eines Holzschlagmoratoriums<br />

o<strong>der</strong> <strong>der</strong> Anerkennung <strong>der</strong> Landrechte.<br />

Als Ziel seiner Reisen hat er Aktionen<br />

gesetzt, welche die Aufmerksamkeit auf die<br />

schlechte Lage <strong>der</strong> Penan richten sollten. Ein<br />

an<strong>der</strong>es grosses Anliegen war natürlich die<br />

Deklarationspflicht für Holz und Holzprodukte<br />

in <strong>der</strong> Schweiz. Bruno hat sich 1993 mit einem<br />

60-tägigen Hungerstreik auf dem Bärenplatz in<br />

Bern dafür eingesetzt. Lei<strong>der</strong> haben es die<br />

Schweizer Politiker bis heute nicht geschafft,<br />

diese Deklarationspflicht einzuführen.<br />

Worauf wird <strong>der</strong> Bruno-Manser-Fonds in Zukunft<br />

hinarbeiten?<br />

Es geht uns gut, wir haben mehr Personal denn<br />

je und arbeiten an verschiedenen Projekten:<br />

1. Wir arbeiten an einem Bildarchiv, um die<br />

Tausenden <strong>von</strong> Fotos, die Bruno Manser o<strong>der</strong><br />

Freunde gemacht haben, <strong>der</strong> Öffentlichkeit zugänglich<br />

zu machen.<br />

Bruno manser<br />

Bruno Manser wurde 1954 in Basel geboren und galt als einer <strong>der</strong> unermüdlichsten und glaubwürdigsten<br />

Kämpfer für die Erhaltung <strong>der</strong> weltweit bedrohten tropischen Urwäl<strong>der</strong>. Er engagierte<br />

sich beson<strong>der</strong>s für die Rechte des im Urwald <strong>von</strong> Borneo lebenden Volkes <strong>der</strong> Penan, bei<br />

dem er <strong>von</strong> 1984 bis 1990 lebte. Im März 2005 wurde er vom Zivilgericht Basel-Stadt für verschollen<br />

erklärt. Für sein politisches Engagement wurde Manser mit verschiedenen Preisen<br />

ausgezeichnet, unter an<strong>der</strong>em mit dem Menschenrechtspreis 2001 <strong>der</strong> Schweizer Sektion <strong>der</strong><br />

Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte.<br />

Literatur: Ruedi Suter: Bruno Manser; Die Stimme des Waldes, Zytglogge Verlag, Oberhofen am<br />

Thunersee 2005.<br />

2. Wir kartieren die <strong>von</strong> den verschiedenen<br />

Penan-Gemeinschaften beanspruchten Landgebiete.<br />

Dabei nehmen wir vor Ort die Grenzpunkte<br />

per GPS auf und zeichnen sie auf Karten<br />

ein. Wir halten auch die Standorte <strong>von</strong><br />

Fruchtbäumen o<strong>der</strong> alter Begräbnisstätten<br />

fest. Diese Karten sind notwendig um einen<br />

Schutz <strong>der</strong> Landrechte vor Gericht zu ermöglichen.<br />

Die Landrechte <strong>der</strong> Penan sind zurzeit<br />

nicht anerkannt, da bei einem Volk, das zum<br />

Teil noch als Jäger und Sammler lebt, nicht so<br />

leicht ersichtlich ist wo ihre Nutzungsgebiete<br />

sind. Wenn beispielsweise ein Reisfeld vorhanden<br />

wäre, könnte man behaupten, es sei schon<br />

immer da gewesen und es sei ein Nutzungsgebiet.<br />

Die <strong>von</strong> Ernst Beyeler initiierte «<strong>Stiftung</strong><br />

B-POST 2007/9, 19:48 Uhr, Seite 1<br />

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Dass <strong>der</strong> Regenwald<br />

das grösste Ökosys-<br />

tem <strong>der</strong> Welt ist und<br />

mit <strong>der</strong> Abholzung tau-<br />

sende Lebewesen ver-<br />

schwinden ist traurig.<br />

Kunst für den Tropenwald» hat die Kartierungsprojekte<br />

des Bruno-Manser-Fonds grösstenteils<br />

finanziert (www.artfortropicalforests.org).<br />

Die Fondation Beyeler in Riehen ist eines <strong>der</strong><br />

meistbesuchten Kunstmuseen <strong>der</strong> Schweiz.<br />

3. Der Bruno-Manser-Fonds führt zusammen<br />

mit dem WWF und Greenpeace die Aktion<br />

«www.urwaldfreundlich.ch» durch. Dabei wollen<br />

wir das öffentliche Beschaffungswesen in<br />

den Bereichen Holz und Papier bei Gemeinden,<br />

Kantonen und Bund nachhaltiger gestalten.<br />

Dank «www.urwaldfreundlich.ch» sind bereits<br />

583 Schweizer Gemeinden dabei, kein Holz<br />

aus dem Raubbau zu verwenden und kein<br />

Recyclingpapier einzusetzen. Diese Aktion entwickelt<br />

sich weiter und auch an<strong>der</strong>e Län<strong>der</strong><br />

haben damit angefangen.<br />

4. Im November 2006 eröffnete <strong>der</strong> Bruno-<br />

Manser-Fonds eine Gesundheitsstation für die<br />

Penan in Long Kerong, einem Dorf in Sarawak.<br />

Das Projekt wurde <strong>von</strong> Freunden <strong>von</strong> Bruno<br />

Manser gesponsert, um die Gesundheitsversorgung<br />

<strong>der</strong> Penan zu verbessern. Da <strong>der</strong> Stamm<br />

<strong>von</strong> <strong>der</strong> Regierung als «fremd» betrachtet wird,<br />

