Juden in Dünsbach - Evangelischer Kirchenbezirk Blaufelden
Juden in Dünsbach - Evangelischer Kirchenbezirk Blaufelden
Juden in Dünsbach - Evangelischer Kirchenbezirk Blaufelden
Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.
YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.
Hansgeorg Kraft<br />
Auf den<br />
Spuren<br />
der <strong>Juden</strong><br />
<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
E<strong>in</strong> Beitrag zur Heimatgeschichte 2. Auflage 2010
Inhaltsverzeichnis<br />
Vorwort Seite 1<br />
Situation der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> 1617 – 1806 Seite 3<br />
Anfänge, Wohnsituation, Mite<strong>in</strong>ander (S. 3)<br />
Nur mit e<strong>in</strong>em Schutzbrief erhielt man Wohnrecht (S. 6)<br />
Wie zahlreich war die jüdische Bevölkerung? (S. 8)<br />
Zur sozialen Situation der jüdischen Bevölkerung (S. 9)<br />
Religiöses Leben der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> Seite 11<br />
Entstehung e<strong>in</strong>er Synagoge <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> (S. 11)<br />
Auch Gerabronner <strong>Juden</strong> gehörten zur <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>de (S. 13)<br />
14)<br />
<strong>Juden</strong>bad für kultische Re<strong>in</strong>igung (S. 14)<br />
Bestattung der Toten Seite 15<br />
„Wegen e<strong>in</strong>es toten <strong>Juden</strong> fährt man nicht nach Schopfloch“ (S. 15)<br />
Warum liegt der Friedhof weit außerhalb des Wohnorts? (S. 16)<br />
„Haus der Ewigkeit“ für 76 Tote (S. 18)<br />
Auf dem Weg zur Gleichstellung ab 1806 Seite 20<br />
Was änderte sich für die <strong>Juden</strong> im Königreich Württemberg? (S. 20)<br />
E<strong>in</strong>ige ergriffen rasch die Chancen (S. 21)<br />
Die Entwicklung auf dem Land verlief langsamer (S. 23)<br />
Mite<strong>in</strong>ander von <strong>Juden</strong> und Christen 1900 - 1933 (S. 26)<br />
Antisemitismus Seite 32<br />
In Hohenlohe früher als anderswo <strong>in</strong> Württemberg (S. 32)<br />
Die <strong>Juden</strong>politik der Nationalsozialisten (S. 33)<br />
Situation der jüdischen Bürger <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> 1930 – 1942 (S. 35)<br />
Verhalten der <strong>Dünsbach</strong>er Bürger (S. 36)<br />
Wie verhielt sich der Kirchengeme<strong>in</strong>derat? (S. 37)<br />
Wie verhielt sich die Evangelische Landeskirche <strong>in</strong> Württemberg? (S. 37)<br />
Was geschah mit den letzten jüdischen Bürgern Seite 38<br />
8 jüdische E<strong>in</strong>wohner im Jahr 1938 (S. 38)<br />
Art und Wege der Deportationen <strong>in</strong> Württemberg (S. 39)<br />
Deportation am 1. Dezember 1941 (S. 41)<br />
Deportation am 22. August 1942 (S. 44)<br />
Deportation aus Belgien (S. 45)<br />
Was geschah mit dem Eigentum der deportierten <strong>Juden</strong>? (S. 46)<br />
Nur e<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>er Jude entg<strong>in</strong>g dem Holocaust (S. 47)<br />
<strong>Juden</strong> und Christen heute Seite 50<br />
Literaturverzeichnis Seite 53
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Wer sich an die Unmenschlichkeit nicht er<strong>in</strong>nern will, der wird<br />
wieder anfällig für neue Ansteckungsgefahren.<br />
Bundespräsident von Weizsäcker, 8. Mai 1985<br />
Vorwort<br />
Nicht <strong>in</strong> jeder Geme<strong>in</strong>de gibt es e<strong>in</strong>e <strong>Juden</strong>gasse, e<strong>in</strong>e Synagoge und<br />
e<strong>in</strong>en <strong>Juden</strong>friedhof. Wohl aber ist dies <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> der Fall.<br />
Dadurch wurde ich<br />
neugierig darauf, welche<br />
Geschichte dah<strong>in</strong>ter<br />
steht. Und dieses<br />
Interesse <strong>in</strong>tensivierte<br />
sich im Jahre 2008, als<br />
die Reichspogromnacht<br />
sich zum 70. Mal jährte,<br />
und ich mich fragte, was<br />
wohl damals <strong>in</strong><br />
<strong>Dünsbach</strong> geschah.<br />
Die Antworten auf diese Fragen konnte ich nirgendwo im<br />
Zusammenhang nachlesen, sondern musste mühsam <strong>in</strong> e<strong>in</strong>zelnen<br />
Büchern und Dokumenten danach suchen. Was ich dabei herausfand,<br />
habe ich im Folgenden zusammengefasst.<br />
Ich danke den <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>degliedern und vielen anderen, die<br />
mir <strong>in</strong> persönlichen Gesprächen oder durch H<strong>in</strong>weise auf Literatur<br />
weitergeholfen haben. Besonders dankbar b<strong>in</strong> ich für das Buch von<br />
Gerhard Taddey „Ke<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Jerusalem“, <strong>in</strong> dem auch e<strong>in</strong>e Menge<br />
an Informationen zur Geschichte und Situation der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Dünsbach</strong> zu f<strong>in</strong>den ist. Manches aus der vielfältigen Literatur ist <strong>in</strong><br />
der Zwischenzeit überholt, und ich habe es stillschweigend ergänzt.<br />
In den meisten Fällen habe ich auf den E<strong>in</strong>zelnachweis der<br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Fundstellen verzichtet, damit dieses Heft nicht zu umfangreich wird.<br />
Mit der nun entstandenen Zusammenfassung ist e<strong>in</strong> Anfang gemacht.<br />
Ich konnte nicht tiefer <strong>in</strong> der Geschichte graben, da ich die<br />
Nachforschungen neben me<strong>in</strong>em Dienst als Pfarrer durchgeführt<br />
habe. Aber ich ermutige andere, weiter daran zu arbeiten.<br />
Der vorliegende Beitrag zur Heimatgeschichte von <strong>Dünsbach</strong> kann –<br />
so hoffe ich – <strong>in</strong> dreifacher H<strong>in</strong>sicht e<strong>in</strong> Hilfe se<strong>in</strong>, nämlich:<br />
▪ Wir können unsere Heimat <strong>Dünsbach</strong> besser verstehen. Denn<br />
nur wer die Vergangenheit kennt, kann sich <strong>in</strong> der Gegenwart<br />
wirklich zurechtf<strong>in</strong>den.<br />
▪ Wir können Anregungen für das Gespräch heute zwischen den<br />
Kulturen und Religionen und auch zwischen M<strong>in</strong>derheiten<br />
und Mehrheiten bekommen, wenn wir sehen, was früher gut<br />
oder schlecht gelaufen ist.<br />
▪ Wir werden ermutigt, das Verhältnis zwischen Christen und<br />
<strong>Juden</strong> neu zu bedenken; denn durch die Ortsgeschichte<br />
<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> bekommt dieses Nachdenken lokale Aktualität.<br />
Die erste Auflage der Broschüre (Juli 2009) war sehr schnell<br />
vergriffen. Sie war auch Anlass dafür, dass ich zusätzliche<br />
Informationen erhielt; diese s<strong>in</strong>d nun <strong>in</strong> die zweite Auflage<br />
e<strong>in</strong>gearbeitet.<br />
<strong>Dünsbach</strong>/Korntal, im Mai 2010<br />
Hansgeorg Kraft<br />
Dekan i.R., Stellvertreter im Pfarramt <strong>Dünsbach</strong>-Ruppertshofen<br />
(2006 – 2009)<br />
2
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Situation der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> 1617 - 1806<br />
Anfänge, Wohnsituation und Mite<strong>in</strong>ander<br />
1617 ist jenes Jahr, <strong>in</strong> dem zum ersten Mal die Anwesenheit von<br />
<strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> dokumentiert wurde. Genannt werden die drei<br />
<strong>Juden</strong> Moschel Jud, Schradel Jud und Michel Jud, die gewiss nicht<br />
alle<strong>in</strong>e, sondern geme<strong>in</strong>sam mit ihren Familien <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> lebten.<br />
Sicher gab es auch vor dem Jahr 1617 <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>, doch dafür<br />
fehlt uns e<strong>in</strong>e schriftliche Bestätigung. Was Morste<strong>in</strong> betrifft, gab es<br />
kaum <strong>Juden</strong>: 1733/1734 hören wir von Elias Levi, dann, <strong>in</strong> der<br />
württembergischen Zeit, erfahren wir, dass 1833 e<strong>in</strong> Josef Ste<strong>in</strong> <strong>in</strong><br />
diesem Ortsteil lebte.<br />
Feste Wohnbezirke (Ghettos) gab es<br />
nicht. Es kam sogar vor, dass Christen<br />
und <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Haus wohnten. In der<br />
Ortsmitte (heute Oberste<strong>in</strong>acher Straße 4)<br />
hatte die Familie Adler ihr<br />
Gemischtwarengeschäft. Aber es gab<br />
auch Ortsteile, wo <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> größerer Zahl<br />
zusammenlebten. Dies war <strong>in</strong> der<br />
<strong>Juden</strong>gasse der Fall, wo früher manche<br />
Häuser so eng zusammengebaut waren,<br />
dass man im ersten Stock von e<strong>in</strong>em<br />
Haus zum anderen und schließlich zum<br />
Synagogenraum kommen konnte. Die<br />
heutige Lange Straße war bis zur Flurbere<strong>in</strong>igung 1992 noch<br />
grundbuchmäßig als <strong>Juden</strong>gasse gekennzeichnet; die heutigen<br />
Straßenbezeichnungen und Hausnummern wurden schon früher, mit<br />
der E<strong>in</strong>geme<strong>in</strong>dung des Ortes nach Gerabronn (1973), verändert. In<br />
der Lange Straße können noch heute e<strong>in</strong>ige Häuser als ehemalige<br />
Häuser von jüdischen Mitbürgern identifiziert werden: In Lange<br />
Straße 7 war wahrsche<strong>in</strong>lich das Schächthaus; <strong>in</strong> Lange Straße 18<br />
3
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
wohnte die Familie Badmann, <strong>in</strong> Lange Straße 21 lebte die Familie<br />
Wassermann und betrieb dort ihr Gemischtwarengeschäft.<br />
Das Mite<strong>in</strong>ander von Christen und <strong>Juden</strong> sche<strong>in</strong>t im Allgeme<strong>in</strong>en<br />
recht ordentlich gewesen zu se<strong>in</strong>. Verfolgungen der <strong>Juden</strong> gab es<br />
nicht. Und wenn Vorwürfe gegenüber den <strong>Juden</strong> erhoben wurden –<br />
etwa ihr Fleisch sei nicht <strong>in</strong> Ordnung – so wurde diese<br />
Anschuldigung durch die Kontrollen der Herrschaft geregelt, die<br />
überhaupt – ganz allgeme<strong>in</strong> – <strong>Juden</strong> und Christen <strong>in</strong> ihren<br />
Rechtsentscheiden gleich behandelte.<br />
In anderen Orten lebten ke<strong>in</strong>e <strong>Juden</strong><br />
In Ruppertshofen und anderen Nachbargeme<strong>in</strong>den lebten früher ke<strong>in</strong>e<br />
<strong>Juden</strong>. Warum war das dann gerade <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> der Fall? Das h<strong>in</strong>g<br />
zunächst mit den unterschiedlichen Herrschaftsverhältnissen<br />
zusammen. Aber es ist gut, bei dieser Antwort etwas weiter<br />
auszuholen.<br />
Im Jahre 70 nach Christus endete der letzte jüdische Staat <strong>in</strong> der<br />
römischen Prov<strong>in</strong>z Paläst<strong>in</strong>a. Seit 135 nach Christus war es den<br />
<strong>Juden</strong> sogar verboten, Jerusalem zu betreten. Und seither verstärkten<br />
sich die Tendenz und die Notwendigkeit, dass sich <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> aller<br />
Welt niederließen. Auch <strong>in</strong> Württemberg war dies der Fall. Das erste<br />
schriftliche Zeugnis ist e<strong>in</strong>e Inschrift aus dem späten 11. Jahrhundert<br />
<strong>in</strong> Heilbronn.<br />
Doch seit der Christianisierung von Mitteleuropa wurde es vielen<br />
Christen immer unerträglicher, Nichtchristen unter sich zu dulden; sie<br />
wurden nicht mehr als gleichberechtigte Bürger angesehen und von<br />
den meisten Handwerkszünften ausgeschlossen. Diese E<strong>in</strong>stellung<br />
gegenüber den <strong>Juden</strong> steigerte sich besonders zur Zeit der Kreuzzüge<br />
ab dem Jahr 1100 nach Christus: Pest und Unglück oder<br />
Hostienschändung wurden den <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> die Schuhe geschoben. Die<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Folge waren schlimme Verfolgungen und fürchterliche Morde. In<br />
Franken hatten die <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> den Jahren 1298, 1335/37 und 1347<br />
besonders schwere Zeiten der Verfolgung.<br />
Andererseits erkannten die Herrschenden und die Vertreter der<br />
Wirtschaft schon früh, dass man die <strong>Juden</strong> dr<strong>in</strong>gend brauchte. So<br />
gewährte schon Kaiser Karl der Große den <strong>Juden</strong> Schutzbriefe und<br />
die späteren Kaiser ernannten die <strong>Juden</strong> zu „kaiserlichen<br />
Kammerknechten.“ Damit standen die <strong>Juden</strong> unter dem besonderen<br />
Schutz des Kaisers, hatten Religionsfreiheit, mussten aber für ihren<br />
Schutz dem Kaiser Steuern zahlen. Dieses Privileg wurde im Lauf<br />
der Zeit vom Kaiser auf den höheren Adel und 1548 auf alle<br />
Reichsstände (also auch die Reichsritter, wie die „von Crailsheim“)<br />
und auf die Reichsstädte übertragen, die damit allerd<strong>in</strong>gs ganz<br />
unterschiedlich umg<strong>in</strong>gen.<br />
Bereits seit etwa 1520 wurden die <strong>Juden</strong> aus fast allen Städten <strong>in</strong><br />
Südwestdeutschland vertrieben. So kam es, dass aus den Stadtjuden,<br />
die <strong>in</strong> den Städten besser ihren Geschäften nachgehen konnten, nun<br />
Landjuden wurden. Im Bereich der Herren von Crailsheim war <strong>in</strong><br />
<strong>Dünsbach</strong> e<strong>in</strong>e solche<br />
Ansiedlung möglich,<br />
nicht etwa <strong>in</strong><br />
Ruppertshofen, das<br />
teilweise zur Stadt<br />
Schwäbisch Hall und<br />
teilweise zur<br />
Grafschaft Hohenlohe<br />
gehörte, die beide e<strong>in</strong>e<br />
Ansiedlung von <strong>Juden</strong><br />
nicht gestatteten.<br />
5
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Nur mit e<strong>in</strong>em Schutzbrief erhielt man Wohnrecht<br />
Die Herren von Crailsheim auf Schloss Morste<strong>in</strong> (s. Foto Seite 5)<br />
waren offen für die Ansiedlung <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>. Denn dadurch erhöhten<br />
sich die E<strong>in</strong>nahmen durch Steuern.<br />
Die <strong>Juden</strong> mussten zuerst e<strong>in</strong>en Aufnahmeantrag stellen. Dann<br />
erhielten sie gegen e<strong>in</strong>e Aufnahmegebühr e<strong>in</strong>en Schutzbrief, <strong>in</strong> dem<br />
Pflichten und Rechte <strong>in</strong>dividuell festgelegt waren. Danach musste<br />
jährlich e<strong>in</strong> Schutzgeld bezahlt werden, das aber <strong>in</strong> se<strong>in</strong>er Höhe<br />
wechselte. So betrug es etwa <strong>in</strong> der Anfangszeit 4 Gulden im Jahr,<br />
was 1706 im Geldwert der Jahresmiete für e<strong>in</strong>e e<strong>in</strong>fache Wohnung<br />
entsprach. G. Taddey (S. 124 - 125) zeigt <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Beispiel aus dem<br />
Jahre 1720, um welche Pflichten und Rechte es <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Schutzbrief<br />
g<strong>in</strong>g, der im Folgenden <strong>in</strong> der Orig<strong>in</strong>alsprache der damaligen Zeit<br />
wiedergegeben wird.<br />
Ich Reichs Hochwohlgeborener Freiherr, Herr Hannibal Friedrich<br />
Freiherr von Crailsheim (voller Titel)... urkunde und bekenne hiermit,<br />
