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„Wir verkaufen nichts“ - Artseasons.com

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<strong>„Wir</strong> <strong>verkaufen</strong><br />

<strong>nichts“</strong><br />

Abstrakte Kunst versteht nicht jeder. Eben dagegen<br />

haben die Sammler Peter und Florian Haller von der<br />

Werbeagentur Serviceplan eine Strategie entwickelt.<br />

Und noch nie einen Kunstkauf bereut<br />

VON EDGAR QUADT<br />

Gemeinsame Sache(n)<br />

Florian und Peter Haller<br />

vor einem Werk von<br />

Anselm Kiefer<br />

SERVICEPLAN COLLECTING<br />

Von der Kunstsammlung einer hippen Werbeagentur erwartet<br />

man? Kreativität ohne Rand und Band, viel Verrücktes und<br />

natürlich Glitzer und Glamour. Sagen wir: Warhols Marilyns,<br />

Hirts Haie und Koons Kitsch. Betritt man die Agentur Serviceplan<br />

in der Nähe des klassisch-schönen Münchner Königsplatzes,<br />

gilt sogleich: Vorsicht vor Klischees! Ruhig wirkt die Kunst im Inneren<br />

des bunt erleuchteten Gebäudes, obwohl abstrakt und zeitgenössisch.<br />

Angenehm ihre Verteilung auf die Räume, erfahren ihr Sammler. Peter<br />

Haller, Gründer der Werbefirma, die weltweit in 29 Städten vertreten ist<br />

und jährlich über 200 Millionen Euro umsetzt, weiß, worauf es beim<br />

ästhetischen Aushängeschild ankommt: aufs Konzept. Die meisten Unternehmen<br />

kaufen Kunst nach dem Prinzip „viel und teuer“. So entstünden<br />

jedoch oft nur Sammelsurien und keine Sammlungen. Haller macht<br />

es anders. Und er macht es geschickt, wie die Zahl der Spitzenarbeitskräfte<br />

belegt, die sich auch wegen der in fast allen Räumen platzierten<br />

Kunst wertgeschätzt und wohl fühlen. Sohn Florian Haller übernahm<br />

vor zehn Jahren die Agentur als Hauptgeschäftsführer. Auch er sammelt.<br />

Doch frecher dürfen die Werke bei ihm schon daherkommen.<br />

ARTINVESTOR: Herr Haller, Sie haben vor 30 Jahren angefangen<br />

Kunst zu sammeln. Gehören die Werke Ihrer Firma oder<br />

Ihnen privat?<br />

Peter Haller: Im Wesentlichen unserer Familie. Das ist allerdings heute<br />

so. Ganz am Anfang, als wir versuchten, die Kunstwerke von der Steuer<br />

abzusetzen, wurde das vom Finanzamt brüsk abgelehnt. Interessanterweise<br />

war vor zwei, drei Jahren Kurt Faltlhauser hier, der ehemalige<br />

Finanzminister Bayerns, der sagte mir: „Hoffentlich haben Sie die Bilder<br />

nicht aus eigener Tasche bezahlt, sondern schreiben sie ab. Sie, als Werbeagentur,<br />

müssen doch berufsbedingt Kunst aufhängen, das ist doch<br />

ganz natürlich.“<br />

Etliche Ihrer Bilder sind inzwischen sicher mehr wert als zum<br />

Zeitpunkt des Ankaufs. Woher wissen Sie, was der aktuelle<br />

Wert ist?<br />

Dafür gibt es mehrere Quellen: Auktionen, Kunstmessen, Galerien, das<br />

Internet und ausgewiesene Fachorgane wie ARTINVESTOR. Nicht zu<br />

vergessen aber: jahrelange Marktbeobachtung.<br />

Haben Sie schon mal ein Bild mit Gewinn verkauft?<br />

Wir <strong>verkaufen</strong> nichts. Vor allem deshalb nicht, weil das nur Lücken in<br />