unterstützt die Regierung we<strong>der</strong> <strong>der</strong>en Infrastruktur<br />

noch die Gesundheitsfürsorge.<br />

Foto: Johannes Dietschi<br />

Wie geht es den Penan und dem Urwald in<br />

Sarawak heute?<br />

Es geht den Penan und dem Urwald in Sarawak<br />

schlecht. Laut den letzten Meldungen ist<br />

<strong>der</strong> tatsächliche Regenwaldbestand in Malaysia<br />

auf unter zehn Prozent gefallen, es gibt kein<br />

grosses zusammenhängendes Waldgebiet<br />

mehr. Die Holzfirmen dringen in immer weiter<br />

entfernte Gebiete ein, da die Bereiche im Tiefland<br />

bereits nahezu ausgebeutet sind. Das<br />

Abholzen hat nicht nur auf die Penan Auswirkungen,<br />

son<strong>der</strong>n auf unser gesamtes Weltklima.<br />

Dass <strong>der</strong> Regenwald das grösste Ökosystem<br />

<strong>der</strong> Welt ist und mit <strong>der</strong> Abholzung tausende<br />

Lebewesen verschwinden ist traurig.<br />

Auch für die Penan wird das Überleben immer<br />

schwieriger. Es gibt sicher Weltgegenden wo<br />

es den indigenen Völkern noch wesentlich<br />

schlechter geht, solange jedoch die Penan<br />

sich gegen den Holzschlag und gegen die <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Regierung gefor<strong>der</strong>te Entwicklung wehren,<br />

werden sie vernachlässigt und müssen selber<br />

für ihr Wohl schauen. Um nomadisch zu leben<br />

sind ihre Gebiete zu klein, das Wasser ist verschmutzt,<br />

das Wild verjagt, die Frucht- und<br />

Sagopalmen sind gefällt. Dieses Dilemma entzweit<br />

die Penan. Viele Jüngere möchten ihr<br />

Leben verän<strong>der</strong>n und lassen sich in sogenannten<br />

«Longhouses» nie<strong>der</strong>. Diese Langhäuser<br />

sind die traditionellen Sippenhäuser in Indonesien<br />

und Malaysia. Die nomadisch lebenden<br />

Penan lebten bisher nicht in Langhäusern son<strong>der</strong>n<br />

im Tropenwald. Erst seit sie zur Sesshaftigkeit<br />

gezwungen werden, kopieren sie diese.<br />

Nun müssen sie lernen, wie man Reis und<br />

Maniok anbaut. Früher o<strong>der</strong> später wird die<br />

Penan-Kultur nur noch Geschichte sein, die<br />

man in Bruno Mansers Tagebüchern nachlesen<br />

kann.<br />

Hatte die Arbeit <strong>von</strong> Bruno Manser Erfolg o<strong>der</strong><br />

wird noch immer gleich viel Tropenholz abgebaut?<br />

Dank Bruno Manser wurde die Problematik<br />

rund um die Penan und des Regenwaldes<br />

überhaupt bekannt. Bruno Manser hat eine<br />

grosse Öffentlichkeitsarbeit geleistet und die<br />

Leute sensibilisiert, kein Tropenholz mehr zu<br />

verwenden. Anfang <strong>der</strong> 90er Jahre ist es Bruno<br />

Manser gelungen, die Aufmerksamkeit <strong>der</strong><br />

Welt auf das Schicksal <strong>der</strong> Penan und des<br />

Regenwaldes zu richten. Zur Zeit sind Umweltthemen<br />

nicht mehr so aktuell, abgeholzt wird<br />

noch immer jeden Tag. Die «malaysischen»<br />

Holzfällfirmen müssen nun illegal Tropenholz<br />

aus Indonesien, Zentralafrika, im Amazonasgebiet<br />

o<strong>der</strong> in Sibirien beschaffen.


Foto: Lana Prijic<br />

Foto: Luisa Kehl<br />

seite <strong>der</strong> fotoGrAfen<br />

B-POST 2007/9, 10:08 Uhr, Seite 1<br />

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die Geschichte voM eisBären, voM Bier<br />

