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Juden in Dünsbach - Evangelischer Kirchenbezirk Blaufelden

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Hansgeorg Kraft<br />

Auf den<br />

Spuren<br />

der <strong>Juden</strong><br />

<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

E<strong>in</strong> Beitrag zur Heimatgeschichte 2. Auflage 2010


Inhaltsverzeichnis<br />

Vorwort Seite 1<br />

Situation der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> 1617 – 1806 Seite 3<br />

Anfänge, Wohnsituation, Mite<strong>in</strong>ander (S. 3)<br />

Nur mit e<strong>in</strong>em Schutzbrief erhielt man Wohnrecht (S. 6)<br />

Wie zahlreich war die jüdische Bevölkerung? (S. 8)<br />

Zur sozialen Situation der jüdischen Bevölkerung (S. 9)<br />

Religiöses Leben der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> Seite 11<br />

Entstehung e<strong>in</strong>er Synagoge <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> (S. 11)<br />

Auch Gerabronner <strong>Juden</strong> gehörten zur <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>de (S. 13)<br />

14)<br />

<strong>Juden</strong>bad für kultische Re<strong>in</strong>igung (S. 14)<br />

Bestattung der Toten Seite 15<br />

„Wegen e<strong>in</strong>es toten <strong>Juden</strong> fährt man nicht nach Schopfloch“ (S. 15)<br />

Warum liegt der Friedhof weit außerhalb des Wohnorts? (S. 16)<br />

„Haus der Ewigkeit“ für 76 Tote (S. 18)<br />

Auf dem Weg zur Gleichstellung ab 1806 Seite 20<br />

Was änderte sich für die <strong>Juden</strong> im Königreich Württemberg? (S. 20)<br />

E<strong>in</strong>ige ergriffen rasch die Chancen (S. 21)<br />

Die Entwicklung auf dem Land verlief langsamer (S. 23)<br />

Mite<strong>in</strong>ander von <strong>Juden</strong> und Christen 1900 - 1933 (S. 26)<br />

Antisemitismus Seite 32<br />

In Hohenlohe früher als anderswo <strong>in</strong> Württemberg (S. 32)<br />

Die <strong>Juden</strong>politik der Nationalsozialisten (S. 33)<br />

Situation der jüdischen Bürger <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> 1930 – 1942 (S. 35)<br />

Verhalten der <strong>Dünsbach</strong>er Bürger (S. 36)<br />

Wie verhielt sich der Kirchengeme<strong>in</strong>derat? (S. 37)<br />

Wie verhielt sich die Evangelische Landeskirche <strong>in</strong> Württemberg? (S. 37)<br />

Was geschah mit den letzten jüdischen Bürgern Seite 38<br />

8 jüdische E<strong>in</strong>wohner im Jahr 1938 (S. 38)<br />

Art und Wege der Deportationen <strong>in</strong> Württemberg (S. 39)<br />

Deportation am 1. Dezember 1941 (S. 41)<br />

Deportation am 22. August 1942 (S. 44)<br />

Deportation aus Belgien (S. 45)<br />

Was geschah mit dem Eigentum der deportierten <strong>Juden</strong>? (S. 46)<br />

Nur e<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>er Jude entg<strong>in</strong>g dem Holocaust (S. 47)<br />

<strong>Juden</strong> und Christen heute Seite 50<br />

Literaturverzeichnis Seite 53


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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

_______________________________________________________________________________________________________________<br />

Wer sich an die Unmenschlichkeit nicht er<strong>in</strong>nern will, der wird<br />

wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.<br />

Bundespräsident von Weizsäcker, 8. Mai 1985<br />

Vorwort<br />

Nicht <strong>in</strong> jeder Geme<strong>in</strong>de gibt es e<strong>in</strong>e <strong>Juden</strong>gasse, e<strong>in</strong>e Synagoge und<br />

e<strong>in</strong>en <strong>Juden</strong>friedhof. Wohl aber ist dies <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> der Fall.<br />

Dadurch wurde ich<br />

neugierig darauf, welche<br />

Geschichte dah<strong>in</strong>ter<br />

steht. Und dieses<br />

Interesse <strong>in</strong>tensivierte<br />

sich im Jahre 2008, als<br />

die Reichspogromnacht<br />

sich zum 70. Mal jährte,<br />

und ich mich fragte, was<br />

wohl damals <strong>in</strong><br />

<strong>Dünsbach</strong> geschah.<br />

Die Antworten auf diese Fragen konnte ich nirgendwo im<br />

Zusammenhang nachlesen, sondern musste mühsam <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />

Büchern und Dokumenten danach suchen. Was ich dabei herausfand,<br />

habe ich im Folgenden zusammengefasst.<br />

Ich danke den <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>degliedern und vielen anderen, die<br />

mir <strong>in</strong> persönlichen Gesprächen oder durch H<strong>in</strong>weise auf Literatur<br />

weitergeholfen haben. Besonders dankbar b<strong>in</strong> ich für das Buch von<br />

Gerhard Taddey „Ke<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Jerusalem“, <strong>in</strong> dem auch e<strong>in</strong>e Menge<br />

an Informationen zur Geschichte und Situation der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Dünsbach</strong> zu f<strong>in</strong>den ist. Manches aus der vielfältigen Literatur ist <strong>in</strong><br />

der Zwischenzeit überholt, und ich habe es stillschweigend ergänzt.<br />

In den meisten Fällen habe ich auf den E<strong>in</strong>zelnachweis der<br />

1


______________________________________________________________________________________________________________<br />

Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

_______________________________________________________________________________________________________________<br />

Fundstellen verzichtet, damit dieses Heft nicht zu umfangreich wird.<br />

Mit der nun entstandenen Zusammenfassung ist e<strong>in</strong> Anfang gemacht.<br />

Ich konnte nicht tiefer <strong>in</strong> der Geschichte graben, da ich die<br />

Nachforschungen neben me<strong>in</strong>em Dienst als Pfarrer durchgeführt<br />

habe. Aber ich ermutige andere, weiter daran zu arbeiten.<br />

Der vorliegende Beitrag zur Heimatgeschichte von <strong>Dünsbach</strong> kann –<br />

so hoffe ich – <strong>in</strong> dreifacher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> Hilfe se<strong>in</strong>, nämlich:<br />

▪ Wir können unsere Heimat <strong>Dünsbach</strong> besser verstehen. Denn<br />

nur wer die Vergangenheit kennt, kann sich <strong>in</strong> der Gegenwart<br />

wirklich zurechtf<strong>in</strong>den.<br />

▪ Wir können Anregungen für das Gespräch heute zwischen den<br />

Kulturen und Religionen und auch zwischen M<strong>in</strong>derheiten<br />

und Mehrheiten bekommen, wenn wir sehen, was früher gut<br />

oder schlecht gelaufen ist.<br />

▪ Wir werden ermutigt, das Verhältnis zwischen Christen und<br />

<strong>Juden</strong> neu zu bedenken; denn durch die Ortsgeschichte<br />

<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> bekommt dieses Nachdenken lokale Aktualität.<br />

Die erste Auflage der Broschüre (Juli 2009) war sehr schnell<br />

vergriffen. Sie war auch Anlass dafür, dass ich zusätzliche<br />

Informationen erhielt; diese s<strong>in</strong>d nun <strong>in</strong> die zweite Auflage<br />

e<strong>in</strong>gearbeitet.<br />

<strong>Dünsbach</strong>/Korntal, im Mai 2010<br />

Hansgeorg Kraft<br />

Dekan i.R., Stellvertreter im Pfarramt <strong>Dünsbach</strong>-Ruppertshofen<br />

(2006 – 2009)<br />

2


______________________________________________________________________________________________________________<br />

Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

_______________________________________________________________________________________________________________<br />

Situation der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> 1617 - 1806<br />

Anfänge, Wohnsituation und Mite<strong>in</strong>ander<br />

1617 ist jenes Jahr, <strong>in</strong> dem zum ersten Mal die Anwesenheit von<br />

<strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> dokumentiert wurde. Genannt werden die drei<br />

<strong>Juden</strong> Moschel Jud, Schradel Jud und Michel Jud, die gewiss nicht<br />

alle<strong>in</strong>e, sondern geme<strong>in</strong>sam mit ihren Familien <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> lebten.<br />

Sicher gab es auch vor dem Jahr 1617 <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>, doch dafür<br />

fehlt uns e<strong>in</strong>e schriftliche Bestätigung. Was Morste<strong>in</strong> betrifft, gab es<br />

kaum <strong>Juden</strong>: 1733/1734 hören wir von Elias Levi, dann, <strong>in</strong> der<br />

württembergischen Zeit, erfahren wir, dass 1833 e<strong>in</strong> Josef Ste<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />

diesem Ortsteil lebte.<br />

Feste Wohnbezirke (Ghettos) gab es<br />

nicht. Es kam sogar vor, dass Christen<br />

und <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus wohnten. In der<br />

Ortsmitte (heute Oberste<strong>in</strong>acher Straße 4)<br />

hatte die Familie Adler ihr<br />

Gemischtwarengeschäft. Aber es gab<br />

auch Ortsteile, wo <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> größerer Zahl<br />

zusammenlebten. Dies war <strong>in</strong> der<br />

<strong>Juden</strong>gasse der Fall, wo früher manche<br />

Häuser so eng zusammengebaut waren,<br />

dass man im ersten Stock von e<strong>in</strong>em<br />

Haus zum anderen und schließlich zum<br />

Synagogenraum kommen konnte. Die<br />

heutige Lange Straße war bis zur Flurbere<strong>in</strong>igung 1992 noch<br />

grundbuchmäßig als <strong>Juden</strong>gasse gekennzeichnet; die heutigen<br />

Straßenbezeichnungen und Hausnummern wurden schon früher, mit<br />

der E<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>dung des Ortes nach Gerabronn (1973), verändert. In<br />

der Lange Straße können noch heute e<strong>in</strong>ige Häuser als ehemalige<br />

Häuser von jüdischen Mitbürgern identifiziert werden: In Lange<br />

Straße 7 war wahrsche<strong>in</strong>lich das Schächthaus; <strong>in</strong> Lange Straße 18<br />

3


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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

_______________________________________________________________________________________________________________<br />

wohnte die Familie Badmann, <strong>in</strong> Lange Straße 21 lebte die Familie<br />

Wassermann und betrieb dort ihr Gemischtwarengeschäft.<br />

Das Mite<strong>in</strong>ander von Christen und <strong>Juden</strong> sche<strong>in</strong>t im Allgeme<strong>in</strong>en<br />

recht ordentlich gewesen zu se<strong>in</strong>. Verfolgungen der <strong>Juden</strong> gab es<br />

nicht. Und wenn Vorwürfe gegenüber den <strong>Juden</strong> erhoben wurden –<br />

etwa ihr Fleisch sei nicht <strong>in</strong> Ordnung – so wurde diese<br />

Anschuldigung durch die Kontrollen der Herrschaft geregelt, die<br />

überhaupt – ganz allgeme<strong>in</strong> – <strong>Juden</strong> und Christen <strong>in</strong> ihren<br />

Rechtsentscheiden gleich behandelte.<br />

In anderen Orten lebten ke<strong>in</strong>e <strong>Juden</strong><br />

In Ruppertshofen und anderen Nachbargeme<strong>in</strong>den lebten früher ke<strong>in</strong>e<br />

<strong>Juden</strong>. Warum war das dann gerade <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> der Fall? Das h<strong>in</strong>g<br />

zunächst mit den unterschiedlichen Herrschaftsverhältnissen<br />

zusammen. Aber es ist gut, bei dieser Antwort etwas weiter<br />

auszuholen.<br />

Im Jahre 70 nach Christus endete der letzte jüdische Staat <strong>in</strong> der<br />

römischen Prov<strong>in</strong>z Paläst<strong>in</strong>a. Seit 135 nach Christus war es den<br />

<strong>Juden</strong> sogar verboten, Jerusalem zu betreten. Und seither verstärkten<br />

sich die Tendenz und die Notwendigkeit, dass sich <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> aller<br />

Welt niederließen. Auch <strong>in</strong> Württemberg war dies der Fall. Das erste<br />

schriftliche Zeugnis ist e<strong>in</strong>e Inschrift aus dem späten 11. Jahrhundert<br />

<strong>in</strong> Heilbronn.<br />

Doch seit der Christianisierung von Mitteleuropa wurde es vielen<br />

Christen immer unerträglicher, Nichtchristen unter sich zu dulden; sie<br />

wurden nicht mehr als gleichberechtigte Bürger angesehen und von<br />

den meisten Handwerkszünften ausgeschlossen. Diese E<strong>in</strong>stellung<br />

gegenüber den <strong>Juden</strong> steigerte sich besonders zur Zeit der Kreuzzüge<br />

ab dem Jahr 1100 nach Christus: Pest und Unglück oder<br />

Hostienschändung wurden den <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> die Schuhe geschoben. Die<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

_______________________________________________________________________________________________________________<br />

Folge waren schlimme Verfolgungen und fürchterliche Morde. In<br />

Franken hatten die <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> den Jahren 1298, 1335/37 und 1347<br />

besonders schwere Zeiten der Verfolgung.<br />

Andererseits erkannten die Herrschenden und die Vertreter der<br />

Wirtschaft schon früh, dass man die <strong>Juden</strong> dr<strong>in</strong>gend brauchte. So<br />

gewährte schon Kaiser Karl der Große den <strong>Juden</strong> Schutzbriefe und<br />

die späteren Kaiser ernannten die <strong>Juden</strong> zu „kaiserlichen<br />

Kammerknechten.“ Damit standen die <strong>Juden</strong> unter dem besonderen<br />

Schutz des Kaisers, hatten Religionsfreiheit, mussten aber für ihren<br />

Schutz dem Kaiser Steuern zahlen. Dieses Privileg wurde im Lauf<br />

der Zeit vom Kaiser auf den höheren Adel und 1548 auf alle<br />

Reichsstände (also auch die Reichsritter, wie die „von Crailsheim“)<br />

und auf die Reichsstädte übertragen, die damit allerd<strong>in</strong>gs ganz<br />

unterschiedlich umg<strong>in</strong>gen.<br />

Bereits seit etwa 1520 wurden die <strong>Juden</strong> aus fast allen Städten <strong>in</strong><br />

Südwestdeutschland vertrieben. So kam es, dass aus den Stadtjuden,<br />

die <strong>in</strong> den Städten besser ihren Geschäften nachgehen konnten, nun<br />

Landjuden wurden. Im Bereich der Herren von Crailsheim war <strong>in</strong><br />

<strong>Dünsbach</strong> e<strong>in</strong>e solche<br />

Ansiedlung möglich,<br />

nicht etwa <strong>in</strong><br />

Ruppertshofen, das<br />

teilweise zur Stadt<br />

Schwäbisch Hall und<br />

teilweise zur<br />

Grafschaft Hohenlohe<br />

gehörte, die beide e<strong>in</strong>e<br />

Ansiedlung von <strong>Juden</strong><br />

nicht gestatteten.<br />

5


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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Nur mit e<strong>in</strong>em Schutzbrief erhielt man Wohnrecht<br />

Die Herren von Crailsheim auf Schloss Morste<strong>in</strong> (s. Foto Seite 5)<br />

waren offen für die Ansiedlung <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>. Denn dadurch erhöhten<br />

sich die E<strong>in</strong>nahmen durch Steuern.<br />

Die <strong>Juden</strong> mussten zuerst e<strong>in</strong>en Aufnahmeantrag stellen. Dann<br />

erhielten sie gegen e<strong>in</strong>e Aufnahmegebühr e<strong>in</strong>en Schutzbrief, <strong>in</strong> dem<br />

Pflichten und Rechte <strong>in</strong>dividuell festgelegt waren. Danach musste<br />

jährlich e<strong>in</strong> Schutzgeld bezahlt werden, das aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Höhe<br />

wechselte. So betrug es etwa <strong>in</strong> der Anfangszeit 4 Gulden im Jahr,<br />

was 1706 im Geldwert der Jahresmiete für e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Wohnung<br />

entsprach. G. Taddey (S. 124 - 125) zeigt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beispiel aus dem<br />

Jahre 1720, um welche Pflichten und Rechte es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schutzbrief<br />

g<strong>in</strong>g, der im Folgenden <strong>in</strong> der Orig<strong>in</strong>alsprache der damaligen Zeit<br />

wiedergegeben wird.<br />

Ich Reichs Hochwohlgeborener Freiherr, Herr Hannibal Friedrich<br />

Freiherr von Crailsheim (voller Titel)... urkunde und bekenne hiermit,<br />

welchermaßen ich Aron <strong>Juden</strong> samt se<strong>in</strong>em Weib und künftig zu hoffen<br />

habenden K<strong>in</strong>dern und etwa nötigem Brodges<strong>in</strong>d per Decretum schon<br />

bewilliget und zugelassen, dass er zu <strong>Dünsbach</strong> im Amt Morste<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />

Wohnung und häusliches Wesen habe, von me<strong>in</strong>em Beamten daselbst auch<br />

beschirmt und gleich andern me<strong>in</strong>en Untertanen gehandhabt werden möge.<br />

H<strong>in</strong>gegen solle er<br />

1. mir treu, gehorsam und willig se<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>en Nutzen befördern, für<br />

Schaden warnen, zu Gebot und Verbot me<strong>in</strong>em Beamten stehen,<br />

auch Hut und Wach <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>d mit versehen, dann andern<br />

Beschwerungen, die eigentlich Herkommens und <strong>in</strong> Oberservans<br />

se<strong>in</strong>, tragen oder sich mit derselben sich diesfalls gebührlich abf<strong>in</strong>den.<br />