welchermaßen ich Aron <strong>Juden</strong> samt se<strong>in</strong>em Weib und künftig zu hoffen<br />
habenden K<strong>in</strong>dern und etwa nötigem Brodges<strong>in</strong>d per Decretum schon<br />
bewilliget und zugelassen, dass er zu <strong>Dünsbach</strong> im Amt Morste<strong>in</strong> se<strong>in</strong>e<br />
Wohnung und häusliches Wesen habe, von me<strong>in</strong>em Beamten daselbst auch<br />
beschirmt und gleich andern me<strong>in</strong>en Untertanen gehandhabt werden möge.<br />
H<strong>in</strong>gegen solle er<br />
1. mir treu, gehorsam und willig se<strong>in</strong>, me<strong>in</strong>en Nutzen befördern, für<br />
Schaden warnen, zu Gebot und Verbot me<strong>in</strong>em Beamten stehen,<br />
auch Hut und Wach <strong>in</strong> der Geme<strong>in</strong>d mit versehen, dann andern<br />
Beschwerungen, die eigentlich Herkommens und <strong>in</strong> Oberservans<br />
se<strong>in</strong>, tragen oder sich mit derselben sich diesfalls gebührlich abf<strong>in</strong>den.<br />
2. sowohl auch gegen manniglich als mit se<strong>in</strong>esgleichen schiedlich<br />
und friedlich leben <strong>in</strong> Weg sich friedfertig, vor allem aber denen<br />
amtlichen Bescheiden gemäß bezeigen.<br />
6
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
3. aller Gotteslästerung – auch die Christen an sich zu reizen – bei<br />
unnachlässig schwerer Leibesstraf sich enthalten.<br />
4. die Fest-, Sonn- und Feiertägen der Christen nicht entheiligen.<br />
5. ke<strong>in</strong>e fremden <strong>Juden</strong>, sonderheit von denen jenigen Orten, wo<br />
ansteckende Krankheiten regieren, noch andern verdächtigen<br />
Personen ohne des Amts Vorwissen beherbergen.<br />
Desgleichen<br />
6. an solchen Orten, wo dergleichen Krankheiten grassieren, nicht<br />
gehen, oder auch, wo die Seuch ist, nichts handeln weder<br />
dergleichen im Dorf br<strong>in</strong>gen, bei vermeitlich hoher Straf.<br />
7. mit den Untertanen nicht betrüglich umgehen oder großen unverantwortlichen<br />
Wucher von denen Capitalien nehmen, und wann<br />
ihnen<br />
8. verdächtige Sachen, so entfremdet wären, zu Händen kommen,<br />
solches dem Amt auf der Stelle anzeigen solle.<br />
9. wo zur herrschaftlichen Küchen, absonderlich an Vieh etwas nötig,<br />
solches um billigen Preis anschaffen, auch, wo was an Pferd,<br />
Viehe und anderm von Obrigkeit wegen zu begeben se<strong>in</strong>, solches<br />
um billiches Geld er- und gleichwohl wieder zu se<strong>in</strong>em besten<br />
verkaufen sollte. Überdies soll er auch<br />
10. des Orts Geistlichen entweder die gewöhnliche jurae stolae oder<br />
e<strong>in</strong> nach Proportion beschaffenes Neu-Jahr entrichten.<br />
Vor solchen Schutz und Schirm solle obgedachter Aron Jud für<br />
sich, se<strong>in</strong> Weib und bei sich habend unverheiratete K<strong>in</strong>der und<br />
nötig habendes Brodges<strong>in</strong>d von der Zeit an gerechnet, da er mit<br />
se<strong>in</strong>em Weib Hochzeit gehalten und würklich e<strong>in</strong>gezogen,<br />
jährlichen 10 fl. Rhe<strong>in</strong>ischer Währung und also quartaliter<br />
2 1/2 fl. (= Gulden) erlegen, auch die Contribution und<br />
Schatzungen nach der Umlag bezahlen, und wo ihnen weiter<br />
etwas zu prestiren zukomme, er es jedes Mals willig entrichten<br />
sollte.<br />
Hierauf befehle ich als dessen ordentliche Obrigkeit me<strong>in</strong>em Beamten,<br />
Dienern, Schultheißen und Untertanen samt und sonders, dass sie e<strong>in</strong>gangs<br />
bedeutenden Aron und die Se<strong>in</strong>ige als vorstehet bei solchem Schutz und<br />
Geleit ruhig und unbetrangt bleiben lassen, auch bei Recht und Billigkeit<br />
schützen, schirmen und handhaben, me<strong>in</strong> zu Morste<strong>in</strong> dermals verordneter<br />
7
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Beamter aber zufolge schon erteilten Annahmsdecret den gewöhnlichen<br />
Schutzbrief darüber aus- und mehr ersagtem <strong>Juden</strong> zu Hand fertigen solle.<br />
Welches dann auch unter dem hievor getruckt hochfreiherrlich<br />
Crailsheimischen gewöhnlichen Morste<strong>in</strong>ischen amtmannschaftlichen<br />
Signet geschehen. Urkundlich im Schloß Morste<strong>in</strong>, den 22. Dezember Anno<br />
1720.<br />
Das Schutzgeld war e<strong>in</strong>e Art E<strong>in</strong>kommensteuer. Während Christen<br />
den Zehnten ihrer landwirtschaftlichen Arbeit ablieferten, gab es aber<br />
auf Handelsgew<strong>in</strong>ne ke<strong>in</strong>e Steuern, sondern bei den <strong>Juden</strong> eben das<br />
Schutzgeld. Zusätzlich zum Schutzgeld hatten die <strong>Juden</strong> noch andere,<br />
besondere Steuern zu zahlen wie das Schächtgeld und das Schulgeld<br />
(zur Abhaltung der Schule = Gottesdienste).<br />
Wie zahlreich war die jüdische Bevölkerung?<br />
Ke<strong>in</strong> „kle<strong>in</strong>es Jerusalem“<br />
Die Zahl der <strong>Juden</strong> wechselte: 1617 waren es 3 Familien. 1638<br />
wohnten ke<strong>in</strong>e <strong>Juden</strong> mehr <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>, bis es später wieder zu e<strong>in</strong>er<br />
Neuansiedlung kam. Aber <strong>in</strong>sgesamt war die Zahl der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong><br />
<strong>Dünsbach</strong> nie besonders groß. Nur 1829 stieg die Zahl auf 103<br />
Personen (14 % der Bevölkerung von <strong>Dünsbach</strong> und Morste<strong>in</strong>) an,<br />
was wohl mit der relativen Liberalisierung bei den<br />
Aufenthaltsbed<strong>in</strong>gungen für die <strong>Juden</strong> ab 1806 zusammen h<strong>in</strong>g.<br />
Später g<strong>in</strong>gen die Zahlen – durch Abwanderung <strong>in</strong> die Städte und<br />
Auswanderung – im Jahre 1871 auf 50 Personen und schließlich 1938<br />
auf 8 Personen zurück, bis dann im Jahr 1942 die letzten beiden<br />
<strong>Juden</strong> deportiert wurden. Und dennoch gab es immer wieder die<br />
Angst vor e<strong>in</strong>er zu starken Zunahme des jüdischen<br />
Bevölkerungsanteils. Typisch dafür ist der Brief e<strong>in</strong>es Morste<strong>in</strong>er<br />
Amtmanns, der <strong>in</strong> der württembergischen Zeit – im Zusammenhang<br />
mit e<strong>in</strong>em Antrag auf Niederlassung – an das Oberamt <strong>in</strong> Gerabronn<br />
folgendes schrieb: „...denn wollte man allen ortsgeborenen <strong>Juden</strong> und<br />
Jüd<strong>in</strong>nen gestatten, sich e<strong>in</strong>zukaufen und anzusiedeln, so würde<br />
8
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
<strong>Dünsbach</strong> bald e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Jerusalem“. – Aber diese Angst war<br />
sowohl für <strong>Dünsbach</strong> als auch für die gesamte Umgebung völlig<br />
unbegründet. Und selbst wenn man an e<strong>in</strong>e hohe K<strong>in</strong>derzahl denkt, so<br />
wurde diese durch die meist hohe K<strong>in</strong>dersterblichkeit relativiert.<br />
Interessant ist beispielsweise e<strong>in</strong>e Zusammenstellung aus den Jahren<br />
1780 bis 1869. Damals wurden <strong>in</strong> 33 Ehen 189 K<strong>in</strong>der geboren, was<br />
e<strong>in</strong>en statistischen Durchschnitt von 6 K<strong>in</strong>dern ergibt. Von diesen<br />
189 K<strong>in</strong>dern starben vor dem 10. Lebensjahr 25 %, nämlich 48<br />
K<strong>in</strong>der.<br />
Verfolgt man die jüdischen E<strong>in</strong>wohnerzahlen seit den<br />
Volkszählungen, so ergibt sich folgendes Bild:<br />
Jahr 1829 1846 1900 1939<br />
<strong>Juden</strong> 103 99 20 7<br />
%-Anteil 13,7% 16,5% 2,6% 1,1%<br />
E<strong>in</strong>wohner 754 600 759 614<br />
Dü nur Dü nur Dü nur Dü<br />
u. Morste<strong>in</strong><br />
Zur sozialen Situation der jüdischen Bevölkerung<br />
Meist arme Landjuden<br />
Nur wenige der <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> waren wohlhabend, die meisten<br />
aber arm, sogar bitterarm. Beispielhaft sei darauf h<strong>in</strong>gewiesen, dass<br />
der Bau der Synagoge im Jahr 1799 nicht selbst f<strong>in</strong>anziert werden<br />
konnte, sondern Spenden dafür <strong>in</strong> den umliegenden Geme<strong>in</strong>den<br />
gesammelt werden mussten. Oder aus dem Rechnungsjahr 1834/35<br />
wird uns berichtet, dass von den 10 Familien <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> mehr als<br />
1/3 von der damaligen Personalsteuer (vgl. Seite 20) befreit waren.<br />
Der Grund für diese Armut war auf ke<strong>in</strong>en Fall das Ergebnis e<strong>in</strong>er<br />
Ausbeutung durch die Schutzherren oder deren Verwalter. Denn<br />
9
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
<strong>in</strong>sgesamt – so hat es G. Taddey für das Jahr 1784 (s. unten)<br />
nachgewiesen – war die f<strong>in</strong>anzielle Belastung für Christen und <strong>Juden</strong><br />
etwa gleich hoch und überdies wurden <strong>in</strong> den gerichtlichen<br />
Entscheidungen des Amtmanns beide Gruppen strikt gleich<br />
behandelt.<br />
Im Jahre 1784 beliefen sich die gesamten E<strong>in</strong>nahmen Morste<strong>in</strong>s mit 220<br />
Untertanenfamilien, davon 8 <strong>Juden</strong> auf 4515 fl. (= Gulden). Rund 1900 fl.<br />
stammten aus Steuern und steuerähnlichen Abgaben. Die direkten<br />
E<strong>in</strong>nahmen von den besonderen <strong>Juden</strong>steuern (Schutzgeld, Schulgeld,<br />
Schächtgeld) beliefen sich auf etwa 80 fl., machten also 4,2% der gesamten<br />
E<strong>in</strong>nahmen dieser Kategorie aus, die nur von 3,6% der Untertanen<br />
aufgebracht werden mussten. Dafür waren die <strong>Juden</strong> allerd<strong>in</strong>gs von<br />
Zehntabgaben frei, weil sie ja ke<strong>in</strong>e landwirtschaftlichen Erträge besaßen.<br />
Auch beim Dienstgeld waren sie besser gestellt. Es schwankte von 22 kr.<br />
(Kreuzer) bis zu 5 fl. jährlich. Lediglich 4 <strong>Juden</strong> zahlten 2 fl.<br />
beziehungsweise 1 fl. 10 kr., die meisten Christen 4 fl. 30 kr. Die Übrigen<br />
leisteten Handdienst <strong>in</strong> natura (Taddey, Seite 135).<br />
Der Grund für die übergroße Armut lag dar<strong>in</strong>, dass die <strong>Juden</strong> zu den<br />
allermeisten Berufen ke<strong>in</strong>en Zugang hatten. So verblieb ihnen nur der<br />
Handel mit Vieh, mit Kupfergeschirr, Tüchern oder Betten, wie e<strong>in</strong>e<br />
Aufstellung aus dem Jahr 1730 deutlich macht. (Taddey S. 127).<br />
Später, nämlich 1765, wird auch von e<strong>in</strong>em jüdischen<br />
Immobilienhändler, dem Schmul Jakob, berichtet. Doch war das<br />
Herrschaftsgebiet, <strong>in</strong> dem die <strong>Juden</strong> lebten so kle<strong>in</strong>, dass sie bis 1806<br />
für die meisten Geschäfte <strong>in</strong>s „Ausland“ mussten und dabei Zoll zu<br />
zahlen hatten. Ab 1866/71 kam e<strong>in</strong> weiterer Grund für die Armut<br />
dazu. In diesen Jahren nahm die Anzahl der jüdischen Bettler aus<br />
Ungarn, Polen, Ostpreußen und dem Elsaß zu. Die Geme<strong>in</strong>den aber<br />
waren aus religiösen Gründen zur Hilfe verpflichtet, was jedoch den<br />
armen <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> sehr schwer fiel. 1872 wurde die Hilfe<br />
etwas zentralisiert: E<strong>in</strong> „Comite zur Centralisation des<br />
Wanderbettels“ wurde <strong>in</strong> Heilbronn gegründet. E<strong>in</strong><br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Bezirksarmenvere<strong>in</strong> entstand. Auch die <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>de trat<br />
bei und war nun <strong>in</strong> vielen Fällen von den Schwierigkeiten der<br />
E<strong>in</strong>zelhilfe entlastet.<br />
Foto: Zollstation vor Kirchberg-Lensiedel,<br />
wo im 18. Jh. Brückenzoll zu entrichten war,<br />
z.B. für Pferde mit Karren<br />
und andere durchgetriebene Tiere.<br />
Religiöses Leben der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
Entstehung e<strong>in</strong>er Synagoge <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
Sobald 10 Männer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er Geme<strong>in</strong>de s<strong>in</strong>d, kann Gottesdienst<br />
gehalten werden. Ab 1725 war dies <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> der Fall. In diesem<br />
Jahr erteilte die Ortsherrschaft den <strong>Juden</strong> die Erlaubnis, „Schule“ zu<br />
halten, also Gottesdienste e<strong>in</strong>zurichten. Für diese Erlaubnis musste<br />
pro Familie jährlich 1 Gulden bezahlt werden. Zunächst hielt man<br />
diese Gottesdienste <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Privathaus ab, <strong>in</strong> dem allerd<strong>in</strong>gs der<br />
nicht-jüdische Maurer Dorffman wohnte. Dieser beschwerte sich<br />
nach e<strong>in</strong>iger Zeit, vor allem über die landfremden bettelnden <strong>Juden</strong>,<br />
die regelmäßig am Gottesdienst teilnahmen. Der Streit wurde stärker,<br />
so dass die Ortsherrschaft die Gottesdienste verbot. E<strong>in</strong>ige Jahre<br />
später wurde es dann wieder möglich, die Gottesdienste abzuhalten,<br />
und zwar im Haus des 1796 verstorbenen Schmul.<br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Die räumlichen Verhältnisse waren aber sehr bescheiden, so dass der<br />
Amtmann im Jahre 1797 schrieb: „Die <strong>Juden</strong> s<strong>in</strong>d genötigt, ihre<br />
Gottesdienste <strong>in</strong> Mangel e<strong>in</strong>er Synagoge <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em schlechten W<strong>in</strong>kel<br />
e<strong>in</strong>es <strong>Juden</strong>hauses allda zu halten, der des erhabenen Gegenstandes<br />
ganz unwürdig ist. Weltlichen Amts wegen wünscht man selbst, dass<br />
diesem Übelstand abgeholfen werden mögte“. Als Bauplatz wollten<br />
die <strong>Juden</strong> den Garten der Witwe Weiß kaufen, doch die weigerte sich<br />
zu verkaufen. Schließlich war auch die F<strong>in</strong>anzierung schwierig, da<br />
die <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> – wie erwähnt – <strong>in</strong> sehr e<strong>in</strong>fachen<br />
Verhältnissen lebten.<br />
Deshalb bat die <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>de die umliegenden jüdischen<br />
Geme<strong>in</strong>den, dass sie den Neubau durch e<strong>in</strong>e Kollekte unterstützen<br />
mögen. Das Ergebnis wurde <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Liste e<strong>in</strong>getragen, die der<br />
Amtmann von Morste<strong>in</strong> beglaubigte. Ebenfalls verpflichtete sich der<br />
Amtmann dafür zu sorgen, dass die Gelder zweckentsprechend<br />
verwendet würden.<br />
1799 entstand dann die e<strong>in</strong>fache Synagoge im Zentrum der<br />
<strong>Juden</strong>gasse, <strong>in</strong> der bis 1914 regelmäßig Gottesdienste abgehalten<br />
wurden. Ab 1832 gehörten auch die <strong>Juden</strong> aus Gerabronn zur<br />
Geme<strong>in</strong>de <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>. Im Jahr 1914 konnte die Geme<strong>in</strong>de nicht<br />