unsere konzeptionell aufgebaute Sammlung reißen würde. Erst ein Mal<br />

habe ich ein Bild von Ernst Wilhelm Nay gegen ein anderes Bild des<br />

Künstlers getauscht.<br />

ARTINVESTOR 45


COLLECTING SERVICEPLAN<br />

Leuchtkasten 70 Quadratmeter zählt Serviceplans<br />

Kunstfassade, die jeder im Internet mitgestalten kann.<br />

Tim Otto Roth gewann damit einen Medienkunstpreis<br />

Gerade zu Beginn des Sammelns kann es doch aber schnell<br />

passieren, dass man etwas kauft, das später nicht mehr gefällt.<br />

Verstecken Sie Ihre Leichen im Keller?<br />

Wir haben nur ganz wenige Leichen. Aber es stimmt, am Anfang haben<br />

auch wir ohne Konzept gekauft. Unsere ersten beiden Bilder stammen<br />

von Viktor Mira, einem spanischen Maler. Er war ein sehr begabter<br />

Mann, aber vermutlich schizophren. Einen Tag nach dem Brand in seinem<br />

Atelier, bei dem alle seine Bilder zerstört wurden, nahm er sich das<br />

Leben. Jedenfalls, nach diesen beiden Werken beschlossen mein Partner<br />

und ich, mehr zu kaufen. Die Firma wurde ja größer und die Räume<br />

mussten ausgestattet werden. Es zeigte sich schnell, dass das nicht so<br />

einfach ist: Man steht ja vor einem unendlich großen und vielfältigen<br />

Angebot und fragt sich: Was soll ich von wem und wo erwerben? Das,<br />

was einem andere einreden? Bloß nicht. Daraus entsteht keine eigenständige<br />

und individuelle Sammlung. Sammler, die nur kaufen, was anderen<br />

gefällt, verlieren bald den Spaß an den erworbenen Kunstwerken.<br />

Ihre Strategie beinhaltet, dass Sie sich vor dem Kauf intensiv<br />

mit den Künstlerbiografien und der Zeitgeschichte beschäftigen.<br />

Verfälscht das nicht den direkten Kunsteindruck?<br />

Abstrakte Kunstwerke sind Bilder der Seele des Künstlers. Man wird sie<br />

kaum verstehen, wenn man nur vom Bild ausgeht. Man muss sich erst<br />

einmal mit dem Leben und der Persönlichkeit hinter dem Werk beschäftigen<br />

und den Einflüssen, denen der Künstler ausgesetzt war.<br />

Sie sammeln „Abstrakte Kunst nach 1948“. Gängiger ist doch<br />

der Ausdruck „Kunst nach 1945“?<br />

Da war noch kaum etwas. Es ging erst 1948 los. Die Öffentlichkeit war ja<br />

damals noch auf rein gegenständliche Nazikunstphilosophie getrimmt.<br />

Die ersten Ausstellungen abstrakter Malerei wurden empört abgelehnt,<br />

auch von den meisten Medien. Und die abstrakten und informellen<br />

Maler hatten über Jahrzehnte eine schlechte Wertentwicklung, weil die<br />

Deutschen durch diese Nazipropaganda fehlgeleitet waren.<br />

46 ARTINVESTOR<br />

Viele deutsche Sammler kauften dann in den 1960er-Jahren<br />

Pop Art aus Amerika. Die ist heute mehrere Millionen US-Dollar<br />

wert. Bereuen Sie, dass Sie da nicht mitgemacht haben?<br />

Nein, ich war und bin der Meinung, dass man sich auf ein Konzept<br />

festlegen muss. Ich hatte ja mehrfach die Gelegenheit, gegenständliche<br />

Bilder zu kaufen. Einmal stand ich in der Münchner Galerie Gunzenhauser<br />

vor einem faszinierenden großformatigen Bild des englischen<br />

Malers Francis Bacon. Der Galerist sagte mir: „Herr Haller, da müssen Sie<br />

jetzt sehr tapfer sein, das Bild kostet zwar eine Million Mark, ist aber eine<br />

Riesenchance.“ „Das ist nicht Ihr Ernst!“, habe ich damals geantwortet.<br />

Heute, ich weiß, kostet es 25 bis 30 Millionen Euro.<br />

Sollten erfolgreiche Künstler ein Markenzeichen haben, wie<br />

es bei Uecker die Nägel sind oder bei Fontana die Schlitze in<br />

der Leinwand?<br />

Naja, Uecker ist einer der wenigen zeitgenössischen Künstler mit einer<br />

klar erkennbaren Handschrift. Das hilft zum Aufbau von Bekanntheit,<br />

z.B. auch bei Baselitz. Aber eine Handschrift zu haben, ist etwas aus der<br />

Mode gekommen. Nehmen Sie Künstler wie Richter. Er lehnte es ab, sich<br />

auf eine Richtung festzulegen. Dennoch hat er enormen Erfolg.<br />

... mit seinen informellen Malereien zurzeit, mit den fotorealistischen<br />

vor einigen Jahren. Karl Otto Götz, der früher an<br />

der Kunstakademie Düsseldorf u.a. Richter unterrichtete,<br />

sagt, Richter hätte alles kopiert: bei Rupprecht Geiger das<br />

Monochrome, bei den Amerikanern den Fotorealismus, bei<br />

Götz die Wischtechnik mit dem Rakel.<br />

Richter ist ein interessantes Phänomen. Man könnte für seinen Erfolg<br />

eine Erklärung aus dem Bereich des Marketing heranziehen. Wenn<br />

Vorherige Doppelseite: Dieter Mayr; Foto oben: Falk Heller / argum, unten: © Georg Baselitz. Courtesy Sammlung Serviceplan. rechte Seite: www.layoutsatz-studio.de, Bernhard Rampf<br />