Und einer stAndinG ovAtion<br />

Altersbereinigt geht es mir eigentlich noch erstaunlich<br />

gut, ich kann noch lesen, schreiben,<br />

telefonieren, autofahren, einkaufen und zappen.<br />

Da flimmert so ein begnadeter Zoologieprofessor<br />

über den Bildschirm. Er raucht Pfeife<br />

und befürchtet, dass die verbleibenden 25’000<br />

Eisbären bald weg sind vom Fenster. Die Eisschollen<br />

werden kleiner und kleiner und die<br />

Nahrung wird entsprechend weniger und weniger.<br />

Also will <strong>der</strong> Professor in <strong>der</strong> roten Windjacke<br />

noch Eisbärenforschung betreiben, solange<br />

es überhaupt noch welche hat.<br />

Mit dem Helikopter jagt man die zu Tode<br />

erschrockenen armen Viecher über die angeblich<br />

zu kleinen Eisschollen, lei<strong>der</strong> muss <strong>der</strong><br />

Schütze mit dem Betäubungsgewehr ganz nah<br />

ran. Der Kameramann ist wahrscheinlich angewiesen,<br />

nur zwei Eisbären zu zeigen, aber vielleicht<br />

ist es ja eine ganze Herde, die <strong>der</strong> Helikopterlärm<br />

da fast zu Tode hetzt. Endlich kann<br />

man den betäubten Eisbären untersuchen und<br />

ihm Chips implantieren, Peilsen<strong>der</strong> anhängen,<br />

DNA nehmen, eventuell ein Medikament gegen<br />

den hohen Cholesterinspiegel geben, Zähne<br />

putzen, ich weiss es nicht.<br />

Warum wird so ein netter Pfeifenraucher zum<br />

Tierquäler, sinniere ich. Und wie viele engagierte<br />

Professoren sind sonst noch mit einem<br />

Helikopter unterwegs? Vielleicht haben die Eisbären<br />

nicht an Gewicht verloren, weil es weniger<br />

Nahrung gibt, son<strong>der</strong>n weil sie alle dauernd<br />

vor den vielen Helikoptern fliehen müssen.<br />

Also, es gibt eigentlich nur eine Erklärung,<br />

diese Forscher wollen Erfolg. Berühmt werden,<br />

angesehen bleiben, Schlappe wie<strong>der</strong>gutmachen<br />

o<strong>der</strong> so.<br />

Und, ich bin beim Zappen gerade in eine Sendung<br />

mit Heimatlie<strong>der</strong>n geraten, hatte ich<br />

eigentlich auch schon einmal einen Erfolg? Die<br />

Frage läuft mir irgendwie nach, und Tage später<br />

taucht unverhofft eine Erinnerung auf.<br />

Vor etwa 30 Jahren gab es den Tiefen Keller im<br />

Zürcher Nie<strong>der</strong>dorf. Viele Alkis und Drögeler<br />

hielten an <strong>der</strong> Theke Maulaffen feil, ein paar<br />

Sozialarbeiter freuten sich schenkelklopfend<br />

über die sauglatten Sprüche <strong>der</strong> Alkis und mit<br />

Ausnahme <strong>der</strong> verblödeten Gassenarbeiter soffen<br />

alle Feldschlösschen, dass es eine Art<br />

hatte. Der Ausschank war lange Jahre gepflegt,<br />

schöner Schaum, richtige Temperatur, frisch<br />

gewaschene Gläser. Bref, es herrschte eine<br />

grosse Freude im Tiefen Keller. Irgendwie ging<br />

es aber langsam bergab mit dem Spunten, <strong>der</strong><br />

Wirt lebte in einer unglücklichen Ehe (Pleonasmus?)<br />

o<strong>der</strong> so irgendwie. Kein Schaum mehr,<br />

nur noch ölige Blasen auf dem warmen Bier,<br />

Gläser mit Lippenstift. Die Vögel an <strong>der</strong> Theke<br />

wurden trauriger und trauriger, es war ein<br />

furchtbares Elend. Gespräche mit dem depressiven<br />

Wirt fruchteten nicht, irgendetwas<br />

musste geschehen. Ich schrieb <strong>der</strong> Brauerei<br />

Feldschlösschen einen langen, ironischen<br />

Brief und <strong>der</strong> aus einem Kurt-Früh-Film entlaufene<br />

Pöstler brachte mir zwei Tage später 12<br />

Büchsen Feldschlösschen, eine Kochschürze,<br />

eine Kochmütze und zwei Flaschenöffner in<br />

mein trostloses möbliertes Zimmer.<br />

Ein fröhlicher Bierdoktor kam durstig angereist,<br />

verbrachte zwei volle Tage im Tiefen Keller. Am<br />

ersten Tag legte er neue Leitungen, den zweiten<br />

Tag verbrachte er mit dem Probieren des<br />

Biers. Und alles war wie<strong>der</strong> gut, wun<strong>der</strong>barer<br />