mehr selbstständig weiter bestehen, da die nötige Anzahl von 10<br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Männern nicht mehr gegeben war. Danach hielt<br />
der Rabb<strong>in</strong>er aus Braunsbach <strong>in</strong> unregelmäßigen<br />
Abständen immer wieder Gottesdienste <strong>in</strong> der<br />
Synagoge – bis zum Jahre 1936. In der<br />
Reichspogrom-Nacht am 9. November 1938<br />
wurde die Synagoge beschädigt und später – weil<br />
baufällig – abgebrochen und die Ste<strong>in</strong>e für e<strong>in</strong>e<br />
Schlosserwerkstatt verwandt. Heute er<strong>in</strong>nert e<strong>in</strong><br />
Gedenkste<strong>in</strong> an die Synagoge. Die unteren Ste<strong>in</strong>e der ehemaligen<br />
Umfassungsmauer der Synagoge s<strong>in</strong>d erhalten; sie grenzen heute e<strong>in</strong><br />
Gartengrundstück an diesem Platz e<strong>in</strong>.<br />
Auch Gerabronner <strong>Juden</strong> gehörten zur <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>de<br />
1672 zog als erster Jude e<strong>in</strong> Schmul aus Crailsheim nach Gerabronn.<br />
Um 1800 zählte man bereits 6 jüdische Haushalte, um 1844 dann 10<br />
Haushalte (oder 51 Personen). 1814 wurde e<strong>in</strong> Betsaal <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Wohnhaus e<strong>in</strong>gerichtet. Im Jahre 1828 veranlasste der<br />
württembergische Staat e<strong>in</strong>e Neuordnung der jüdischen Geme<strong>in</strong>den,<br />
die sich an der Größe orientierte und 1832 realisiert wurde. Unter der<br />
Leitung des Rabb<strong>in</strong>ats <strong>in</strong> Braunsbach entstanden die 5 neu gebildeten<br />
Geme<strong>in</strong>den: Braunsbach, Crailsheim (mit Goldbach, Ingersheim und<br />
Unterdeufstetten), Michelbach/Lücke (mit Hengstfeld und<br />
Wiesenbach), Ste<strong>in</strong>bach (mit Schwäbisch Hall) und eben <strong>Dünsbach</strong><br />
(mit Gerabronn). Die Gerabronner wehrten sich <strong>in</strong>tensiv gegen den<br />
Zusammenschluss mit <strong>Dünsbach</strong>, so dass sie 1844 die Erlaubnis<br />
erhielten, Filialgottesdienste <strong>in</strong> Gerabronn zu halten. Weil dann aber<br />
die Zahl der Geme<strong>in</strong>deglieder ab 1850 immer stärker zurückg<strong>in</strong>g,<br />
benötigte die Geme<strong>in</strong>de sog. Mietl<strong>in</strong>ge, Gastbesucher aus den<br />
umliegenden Ortschaften, um die notwenige Zahl von 10 Männern<br />
beim Gottesdienst zu erreichen; diese „Mietl<strong>in</strong>ge“ erhielten<br />
Wegegeld und Verzehrkosten. 1912 soll der letzte Gottesdienst <strong>in</strong><br />
Gerabronn gehalten worden se<strong>in</strong>.<br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Religionsunterricht<br />
Die jüdischen K<strong>in</strong>der besuchten die christliche Schule am Ort. Seit<br />
1824 bestand Schulpflicht für jüdische K<strong>in</strong>der von 6 - 14 Jahren.<br />
Aber zum Unterricht <strong>in</strong> jüdischer Religion und Hebräisch kamen sie<br />
zum Religionslehrer der jüdischen Geme<strong>in</strong>de.<br />
E<strong>in</strong>en der Religionslehrer <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> kennen wir mit Namen. Es ist<br />
Simon Nördl<strong>in</strong>ger, der zugleich auch die Aufgabe des Vorsängers<br />
und des Schächters <strong>in</strong>nehatte. Er trat se<strong>in</strong>en Dienst im Jahre 1815 an,<br />
bestand 1830 als e<strong>in</strong>ziger der älteren jüdischen Religionslehrer <strong>in</strong><br />
Württemberg die neu e<strong>in</strong>geführte Staatsprüfung. Im Jahr 1865, nach<br />
50-jähriger Dienstzeit, bekam Simon Nördl<strong>in</strong>ger von König Karl die<br />
silberne Zivildienstmedaille. Das wurde natürlich <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em großen<br />
Fest gefeiert. Der Festzug g<strong>in</strong>g von der Synagoge zur Schule, und<br />
unter den Gästen beim Festzug waren die örtlichen Honoratioren –<br />
z.B. auch der evangelische Pfarrer.<br />
<strong>Juden</strong>bad für die kultische Re<strong>in</strong>igung (Mikwe)<br />
Auch <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> muss es e<strong>in</strong> <strong>Juden</strong>bad (Mikwe) gegeben haben.<br />
Nachrichten darüber f<strong>in</strong>den wir immer wieder. Wo allerd<strong>in</strong>gs der Ort<br />
war, wissen wir heute nicht mehr.<br />
Die kultische Re<strong>in</strong>heit, also die Re<strong>in</strong>heit für die Teilnahme am<br />
Gottesdienst oder an gottesdienstlichen Handlungen, spielt im<br />
jüdischen Glauben e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. Im 3. Buch Mose ist davon<br />
ausführlich die Rede. So macht unre<strong>in</strong>, wenn man e<strong>in</strong>en Toten<br />
berührt oder Aussatz hat; bei Frauen ist es die monatliche Blutung<br />
(3. Mose 15, 19-24) oder die Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des (3. Mose 12, 1-8).<br />
Die Art der Wiederherstellung der kultischen Re<strong>in</strong>heit ist<br />
unterschiedlich, und die Bestimmungen aus dem 3. Buch Mose<br />
wurden im Talmud weiterentwickelt. Das Wasser spielt dann bei der<br />
Re<strong>in</strong>igung e<strong>in</strong>e wichtige Rolle. So war es im 17./18. Jahrhundert für<br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
die Frauen <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> wichtig, dass sie nach der Menstruation und<br />
nach der Geburt e<strong>in</strong>es K<strong>in</strong>des die kultische Re<strong>in</strong>heit durch das<br />
Untertauchen im Wasser der Mikwe erhielten. Voraussetzung für e<strong>in</strong><br />
solches Bad ist, dass die Frau <strong>in</strong> Grund- oder Quellwasser ganz<br />
untertauchen kann, was e<strong>in</strong>en entsprechenden Baderaum mit<br />
künstlicher Grube voraussetzt.<br />
1821 untersuchte die württembergische Kreisregierung die<br />
Badegewohnheiten der jüdischen Frauen zum Zweck der kultischen<br />
Re<strong>in</strong>igung. Dabei stellte sie vielfach fest, dass die Frauen durch die<br />
damalige Art des Badens gesundheitlich gefährdet wurden: Sei es,<br />
dass das Wasser nicht sauber oder dass es im W<strong>in</strong>ter zu kalt war, was<br />
beides leicht zu Erkrankungen bei den Frauen führen konnte. So<br />
ordnete die Regierung an, dass <strong>in</strong> den Bädern – wenn es f<strong>in</strong>anziell<br />
irgendwie möglich ist – e<strong>in</strong>e Anlage zur Erwärmung des Wassers<br />
e<strong>in</strong>gerichtet würde. Die arme Geme<strong>in</strong>de <strong>Dünsbach</strong> konnte sich das<br />
nicht leisten. Hier galt dann die andere staatliche Vorschrift, dass<br />
wenigstens heißes Wasser zugeschüttet würde. Um 1828 erfahren wir<br />
von e<strong>in</strong>er Investition <strong>in</strong> Höhe von 400 Gulden für e<strong>in</strong> neues<br />
Frauenbad (übergangsweise war das Frauenbad vorher <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em<br />
Privathaus untergebracht), bei dem nun die staatlichen Vorschriften<br />
nach warmem Wasser besser erfüllt werden konnten. Im Jahr 1847<br />
wird von e<strong>in</strong>em Neubau von Schule, Frauenbad und Lehrerwohnung<br />
mit Kosten von 3300 Gulden berichtet.<br />
Bestattung der Toten<br />
„Wegen e<strong>in</strong>es toten <strong>Juden</strong> fährt man nicht nach Schopfloch“<br />
200 Jahre lang hatten die <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> ke<strong>in</strong>en eigenen Friedhof.<br />
Die Geme<strong>in</strong>de war zu kle<strong>in</strong>. Deshalb brachten sie ihre Toten zu dem<br />
zentralen Friedhof, der 1612 <strong>in</strong> Schopfloch angelegt worden war,<br />
e<strong>in</strong>em Ort 5 km südlich von Feuchtwangen und etwa 35 km Luftl<strong>in</strong>ie<br />
von <strong>Dünsbach</strong>. Dazwischen aber gab es viele Zollstationen, wo man<br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
für den Transport e<strong>in</strong>es Toten bezahlen musste. So versteht man das<br />
Sprichwort: „Wegen e<strong>in</strong>es toten <strong>Juden</strong> fährt man nicht nach<br />
Schopfloch.“ Ab 1747 gab es auch <strong>in</strong> Braunsbach (9 km von<br />
<strong>Dünsbach</strong> entfernt) e<strong>in</strong>en eigenen Friedhof, und vermutlich werden<br />
dann die <strong>Dünsbach</strong>er ihre Toten dort – wesentlich näher als<br />
Schopfloch – beerdigt haben. Nachgewiesen s<strong>in</strong>d solche<br />
Beerdigungen von <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> schon 1753, 1756 und 1760.<br />
Aber als die Geme<strong>in</strong>de immer stärker anwuchs, wurde 1823 e<strong>in</strong><br />
eigener Friedhof (siehe Foto unten) e<strong>in</strong>gerichtet, den die <strong>Dünsbach</strong>er<br />
zusammen mit den Gerabronner <strong>Juden</strong> benutzten.<br />
Warum liegt der Friedhof weit außerhalb des Wohnortes?<br />
Als Antwort auf diese Frage kann man verschiedenes anführen: So<br />
gehört es zu den religiösen Bed<strong>in</strong>gungen, dass der Friedhof außerhalb<br />
der Wohnbezirke liegt, weil für den jüdischen Glauben der Kontakt<br />
mit den Toten kultisch unre<strong>in</strong><br />
macht. E<strong>in</strong>e Verb<strong>in</strong>dung mit<br />
e<strong>in</strong>em lokalen christlichen<br />
Ortsfriedhof wäre aus<br />
verschiedenen Gründen zur<br />
damaligen Zeit nicht <strong>in</strong> Frage<br />
gekommen: E<strong>in</strong>erseits waren<br />
die Friedhöfe oft <strong>in</strong> der<br />
Ortsmitte rund um die Kirche<br />
angelegt; andererseits werden<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em christlichen Friedhof<br />
die Gräber immer wieder neu belegt, während die jüdischen Gräber<br />
ewige Gräber s<strong>in</strong>d, die nur e<strong>in</strong>mal belegt werden dürfen. Ferner<br />
gehörte es im Fall der <strong>Dünsbach</strong>er Geme<strong>in</strong>de dazu, dass der Friedhof<br />
an e<strong>in</strong>er solchen Stelle liegen sollte, die auch von Gerabronn aus<br />
gesehen werden konnte. Und überhaupt: Es musste e<strong>in</strong> Platz<br />
gefunden werden, der zu kaufen war. 1823 war es so weit. 1884<br />
erhielt der Friedhof e<strong>in</strong>e Mauer, die e<strong>in</strong> Hirsch Ste<strong>in</strong>er aus<br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Chicago/USA (Schigago verstand der Ste<strong>in</strong>metz und schrieb es so auf<br />
den E<strong>in</strong>gangsste<strong>in</strong>) spendete. Die Summe muss recht ansehnlich<br />
gewesen se<strong>in</strong>, denn die Mauer wurde aus beidseitig behauenen<br />
Ste<strong>in</strong>en errichtet, und sie hat noch zur F<strong>in</strong>anzierung des schönen<br />
schmiedeeisernen E<strong>in</strong>gangstors gereicht. Jenes Eisentor wurde im<br />
„Dritten Reich“ abgeholt: e<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>deglied erzählte mir, dass er als<br />
Schüler im Unterricht die Aufforderung erhielt, beim Abtransport<br />
behilflich zu se<strong>in</strong>. Ob das Sammeln von Alteisen für Kriegszwecke<br />
der Grund dafür war, weiß man nicht. Jedenfalls sieht man noch<br />
heute außen die ursprünglichen Torhalterungen.<br />
1930 wurden e<strong>in</strong>ige Grabste<strong>in</strong>e von unbekannten Jugendlichen<br />
umgestürzt. Am Ostermontag 1947 mussten ehemalige Hitlerjungen<br />
die umgestoßenen Grabste<strong>in</strong>e wieder aufrichten.<br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
„Haus der Ewigkeit“ für 76 Tote<br />
Derzeit s<strong>in</strong>d 76 Gräber erfasst (was es mit der e<strong>in</strong>gravierten Nummer<br />
80 bei e<strong>in</strong>em der Grabste<strong>in</strong>e auf sich hat, ist mir nicht bekannt). Das<br />
erste Grab ist das von Brandl Wassermann (gestorben 2.8.1831); als<br />
letzter wurde Felix Wassermann beerdigt (gestorben 2.4.1932).<br />
Für die Bestattung gilt, dass im Tode alle gleich s<strong>in</strong>d, weshalb es für<br />
jeden nur e<strong>in</strong>en e<strong>in</strong>fachen Holzsarg gibt und e<strong>in</strong> e<strong>in</strong>faches weißes<br />
Tuch, <strong>in</strong> das der Tote e<strong>in</strong>gehüllt wird. Früher waren die Frauen beim<br />
Trauerzug nur am Anfang zugegen, später aber wurde es möglich,<br />
dass sie auch an der Beerdigung selbst teilnahmen. Das wichtigste<br />
Gebet bei der Beerdigung ist das Kaddisch: Erhoben und geheiligt<br />
werde se<strong>in</strong> großer Name auf der Welt, die nach se<strong>in</strong>em Willen von ihm<br />
geschaffen wurde. Se<strong>in</strong> Reich erstehe <strong>in</strong> eurem Leben <strong>in</strong> den eueren Tagen<br />
und im Leben des ganzen Hauses Israel, schnell und <strong>in</strong> nächster Zeit,<br />
sprecht: Amen! Se<strong>in</strong> großer Name sei gepriesen <strong>in</strong> Ewigkeit und Ewigkeit<br />
der Ewigkeiten. Gepriesen und gerühmt, verherrlicht, erhoben, erhöht,<br />
gefeiert, hocherhoben und gepriesen sei der Name des Heiligen, gelobt sei<br />
er, hoch über jedem Lob und Gesang, jeder Verherrlichung und<br />
Trostverheißung, die je <strong>in</strong> der Welt gesprochen wurde, sprecht Amen.<br />
E<strong>in</strong> jüdisches Grab wird nur e<strong>in</strong>mal belegt. Es ist Teil des „Hauses<br />
der Ewigkeit“ (bet olam), wie der Friedhof genannt wird. In diesem<br />
„Haus der Ewigkeit“ liegt der Tote <strong>in</strong> se<strong>in</strong>em Grab mit Blick nach<br />
Osten, um sofort zu sehen, wenn der Messias <strong>in</strong> Jerusalem ankommt<br />
und mit ihm die Ewigkeit beg<strong>in</strong>nt.<br />
Die Grabste<strong>in</strong>e s<strong>in</strong>d vorne meist hebräisch beschriftet und unten<br />
stehen die hebräischen Buchstaben TNZBH, was auf 1. Samuel 25,29<br />
h<strong>in</strong>weist und s<strong>in</strong>ngemäß so heißt: „Möge se<strong>in</strong>e Seele e<strong>in</strong>gebunden<br />
se<strong>in</strong> im Bündel des ewigen Lebens.“ H<strong>in</strong>ten auf den Grabste<strong>in</strong>en ist<br />
immer wieder die Inschrift auch <strong>in</strong> Deutsch. Aber bei Israel Landauer<br />
ist zum Beispiel nur e<strong>in</strong>e deutsche Inschrift vorne auf dem Grabste<strong>in</strong><br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
zu lesen. – E<strong>in</strong>ige der Symbole auf den Grabste<strong>in</strong>en kann man<br />
deuten:<br />
Die segnenden Hände weisen auf<br />
jemanden h<strong>in</strong>, der zum<br />
priesterlichen Geschlecht gehörte.<br />
Mit erhobenen Händen hat der<br />
Priester den aaronitischen Segen<br />
über die Geme<strong>in</strong>de gesprochen<br />
(4. Mose 6, 22-24).<br />
Die Zusammenordnung der F<strong>in</strong>ger<br />
auf dem Grabste<strong>in</strong> ergibt jeweils<br />
den hebräischen Buchstaben für „sch“, mit dem auch der alte<br />
Gottesname Schaddai beg<strong>in</strong>nt (so z.B. 1. Mose 17,1, wo Luther das<br />
Wort mit „der Allmächtige“ übersetzt).<br />
Das Schofarhorn weist darauf h<strong>in</strong>, dass hier e<strong>in</strong> Schofarbläser<br />
