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Drewitzer Porträts - Projektladen Drewitz

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Simone Ahrend•Heike Kampe<br />

<strong><strong>Drewitz</strong>er</strong> <strong>Porträts</strong><br />

Exposition vom 4. Februar bis 18. März 2011 im <strong>Projektladen</strong> <strong>Drewitz</strong>


Impressum:<br />

<strong>Projektladen</strong> <strong>Drewitz</strong><br />

Soziale Stadt Potsdam e.V.<br />

Konrad-Wolf-Allee 27<br />

14480 Potsdam<br />

Tel: 0331/ 20 19 704<br />

www.projektladen-drewitz.de<br />

Fotos: Simone Ahrend, sah.photo<br />

0331 27 017 27 • www.sah-photo.de<br />

Texte: Heike Kampe, Simone Ahrend<br />

Heike Kampe: 0331 967 89 02<br />

www.wissenschaft-journalismus.de<br />

Gestaltung: Simone Ahrend, sah-photo<br />

Projektbegleitung:<br />

Kathleen Walter, Andrea Hösel


Simone Ahrend•Heike Kampe<br />

<strong><strong>Drewitz</strong>er</strong> <strong>Porträts</strong>


Vorwort<br />

Begleitheft zur Exposition „<strong><strong>Drewitz</strong>er</strong> Portraits“<br />

Die Ausstellung <strong><strong>Drewitz</strong>er</strong> Portraits berichtet über das Leben von<br />

verschiedenen <strong><strong>Drewitz</strong>er</strong> Bewohnern im Stadtteil. Entstanden sind<br />

neun Personenportraits, in der die individuellen Lebensentwürfe der<br />

portraitierten Personen erzählt werden. Die Fotokünstlerin und Kommunikationsdesignerin<br />

Simone Ahrend interviewte und fotografierte<br />

<strong><strong>Drewitz</strong>er</strong> verschiedener Altersgruppen. Mit Fragen wie »Inwiefern ist<br />

<strong>Drewitz</strong> ein Teil Ihres Lebens? Wie lange wohnen Sie schon in <strong>Drewitz</strong>?<br />

Was wünschen Sie <strong>Drewitz</strong> für die Zukunft?« wurden die Bewohner angeregt<br />

über ihren Wohnort zu erzählen. Sie als Leser erfahren hier, welche<br />

Geschichten sich hinter den Portraits verbergen. Viel Spaß dabei!<br />

Wir bedanken uns bei den <strong><strong>Drewitz</strong>er</strong>n für ihre Mitwirkung. Simone Ahrend<br />

gestaltete für dieses Projekt eine Publikation mit Fotografien, die<br />

Journalistin Heike Kampe war mit der Textredaktion befasst.<br />

Das Projekt wurde gefördert durch das Ministerium für Infrastruktur<br />

und Landwirtschaft mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds und der<br />

Landeshauptstadt Potsdam.<br />

Kathleen Walter Simone Ahrend Heike Kampe


Hassan Al Shuga<br />

1956 geboren in Aden-Jemen<br />

Verheiratet, drei Kinder (17, 16, 14)<br />

studierte Navigation und Ökonomie<br />

in Danzig, lehrte 13 Jahre an der Marineakademie<br />

Ozeanografie, spricht<br />

arabisch, polnisch, englisch und deutsch<br />

Lebt seit 6 Jahren als Asylberechtigter in<br />

Potsdam-<strong>Drewitz</strong><br />

Ein naher Nachbar ist besser als ein weit entfernter Bruder<br />

<strong>Drewitz</strong> ist ein schöner Ort. In der Nähe gibt es ein Schwimmbad, verschiedene<br />