Schaum, saubere Gläser, genau die richtige<br />

Temperatur, die Vögel an <strong>der</strong> Theke blühten<br />

klar erkennbar wie<strong>der</strong> auf.<br />

Ich hatte natürlich meinen Saufkumpanen in<br />

den nächtelangen Beratungen über die schwindende<br />

Bierqualität gesagt, ich würde vielleicht<br />

den Wirt halt bei <strong>der</strong> Brauerei verzinken müssen,<br />

man könne in so einer ernsten Frage nicht<br />

mehr zimperlich sein. Und als ich eines Abends<br />

in den Spunten stolperte, gröhlte einer, ich<br />

hätte das Bier gerettet, und die an <strong>der</strong> Theke<br />

standen ja schon, aber die sitzenden Gäste<br />

standen spontan auf und prosteten mir zu, liessen<br />

mich dreimal hochleben, Hipp Hipp Hurra,<br />

ein Hund wedelte vor Freude eine Stange des<br />

wie<strong>der</strong> edlen Biers vom Tisch, es war eine Standing<br />

Ovation, wie bei <strong>der</strong> Oscar-Verleihung.<br />

Ich war ganz verlegen. Und hatte wenigsten<br />

während Sekunden ein wenig Verständnis für<br />

Leute, die Erfolg haben möchten.<br />

Jim Sailer<br />

Ein fröhlicher Bier-<br />

doktor kam durstig<br />

angereist, verbrachte<br />

zwei volle Tage im<br />

Tiefen Keller. Am ersten<br />

Tag legte er neue<br />

Leitungen, den zweiten<br />

Tag verbrachte er mit<br />

dem Probieren des<br />

Biers. Und alles war<br />

wie<strong>der</strong> gut.


B-POST 2007/9, 08:59 Uhr, Seite 1<br />

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ein filM üBer den schMAlen GrAt<br />

zwischen wAhnsinn Und norMAlität<br />

Von andrea casalini Der Filmemacher Edgar Hagen befasst sich in seinem neusten Film «Someone Beside<br />

You» mit dem Thema Psychosen. In Italien, Frankreich, den Vereinigten Staaten und <strong>der</strong> Schweiz begleitete er<br />

mit <strong>der</strong> Kamera rund ein Dutzend Menschen, die offen erzählen, was mit ihnen passiert ist. Der Film berührt<br />

und zeigt auf, dass extreme geistige Zustände mehr sind als bloss die Folge einer Krankheit.<br />

«Was immer Wahnsinn auch sein mag, eines ist<br />

er ganz bestimmt: Faszination. Man ist <strong>von</strong> <strong>der</strong><br />