2. sowohl auch gegen manniglich als mit se<strong>in</strong>esgleichen schiedlich<br />

und friedlich leben <strong>in</strong> Weg sich friedfertig, vor allem aber denen<br />

amtlichen Bescheiden gemäß bezeigen.<br />

6


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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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3. aller Gotteslästerung – auch die Christen an sich zu reizen – bei<br />

unnachlässig schwerer Leibesstraf sich enthalten.<br />

4. die Fest-, Sonn- und Feiertägen der Christen nicht entheiligen.<br />

5. ke<strong>in</strong>e fremden <strong>Juden</strong>, sonderheit von denen jenigen Orten, wo<br />

ansteckende Krankheiten regieren, noch andern verdächtigen<br />

Personen ohne des Amts Vorwissen beherbergen.<br />

Desgleichen<br />

6. an solchen Orten, wo dergleichen Krankheiten grassieren, nicht<br />

gehen, oder auch, wo die Seuch ist, nichts handeln weder<br />

dergleichen im Dorf br<strong>in</strong>gen, bei vermeitlich hoher Straf.<br />

7. mit den Untertanen nicht betrüglich umgehen oder großen unverantwortlichen<br />

Wucher von denen Capitalien nehmen, und wann<br />

ihnen<br />

8. verdächtige Sachen, so entfremdet wären, zu Händen kommen,<br />

solches dem Amt auf der Stelle anzeigen solle.<br />

9. wo zur herrschaftlichen Küchen, absonderlich an Vieh etwas nötig,<br />

solches um billigen Preis anschaffen, auch, wo was an Pferd,<br />

Viehe und anderm von Obrigkeit wegen zu begeben se<strong>in</strong>, solches<br />

um billiches Geld er- und gleichwohl wieder zu se<strong>in</strong>em besten<br />

verkaufen sollte. Überdies soll er auch<br />

10. des Orts Geistlichen entweder die gewöhnliche jurae stolae oder<br />

e<strong>in</strong> nach Proportion beschaffenes Neu-Jahr entrichten.<br />

Vor solchen Schutz und Schirm solle obgedachter Aron Jud für<br />

sich, se<strong>in</strong> Weib und bei sich habend unverheiratete K<strong>in</strong>der und<br />

nötig habendes Brodges<strong>in</strong>d von der Zeit an gerechnet, da er mit<br />

se<strong>in</strong>em Weib Hochzeit gehalten und würklich e<strong>in</strong>gezogen,<br />

jährlichen 10 fl. Rhe<strong>in</strong>ischer Währung und also quartaliter<br />

2 1/2 fl. (= Gulden) erlegen, auch die Contribution und<br />

Schatzungen nach der Umlag bezahlen, und wo ihnen weiter<br />

etwas zu prestiren zukomme, er es jedes Mals willig entrichten<br />

sollte.<br />

Hierauf befehle ich als dessen ordentliche Obrigkeit me<strong>in</strong>em Beamten,<br />

Dienern, Schultheißen und Untertanen samt und sonders, dass sie e<strong>in</strong>gangs<br />

bedeutenden Aron und die Se<strong>in</strong>ige als vorstehet bei solchem Schutz und<br />

Geleit ruhig und unbetrangt bleiben lassen, auch bei Recht und Billigkeit<br />

schützen, schirmen und handhaben, me<strong>in</strong> zu Morste<strong>in</strong> dermals verordneter<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Beamter aber zufolge schon erteilten Annahmsdecret den gewöhnlichen<br />

Schutzbrief darüber aus- und mehr ersagtem <strong>Juden</strong> zu Hand fertigen solle.<br />

Welches dann auch unter dem hievor getruckt hochfreiherrlich<br />

Crailsheimischen gewöhnlichen Morste<strong>in</strong>ischen amtmannschaftlichen<br />

Signet geschehen. Urkundlich im Schloß Morste<strong>in</strong>, den 22. Dezember Anno<br />

1720.<br />

Das Schutzgeld war e<strong>in</strong>e Art E<strong>in</strong>kommensteuer. Während Christen<br />

den Zehnten ihrer landwirtschaftlichen Arbeit ablieferten, gab es aber<br />

auf Handelsgew<strong>in</strong>ne ke<strong>in</strong>e Steuern, sondern bei den <strong>Juden</strong> eben das<br />

Schutzgeld. Zusätzlich zum Schutzgeld hatten die <strong>Juden</strong> noch andere,<br />

besondere Steuern zu zahlen wie das Schächtgeld und das Schulgeld<br />

(zur Abhaltung der Schule = Gottesdienste).<br />

Wie zahlreich war die jüdische Bevölkerung?<br />

Ke<strong>in</strong> „kle<strong>in</strong>es Jerusalem“<br />

Die Zahl der <strong>Juden</strong> wechselte: 1617 waren es 3 Familien. 1638<br />

wohnten ke<strong>in</strong>e <strong>Juden</strong> mehr <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>, bis es später wieder zu e<strong>in</strong>er<br />

Neuansiedlung kam. Aber <strong>in</strong>sgesamt war die Zahl der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong><br />

<strong>Dünsbach</strong> nie besonders groß. Nur 1829 stieg die Zahl auf 103<br />

Personen (14 % der Bevölkerung von <strong>Dünsbach</strong> und Morste<strong>in</strong>) an,<br />

was wohl mit der relativen Liberalisierung bei den<br />

Aufenthaltsbed<strong>in</strong>gungen für die <strong>Juden</strong> ab 1806 zusammen h<strong>in</strong>g.<br />

Später g<strong>in</strong>gen die Zahlen – durch Abwanderung <strong>in</strong> die Städte und<br />

Auswanderung – im Jahre 1871 auf 50 Personen und schließlich 1938<br />

auf 8 Personen zurück, bis dann im Jahr 1942 die letzten beiden<br />

<strong>Juden</strong> deportiert wurden. Und dennoch gab es immer wieder die<br />

Angst vor e<strong>in</strong>er zu starken Zunahme des jüdischen<br />

Bevölkerungsanteils. Typisch dafür ist der Brief e<strong>in</strong>es Morste<strong>in</strong>er<br />

Amtmanns, der <strong>in</strong> der württembergischen Zeit – im Zusammenhang<br />

mit e<strong>in</strong>em Antrag auf Niederlassung – an das Oberamt <strong>in</strong> Gerabronn<br />

folgendes schrieb: „...denn wollte man allen ortsgeborenen <strong>Juden</strong> und<br />

Jüd<strong>in</strong>nen gestatten, sich e<strong>in</strong>zukaufen und anzusiedeln, so würde<br />

8


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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

_______________________________________________________________________________________________________________<br />

<strong>Dünsbach</strong> bald e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Jerusalem“. – Aber diese Angst war<br />

sowohl für <strong>Dünsbach</strong> als auch für die gesamte Umgebung völlig<br />

unbegründet. Und selbst wenn man an e<strong>in</strong>e hohe K<strong>in</strong>derzahl denkt, so<br />

wurde diese durch die meist hohe K<strong>in</strong>dersterblichkeit relativiert.<br />

Interessant ist beispielsweise e<strong>in</strong>e Zusammenstellung aus den Jahren<br />

1780 bis 1869. Damals wurden <strong>in</strong> 33 Ehen 189 K<strong>in</strong>der geboren, was<br />

e<strong>in</strong>en statistischen Durchschnitt von 6 K<strong>in</strong>dern ergibt. Von diesen<br />

189 K<strong>in</strong>dern starben vor dem 10. Lebensjahr 25 %, nämlich 48<br />

K<strong>in</strong>der.<br />

Verfolgt man die jüdischen E<strong>in</strong>wohnerzahlen seit den<br />

Volkszählungen, so ergibt sich folgendes Bild:<br />

Jahr 1829 1846 1900 1939<br />

<strong>Juden</strong> 103 99 20 7<br />

%-Anteil 13,7% 16,5% 2,6% 1,1%<br />

E<strong>in</strong>wohner 754 600 759 614<br />

Dü nur Dü nur Dü nur Dü<br />

u. Morste<strong>in</strong><br />

Zur sozialen Situation der jüdischen Bevölkerung<br />

Meist arme Landjuden<br />

Nur wenige der <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> waren wohlhabend, die meisten<br />

aber arm, sogar bitterarm. Beispielhaft sei darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass<br />

der Bau der Synagoge im Jahr 1799 nicht selbst f<strong>in</strong>anziert werden<br />

konnte, sondern Spenden dafür <strong>in</strong> den umliegenden Geme<strong>in</strong>den<br />

gesammelt werden mussten. Oder aus dem Rechnungsjahr 1834/35<br />

wird uns berichtet, dass von den 10 Familien <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> mehr als<br />

1/3 von der damaligen Personalsteuer (vgl. Seite 20) befreit waren.<br />

Der Grund für diese Armut war auf ke<strong>in</strong>en Fall das Ergebnis e<strong>in</strong>er<br />

Ausbeutung durch die Schutzherren oder deren Verwalter. Denn<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

_______________________________________________________________________________________________________________<br />

<strong>in</strong>sgesamt – so hat es G. Taddey für das Jahr 1784 (s. unten)<br />

nachgewiesen – war die f<strong>in</strong>anzielle Belastung für Christen und <strong>Juden</strong><br />

etwa gleich hoch und überdies wurden <strong>in</strong> den gerichtlichen<br />

Entscheidungen des Amtmanns beide Gruppen strikt gleich<br />

behandelt.<br />

Im Jahre 1784 beliefen sich die gesamten E<strong>in</strong>nahmen Morste<strong>in</strong>s mit 220<br />

Untertanenfamilien, davon 8 <strong>Juden</strong> auf 4515 fl. (= Gulden). Rund 1900 fl.<br />

stammten aus Steuern und steuerähnlichen Abgaben. Die direkten<br />

E<strong>in</strong>nahmen von den besonderen <strong>Juden</strong>steuern (Schutzgeld, Schulgeld,<br />

Schächtgeld) beliefen sich auf etwa 80 fl., machten also 4,2% der gesamten<br />

E<strong>in</strong>nahmen dieser Kategorie aus, die nur von 3,6% der Untertanen<br />

aufgebracht werden mussten. Dafür waren die <strong>Juden</strong> allerd<strong>in</strong>gs von<br />

Zehntabgaben frei, weil sie ja ke<strong>in</strong>e landwirtschaftlichen Erträge besaßen.<br />

Auch beim Dienstgeld waren sie besser gestellt. Es schwankte von 22 kr.<br />

(Kreuzer) bis zu 5 fl. jährlich. Lediglich 4 <strong>Juden</strong> zahlten 2 fl.<br />

beziehungsweise 1 fl. 10 kr., die meisten Christen 4 fl. 30 kr. Die Übrigen<br />

leisteten Handdienst <strong>in</strong> natura (Taddey, Seite 135).<br />

Der Grund für die übergroße Armut lag dar<strong>in</strong>, dass die <strong>Juden</strong> zu den<br />

allermeisten Berufen ke<strong>in</strong>en Zugang hatten. So verblieb ihnen nur der<br />

Handel mit Vieh, mit Kupfergeschirr, Tüchern oder Betten, wie e<strong>in</strong>e<br />

Aufstellung aus dem Jahr 1730 deutlich macht. (Taddey S. 127).<br />

Später, nämlich 1765, wird auch von e<strong>in</strong>em jüdischen<br />

Immobilienhändler, dem Schmul Jakob, berichtet. Doch war das<br />

Herrschaftsgebiet, <strong>in</strong> dem die <strong>Juden</strong> lebten so kle<strong>in</strong>, dass sie bis 1806<br />

für die meisten Geschäfte <strong>in</strong>s „Ausland“ mussten und dabei Zoll zu<br />

zahlen hatten. Ab 1866/71 kam e<strong>in</strong> weiterer Grund für die Armut<br />

dazu. In diesen Jahren nahm die Anzahl der jüdischen Bettler aus<br />

Ungarn, Polen, Ostpreußen und dem Elsaß zu. Die Geme<strong>in</strong>den aber<br />

waren aus religiösen Gründen zur Hilfe verpflichtet, was jedoch den<br />

armen <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> sehr schwer fiel. 1872 wurde die Hilfe<br />

etwas zentralisiert: E<strong>in</strong> „Comite zur Centralisation des<br />

Wanderbettels“ wurde <strong>in</strong> Heilbronn gegründet. E<strong>in</strong><br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

_______________________________________________________________________________________________________________<br />

Bezirksarmenvere<strong>in</strong> entstand. Auch die <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>de trat<br />

bei und war nun <strong>in</strong> vielen Fällen von den Schwierigkeiten der<br />

E<strong>in</strong>zelhilfe entlastet.<br />

Foto: Zollstation vor Kirchberg-Lensiedel,<br />

wo im 18. Jh. Brückenzoll zu entrichten war,<br />

z.B. für Pferde mit Karren<br />

und andere durchgetriebene Tiere.<br />

Religiöses Leben der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

Entstehung e<strong>in</strong>er Synagoge <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

Sobald 10 Männer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de s<strong>in</strong>d, kann Gottesdienst<br />

gehalten werden. Ab 1725 war dies <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> der Fall. In diesem<br />

Jahr erteilte die Ortsherrschaft den <strong>Juden</strong> die Erlaubnis, „Schule“ zu<br />

halten, also Gottesdienste e<strong>in</strong>zurichten. Für diese Erlaubnis musste<br />

pro Familie jährlich 1 Gulden bezahlt werden. Zunächst hielt man<br />

diese Gottesdienste <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Privathaus ab, <strong>in</strong> dem allerd<strong>in</strong>gs der<br />

nicht-jüdische Maurer Dorffman wohnte. Dieser beschwerte sich<br />

nach e<strong>in</strong>iger Zeit, vor allem über die landfremden bettelnden <strong>Juden</strong>,<br />

die regelmäßig am Gottesdienst teilnahmen. Der Streit wurde stärker,<br />

so dass die Ortsherrschaft die Gottesdienste verbot. E<strong>in</strong>ige Jahre<br />

später wurde es dann wieder möglich, die Gottesdienste abzuhalten,<br />

und zwar im Haus des 1796 verstorbenen Schmul.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Die räumlichen Verhältnisse waren aber sehr bescheiden, so dass der<br />

Amtmann im Jahre 1797 schrieb: „Die <strong>Juden</strong> s<strong>in</strong>d genötigt, ihre<br />

Gottesdienste <strong>in</strong> Mangel e<strong>in</strong>er Synagoge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schlechten W<strong>in</strong>kel<br />

e<strong>in</strong>es <strong>Juden</strong>hauses allda zu halten, der des erhabenen Gegenstandes<br />

ganz unwürdig ist. Weltlichen Amts wegen wünscht man selbst, dass<br />

diesem Übelstand abgeholfen werden mögte“. Als Bauplatz wollten<br />

die <strong>Juden</strong> den Garten der Witwe Weiß kaufen, doch die weigerte sich<br />

zu verkaufen. Schließlich war auch die F<strong>in</strong>anzierung schwierig, da<br />

die <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> – wie erwähnt – <strong>in</strong> sehr e<strong>in</strong>fachen<br />

Verhältnissen lebten.<br />

Deshalb bat die <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>de die umliegenden jüdischen<br />

Geme<strong>in</strong>den, dass sie den Neubau durch e<strong>in</strong>e Kollekte unterstützen<br />

mögen. Das Ergebnis wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Liste e<strong>in</strong>getragen, die der<br />

Amtmann von Morste<strong>in</strong> beglaubigte. Ebenfalls verpflichtete sich der<br />

Amtmann dafür zu sorgen, dass die Gelder zweckentsprechend<br />

verwendet würden.<br />

1799 entstand dann die e<strong>in</strong>fache Synagoge im Zentrum der<br />

<strong>Juden</strong>gasse, <strong>in</strong> der bis 1914 regelmäßig Gottesdienste abgehalten<br />

wurden. Ab 1832 gehörten auch die <strong>Juden</strong> aus Gerabronn zur<br />

Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>. Im Jahr 1914 konnte die Geme<strong>in</strong>de nicht<br />

mehr selbstständig weiter bestehen, da die nötige Anzahl von 10<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Männern nicht mehr gegeben war. Danach hielt<br />

der Rabb<strong>in</strong>er aus Braunsbach <strong>in</strong> unregelmäßigen<br />

Abständen immer wieder Gottesdienste <strong>in</strong> der<br />

Synagoge – bis zum Jahre 1936. In der<br />

Reichspogrom-Nacht am 9. November 1938<br />

wurde die Synagoge beschädigt und später – weil<br />

baufällig – abgebrochen und die Ste<strong>in</strong>e für e<strong>in</strong>e<br />

Schlosserwerkstatt verwandt. Heute er<strong>in</strong>nert e<strong>in</strong><br />

Gedenkste<strong>in</strong> an die Synagoge. Die unteren Ste<strong>in</strong>e der ehemaligen<br />

Umfassungsmauer der Synagoge s<strong>in</strong>d erhalten; sie grenzen heute e<strong>in</strong><br />

Gartengrundstück an diesem Platz e<strong>in</strong>.<br />

Auch Gerabronner <strong>Juden</strong> gehörten zur <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>de<br />

1672 zog als erster Jude e<strong>in</strong> Schmul aus Crailsheim nach Gerabronn.<br />

Um 1800 zählte man bereits 6 jüdische Haushalte, um 1844 dann 10<br />

Haushalte (oder 51 Personen). 1814 wurde e<strong>in</strong> Betsaal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Wohnhaus e<strong>in</strong>gerichtet. Im Jahre 1828 veranlasste der<br />

württembergische Staat e<strong>in</strong>e Neuordnung der jüdischen Geme<strong>in</strong>den,<br />

die sich an der Größe orientierte und 1832 realisiert wurde. Unter der<br />

Leitung des Rabb<strong>in</strong>ats <strong>in</strong> Braunsbach entstanden die 5 neu gebildeten<br />