Einkaufszentren, Sportmöglichkeiten und eine gute Verkehrsanbindung.<br />

Ich habe eine Jahreskarte für die Schwimmhalle. In<br />

der Freizeit oder an den Wochenenden fahre ich mit meiner Familie<br />

nach Berlin, zum Beispiel zur Tourismusmesse oder zum Karneval der<br />

Kulturen. Wir spazieren gerne in Berlin. Man muss ab und zu den Ort<br />

wechseln, nach Hamburg, Dresden oder Warnemünde fahren, um etwas<br />

zu sehen. <strong>Drewitz</strong> ist ein Ruheplatz, ein Ruheort.<br />

Unsere Kinder lernen deutsche Traditionen kennen, und zu Hause lernen<br />

sie auch arabisch lesen, sprechen und schreiben.<br />

Potsdam ist eine schöne und grüne Stadt, es gibt viele Schlösser. Ich<br />

gehe sehr gern in den Parks spazieren. Die Wege sind kurz, ich kann<br />

von einem Stadtteil in den anderen gehen und die Angebote nutzen.<br />

Potsdam muss nicht in allen Stadtteilen Kinos oder Sportplätze haben.<br />

Die Verkehrsverbindungen sind sehr gut, die Bahnen fahren auch am<br />

späten Abend.<br />

Verändert? In <strong>Drewitz</strong>? Ein Porta wurde neu gebaut, auch Parkplätze<br />

und Bäume sind hinzugekommen. Sonst gibt es hier kaum Veränderungen.<br />

Ein Park wäre sehr schön, neue Bäume. <strong>Drewitz</strong> im Grünen.<br />

Ich habe einen Magisterabschluss in Wirtschaft und möchte gern wieder<br />

in diesem Bereich arbeiten. Dazu möchte ich eine Weiterbildung<br />

machen. Unsere Familie hat einen Antrag auf Einbürgerung gestellt.<br />

Ich wünsche mir sehr, dass das noch in diesem Jahr klappt.


Claudia Gläser<br />

1982 geboren in Berlin, Kindheit in<br />

Phöben bei Werder<br />

Verheiratet, ein Sohn (9)<br />

Arbeitet seit 7 Jahren als Friseurin<br />

Lebt seit 10 Jahren in Potsdam <strong>Drewitz</strong><br />

Ob Friseurin oder Anwalt – darauf kommt es nicht an<br />

Ich bin auf dem Land aufgewachsen. Meine Kindheit in Phöben, einem<br />

winzigen Dorf in der Nähe von Werder, war sehr idyllisch. Die fünf Häuser<br />

des Dorfes, die Havel, Felder und Wiesen – das war mein Reich. Am<br />

Wochenende bin ich immer noch gern in meinem Elternhaus, zusammen<br />

mit meiner Familie. Dort genießen wir die Natur, gehen angeln,<br />

fahren Fahrrad. Die erste Zeit in <strong>Drewitz</strong> war ungewohnt. Man wurde<br />

nicht mehr von Vogelgezwitscher, sondern von Autolärm geweckt.<br />

<strong>Drewitz</strong> ist verkehrsgünstig gelegen, die Wohnungen hier sind sehr<br />

preiswert. Die Versorgung ist optimal, Ärzte und Einkaufsmöglichkeiten<br />

hat man vor der Tür. Freizeitmöglichkeiten für Kinder sind leider<br />

ziemlich rar. Für die Kinder sollte generell mehr getan werden. Entweder<br />

sitzen sie den ganzen Tag auf der Straße oder zu Hause vor dem Fernseher<br />

oder Computer. Wenn mein Sohn draußen ist, achte ich darauf,<br />

dass er immer ein Handy dabei hat. Ich fühle mich dann sicherer.<br />

Es wäre schön, wenn es in <strong>Drewitz</strong> mehr Bäume und ein paar gemütliche<br />

