„Wir verkaufen nichts“ - Artseasons.com
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COLLECTING SERVICEPLAN<br />
Leuchtkasten 70 Quadratmeter zählt Serviceplans<br />
Kunstfassade, die jeder im Internet mitgestalten kann.<br />
Tim Otto Roth gewann damit einen Medienkunstpreis<br />
Gerade zu Beginn des Sammelns kann es doch aber schnell<br />
passieren, dass man etwas kauft, das später nicht mehr gefällt.<br />
Verstecken Sie Ihre Leichen im Keller?<br />
Wir haben nur ganz wenige Leichen. Aber es stimmt, am Anfang haben<br />
auch wir ohne Konzept gekauft. Unsere ersten beiden Bilder stammen<br />
von Viktor Mira, einem spanischen Maler. Er war ein sehr begabter<br />
Mann, aber vermutlich schizophren. Einen Tag nach dem Brand in seinem<br />
Atelier, bei dem alle seine Bilder zerstört wurden, nahm er sich das<br />
Leben. Jedenfalls, nach diesen beiden Werken beschlossen mein Partner<br />
und ich, mehr zu kaufen. Die Firma wurde ja größer und die Räume<br />
mussten ausgestattet werden. Es zeigte sich schnell, dass das nicht so<br />
einfach ist: Man steht ja vor einem unendlich großen und vielfältigen<br />
Angebot und fragt sich: Was soll ich von wem und wo erwerben? Das,<br />
was einem andere einreden? Bloß nicht. Daraus entsteht keine eigenständige<br />
und individuelle Sammlung. Sammler, die nur kaufen, was anderen<br />
gefällt, verlieren bald den Spaß an den erworbenen Kunstwerken.<br />
Ihre Strategie beinhaltet, dass Sie sich vor dem Kauf intensiv<br />
mit den Künstlerbiografien und der Zeitgeschichte beschäftigen.<br />
Verfälscht das nicht den direkten Kunsteindruck?<br />
Abstrakte Kunstwerke sind Bilder der Seele des Künstlers. Man wird sie<br />
kaum verstehen, wenn man nur vom Bild ausgeht. Man muss sich erst<br />
einmal mit dem Leben und der Persönlichkeit hinter dem Werk beschäftigen<br />
und den Einflüssen, denen der Künstler ausgesetzt war.<br />
Sie sammeln „Abstrakte Kunst nach 1948“. Gängiger ist doch<br />
der Ausdruck „Kunst nach 1945“?<br />
Da war noch kaum etwas. Es ging erst 1948 los. Die Öffentlichkeit war ja<br />
damals noch auf rein gegenständliche Nazikunstphilosophie getrimmt.<br />
Die ersten Ausstellungen abstrakter Malerei wurden empört abgelehnt,<br />
auch von den meisten Medien. Und die abstrakten und informellen<br />
Maler hatten über Jahrzehnte eine schlechte Wertentwicklung, weil die<br />
Deutschen durch diese Nazipropaganda fehlgeleitet waren.<br />
46 ARTINVESTOR<br />
Viele deutsche Sammler kauften dann in den 1960er-Jahren<br />
Pop Art aus Amerika. Die ist heute mehrere Millionen US-Dollar<br />
wert. Bereuen Sie, dass Sie da nicht mitgemacht haben?<br />
Nein, ich war und bin der Meinung, dass man sich auf ein Konzept<br />
festlegen muss. Ich hatte ja mehrfach die Gelegenheit, gegenständliche<br />
Bilder zu kaufen. Einmal stand ich in der Münchner Galerie Gunzenhauser<br />
vor einem faszinierenden großformatigen Bild des englischen<br />
Malers Francis Bacon. Der Galerist sagte mir: „Herr Haller, da müssen Sie<br />
jetzt sehr tapfer sein, das Bild kostet zwar eine Million Mark, ist aber eine<br />
Riesenchance.“ „Das ist nicht Ihr Ernst!“, habe ich damals geantwortet.<br />
Heute, ich weiß, kostet es 25 bis 30 Millionen Euro.<br />
Sollten erfolgreiche Künstler ein Markenzeichen haben, wie<br />
es bei Uecker die Nägel sind oder bei Fontana die Schlitze in<br />