eigenen Person fasziniert und sieht im Wahnsinn<br />

eine Möglichkeit, über sich selbst hinauszugehen.»<br />

(Edward Podvoll)<br />

Edgar Hagen interessierte bei «Someone Beside<br />

You» das allmähliche Erwachen <strong>von</strong> Menschen<br />

nach einem geistigen Zusammenbruch.<br />

Bei seinen Recherchen in <strong>der</strong> Schweiz lernte er<br />

den Zürcher Arzt, Psychiater und Psychotherapeuten<br />

Jakob Litschig kennen, dem aufgrund<br />

eines psychiatrischen Gutachtens 1997 verboten<br />

wurde, eine ärztliche Praxis zu führen.<br />

Litschig engagiert sich bereits seit Jahren für<br />

alternative Ansätze in <strong>der</strong> Psychiatrie. Edgar<br />

Hagen begleitet ihn dabei, wie er mit Klienten<br />

in seinem Wohnmobil Ausflüge in naturbelassene<br />

Gegenden macht. In <strong>der</strong> Eingangsszene<br />

des Films hält das Wohnmobil am Ufer <strong>der</strong><br />

Limmat. Ein sichtlich aufgebrachter Jakob Litschig<br />

steigt aus und beginnt seinen Klienten<br />

Kaspar regelrecht zusammenzustauchen. Was<br />

ihm eigentlich einfalle, aus dem fahrenden Wagen<br />

harmlose Passanten anzupflaumen, fragt<br />

er wütend. In <strong>der</strong> Folge lassen beide die Argumente<br />

des an<strong>der</strong>en nicht mehr gelten. Auf beiden<br />

Seiten wird nur noch geschmollt. Hier<br />

schaltet sich Regisseur Hagen erfolgreich als<br />

Vermittler ein und es wird klar, worauf Litschig<br />

eigentlich hinaus wollte: «Du sollst Verantwortung<br />

für deinen Geist übernehmen, für deine<br />

Art zu denken. Deine Art zu denken ist seit Jahrzehnten<br />

in gewissem Sinne paranoid». Harte<br />

Worte, und Kaspar zeigt sich keineswegs einsichtig.<br />

Doch man spürt, dass er es doch<br />

schätzt, dass Litschig ihn als Person akzeptiert<br />

und wirklich ernst nimmt. Der Psychotherapeut<br />

sagt offen, was er denkt, pocht auf Selbst-<br />

verantwortung, geht nicht professionell auf Distanz<br />

und stellt sich damit nicht über seinen<br />

Klienten. Jakob Litschig liefert so bereits eine<br />

Zusammenfassung dessen, worum es bei den<br />

alternativen Therapieansätzen geht, auf die<br />

Edgar Hagen während <strong>der</strong> Dreharbeiten gestossen<br />

ist.<br />

VorBereitungen gegen die angst<br />

Im Verlauf des Filmes stellen sich Fragen. Doch<br />

einen Off-Kommentar braucht es nicht, denn<br />

die meisten Fragen werden <strong>von</strong> den Protagonisten<br />

jeweils selbst beantwortet. Die einfühlsam<br />

geführte Kamera, die den Menschen oft<br />

sehr nahe kommt, zeugt <strong>von</strong> grossem Vertrauen<br />

zwischen dem Regisseur und den porträtierten<br />

Menschen. In Italien besucht das Filmteam<br />

einen heute 38-jährigen Mann, <strong>der</strong> vor<br />

zehn Jahren mit dem Gewehr seines Schwagers<br />

auf einen Polizeiposten schoss. Edgar<br />

Hagen dazu: «Ich selbst hatte zu Beginn <strong>der</strong><br />

Vorbereitungen grosse Ängste, dass einzelne<br />

Personen während <strong>der</strong> Dreharbeiten durchdrehen<br />

könnten. Ich fragte mich, was geschieht,<br />

wenn tatsächlich jemand irgendwo runterspringt<br />

o<strong>der</strong> in eine Vollpsychose abrutscht<br />

und beginnt, um sich zu schiessen. Die monatelangen<br />

Vorbereitungsarbeiten führten dazu,<br />

dass ich diese Angst ablegen konnte. Genau<br />

diese Angst hält da<strong>von</strong> ab, mit diesen Menschen<br />

in Kontakt zu treten. Insofern thematisiere<br />

ich auch die Überwindung <strong>von</strong> Ängsten.»<br />

unheilBar geisteskrank?<br />

Karen, heute 54-jährig, erlebte bereits mit 21<br />

Jahren die ersten Psychosen und wurde für<br />

drei Jahre in eine psychiatrische Privatklinik in<br />

Edgar Hagen interes-<br />

sierte bei «Someone<br />

Beside You» das<br />

allmähliche Erwa-<br />

chen <strong>von</strong> Menschen<br />

nach einem geistigen<br />

Zusammenbruch.


Kansas interniert. Die Ärzte bescheinigten ihr,<br />

dass sie unheilbar geisteskrank sei. In ihrer<br />

Verzweiflung flüchtete sie aus <strong>der</strong> Klinik und<br />

bezog ein Hotelzimmer im zehnten Stockwerk.<br />

Dort sprang sie aus dem Fenster, landete auf<br />

einem Vordach und überlebte. Wie<strong>der</strong> in <strong>der</strong><br />

Klinik, lernte sie Edward Podvoll (siehe Kästchen<br />

S. 21) kennen, <strong>der</strong> mit ihr vor Ort vier<br />

Monate lang eine intensive Einzeltherapie<br />

machte. Danach richteten sie gemeinsam eine<br />

therapeutische Wohngemeinschaft für Karen<br />

ein, die nach weiteren vier Monaten wie<strong>der</strong> ein<br />

selbstbestimmtes Leben ohne Psychopharmaka<br />

aufnehmen konnte. Dies war zugleich<br />

<strong>der</strong> Anfang des Windhorse-Projektes (siehe<br />

Kästchen S. 20). Edward Podvoll widmete<br />

Karen ein ganzes Kapitel in seinem Buch «Aus<br />

entrückten Welten»*.<br />

dilemma <strong>der</strong> Psychiatrie<br />

Edgar Hagen trifft Edward Podvoll einige Wochen<br />

vor dessen Tod. Es entsteht ein eindrückliches<br />

Portrait eines Mannes, <strong>der</strong> sich fast sein<br />

ganzes Leben lang für einen neuen Umgang<br />

mit psychisch erkrankten Menschen eingesetzt<br />

hat. Medikamente, die im gegenwärtigen<br />

Psychiatriesystem verabreicht werden, um das<br />

Verhalten <strong>der</strong> Patienten unter Kontrolle zu bringen,<br />

lehnt er nicht grundsätzlich ab. Sie seien<br />

durchaus geeignet, etwa die «Intensität» furchterregen<strong>der</strong><br />

Sinnestäuschungen zu verringern.<br />

Sie sollten allerdings langsam wie<strong>der</strong> abgesetzt<br />

werden, sobald die therapeutische Absicht<br />

erreicht sei. Für Edward Podvoll liegen<br />

die Ursachen des heutigen Dilemmas bei <strong>der</strong><br />

Psychiatrie selbst: «Therapie existiert nicht,<br />

das ist lächerlich. Wenn die Beteiligten die<br />

Identitäten <strong>von</strong> ‹Therapeut› und ‹Patient› annehmen,<br />

entsteht eine enorme Kluft. Sobald<br />

man sich über die Rolle des Therapeuten definiert,<br />

verliert man die <strong>Hälfte</strong> seiner Menschlichkeit,<br />

man hat das wichtigste Organ verloren,<br />

um an<strong>der</strong>e Menschen zu verstehen, wahrzunehmen,<br />

zu spüren. Man muss sich hinabbegeben<br />

auf das Niveau des gewöhnlichen<br />

Menschen, <strong>der</strong> man ist, <strong>der</strong> etwas weiss o<strong>der</strong><br />

eben nicht.»<br />

* Edward M. Podvoll: Aus entrückten Welten –<br />

Psychosen verstehen und behandeln; Ariston<br />

Programm im Heinrich Hugendubel Verlag,<br />

München 2004, ISBN: 3-7205-2560-0<br />

Alternative Ansätze<br />

in <strong>der</strong> Psychiatrie:<br />

Therapie im Wohnmobil<br />

Karen konnte nach<br />

acht Monaten wie<strong>der</strong><br />

ein selbstbestimmtes<br />

Leben ohne Psycho-<br />

pharmaka aufnehmen.<br />

Edward Podvoll:<br />

«Sobald man sich über<br />

die Rolle des Thera-<br />

peuten definiert,<br />

verliert man die <strong>Hälfte</strong><br />

seiner Menschlichkeit.»<br />

Fotos: «LookNow!»<br />

B-POST 2007/9, 10:10 Uhr, Seite 1<br />

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eric chAPin üBer schizoPhrenie Und dAs<br />