Plätze zum verweilen gäbe. Auf die paar Bänke, die da sind, kann<br />

man sich nicht setzen, weil sie dreckig oder kaputt sind.<br />

Mit den Nachbarn verstehen wir uns gut. Unsere Hausgemeinschaft ist<br />

bunt gemischt, von alt bis jung. Wir helfen uns gegenseitig, setzen uns<br />

auch mal abends zusammen, quatschen gemütlich bei einem Bierchen.<br />

Mein Mann und ich arbeiten in Schichten und auch oft am Wochenende.<br />

Mein Sohn ist das so gewohnt, da müssen öfter mal die Großeltern<br />

einspringen. Die Familie ist mir wichtig. Mein Sohn gibt mir Kraft und<br />

baut mich auf, wenn ich es brauche. In meiner Freizeit mache ich Karate,<br />

in der Kimura-Karateschule im Kirchsteigfeld. Ich bin dort Ausbilderin<br />

für die Kinder, ehrenamtlich. Mein Sohn ist auch dabei. Auf der<br />

Matte ist jeder gleich, man wird als Mensch behandelt.


Mir geht es wie Faust, ich möchte sehen,<br />

was die Welt im Innersten zusammenhält.<br />

Corinna Kirscht<br />

1984 geboren in Potsdam, Innenstadt<br />

eine Schwester<br />

Chemielaborantin in Werder<br />

Lebt seit 21 Jahren in <strong>Drewitz</strong><br />

Von Beruf bin ich Chemielaborantin und ich arbeite seit fünf Jahren in<br />

Werder – ganz in Weiß. Meine Familie ist 1989 nach <strong>Drewitz</strong> gezogen.<br />

Ich würde mir auch selbst eine Wohnung leisten, aber die Einrichtung?<br />

Darum lebe ich noch mit meiner Familie zusammen. Als wir nach <strong>Drewitz</strong><br />

gezogen sind, gab es hier keine Straßen, nur Betonpfeiler im Zuckersand.<br />

An den Wochenenden bin ich mit meiner Schwester um die<br />

Häuser gezogen, nach der Schule über die Höfe gelaufen und manchmal<br />

auch in den Wald. Da konnte ich mal allein sein.<br />

Ja, hier wohne ich und werde auch in Zukunft hier wohnen. <strong>Drewitz</strong><br />

gehört zu mir. Ich bin ein Gewohnheitsmensch. Es stört mich, wenn<br />

größere Veränderungen plötzlich eintreten, zum Beispiel, dass die Straße<br />

zu einem Park umgebaut werden soll.<br />

Von hier aus kann ich überall bequem hinkommen, mit den Öffentlichen<br />

oder mit dem Auto. Alles, was ich brauche, kann ich zu Fuß erreichen:<br />

Arzt, Straßenbahn, Einkaufsmöglichkeiten. Die Mieten sind recht<br />

günstig.<br />

Ich würde mir schon mal Sachen beim Nachbarn leihen. Und ich würde<br />

sie später mit einem kleinen Extra als Dankeschön zurückgeben. Freizeit<br />

habe ich momentan nicht viel. Ich komme erst um halb sechs nach<br />

Hause. Um von der Arbeit abzuschalten, sehe ich ab und an eine DVD<br />

oder trainiere Karate im Kirchsteigfeld. Das stärkt das Selbstbewusstsein.<br />

Ich möchte nächstes Jahr einen Hubschrauberpilotenschein machen.<br />

Ich möchte fliegen lernen, um eventuell einen Zweitberuf zu ergreifen.<br />

Hubschrauber sind flexibler in der Landung als Flugzeuge, denn sie<br />

brauchen keine Landebahn.<br />

<strong>Drewitz</strong> ist grüner geworden, wesentlich grüner. Es wäre schön, wenn<br />

das erhalten bliebe. Ich habe den Wald vor der Haustür. Dort kann ich<br />

mich irgendwo auf einen Baumstumpf setzen und nachdenken. Ich<br />

möchte jetzt hart arbeiten, damit ich mir später das leisten kann, was<br />

ich mir wünsche.