begraben liegt. Das Schofar (ausgehöhltes Widderhorn) ertönt am<br />
Neujahr und am Versöhnungstag und wird von Ehrenamtlichen<br />
gespielt. Mit dem Blasen des Schofarhorns wird e<strong>in</strong>st die<br />
Auferstehung der Toten e<strong>in</strong>geleitet. Die Ranken des immer<br />
grünenden Efeu s<strong>in</strong>d S<strong>in</strong>nbild des ewigen Lebens, die Mohnkapseln<br />
S<strong>in</strong>nbild des Todes und der ewigen Ruhe, welkende Blumen e<strong>in</strong><br />
S<strong>in</strong>nbild des Sterbens. Darüber h<strong>in</strong>aus haben die allgeme<strong>in</strong>en<br />
Stilrichtungen der Bestattungszeit – wie z.B. der Neoklassizismus mit<br />
se<strong>in</strong>en Säulen und Pilastern – Auswirkungen auf die Gestaltung der<br />
Grabste<strong>in</strong>e gehabt. – Die Herstellung der Grabste<strong>in</strong>e konnte<br />
ursprünglich nicht von jüdischen Handwerkern gemacht werden, weil<br />
sie ke<strong>in</strong>e Ste<strong>in</strong>metze se<strong>in</strong> durften. Deshalb haben christliche<br />
Ste<strong>in</strong>metze die Grabste<strong>in</strong>e nach genauen Vorlagen erarbeitet. (So: B.<br />
Göller) Es ist wahrsche<strong>in</strong>lich, dass später, im Zuge der politischen<br />
Gleichberechtigung nach 1828, auch <strong>Juden</strong> die Aufgabe übernahmen.<br />
1
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Die Pflege e<strong>in</strong>es jüdischen Grabes geschieht nicht mit Blumen,<br />
sondern man legt e<strong>in</strong>en Ste<strong>in</strong> auf das Grab. Der Ursprung dieser Sitte<br />
mag wohl <strong>in</strong> der Wüstenzeit liegen, wo die Gräber nicht so tief<br />
waren, und die Gefahr bestand, dass Tiere die Toten ausscharrten;<br />
hier sollten die Ste<strong>in</strong>e auf dem Grab so etwas verh<strong>in</strong>dern. Darüber<br />
h<strong>in</strong>aus könnte dieser Ste<strong>in</strong> auf dem Grab e<strong>in</strong> symbolischer H<strong>in</strong>weis<br />
auf e<strong>in</strong>en Gedenkste<strong>in</strong> se<strong>in</strong> – so wie es <strong>in</strong> biblischen Zeiten geschah,<br />
dass Ste<strong>in</strong>e aufgerichtet wurden, die an besondere Ereignisse<br />
er<strong>in</strong>nerten (1. Mose 28,18). Ferner ist zu bedenken, dass Blumen<br />
ursprünglich nicht als Grabschmuck geeignet waren, weil sie im<br />
heißen Land Israel schnell verwelken.<br />
Auf dem Weg zur Gleichstellung ab 1806<br />
Was änderte sich für die <strong>Juden</strong> im Königreich Württemberg?<br />
1806 kam die Herrschaft Morste<strong>in</strong> zum Königreich Württemberg.<br />
Das geschah im Rahmen der territorialen Veränderungen der<br />
napoleonischen Zeit <strong>in</strong> den Jahren 1803 - 1810; damals wurde die<br />
Fläche von Württemberg doppelt so groß, und die E<strong>in</strong>wohnerzahl<br />
nahm um e<strong>in</strong> Drittel zu. Für das Königreich Württemberg war der<br />
Zugang von <strong>Juden</strong> e<strong>in</strong>e große Umstellung, weil seit 1498 ke<strong>in</strong>e <strong>Juden</strong><br />
<strong>in</strong> Württemberg geduldet waren. Erst im 18. Jahrhundert kamen<br />
durch Übernahme neuer Gebiete 534 <strong>Juden</strong> dazu. Und nun, bis 1810,<br />
waren es über 7.000 jüdische Untertanen, darunter auch die 11<br />
jüdischen Haushalte <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>. 1817 zählte man bereits 8.256<br />
<strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Württemberg. Anders als früher wurden die <strong>Juden</strong> nicht<br />
vertrieben. Vielmehr setzte e<strong>in</strong> schwieriger Gesetzes- und<br />
Regelungsprozess e<strong>in</strong>, an dessen Ende die Gleichstellung der <strong>Juden</strong><br />
stand. So änderte sich für die <strong>Juden</strong> vieles zum Guten.<br />
▪ Das Schutzgeld g<strong>in</strong>g zunächst an die Staatskasse und wurde 1828<br />
aufgehoben und durch die Personalsteuer an die jüdische<br />
2
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Zentralkirchenkasse ersetzt. Das Schulgeld zur Abhaltung von<br />
Gottesdiensten wurde sofort aufgehoben.<br />
▪ Im Gesetz vom 8.5.1828 „In Betreff der öffentlichen Verhältnisse<br />
der israelitischen Glaubens-Genossen“ geschah e<strong>in</strong> erster Schritt zur<br />
Gleichberechtigung: Mit gewissen E<strong>in</strong>schränkungen wurden aus den<br />
bisherigen Schutzjuden württembergische Untertanen mit garantierter<br />
Religionsfreiheit und freier Berufswahl. In diesem Gesetz wurde<br />
darauf gedrängt, dass die Jugendlichen e<strong>in</strong> „ordentliches Gewerbe“<br />
erlernen und vom Handel abgebracht werden.<br />
▪ Die religiöse Organisation wurde der christlichen angeglichen: Es<br />
entstand e<strong>in</strong>e israelitische Oberkirchenbehörde und e<strong>in</strong>e<br />
Zentralkirchenkasse. Es wurden Rabb<strong>in</strong>atsbezirke (wie Dekanate)<br />
e<strong>in</strong>gerichtet und die Verwaltung und Leitung der e<strong>in</strong>zelnen<br />
Geme<strong>in</strong>den genau vorgeschrieben. Die religiösen Angelegenheiten<br />
wurden – wie bei den Kirchen – stark staatlich reguliert. Erst 1912<br />
erhielten die Geme<strong>in</strong>den eigene Hoheit über ihre religiösen<br />
Angelegenheiten.<br />
▪ Im Gesetz vom 13.8.1864 erhielten die <strong>Juden</strong> die volle rechtliche<br />
Gleichstellung mit den anderen Bürgern.<br />
E<strong>in</strong>ige ergriffen rasch die Chancen<br />
Diese neuen gesetzlichen Regelungen hatten sehr positive<br />
Auswirkungen. Innerhalb der kurzen Zeit von zwei bis drei<br />
Generationen entwickelten sich die <strong>Juden</strong> von gesellschaftlichen<br />
Außenseitern zu e<strong>in</strong>er geachteten, wirtschaftlich erfolgreichen<br />
Bevölkerung, die sich zum Staat außerordentlich loyal verhielt. – Bei<br />
manchen g<strong>in</strong>g es besonders rasant:<br />
Dr. E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong> So war es der Fall bei dem jüdischen Mediz<strong>in</strong>er Dr.<br />
E<strong>in</strong>ste<strong>in</strong>, der schon e<strong>in</strong>ige Jahre <strong>in</strong> Gerabronn praktizierte, bis er 1854<br />
2
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
zum Oberamtswundarzt gewählt wurde, dem ersten <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er<br />
solchen Position im Königreich Württemberg. Zur Wahlkommission<br />
gehörten der Schultheiß und Bezirksbeamte, also wichtige Leute im<br />
Oberamt, die alle die Wahl e<strong>in</strong>es <strong>Juden</strong> für dieses Amt als richtig<br />
erachteten.<br />
Israel Landauer (1843-1913)<br />
Nur wenige der deutschen <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Hohenlohe<br />
brachten es so weit wie Israel Landauer, der <strong>in</strong>tensiv<br />
die wirtschaftliche Entwicklung <strong>in</strong> Stadt und Bezirk<br />
Gerabronn förderte und e<strong>in</strong> ausgeprägtes soziales<br />
Bewusstse<strong>in</strong> hatte. Er half mit bei der Gründung der<br />
Landwirtschafts- und Gewerbebank Gerabronn, e<strong>in</strong>er<br />
Molkereigenossenschaft, e<strong>in</strong>er Baugenossenschaft, dem ersten<br />
Industriebetrieb <strong>in</strong> Gerabronn (Nährmittelfabrik Schüle) und der<br />
Zweigbahn <strong>Blaufelden</strong>-Gerabronn-Langenburg, der Förderung der<br />
Belange von Landwirtschaft und Viehzucht sowie der Erstellung der<br />
ersten vere<strong>in</strong>seigenen Turnhalle Deutschlands. Dem beliebten<br />
Ehrenbürger wurde aber auch antisemitisch geprägter Neid und<br />
Missgunst entgegengebracht, sowohl von den (antisemitischen)<br />
Bauernbündlern, wie auch<br />
durch den evangelischen<br />
Pfarrer Theodor Brecht <strong>in</strong><br />
Gerabronn.<br />
2<br />
An Israel Landauer er<strong>in</strong>nern<br />
noch heute <strong>in</strong> Gerabronn die<br />
Landauer Strasse, das<br />
Landauer-Haus (Bahnhofstr.<br />
23), se<strong>in</strong>e Stiftung des<br />
sozialen Wohnungsbaus für<br />
Arbeiter, und auf dem
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
jüdischen Friedhof <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> weist e<strong>in</strong> markantes Grabmal auf ihn<br />
h<strong>in</strong>.<br />
Adolf Jandorf (1870-1932)<br />
In diesem Zusammenhang soll auch auf e<strong>in</strong>en weiteren<br />
herausragenden jüdischen Mitbürger aus Hohenlohe h<strong>in</strong>gewiesen<br />
werden. Es ist Adolf Jandorf aus Hengstfeld. Er hat 1907 <strong>in</strong> Berl<strong>in</strong><br />
das erste Großkaufhaus Deutschlands eröffnet, nämlich das heute<br />
noch bestehende KaDeWe (Kaufhaus des Westens).<br />
Die Entwicklung auf dem Land verlief langsamer<br />
Bei der Mehrheit der <strong>Juden</strong> brauchte es aber Zeit, bis sie die neuen<br />
Chancen <strong>in</strong> Anspruch nahmen. Gerade auf dem Land blieb lange Zeit<br />
der Vieh- und Grundstückshandel e<strong>in</strong>e Domäne der <strong>Juden</strong>. Doch<br />
merkte man überall, dass sich die soziale Position und Situation der<br />
<strong>Juden</strong> veränderte: der Schacherhandel (z.B. Hausier- und<br />
Trödelhandel, Leihen auf Faustpfänder) g<strong>in</strong>g stark zurück, und die<br />
Betteljuden bildeten nun die Ausnahme. Überhaupt nahm der Zuzug<br />
<strong>in</strong> die Städte zu, und so wurden die beruflichen Chancen für die<br />
<strong>Juden</strong> besser. Lebten 1830 noch 93% aller <strong>Juden</strong> auf dem Dorf, so<br />
waren es 1930 weniger als 20%.<br />
Anfangsschwierigkeiten <strong>in</strong> der <strong>Dünsbach</strong>er Schule<br />
Zur Situation der E<strong>in</strong>schulung der <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> gibt es<br />
e<strong>in</strong> hoch<strong>in</strong>teressantes Dokument aus dem Jahre 1824. Eben <strong>in</strong> diesem<br />
Jahr hatte der König befohlen, dass auch jüdische K<strong>in</strong>der die Schule<br />
besuchen sollten. Über erste Erfahrungen damit berichtet der<br />
<strong>Dünsbach</strong>er Pfarrer Georg Friedrich Schmidt, der die Aufsicht über<br />
die Schule hatte. Die Wiedergabe dieses Schreibens erfolgt im<br />
Folgenden <strong>in</strong> Zusammenfassungen des Textes und Orig<strong>in</strong>alzitaten<br />
des Textes, den Bernhard Fischle und Susanne Kraft übertragen<br />
haben:<br />
2
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Königliches Hochlöbliches geme<strong>in</strong>schaftliches Oberamt Gerabronn und<br />
<strong>Blaufelden</strong><br />
Dem Königlichen allerhöchsten<br />
Befehl, die hiesigen <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der<br />
zu unserem öffentlichen<br />
Schulunterricht beim Lesen,<br />
Schreiben und Rechnen<br />
zuzulassen, hat man hier mit der<br />
größten Bereitwilligkeit Folge<br />
geleistet, sobald er gegeben war,<br />
und die <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der s<strong>in</strong>d e<strong>in</strong><br />
Vierteljahr lang <strong>in</strong> die hiesige<br />
Schule genommen worden. Alle<strong>in</strong><br />
bey diesem bereitwilligen Versuch dem allerhöchsten Befehl<br />
nachzukommen, haben sich aus der Beschaffenheit der Umstände, <strong>in</strong><br />
welche befohlen worden war, folgende Schwierigkeiten und<br />
Bedenklichkeiten ergeben, die wir nicht beseitigen konnten….:<br />
▪ Der Schulraum <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> ist mit (umgerechnet) 24 m ² viel zu<br />
kle<strong>in</strong>: Deshalb können die derzeitigen 96 christlichen Schüler nur <strong>in</strong> 2<br />
Gruppen unterrichtet werden, weil sie sonst „so ungesund wie <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong>em Negerschiff (damalige Sklavenschiffe) zusammen<br />
geschluchtet“ wären. Wenn noch 18 <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der dazu kämen, wären<br />
3 Gruppen nötig.<br />
▪ E<strong>in</strong> zusätzlicher Hilfslehrer ist unbezahlbar: Bei e<strong>in</strong>er Schülerzahl<br />
über 100 könnte e<strong>in</strong> Hilfslehrer (Provisor) angestellt werden. Aber<br />
weder die Christen noch die <strong>Juden</strong> könnten ihn bezahlen, da sie alle<br />
sehr arm s<strong>in</strong>d.<br />
▪ Die Besoldung des Lehrers: Diese ist nur für die Christenk<strong>in</strong>der<br />
und nicht für die zusätzlichen <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der vorgesehen. E<strong>in</strong><br />
zusätzlicher Unterricht für die <strong>Juden</strong>k<strong>in</strong>der würde vom Deputat für<br />
die Christenk<strong>in</strong>der abgehen.<br />
2
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
▪ Vorschlag e<strong>in</strong>er Lösung: E<strong>in</strong>e Lösung des Problems wäre es, dass<br />
der Lehrer im Sommer, wenn die Tage länger s<strong>in</strong>d, die <strong>Juden</strong> extra<br />
unterrichtet und dafür e<strong>in</strong>e zusätzliche Bezahlung durch das Oberamt<br />
erhält.<br />
Aus dem bisher gesagten darf man aber durchaus nicht schließen, dass wir<br />
irgend e<strong>in</strong>e Misgunst auf die hiesigen <strong>Juden</strong> geworfen hätten oder je werfen<br />
wollten. Wir haben gewis den hiesigen <strong>Juden</strong> nie etwas zu Leid gethan oder<br />
geredet, und wollen es auch künftig nicht thun. Es freut uns vielmehr, dass<br />
diese <strong>Juden</strong>, welche unter uns geboren s<strong>in</strong>d, unter uns auch Unterricht<br />
verlangen und ihren eigenen wahren Vortheil endlich selbst e<strong>in</strong>gesehen<br />
haben, sich künftig mehr zu verteutschen als bisher. Nur muss dieses<br />
achtungswerthe Streben nach dem Besseren ohne unseren Schaden nach<br />
Gerechtigkeit und Billigkeit geschehen, aber nicht nach Unrecht…..<br />
Der Staat hat aber dies bl<strong>in</strong>d und knechtisch religiöse Volk (nun) e<strong>in</strong>mal im<br />
Land; der Staat nimmt Abgaben von diesem Volk, das heißt: der Staat nützt<br />
dieses Volk so gut er kann, so gut e<strong>in</strong> solches Volk zu nützen ist. Dieses<br />
Volk ist auch Mensch, so verschieden es auch über Gott und<br />
Menschenbestimmung mit uns denken mag; darum ist der Staat schuldig,<br />
sie als Menschen zu behandeln, für sie als für Menschen zu sorgen und<br />
ihnen den erforderlichen Unterricht zu schaffen, um sie für die menschliche<br />
Gesellschaft menschlicher,<br />
brauchbarer und nützlicher zu<br />
machen.<br />
Unterricht ist heiligste Forderung<br />
aller Menschen, die im Lande<br />
geboren s<strong>in</strong>d, an die menschliche<br />
Gesellschaft des Landes. E<strong>in</strong><br />
Land, das irgende<strong>in</strong>em im Lande<br />
geborenen freien Unterricht<br />
versagt oder h<strong>in</strong>dert, stößt ihn<br />
vom Land aus und entzieht sich ihm als Vaterland. E<strong>in</strong> Staat, der den<br />
2
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Menschen an se<strong>in</strong>em Unterricht geh<strong>in</strong>dert hat, hat ke<strong>in</strong> Recht mehr von<br />
diesem Menschen zu verlangen, dass dieser Mensch für den Staat lebe oder<br />