Geme<strong>in</strong>den: Braunsbach, Crailsheim (mit Goldbach, Ingersheim und<br />

Unterdeufstetten), Michelbach/Lücke (mit Hengstfeld und<br />

Wiesenbach), Ste<strong>in</strong>bach (mit Schwäbisch Hall) und eben <strong>Dünsbach</strong><br />

(mit Gerabronn). Die Gerabronner wehrten sich <strong>in</strong>tensiv gegen den<br />

Zusammenschluss mit <strong>Dünsbach</strong>, so dass sie 1844 die Erlaubnis<br />

erhielten, Filialgottesdienste <strong>in</strong> Gerabronn zu halten. Weil dann aber<br />

die Zahl der Geme<strong>in</strong>deglieder ab 1850 immer stärker zurückg<strong>in</strong>g,<br />

benötigte die Geme<strong>in</strong>de sog. Mietl<strong>in</strong>ge, Gastbesucher aus den<br />

umliegenden Ortschaften, um die notwenige Zahl von 10 Männern<br />

beim Gottesdienst zu erreichen; diese „Mietl<strong>in</strong>ge“ erhielten<br />

Wegegeld und Verzehrkosten. 1912 soll der letzte Gottesdienst <strong>in</strong><br />

Gerabronn gehalten worden se<strong>in</strong>.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Religionsunterricht<br />

Die jüdischen K<strong>in</strong>der besuchten die christliche Schule am Ort. Seit<br />

1824 bestand Schulpflicht für jüdische K<strong>in</strong>der von 6 - 14 Jahren.<br />

Aber zum Unterricht <strong>in</strong> jüdischer Religion und Hebräisch kamen sie<br />

zum Religionslehrer der jüdischen Geme<strong>in</strong>de.<br />

E<strong>in</strong>en der Religionslehrer <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> kennen wir mit Namen. Es ist<br />

Simon Nördl<strong>in</strong>ger, der zugleich auch die Aufgabe des Vorsängers<br />

und des Schächters <strong>in</strong>nehatte. Er trat se<strong>in</strong>en Dienst im Jahre 1815 an,<br />

bestand 1830 als e<strong>in</strong>ziger der älteren jüdischen Religionslehrer <strong>in</strong><br />

Württemberg die neu e<strong>in</strong>geführte Staatsprüfung. Im Jahr 1865, nach<br />

50-jähriger Dienstzeit, bekam Simon Nördl<strong>in</strong>ger von König Karl die<br />

silberne Zivildienstmedaille. Das wurde natürlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen<br />

Fest gefeiert. Der Festzug g<strong>in</strong>g von der Synagoge zur Schule, und<br />

unter den Gästen beim Festzug waren die örtlichen Honoratioren –<br />

z.B. auch der evangelische Pfarrer.<br />

<strong>Juden</strong>bad für die kultische Re<strong>in</strong>igung (Mikwe)<br />

Auch <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> muss es e<strong>in</strong> <strong>Juden</strong>bad (Mikwe) gegeben haben.<br />

Nachrichten darüber f<strong>in</strong>den wir immer wieder. Wo allerd<strong>in</strong>gs der Ort<br />

war, wissen wir heute nicht mehr.<br />

Die kultische Re<strong>in</strong>heit, also die Re<strong>in</strong>heit für die Teilnahme am<br />

Gottesdienst oder an gottesdienstlichen Handlungen, spielt im<br />

jüdischen Glauben e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Im 3. Buch Mose ist davon<br />

ausführlich die Rede. So macht unre<strong>in</strong>, wenn man e<strong>in</strong>en Toten<br />

berührt oder Aussatz hat; bei Frauen ist es die monatliche Blutung<br />

(3. Mose 15, 19-24) oder die Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des (3. Mose 12, 1-8).<br />

Die Art der Wiederherstellung der kultischen Re<strong>in</strong>heit ist<br />

unterschiedlich, und die Bestimmungen aus dem 3. Buch Mose<br />

wurden im Talmud weiterentwickelt. Das Wasser spielt dann bei der<br />

Re<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. So war es im 17./18. Jahrhundert für<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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die Frauen <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> wichtig, dass sie nach der Menstruation und<br />

nach der Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des die kultische Re<strong>in</strong>heit durch das<br />

Untertauchen im Wasser der Mikwe erhielten. Voraussetzung für e<strong>in</strong><br />

solches Bad ist, dass die Frau <strong>in</strong> Grund- oder Quellwasser ganz<br />

untertauchen kann, was e<strong>in</strong>en entsprechenden Baderaum mit<br />

künstlicher Grube voraussetzt.<br />

1821 untersuchte die württembergische Kreisregierung die<br />

Badegewohnheiten der jüdischen Frauen zum Zweck der kultischen<br />

Re<strong>in</strong>igung. Dabei stellte sie vielfach fest, dass die Frauen durch die<br />

damalige Art des Badens gesundheitlich gefährdet wurden: Sei es,<br />

dass das Wasser nicht sauber oder dass es im W<strong>in</strong>ter zu kalt war, was<br />

beides leicht zu Erkrankungen bei den Frauen führen konnte. So<br />

ordnete die Regierung an, dass <strong>in</strong> den Bädern – wenn es f<strong>in</strong>anziell<br />

irgendwie möglich ist – e<strong>in</strong>e Anlage zur Erwärmung des Wassers<br />

e<strong>in</strong>gerichtet würde. Die arme Geme<strong>in</strong>de <strong>Dünsbach</strong> konnte sich das<br />

nicht leisten. Hier galt dann die andere staatliche Vorschrift, dass<br />

wenigstens heißes Wasser zugeschüttet würde. Um 1828 erfahren wir<br />

von e<strong>in</strong>er Investition <strong>in</strong> Höhe von 400 Gulden für e<strong>in</strong> neues<br />

Frauenbad (übergangsweise war das Frauenbad vorher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />

Privathaus untergebracht), bei dem nun die staatlichen Vorschriften<br />

nach warmem Wasser besser erfüllt werden konnten. Im Jahr 1847<br />

wird von e<strong>in</strong>em Neubau von Schule, Frauenbad und Lehrerwohnung<br />

mit Kosten von 3300 Gulden berichtet.<br />

Bestattung der Toten<br />

„Wegen e<strong>in</strong>es toten <strong>Juden</strong> fährt man nicht nach Schopfloch“<br />

200 Jahre lang hatten die <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> ke<strong>in</strong>en eigenen Friedhof.<br />

Die Geme<strong>in</strong>de war zu kle<strong>in</strong>. Deshalb brachten sie ihre Toten zu dem<br />

zentralen Friedhof, der 1612 <strong>in</strong> Schopfloch angelegt worden war,<br />

e<strong>in</strong>em Ort 5 km südlich von Feuchtwangen und etwa 35 km Luftl<strong>in</strong>ie<br />

von <strong>Dünsbach</strong>. Dazwischen aber gab es viele Zollstationen, wo man<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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für den Transport e<strong>in</strong>es Toten bezahlen musste. So versteht man das<br />

Sprichwort: „Wegen e<strong>in</strong>es toten <strong>Juden</strong> fährt man nicht nach<br />

Schopfloch.“ Ab 1747 gab es auch <strong>in</strong> Braunsbach (9 km von<br />

<strong>Dünsbach</strong> entfernt) e<strong>in</strong>en eigenen Friedhof, und vermutlich werden<br />

dann die <strong>Dünsbach</strong>er ihre Toten dort – wesentlich näher als<br />

Schopfloch – beerdigt haben. Nachgewiesen s<strong>in</strong>d solche<br />

Beerdigungen von <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> schon 1753, 1756 und 1760.<br />

Aber als die Geme<strong>in</strong>de immer stärker anwuchs, wurde 1823 e<strong>in</strong><br />

eigener Friedhof (siehe Foto unten) e<strong>in</strong>gerichtet, den die <strong>Dünsbach</strong>er<br />

zusammen mit den Gerabronner <strong>Juden</strong> benutzten.<br />

Warum liegt der Friedhof weit außerhalb des Wohnortes?<br />

Als Antwort auf diese Frage kann man verschiedenes anführen: So<br />

gehört es zu den religiösen Bed<strong>in</strong>gungen, dass der Friedhof außerhalb<br />

der Wohnbezirke liegt, weil für den jüdischen Glauben der Kontakt<br />

mit den Toten kultisch unre<strong>in</strong><br />

macht. E<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung mit<br />

e<strong>in</strong>em lokalen christlichen<br />

Ortsfriedhof wäre aus<br />

verschiedenen Gründen zur<br />

damaligen Zeit nicht <strong>in</strong> Frage<br />

gekommen: E<strong>in</strong>erseits waren<br />

die Friedhöfe oft <strong>in</strong> der<br />

Ortsmitte rund um die Kirche<br />

angelegt; andererseits werden<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em christlichen Friedhof<br />

die Gräber immer wieder neu belegt, während die jüdischen Gräber<br />

ewige Gräber s<strong>in</strong>d, die nur e<strong>in</strong>mal belegt werden dürfen. Ferner<br />

gehörte es im Fall der <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>de dazu, dass der Friedhof<br />

an e<strong>in</strong>er solchen Stelle liegen sollte, die auch von Gerabronn aus<br />

gesehen werden konnte. Und überhaupt: Es musste e<strong>in</strong> Platz<br />

gefunden werden, der zu kaufen war. 1823 war es so weit. 1884<br />

erhielt der Friedhof e<strong>in</strong>e Mauer, die e<strong>in</strong> Hirsch Ste<strong>in</strong>er aus<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Chicago/USA (Schigago verstand der Ste<strong>in</strong>metz und schrieb es so auf<br />

den E<strong>in</strong>gangsste<strong>in</strong>) spendete. Die Summe muss recht ansehnlich<br />

gewesen se<strong>in</strong>, denn die Mauer wurde aus beidseitig behauenen<br />

Ste<strong>in</strong>en errichtet, und sie hat noch zur F<strong>in</strong>anzierung des schönen<br />

schmiedeeisernen E<strong>in</strong>gangstors gereicht. Jenes Eisentor wurde im<br />

„Dritten Reich“ abgeholt: e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>deglied erzählte mir, dass er als<br />

Schüler im Unterricht die Aufforderung erhielt, beim Abtransport<br />

behilflich zu se<strong>in</strong>. Ob das Sammeln von Alteisen für Kriegszwecke<br />

der Grund dafür war, weiß man nicht. Jedenfalls sieht man noch<br />

heute außen die ursprünglichen Torhalterungen.<br />

1930 wurden e<strong>in</strong>ige Grabste<strong>in</strong>e von unbekannten Jugendlichen<br />

umgestürzt. Am Ostermontag 1947 mussten ehemalige Hitlerjungen<br />

die umgestoßenen Grabste<strong>in</strong>e wieder aufrichten.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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„Haus der Ewigkeit“ für 76 Tote<br />

Derzeit s<strong>in</strong>d 76 Gräber erfasst (was es mit der e<strong>in</strong>gravierten Nummer<br />

80 bei e<strong>in</strong>em der Grabste<strong>in</strong>e auf sich hat, ist mir nicht bekannt). Das<br />

erste Grab ist das von Brandl Wassermann (gestorben 2.8.1831); als<br />

letzter wurde Felix Wassermann beerdigt (gestorben 2.4.1932).<br />

Für die Bestattung gilt, dass im Tode alle gleich s<strong>in</strong>d, weshalb es für<br />

jeden nur e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen Holzsarg gibt und e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches weißes<br />

Tuch, <strong>in</strong> das der Tote e<strong>in</strong>gehüllt wird. Früher waren die Frauen beim<br />

Trauerzug nur am Anfang zugegen, später aber wurde es möglich,<br />

dass sie auch an der Beerdigung selbst teilnahmen. Das wichtigste<br />

Gebet bei der Beerdigung ist das Kaddisch: Erhoben und geheiligt<br />

werde se<strong>in</strong> großer Name auf der Welt, die nach se<strong>in</strong>em Willen von ihm<br />

geschaffen wurde. Se<strong>in</strong> Reich erstehe <strong>in</strong> eurem Leben <strong>in</strong> den eueren Tagen<br />

und im Leben des ganzen Hauses Israel, schnell und <strong>in</strong> nächster Zeit,<br />

sprecht: Amen! Se<strong>in</strong> großer Name sei gepriesen <strong>in</strong> Ewigkeit und Ewigkeit<br />

der Ewigkeiten. Gepriesen und gerühmt, verherrlicht, erhoben, erhöht,<br />

gefeiert, hocherhoben und gepriesen sei der Name des Heiligen, gelobt sei<br />

er, hoch über jedem Lob und Gesang, jeder Verherrlichung und<br />

Trostverheißung, die je <strong>in</strong> der Welt gesprochen wurde, sprecht Amen.<br />

E<strong>in</strong> jüdisches Grab wird nur e<strong>in</strong>mal belegt. Es ist Teil des „Hauses<br />

der Ewigkeit“ (bet olam), wie der Friedhof genannt wird. In diesem<br />

„Haus der Ewigkeit“ liegt der Tote <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Grab mit Blick nach<br />

Osten, um sofort zu sehen, wenn der Messias <strong>in</strong> Jerusalem ankommt<br />

und mit ihm die Ewigkeit beg<strong>in</strong>nt.<br />

Die Grabste<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d vorne meist hebräisch beschriftet und unten<br />

stehen die hebräischen Buchstaben TNZBH, was auf 1. Samuel 25,29<br />

h<strong>in</strong>weist und s<strong>in</strong>ngemäß so heißt: „Möge se<strong>in</strong>e Seele e<strong>in</strong>gebunden<br />

se<strong>in</strong> im Bündel des ewigen Lebens.“ H<strong>in</strong>ten auf den Grabste<strong>in</strong>en ist<br />

immer wieder die Inschrift auch <strong>in</strong> Deutsch. Aber bei Israel Landauer<br />

ist zum Beispiel nur e<strong>in</strong>e deutsche Inschrift vorne auf dem Grabste<strong>in</strong><br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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zu lesen. – E<strong>in</strong>ige der Symbole auf den Grabste<strong>in</strong>en kann man<br />

deuten:<br />

Die segnenden Hände weisen auf<br />

jemanden h<strong>in</strong>, der zum<br />

priesterlichen Geschlecht gehörte.<br />

Mit erhobenen Händen hat der<br />

Priester den aaronitischen Segen<br />

über die Geme<strong>in</strong>de gesprochen<br />

(4. Mose 6, 22-24).<br />

Die Zusammenordnung der F<strong>in</strong>ger<br />

auf dem Grabste<strong>in</strong> ergibt jeweils<br />

den hebräischen Buchstaben für „sch“, mit dem auch der alte<br />

Gottesname Schaddai beg<strong>in</strong>nt (so z.B. 1. Mose 17,1, wo Luther das<br />

Wort mit „der Allmächtige“ übersetzt).<br />

Das Schofarhorn weist darauf h<strong>in</strong>, dass hier e<strong>in</strong> Schofarbläser<br />

begraben liegt. Das Schofar (ausgehöhltes Widderhorn) ertönt am<br />

Neujahr und am Versöhnungstag und wird von Ehrenamtlichen<br />

gespielt. Mit dem Blasen des Schofarhorns wird e<strong>in</strong>st die<br />

Auferstehung der Toten e<strong>in</strong>geleitet. Die Ranken des immer<br />

grünenden Efeu s<strong>in</strong>d S<strong>in</strong>nbild des ewigen Lebens, die Mohnkapseln<br />

S<strong>in</strong>nbild des Todes und der ewigen Ruhe, welkende Blumen e<strong>in</strong><br />

S<strong>in</strong>nbild des Sterbens. Darüber h<strong>in</strong>aus haben die allgeme<strong>in</strong>en<br />

Stilrichtungen der Bestattungszeit – wie z.B. der Neoklassizismus mit<br />

se<strong>in</strong>en Säulen und Pilastern – Auswirkungen auf die Gestaltung der<br />

Grabste<strong>in</strong>e gehabt. – Die Herstellung der Grabste<strong>in</strong>e konnte<br />

ursprünglich nicht von jüdischen Handwerkern gemacht werden, weil<br />

sie ke<strong>in</strong>e Ste<strong>in</strong>metze se<strong>in</strong> durften. Deshalb haben christliche<br />

Ste<strong>in</strong>metze die Grabste<strong>in</strong>e nach genauen Vorlagen erarbeitet. (So: B.<br />

Göller) Es ist wahrsche<strong>in</strong>lich, dass später, im Zuge der politischen<br />

Gleichberechtigung nach 1828, auch <strong>Juden</strong> die Aufgabe übernahmen.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Die Pflege e<strong>in</strong>es jüdischen Grabes geschieht nicht mit Blumen,<br />

sondern man legt e<strong>in</strong>en Ste<strong>in</strong> auf das Grab. Der Ursprung dieser Sitte<br />

mag wohl <strong>in</strong> der Wüstenzeit liegen, wo die Gräber nicht so tief<br />

waren, und die Gefahr bestand, dass Tiere die Toten ausscharrten;<br />

hier sollten die Ste<strong>in</strong>e auf dem Grab so etwas verh<strong>in</strong>dern. Darüber<br />

h<strong>in</strong>aus könnte dieser Ste<strong>in</strong> auf dem Grab e<strong>in</strong> symbolischer H<strong>in</strong>weis<br />

auf e<strong>in</strong>en Gedenkste<strong>in</strong> se<strong>in</strong> – so wie es <strong>in</strong> biblischen Zeiten geschah,<br />

dass Ste<strong>in</strong>e aufgerichtet wurden, die an besondere Ereignisse<br />

er<strong>in</strong>nerten (1. Mose 28,18). Ferner ist zu bedenken, dass Blumen<br />

ursprünglich nicht als Grabschmuck geeignet waren, weil sie im<br />

heißen Land Israel schnell verwelken.<br />

Auf dem Weg zur Gleichstellung ab 1806<br />

Was änderte sich für die <strong>Juden</strong> im Königreich Württemberg?<br />

1806 kam die Herrschaft Morste<strong>in</strong> zum Königreich Württemberg.<br />