Johnny Lehmann<br />

1949 geboren in Bautzen<br />

Geschieden, zwei erwachsene Töchter,<br />

ein erwachsener Sohn, fünf Enkel<br />

Lernte Schweißer, studierte Chemie,<br />

arbeitete in der Landwirtschaft und im<br />

Umweltschutz, ist Fotograf und heute<br />

in zahlreichen Ehrenämtern aktiv.<br />

Lebt seit ca. 10 Jahren in <strong>Drewitz</strong><br />

Für mich habe ich erkannt: Man kann mit viel weniger leben,<br />

als man meint haben zu müssen.<br />

»Gut vorbereitet ist halb geschweißt« – dieser Satz aus meinem Leben<br />

als Schweißer prägt mich bis heute. Ich merke immer wieder: Wenn<br />

etwas nicht gut vorbereitet ist, vergibt man sich selbst und anderen<br />

etwas. In den Neunziger Jahren haben mich Reiseerfahrungen sehr beeindruckt.<br />

Island war utopisch, sauber und reizvoll, Bosnien dagegen<br />

von Zank, Missgunst, Krieg und Zerstörung geprägt. Politische Ereignisse<br />

– wie der Irak-Krieg – aber auch Bürokratie und Zukunftsvisionen<br />

haben mich bestimmt und mitgenommen. Ich sag mal: Gott hat mich<br />

getreten. Danach habe ich, auch mit Hilfe von anderen, neue Wege<br />

beschritten, verstehe mich seitdem als selbstständigen Ehrenamtler.<br />

Mein Glaube und mein evangelisches Elternhaus geben mir Kraft, die<br />

gegenseitige Achtung spielte eine große Rolle bei uns.<br />

In Kindergärten und Schulen biete ich zum Beispiel Foto-AGs an, gebe<br />

Gitarrenunterricht und Schachkurse, helfe bei der »Potsdamer Tafel«.<br />

Alles ehrenamtlich. Ich will auch kein Honorar haben. Man kann sich<br />

einbringen, kriegt immer irgendetwas zurück, man lernt Leute kennen,<br />

man hilft sich gegenseitig. Dass der Juniorclub und die Arche hier<br />

sind, ist für die Kinder toll.<br />

Dreck und Hundekacke – das sieht man in <strong>Drewitz</strong> leider häufig. Nachbarschaft<br />

erlebe ich kaum. Man sieht sich mal, führt mal ein kurzes Gespräch,<br />

manchmal gibt es Gemeinsamkeiten, aber es entwickelt sich<br />

nichts Längerfristiges, nichts Ernsthaftes.<br />

Ich finde, Vorbild fängt von oben an. Wie der Herre, so´s Gescherre. Die<br />

Politik gibt da kein gutes Beispiel ab. Trennendes steht oft im Vordergrund,<br />

Gemeinsamkeiten werden zu selten gesucht. Mehr Bescheidenheit<br />

und Verantwortungsgefühl: Das wünsche ich mir von denen, die<br />

ganz oben in der Gesellschaft stehen. Die Bürger in <strong>Drewitz</strong> sollten<br />

mehr gehört, ihre Sorgen und Wünsche ernst genommen werden, wie<br />

etwa bei der Entwicklung zur Gartenstadt. Schön wäre es, wenn das<br />

Ehrenamt mehr Anerkennung fände und die Ausführung erleichtert<br />

würde. Etwa durch Telefonkarten oder einen Ehrenamtspass, mit dem<br />

man die Öffentlichen kostenlos benutzen darf. Friedlich, gerecht, umweltfreundlich<br />

– so sollte die Zukunft aussehen, danach strebe ich.