der Leinwand?<br />
Naja, Uecker ist einer der wenigen zeitgenössischen Künstler mit einer<br />
klar erkennbaren Handschrift. Das hilft zum Aufbau von Bekanntheit,<br />
z.B. auch bei Baselitz. Aber eine Handschrift zu haben, ist etwas aus der<br />
Mode gekommen. Nehmen Sie Künstler wie Richter. Er lehnte es ab, sich<br />
auf eine Richtung festzulegen. Dennoch hat er enormen Erfolg.<br />
... mit seinen informellen Malereien zurzeit, mit den fotorealistischen<br />
vor einigen Jahren. Karl Otto Götz, der früher an<br />
der Kunstakademie Düsseldorf u.a. Richter unterrichtete,<br />
sagt, Richter hätte alles kopiert: bei Rupprecht Geiger das<br />
Monochrome, bei den Amerikanern den Fotorealismus, bei<br />
Götz die Wischtechnik mit dem Rakel.<br />
Richter ist ein interessantes Phänomen. Man könnte für seinen Erfolg<br />
eine Erklärung aus dem Bereich des Marketing heranziehen. Wenn<br />
Vorherige Doppelseite: Dieter Mayr; Foto oben: Falk Heller / argum, unten: © Georg Baselitz. Courtesy Sammlung Serviceplan. rechte Seite: www.layoutsatz-studio.de, Bernhard Rampf<br />
Schwarzer Humor<br />
Hubertus Hamm,<br />
„Borderline - Alter<br />
Mann“, 2012, Archival<br />
Pigment-Print,<br />
120x120cm. Erst bei<br />
Serviceplan ausgestellt,<br />
zwei Jahre später<br />
in der Pinakothek<br />
der Moderne.<br />
Kleiner Akt<br />
Stefan Balkenhol,<br />
„Frau mit gelbem<br />
Rock“, 2009,<br />
Holzskulptur,<br />
170x28x28cm<br />
Schräge Witwe<br />
Georg Baselitz,<br />
„Die Witwe - Dix<br />
verschollen“, 2009,<br />
Öl auf Leinwand,<br />
210x165cm<br />
heute ein neues Produkt auf den Markt kommt, ist der Innovationsgrad<br />
in drei Stufen messbar. Die erste ist die Pionierinnovation: Da kommt<br />
etwas auf den Markt, das es so noch nie zuvor gegeben hat. Die zweite<br />
ist die mittlere Innovation: Man nimmt etwas Bekanntes und macht es<br />
erkennbar besser. Und dann gibt es noch die geringfügige Innovation:<br />
Die fällt kaum auf, kommt übrigens aber am häufigsten vor: 60 Prozent<br />
aller Innovationen sind geringfügig, und ein Grund für die riesige Floprate.<br />
Den besten Erfolg hat fast immer die mittlere Innovation. Und jetzt<br />
kommen wir auf den Kunstmarkt zurück. Richter hat nichts wirklich<br />
Neues gemacht, er hat aber Kunstrichtungen, die es schon gab, erheblich<br />
verbessert. Das ist sein Erfolgsrezept. Und dann ist da natürlich noch das<br />
richtige Marketing entscheidend, ob man Erfolg hat als Künstler. Baselitz<br />
sagt ja: 50 Prozent des Erfolgs sind gutes Marketing.<br />
Apropos Baselitz: Gehört er in jede gute moderne Sammlung?<br />
Ich denke schon. Es gibt vier große Deutsche, die in der internationalen<br />
zeitgenössischen Kunst eine entscheidende Rolle spielen. Das sind Baselitz,<br />
Kiefer, Polke und Richter. Richter kann ich mir nicht mehr leisten.<br />
Und auch wenn ich es könnte, die Bilder sind einfach zu teuer. Polkes<br />
Humor ist nicht so meins, und zu Kiefer habe ich erst neulich Zugang gefunden.<br />
Er macht geniale Kunst mit hochintellektuellen, oft historischen<br />
Inhalten. Aber seine Bilder wirken etwas depressiv und sind vielfach<br />
Überformate. Da bleibt vor allem Baselitz. Alle vier sind ja in der Dauerausstellung<br />
des MoMA in New York vertreten. Das ist für Deutschland<br />
SERVICEPLAN COLLECTING<br />
ARTINVESTOR 47