Das geschah im Rahmen der territorialen Veränderungen der<br />

napoleonischen Zeit <strong>in</strong> den Jahren 1803 - 1810; damals wurde die<br />

Fläche von Württemberg doppelt so groß, und die E<strong>in</strong>wohnerzahl<br />

nahm um e<strong>in</strong> Drittel zu. Für das Königreich Württemberg war der<br />

Zugang von <strong>Juden</strong> e<strong>in</strong>e große Umstellung, weil seit 1498 ke<strong>in</strong>e <strong>Juden</strong><br />

<strong>in</strong> Württemberg geduldet waren. Erst im 18. Jahrhundert kamen<br />

durch Übernahme neuer Gebiete 534 <strong>Juden</strong> dazu. Und nun, bis 1810,<br />

waren es über 7.000 jüdische Untertanen, darunter auch die 11<br />

jüdischen Haushalte <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>. 1817 zählte man bereits 8.256<br />

<strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Württemberg. Anders als früher wurden die <strong>Juden</strong> nicht<br />

vertrieben. Vielmehr setzte e<strong>in</strong> schwieriger Gesetzes- und<br />

Regelungsprozess e<strong>in</strong>, an dessen Ende die Gleichstellung der <strong>Juden</strong><br />

stand. So änderte sich für die <strong>Juden</strong> vieles zum Guten.<br />

▪ Das Schutzgeld g<strong>in</strong>g zunächst an die Staatskasse und wurde 1828<br />

aufgehoben und durch die Personalsteuer an die jüdische<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Zentralkirchenkasse ersetzt. Das Schulgeld zur Abhaltung von<br />

Gottesdiensten wurde sofort aufgehoben.<br />

▪ Im Gesetz vom 8.5.1828 „In Betreff der öffentlichen Verhältnisse<br />

der israelitischen Glaubens-Genossen“ geschah e<strong>in</strong> erster Schritt zur<br />

Gleichberechtigung: Mit gewissen E<strong>in</strong>schränkungen wurden aus den<br />

bisherigen Schutzjuden württembergische Untertanen mit garantierter<br />

Religionsfreiheit und freier Berufswahl. In diesem Gesetz wurde<br />

darauf gedrängt, dass die Jugendlichen e<strong>in</strong> „ordentliches Gewerbe“<br />

erlernen und vom Handel abgebracht werden.<br />

▪ Die religiöse Organisation wurde der christlichen angeglichen: Es<br />

entstand e<strong>in</strong>e israelitische Oberkirchenbehörde und e<strong>in</strong>e<br />

Zentralkirchenkasse. Es wurden Rabb<strong>in</strong>atsbezirke (wie Dekanate)<br />

e<strong>in</strong>gerichtet und die Verwaltung und Leitung der e<strong>in</strong>zelnen<br />

Geme<strong>in</strong>den genau vorgeschrieben. Die religiösen Angelegenheiten<br />

wurden – wie bei den Kirchen – stark staatlich reguliert. Erst 1912<br />

erhielten die Geme<strong>in</strong>den eigene Hoheit über ihre religiösen<br />

Angelegenheiten.<br />

▪ Im Gesetz vom 13.8.1864 erhielten die <strong>Juden</strong> die volle rechtliche<br />

Gleichstellung mit den anderen Bürgern.<br />

E<strong>in</strong>ige ergriffen rasch die Chancen<br />

Diese neuen gesetzlichen Regelungen hatten sehr positive<br />

Auswirkungen. Innerhalb der kurzen Zeit von zwei bis drei<br />

Generationen entwickelten sich die <strong>Juden</strong> von gesellschaftlichen<br />

Außenseitern zu e<strong>in</strong>er geachteten, wirtschaftlich erfolgreichen<br />

Bevölkerung, die sich zum Staat außerordentlich loyal verhielt. – Bei<br />

manchen g<strong>in</strong>g es besonders rasant:<br />

Dr. E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> So war es der Fall bei dem jüdischen Mediz<strong>in</strong>er Dr.<br />

E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>, der schon e<strong>in</strong>ige Jahre <strong>in</strong> Gerabronn praktizierte, bis er 1854<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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zum Oberamtswundarzt gewählt wurde, dem ersten <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />

solchen Position im Königreich Württemberg. Zur Wahlkommission<br />

gehörten der Schultheiß und Bezirksbeamte, also wichtige Leute im<br />

Oberamt, die alle die Wahl e<strong>in</strong>es <strong>Juden</strong> für dieses Amt als richtig<br />

erachteten.<br />

Israel Landauer (1843-1913)<br />

Nur wenige der deutschen <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Hohenlohe<br />

brachten es so weit wie Israel Landauer, der <strong>in</strong>tensiv<br />

die wirtschaftliche Entwicklung <strong>in</strong> Stadt und Bezirk<br />

Gerabronn förderte und e<strong>in</strong> ausgeprägtes soziales<br />

Bewusstse<strong>in</strong> hatte. Er half mit bei der Gründung der<br />

Landwirtschafts- und Gewerbebank Gerabronn, e<strong>in</strong>er<br />

Molkereigenossenschaft, e<strong>in</strong>er Baugenossenschaft, dem ersten<br />

Industriebetrieb <strong>in</strong> Gerabronn (Nährmittelfabrik Schüle) und der<br />

Zweigbahn <strong>Blaufelden</strong>-Gerabronn-Langenburg, der Förderung der<br />

Belange von Landwirtschaft und Viehzucht sowie der Erstellung der<br />

ersten vere<strong>in</strong>seigenen Turnhalle Deutschlands. Dem beliebten<br />

Ehrenbürger wurde aber auch antisemitisch geprägter Neid und<br />

Missgunst entgegengebracht, sowohl von den (antisemitischen)<br />

Bauernbündlern, wie auch<br />

durch den evangelischen<br />

Pfarrer Theodor Brecht <strong>in</strong><br />

Gerabronn.<br />

2<br />

An Israel Landauer er<strong>in</strong>nern<br />

noch heute <strong>in</strong> Gerabronn die<br />

Landauer Strasse, das<br />

Landauer-Haus (Bahnhofstr.<br />

23), se<strong>in</strong>e Stiftung des<br />

sozialen Wohnungsbaus für<br />

Arbeiter, und auf dem


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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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jüdischen Friedhof <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> weist e<strong>in</strong> markantes Grabmal auf ihn<br />

h<strong>in</strong>.<br />

Adolf Jandorf (1870-1932)<br />

In diesem Zusammenhang soll auch auf e<strong>in</strong>en weiteren<br />

herausragenden jüdischen Mitbürger aus Hohenlohe h<strong>in</strong>gewiesen<br />

werden. Es ist Adolf Jandorf aus Hengstfeld. Er hat 1907 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />

das erste Großkaufhaus Deutschlands eröffnet, nämlich das heute<br />

noch bestehende KaDeWe (Kaufhaus des Westens).<br />

Die Entwicklung auf dem Land verlief langsamer<br />

Bei der Mehrheit der <strong>Juden</strong> brauchte es aber Zeit, bis sie die neuen<br />

Chancen <strong>in</strong> Anspruch nahmen. Gerade auf dem Land blieb lange Zeit<br />

der Vieh- und Grundstückshandel e<strong>in</strong>e Domäne der <strong>Juden</strong>. Doch<br />

merkte man überall, dass sich die soziale Position und Situation der<br />

<strong>Juden</strong> veränderte: der Schacherhandel (z.B. Hausier- und<br />

Trödelhandel, Leihen auf Faustpfänder) g<strong>in</strong>g stark zurück, und die<br />

Betteljuden bildeten nun die Ausnahme. Überhaupt nahm der Zuzug<br />

<strong>in</strong> die Städte zu, und so wurden die beruflichen Chancen für die<br />

<strong>Juden</strong> besser. Lebten 1830 noch 93% aller <strong>Juden</strong> auf dem Dorf, so<br />

waren es 1930 weniger als 20%.<br />

Anfangsschwierigkeiten <strong>in</strong> der <strong>Dünsbach</strong>er Schule<br />

Zur Situation der E<strong>in</strong>schulung der <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> gibt es<br />

e<strong>in</strong> hoch<strong>in</strong>teressantes Dokument aus dem Jahre 1824. Eben <strong>in</strong> diesem<br />

Jahr hatte der König befohlen, dass auch jüdische K<strong>in</strong>der die Schule<br />

besuchen sollten. Über erste Erfahrungen damit berichtet der<br />

<strong>Dünsbach</strong>er Pfarrer Georg Friedrich Schmidt, der die Aufsicht über<br />

die Schule hatte. Die Wiedergabe dieses Schreibens erfolgt im<br />

Folgenden <strong>in</strong> Zusammenfassungen des Textes und Orig<strong>in</strong>alzitaten<br />

des Textes, den Bernhard Fischle und Susanne Kraft übertragen<br />

haben:<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Königliches Hochlöbliches geme<strong>in</strong>schaftliches Oberamt Gerabronn und<br />

<strong>Blaufelden</strong><br />

Dem Königlichen allerhöchsten<br />

Befehl, die hiesigen <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der<br />

zu unserem öffentlichen<br />

Schulunterricht beim Lesen,<br />

Schreiben und Rechnen<br />

zuzulassen, hat man hier mit der<br />

größten Bereitwilligkeit Folge<br />

geleistet, sobald er gegeben war,<br />

und die <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong><br />

Vierteljahr lang <strong>in</strong> die hiesige<br />

Schule genommen worden. Alle<strong>in</strong><br />

bey diesem bereitwilligen Versuch dem allerhöchsten Befehl<br />

nachzukommen, haben sich aus der Beschaffenheit der Umstände, <strong>in</strong><br />

welche befohlen worden war, folgende Schwierigkeiten und<br />

Bedenklichkeiten ergeben, die wir nicht beseitigen konnten….:<br />

▪ Der Schulraum <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> ist mit (umgerechnet) 24 m ² viel zu<br />

kle<strong>in</strong>: Deshalb können die derzeitigen 96 christlichen Schüler nur <strong>in</strong> 2<br />

Gruppen unterrichtet werden, weil sie sonst „so ungesund wie <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong>em Negerschiff (damalige Sklavenschiffe) zusammen<br />

geschluchtet“ wären. Wenn noch 18 <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der dazu kämen, wären<br />

3 Gruppen nötig.<br />

▪ E<strong>in</strong> zusätzlicher Hilfslehrer ist unbezahlbar: Bei e<strong>in</strong>er Schülerzahl<br />

über 100 könnte e<strong>in</strong> Hilfslehrer (Provisor) angestellt werden. Aber<br />

weder die Christen noch die <strong>Juden</strong> könnten ihn bezahlen, da sie alle<br />

sehr arm s<strong>in</strong>d.<br />

▪ Die Besoldung des Lehrers: Diese ist nur für die Christenk<strong>in</strong>der<br />

und nicht für die zusätzlichen <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der vorgesehen. E<strong>in</strong><br />

zusätzlicher Unterricht für die <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der würde vom Deputat für<br />

die Christenk<strong>in</strong>der abgehen.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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▪ Vorschlag e<strong>in</strong>er Lösung: E<strong>in</strong>e Lösung des Problems wäre es, dass<br />

der Lehrer im Sommer, wenn die Tage länger s<strong>in</strong>d, die <strong>Juden</strong> extra<br />

unterrichtet und dafür e<strong>in</strong>e zusätzliche Bezahlung durch das Oberamt<br />

erhält.<br />

Aus dem bisher gesagten darf man aber durchaus nicht schließen, dass wir<br />

irgend e<strong>in</strong>e Misgunst auf die hiesigen <strong>Juden</strong> geworfen hätten oder je werfen<br />

wollten. Wir haben gewis den hiesigen <strong>Juden</strong> nie etwas zu Leid gethan oder<br />

geredet, und wollen es auch künftig nicht thun. Es freut uns vielmehr, dass<br />

diese <strong>Juden</strong>, welche unter uns geboren s<strong>in</strong>d, unter uns auch Unterricht<br />

verlangen und ihren eigenen wahren Vortheil endlich selbst e<strong>in</strong>gesehen<br />

haben, sich künftig mehr zu verteutschen als bisher. Nur muss dieses<br />

achtungswerthe Streben nach dem Besseren ohne unseren Schaden nach<br />

Gerechtigkeit und Billigkeit geschehen, aber nicht nach Unrecht…..<br />

Der Staat hat aber dies bl<strong>in</strong>d und knechtisch religiöse Volk (nun) e<strong>in</strong>mal im<br />

Land; der Staat nimmt Abgaben von diesem Volk, das heißt: der Staat nützt<br />

dieses Volk so gut er kann, so gut e<strong>in</strong> solches Volk zu nützen ist. Dieses<br />

Volk ist auch Mensch, so verschieden es auch über Gott und<br />

Menschenbestimmung mit uns denken mag; darum ist der Staat schuldig,<br />

sie als Menschen zu behandeln, für sie als für Menschen zu sorgen und<br />

ihnen den erforderlichen Unterricht zu schaffen, um sie für die menschliche<br />

Gesellschaft menschlicher,<br />

brauchbarer und nützlicher zu<br />

machen.<br />

Unterricht ist heiligste Forderung<br />

aller Menschen, die im Lande<br />

geboren s<strong>in</strong>d, an die menschliche<br />

Gesellschaft des Landes. E<strong>in</strong><br />

Land, das irgende<strong>in</strong>em im Lande<br />

geborenen freien Unterricht<br />

versagt oder h<strong>in</strong>dert, stößt ihn<br />

vom Land aus und entzieht sich ihm als Vaterland. E<strong>in</strong> Staat, der den<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Menschen an se<strong>in</strong>em Unterricht geh<strong>in</strong>dert hat, hat ke<strong>in</strong> Recht mehr von<br />

diesem Menschen zu verlangen, dass dieser Mensch für den Staat lebe oder<br />

sterbe, denn er hat mit dieser Unterrichtsverweigerung selbst darauf<br />

verzichtet. -<br />

Ich b<strong>in</strong> hoch erstaunt, dass <strong>in</strong> der Begründung der Stellungnahme<br />

viele sehr positive und fortschrittliche Gedanken formuliert wurden,<br />

die ich so vor fast 200 Jahren nicht erwartet hätte.<br />

Welche Lösung 1824 gefunden wurde, wissen wir nicht. Etwa um<br />

1830 wurde <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> e<strong>in</strong>e jüdische, konfessionelle Schule<br />

e<strong>in</strong>gerichtet, die der Staat f<strong>in</strong>anziell förderte. 1847 (oder 1849)<br />

übersiedelte die Schule <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Neubau, <strong>in</strong> dem auch die<br />

Lehrerwohnung und das <strong>Juden</strong>bad untergebracht waren. In den dann<br />

folgenden Jahren g<strong>in</strong>g die Bevölkerung und damit die Zahl der<br />

K<strong>in</strong>der stark zurück. So gab es 1872 nur noch 10 schulpflichtige<br />

Buben und 2 Mädchen. Deshalb wurde nach 1900 die Schule<br />

geschlossen.<br />

Mite<strong>in</strong>ander von <strong>Juden</strong> und Christen 1900 – 1933<br />

Im Lauf der Jahrzehnte hat sich das Mite<strong>in</strong>ander immer weiter<br />

<strong>in</strong>tensiviert. Was Bruno Stern für Niederstetten schrieb, gilt wohl<br />

auch sonst für Franken: „<strong>Juden</strong> und Christen teilten Freud und Leid.<br />

Man feierte die guten Tage mite<strong>in</strong>ander und tröstete sich gegenseitig<br />

im Leid.“ E<strong>in</strong>en anderen E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> das Selbstverständnis vieler<br />

damaliger <strong>Juden</strong> gab Alfred Landauer, der Enkel von Israel<br />

Landauer, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zeitungs<strong>in</strong>terview (Hohenloher Tagblatt<br />

25.8.1983): „Was e<strong>in</strong>mal jüdische Erbschaft war, religiös und<br />

geme<strong>in</strong>schaftlich, davon wollten sie sich ganz und gar befreien… Die<br />

Landauers waren Gerabronner, Franken und vor allem Deutsche<br />

(mehr Deutsche als die Deutschen).“<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Für das Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> den Jahren 1900 bis 1933 haben mir ältere<br />

Personen alte Unterlagen oder Bilder zur Verfügung gestellt oder mir<br />

Er<strong>in</strong>nerungen aus ihrer Jugend mündlich mitgeteilt. Es s<strong>in</strong>d H<strong>in</strong>weise<br />

aus dem Alltag des Lebens, und gerade deshalb für das Mite<strong>in</strong>ander<br />

von Bedeutung.<br />

Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Schule und Jugendarbeit<br />