Günter Mäder<br />

1954 geboren in Altenburg, Thüringen<br />

Verheiratet, eine Tochter, ein Sohn,<br />

beide erwachsen<br />

Verfahrenstechniker<br />

Lebt seit 14 Jahren in <strong>Drewitz</strong><br />

Jeder kann einen kleinen Beitrag leisten, auf jeden Einzelnen kommt<br />

es an, das Gesicht von <strong>Drewitz</strong> freundlicher aussehen zu lassen.<br />

Ich wohne am Rand von <strong>Drewitz</strong>, mit Blick auf den Wald. Das finde ich<br />

sehr schön. Ich bin viel draußen, fahre Fahrrad und gehe wandern. Im<br />

Herbst sammle ich Pilze im angrenzenden Wald. Nach eineinhalb Stunden<br />

ist der Korb meist voll. In unserem Innenhof sind Bäume eingegangen,<br />

jahrelang hat sich niemand darum gekümmert, neue zu pflanzen.<br />

Also habe ich selbst junge Bäume eingesetzt. Eschenahorn, Birken, Fichten<br />

– in meinem Garten sind sie aus wilden Sämlingen gewachsen, ich<br />

habe sie aufgepäppelt und dann nach <strong>Drewitz</strong> verpflanzt. Leider müssen<br />

öfter Jugendliche ihre Kraftproben machen und die Kronen abknicken.<br />

Ich habe zwei Gärten – einen großen, in dem ich meinen Urlaub<br />

verbringe und einen kleinen, in dem ich ein bisschen Gemüse anpflanze.<br />

Gemeinsam mit einem älteren Herrn pflege ich auch die Grünanlagen<br />

am Haus, gieße im Sommer die Beete, räume den Müll weg. Wenn<br />

sich jeder ein bisschen engagieren würde, wäre es in <strong>Drewitz</strong> schöner.<br />

Die Leute in <strong>Drewitz</strong> sind sehr unachtsam, überall ist Dreck. Viele lassen<br />

alles fallen und sehr wenige machen sich mal die Mühe, etwas aufzuheben.<br />

Jeder einzelne müsste achtsamer sein und mehr Rücksicht auf<br />

den anderen nehmen. Die Grünanlagen sind ungepflegt. Vandalismus<br />

ist überall sichtbar. Zunehmend kapseln sich die Menschen ab, jeder<br />

macht seins. Für viele wird es immer schwieriger, das tägliche Leben zu<br />

meistern. <strong>Drewitz</strong> ist ein sozialer Brennpunkt. Es fehlt das öffentliche<br />

Leben. Es gibt kaum Möglichkeiten, sich mal abends gemütlich irgendwo<br />

hinzusetzen und ein Glas Bier oder Wein zu trinken.<br />

Ich wünsche mir, dass Mietergärten in <strong>Drewitz</strong> nutzbar gemacht werden.<br />

Die Leute zeigen dann mehr Verantwortung, es wird lebhafter und<br />

bunter. Wenn ich morgens rausgehe und alles ist grün, gehe ich mit<br />

einer ganz anderen Stimmung in den Tag. Das Umfeld beeinflusst die<br />

Stimmung doch erheblich.


Nicht mal ‘ne lumpige Wippe haben wa ...<br />

Anja Mantwill<br />

1986 geboren in Potsdam<br />

eine Tochter, Amy Marisa (2)<br />

Bürokommunikationskauffrau<br />

in Teltow gelernt<br />

Lebt seit 21 Jahren in <strong>Drewitz</strong><br />

Ich bin alleinerziehend. Seitdem muss ich meinen Alltag anders organisieren,<br />

muss die schwere Mülltüte selbst zum Container tragen und<br />

peu a peu jeden Tag etwas einkaufen. Früher sind wir mit dem Auto vor<br />

den Discounter gefahren und haben alles eingeladen. Gelernt habe ich<br />

Kommunikationskauffrau. Gearbeitet habe ich bei Lotterieanbietern<br />

und drei verschiedenen Telefongesellschaften. Kaltaquise. Das heißt,<br />

ich habe Verträge verkauft, bis ich es nicht mehr mit meinem Gewissen<br />

vereinbaren konnte. Bei einer anderen Telefongesellschaft habe ich<br />

Tarifwechsel betreut und bin im April 2008 in den Mutterschaftsurlaub<br />

gegangen.<br />

An <strong>Drewitz</strong> mag ich die kurzen Wege: zum HNC, zur Kita, zu den Spielplätzen,<br />