windhorse-Projekt<br />

Eric Chapin arbeitet als Psychotherapeut im Windhorse-Projekt in Boul<strong>der</strong> / Colorado. Während 13 Jahren war<br />

er in <strong>der</strong> forensischen Psychiatrie in El Paso / Texas, tätig, wo er sich mit unermesslichem, unbewältigtem<br />

Leiden konfrontiert sah. Ein Artikel <strong>von</strong> Edward Podvoll in einer Zeitschrift veranlasste ihn, Mitte <strong>der</strong> 80er Jahre<br />

nach Boul<strong>der</strong> zu reisen und bei Podvoll zu studieren. Inzwischen ist er einer <strong>der</strong> erfahrensten Psychothera-<br />

peuten im Windhorse-Projekt. andrea casalini fasst seine Aussagen zusammen.<br />

«Es geht darum, die sehr individuellen Ursachen<br />

und Bedingungen seiner eigenen Extremzustände<br />

zu begreifen; zu begreifen, wie <strong>der</strong><br />

eigene Verstand funktioniert, wie er sich orientiert.<br />

Wer danach strebt, jemand zu sein, <strong>der</strong> er<br />

nicht ist, leidet, wenn er sein wahres Spiegelbild<br />

sieht. Sind die eigenen Träume zerstört,<br />

hat <strong>der</strong> Verstand die Tendenz, sich über die<br />

schmerzliche Realität hinwegzusetzen. Wenn<br />

das psychische Leiden zu gross wird, entwickelt<br />

man Techniken, seine Macht woan<strong>der</strong>s<br />

zu beziehen und zu entfalten; man flüchtet in<br />

die Fantasie um dort ‹mächtig› zu werden. Von<br />

meinen Klienten höre ich oft, sie würden <strong>von</strong><br />

<strong>der</strong> Mafia o<strong>der</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> Regierung verfolgt. Aus<br />

solchen Ersatzhandlungen beziehen sie Macht.<br />

O<strong>der</strong> Schutz, indem sie, je nach kultureller Prägung,<br />

mit Gott, Buddha o<strong>der</strong> Jesus sprechen.<br />

Es ist wie bei Clark Kent und Superman: Niemand<br />

möchte <strong>der</strong> langweilige Clark Kent sein,<br />

doch das Problem ist, wenn du Superman sein<br />

willst, es aber nicht bist, wirst du <strong>von</strong> <strong>der</strong> Polizei<br />

aufgegriffen.<br />

«ich mag nicht mehr Verrückt sein»<br />

Der Zweifel bewahrt uns alle in jedem Moment<br />

davor, zu flüchten, den festen Boden unter den<br />

Füssen zu verlassen. Wird <strong>der</strong> Schmerz zu<br />

gross, ‹überschreiben› wir den eigenen Zweifel.<br />

Das ist <strong>der</strong> Anfang dessen, was ich unter Schizophrenie<br />

verstehe. In <strong>der</strong> Beziehung mit einem<br />

Klienten geht es immer um die ‹Feineinstellung<br />

des Zweifels›. Und sehr oft spielt Humor dabei<br />

eine wichtige Rolle. Ein Beispiel: Ein Mann mit<br />

dem ich mehrere Monate unterwegs war sagte<br />

immer wie<strong>der</strong>, dass die Mafia und Drogen-<br />

bosse hinter ihm her seien, um ihn umzubringen.<br />

Nach etwa einem Jahr sagte ich zu ihm:<br />

‹Also, wenn die dich umbringen wollen, lassen<br />

die sich aber verdammt lange Zeit dafür.› Ich<br />

akzeptiere die Äusserungen meines Gegenübers<br />

und melde immer wie<strong>der</strong> kleine Zweifel<br />

an, meistens verpackt in Humor. Ich sage also<br />

das Windhorse-ProJekt<br />

Im Windhorse-Projekt baut alles darauf auf, ruhige o<strong>der</strong><br />

gesunde Momente zu erkennen und auszubauen. Die Therapeuten<br />

trainieren dies bei sich selbst, um überhaupt mit Menschen<br />

in geistigen Extremzuständen arbeiten und <strong>der</strong>en<br />

gesunde Anteile ansprechen zu können. Geistige Prozesse<br />

sollen in gemeinsamen alltäglichen Verrichtungen entschleunigt<br />

werden. Eine wichtige Voraussetzung hierfür ist, dass<br />

Therapeuten ihre angstbesetzte Selbstschutzhaltung aufgeben<br />

und sich auf dieselbe Ebene wie ihre Klienten stellen. Im<br />

Idealfall werden hierfür Menschen in geistigen Extremzuständen<br />

in einer Gemeinschaft <strong>von</strong> «Gesunden» integriert. Inzwischen<br />

sind in den USA, in Wien und Zürich neue Windhorse-<br />

Gemeinschaften gegründet worden.<br />

nicht: ‹Du weißt ja nicht worüber du da redest,<br />

diese Stimmen gibt es gar nicht. Ich weiss das,<br />

weil ich <strong>der</strong> Doktor bin.› Es braucht eben eine<br />

enge, oft sehr lange andauernde Beziehung<br />

zwischen Klient und Therapeut. Es geht rauf<br />

und runter, wie<strong>der</strong> in die Klinik, wie<strong>der</strong> um<br />