In der Schule war es zu e<strong>in</strong>em selbstverständlichen Mite<strong>in</strong>ander<br />

gekommen. Davon zeugt das hier abgebildete Foto, auf dem auch<br />

Siegbert und Gertrud Adler abgelichtet s<strong>in</strong>d.<br />

Siegbert Adler<br />

(oberste Reihe<br />

ganz l<strong>in</strong>ks)<br />

Gertud Adler<br />

(mittlere Reihe,<br />

2. von rechts)<br />

Oberklassen<br />

<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>,<br />

vermutlich 1936.<br />

mit Lehrer Adolf<br />

Blattner<br />

Von Otto Adler, dem älteren der Geschwister Adler, berichtet Fritz<br />

Frank, dass er se<strong>in</strong> Schulkamerad und Freund war. Fritz Frank wuchs<br />

damals <strong>in</strong> Großforst auf und musste nach <strong>Dünsbach</strong> zur Schule<br />

gehen. Nach dem Unterricht ließ er se<strong>in</strong>en Ranzen (um ihn nicht<br />

zurückschleppen zu müssen) bei se<strong>in</strong>em Freund Otto. Dessen Eltern<br />

gaben ihm immer wieder Matzen, was etwas Besonderes für e<strong>in</strong>en<br />

Christenjungen war.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Von der 13-jährigen Selma Wassermann f<strong>in</strong>den wir im Poesiealbum<br />

von Anna Diem das im Folgenden abgedruckte Gedicht:<br />

Nicht wie Rosen, nicht wie Nelken,<br />

Nicht wie Blumen, die verwelken,<br />

Sondern wie das Immergrün,<br />

Soll stets unsre Freundschaft blühen.<br />

Zum Andenken an de<strong>in</strong>e tr. Freund<strong>in</strong><br />

Selma Wassermann<br />

<strong>Dünsbach</strong>, den 6. März 1912<br />

Ebenfalls von Selma Wassermann hat Gudrun Grams, die Tochter<br />

des damaligen Geme<strong>in</strong>depfarrers Fritz Schrägle noch e<strong>in</strong>e ganz frühe<br />

Er<strong>in</strong>nerung: Das Mädchen war nämlich bei me<strong>in</strong>er Mutter im<br />

christlichen Kreis von Mädchen und jungen Frauen. Und e<strong>in</strong>es Tages<br />

war sie plötzlich nicht mehr gekommen. Darauf sagte me<strong>in</strong>e Mutter:<br />

Jetzt haben sie Wassermanns auch mitgenommen. Ich war damals<br />

höchstens 4 Jahre alt und werde die Hilflosigkeit <strong>in</strong> der Stimme<br />

me<strong>in</strong>er Mutter nie vergessen. – Übrigens berichtet Gudrun Grams<br />

von ihrer Mutter, dass sie als Pfarrfrau bei allen Bewohnern – und<br />

wohl auch bei den <strong>Juden</strong>, gewiss aber bei den Wassermanns –<br />

Besuche machte.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Mite<strong>in</strong>ander im Beruf<br />

Das Mite<strong>in</strong>ander war natürlich schon seit Jahrzehnten durch die<br />

beiden Gemischtwarengeschäfte gegeben: Wassermann <strong>in</strong> der Lange<br />

Straße 21 und Adler <strong>in</strong> der Oberste<strong>in</strong>acher Straße 4. Rudolf Adler<br />

hatte das Geschäft von se<strong>in</strong>em Vater Salomon Adler übernommen;<br />

nach dessen Tod im Jahre 1904 führte zunächst wohl se<strong>in</strong>e Mutter<br />

und später er selbst die Firma weiter.<br />

E<strong>in</strong>e Rechnung<br />

aus dem Jahre<br />

1912 belegt dies<br />

auf ihre Weise,<br />

ausgeschrieben<br />

auf „S. Adlers<br />

Witwe“ und die<br />

Untertitel hießen: „Lager <strong>in</strong> Spezerei-Waren, Zigarren und Tabake,<br />

Lager <strong>in</strong> allen Sorten Ellenware.“<br />

Rudolf Adler war mit se<strong>in</strong>en Stoffen auch <strong>in</strong> der Umgebung tätig.<br />

Walter Stepper aus Oberste<strong>in</strong>ach berichtet dazu folgenden E<strong>in</strong>druck:<br />

Oberste<strong>in</strong>ach hatte ja auch ke<strong>in</strong>e Textilläden. Da kam aus <strong>Dünsbach</strong><br />

der jüdische Händler Rudolf Adler. Er hausierte hier und <strong>in</strong> den<br />

umliegenden Ortschaften. Auf se<strong>in</strong>em Fahrrad mit Gepäckträger<br />

brachte er se<strong>in</strong>e Stoffe, Wolle und andere Textilwaren, wohl verpackt<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dunkelblauen Wachstuch zu se<strong>in</strong>en Kunden. So habe ich<br />

immer noch diesen ehrbaren, ehrlichen Mann <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung. Se<strong>in</strong><br />

Schicksal und das se<strong>in</strong>er Familie wurde dann durch die bekannten<br />

Maßnahmen des Dritten Reiches beschieden und besiegelt. – Rudolf<br />

Adler muss e<strong>in</strong> sehr k<strong>in</strong>derfreundlicher Mann gewesen se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e<br />

ehemalige Leofelser Schüler<strong>in</strong> aus Hessenau berichtete mir, dass die<br />

Hessenauer Schüler manchmal Rudolf Adler halfen, se<strong>in</strong> schwer<br />

bepacktes Fahrrad den sehr steilen Weg von Hessenau nach Leofels<br />

zu schieben. Danach bekamen sie von Rudolf Adler Bonbons, was<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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damals wertvoll für K<strong>in</strong>der war. – E<strong>in</strong>e andere ehemalige Schüler<strong>in</strong><br />

erzählte mir, dass die Schüler im Klassenzimmer genau aufpassten,<br />

wann Rudolf Adler <strong>in</strong> Leofels war. Dann g<strong>in</strong>gen sie <strong>in</strong> der Pause zu<br />

ihm h<strong>in</strong>aus, und er gab ihnen die begehrten Bonbons. Wenn aber der<br />

damalige Lehrer – offensichtlich e<strong>in</strong> bewusster Nazi – dies sah, dann<br />

wurde er sehr böse und tadelte se<strong>in</strong>e Schüler.<br />

Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> vielen Bereichen<br />

Wieder e<strong>in</strong>e andere Art des nachbarschaftlichen<br />

Mite<strong>in</strong>anders war die selbstverständliche<br />

Integration im Vere<strong>in</strong>sleben. Darauf weist e<strong>in</strong><br />

Foto von der E<strong>in</strong>weihung der renovierten<br />

Schlosskirche aus dem Jahre 1932 h<strong>in</strong>, das Rudolf<br />

Adler (Bild Mitte) als e<strong>in</strong>en der Sänger zeigt.<br />

Auch auf e<strong>in</strong>em Bild<br />

vom Ausflug des<br />

gemischten Chors im<br />

Jahre 1930 zum<br />

Niederwald-Denkmal<br />

können wir Rudolf<br />

Adler und se<strong>in</strong>e Frau<br />

erkennen. – E<strong>in</strong><br />

erfreuliches oder<br />

trauriges Zeichen des<br />

Mite<strong>in</strong>anders f<strong>in</strong>det<br />

sich auf dem<br />

Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkriegs <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>. Dort<br />

steht Otto Adler (1893 - 1915), der Bruder von Rudolf Adler, an<br />

erster Stelle jener, die „für Volk und Vaterland“ gefallen s<strong>in</strong>d.<br />

Überhaupt nahmen überproportional viele <strong>Juden</strong> als Wehrpflichtige<br />

oder als Freiwillige am Krieg teil; ihr Blutzoll war sehr hoch, die<br />

Zahl der Tapferkeitsauszeichnungen unverhältnismäßig hoch.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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entfachen durften.<br />

Auf e<strong>in</strong>e andere Art des<br />

nachbarschaftlichen Mite<strong>in</strong>anders<br />

weisen die hier abgebildeten Schalen<br />

h<strong>in</strong>. Diese erhielt e<strong>in</strong>e Christenfamilie<br />

als Dank dafür, dass sie ihren<br />

jüdischen Nachbarn am Sabbat das<br />

Feuer anzündete, das diese aus<br />

religiösen Gründen nicht selbst<br />

Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> der Ehe<br />

Auf e<strong>in</strong>e weitere Form des Mite<strong>in</strong>anders weisen die christlichjüdischen<br />

Ehen h<strong>in</strong>. So heiratete Jeanette Adler, e<strong>in</strong>e Schwester von<br />

Rudolf Adler, am 4. März 1912 den Wilhelm Grüb,<br />

Schwe<strong>in</strong>ekastrierer aus <strong>Dünsbach</strong>, der <strong>in</strong> Langenburg wohnte. Solche<br />

„Misch-Ehen“ hatten im „Dritten Reich“ e<strong>in</strong>e besondere<br />

Bewährungsprobe auszuhalten. Zwar war der jüdische Ehepartner<br />

durch se<strong>in</strong>en arischen Partner und se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der geschützt. Aber große<br />

Angst g<strong>in</strong>g um, wann und ob sich das ändere. E<strong>in</strong>erseits wurden die<br />

arischen Partner zur Scheidung ermutigt, auch Zwangsscheidungen<br />

wurden angedeutet. Andererseits verstärkte jede Andeutung <strong>in</strong> der<br />

Presse und jedes Gerücht die Angst. Der Evangelische<br />

Oberkirchenrat bat die Pfarrer ausdrücklich um die Betreuung der<br />

„Mischehen“. Landesbischof Wurm setzte sich bei staatlichen Stellen<br />

für diese Menschen e<strong>in</strong>. Aber dann bestimmte e<strong>in</strong> Erlass im Januar<br />

1945, dass auch die nichtjüdischen Ehepartner nach Theresienstadt<br />

deportiert werden sollten, was aber im März dann wieder rückgängig<br />

gemacht wurde. Jeanette Grüb konnte bis zum Kriegsende bei ihrem<br />

Mann <strong>in</strong> Langenburg bleiben.<br />

3<br />

Der Sohn, Albert Grüb (siehe Foto), begann se<strong>in</strong><br />

Studium der Tiermediz<strong>in</strong>, durfte es aber als K<strong>in</strong>d aus


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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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e<strong>in</strong>er „Mischehe“ nicht weiterführen und half zunächst se<strong>in</strong>em Vater<br />

beim Schwe<strong>in</strong>ekastrieren. Danach kam er mit se<strong>in</strong>er Schwester <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />

Arbeitslager <strong>in</strong> Stuttgart. Nach dem Krieg studierte er zu Ende und<br />

erhielt dann se<strong>in</strong>e ärztliche Approbation.<br />

Antisemitismus<br />

In Hohenlohe früher als anderswo <strong>in</strong> Württemberg<br />

Zunächst soll mit e<strong>in</strong>er Vorbemerkung zum Begriff Antisemitismus<br />

begonnen werden. Der Worts<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>t nicht nur die <strong>Juden</strong> sondern<br />

auch die Araber. Praktisch aber wird dieses Wort meist im<br />

e<strong>in</strong>geschränkten S<strong>in</strong>ne als Antijudaismus verwandt. Deshalb soll im<br />

Folgenden dieses missverständliche Wort im S<strong>in</strong>ne des<br />

Antijudaismus verwendet werden, weil es sich so e<strong>in</strong>gebürgert hat.<br />

Nach der Gleichstellung der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Württemberg (1864) und <strong>in</strong><br />

ganz Deutschland (1871) setzte vor allem <strong>in</strong> Norddeutschland e<strong>in</strong><br />

Antisemitismus e<strong>in</strong>. Er wurde am Kaiserhof durch den Hofprediger<br />

Adolf Stoecker (1835 - 1909) befördert und weiterh<strong>in</strong> etwa durch den<br />

Historiker He<strong>in</strong>rich von Treitschke, der 1879 das böse Wort<br />

aussprach: „Die <strong>Juden</strong> s<strong>in</strong>d unser Unglück.“ In dieser Zeit entstand<br />

auch die Form des rassischen Antisemitismus, der von völlig<br />

unwissenschaftlichen Voraussetzungen ausg<strong>in</strong>g. In Österreich<br />

wiederum entstand der deutsch-völkische Antisemitismus, der Adolf<br />

Hitler bee<strong>in</strong>flusste. – Doch gab es auch Menschen, die sich dem<br />

Antisemitismus aktiv widersetzten: So entstand bereits 1892 e<strong>in</strong><br />

Vere<strong>in</strong> zur Abwehr des Antisemitismus, zu dessen Stuttgarter<br />

Ortsvere<strong>in</strong> auch Robert Bosch gehörte. Aber von starken<br />

antisemitischen Strömungen ist <strong>in</strong> Württemberg zunächst meist nichts<br />

zu spüren, allenfalls <strong>in</strong> den größeren Städten.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Anders war es <strong>in</strong> Hohenlohe, wo schon vor 1933 das ländliche<br />

Oberamt Gerabronn – und im weiteren S<strong>in</strong>n das heutige Kreisgebiet<br />

Schwäbisch Hall – e<strong>in</strong>e Hochburg des Nationalsozialismus war.<br />

Denn „die fraglos Not leidende landwirtschaftliche Bevölkerung<br />

(war) von der Idee e<strong>in</strong>es versprochenen `Bauernreiches` angetan –<br />

und von ihrer bisherigen politischen Interessenvertretung, dem<br />

Bauernbund mit antidemokratischem und antisemitischem<br />

Gedankengut längst konfrontiert. Die gleichermaßen notleidenden<br />

Landwirte im katholischen Oberschwaben blieben dagegen bis<br />

zuletzt der katholischen Zentrumspartei treu“ (Müller, S. 86). Aber<br />

auch schon Jahrzehnte vorher war <strong>in</strong> Gerabronn der Antisemitismus<br />

aufgetreten, als der verdiente Gerabronner Ehrenbürger Israel<br />

Landauer (1843-1913) mit den antisemitischen Äußerungen des<br />

damaligen Stadtpfarrers Theodor Brecht umgehen musste. – Der<br />

Antisemitismus ist also ke<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung des Nationalsozialismus,<br />

sondern der hat nur aufgenommen und verstärkt, was verborgen und<br />

offen schon <strong>in</strong> den Herzen und den Köpfen von Menschen vorhanden<br />

war.<br />

Die <strong>Juden</strong>politik der Nationalsozialisten:<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierung, Pogrome, Auswanderung, Ausrottung<br />

„Nach nationalsozialistischer Auffassung zersetzten sie (die <strong>Juden</strong>)<br />

nur die Wirtsvölker <strong>in</strong> biologischer wie <strong>in</strong> geistiger H<strong>in</strong>sicht; sie<br />

mussten daher ausgemerzt werden. Außerdem sah Hitler <strong>in</strong> den <strong>Juden</strong><br />

die bolschewistische Führungsschicht, ohne deren Beseitigung der<br />

Bolschewismus se<strong>in</strong>er Ansicht nach nicht endgültig überwunden<br />

werden konnte“ (P. Sauer, Schicksale, Seite 282).<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierung<br />

Nach der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 wurde<br />

der Lebensraum der <strong>Juden</strong> durch vielerlei Verordnungen und Gesetze<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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(z.B. die „Nürnberger Gesetze“ von 1935) immer stärker<br />

e<strong>in</strong>geschränkt. Die Hetze gegen die <strong>Juden</strong> wurde <strong>in</strong>tensiviert. Aber<br />

auch Pogrome gehörten immer mehr dazu:<br />

Pogrome<br />

Zum ersten <strong>Juden</strong>pogrom <strong>in</strong> Hohenlohe kam es am Sabbat, 18. März<br />

1933, <strong>in</strong> Öhr<strong>in</strong>gen. Daraufh<strong>in</strong> gaben die drei dortigen evangelischen<br />

Pfarrer im „Hohenloher Boten“ die öffentliche Erklärung ab, dass sie<br />

über dieses Vorgehen sehr empört seien. E<strong>in</strong>e Woche später, am<br />

Sabbat 25. März 1933, kam es zum Pogrom <strong>in</strong><br />

Niederstetten. Der Geme<strong>in</strong>depfarrer Hermann<br />

Umfrid (siehe Foto) nahm daraufh<strong>in</strong> im<br />

Gottesdienst am 26. März 1933 – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er für<br />

heutigen Verhältnisse milden Weise – dazu<br />

Stellung. Aber nun setzte der Terror der Partei<br />

gegen ihn e<strong>in</strong>, so dass er im Januar 1934 am Ende<br />

se<strong>in</strong>er Kräfte war und sich das Leben nahm. – In<br />

Gesamt-Deutschland kam es <strong>in</strong> der Nacht vom 9. auf 10. November<br />

1938, <strong>in</strong> der Reichspogromnacht, zur Zerstörung sehr vieler jüdischer<br />

Gebetshäuser, Geschäfte und Wohnungen und zur Inhaftierung von<br />

30.000 <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Konzentrationslager. Auch die Synagoge <strong>in</strong><br />

<strong>Dünsbach</strong> wurde beschädigt.<br />

Auswanderung<br />

Viele der <strong>Juden</strong> erkannten den Ernst der Situation und wanderten aus.<br />

Siegbert Adler etwa floh 1938 nach Belgien, wo er allerd<strong>in</strong>gs später –<br />

nach dem E<strong>in</strong>marsch der Deutschen Wehrmacht – doch gefasst<br />

wurde. Se<strong>in</strong>em Bruder Otto glückte 1941 die Auswanderung <strong>in</strong> die<br />

USA. Andere hielten das Schlimmste nicht für möglich; vielleicht<br />

galt das auch für Rudolf Adler, dessen Bruder Otto im ersten<br />

Weltkrieg für se<strong>in</strong> Vaterland gefallen war. Von 31.091 <strong>Juden</strong> im<br />

Bereich des heutigen Baden-Württemberg konnten 19.224 bis 1941<br />

auswandern. Die meisten anderen wurden ermordet.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Deportationen<br />

Ab 1940 begannen die Deportationen aus Deutschland <strong>in</strong> den Osten;<br />

1941 war das auch <strong>in</strong> Württemberg der Fall. Das Ziel war es, dass<br />

ke<strong>in</strong>e <strong>Juden</strong> mehr <strong>in</strong> Deutschland leben sollten. Deshalb mussten sie<br />