die es fast in jedem Hinterhof gibt. Ich wünschte, diese Plätze<br />

wären noch besser gewartet. Manche Plätze haben nicht mal eine lumpige<br />

Wippe und einiges ist wacklig und morsch.<br />

Vor vier Monaten bin ich umgezogen, in eine Dreizimmerwohnung in<br />

der dritte Etage. Der Blick ist schön. Die Bewohner? Eher eine bunte Mischung,<br />

Junge und Alte, Familien und Alleinerziehende. Das ist okay.<br />

Im Winter treffe ich mich zum Kaffeeklatsch mit Freunden. Dann sitzen<br />

wir am Küchentisch und quasseln. Es gibt in <strong>Drewitz</strong> auch Gefahren: rasende<br />

Autofahrer, Pädophile oder die Rottweiler, die Kampfköter ohne<br />

Leine und Maulkorb. Da bin ich besonders achtsam. In <strong>Drewitz</strong> laufen<br />

viele schlampig rum. Mal schnell mit der Trainingshose vor die Tür und<br />

mit Schlüpper und Hemd den Müll runtertragen. Ich verlasse das Haus<br />

nur gebürstet und geschminkt und bin immer adrett angezogen.<br />

Für <strong>Drewitz</strong> wünsche ich mir viele Begegnungsräume, solche wie den<br />

Stadtteilladen, Anlaufpunkte, wo ich mit meinem Kind und anderen<br />

basteln kann. Einen Garten Eden, mit Bäumen und viel Grün. Einige<br />

Träume kann ich mir erfüllen, wie eine Fahrt mit meinen Eltern an die<br />

Ostsee oder nach Österreich. Jedoch den Besuch einer großen Zirkusvorstellung<br />

oder einer Disney-Eis-Show, das sind vorerst Träume.


Iman Qubati<br />

1961 geboren in Aden-Jemen<br />

Verheiratet, drei Kinder (17, 16, 14)<br />

Studierte in Budapest Zahnmedizin,<br />

arbeitete 13 Jahre in einem Krankenhaus<br />

als Zahnärztin, Spricht arabisch,<br />

ungarisch und deutsch<br />

Lebt seit 6 Jahren in <strong>Drewitz</strong><br />

Das Wichtigste ist der Beruf: Es tut mir weh, wenn ich nicht arbeiten<br />

darf, obwohl ich studiert und schon viele Jahre gearbeitet habe.<br />

Gemeinsam mit unseren drei Kindern sind wir 2003 aus dem Jemen geflohen.<br />

Wir hatten dort viele Probleme, wurden politisch verfolgt. Alles,<br />

was man sagte, wurde kontrolliert, man war nicht sicher.<br />

Durch mein Studium kannte ich Europa schon, die Umstellung war daher<br />

nicht schwierig. Hier kann man frei sein, sagen, was man denkt. Ich<br />

bin froh, dass ich jetzt in Deutschland lebe. Ich möchte weiterhin als<br />

Zahnärztin arbeiten, aber leider wird mein Abschluss nicht anerkannt.<br />

Ich möchte eine Weiterbildung machen, um wieder in meinem Beruf<br />

arbeiten zu können.<br />

Ich fahre sehr gern Fahrrad und gehe ins Schwimmbad. Ich bin jeden Tag<br />

draußen an der frischen Luft. Das brauche ich. Mit unseren Nachbarn<br />

haben wir wenig Kontakt. „Hallo, Guten Tag? Wie geht es Ihnen?“ Mehr<br />

nicht. Darum wünsche ich mir für <strong>Drewitz</strong> einen Begegnungsraum, wo<br />