sterbe, denn er hat mit dieser Unterrichtsverweigerung selbst darauf<br />
verzichtet. -<br />
Ich b<strong>in</strong> hoch erstaunt, dass <strong>in</strong> der Begründung der Stellungnahme<br />
viele sehr positive und fortschrittliche Gedanken formuliert wurden,<br />
die ich so vor fast 200 Jahren nicht erwartet hätte.<br />
Welche Lösung 1824 gefunden wurde, wissen wir nicht. Etwa um<br />
1830 wurde <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> e<strong>in</strong>e jüdische, konfessionelle Schule<br />
e<strong>in</strong>gerichtet, die der Staat f<strong>in</strong>anziell förderte. 1847 (oder 1849)<br />
übersiedelte die Schule <strong>in</strong> e<strong>in</strong>en Neubau, <strong>in</strong> dem auch die<br />
Lehrerwohnung und das <strong>Juden</strong>bad untergebracht waren. In den dann<br />
folgenden Jahren g<strong>in</strong>g die Bevölkerung und damit die Zahl der<br />
K<strong>in</strong>der stark zurück. So gab es 1872 nur noch 10 schulpflichtige<br />
Buben und 2 Mädchen. Deshalb wurde nach 1900 die Schule<br />
geschlossen.<br />
Mite<strong>in</strong>ander von <strong>Juden</strong> und Christen 1900 – 1933<br />
Im Lauf der Jahrzehnte hat sich das Mite<strong>in</strong>ander immer weiter<br />
<strong>in</strong>tensiviert. Was Bruno Stern für Niederstetten schrieb, gilt wohl<br />
auch sonst für Franken: „<strong>Juden</strong> und Christen teilten Freud und Leid.<br />
Man feierte die guten Tage mite<strong>in</strong>ander und tröstete sich gegenseitig<br />
im Leid.“ E<strong>in</strong>en anderen E<strong>in</strong>blick <strong>in</strong> das Selbstverständnis vieler<br />
damaliger <strong>Juden</strong> gab Alfred Landauer, der Enkel von Israel<br />
Landauer, <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zeitungs<strong>in</strong>terview (Hohenloher Tagblatt<br />
25.8.1983): „Was e<strong>in</strong>mal jüdische Erbschaft war, religiös und<br />
geme<strong>in</strong>schaftlich, davon wollten sie sich ganz und gar befreien… Die<br />
Landauers waren Gerabronner, Franken und vor allem Deutsche<br />
(mehr Deutsche als die Deutschen).“<br />
2
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Für das Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> den Jahren 1900 bis 1933 haben mir ältere<br />
Personen alte Unterlagen oder Bilder zur Verfügung gestellt oder mir<br />
Er<strong>in</strong>nerungen aus ihrer Jugend mündlich mitgeteilt. Es s<strong>in</strong>d H<strong>in</strong>weise<br />
aus dem Alltag des Lebens, und gerade deshalb für das Mite<strong>in</strong>ander<br />
von Bedeutung.<br />
Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> Schule und Jugendarbeit<br />
In der Schule war es zu e<strong>in</strong>em selbstverständlichen Mite<strong>in</strong>ander<br />
gekommen. Davon zeugt das hier abgebildete Foto, auf dem auch<br />
Siegbert und Gertrud Adler abgelichtet s<strong>in</strong>d.<br />
Siegbert Adler<br />
(oberste Reihe<br />
ganz l<strong>in</strong>ks)<br />
Gertud Adler<br />
(mittlere Reihe,<br />
2. von rechts)<br />
Oberklassen<br />
<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>,<br />
vermutlich 1936.<br />
mit Lehrer Adolf<br />
Blattner<br />
Von Otto Adler, dem älteren der Geschwister Adler, berichtet Fritz<br />
Frank, dass er se<strong>in</strong> Schulkamerad und Freund war. Fritz Frank wuchs<br />
damals <strong>in</strong> Großforst auf und musste nach <strong>Dünsbach</strong> zur Schule<br />
gehen. Nach dem Unterricht ließ er se<strong>in</strong>en Ranzen (um ihn nicht<br />
zurückschleppen zu müssen) bei se<strong>in</strong>em Freund Otto. Dessen Eltern<br />
gaben ihm immer wieder Matzen, was etwas Besonderes für e<strong>in</strong>en<br />
Christenjungen war.<br />
2
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Von der 13-jährigen Selma Wassermann f<strong>in</strong>den wir im Poesiealbum<br />
von Anna Diem das im Folgenden abgedruckte Gedicht:<br />
Nicht wie Rosen, nicht wie Nelken,<br />
Nicht wie Blumen, die verwelken,<br />
Sondern wie das Immergrün,<br />
Soll stets unsre Freundschaft blühen.<br />
Zum Andenken an de<strong>in</strong>e tr. Freund<strong>in</strong><br />
Selma Wassermann<br />
<strong>Dünsbach</strong>, den 6. März 1912<br />
Ebenfalls von Selma Wassermann hat Gudrun Grams, die Tochter<br />
des damaligen Geme<strong>in</strong>depfarrers Fritz Schrägle noch e<strong>in</strong>e ganz frühe<br />
Er<strong>in</strong>nerung: Das Mädchen war nämlich bei me<strong>in</strong>er Mutter im<br />
christlichen Kreis von Mädchen und jungen Frauen. Und e<strong>in</strong>es Tages<br />
war sie plötzlich nicht mehr gekommen. Darauf sagte me<strong>in</strong>e Mutter:<br />
Jetzt haben sie Wassermanns auch mitgenommen. Ich war damals<br />
höchstens 4 Jahre alt und werde die Hilflosigkeit <strong>in</strong> der Stimme<br />
me<strong>in</strong>er Mutter nie vergessen. – Übrigens berichtet Gudrun Grams<br />
von ihrer Mutter, dass sie als Pfarrfrau bei allen Bewohnern – und<br />
wohl auch bei den <strong>Juden</strong>, gewiss aber bei den Wassermanns –<br />
Besuche machte.<br />
2
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Mite<strong>in</strong>ander im Beruf<br />
Das Mite<strong>in</strong>ander war natürlich schon seit Jahrzehnten durch die<br />
beiden Gemischtwarengeschäfte gegeben: Wassermann <strong>in</strong> der Lange<br />
Straße 21 und Adler <strong>in</strong> der Oberste<strong>in</strong>acher Straße 4. Rudolf Adler<br />
hatte das Geschäft von se<strong>in</strong>em Vater Salomon Adler übernommen;<br />
nach dessen Tod im Jahre 1904 führte zunächst wohl se<strong>in</strong>e Mutter<br />
und später er selbst die Firma weiter.<br />
E<strong>in</strong>e Rechnung<br />
aus dem Jahre<br />
1912 belegt dies<br />
auf ihre Weise,<br />
ausgeschrieben<br />
auf „S. Adlers<br />
Witwe“ und die<br />
Untertitel hießen: „Lager <strong>in</strong> Spezerei-Waren, Zigarren und Tabake,<br />
Lager <strong>in</strong> allen Sorten Ellenware.“<br />
Rudolf Adler war mit se<strong>in</strong>en Stoffen auch <strong>in</strong> der Umgebung tätig.<br />
Walter Stepper aus Oberste<strong>in</strong>ach berichtet dazu folgenden E<strong>in</strong>druck:<br />
Oberste<strong>in</strong>ach hatte ja auch ke<strong>in</strong>e Textilläden. Da kam aus <strong>Dünsbach</strong><br />
der jüdische Händler Rudolf Adler. Er hausierte hier und <strong>in</strong> den<br />
umliegenden Ortschaften. Auf se<strong>in</strong>em Fahrrad mit Gepäckträger<br />
brachte er se<strong>in</strong>e Stoffe, Wolle und andere Textilwaren, wohl verpackt<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em dunkelblauen Wachstuch zu se<strong>in</strong>en Kunden. So habe ich<br />
immer noch diesen ehrbaren, ehrlichen Mann <strong>in</strong> Er<strong>in</strong>nerung. Se<strong>in</strong><br />
Schicksal und das se<strong>in</strong>er Familie wurde dann durch die bekannten<br />
Maßnahmen des Dritten Reiches beschieden und besiegelt. – Rudolf<br />
Adler muss e<strong>in</strong> sehr k<strong>in</strong>derfreundlicher Mann gewesen se<strong>in</strong>. E<strong>in</strong>e<br />
ehemalige Leofelser Schüler<strong>in</strong> aus Hessenau berichtete mir, dass die<br />
Hessenauer Schüler manchmal Rudolf Adler halfen, se<strong>in</strong> schwer<br />
bepacktes Fahrrad den sehr steilen Weg von Hessenau nach Leofels<br />
zu schieben. Danach bekamen sie von Rudolf Adler Bonbons, was<br />
2
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
damals wertvoll für K<strong>in</strong>der war. – E<strong>in</strong>e andere ehemalige Schüler<strong>in</strong><br />
erzählte mir, dass die Schüler im Klassenzimmer genau aufpassten,<br />
wann Rudolf Adler <strong>in</strong> Leofels war. Dann g<strong>in</strong>gen sie <strong>in</strong> der Pause zu<br />
ihm h<strong>in</strong>aus, und er gab ihnen die begehrten Bonbons. Wenn aber der<br />
damalige Lehrer – offensichtlich e<strong>in</strong> bewusster Nazi – dies sah, dann<br />
wurde er sehr böse und tadelte se<strong>in</strong>e Schüler.<br />
Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> vielen Bereichen<br />
Wieder e<strong>in</strong>e andere Art des nachbarschaftlichen<br />
Mite<strong>in</strong>anders war die selbstverständliche<br />
Integration im Vere<strong>in</strong>sleben. Darauf weist e<strong>in</strong><br />
Foto von der E<strong>in</strong>weihung der renovierten<br />
Schlosskirche aus dem Jahre 1932 h<strong>in</strong>, das Rudolf<br />
Adler (Bild Mitte) als e<strong>in</strong>en der Sänger zeigt.<br />
Auch auf e<strong>in</strong>em Bild<br />
vom Ausflug des<br />
gemischten Chors im<br />
Jahre 1930 zum<br />
Niederwald-Denkmal<br />
können wir Rudolf<br />
Adler und se<strong>in</strong>e Frau<br />
erkennen. – E<strong>in</strong><br />
erfreuliches oder<br />
trauriges Zeichen des<br />
Mite<strong>in</strong>anders f<strong>in</strong>det<br />
sich auf dem<br />
Ehrenmal für die Gefallenen des 1. Weltkriegs <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>. Dort<br />
steht Otto Adler (1893 - 1915), der Bruder von Rudolf Adler, an<br />
erster Stelle jener, die „für Volk und Vaterland“ gefallen s<strong>in</strong>d.<br />
Überhaupt nahmen überproportional viele <strong>Juden</strong> als Wehrpflichtige<br />
oder als Freiwillige am Krieg teil; ihr Blutzoll war sehr hoch, die<br />
Zahl der Tapferkeitsauszeichnungen unverhältnismäßig hoch.<br />
3
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
entfachen durften.<br />
Auf e<strong>in</strong>e andere Art des<br />
nachbarschaftlichen Mite<strong>in</strong>anders<br />
weisen die hier abgebildeten Schalen<br />
h<strong>in</strong>. Diese erhielt e<strong>in</strong>e Christenfamilie<br />
als Dank dafür, dass sie ihren<br />
jüdischen Nachbarn am Sabbat das<br />
Feuer anzündete, das diese aus<br />
religiösen Gründen nicht selbst<br />
Mite<strong>in</strong>ander <strong>in</strong> der Ehe<br />
Auf e<strong>in</strong>e weitere Form des Mite<strong>in</strong>anders weisen die christlichjüdischen<br />
Ehen h<strong>in</strong>. So heiratete Jeanette Adler, e<strong>in</strong>e Schwester von<br />
Rudolf Adler, am 4. März 1912 den Wilhelm Grüb,<br />
Schwe<strong>in</strong>ekastrierer aus <strong>Dünsbach</strong>, der <strong>in</strong> Langenburg wohnte. Solche<br />
„Misch-Ehen“ hatten im „Dritten Reich“ e<strong>in</strong>e besondere<br />
Bewährungsprobe auszuhalten. Zwar war der jüdische Ehepartner<br />
durch se<strong>in</strong>en arischen Partner und se<strong>in</strong>e K<strong>in</strong>der geschützt. Aber große<br />
Angst g<strong>in</strong>g um, wann und ob sich das ändere. E<strong>in</strong>erseits wurden die<br />
arischen Partner zur Scheidung ermutigt, auch Zwangsscheidungen<br />
wurden angedeutet. Andererseits verstärkte jede Andeutung <strong>in</strong> der<br />
Presse und jedes Gerücht die Angst. Der Evangelische<br />
Oberkirchenrat bat die Pfarrer ausdrücklich um die Betreuung der<br />
„Mischehen“. Landesbischof Wurm setzte sich bei staatlichen Stellen<br />
für diese Menschen e<strong>in</strong>. Aber dann bestimmte e<strong>in</strong> Erlass im Januar<br />
1945, dass auch die nichtjüdischen Ehepartner nach Theresienstadt<br />
deportiert werden sollten, was aber im März dann wieder rückgängig<br />
gemacht wurde. Jeanette Grüb konnte bis zum Kriegsende bei ihrem<br />
Mann <strong>in</strong> Langenburg bleiben.<br />
3<br />
Der Sohn, Albert Grüb (siehe Foto), begann se<strong>in</strong><br />
Studium der Tiermediz<strong>in</strong>, durfte es aber als K<strong>in</strong>d aus
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
e<strong>in</strong>er „Mischehe“ nicht weiterführen und half zunächst se<strong>in</strong>em Vater<br />
beim Schwe<strong>in</strong>ekastrieren. Danach kam er mit se<strong>in</strong>er Schwester <strong>in</strong> e<strong>in</strong><br />
Arbeitslager <strong>in</strong> Stuttgart. Nach dem Krieg studierte er zu Ende und<br />
erhielt dann se<strong>in</strong>e ärztliche Approbation.<br />
Antisemitismus<br />
In Hohenlohe früher als anderswo <strong>in</strong> Württemberg<br />
Zunächst soll mit e<strong>in</strong>er Vorbemerkung zum Begriff Antisemitismus<br />
begonnen werden. Der Worts<strong>in</strong>n me<strong>in</strong>t nicht nur die <strong>Juden</strong> sondern<br />
auch die Araber. Praktisch aber wird dieses Wort meist im<br />
e<strong>in</strong>geschränkten S<strong>in</strong>ne als Antijudaismus verwandt. Deshalb soll im<br />
Folgenden dieses missverständliche Wort im S<strong>in</strong>ne des<br />
Antijudaismus verwendet werden, weil es sich so e<strong>in</strong>gebürgert hat.<br />
Nach der Gleichstellung der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Württemberg (1864) und <strong>in</strong><br />
ganz Deutschland (1871) setzte vor allem <strong>in</strong> Norddeutschland e<strong>in</strong><br />
Antisemitismus e<strong>in</strong>. Er wurde am Kaiserhof durch den Hofprediger<br />
Adolf Stoecker (1835 - 1909) befördert und weiterh<strong>in</strong> etwa durch den<br />
Historiker He<strong>in</strong>rich von Treitschke, der 1879 das böse Wort<br />
aussprach: „Die <strong>Juden</strong> s<strong>in</strong>d unser Unglück.“ In dieser Zeit entstand<br />
auch die Form des rassischen Antisemitismus, der von völlig<br />
unwissenschaftlichen Voraussetzungen ausg<strong>in</strong>g. In Österreich<br />
wiederum entstand der deutsch-völkische Antisemitismus, der Adolf<br />
Hitler bee<strong>in</strong>flusste. – Doch gab es auch Menschen, die sich dem<br />
Antisemitismus aktiv widersetzten: So entstand bereits 1892 e<strong>in</strong><br />
Vere<strong>in</strong> zur Abwehr des Antisemitismus, zu dessen Stuttgarter<br />
Ortsvere<strong>in</strong> auch Robert Bosch gehörte. Aber von starken<br />
antisemitischen Strömungen ist <strong>in</strong> Württemberg zunächst meist nichts<br />
zu spüren, allenfalls <strong>in</strong> den größeren Städten.<br />
3
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Anders war es <strong>in</strong> Hohenlohe, wo schon vor 1933 das ländliche<br />
Oberamt Gerabronn – und im weiteren S<strong>in</strong>n das heutige Kreisgebiet<br />
Schwäbisch Hall – e<strong>in</strong>e Hochburg des Nationalsozialismus war.<br />
Denn „die fraglos Not leidende landwirtschaftliche Bevölkerung<br />
(war) von der Idee e<strong>in</strong>es versprochenen `Bauernreiches` angetan –<br />
und von ihrer bisherigen politischen Interessenvertretung, dem<br />
Bauernbund mit antidemokratischem und antisemitischem<br />
Gedankengut längst konfrontiert. Die gleichermaßen notleidenden<br />
Landwirte im katholischen Oberschwaben blieben dagegen bis<br />
zuletzt der katholischen Zentrumspartei treu“ (Müller, S. 86). Aber<br />
auch schon Jahrzehnte vorher war <strong>in</strong> Gerabronn der Antisemitismus<br />
aufgetreten, als der verdiente Gerabronner Ehrenbürger Israel<br />
Landauer (1843-1913) mit den antisemitischen Äußerungen des<br />
damaligen Stadtpfarrers Theodor Brecht umgehen musste. – Der<br />
Antisemitismus ist also ke<strong>in</strong>e Erf<strong>in</strong>dung des Nationalsozialismus,<br />