„umgesiedelt“ werden. Und so wurden auch die ersten Transporte als<br />

Umsiedlung deklariert. Im Osten sollten sie dann zu solch harter<br />

Arbeit e<strong>in</strong>gesetzt werden, dass sie umkamen, und die dann noch<br />

Überlebenden sollten ermordet werden.<br />

Ermordung<br />

Bald stellte sich heraus, dass die Umsiedlung e<strong>in</strong>e Lüge war. Denn<br />

e<strong>in</strong> Großteil der <strong>Juden</strong> der ersten Transporte im Jahre 1941 wurde<br />

durch Massenerschießungen umgebracht. Ab 1941/1942 kam es zur<br />

Ausrottung durch Vergasung (<strong>in</strong> Ausschwitz wurden täglich bis zu<br />

10.000 Menschen umgebracht).<br />

Situation der jüdischen Bürger <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> 1930 - 1942<br />

Auch die <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> erfuhren, wie die Reichsregierung durch<br />

Gesetze und Verordnungen die Rechte der <strong>Juden</strong> immer mehr<br />

e<strong>in</strong>schränkte. Zum Beispiel durften die <strong>Juden</strong> die meisten Berufe<br />

nicht mehr ausüben, Geschäfte mussten geschlossen werden und die<br />

Arbeitslosen wurden zu Schwerstarbeit verpflichtet. Von den beiden<br />

jüdischen Gemischtwarengeschäften Adler und Wassermann wissen<br />

wir, dass Rudolf Adler Ende 1937 se<strong>in</strong> Geschäft aufgeben musste, da<br />

<strong>in</strong> den Jahren 1936/1937 der Umsatz aus Gründen der Rasse<br />

wesentlich zurückgegangen war. Dem Geschäft Wassermann wird es<br />

wohl ähnlich gegangen se<strong>in</strong>, doch musste es spätestens am 1.1.1939<br />

schließen. – Oder e<strong>in</strong> anderes Beispiel: „Bei der Zuteilung von<br />

Lebens- und Genussmitteln usw. wurde die jüdische Bevölkerung<br />

stark benachteiligt, von der Versorgung mit Textilien und Schuhen<br />

ganz ausgeschlossen“ (P. Sauer, Schicksale, Seite 111).<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Ausschreitungen s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> frühzeitig bekannt. So<br />

wurden im März 1930 – im Anschluss an e<strong>in</strong>e NS-Veranstaltung <strong>in</strong><br />

<strong>Dünsbach</strong> – <strong>Juden</strong> belästigt. Im Mai 1930 stürzen unbekannte Täter<br />

Grabste<strong>in</strong>e auf dem Friedhof um. Am 9. November 1938 <strong>in</strong> der<br />

Reichspogromnacht, wurde auch die <strong>Dünsbach</strong>er Synagoge<br />

beschädigt. Im August 1942 mussten die beiden letzten <strong>Juden</strong>,<br />

Hannchen Adler und Clotilde Wassermann, <strong>Dünsbach</strong> verlassen.<br />

Verhalten der <strong>Dünsbach</strong>er Bürger<br />

Das persönliche Verhalten der <strong>Dünsbach</strong>er Bürger änderte sich nun.<br />

War vorher das Zusammenleben friedlich und selbstverständlich<br />

gewesen, so verhielten sich e<strong>in</strong>ige nun sehr aggressiv im S<strong>in</strong>ne der<br />

NS-Ideologie. Sie warfen zum Beispiel nachts Ste<strong>in</strong>e auf das Haus<br />

Adler. Andererseits gab es dann mutige <strong>Dünsbach</strong>er Christen, die,<br />

trotz aller Gefahren, zu den jüdischen Mitbürgern standen. So weiß<br />

man von e<strong>in</strong>em Mann, der e<strong>in</strong>ige Nächte bei der alten Hannchen<br />

Adler verbrachte, um ihr etwas von der Furcht zu nehmen. Sie<br />

wohnte damals alle<strong>in</strong> im Haus Oberste<strong>in</strong>acher Straße 4, nachdem ihre<br />

Familie deportiert worden war. Schließlich zog Hannchen Adler zu<br />

Clotilde Wassermann <strong>in</strong>s Haus Lange Strasse 21; dort versorgten<br />

manche <strong>Dünsbach</strong>er heimlich die Damen mit Essen und nahmen<br />

dabei die Gefahr auf sich, auch selbst verhaftet zu werden. Ja, es war<br />

sogar e<strong>in</strong>e <strong>Dünsbach</strong>er Frau, die im August 1942 die beiden<br />

jüdischen Frauen zum Bahnhof Eckartshausen begleitete, von wo aus<br />

sie mit dem Sammeltransport im Viehwagen nach Stuttgart gebracht<br />

wurden. – Mit diesen beiden Frauen geht die Geschichte der<br />

<strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> zu Ende, aber hoffentlich nicht das Denken und<br />

die Er<strong>in</strong>nerung an sie.<br />

Wie verhielt sich der Kirchengeme<strong>in</strong>derat?<br />

Von dem Kirchengeme<strong>in</strong>derat und von dem Geme<strong>in</strong>depfarrer s<strong>in</strong>d<br />

mir ke<strong>in</strong>e Äußerungen zu diesem Thema bekannt. In den<br />

Kirchengeme<strong>in</strong>deratsprotokollen der Zeit von 1933 bis 1942 wird auf<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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die jüdischen Mitbürger nicht Bezug genommen. Sehr wohl aber<br />

setzte sich der Kirchengeme<strong>in</strong>derat <strong>in</strong>tensiv dafür e<strong>in</strong>, dass das<br />

„<strong>Juden</strong>buch“, das Alte Testament, weiterh<strong>in</strong> selbstverständlicher Teil<br />

des Religionsunterrichts se<strong>in</strong> sollte. Diese Ause<strong>in</strong>andersetzung war<br />

e<strong>in</strong>er der Gründe, warum der Religionsunterricht von der Schule <strong>in</strong><br />

die kirchlichen Räume verlegt wurde (1939?). Aber vom E<strong>in</strong>satz des<br />

Kirchengeme<strong>in</strong>derats für die jüdischen Mitbürger ist nirgends etwas<br />

niedergeschrieben worden. Ob es dennoch im Verborgenen geschah<br />

(siehe oben), können wir nur hoffen.<br />

Wie verhielt sich die Evang. Landeskirche <strong>in</strong> Württemberg?<br />

Diese Hilfe von E<strong>in</strong>zelnen und andererseits das Schweigen der<br />

Mehrheit sche<strong>in</strong>en typisch für die Situation <strong>in</strong> der Evangelischen<br />

Landeskirche gewesen zu se<strong>in</strong>. Es darf nicht übersehen werden, dass<br />

die große Mehrheit – auch der evangelischen Christen – zu dem<br />

Verbrechen an <strong>Juden</strong> schwieg und lieber weg sah, als sich durch e<strong>in</strong><br />

kritisches Wort <strong>in</strong> Gefahr zu br<strong>in</strong>gen. Ke<strong>in</strong> deutscher Bischof wagte<br />

e<strong>in</strong>en öffentlichen Protest. Landesbischof Wurm brach 1943 endlich<br />

se<strong>in</strong> Schweigen zur <strong>Juden</strong>verfolgung. Er hatte zuvor nie e<strong>in</strong>en Hehl<br />

daraus gemacht, dass er den se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach zu großen E<strong>in</strong>fluss<br />

der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Deutschland ablehnte. Den millionenfachen Mord an<br />

den <strong>Juden</strong>, von dem er frühzeitig erfuhr, hielt er jedoch für e<strong>in</strong><br />

schweres Unrecht, das das Gericht Gottes über das deutsche Volk<br />

nach sich ziehen würde. In e<strong>in</strong>em Brief vom 16. Juli 1943 an Hitler<br />

protestierte Wurm mit sehr deutlichen Worten. Dieses Schreiben<br />

wurde – wie auch andere Briefe Wurms – <strong>in</strong> ganz Deutschland<br />

verbreitet. H. Ehmer u.a.: Gott und Welt <strong>in</strong> Württemberg, Seite 202, f<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Was geschah mit den letzten jüdischen Bürgern <strong>in</strong><br />

<strong>Dünsbach</strong>?<br />

Vielerlei ist bekannt vom Schicksal der letzten <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>.<br />

Aber es gibt auch viele Lücken <strong>in</strong> den Informationen. Aufgrund<br />

dieser nicht immer e<strong>in</strong>deutigen Quellenlage wurden die folgenden<br />

Informationen nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt.<br />

8 jüdische E<strong>in</strong>wohner im Jahr 1938<br />

Im Jahr 1938 lebten <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> vermutlich noch folgende 8 <strong>Juden</strong><br />

(die Namen und das Geburtsjahr s<strong>in</strong>d den Unterlagen des<br />

Standesamtes <strong>in</strong> Gerabronn entnommen):<br />

- Familie Adler: Großmutter Hannchen, geb. Strauß (geb. 1864), die<br />

Eltern Rudolf (geb. 1889) und Klara, geb. Bernheimer (geb. 1896),<br />

sowie die K<strong>in</strong>der, Siegbert (geb. 1924) und Gertrud (geb. 1926). Die<br />

Familie wohnte im Haus Oberste<strong>in</strong>acher Str. 4, früher Haus-Nr. 88.<br />

Der älteste Sohn Salomon Otto (geb. 1921) war schon 1934 zur<br />

Ausbildung nach Essl<strong>in</strong>gen gegangen.<br />

- Adolf Arnste<strong>in</strong> (geb. 1901). Er stammte ursprünglich aus<br />

<strong>Dünsbach</strong> und wohnte <strong>in</strong> der <strong>Juden</strong>gasse 5, früher Haus-Nr. 59.<br />

Nachdem er se<strong>in</strong>en Beruf als Schmuser (Vermittler von Geschäften)<br />

verloren hatte, war er an verschiedenen Orten wohnhaft und tätig.<br />

Bekannt s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Aufenthalte <strong>in</strong> Lehrenste<strong>in</strong>sfeld (März bis April<br />

1935) ,<strong>in</strong> Bad Mergentheim, <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> (Oktober 1937 bis April<br />

1938), <strong>in</strong> Crailsheim (ab 18. April 1938) und von Stuttgart wissen<br />

wir, dass er sich dort am 21. Oktober 1940 verheiratet hat.<br />

- Familie Wassermann: Mutter Clotilde, geb. Le<strong>in</strong><strong>in</strong>ger (geb. 1870)<br />

und Tochter Selma (geb. 1899) wohnten im Haus Lange Straße 21,<br />

früher Haus-Nr. 43.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Diese 8 jüdischen Mitbürger wurden deportiert und dann ermordet.<br />

Nur Otto Adler, der schon 1934 <strong>Dünsbach</strong> verlassen hatte, konnte<br />

noch 1941 <strong>in</strong> die USA auswandern.<br />

Art und Wege der Deportationen <strong>in</strong> Württemberg<br />

Die Deportationen (1941/1942) wurden <strong>in</strong> verschiedener Weise als<br />

Umsiedlungen <strong>in</strong> den Osten getarnt. Die Menschen mussten sogar<br />

ihre Fahrkarte mit 57,67 RM selbst bezahlen. Sie durften solches<br />

Gepäck mitnehmen, das den Sche<strong>in</strong> dieser Umsiedlung<br />

aufrechterhalten sollte, nämlich zum Beispiel Bau- und<br />

Küchengeräte, Spaten und Fensterglas, was später jedoch den<br />

Besitzern abgenommen wurde.<br />

Ebenso wurden die alten Menschen 1942 vor ihrem Transport <strong>in</strong> das<br />

sogenannte Altersghetto <strong>in</strong> Theresienstadt getäuscht. Die alten<br />

Menschen wurden aufgefordert, „den ihnen verbliebenen Rest ihres<br />

Vermögens <strong>in</strong> sog. Heime<strong>in</strong>kaufsverträgen anzulegen, die ihnen e<strong>in</strong>e<br />

angemessene Unterbr<strong>in</strong>gung und lebenslange Versorgung im<br />

Altersghetto Theresienstadt – die Gestapo bezeichnete es <strong>in</strong> bitterer<br />

Ironie als das jüdische Altersheim des Reiches – gewährleisten<br />

sollte.“ (Paul Sauer, Schicksale, Seite 293)<br />

3<br />

Zwischenstation Stuttgart-Killesberg<br />

In Stuttgart Nord auf dem Killesberg<br />

wurden die <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Sammellager <strong>in</strong><br />

der „Ehrenhalle des Reichsnährstandes“<br />

(von der Reichsgartenschau 1939)<br />

untergebracht. Vom Killesberg aus g<strong>in</strong>gen<br />

die <strong>Juden</strong> dann zu Fuß an der<br />

Evangelischen Mart<strong>in</strong>skirche vorbei zum<br />

Inneren Nordbahnhof und wurden von dort<br />

aus <strong>in</strong> den Osten deportiert.


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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Im Jahre 1991 hat die Evangelische Kirchengeme<strong>in</strong>de an der<br />

Mart<strong>in</strong>skirche e<strong>in</strong>e Tafel mit folgendem Text angebracht:<br />

Zur Er<strong>in</strong>nerung<br />

Zum Gedenken<br />

Zur Mahnung<br />

An dieser Kirche vorbei wurden<br />

zahllose, vor allem jüdische Opfer des<br />

nationalsozialistischen<br />

Unrechtsregimes, zu den Bahngleisen<br />

des<br />

Nordbahnhofs geführt und <strong>in</strong> Elend<br />

und Tod geschickt.<br />

Unter den Augen der Evangelischen<br />

Mart<strong>in</strong>sgeme<strong>in</strong>de wurden sie<br />

deportiert. 1941 – 1945<br />

1991<br />

Abtransport ab Stuttgart Nordbahnhof<br />

7 <strong>Dünsbach</strong>er Namen auf dem Gedenkste<strong>in</strong><br />

Die Abfahrtsstelle für die<br />

Transporte <strong>in</strong> Stuttgart Nord<br />

ist heute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Gedenkstätte<br />

umgewandelt, die sich nicht<br />

weit weg von der<br />

Evangelischen Mart<strong>in</strong>skirche<br />

bef<strong>in</strong>det. Auf der großen<br />

Außenwand stehen die Worte:<br />

„Zeichen der Er<strong>in</strong>nerung“. An<br />

der Innenwand werden die<br />

Namen der 2.500 deportierten<br />

<strong>Juden</strong> und auch e<strong>in</strong>zelner S<strong>in</strong>ti aufgeführt, die <strong>in</strong> zehn Transporten<br />

vom 1.12.1941 bis zum 12.2.1945 Stuttgart verließen. Darunter s<strong>in</strong>d<br />

auch 7 <strong>Juden</strong> aus <strong>Dünsbach</strong>.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Deportation am 1. Dezember 1941<br />

Zu diesem Transport gehörten 5 <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong>. Ihr Schicksal soll<br />

nun im Folgenden bedacht werden:<br />

Rudolf, Klara und Gertrud Adler: Wie lange diese drei <strong>in</strong><br />

<strong>Dünsbach</strong> blieben, darüber gibt es verschiedene Informationen, die<br />

hier nebene<strong>in</strong>ander aufgeführt werden sollen:<br />

(1) E<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>deglied aus <strong>Dünsbach</strong> wusste, dass Rudolf Adler <strong>in</strong><br />

Stuttgart Zwangsarbeit leisten musste, und wenn er nach <strong>Dünsbach</strong><br />

zurückkam, wirkte er sehr entkräftet. Dieselbe Person sagte, dass die<br />

drei Familienmitglieder schließlich geme<strong>in</strong>sam von <strong>Dünsbach</strong> aus<br />

deportiert wurden.<br />

(2) E<strong>in</strong>e andere Information, und zwar aus dem Staatsarchiv, bezeugt,<br />

dass Rudolf Adler und se<strong>in</strong>e Frau am 8.3.1940 nach Stuttgart-Bad<br />

Cannstatt verzogen s<strong>in</strong>d. Im Adressbuch von Stuttgart aus dem Jahr<br />

1941 (Abteilung Jüdische E<strong>in</strong>wohner) ist Rudolf Adler als<br />

Bauarbeiter, wohnhaft Schmiedener Straße, (beim Israelitischen<br />

Friedhof Cannstatt), e<strong>in</strong>getragen; es handelt sich dabei um e<strong>in</strong> Haus,<br />

das an das jüdische Friedhofsgebäude angebaut war.<br />

(3) Nach Informationen von<br />

Gerhard Hiller von der<br />

„Stolperste<strong>in</strong>-Aktion“ <strong>in</strong><br />

Stuttgart hatte das Ehepaar<br />

Adler bis Januar 1939<br />

se<strong>in</strong>en Lebens-Mittelpunkt<br />

im Haus Ostendstraße 83 <strong>in</strong><br />

Stuttgart-Ostheim.<br />

Zwei Stolperste<strong>in</strong>e er<strong>in</strong>nern daran: die Angaben darauf sche<strong>in</strong>en<br />

allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e andere Quellenlage zu kennen, als sie <strong>in</strong> den Büchern<br />

im Standesamt Gerabronn zu f<strong>in</strong>den ist: dort ist z.B. Klara Adler e<strong>in</strong>e<br />

geborene Bernheimer, ihre Deportation muss schon 1941 erfolgt se<strong>in</strong>.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Bis Oktober 1939 war – so Gerhard Hiller – Rudolf Adler <strong>in</strong> der<br />

Stöckachstraße 1 gemeldet und später <strong>in</strong> der Schmiedener Straße <strong>in</strong><br />