Schwarzer Humor<br />

Hubertus Hamm,<br />

„Borderline - Alter<br />

Mann“, 2012, Archival<br />

Pigment-Print,<br />

120x120cm. Erst bei<br />

Serviceplan ausgestellt,<br />

zwei Jahre später<br />

in der Pinakothek<br />

der Moderne.<br />

Kleiner Akt<br />

Stefan Balkenhol,<br />

„Frau mit gelbem<br />

Rock“, 2009,<br />

Holzskulptur,<br />

170x28x28cm<br />

Schräge Witwe<br />

Georg Baselitz,<br />

„Die Witwe - Dix<br />

verschollen“, 2009,<br />

Öl auf Leinwand,<br />

210x165cm<br />

heute ein neues Produkt auf den Markt kommt, ist der Innovationsgrad<br />

in drei Stufen messbar. Die erste ist die Pionierinnovation: Da kommt<br />

etwas auf den Markt, das es so noch nie zuvor gegeben hat. Die zweite<br />

ist die mittlere Innovation: Man nimmt etwas Bekanntes und macht es<br />

erkennbar besser. Und dann gibt es noch die geringfügige Innovation:<br />

Die fällt kaum auf, kommt übrigens aber am häufigsten vor: 60 Prozent<br />

aller Innovationen sind geringfügig, und ein Grund für die riesige Floprate.<br />

Den besten Erfolg hat fast immer die mittlere Innovation. Und jetzt<br />

kommen wir auf den Kunstmarkt zurück. Richter hat nichts wirklich<br />

Neues gemacht, er hat aber Kunstrichtungen, die es schon gab, erheblich<br />

verbessert. Das ist sein Erfolgsrezept. Und dann ist da natürlich noch das<br />

richtige Marketing entscheidend, ob man Erfolg hat als Künstler. Baselitz<br />

sagt ja: 50 Prozent des Erfolgs sind gutes Marketing.<br />

Apropos Baselitz: Gehört er in jede gute moderne Sammlung?<br />

Ich denke schon. Es gibt vier große Deutsche, die in der internationalen<br />

zeitgenössischen Kunst eine entscheidende Rolle spielen. Das sind Baselitz,<br />

Kiefer, Polke und Richter. Richter kann ich mir nicht mehr leisten.<br />

Und auch wenn ich es könnte, die Bilder sind einfach zu teuer. Polkes<br />

Humor ist nicht so meins, und zu Kiefer habe ich erst neulich Zugang gefunden.<br />

Er macht geniale Kunst mit hochintellektuellen, oft historischen<br />

Inhalten. Aber seine Bilder wirken etwas depressiv und sind vielfach<br />

Überformate. Da bleibt vor allem Baselitz. Alle vier sind ja in der Dauerausstellung<br />

des MoMA in New York vertreten. Das ist für Deutschland<br />

SERVICEPLAN COLLECTING<br />

ARTINVESTOR 47


„Bei unbekannten Künstlern liegt die<br />

Wahrscheinlichkeit, dass ihr Wert steigt,<br />

unter einem Prozent“ Peter Haller<br />

eine unglaubliche kulturelle Auszeichnung. Ich glaube nicht, dass vier<br />

zeitgenössische Franzosen ständig im MoMA gezeigt werden. Aber die<br />

Franzosen glauben beharrlich, sie hätten die moderne Kunst erfunden.<br />

Welche Künstler würden Sie den Einsteigern unter den<br />

Sammlern empfehlen? Sagen wir jenen, die keine Millionen-<br />

Euro-Beträge ausgeben können oder wollen?<br />

Wer wenig Geld hat, kauft am besten Grafiken von international bekannten<br />

Künstlern. Doch Vorsicht! Überzeugen Sie sich, dass die Arbeiten<br />

nicht gefälscht sind – wir haben ja bei Lithografien von Dalí, Miró,<br />

Chagall und so weiter Fälschungsraten von über 50 Prozent. Ich habe<br />

von einem spanischen Sammler gehört, der 24 Chagall-Grafiken hatte.<br />

21 davon waren gefälscht. Der Mann hat geweint, als ihm ein kaufinteressierter<br />