sondern der hat nur aufgenommen und verstärkt, was verborgen und<br />
offen schon <strong>in</strong> den Herzen und den Köpfen von Menschen vorhanden<br />
war.<br />
Die <strong>Juden</strong>politik der Nationalsozialisten:<br />
Diskrim<strong>in</strong>ierung, Pogrome, Auswanderung, Ausrottung<br />
„Nach nationalsozialistischer Auffassung zersetzten sie (die <strong>Juden</strong>)<br />
nur die Wirtsvölker <strong>in</strong> biologischer wie <strong>in</strong> geistiger H<strong>in</strong>sicht; sie<br />
mussten daher ausgemerzt werden. Außerdem sah Hitler <strong>in</strong> den <strong>Juden</strong><br />
die bolschewistische Führungsschicht, ohne deren Beseitigung der<br />
Bolschewismus se<strong>in</strong>er Ansicht nach nicht endgültig überwunden<br />
werden konnte“ (P. Sauer, Schicksale, Seite 282).<br />
Diskrim<strong>in</strong>ierung<br />
Nach der „Machtergreifung“ Adolf Hitlers am 30. Januar 1933 wurde<br />
der Lebensraum der <strong>Juden</strong> durch vielerlei Verordnungen und Gesetze<br />
3
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
(z.B. die „Nürnberger Gesetze“ von 1935) immer stärker<br />
e<strong>in</strong>geschränkt. Die Hetze gegen die <strong>Juden</strong> wurde <strong>in</strong>tensiviert. Aber<br />
auch Pogrome gehörten immer mehr dazu:<br />
Pogrome<br />
Zum ersten <strong>Juden</strong>pogrom <strong>in</strong> Hohenlohe kam es am Sabbat, 18. März<br />
1933, <strong>in</strong> Öhr<strong>in</strong>gen. Daraufh<strong>in</strong> gaben die drei dortigen evangelischen<br />
Pfarrer im „Hohenloher Boten“ die öffentliche Erklärung ab, dass sie<br />
über dieses Vorgehen sehr empört seien. E<strong>in</strong>e Woche später, am<br />
Sabbat 25. März 1933, kam es zum Pogrom <strong>in</strong><br />
Niederstetten. Der Geme<strong>in</strong>depfarrer Hermann<br />
Umfrid (siehe Foto) nahm daraufh<strong>in</strong> im<br />
Gottesdienst am 26. März 1933 – <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er für<br />
heutigen Verhältnisse milden Weise – dazu<br />
Stellung. Aber nun setzte der Terror der Partei<br />
gegen ihn e<strong>in</strong>, so dass er im Januar 1934 am Ende<br />
se<strong>in</strong>er Kräfte war und sich das Leben nahm. – In<br />
Gesamt-Deutschland kam es <strong>in</strong> der Nacht vom 9. auf 10. November<br />
1938, <strong>in</strong> der Reichspogromnacht, zur Zerstörung sehr vieler jüdischer<br />
Gebetshäuser, Geschäfte und Wohnungen und zur Inhaftierung von<br />
30.000 <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Konzentrationslager. Auch die Synagoge <strong>in</strong><br />
<strong>Dünsbach</strong> wurde beschädigt.<br />
Auswanderung<br />
Viele der <strong>Juden</strong> erkannten den Ernst der Situation und wanderten aus.<br />
Siegbert Adler etwa floh 1938 nach Belgien, wo er allerd<strong>in</strong>gs später –<br />
nach dem E<strong>in</strong>marsch der Deutschen Wehrmacht – doch gefasst<br />
wurde. Se<strong>in</strong>em Bruder Otto glückte 1941 die Auswanderung <strong>in</strong> die<br />
USA. Andere hielten das Schlimmste nicht für möglich; vielleicht<br />
galt das auch für Rudolf Adler, dessen Bruder Otto im ersten<br />
Weltkrieg für se<strong>in</strong> Vaterland gefallen war. Von 31.091 <strong>Juden</strong> im<br />
Bereich des heutigen Baden-Württemberg konnten 19.224 bis 1941<br />
auswandern. Die meisten anderen wurden ermordet.<br />
3
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Deportationen<br />
Ab 1940 begannen die Deportationen aus Deutschland <strong>in</strong> den Osten;<br />
1941 war das auch <strong>in</strong> Württemberg der Fall. Das Ziel war es, dass<br />
ke<strong>in</strong>e <strong>Juden</strong> mehr <strong>in</strong> Deutschland leben sollten. Deshalb mussten sie<br />
„umgesiedelt“ werden. Und so wurden auch die ersten Transporte als<br />
Umsiedlung deklariert. Im Osten sollten sie dann zu solch harter<br />
Arbeit e<strong>in</strong>gesetzt werden, dass sie umkamen, und die dann noch<br />
Überlebenden sollten ermordet werden.<br />
Ermordung<br />
Bald stellte sich heraus, dass die Umsiedlung e<strong>in</strong>e Lüge war. Denn<br />
e<strong>in</strong> Großteil der <strong>Juden</strong> der ersten Transporte im Jahre 1941 wurde<br />
durch Massenerschießungen umgebracht. Ab 1941/1942 kam es zur<br />
Ausrottung durch Vergasung (<strong>in</strong> Ausschwitz wurden täglich bis zu<br />
10.000 Menschen umgebracht).<br />
Situation der jüdischen Bürger <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> 1930 - 1942<br />
Auch die <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> erfuhren, wie die Reichsregierung durch<br />
Gesetze und Verordnungen die Rechte der <strong>Juden</strong> immer mehr<br />
e<strong>in</strong>schränkte. Zum Beispiel durften die <strong>Juden</strong> die meisten Berufe<br />
nicht mehr ausüben, Geschäfte mussten geschlossen werden und die<br />
Arbeitslosen wurden zu Schwerstarbeit verpflichtet. Von den beiden<br />
jüdischen Gemischtwarengeschäften Adler und Wassermann wissen<br />
wir, dass Rudolf Adler Ende 1937 se<strong>in</strong> Geschäft aufgeben musste, da<br />
<strong>in</strong> den Jahren 1936/1937 der Umsatz aus Gründen der Rasse<br />
wesentlich zurückgegangen war. Dem Geschäft Wassermann wird es<br />
wohl ähnlich gegangen se<strong>in</strong>, doch musste es spätestens am 1.1.1939<br />
schließen. – Oder e<strong>in</strong> anderes Beispiel: „Bei der Zuteilung von<br />
Lebens- und Genussmitteln usw. wurde die jüdische Bevölkerung<br />
stark benachteiligt, von der Versorgung mit Textilien und Schuhen<br />
ganz ausgeschlossen“ (P. Sauer, Schicksale, Seite 111).<br />
3
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Ausschreitungen s<strong>in</strong>d auch <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> frühzeitig bekannt. So<br />
wurden im März 1930 – im Anschluss an e<strong>in</strong>e NS-Veranstaltung <strong>in</strong><br />
<strong>Dünsbach</strong> – <strong>Juden</strong> belästigt. Im Mai 1930 stürzen unbekannte Täter<br />
Grabste<strong>in</strong>e auf dem Friedhof um. Am 9. November 1938 <strong>in</strong> der<br />
Reichspogromnacht, wurde auch die <strong>Dünsbach</strong>er Synagoge<br />
beschädigt. Im August 1942 mussten die beiden letzten <strong>Juden</strong>,<br />
Hannchen Adler und Clotilde Wassermann, <strong>Dünsbach</strong> verlassen.<br />
Verhalten der <strong>Dünsbach</strong>er Bürger<br />
Das persönliche Verhalten der <strong>Dünsbach</strong>er Bürger änderte sich nun.<br />
War vorher das Zusammenleben friedlich und selbstverständlich<br />
gewesen, so verhielten sich e<strong>in</strong>ige nun sehr aggressiv im S<strong>in</strong>ne der<br />
NS-Ideologie. Sie warfen zum Beispiel nachts Ste<strong>in</strong>e auf das Haus<br />
Adler. Andererseits gab es dann mutige <strong>Dünsbach</strong>er Christen, die,<br />
trotz aller Gefahren, zu den jüdischen Mitbürgern standen. So weiß<br />
man von e<strong>in</strong>em Mann, der e<strong>in</strong>ige Nächte bei der alten Hannchen<br />
Adler verbrachte, um ihr etwas von der Furcht zu nehmen. Sie<br />
wohnte damals alle<strong>in</strong> im Haus Oberste<strong>in</strong>acher Straße 4, nachdem ihre<br />
Familie deportiert worden war. Schließlich zog Hannchen Adler zu<br />
Clotilde Wassermann <strong>in</strong>s Haus Lange Strasse 21; dort versorgten<br />
manche <strong>Dünsbach</strong>er heimlich die Damen mit Essen und nahmen<br />
dabei die Gefahr auf sich, auch selbst verhaftet zu werden. Ja, es war<br />
sogar e<strong>in</strong>e <strong>Dünsbach</strong>er Frau, die im August 1942 die beiden<br />
jüdischen Frauen zum Bahnhof Eckartshausen begleitete, von wo aus<br />
sie mit dem Sammeltransport im Viehwagen nach Stuttgart gebracht<br />
wurden. – Mit diesen beiden Frauen geht die Geschichte der<br />
<strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong> zu Ende, aber hoffentlich nicht das Denken und<br />
die Er<strong>in</strong>nerung an sie.<br />
Wie verhielt sich der Kirchengeme<strong>in</strong>derat?<br />
Von dem Kirchengeme<strong>in</strong>derat und von dem Geme<strong>in</strong>depfarrer s<strong>in</strong>d<br />
mir ke<strong>in</strong>e Äußerungen zu diesem Thema bekannt. In den<br />
Kirchengeme<strong>in</strong>deratsprotokollen der Zeit von 1933 bis 1942 wird auf<br />
3
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
die jüdischen Mitbürger nicht Bezug genommen. Sehr wohl aber<br />
setzte sich der Kirchengeme<strong>in</strong>derat <strong>in</strong>tensiv dafür e<strong>in</strong>, dass das<br />
„<strong>Juden</strong>buch“, das Alte Testament, weiterh<strong>in</strong> selbstverständlicher Teil<br />
des Religionsunterrichts se<strong>in</strong> sollte. Diese Ause<strong>in</strong>andersetzung war<br />
e<strong>in</strong>er der Gründe, warum der Religionsunterricht von der Schule <strong>in</strong><br />
die kirchlichen Räume verlegt wurde (1939?). Aber vom E<strong>in</strong>satz des<br />
Kirchengeme<strong>in</strong>derats für die jüdischen Mitbürger ist nirgends etwas<br />
niedergeschrieben worden. Ob es dennoch im Verborgenen geschah<br />
(siehe oben), können wir nur hoffen.<br />
Wie verhielt sich die Evang. Landeskirche <strong>in</strong> Württemberg?<br />
Diese Hilfe von E<strong>in</strong>zelnen und andererseits das Schweigen der<br />
Mehrheit sche<strong>in</strong>en typisch für die Situation <strong>in</strong> der Evangelischen<br />
Landeskirche gewesen zu se<strong>in</strong>. Es darf nicht übersehen werden, dass<br />
die große Mehrheit – auch der evangelischen Christen – zu dem<br />
Verbrechen an <strong>Juden</strong> schwieg und lieber weg sah, als sich durch e<strong>in</strong><br />
kritisches Wort <strong>in</strong> Gefahr zu br<strong>in</strong>gen. Ke<strong>in</strong> deutscher Bischof wagte<br />
e<strong>in</strong>en öffentlichen Protest. Landesbischof Wurm brach 1943 endlich<br />
se<strong>in</strong> Schweigen zur <strong>Juden</strong>verfolgung. Er hatte zuvor nie e<strong>in</strong>en Hehl<br />
daraus gemacht, dass er den se<strong>in</strong>er Me<strong>in</strong>ung nach zu großen E<strong>in</strong>fluss<br />
der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Deutschland ablehnte. Den millionenfachen Mord an<br />
den <strong>Juden</strong>, von dem er frühzeitig erfuhr, hielt er jedoch für e<strong>in</strong><br />
schweres Unrecht, das das Gericht Gottes über das deutsche Volk<br />
nach sich ziehen würde. In e<strong>in</strong>em Brief vom 16. Juli 1943 an Hitler<br />
protestierte Wurm mit sehr deutlichen Worten. Dieses Schreiben<br />
wurde – wie auch andere Briefe Wurms – <strong>in</strong> ganz Deutschland<br />
verbreitet. H. Ehmer u.a.: Gott und Welt <strong>in</strong> Württemberg, Seite 202, f<br />
3
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Was geschah mit den letzten jüdischen Bürgern <strong>in</strong><br />
<strong>Dünsbach</strong>?<br />
Vielerlei ist bekannt vom Schicksal der letzten <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>.<br />
Aber es gibt auch viele Lücken <strong>in</strong> den Informationen. Aufgrund<br />
dieser nicht immer e<strong>in</strong>deutigen Quellenlage wurden die folgenden<br />
Informationen nach bestem Wissen und Gewissen zusammengestellt.<br />
8 jüdische E<strong>in</strong>wohner im Jahr 1938<br />
Im Jahr 1938 lebten <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> vermutlich noch folgende 8 <strong>Juden</strong><br />
(die Namen und das Geburtsjahr s<strong>in</strong>d den Unterlagen des<br />
Standesamtes <strong>in</strong> Gerabronn entnommen):<br />
- Familie Adler: Großmutter Hannchen, geb. Strauß (geb. 1864), die<br />
Eltern Rudolf (geb. 1889) und Klara, geb. Bernheimer (geb. 1896),<br />
sowie die K<strong>in</strong>der, Siegbert (geb. 1924) und Gertrud (geb. 1926). Die<br />
Familie wohnte im Haus Oberste<strong>in</strong>acher Str. 4, früher Haus-Nr. 88.<br />
Der älteste Sohn Salomon Otto (geb. 1921) war schon 1934 zur<br />
Ausbildung nach Essl<strong>in</strong>gen gegangen.<br />
- Adolf Arnste<strong>in</strong> (geb. 1901). Er stammte ursprünglich aus<br />
<strong>Dünsbach</strong> und wohnte <strong>in</strong> der <strong>Juden</strong>gasse 5, früher Haus-Nr. 59.<br />
Nachdem er se<strong>in</strong>en Beruf als Schmuser (Vermittler von Geschäften)<br />
verloren hatte, war er an verschiedenen Orten wohnhaft und tätig.<br />
Bekannt s<strong>in</strong>d se<strong>in</strong>e Aufenthalte <strong>in</strong> Lehrenste<strong>in</strong>sfeld (März bis April<br />
1935) ,<strong>in</strong> Bad Mergentheim, <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> (Oktober 1937 bis April<br />
1938), <strong>in</strong> Crailsheim (ab 18. April 1938) und von Stuttgart wissen<br />
wir, dass er sich dort am 21. Oktober 1940 verheiratet hat.<br />
- Familie Wassermann: Mutter Clotilde, geb. Le<strong>in</strong><strong>in</strong>ger (geb. 1870)<br />
und Tochter Selma (geb. 1899) wohnten im Haus Lange Straße 21,<br />
früher Haus-Nr. 43.<br />
3
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Diese 8 jüdischen Mitbürger wurden deportiert und dann ermordet.<br />
Nur Otto Adler, der schon 1934 <strong>Dünsbach</strong> verlassen hatte, konnte<br />
noch 1941 <strong>in</strong> die USA auswandern.<br />
Art und Wege der Deportationen <strong>in</strong> Württemberg<br />
Die Deportationen (1941/1942) wurden <strong>in</strong> verschiedener Weise als<br />
Umsiedlungen <strong>in</strong> den Osten getarnt. Die Menschen mussten sogar<br />
ihre Fahrkarte mit 57,67 RM selbst bezahlen. Sie durften solches<br />
Gepäck mitnehmen, das den Sche<strong>in</strong> dieser Umsiedlung<br />
aufrechterhalten sollte, nämlich zum Beispiel Bau- und<br />
Küchengeräte, Spaten und Fensterglas, was später jedoch den<br />
Besitzern abgenommen wurde.<br />
Ebenso wurden die alten Menschen 1942 vor ihrem Transport <strong>in</strong> das<br />
sogenannte Altersghetto <strong>in</strong> Theresienstadt getäuscht. Die alten<br />
Menschen wurden aufgefordert, „den ihnen verbliebenen Rest ihres<br />
Vermögens <strong>in</strong> sog. Heime<strong>in</strong>kaufsverträgen anzulegen, die ihnen e<strong>in</strong>e<br />
angemessene Unterbr<strong>in</strong>gung und lebenslange Versorgung im<br />
Altersghetto Theresienstadt – die Gestapo bezeichnete es <strong>in</strong> bitterer<br />
Ironie als das jüdische Altersheim des Reiches – gewährleisten<br />
sollte.“ (Paul Sauer, Schicksale, Seite 293)<br />
3<br />
Zwischenstation Stuttgart-Killesberg<br />
In Stuttgart Nord auf dem Killesberg<br />
wurden die <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Sammellager <strong>in</strong><br />
der „Ehrenhalle des Reichsnährstandes“<br />
(von der Reichsgartenschau 1939)<br />
untergebracht. Vom Killesberg aus g<strong>in</strong>gen<br />
die <strong>Juden</strong> dann zu Fuß an der<br />
Evangelischen Mart<strong>in</strong>skirche vorbei zum<br />
Inneren Nordbahnhof und wurden von dort<br />
aus <strong>in</strong> den Osten deportiert.