Bad Cannstatt.<br />

(4) Die 13-jährige Tochter Gertrud kam am 23. April 1939 <strong>in</strong> das<br />

israelitische Waisenhaus Wilhelmspflege <strong>in</strong> Essl<strong>in</strong>gen, vielleicht aus<br />

dem Grund, dass sie dort ihre Schulausbildung fortsetzen wollte.<br />

Nach der Schließung des Hauses im September 1939 g<strong>in</strong>g sie<br />

vermutlich zu ihren Eltern nach <strong>Dünsbach</strong> oder Bad Cannstatt.<br />

Wo auch immer der letzte Wohnort dieser drei Mitglieder der Familie<br />

Adler war, sie gehörten sicher zu denen, die sich ab 26. November<br />

1941 auf dem Killesberg sammeln mussten und am 1. Dezember<br />

1941 deportiert wurden. Das Ende dieser drei Familienmitglieder ist<br />

im Dunkeln. Alle drei wurden dann durch Beschluss des<br />

Amtsgerichts Bad Cannstatt und auf Antrag von Otto Adler aus den<br />

USA im Jahre 1950 für tot erklärt. Als Todeszeitpunkt wurde der 31.<br />

Dezember 1941 festgesetzt.<br />

Adolf Arnste<strong>in</strong> war 1938 von <strong>Dünsbach</strong> nach Crailsheim verzogen<br />

und dann nach Stuttgart, wo er heiratete. Er musste Stuttgart mit dem<br />

großen Sammeltransport am 1.12.1941 <strong>in</strong> Richtung Riga verlassen.<br />

Er war dann wohl <strong>in</strong> verschiedenen KZs untergebracht und ist am<br />

24.3.1945 im KZ Dachau-Kaufer<strong>in</strong>g verstorben.<br />

Selma Wassermann wurde am 1.12.1941 von Stuttgart nach Riga<br />

deportiert. Wann sie ums Leben kam, ist nicht bekannt.<br />

Der Verlauf des Transports<br />

Am 1. Dezember 1941 zwischen 8 und 9 Uhr verließ der Zug mit 981<br />

Menschen den Inneren Bahnhof <strong>in</strong> Stuttgart Nord. Die Menschen<br />

waren dann Tage und Nächte unterwegs bis sie dann am 4. Dezember<br />

1941 auf dem Bahnhof Skirotawa <strong>in</strong> Riga/Letland ankamen. Dort<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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wurden sie von SS-Leuten <strong>in</strong> Empfang genommen, die sie teils ihres<br />

Gepäcks beraubten und sie auch schlugen. Die meisten aus diesem<br />

Transport kamen <strong>in</strong> das 2 km entfernte Lager Jungfernhof, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er<br />

Teil wohl auch <strong>in</strong> das Ghetto von Riga.<br />

Folker Förtsch schrieb <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zeitungsartikel im Hohenloher<br />

Tagblatt vom 26.01.2002: „Das Lager Jungfernhof war e<strong>in</strong><br />

landwirtschaftliches Gut <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sehr schlechtem Zustand. E<strong>in</strong><br />

Überlebender berichtete: Die Unterbr<strong>in</strong>gung der Menschen war<br />

katastrophal, 500 Frauen und K<strong>in</strong>der waren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Viehstall<br />

untergebracht, die Männer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er offenen Scheune, ohne Türen und<br />

Fensterrahmen. Das Dach war völlig verkommen, Schnee, Regen<br />

und W<strong>in</strong>d hatten wir Tag und Nacht auf unseren angewiesenen<br />

Schlafplätzen. Wenn man früh aufwachte, war das erste, dass man<br />

den Schnee von den Decken schüttelte, was manches mal misslang,<br />

da derselbe bei –32 Grad Celsius angefroren war. Viele erfroren<br />

während der Nächte. E<strong>in</strong> besonderes Arbeitskommando musste<br />

täglich die steif gefrorenen Toten aus den Kojen ziehen und abseits<br />

der Scheune aufstapeln. Häftl<strong>in</strong>ge, die flohen, aber wieder<br />

e<strong>in</strong>gefangen wurden, endeten nach grausamen Folterungen am<br />

Galgen. Bei gelungenen Fluchtversuchen mussten jeweils zwei bis<br />

vier willkürlich bestimmte Häftl<strong>in</strong>ge mit dem Leben bezahlen.“<br />

E<strong>in</strong>e Anzahl von Männern kam bereits kurz nach E<strong>in</strong>treffen des<br />

Transports <strong>in</strong> das etwa 12 km entfernte Lager Salaspils. Die<br />

Bed<strong>in</strong>gungen dort waren aber noch schlimmer als im Lager<br />

Jungfernhof, so dass viele buchstäblich verhungerten. Die letzte<br />

Nachricht, die wir von Rudolf Adler haben, ist, dass er <strong>in</strong> diesem<br />

Lager Salaspils gestorben se<strong>in</strong> soll (oder er starb <strong>in</strong> Auschwitz, wie<br />

se<strong>in</strong> Sohn Otto vermutete).<br />

Von den <strong>Juden</strong> aus Württemberg, die den Schreckensw<strong>in</strong>ter bei Riga<br />

1941/1942 überlebten, wurden viele am 26. März 1942 ermordet:<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Damals wurde e<strong>in</strong> Transport mit 1.500 Personen zusammen gestellt,<br />

nämlich von Müttern mit K<strong>in</strong>dern unter 14 Jahren, Personen über 50<br />

Jahre, sowie Arbeitsunfähige und Kranke.<br />

Als Ziel wurde e<strong>in</strong>e<br />

schöne Perspektive<br />

vorgegaukelt, nach<br />

der die Kranken <strong>in</strong><br />

e<strong>in</strong> Sanatorium<br />

kämen und die<br />

Arbeitsfähigen <strong>in</strong><br />

der Konservenfabrik<br />

Arbeit fänden.<br />

Tatsächlich aber<br />

wurden sie nach<br />

Bikernieki (siehe Foto), dem „Birkenwäldchen“, im Hochwald bei<br />

Riga gebracht, der H<strong>in</strong>richtungsstätte des Rigaer Ghettos, und dort<br />

erschossen. – Von den 981 Personen, die nach Riga deportiert<br />

worden waren, kamen 939 um. Nur 42 Menschen überlebten.<br />

Deportation am 22. August 1942<br />

Hannchen Adler sowie Clotilde Wassermann wohnten <strong>in</strong><br />

<strong>Dünsbach</strong> zuletzt geme<strong>in</strong>sam im Haus Lange Straße 21. Hannchen<br />

Adler war 78 Jahre alt und<br />

Clotilde Wassermann 71<br />

Jahre, als sie deportiert<br />

wurden. Der Weg <strong>in</strong> den<br />

Osten begann für die letzten<br />

beiden Jüd<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

im Jahr 1942 mit dem<br />

L<strong>in</strong>ienbus ab <strong>Dünsbach</strong>. Und<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Hannchen Adler rief noch, aus dem Bus heraus, ihrer Bekannten e<strong>in</strong><br />

„Auf Wiedersehen“ zu.<br />

Am Bahnhof Eckartshausen mussten sie sich e<strong>in</strong>em zentralen<br />

Sammeltransport anschließen. Bis dah<strong>in</strong> hatte sie e<strong>in</strong>e Frau aus der<br />

evangelischen Kirchengeme<strong>in</strong>de begleitet. Im Sammellager am<br />

Killesberg konnten sie <strong>in</strong> der Nacht zumeist nur auf Stühlen<br />

schlafen. Sie wurden am 22. August 1942 zusammen mit anderen<br />

1.100 <strong>Juden</strong> aus Württemberg und Baden <strong>in</strong> Viehwaggons von<br />

Stuttgart aus <strong>in</strong>s „Altersghetto“ nach Theresienstadt gebracht. Die<br />

Verhältnisse dort waren völlig katastrophal. Die meisten älteren<br />

Menschen starben an Schmutz und Unterernährung. Die Jüngeren<br />

wurden weiter <strong>in</strong> den Osten transportiert.<br />

Hannchen Adler starb am 13. September 1942 <strong>in</strong> Theresienstadt.<br />

Clotilde Wassermann wurde mit vielen anderen am 22. September<br />

1942 <strong>in</strong> e<strong>in</strong> anderes „Versorgungsghetto“ abtransportiert. Tatsächlich<br />

wurde sie aber ermordet: die e<strong>in</strong>e Quelle besagt, dass dies im KZ<br />

Trebl<strong>in</strong>ka geschah, wahrsche<strong>in</strong>licher aber ist es, dass sie <strong>in</strong> den<br />

Gaskammern von Maly Trost<strong>in</strong>ec/Weißrußland umkam.<br />

Von den 1.100 Personen des Transports am 22. August 1942 nach<br />

Theresienstadt kamen 1.049 um, nur 51 überlebten.<br />

Deportation aus Belgien<br />

Siegbert Adler war nach der Zeit <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> auch <strong>in</strong> Braunsbach<br />

gemeldet. Er floh 1938 im Alter von 14 Jahren nach Mechelen <strong>in</strong><br />

Belgien. Nach dem E<strong>in</strong>marsch der deutschen Truppen wurde er<br />

aufgespürt und über das Lager Mal<strong>in</strong>es am 31. Oktober 1942 <strong>in</strong>s KZ<br />

Auschwitz deportiert. Vermutlich ist er 1942 oder 1943 dort ermordet<br />

worden.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Was geschah mit dem Eigentum der deportierten<br />

<strong>Juden</strong>?<br />

Vor der Deportation hatten die Menschen e<strong>in</strong>e detaillierte<br />

Vermögenserklärung abzugeben. Wertgegenstände durften bei der<br />

Deportation nicht mitgenommen werden. Nach Überschreiten der<br />

Staatsgrenze fiel das Vermögen an den Staat, und die Personen<br />

verloren die deutsche Staatsangehörigkeit. – Die Verwaltung des<br />

jüdischen Vermögens oblag den F<strong>in</strong>anzämtern. Die persönliche Habe<br />

<strong>in</strong> den Wohnungen wurde unter der Bevölkerung versteigert. So<br />

geschah es auch <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>.<br />

Die beiden Häuser Adler und Wassermann g<strong>in</strong>gen an die Geme<strong>in</strong>de.<br />

Nach dem 2. Weltkrieg regelte e<strong>in</strong> Rückerstattungsgesetz, dass alle<br />

Rechtsgeschäfte über jüdischen Besitz seit 1937 angefochten werden<br />

konnten. Das Gebäude Wassermann hatte die Geme<strong>in</strong>de <strong>Dünsbach</strong><br />

1944 vom Deutschen Reich gekauft, es wurde am 13.3.1951 im<br />

Namen der Jewish Restitution Successor Organization New York an<br />

e<strong>in</strong>e <strong>Dünsbach</strong>er Bürger<strong>in</strong> verkauft.<br />

Was das Haus Adler betraf, soll es am 29.12.1939 an die Geme<strong>in</strong>de<br />

<strong>Dünsbach</strong> verkauft worden se<strong>in</strong>. Entsprechend dem oben erwähnten<br />

Gesetz kam es später zu Verhandlungen zwischen dem <strong>Dünsbach</strong>er<br />

Bürgermeister Karl Hornberger und Otto Adler. Die beiden e<strong>in</strong>igten<br />

sich auf e<strong>in</strong>en Vergleich, so dass die Geme<strong>in</strong>de <strong>Dünsbach</strong> noch 6.500<br />

DM zu zahlen hatte. Der Vergleich kam zustande weil Otto Adler<br />

nicht auf se<strong>in</strong> letztes Recht pochte, sondern auf e<strong>in</strong>en Kompromiss<br />

zug<strong>in</strong>g. Bürgermeister Hornberger hat das e<strong>in</strong>mal so<br />

zusammengefasst: „Otto Adler hat mir se<strong>in</strong>erzeit geschrieben, lieber<br />

e<strong>in</strong>en Vergleich zustande zu br<strong>in</strong>gen, als evtl. noch mehr Hass zu<br />

streuen. Dies war e<strong>in</strong>e sehr beachtliche und vernünftige E<strong>in</strong>stellung,<br />

wenn man bedenkt, was diese Familie und die <strong>Juden</strong> allgeme<strong>in</strong><br />

erleben mussten.“<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Nur e<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>er Jude entg<strong>in</strong>g dem Holocaust<br />

Wie alles begann<br />

Als Otto Adler 1921 zur Welt kam, war alles noch unproblematisch.<br />

So besuchte er 1927 – 1934 die Evangelische Volksschule <strong>in</strong><br />

<strong>Dünsbach</strong> und schloss dort mit e<strong>in</strong>em guten Zeugnis ab. Aber<br />

danach bekam Otto Adler immer deutlicher die Folgen der<br />

Diskrim<strong>in</strong>ierung zu spüren. Er wollte sich weiterbilden. Er nutzte<br />

die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit, die für ihn bestand, <strong>in</strong>dem er 1934/35 <strong>in</strong><br />

der Schule des jüdischen Waisenhauses Essl<strong>in</strong>gen das 8.<br />

Schuljahr absolvierte. Am 3.5.1935 begann er e<strong>in</strong>e Bäckerlehre<br />

<strong>in</strong> Essl<strong>in</strong>gen, wurde aber bereits am 29.6.1935 aus rassischen<br />

Gründen entlassen. Am 16.7.1935 konnte er e<strong>in</strong>e kaufmännische<br />

Lehre bei e<strong>in</strong>er jüdischen Firma <strong>in</strong> Cannstatt beg<strong>in</strong>nen und<br />

abschließen und wurde anschließend dort angestellt. Am<br />

9.1.1939 erhielt er se<strong>in</strong>e Entlassung, da die Firma als nicht arisch<br />

aufgelöst wurde. Danach suchte er andere Arbeitsstellen und war<br />

so auch bei dem Baugeschäft Mutschler <strong>in</strong> Stuttgart tätig. Zuletzt<br />

wohnte er bei se<strong>in</strong>en Eltern, als diese, wie er selbst berichtet,<br />

Anfang 1940 von <strong>Dünsbach</strong> nach Cannstatt <strong>in</strong> die Schmiedener<br />

Straße beim Israelitischen Friedhof zogen, e<strong>in</strong>e Wohnung die an<br />

das Friedhofsgebäude der israelitischen Kultusgeme<strong>in</strong>de<br />

angebaut war.<br />

Otto Adler erzählt se<strong>in</strong>e dramatische Flucht<br />

„Als ich 1921 <strong>in</strong> dem Dorf <strong>Dünsbach</strong>, Oberamt Gerabronn, geboren<br />

wurde, lebten dort 13 <strong>Juden</strong>, von denen 6 zu me<strong>in</strong>er Familie gehörten. Ich<br />

b<strong>in</strong> der e<strong>in</strong>zig Überlebende dieser Familie und des jüdischen Erbes dieses<br />

Dorfes. Alle anderen g<strong>in</strong>gen im Holocaust zugrunde, me<strong>in</strong> Vater und<br />

Bruder <strong>in</strong> Auschwitz, me<strong>in</strong>e Mutter und Schwester bei Riga und me<strong>in</strong>e<br />

Großmutter <strong>in</strong> Theresienstadt, woh<strong>in</strong> man sie im Alter von 70 Jahren<br />

deportiert hatte.<br />

4


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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Ich selbst bekam me<strong>in</strong> amerikanisches Visum am 8. Mai 1940 <strong>in</strong> Stuttgart.<br />

Am nächsten Tag, dem 9. Mai, reiste ich aus Stuttgart ab, um auf dem Weg<br />

<strong>in</strong> die Vere<strong>in</strong>igten Staaten am 10. Mai me<strong>in</strong>en Bruder <strong>in</strong> Rotterdam zu<br />

treffen. Aber an diesem Tag marschierten morgens deutsche Truppen <strong>in</strong><br />

Holland und Belgien e<strong>in</strong>. Ich kam nur bis Cleve. Glücklicherweise konnte<br />

ich nach Stuttgart zurückfahren. Ich versuchte, über Italien<br />

herauszukommen. Zu spät, Italien trat <strong>in</strong> den Krieg e<strong>in</strong>. Ich versuchte, über<br />

Russland, Ch<strong>in</strong>a und Japan herauszukommen. Fast im letzen Augenblick<br />

wurde me<strong>in</strong>e Passage gestrichen. Es war e<strong>in</strong> Fehler unterlaufen. Die mir<br />

auf e<strong>in</strong>em japanischen Schiff zugewiesene Koje war e<strong>in</strong>e „arische Koje“.<br />

Dann startete die American Export L<strong>in</strong>e<br />

e<strong>in</strong>en Dienst von Lissabon nach New<br />

York. Aber die Zeit verrann schnell. Am 8.<br />

September erlosch me<strong>in</strong> amerikanisches<br />

Visum und e<strong>in</strong>e Verlängerung wurde nicht<br />

gegeben. Kurz vor dem Ungültigwerden<br />

des Visums bezahlte e<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>er Vettern<br />

<strong>in</strong> den USA die Überfahrt <strong>in</strong> Dollar, und<br />

irgendwie gelang es mir, Transitvisa<br />

durch Spanien und Portugal zu ergattern.<br />

Als ich schließlich e<strong>in</strong>en Flug nach<br />

Lissabon bekam und am 19. September<br />

dort anlangte, war me<strong>in</strong> amerikanisches<br />

Visum abgelaufen. Ich hatte gehofft, vom<br />

amerikanischen Konsul <strong>in</strong> Lissabon e<strong>in</strong>e<br />

Verlängerung zu erhalten. Aber gleich<br />

nach der Ankunft auf dem Flughafen <strong>in</strong><br />

Lissabon wurde ich von der portugiesischen Polizei verhaftet und am<br />

folgenden Morgen mit dem nächsten Flugzeug Richtung Deutschland<br />

zurückexpediert, mit e<strong>in</strong>em Halt und Umsteigen <strong>in</strong> Madrid <strong>in</strong> Spanien.<br />