Medikamente und vielleicht kommt dann <strong>der</strong><br />

Moment, wo die betreffende Person endgültig<br />

genug da<strong>von</strong> hat, wenn er/sie sagt: ‹Ich mag<br />

das nicht mehr, ich mag nicht mehr verrückt<br />

sein, nicht mehr <strong>von</strong> <strong>der</strong> Polizei verhaftet werden!›<br />

Das ist in <strong>der</strong> Regel <strong>der</strong> erste Schritt zur


Eric Chapin: «Ein The-<br />

rapeut muss ‹beide<br />

Seiten des Zauns›<br />

kennen; wer nur auf<br />

die Krankheit fixiert<br />

ist, schafft im Grunde<br />

genommen neue Pro-<br />

bleme.»<br />

Heilung <strong>von</strong> Schizophrenie. Ich habe in den<br />

letzten 20 Jahren sehr viele Menschen erlebt,<br />

die ihre Krankheit komplett überwunden haben.<br />

In den zehn Jahren davor arbeitete ich in den<br />

offiziellen Institutionen. Damals redete niemand<br />

da<strong>von</strong>, dass Schizophrenie geheilt werden<br />

könnte. Es war deprimierend. Man hatte<br />

edWard PodVoll / lama mingyur (1936-2003)<br />

Der Arzt, Psychiater, Psychoanalytiker und buddhistische Lama fasste die Psychose als eine<br />

spirituelle Krise auf, nicht als eine unheilbare Krankheit. Die Begegnung mit dem Tibeter<br />

Chögyam Trungpa Rinpoche in den 70er Jahren und seine Auseinan<strong>der</strong>setzung mit buddhistischer<br />

Meditation stärkte sein Vertrauen darin, dass Heilung auch aus extremsten Geisteszuständen<br />

heraus möglich ist. Podvoll wurde Leiter des neuen Instituts für kontemplative Psychologie<br />

an <strong>der</strong> <strong>von</strong> Trungpa begründeten Naropa University in Boul<strong>der</strong>, Colorado. Podvoll<br />

entdeckte sowohl durch den tibetischen Buddhismus als auch in gezielten Drogenexperimenten,<br />

dass je<strong>der</strong> Mensch über einen gesunden Kern verfügt, mit dem selbst in grösster Verwirrung<br />

in Kontakt getreten werden kann. Diese Entdeckung wurde zum Schlüssel <strong>der</strong> Heilung<br />

und zum Fundament des Windhorse-Projektes, das Podvoll 1981 in Boul<strong>der</strong> begründete. 1990<br />

zog sich Podvoll in ein tibetisch-buddhistisches Kloster in Frankreich zurück. Ende 2002 entschloss<br />

sich Podvoll, inzwischen an Krebs erkrankt, in die USA zurückzukehren und dort sein<br />