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Im Jahre 1991 hat die Evangelische Kirchengeme<strong>in</strong>de an der<br />
Mart<strong>in</strong>skirche e<strong>in</strong>e Tafel mit folgendem Text angebracht:<br />
Zur Er<strong>in</strong>nerung<br />
Zum Gedenken<br />
Zur Mahnung<br />
An dieser Kirche vorbei wurden<br />
zahllose, vor allem jüdische Opfer des<br />
nationalsozialistischen<br />
Unrechtsregimes, zu den Bahngleisen<br />
des<br />
Nordbahnhofs geführt und <strong>in</strong> Elend<br />
und Tod geschickt.<br />
Unter den Augen der Evangelischen<br />
Mart<strong>in</strong>sgeme<strong>in</strong>de wurden sie<br />
deportiert. 1941 – 1945<br />
1991<br />
Abtransport ab Stuttgart Nordbahnhof<br />
7 <strong>Dünsbach</strong>er Namen auf dem Gedenkste<strong>in</strong><br />
Die Abfahrtsstelle für die<br />
Transporte <strong>in</strong> Stuttgart Nord<br />
ist heute <strong>in</strong> e<strong>in</strong>e Gedenkstätte<br />
umgewandelt, die sich nicht<br />
weit weg von der<br />
Evangelischen Mart<strong>in</strong>skirche<br />
bef<strong>in</strong>det. Auf der großen<br />
Außenwand stehen die Worte:<br />
„Zeichen der Er<strong>in</strong>nerung“. An<br />
der Innenwand werden die<br />
Namen der 2.500 deportierten<br />
<strong>Juden</strong> und auch e<strong>in</strong>zelner S<strong>in</strong>ti aufgeführt, die <strong>in</strong> zehn Transporten<br />
vom 1.12.1941 bis zum 12.2.1945 Stuttgart verließen. Darunter s<strong>in</strong>d<br />
auch 7 <strong>Juden</strong> aus <strong>Dünsbach</strong>.<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Deportation am 1. Dezember 1941<br />
Zu diesem Transport gehörten 5 <strong>Dünsbach</strong>er <strong>Juden</strong>. Ihr Schicksal soll<br />
nun im Folgenden bedacht werden:<br />
Rudolf, Klara und Gertrud Adler: Wie lange diese drei <strong>in</strong><br />
<strong>Dünsbach</strong> blieben, darüber gibt es verschiedene Informationen, die<br />
hier nebene<strong>in</strong>ander aufgeführt werden sollen:<br />
(1) E<strong>in</strong> Geme<strong>in</strong>deglied aus <strong>Dünsbach</strong> wusste, dass Rudolf Adler <strong>in</strong><br />
Stuttgart Zwangsarbeit leisten musste, und wenn er nach <strong>Dünsbach</strong><br />
zurückkam, wirkte er sehr entkräftet. Dieselbe Person sagte, dass die<br />
drei Familienmitglieder schließlich geme<strong>in</strong>sam von <strong>Dünsbach</strong> aus<br />
deportiert wurden.<br />
(2) E<strong>in</strong>e andere Information, und zwar aus dem Staatsarchiv, bezeugt,<br />
dass Rudolf Adler und se<strong>in</strong>e Frau am 8.3.1940 nach Stuttgart-Bad<br />
Cannstatt verzogen s<strong>in</strong>d. Im Adressbuch von Stuttgart aus dem Jahr<br />
1941 (Abteilung Jüdische E<strong>in</strong>wohner) ist Rudolf Adler als<br />
Bauarbeiter, wohnhaft Schmiedener Straße, (beim Israelitischen<br />
Friedhof Cannstatt), e<strong>in</strong>getragen; es handelt sich dabei um e<strong>in</strong> Haus,<br />
das an das jüdische Friedhofsgebäude angebaut war.<br />
(3) Nach Informationen von<br />
Gerhard Hiller von der<br />
„Stolperste<strong>in</strong>-Aktion“ <strong>in</strong><br />
Stuttgart hatte das Ehepaar<br />
Adler bis Januar 1939<br />
se<strong>in</strong>en Lebens-Mittelpunkt<br />
im Haus Ostendstraße 83 <strong>in</strong><br />
Stuttgart-Ostheim.<br />
Zwei Stolperste<strong>in</strong>e er<strong>in</strong>nern daran: die Angaben darauf sche<strong>in</strong>en<br />
allerd<strong>in</strong>gs e<strong>in</strong>e andere Quellenlage zu kennen, als sie <strong>in</strong> den Büchern<br />
im Standesamt Gerabronn zu f<strong>in</strong>den ist: dort ist z.B. Klara Adler e<strong>in</strong>e<br />
geborene Bernheimer, ihre Deportation muss schon 1941 erfolgt se<strong>in</strong>.<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Bis Oktober 1939 war – so Gerhard Hiller – Rudolf Adler <strong>in</strong> der<br />
Stöckachstraße 1 gemeldet und später <strong>in</strong> der Schmiedener Straße <strong>in</strong><br />
Bad Cannstatt.<br />
(4) Die 13-jährige Tochter Gertrud kam am 23. April 1939 <strong>in</strong> das<br />
israelitische Waisenhaus Wilhelmspflege <strong>in</strong> Essl<strong>in</strong>gen, vielleicht aus<br />
dem Grund, dass sie dort ihre Schulausbildung fortsetzen wollte.<br />
Nach der Schließung des Hauses im September 1939 g<strong>in</strong>g sie<br />
vermutlich zu ihren Eltern nach <strong>Dünsbach</strong> oder Bad Cannstatt.<br />
Wo auch immer der letzte Wohnort dieser drei Mitglieder der Familie<br />
Adler war, sie gehörten sicher zu denen, die sich ab 26. November<br />
1941 auf dem Killesberg sammeln mussten und am 1. Dezember<br />
1941 deportiert wurden. Das Ende dieser drei Familienmitglieder ist<br />
im Dunkeln. Alle drei wurden dann durch Beschluss des<br />
Amtsgerichts Bad Cannstatt und auf Antrag von Otto Adler aus den<br />
USA im Jahre 1950 für tot erklärt. Als Todeszeitpunkt wurde der 31.<br />
Dezember 1941 festgesetzt.<br />
Adolf Arnste<strong>in</strong> war 1938 von <strong>Dünsbach</strong> nach Crailsheim verzogen<br />
und dann nach Stuttgart, wo er heiratete. Er musste Stuttgart mit dem<br />
großen Sammeltransport am 1.12.1941 <strong>in</strong> Richtung Riga verlassen.<br />
Er war dann wohl <strong>in</strong> verschiedenen KZs untergebracht und ist am<br />
24.3.1945 im KZ Dachau-Kaufer<strong>in</strong>g verstorben.<br />
Selma Wassermann wurde am 1.12.1941 von Stuttgart nach Riga<br />
deportiert. Wann sie ums Leben kam, ist nicht bekannt.<br />
Der Verlauf des Transports<br />
Am 1. Dezember 1941 zwischen 8 und 9 Uhr verließ der Zug mit 981<br />
Menschen den Inneren Bahnhof <strong>in</strong> Stuttgart Nord. Die Menschen<br />
waren dann Tage und Nächte unterwegs bis sie dann am 4. Dezember<br />
1941 auf dem Bahnhof Skirotawa <strong>in</strong> Riga/Letland ankamen. Dort<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
wurden sie von SS-Leuten <strong>in</strong> Empfang genommen, die sie teils ihres<br />
Gepäcks beraubten und sie auch schlugen. Die meisten aus diesem<br />
Transport kamen <strong>in</strong> das 2 km entfernte Lager Jungfernhof, e<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>er<br />
Teil wohl auch <strong>in</strong> das Ghetto von Riga.<br />
Folker Förtsch schrieb <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Zeitungsartikel im Hohenloher<br />
Tagblatt vom 26.01.2002: „Das Lager Jungfernhof war e<strong>in</strong><br />
landwirtschaftliches Gut <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em sehr schlechtem Zustand. E<strong>in</strong><br />
Überlebender berichtete: Die Unterbr<strong>in</strong>gung der Menschen war<br />
katastrophal, 500 Frauen und K<strong>in</strong>der waren <strong>in</strong> e<strong>in</strong>em Viehstall<br />
untergebracht, die Männer <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er offenen Scheune, ohne Türen und<br />
Fensterrahmen. Das Dach war völlig verkommen, Schnee, Regen<br />
und W<strong>in</strong>d hatten wir Tag und Nacht auf unseren angewiesenen<br />
Schlafplätzen. Wenn man früh aufwachte, war das erste, dass man<br />
den Schnee von den Decken schüttelte, was manches mal misslang,<br />
da derselbe bei –32 Grad Celsius angefroren war. Viele erfroren<br />
während der Nächte. E<strong>in</strong> besonderes Arbeitskommando musste<br />
täglich die steif gefrorenen Toten aus den Kojen ziehen und abseits<br />
der Scheune aufstapeln. Häftl<strong>in</strong>ge, die flohen, aber wieder<br />
e<strong>in</strong>gefangen wurden, endeten nach grausamen Folterungen am<br />
Galgen. Bei gelungenen Fluchtversuchen mussten jeweils zwei bis<br />
vier willkürlich bestimmte Häftl<strong>in</strong>ge mit dem Leben bezahlen.“<br />
E<strong>in</strong>e Anzahl von Männern kam bereits kurz nach E<strong>in</strong>treffen des<br />
Transports <strong>in</strong> das etwa 12 km entfernte Lager Salaspils. Die<br />
Bed<strong>in</strong>gungen dort waren aber noch schlimmer als im Lager<br />
Jungfernhof, so dass viele buchstäblich verhungerten. Die letzte<br />
Nachricht, die wir von Rudolf Adler haben, ist, dass er <strong>in</strong> diesem<br />
Lager Salaspils gestorben se<strong>in</strong> soll (oder er starb <strong>in</strong> Auschwitz, wie<br />
se<strong>in</strong> Sohn Otto vermutete).<br />
Von den <strong>Juden</strong> aus Württemberg, die den Schreckensw<strong>in</strong>ter bei Riga<br />
1941/1942 überlebten, wurden viele am 26. März 1942 ermordet:<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Damals wurde e<strong>in</strong> Transport mit 1.500 Personen zusammen gestellt,<br />
nämlich von Müttern mit K<strong>in</strong>dern unter 14 Jahren, Personen über 50<br />
Jahre, sowie Arbeitsunfähige und Kranke.<br />
Als Ziel wurde e<strong>in</strong>e<br />
schöne Perspektive<br />
vorgegaukelt, nach<br />
der die Kranken <strong>in</strong><br />
e<strong>in</strong> Sanatorium<br />
kämen und die<br />
Arbeitsfähigen <strong>in</strong><br />
der Konservenfabrik<br />
Arbeit fänden.<br />
Tatsächlich aber<br />
wurden sie nach<br />
Bikernieki (siehe Foto), dem „Birkenwäldchen“, im Hochwald bei<br />
Riga gebracht, der H<strong>in</strong>richtungsstätte des Rigaer Ghettos, und dort<br />
erschossen. – Von den 981 Personen, die nach Riga deportiert<br />
worden waren, kamen 939 um. Nur 42 Menschen überlebten.<br />
Deportation am 22. August 1942<br />
Hannchen Adler sowie Clotilde Wassermann wohnten <strong>in</strong><br />
<strong>Dünsbach</strong> zuletzt geme<strong>in</strong>sam im Haus Lange Straße 21. Hannchen<br />
Adler war 78 Jahre alt und<br />
Clotilde Wassermann 71<br />
Jahre, als sie deportiert<br />
wurden. Der Weg <strong>in</strong> den<br />
Osten begann für die letzten<br />
beiden Jüd<strong>in</strong>nen <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
im Jahr 1942 mit dem<br />
L<strong>in</strong>ienbus ab <strong>Dünsbach</strong>. Und<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Hannchen Adler rief noch, aus dem Bus heraus, ihrer Bekannten e<strong>in</strong><br />
„Auf Wiedersehen“ zu.<br />
Am Bahnhof Eckartshausen mussten sie sich e<strong>in</strong>em zentralen<br />
Sammeltransport anschließen. Bis dah<strong>in</strong> hatte sie e<strong>in</strong>e Frau aus der<br />
evangelischen Kirchengeme<strong>in</strong>de begleitet. Im Sammellager am<br />
Killesberg konnten sie <strong>in</strong> der Nacht zumeist nur auf Stühlen<br />
schlafen. Sie wurden am 22. August 1942 zusammen mit anderen<br />
1.100 <strong>Juden</strong> aus Württemberg und Baden <strong>in</strong> Viehwaggons von<br />
Stuttgart aus <strong>in</strong>s „Altersghetto“ nach Theresienstadt gebracht. Die<br />
Verhältnisse dort waren völlig katastrophal. Die meisten älteren<br />
Menschen starben an Schmutz und Unterernährung. Die Jüngeren<br />
wurden weiter <strong>in</strong> den Osten transportiert.<br />
Hannchen Adler starb am 13. September 1942 <strong>in</strong> Theresienstadt.<br />
Clotilde Wassermann wurde mit vielen anderen am 22. September<br />
1942 <strong>in</strong> e<strong>in</strong> anderes „Versorgungsghetto“ abtransportiert. Tatsächlich<br />
wurde sie aber ermordet: die e<strong>in</strong>e Quelle besagt, dass dies im KZ<br />
Trebl<strong>in</strong>ka geschah, wahrsche<strong>in</strong>licher aber ist es, dass sie <strong>in</strong> den<br />
Gaskammern von Maly Trost<strong>in</strong>ec/Weißrußland umkam.<br />
Von den 1.100 Personen des Transports am 22. August 1942 nach<br />
Theresienstadt kamen 1.049 um, nur 51 überlebten.<br />
Deportation aus Belgien<br />
Siegbert Adler war nach der Zeit <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> auch <strong>in</strong> Braunsbach<br />
gemeldet. Er floh 1938 im Alter von 14 Jahren nach Mechelen <strong>in</strong><br />
Belgien. Nach dem E<strong>in</strong>marsch der deutschen Truppen wurde er<br />
aufgespürt und über das Lager Mal<strong>in</strong>es am 31. Oktober 1942 <strong>in</strong>s KZ<br />
Auschwitz deportiert. Vermutlich ist er 1942 oder 1943 dort ermordet<br />
worden.<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Was geschah mit dem Eigentum der deportierten<br />
<strong>Juden</strong>?<br />
Vor der Deportation hatten die Menschen e<strong>in</strong>e detaillierte<br />
Vermögenserklärung abzugeben. Wertgegenstände durften bei der<br />
Deportation nicht mitgenommen werden. Nach Überschreiten der<br />
Staatsgrenze fiel das Vermögen an den Staat, und die Personen<br />
verloren die deutsche Staatsangehörigkeit. – Die Verwaltung des<br />
jüdischen Vermögens oblag den F<strong>in</strong>anzämtern. Die persönliche Habe<br />
<strong>in</strong> den Wohnungen wurde unter der Bevölkerung versteigert. So<br />
geschah es auch <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>.<br />
Die beiden Häuser Adler und Wassermann g<strong>in</strong>gen an die Geme<strong>in</strong>de.<br />
Nach dem 2. Weltkrieg regelte e<strong>in</strong> Rückerstattungsgesetz, dass alle<br />
Rechtsgeschäfte über jüdischen Besitz seit 1937 angefochten werden<br />
konnten. Das Gebäude Wassermann hatte die Geme<strong>in</strong>de <strong>Dünsbach</strong><br />
1944 vom Deutschen Reich gekauft, es wurde am 13.3.1951 im<br />
Namen der Jewish Restitution Successor Organization New York an<br />
e<strong>in</strong>e <strong>Dünsbach</strong>er Bürger<strong>in</strong> verkauft.<br />
Was das Haus Adler betraf, soll es am 29.12.1939 an die Geme<strong>in</strong>de<br />
<strong>Dünsbach</strong> verkauft worden se<strong>in</strong>. Entsprechend dem oben erwähnten<br />
Gesetz kam es später zu Verhandlungen zwischen dem <strong>Dünsbach</strong>er<br />
Bürgermeister Karl Hornberger und Otto Adler. Die beiden e<strong>in</strong>igten<br />
sich auf e<strong>in</strong>en Vergleich, so dass die Geme<strong>in</strong>de <strong>Dünsbach</strong> noch 6.500<br />
DM zu zahlen hatte. Der Vergleich kam zustande weil Otto Adler<br />
nicht auf se<strong>in</strong> letztes Recht pochte, sondern auf e<strong>in</strong>en Kompromiss<br />
zug<strong>in</strong>g. Bürgermeister Hornberger hat das e<strong>in</strong>mal so<br />
zusammengefasst: „Otto Adler hat mir se<strong>in</strong>erzeit geschrieben, lieber<br />
e<strong>in</strong>en Vergleich zustande zu br<strong>in</strong>gen, als evtl. noch mehr Hass zu<br />
streuen. Dies war e<strong>in</strong>e sehr beachtliche und vernünftige E<strong>in</strong>stellung,<br />
wenn man bedenkt, was diese Familie und die <strong>Juden</strong> allgeme<strong>in</strong><br />
erleben mussten.“<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Nur e<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>er Jude entg<strong>in</strong>g dem Holocaust<br />
Wie alles begann<br />
Als Otto Adler 1921 zur Welt kam, war alles noch unproblematisch.<br />
So besuchte er 1927 – 1934 die Evangelische Volksschule <strong>in</strong><br />
<strong>Dünsbach</strong> und schloss dort mit e<strong>in</strong>em guten Zeugnis ab. Aber<br />
danach bekam Otto Adler immer deutlicher die Folgen der<br />
Diskrim<strong>in</strong>ierung zu spüren. Er wollte sich weiterbilden. Er nutzte<br />
die e<strong>in</strong>zige Möglichkeit, die für ihn bestand, <strong>in</strong>dem er 1934/35 <strong>in</strong><br />
der Schule des jüdischen Waisenhauses Essl<strong>in</strong>gen das 8.<br />
Schuljahr absolvierte. Am 3.5.1935 begann er e<strong>in</strong>e Bäckerlehre<br />
<strong>in</strong> Essl<strong>in</strong>gen, wurde aber bereits am 29.6.1935 aus rassischen<br />
Gründen entlassen. Am 16.7.1935 konnte er e<strong>in</strong>e kaufmännische<br />
Lehre bei e<strong>in</strong>er jüdischen Firma <strong>in</strong> Cannstatt beg<strong>in</strong>nen und<br />
abschließen und wurde anschließend dort angestellt. Am<br />
9.1.1939 erhielt er se<strong>in</strong>e Entlassung, da die Firma als nicht arisch<br />
aufgelöst wurde. Danach suchte er andere Arbeitsstellen und war<br />
so auch bei dem Baugeschäft Mutschler <strong>in</strong> Stuttgart tätig. Zuletzt<br />
wohnte er bei se<strong>in</strong>en Eltern, als diese, wie er selbst berichtet,<br />
Anfang 1940 von <strong>Dünsbach</strong> nach Cannstatt <strong>in</strong> die Schmiedener<br />
Straße beim Israelitischen Friedhof zogen, e<strong>in</strong>e Wohnung die an<br />
das Friedhofsgebäude der israelitischen Kultusgeme<strong>in</strong>de<br />
angebaut war.<br />
Otto Adler erzählt se<strong>in</strong>e dramatische Flucht<br />
„Als ich 1921 <strong>in</strong> dem Dorf <strong>Dünsbach</strong>, Oberamt Gerabronn, geboren<br />
wurde, lebten dort 13 <strong>Juden</strong>, von denen 6 zu me<strong>in</strong>er Familie gehörten. Ich<br />
b<strong>in</strong> der e<strong>in</strong>zig Überlebende dieser Familie und des jüdischen Erbes dieses<br />
Dorfes. Alle anderen g<strong>in</strong>gen im Holocaust zugrunde, me<strong>in</strong> Vater und<br />
Bruder <strong>in</strong> Auschwitz, me<strong>in</strong>e Mutter und Schwester bei Riga und me<strong>in</strong>e<br />
Großmutter <strong>in</strong> Theresienstadt, woh<strong>in</strong> man sie im Alter von 70 Jahren<br />
deportiert hatte.<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Ich selbst bekam me<strong>in</strong> amerikanisches Visum am 8. Mai 1940 <strong>in</strong> Stuttgart.<br />
Am nächsten Tag, dem 9. Mai, reiste ich aus Stuttgart ab, um auf dem Weg<br />