Wenn das so gelaufen wäre, könnte ich dies heute nicht schreiben.<br />

In Madrid, das zu dieser Zeit praktisch e<strong>in</strong>e deutsche Kolonie war, liefen<br />

die D<strong>in</strong>ge jedoch anders. Gegen alle offiziellen Vorschriften halfen mir die<br />

Angestellten der deutschen Lufthansa auf jede Weise. Ich erreichte das<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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nächste Flugzeug nach Deutschland nicht. Ich g<strong>in</strong>g zur amerikanischen<br />

Botschaft und bat um e<strong>in</strong>e Verlängerung. E<strong>in</strong>e Zigarette wurde mir<br />

angeboten, jedwede Hilfe aber verweigert. Verzweifelt wandte ich mich an<br />

die deutsche Botschaft, und dort bekam ich die Hilfe, die ich ke<strong>in</strong>eswegs<br />

erwartet hatte. Trotz des großen „J“ <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Pass half man mir, e<strong>in</strong>e<br />

zeitweilige Aufenthaltsbewilligung <strong>in</strong> Spanien zu bekommen, und streckte<br />

mir Geld vor, das ich später zurückbezahlte. Diese Deutschen waren trotz<br />

Hitler und <strong>in</strong> striktem Gegensatz zu den<br />

portugiesischen Behörden menschliche<br />

Wesen, und ich werde ihnen immer<br />

dankbar se<strong>in</strong>. In Spanien wartete ich<br />

sechs Monate, dann erhielt ich wieder<br />

e<strong>in</strong> amerikanisches Visum und landete<br />

schließlich am 21. März 1941 <strong>in</strong> den<br />

Vere<strong>in</strong>igten Staaten. Unverzüglich<br />

begann ich für die gleichen Leute zu<br />

arbeiten, bei denen ich schon <strong>in</strong><br />

Stuttgart beschäftigt gewesen war. Zwei<br />

Jahre später wurde ich zur US-Army<br />

e<strong>in</strong>gezogen. Ich diente bis November<br />

1945 beim Militärnachrichtendienst, Befragung von Kriegsgefangenen, und<br />

nach dem Waffenstillstand <strong>in</strong> der Zivilverwaltung und Spionageabwehr <strong>in</strong><br />

Europa.<br />

Karte für die Schiffspasage von Otto Adler<br />

Im November 1941 hatte ich e<strong>in</strong> Mädchen geheiratet, das ich von<br />

Deutschland her kannte. Als ich aus dem Krieg zurückkam hatten wir e<strong>in</strong><br />

16 Monate altes kle<strong>in</strong>es Mädchen. Ich arbeitete weiter für dieselben Leute<br />

wie zuvor. Wir s<strong>in</strong>d glücklich verheiratet, auch me<strong>in</strong>e Tochter hat<br />

geheiratet, und jetzt freuen wir uns an unserer zweijährigen Enkel<strong>in</strong>. Ich<br />

hoffe nur, dass die Zukunft für sie, unsere K<strong>in</strong>der und Enkel hell se<strong>in</strong> wird,<br />

und dass sie nie die Erlebnisse haben werden, die wir durchmachen<br />

mussten.“ (Strauss, W., Lebenszeichen)<br />

(Otto Adler ist 1993 <strong>in</strong> den USA im Alter von 72 Jahren verstorben.)<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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<strong>Juden</strong> und Christen heute<br />

Im Verhalten muss sich etwas ändern<br />

So etwas wie der Holocaust darf nie wieder geschehen. Dar<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d<br />

sich alle Christen und Demokraten e<strong>in</strong>ig. Diese Absicht muss aber <strong>in</strong><br />

Taten umgesetzt werden – sowohl im Blick auf die Vergangenheit<br />

wie auf die Gegenwart. Dazu gehört zum Beispiel:<br />

▪Neu-Nachdenken über das Verhältnis von Christen und <strong>Juden</strong><br />

(siehe unten)<br />

▪Überlebenden des Holocaust helfen (z.B. Liebeswerk Zedakah<br />

<strong>in</strong> Israel) oder Projekte der Versöhnung unterstützen (etwa<br />

Aktion Sühnezeichen) oder das Verständnis zwischen<br />

Christen und <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Wort und Tat fördern<br />

(z.B. Evangeliumsdienst für Israel);<br />

▪ heutigem Antisemitismus <strong>in</strong> den Anfängen wehren;<br />

▪ religiöse und kulturelle M<strong>in</strong>derheiten wie deutsche <strong>Juden</strong>,<br />

Ausländer und viele andere achten;<br />

▪ den Menschen realistisch sehen: „Böse“ s<strong>in</strong>d nicht nur die<br />

anderen. Gute und Schlechte gibt es <strong>in</strong> jeder Gruppe und nicht<br />

nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er.<br />

In den E<strong>in</strong>stellungen muss sich etwas ändern<br />

Es gilt, den Schutt der Miss- und Unverständnisse abzutragen, der<br />

durch die Jahrhunderte aufgehäuft wurde und die biblischen<br />

Grundlagen freizulegen. Dazu können Bibelstudium und die<br />

Sonntagspredigten helfen – <strong>in</strong>sbesondere am 10. Sonntag nach<br />

Tr<strong>in</strong>itatis (wo an die Zerstörung des Tempels <strong>in</strong> Jerusalem gedacht<br />

wird) oder am 9. November, den unsere Kirche zum Gedenktag an<br />

die Reichspogromnacht festgesetzt hat.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Was verb<strong>in</strong>det Christen und <strong>Juden</strong>?<br />

Sehr viel! Das Alte Testament ist für Christen und <strong>Juden</strong> geme<strong>in</strong>sam<br />

Heilige Schrift. Ohne das Alte Testament verstehen wir das Neue<br />

Testament nicht. Und vor allem: Jesus ist e<strong>in</strong> Jude. Der Apostel<br />

Paulus hat unsere Verbundenheit mit der jüdischen Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>mal<br />

<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>drücklichen Bild vom Ölbaum zum Ausdruck gebracht.<br />

Der edle Ölbaum ist für ihn das Volk<br />

des alten Bundes, e<strong>in</strong>ige Zweige an<br />

diesem Baum s<strong>in</strong>d ausgebrochen,<br />

nämlich jene <strong>Juden</strong>, die nicht an<br />

Jesus glauben. Die Christen aus den<br />

Heiden s<strong>in</strong>d wie wilde<br />

Ölbaumzweige, die <strong>in</strong> den edlen<br />

Ölbaum e<strong>in</strong>gepfropft wurden. Wir<br />

nichtjüdische Christen müssen froh<br />

se<strong>in</strong>, dass wir zu diesem Baum<br />

gehören (Römer 11,17-24).<br />

Was trennt Christen und <strong>Juden</strong>?<br />

Es ist alle<strong>in</strong> die Haltung zu Jesus: Für uns Christen ist er der Erlöser<br />

und Messias, für die Mitglieder der jüdischen Geme<strong>in</strong>de ist er<br />

allenfalls e<strong>in</strong> frommer Jude.<br />

Schlimm waren die Konsequenzen, die Christen, viele oder wenige<br />

an Zahl, Jahrhunderte lang aus dieser Trennung, aus diesen<br />

unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen zogen. Sie kämpften<br />

gegen die <strong>Juden</strong> und brachten sie um. E<strong>in</strong>es ihrer Argumente war es,<br />

dass die <strong>Juden</strong> Christusmörder seien. Und genau das stimmt nicht. Es<br />

waren n i c h t d i e J u d e n , sondern das Leitungsgremium der<br />

jüdischen Geme<strong>in</strong>de, nämlich der Hohe Rat (und davon nicht e<strong>in</strong>mal<br />

alle), und es waren die Leute, die auf dem öffentlichen Platz vor<br />

Pilatus schrien „Kreuzige ihn“ (also nicht das ganze Volk).<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Überdies hätten diese Verurteilungen und Angriffe des Hohen Rates<br />

gar nichts genutzt, wenn nicht der Römer Pontius Pilatus das<br />

Todesurteil gefällt hätte, das alle<strong>in</strong> ihm zustand. – Ja, der Vorwurf<br />

des Christusmordes stimmte schon damals nicht, und es macht erst<br />

ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, Jahrhunderte später <strong>Juden</strong> mit diesem Vorwurf zu<br />

belegen.<br />

Ganz anders g<strong>in</strong>g der <strong>Juden</strong>christ Paulus mit dieser Trennung um. Er<br />

war e<strong>in</strong>erseits sehr traurig, dass nicht mehr <strong>Juden</strong> den Weg zu Jesus<br />

fanden. Er versuchte sie durch Verkündigung und Gespräche zu<br />

gew<strong>in</strong>nen, dass sie an Jesus glauben und ihm nachfolgen. Ja, er wäre<br />

sogar bereit gewesen, se<strong>in</strong> eigenes Seelenheil e<strong>in</strong>zusetzen, wenn es<br />

se<strong>in</strong>en Mitbrüdern zum Glauben helfen könnte. Er schreibt: „Ich<br />

selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu se<strong>in</strong> für<br />

me<strong>in</strong>e Brüder, die me<strong>in</strong>e Stammesverwandten s<strong>in</strong>d nach dem<br />

Fleisch.“ (Römer 9,3) – Auch heute ist es e<strong>in</strong>e schöne und auch<br />

immer wieder schwierige Aufgabe, die Geme<strong>in</strong>schaft und die<br />

Trennung zwischen <strong>Juden</strong> und Christen <strong>in</strong> rechter Weise ernst zu<br />

nehmen.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Literaturverzeichnis<br />

Archivdirektion Stuttgart (Hrsg), Die Opfer der <strong>Juden</strong>verfolgung <strong>in</strong> Baden-<br />

Württemberg, E<strong>in</strong> Gedenkbuch, <strong>in</strong>: Veröffentlichungen der Staatlichen<br />

Archivdirektionen Baden- Württemberg, Beiband zu Band 20, Stuttgart 1969<br />

Brecht, Theodor, 3 Jahre im Gerabronner Bezirk, Selbstverlag 1898<br />

Ehmer, Hermann u.a.: Gott und Welt <strong>in</strong> Württemberg, E<strong>in</strong>e Kirchengeschichte,<br />

Stuttgart 2000<br />

Fischle, Bernhard, Übertragung der Stellungnahme von Pfarrer G.F. Schmidt,<br />

aus dem Jahr 1824, zur E<strong>in</strong>schulung der jüdischen K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

Förtsch, Folker, E<strong>in</strong>gepfercht im Zug g<strong>in</strong>g es nach Lettland,<br />

im: Hohenloher Tagblatt, 26.1.2002<br />

Göller, Bernd, Jüdische Grabste<strong>in</strong>e lesen, Manuskript, 2009<br />

Hahn, Joachim: Jüdisches Leben <strong>in</strong> Essl<strong>in</strong>gen, 1994<br />

Hahn, Joachim, Krüger Jürgen: Synagogen <strong>in</strong> Baden Württemberg, Band 2:<br />

Orte und E<strong>in</strong>richtungen, von Joachim Hahn, Stuttgart 2007<br />

http:/www.alemannia-judaica.de/duensbach_synagoge.htm<br />

und _friedhof.htm<br />

http:/www.zeichen-der-er<strong>in</strong>nerung.org/n2.htm<br />

Hornberger, Karl: Persönliche Briefe und Notizen<br />

Kreisarchiv Schwäbisch Hall (Hrsg) Dokumentation zur Geschichte der <strong>Juden</strong><br />

<strong>in</strong> der Region Franken, Gedenkstätte Synagoge Michelbach/Lücke, Schwäbisch<br />

Hall 1984 – E<strong>in</strong>gabe des Pfarrers G.F. Schmidt zum Schulunterricht für die<br />

jüdischen K<strong>in</strong>der, 1824<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

_______________________________________________________________________________________________________________<br />

Müller, Hans-Peter (Hrsg): Aus 200 Jahren Kreisgeschichte. Begleitband zur<br />

Ausstellung: Vom Oberamt zum Landratsamt – 200 Jahre Behördengeschichte<br />

im Landkreis Schwäbisch Hall, Schwäbisch Hall 2003<br />

Personen – Nachforschungen:<br />

- Bundesarchiv: Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung<br />

<strong>in</strong> der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft <strong>in</strong> Deutschland 1933 – 1945<br />

- Gedenkbuch, Staatsarchiv Stuttgart, siehe oben<br />

- Internationaler Suchdienst Bad Arolsen<br />

- Yad Yashem, Büro für <strong>in</strong>ternationale Beziehungen, Jerusalem<br />

Röhm, Eberhard, Thierfelder, Jörg: <strong>Juden</strong> – Christen – Deutsche, Band 1, 1933-<br />

1935, Ausgegrenzt, Stuttgart 1990; Band 4/1, 1941-1945, Vernichtet,<br />

Stuttgart 2004<br />

Sauer, Paul: Die jüdischen Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Württemberg und Hohenzollern,<br />

Stuttgart, 1966<br />

Sauer, Paul, Die Schicksale der jüdischen Bürger <strong>in</strong> Baden Württemberg<br />

während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit 1943 – 1945,<br />

Stuttgart 1969<br />

Schmidt, Rüdiger, Synagogen <strong>in</strong> Baden Württemberg, Band 1, Geschichte und<br />

Architektur, Stuttgart, 2007<br />

Staatsarchiv Ludwigsburg: Jüdischer Friedhof <strong>Dünsbach</strong>, Aufnahme der<br />

Gräber.<br />

Studienkreis Deutscher Widerstand: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu<br />

Stätten des Widerstands und der Verfolgung – Band 5, Baden Württemberg,<br />

Regierungsbezirke Karlsruhe und Stuttgart, Frankfurt 1991.<br />

Strauss, Walter (Hrsg): Lebenszeichen, <strong>Juden</strong> aus Württemberg nach 1933,<br />

Gerl<strong>in</strong>gen 1982.<br />

Taddey, Gerhard: Ke<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Jerusalem, Geschichte der <strong>Juden</strong> im Landkreis<br />

Schwäbisch Hall, Sigmar<strong>in</strong>gen 1992.<br />

Quirbach, Elisabeth M.: E<strong>in</strong>e ehemalige Synagoge... E<strong>in</strong> Rabb<strong>in</strong>atsgebäude...<br />

E<strong>in</strong> Friedhof... Auf den Spuren der Landjuden <strong>in</strong> Braunsbach, Braunsbach<br />

2008.<br />

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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Vielen Dank<br />

5<br />

- an alle, die durch Informationen und H<strong>in</strong>weise geholfen<br />

haben, dass diese Broschüre entstanden ist. Es s<strong>in</strong>d so viele,<br />

dass ich sie nicht alle namentlich erwähnen konnte;<br />

- für die fachliche Begleitung durch Stadtarchivar Folker<br />

Förtsch, Crailsheim, sowie die Pfarrer Dr. Joachim Hahn,<br />

Ploch<strong>in</strong>gen, Bernhard Ritter, Hengstfeld und Dr. Michael<br />

Volkmann, Denkendorf;<br />

- für e<strong>in</strong>zelne Bilder bzw. deren Ermöglichung:<br />

Seite 1: Rolf Garmatter, Seite 12: Heike Gräter, Seite 27: Elsa<br />

Limpf, Seite 28: Ella Rupp, Seite 30: Maria Gahm, Seite 31:<br />

Cornelia Hornberger, Seite 32: Siegl<strong>in</strong>de Kurz, Seite 44:<br />

Susanne Kraft, Seite 48: Gerda Beck.<br />

- für Bildbearbeitungen:<br />

Gerhard Riekert und Johannes Schwab;<br />

- für das Schreiben der Erstfassung des Textes und für<br />

vielfältiges, engagiertes und eigenverantwortliches Mithelfen:<br />

Cornelia Hornberger;<br />

- für das Korrekturlesen: Hildegard Burkert und Susanne Kraft<br />

- <strong>in</strong> besonderer Weise an Sonja Ebner, die die verschiedenen<br />

Weiterbearbeitungen des Textes geschrieben hat, die Fotos<br />

e<strong>in</strong>fügte, das Layout und die Druckvorlage erstellte;<br />

- für die f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung des Drucks der Broschüre<br />

durch die Stadt Gerabronn.


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Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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Impressum<br />

Herausgeber:<br />

Evangelische Kirchengeme<strong>in</strong>de <strong>Dünsbach</strong>,<br />

Sandäckerstraße 15, 74582 Gerabronn-<strong>Dünsbach</strong><br />

Telefon 07952/ 92 50 33, Fax 07952/ 92 50 34<br />

Email: Pfarramt.Duensbach-Ruppertshofen@elk-wue.de<br />

Text und Konzeption:<br />

Hansgeorg Kraft, Dekan i.R.<br />

Stellvertreter im Pfarramt (Dezember 2006 – August 2009)<br />

Privat: Carl-Peters-Straße 28, 70825 Korntal, Telefon 0711/8877238<br />

Im Mai 2010<br />

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Gedenktafel zur Er<strong>in</strong>nerung an die jüdischen Mitbürger <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>,<br />

die seit 1617, also über 300 Jahre lang, <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> lebten.<br />

Die Gedenktafel wurde am ehemaligen Haus der jüdischen Familie Adler, heute:<br />

Oberste<strong>in</strong>acher Straße 4, angebracht und am 30. Juli 2009 durch Bürgermeister<br />

Klaus-Dieter Schumm, Gerabronn<br />

und Pfarrer Hansgeorg Kraft, <strong>Dünsbach</strong>, enthüllt.


Gedenktafel<br />

<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />

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