Lebenswerk im Umfeld seiner Schüler im Windhorse-Projekt abzuschliessen.<br />

sich damit abgefunden, dass es sich dabei um<br />

eine chronische Erkrankung handle, die nur mit<br />

Medikamenten in gewisse Bahnen gelenkt<br />

werden könne. Es gab überhaupt sehr wenig<br />

Wissen darüber, wie Wahnvorstellungen konstruiert<br />

sind.<br />

nicht Bloss auF die krankheit schauen<br />

Manfred Bleuler (Professor für Psychiatrie, ab<br />

1942 Direktor <strong>der</strong> Psychiatrischen Universitätsklinik<br />

Burghölzli in Zürich, sein Vater Eugen<br />

Bleuler war Begrün<strong>der</strong> des Schizophrenie-Begriffs,<br />

die Red.) erhielt vor etwa 15 Jahren einen<br />

Brief <strong>von</strong> Edward Podvoll (siehe Kasten).<br />

Er hatte einen Text mit dem Thema ‹Die Geschichte<br />

<strong>der</strong> Gesundheit› beigelegt. Darin beschrieb<br />

er, dass nicht länger bloss auf die<br />

Krankheit geschaut werden dürfe, denn selbst<br />

wenn <strong>der</strong> pathologische Teil an die Oberfläche<br />

dringe, gäbe es parallel dazu stets eine Geschichte<br />

des gesunden Anteils. Bleuler antwortete<br />

ihm, dies sei das Wichtigste, das er<br />

bisher je zu diesem Thema gelesen habe.<br />

Ein Therapeut muss ‹beide Seiten des Zauns›<br />

kennen; wer nur auf die Krankheit fixiert ist,<br />

schafft im Grunde genommen neue Probleme.<br />

Er wird gar nicht bemerken, dass ein Klient<br />

Sehnsüchte hat, Bedürfnisse entwickelt, Mit-<br />

… weiter gehts auf Seite 22<br />

B-POST 2007/9, 14:45 Uhr, Seite 0/<br />

1


dAs windhorse-Projekt<br />

… Fortsetzung <strong>von</strong> Seite 21<br />

gefühl mit an<strong>der</strong>en Menschen zu haben. Im<br />

Windhorse Projekt wird das Wissen aus dem<br />

Buddhismus nicht als Religion son<strong>der</strong>n als<br />

Psychologie genutzt. Die Therapeuten unterziehen<br />

sich einem speziellen Training, bei dem<br />

sie erfahren, wie ihr Verstand arbeitet. Sie lernen<br />

dabei ihre eigenen Extreme kennen, und<br />

dass sie nicht jenseits da<strong>von</strong> stehen. Im sogenannten<br />

‹buddhistischen Rückzug› gibt es<br />

Techniken, diese Zustände auszulösen. Dazu<br />

dienen etwa farbige Räume, die auch im Film<br />

zu sehen sind: Der blaue Raum beispielsweise<br />

zeigt den Zusammenhang <strong>von</strong> brillantem Intellekt<br />

und kalter Isolation. Es soll damit erreicht<br />

werden, dass die Therapeuten lernen, ihre Tendenz<br />

zur Egozentrik gegenüber ihren Gesprächspartnern<br />

abzubauen. Die meisten Menschen<br />

haben eine durchaus natürliche Tendenz zur<br />

B-Post ABonnieren?<br />

Die «<strong>Nachrichten</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>kleineren</strong> <strong>Hälfte</strong>» erscheinen in<br />

<strong>der</strong> Regel jährlich zweimal. Interessierte erhalten sie auf<br />

Wunsch – Spen<strong>der</strong>innen und Spen<strong>der</strong> sowieso – regelmässig<br />

kostenlos zugeschickt. Bestellungen bei: <strong>Stiftung</strong><br />

<strong>Märtplatz</strong>, Postfach, 8427 Rorbas-Freienstein; Telefon:<br />

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maertplatz.ch. Für Spen<strong>der</strong>innen und Spen<strong>der</strong> gilt: <strong>Stiftung</strong><br />

<strong>Märtplatz</strong>, Freienstein; Postcheckkonto: 84-1660-2.<br />

Egozentrik; man will ja schliesslich jemand<br />

sein. Deshalb müssen auch kraftvolle Mittel<br />

eingesetzt werden, damit <strong>der</strong> Therapeut sich<br />

auf gleicher Augenhöhe mit seinen Klienten<br />

befassen kann.»


Ich sass im Bus Nummer 11 und<br />

fuhr <strong>von</strong> da nach dort. Mir schräg<br />

vis-à-vis hatte eine sehr alte, gutmütig<br />

und weise blickende Frau<br />

Platz genommen. Eine Haltestelle<br />

später kamen zwei junge, laute<br />

Typen mit Tokio-Hotel-Mützen<br />

herein. Der eine spuckte mal gleich zu Beginn auf<br />

den Boden, <strong>der</strong> an<strong>der</strong>e zog süchtig an einer Zigarette.<br />

Die sehr alte Frau stand auf, wandte sich an<br />

den Raucher, bot ihm ihren Sitzplatz an und sprach:<br />

«Wenn Sie schon nicht wissen, wie man sich in<br />

einem öffentlichen Verkehrsmittel aufführt, dann<br />

weiss ich es auch nicht. Hier ist mein Sitz, bitte<br />

nehmen Sie doch Platz!» Die beiden Jugendlichen<br />

sahen sich höchst verblüfft an und verliessen<br />

schweigend den Bus an <strong>der</strong> nächsten Haltestelle.<br />

Neidisch ob so viel Schlagfertigkeit<br />

Ihre Min<strong>der</strong> Heidi<br />

Unterdrückte Min<strong>der</strong>heiten ii:<br />

die nichtrAUcherin iM<br />

wirtshAUs (lAUt)<br />

Kch. Kchchc. Kchchchchchchchchch!!!<br />

B-Post<br />

<strong>Nachrichten</strong> <strong>von</strong> <strong>der</strong> <strong>kleineren</strong> <strong>Hälfte</strong><br />

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Redaktion<br />

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Texte<br />

Jürg Bingler, Andrea Casalini,<br />

Alexan<strong>der</strong> Debrunner, Jürg Jegge,<br />

Jim Sailer<br />

Illustrationen<br />

Klaus Pitter<br />

Fotos<br />

<strong>Märtplatz</strong>-Foto-Werkstatt:<br />

Johannes Dietschi, Luisa Kehl,<br />

Lana Prijic, Nick Brändli<br />

Layout<br />

<strong>Märtplatz</strong>-Medien-Werkstatt:<br />

Dani Riedweg, Ivo Gamper,<br />

Marcelo Tiago Ahmad Sequeira,<br />

Michel Maag<br />

Druck<br />

Medico Druck, 8424 Embrach<br />

Juni 2007<br />

B-POST 2007/9, 09:15 Uhr, Seite /

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