<strong>in</strong> die Vere<strong>in</strong>igten Staaten am 10. Mai me<strong>in</strong>en Bruder <strong>in</strong> Rotterdam zu<br />
treffen. Aber an diesem Tag marschierten morgens deutsche Truppen <strong>in</strong><br />
Holland und Belgien e<strong>in</strong>. Ich kam nur bis Cleve. Glücklicherweise konnte<br />
ich nach Stuttgart zurückfahren. Ich versuchte, über Italien<br />
herauszukommen. Zu spät, Italien trat <strong>in</strong> den Krieg e<strong>in</strong>. Ich versuchte, über<br />
Russland, Ch<strong>in</strong>a und Japan herauszukommen. Fast im letzen Augenblick<br />
wurde me<strong>in</strong>e Passage gestrichen. Es war e<strong>in</strong> Fehler unterlaufen. Die mir<br />
auf e<strong>in</strong>em japanischen Schiff zugewiesene Koje war e<strong>in</strong>e „arische Koje“.<br />
Dann startete die American Export L<strong>in</strong>e<br />
e<strong>in</strong>en Dienst von Lissabon nach New<br />
York. Aber die Zeit verrann schnell. Am 8.<br />
September erlosch me<strong>in</strong> amerikanisches<br />
Visum und e<strong>in</strong>e Verlängerung wurde nicht<br />
gegeben. Kurz vor dem Ungültigwerden<br />
des Visums bezahlte e<strong>in</strong>er me<strong>in</strong>er Vettern<br />
<strong>in</strong> den USA die Überfahrt <strong>in</strong> Dollar, und<br />
irgendwie gelang es mir, Transitvisa<br />
durch Spanien und Portugal zu ergattern.<br />
Als ich schließlich e<strong>in</strong>en Flug nach<br />
Lissabon bekam und am 19. September<br />
dort anlangte, war me<strong>in</strong> amerikanisches<br />
Visum abgelaufen. Ich hatte gehofft, vom<br />
amerikanischen Konsul <strong>in</strong> Lissabon e<strong>in</strong>e<br />
Verlängerung zu erhalten. Aber gleich<br />
nach der Ankunft auf dem Flughafen <strong>in</strong><br />
Lissabon wurde ich von der portugiesischen Polizei verhaftet und am<br />
folgenden Morgen mit dem nächsten Flugzeug Richtung Deutschland<br />
zurückexpediert, mit e<strong>in</strong>em Halt und Umsteigen <strong>in</strong> Madrid <strong>in</strong> Spanien.<br />
Wenn das so gelaufen wäre, könnte ich dies heute nicht schreiben.<br />
In Madrid, das zu dieser Zeit praktisch e<strong>in</strong>e deutsche Kolonie war, liefen<br />
die D<strong>in</strong>ge jedoch anders. Gegen alle offiziellen Vorschriften halfen mir die<br />
Angestellten der deutschen Lufthansa auf jede Weise. Ich erreichte das<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
nächste Flugzeug nach Deutschland nicht. Ich g<strong>in</strong>g zur amerikanischen<br />
Botschaft und bat um e<strong>in</strong>e Verlängerung. E<strong>in</strong>e Zigarette wurde mir<br />
angeboten, jedwede Hilfe aber verweigert. Verzweifelt wandte ich mich an<br />
die deutsche Botschaft, und dort bekam ich die Hilfe, die ich ke<strong>in</strong>eswegs<br />
erwartet hatte. Trotz des großen „J“ <strong>in</strong> me<strong>in</strong>em Pass half man mir, e<strong>in</strong>e<br />
zeitweilige Aufenthaltsbewilligung <strong>in</strong> Spanien zu bekommen, und streckte<br />
mir Geld vor, das ich später zurückbezahlte. Diese Deutschen waren trotz<br />
Hitler und <strong>in</strong> striktem Gegensatz zu den<br />
portugiesischen Behörden menschliche<br />
Wesen, und ich werde ihnen immer<br />
dankbar se<strong>in</strong>. In Spanien wartete ich<br />
sechs Monate, dann erhielt ich wieder<br />
e<strong>in</strong> amerikanisches Visum und landete<br />
schließlich am 21. März 1941 <strong>in</strong> den<br />
Vere<strong>in</strong>igten Staaten. Unverzüglich<br />
begann ich für die gleichen Leute zu<br />
arbeiten, bei denen ich schon <strong>in</strong><br />
Stuttgart beschäftigt gewesen war. Zwei<br />
Jahre später wurde ich zur US-Army<br />
e<strong>in</strong>gezogen. Ich diente bis November<br />
1945 beim Militärnachrichtendienst, Befragung von Kriegsgefangenen, und<br />
nach dem Waffenstillstand <strong>in</strong> der Zivilverwaltung und Spionageabwehr <strong>in</strong><br />
Europa.<br />
Karte für die Schiffspasage von Otto Adler<br />
Im November 1941 hatte ich e<strong>in</strong> Mädchen geheiratet, das ich von<br />
Deutschland her kannte. Als ich aus dem Krieg zurückkam hatten wir e<strong>in</strong><br />
16 Monate altes kle<strong>in</strong>es Mädchen. Ich arbeitete weiter für dieselben Leute<br />
wie zuvor. Wir s<strong>in</strong>d glücklich verheiratet, auch me<strong>in</strong>e Tochter hat<br />
geheiratet, und jetzt freuen wir uns an unserer zweijährigen Enkel<strong>in</strong>. Ich<br />
hoffe nur, dass die Zukunft für sie, unsere K<strong>in</strong>der und Enkel hell se<strong>in</strong> wird,<br />
und dass sie nie die Erlebnisse haben werden, die wir durchmachen<br />
mussten.“ (Strauss, W., Lebenszeichen)<br />
(Otto Adler ist 1993 <strong>in</strong> den USA im Alter von 72 Jahren verstorben.)<br />
4
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
<strong>Juden</strong> und Christen heute<br />
Im Verhalten muss sich etwas ändern<br />
So etwas wie der Holocaust darf nie wieder geschehen. Dar<strong>in</strong> s<strong>in</strong>d<br />
sich alle Christen und Demokraten e<strong>in</strong>ig. Diese Absicht muss aber <strong>in</strong><br />
Taten umgesetzt werden – sowohl im Blick auf die Vergangenheit<br />
wie auf die Gegenwart. Dazu gehört zum Beispiel:<br />
▪Neu-Nachdenken über das Verhältnis von Christen und <strong>Juden</strong><br />
(siehe unten)<br />
▪Überlebenden des Holocaust helfen (z.B. Liebeswerk Zedakah<br />
<strong>in</strong> Israel) oder Projekte der Versöhnung unterstützen (etwa<br />
Aktion Sühnezeichen) oder das Verständnis zwischen<br />
Christen und <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> Wort und Tat fördern<br />
(z.B. Evangeliumsdienst für Israel);<br />
▪ heutigem Antisemitismus <strong>in</strong> den Anfängen wehren;<br />
▪ religiöse und kulturelle M<strong>in</strong>derheiten wie deutsche <strong>Juden</strong>,<br />
Ausländer und viele andere achten;<br />
▪ den Menschen realistisch sehen: „Böse“ s<strong>in</strong>d nicht nur die<br />
anderen. Gute und Schlechte gibt es <strong>in</strong> jeder Gruppe und nicht<br />
nur <strong>in</strong> e<strong>in</strong>er.<br />
In den E<strong>in</strong>stellungen muss sich etwas ändern<br />
Es gilt, den Schutt der Miss- und Unverständnisse abzutragen, der<br />
durch die Jahrhunderte aufgehäuft wurde und die biblischen<br />
Grundlagen freizulegen. Dazu können Bibelstudium und die<br />
Sonntagspredigten helfen – <strong>in</strong>sbesondere am 10. Sonntag nach<br />
Tr<strong>in</strong>itatis (wo an die Zerstörung des Tempels <strong>in</strong> Jerusalem gedacht<br />
wird) oder am 9. November, den unsere Kirche zum Gedenktag an<br />
die Reichspogromnacht festgesetzt hat.<br />
5
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Was verb<strong>in</strong>det Christen und <strong>Juden</strong>?<br />
Sehr viel! Das Alte Testament ist für Christen und <strong>Juden</strong> geme<strong>in</strong>sam<br />
Heilige Schrift. Ohne das Alte Testament verstehen wir das Neue<br />
Testament nicht. Und vor allem: Jesus ist e<strong>in</strong> Jude. Der Apostel<br />
Paulus hat unsere Verbundenheit mit der jüdischen Geme<strong>in</strong>de e<strong>in</strong>mal<br />
<strong>in</strong> e<strong>in</strong>em e<strong>in</strong>drücklichen Bild vom Ölbaum zum Ausdruck gebracht.<br />
Der edle Ölbaum ist für ihn das Volk<br />
des alten Bundes, e<strong>in</strong>ige Zweige an<br />
diesem Baum s<strong>in</strong>d ausgebrochen,<br />
nämlich jene <strong>Juden</strong>, die nicht an<br />
Jesus glauben. Die Christen aus den<br />
Heiden s<strong>in</strong>d wie wilde<br />
Ölbaumzweige, die <strong>in</strong> den edlen<br />
Ölbaum e<strong>in</strong>gepfropft wurden. Wir<br />
nichtjüdische Christen müssen froh<br />
se<strong>in</strong>, dass wir zu diesem Baum<br />
gehören (Römer 11,17-24).<br />
Was trennt Christen und <strong>Juden</strong>?<br />
Es ist alle<strong>in</strong> die Haltung zu Jesus: Für uns Christen ist er der Erlöser<br />
und Messias, für die Mitglieder der jüdischen Geme<strong>in</strong>de ist er<br />
allenfalls e<strong>in</strong> frommer Jude.<br />
Schlimm waren die Konsequenzen, die Christen, viele oder wenige<br />
an Zahl, Jahrhunderte lang aus dieser Trennung, aus diesen<br />
unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen zogen. Sie kämpften<br />
gegen die <strong>Juden</strong> und brachten sie um. E<strong>in</strong>es ihrer Argumente war es,<br />
dass die <strong>Juden</strong> Christusmörder seien. Und genau das stimmt nicht. Es<br />
waren n i c h t d i e J u d e n , sondern das Leitungsgremium der<br />
jüdischen Geme<strong>in</strong>de, nämlich der Hohe Rat (und davon nicht e<strong>in</strong>mal<br />
alle), und es waren die Leute, die auf dem öffentlichen Platz vor<br />
Pilatus schrien „Kreuzige ihn“ (also nicht das ganze Volk).<br />
5
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Überdies hätten diese Verurteilungen und Angriffe des Hohen Rates<br />
gar nichts genutzt, wenn nicht der Römer Pontius Pilatus das<br />
Todesurteil gefällt hätte, das alle<strong>in</strong> ihm zustand. – Ja, der Vorwurf<br />
des Christusmordes stimmte schon damals nicht, und es macht erst<br />
ke<strong>in</strong>en S<strong>in</strong>n, Jahrhunderte später <strong>Juden</strong> mit diesem Vorwurf zu<br />
belegen.<br />
Ganz anders g<strong>in</strong>g der <strong>Juden</strong>christ Paulus mit dieser Trennung um. Er<br />
war e<strong>in</strong>erseits sehr traurig, dass nicht mehr <strong>Juden</strong> den Weg zu Jesus<br />
fanden. Er versuchte sie durch Verkündigung und Gespräche zu<br />
gew<strong>in</strong>nen, dass sie an Jesus glauben und ihm nachfolgen. Ja, er wäre<br />
sogar bereit gewesen, se<strong>in</strong> eigenes Seelenheil e<strong>in</strong>zusetzen, wenn es<br />
se<strong>in</strong>en Mitbrüdern zum Glauben helfen könnte. Er schreibt: „Ich<br />
selber wünschte, verflucht und von Christus getrennt zu se<strong>in</strong> für<br />
me<strong>in</strong>e Brüder, die me<strong>in</strong>e Stammesverwandten s<strong>in</strong>d nach dem<br />
Fleisch.“ (Römer 9,3) – Auch heute ist es e<strong>in</strong>e schöne und auch<br />
immer wieder schwierige Aufgabe, die Geme<strong>in</strong>schaft und die<br />
Trennung zwischen <strong>Juden</strong> und Christen <strong>in</strong> rechter Weise ernst zu<br />
nehmen.<br />
5
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Literaturverzeichnis<br />
Archivdirektion Stuttgart (Hrsg), Die Opfer der <strong>Juden</strong>verfolgung <strong>in</strong> Baden-<br />
Württemberg, E<strong>in</strong> Gedenkbuch, <strong>in</strong>: Veröffentlichungen der Staatlichen<br />
Archivdirektionen Baden- Württemberg, Beiband zu Band 20, Stuttgart 1969<br />
Brecht, Theodor, 3 Jahre im Gerabronner Bezirk, Selbstverlag 1898<br />
Ehmer, Hermann u.a.: Gott und Welt <strong>in</strong> Württemberg, E<strong>in</strong>e Kirchengeschichte,<br />
Stuttgart 2000<br />
Fischle, Bernhard, Übertragung der Stellungnahme von Pfarrer G.F. Schmidt,<br />
aus dem Jahr 1824, zur E<strong>in</strong>schulung der jüdischen K<strong>in</strong>der <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
Förtsch, Folker, E<strong>in</strong>gepfercht im Zug g<strong>in</strong>g es nach Lettland,<br />
im: Hohenloher Tagblatt, 26.1.2002<br />
Göller, Bernd, Jüdische Grabste<strong>in</strong>e lesen, Manuskript, 2009<br />
Hahn, Joachim: Jüdisches Leben <strong>in</strong> Essl<strong>in</strong>gen, 1994<br />
Hahn, Joachim, Krüger Jürgen: Synagogen <strong>in</strong> Baden Württemberg, Band 2:<br />
Orte und E<strong>in</strong>richtungen, von Joachim Hahn, Stuttgart 2007<br />
http:/www.alemannia-judaica.de/duensbach_synagoge.htm<br />
und _friedhof.htm<br />
http:/www.zeichen-der-er<strong>in</strong>nerung.org/n2.htm<br />
Hornberger, Karl: Persönliche Briefe und Notizen<br />
Kreisarchiv Schwäbisch Hall (Hrsg) Dokumentation zur Geschichte der <strong>Juden</strong><br />
<strong>in</strong> der Region Franken, Gedenkstätte Synagoge Michelbach/Lücke, Schwäbisch<br />
Hall 1984 – E<strong>in</strong>gabe des Pfarrers G.F. Schmidt zum Schulunterricht für die<br />
jüdischen K<strong>in</strong>der, 1824<br />
5
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Müller, Hans-Peter (Hrsg): Aus 200 Jahren Kreisgeschichte. Begleitband zur<br />
Ausstellung: Vom Oberamt zum Landratsamt – 200 Jahre Behördengeschichte<br />
im Landkreis Schwäbisch Hall, Schwäbisch Hall 2003<br />
Personen – Nachforschungen:<br />
- Bundesarchiv: Gedenkbuch, Opfer der Verfolgung<br />
<strong>in</strong> der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft <strong>in</strong> Deutschland 1933 – 1945<br />
- Gedenkbuch, Staatsarchiv Stuttgart, siehe oben<br />
- Internationaler Suchdienst Bad Arolsen<br />
- Yad Yashem, Büro für <strong>in</strong>ternationale Beziehungen, Jerusalem<br />
Röhm, Eberhard, Thierfelder, Jörg: <strong>Juden</strong> – Christen – Deutsche, Band 1, 1933-<br />
1935, Ausgegrenzt, Stuttgart 1990; Band 4/1, 1941-1945, Vernichtet,<br />
Stuttgart 2004<br />
Sauer, Paul: Die jüdischen Geme<strong>in</strong>den <strong>in</strong> Württemberg und Hohenzollern,<br />
Stuttgart, 1966<br />
Sauer, Paul, Die Schicksale der jüdischen Bürger <strong>in</strong> Baden Württemberg<br />
während der nationalsozialistischen Verfolgungszeit 1943 – 1945,<br />
Stuttgart 1969<br />
Schmidt, Rüdiger, Synagogen <strong>in</strong> Baden Württemberg, Band 1, Geschichte und<br />
Architektur, Stuttgart, 2007<br />
Staatsarchiv Ludwigsburg: Jüdischer Friedhof <strong>Dünsbach</strong>, Aufnahme der<br />
Gräber.<br />
Studienkreis Deutscher Widerstand: Heimatgeschichtlicher Wegweiser zu<br />
Stätten des Widerstands und der Verfolgung – Band 5, Baden Württemberg,<br />
Regierungsbezirke Karlsruhe und Stuttgart, Frankfurt 1991.<br />
Strauss, Walter (Hrsg): Lebenszeichen, <strong>Juden</strong> aus Württemberg nach 1933,<br />
Gerl<strong>in</strong>gen 1982.<br />
Taddey, Gerhard: Ke<strong>in</strong> kle<strong>in</strong>es Jerusalem, Geschichte der <strong>Juden</strong> im Landkreis<br />
Schwäbisch Hall, Sigmar<strong>in</strong>gen 1992.<br />
Quirbach, Elisabeth M.: E<strong>in</strong>e ehemalige Synagoge... E<strong>in</strong> Rabb<strong>in</strong>atsgebäude...<br />
E<strong>in</strong> Friedhof... Auf den Spuren der Landjuden <strong>in</strong> Braunsbach, Braunsbach<br />
2008.<br />
5
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Vielen Dank<br />
5<br />
- an alle, die durch Informationen und H<strong>in</strong>weise geholfen<br />
haben, dass diese Broschüre entstanden ist. Es s<strong>in</strong>d so viele,<br />
dass ich sie nicht alle namentlich erwähnen konnte;<br />
- für die fachliche Begleitung durch Stadtarchivar Folker<br />
Förtsch, Crailsheim, sowie die Pfarrer Dr. Joachim Hahn,<br />
Ploch<strong>in</strong>gen, Bernhard Ritter, Hengstfeld und Dr. Michael<br />
Volkmann, Denkendorf;<br />
- für e<strong>in</strong>zelne Bilder bzw. deren Ermöglichung:<br />
Seite 1: Rolf Garmatter, Seite 12: Heike Gräter, Seite 27: Elsa<br />
Limpf, Seite 28: Ella Rupp, Seite 30: Maria Gahm, Seite 31:<br />
Cornelia Hornberger, Seite 32: Siegl<strong>in</strong>de Kurz, Seite 44:<br />
Susanne Kraft, Seite 48: Gerda Beck.<br />
- für Bildbearbeitungen:<br />
Gerhard Riekert und Johannes Schwab;<br />
- für das Schreiben der Erstfassung des Textes und für<br />
vielfältiges, engagiertes und eigenverantwortliches Mithelfen:<br />
Cornelia Hornberger;<br />
- für das Korrekturlesen: Hildegard Burkert und Susanne Kraft<br />
- <strong>in</strong> besonderer Weise an Sonja Ebner, die die verschiedenen<br />
Weiterbearbeitungen des Textes geschrieben hat, die Fotos<br />
e<strong>in</strong>fügte, das Layout und die Druckvorlage erstellte;<br />
- für die f<strong>in</strong>anzielle Unterstützung des Drucks der Broschüre<br />
durch die Stadt Gerabronn.
______________________________________________________________________________________________________________<br />
Auf den Spuren der <strong>Juden</strong> <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
_______________________________________________________________________________________________________________<br />
Impressum<br />
Herausgeber:<br />
Evangelische Kirchengeme<strong>in</strong>de <strong>Dünsbach</strong>,<br />
Sandäckerstraße 15, 74582 Gerabronn-<strong>Dünsbach</strong><br />
Telefon 07952/ 92 50 33, Fax 07952/ 92 50 34<br />
Email: Pfarramt.Duensbach-Ruppertshofen@elk-wue.de<br />
Text und Konzeption:<br />
Hansgeorg Kraft, Dekan i.R.<br />
Stellvertreter im Pfarramt (Dezember 2006 – August 2009)<br />
Privat: Carl-Peters-Straße 28, 70825 Korntal, Telefon 0711/8877238<br />
Im Mai 2010<br />
5
Gedenktafel zur Er<strong>in</strong>nerung an die jüdischen Mitbürger <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong>,<br />
die seit 1617, also über 300 Jahre lang, <strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong> lebten.<br />
Die Gedenktafel wurde am ehemaligen Haus der jüdischen Familie Adler, heute:<br />
Oberste<strong>in</strong>acher Straße 4, angebracht und am 30. Juli 2009 durch Bürgermeister<br />
Klaus-Dieter Schumm, Gerabronn<br />
und Pfarrer Hansgeorg Kraft, <strong>Dünsbach</strong>, enthüllt.
Gedenktafel<br />
<strong>in</strong> <strong>Dünsbach</strong><br />
3