Galerist das mitteilte. Also: Man sollte unbedingt eine verlässliche<br />

Originalitätsbestätigung des Druckes einfordern.<br />

Wie sieht es mit Werken unbekannter, noch lebender Künstler<br />

aus? Die Fälschungsraten sind gering, denn man kann direkt<br />

nachfragen, ob die Arbeiten von ihnen stammen.<br />

Da sollte man sich zuerst einmal die Frage stellen: „Warum möchte ich<br />

diese Kunst kaufen?“ Wenn es wegen der Aussicht auf Wertsteigerung<br />

ist, empfehle ich Ihnen: Gehen Sie besser nach Bad Wiessee in die Spielbank<br />

und setzen Sie auf Schwarz oder Rot. Dann haben Sie zumindest<br />

eine 50-Prozent-Chance. Bei unbekannten Künstlern liegt die Wahrscheinlichkeit,<br />

dass ihr Wert signifikant steigt, unter einem Prozent.<br />

Galeristen sind nebst anderen maßgeblich dafür verantwortlich,<br />

wie gut sich Künstler auf dem Markt und in ihrem<br />

künstlerischen Schaffen entwickeln. Was könnten sie besser<br />

machen? Sie als Marketingstratege haben sicher einen Tipp?<br />

INFOBOX<br />

Über die Sammlung Serviceplan ist im Mai 2012 der<br />

Band „Abstrakte Kunst nach 1948“ erschienen – mit<br />

230 Farbabbildungen auf 368 Seiten und 50 unterhaltsam<br />

erzählten Künstlerporträts.<br />

48 ARTINVESTOR<br />

Blick in die Zukunft Florian Haller<br />

sammelt Kunst, die frech sein darf<br />

– wie die von Jonathan Meese<br />

„Abstrakte Kunst nach 1948“,<br />

Sammlung Serviceplan, Jovis Art,<br />

58,00 Euro<br />

Erfolg ist im Wesentlichen eine Frage der Kommunikation. Galerien<br />

sollten in unserer Zeit viel mehr das Internet nutzen. Sie beklagen sich<br />

immer über die wenigen Besucher pro Tag, die in ihren stationären<br />

Geschäften vorbeischauen. Aber mit einem professionellen Auftritt im<br />

Netz, einem bewegten und interaktiven Konzept, könnten sie sehr effizient<br />

ein Millionenpublikum erreichen. Und jüngere Leute ansprechen.<br />

Sie sprechen von Globalisierung und von neuen Märkten. Bei<br />

der Wahl der Künstler, die Sie interessieren, bleiben Sie aber<br />

Europa treu?<br />

Imgrunde schon. Es kann aber sein, dass mein Sohn Florian, der zu meinem<br />

großen Vergnügen Kunst sammelt, da einen Schritt weiter geht. Er<br />

hat bis jetzt Arbeiten von Jonathan Meese, die in seinem Büro platziert<br />

sind, gekauft. Außerdem Skulpturen von Stephan Balkenhol und einige<br />

großformatige Arbeiten des prominenten US-amerikanischen Malers<br />

Alex Katz.<br />

Vielen Sammlern dient die eigene Kunstsammlung der Selbstdarstellung.<br />

Wie ist das bei Ihnen?<br />

Wir legen vor allem Wert auf Employer Branding. Eine Unternehmenssammlung<br />

hat großen Einfluss auf die Mitarbeiter. Und dieser Aspekt<br />

wird noch bedeutender werden, wenn es darum geht, den erheblichen<br />

und immer weiter steigenden Fachkräftemangel zu bewältigen. Wir<br />

haben die Erfahrung gemacht, dass wir bei 50 Prozent der Bewerber,<br />

die wir für uns gewinnen wollten, erfolgreich waren, wenn sie uns in<br />

unseren Räumlichkeiten besucht hatten, in denen die Sammlung ja<br />

eine dominierende Rolle spielt. Wenn das Bewerbungsverfahren nur<br />

über den schriftlichen Weg läuft oder über Headhunter, oder wenn man<br />

sich außerhalb trifft, sind es nur zehn bis 20 Prozent, die sich für uns<br />

entscheiden. ■<br />

Foto: Dieter Mayr; © Jonathan Meese. VG Bild-Kunst, Bonn 2012

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