sich Familien oder Frauen verschiedener Kulturen treffen können. Wie<br />

wäre es zum Beispiel mit einem Kultur-Raum: Dort könnten sich alle gegenseitig<br />

zeigen: So tanzen wir in Jemen, in Deutschland, in Polen oder<br />

Vietnam, so kochen wir. So spielen wir Tischtennis, Keram oder Taola.<br />

In diesem Begegnungsraum könnten alle von ihren Kulturen erzählen,<br />

Musik hören und sich miteinander unterhalten. Deutsch Konversation.<br />

Wenn man mehr Kontakt zu den Leuten hat, lernt man fremde Sprachen<br />

schneller.


Peer Schwittay<br />

1991 geboren in Potsdam-<strong>Drewitz</strong><br />

Auszubildender zum Elektriker im<br />

dritten Lehrjahr<br />

Lebt schon immer, ohne Unterbrechung<br />

in <strong>Drewitz</strong><br />

Ich sehe, wie viele Kinder benachteiligt werden.<br />

Ich möchte als Ansprechpartner da sein und helfen.<br />

Ich bin ein Ur-<strong><strong>Drewitz</strong>er</strong>. Das erste, was mir zu <strong>Drewitz</strong> einfällt: <strong>Drewitz</strong><br />

ist Dreckwitz. Der Müll stapelt sich in vielen Ecken, auf den Spielplätzen<br />

ist sehr viel kaputt, überall ist Hundedreck. Die Jugendlichen wissen<br />

nicht, wo sie sich treffen sollen. Es gibt zu wenige Möglichkeiten,<br />

die freie Zeit sinnvoll zu verbringen. Mit meinen Freunden treffe ich<br />

mich meist außerhalb von <strong>Drewitz</strong>.<br />

Meine Kindergartenzeit habe ich in sehr schöner Erinnerung. Wir<br />

haben viel unternommen, Ausflüge gemacht und gebastelt. Auch als<br />

Schulkind war ich noch oft in der Kita, habe den Erzieherinnen geholfen,<br />

bin mit zum Schwimmen gefahren. Außerdem habe ich viel Zeit im<br />

Havel-Nuthe-Center verbracht, habe dort ausgeholfen, Pappe und Müll<br />

raus gebracht und auch mal bedient.<br />

Als ich neun Jahre alt war, starb mein Vater. Seitdem lebe ich mit meiner<br />

Mutter allein. Zu den Nachbarn haben wir eine sehr enge Beziehung.<br />

Wir essen oft gemeinsam Abendbrot, feiern Silvester zusammen<br />

oder grillen gemeinsam auf dem Balkon. Solche Momente sind schön,<br />

denn dann sieht man: Es gibt noch Leute, die zusammenhalten.<br />

Ich interessiere mich sehr für Computer. In der Kita »Märchenland«<br />

habe ich ehrenamtlich im Computerkurs mitgeholfen und habe den<br />

Kindern Grundlagen beigebracht. Ich versuche in meinem Umfeld kleine<br />

Dinge zu verändern.<br />

Für <strong>Drewitz</strong> wünsche ich mir eine Graffiti-Wand, an der Jugendliche<br />

legal sprayen können. Die Spielplätze sollten sauberer werden, die Leute<br />

mehr Interesse aneinander haben. Außerdem wünsche ich mir, dass<br />

die Leute in <strong>Drewitz</strong> und Umgebung mehr Mitspracherecht bei der Gestaltung<br />

ihres Stadtteils erhalten. Manchmal habe ich das Gefühl, dass<br />

viele Entscheidungen hinter verschlossenen Türen fallen. Mit mehr<br />

Transparenz könnten viele Missverständnisse vermieden werden. Die<br />

Zusammenarbeit zwischen Stadt und Bewohnern ist wichtig, denn nur<br />

so können das Klima und das Umfeld in <strong>Drewitz</strong> verändert werden.


Jeden Tag eine gute Tat<br />

Michael Voigt<br />

1961 geboren in Mühlhausen, Thüringen<br />

Geschieden, zwei Söhne (18, 21)<br />

Studierte Informatik in Kiew, arbeitete<br />

als Diplom-Ingenieur in der Elektrobranche,<br />

ist heute als selbstständiger<br />

Technical Consultant & IT tätig<br />

Lebt seit 20 Jahren in <strong>Drewitz</strong><br />

Ich lebe sehr gern in <strong>Drewitz</strong>. Die Infrastruktur ist hier einwandfrei. Ich<br />

bin zwar notorischer Autofahrer, aber wenn ich die öffentlichen Verkehrsmittel<br />

doch mal brauche, ist das kein Problem. Man hat hier alles<br />

in der Nähe, was man zum Leben braucht. Ich finde, eine Plattenbauwohnung<br />

ist praktisch und gut geschnitten. Es fehlt eigentlich nur ein<br />

bisschen Farbe. Ich mag klare Strukturen und Genauigkeit. Die Menschen<br />

hier sind offen, ehrlich und herzlich.<br />

Zu den Nachbarn habe ich sehr guten Kontakt. Seit 10 Jahren hat sich in<br />

unserer Hausgemeinschaft nichts Grundlegendes geändert. Man kennt<br />

sich schon lange, hat Vertrauen zueinander und nimmt Rücksicht aufeinander.<br />

Wir helfen uns gegenseitig. Salz borgen oder mal ein Regal<br />

anbauen – das ist selbstverständlich.<br />

Ich habe mir vorgenommen: „Jeden Tag eine gute Tat“. Manchmal sind<br />

das nur Kleinigkeiten, aber wenn ich jemandem etwas Gutes tue, ohne<br />

einen Vorteil davon zu haben, ist das ein schönes Gefühl. In der Kita<br />

„Märchenland“ gebe ich seit zehn Jahren ehrenamtlich Computerkurse<br />

für Vorschul- und Hortkinder. Die Hälfte der Zeit lernen wir, die andere<br />

Hälfte spielen wir. Die Kinder sind begeistert. Leider merke ich: Das<br />

Bildungsniveau der Kinder ist im Laufe dieser zehn Jahre gesunken.<br />

Manchmal muss man die Kinder vor den eigenen Eltern schützen, die<br />

nicht in der Lage sind, auf ihre Kinder angemessen einzugehen. Das ist<br />

schon schade.<br />

In <strong>Drewitz</strong> gibt es leider viele Müllecken, die nicht sein müssten. Es ist<br />

doch oft so: Einfach rausgestellt und interessiert mich nicht weiter. Das<br />

liegt aber nur an wenigen <strong><strong>Drewitz</strong>er</strong>n.<br />

Ich würde mir wünschen, dass es mehr altengerechte Wohnungen in<br />

<strong>Drewitz</strong> gibt. Wie schwer es ist, eine geeignete Wohnung zu finden,<br />

habe ich selbst kürzlich gemerkt, als ich eine Wohnung für meine Mutter<br />

gesucht habe. Das war wirklich schwierig.<br />

Ein Traum von mir ist es, einmal mit einem Kutter auf die Ostsee zu<br />

fahren und Dorsch zu angeln.


Simone Ahrend<br />

ist Diplom-Kommunikationsdesignerin und studierte an der New York<br />

University, New York, künstlerische Fotografie. (Masters of Arts) und erhielt<br />

mehrere Kunststipendien und Preise. Sie fotografierte und gestaltete die<br />

vorliegende Broschüre.<br />

Heike Kampe<br />

ist Journalistin, studierte Biologie an der Technischen Universität Dresden<br />

und Fachjournalismus an der Freien Journalistenschule in Berlin. War an<br />

der Durchführung der Interviews und dem Verfassen der Texte beteiligt.<br />

Edition Sichten und Ansichten

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