NUM_07_09-Vor RZ3 - Senckenberg Museum
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.......... 228<br />
Die Tropen der Neuen Welt sind eine der<br />
artenreichsten Regionen der Erde. Nach wie<br />
vor ist jedoch unsere Kenntnis der neotropischen<br />
Vielfalt an Amphibien und Reptilien<br />
lückenhaft, wie zahlreiche Erstbeschreibungen<br />
neuer Arten in den letzten Jahren<br />
zeigen. Gleichzeitig ist über viele der wissenschaftlich<br />
beschriebenen Arten fast nichts<br />
bekannt, da von ihnen oft nur wenige Exemplare<br />
gesammelt wurden. Nicht selten stammen<br />
diese von einem einzigen, schlimmstenfalls<br />
nicht einmal eindeutig (etwa „innerhalb<br />
200 Meilen um Carácas“) oder gänzlich<br />
falsch (z. B. „Guatemala“ statt „Panama“)<br />
bezeichneten Ort.<br />
Um einige dieser Wissenslücken zu<br />
schließen, inventarisieren Mitarbeiter der<br />
Sektion Herpetologie unter der Leitung von<br />
Dr. GUNTHER KÖHLER seit 2006 die Diversität<br />
Sebastian Lotzkat, Andreas Hertz & Gunther Köhler<br />
Auf ihrer vergleichsweise kleinen Fläche beherbergt die Landbrücke zwischen Nord- und Südamerika<br />
eine beeindruckende Vielfalt von Amphibien und Reptilien, deren Erfassung längst nicht<br />
abgeschlossen ist. Auf senckenbergischen Forschungsreisen werden die Herpetofaunen verschiedener<br />
Gebiete besonders im Westen des Landes untersucht. Das dort gesammelte Material<br />
ermöglicht neue Erkenntnisse über Taxonomie, Systematik, Verbreitung und Evolution dieser Tiere.<br />
�<br />
Abb. 1<br />
Blick von La Fortuna<br />
entlang der Pazifikseite<br />
der Zentralkordillere<br />
nach<br />
Westen. Links im<br />
Hintergrund der Volcán<br />
Barú, mit 3 475 m<br />
der höchste Berg<br />
Panamas.<br />
Auf herpetologischer<br />
Expedition in den<br />
Bergwäldern Panamas<br />
der Herpetofauna in den kaum erforschten<br />
Bergwaldgebieten des westlichen Panama.<br />
Untersuchungsgebiet ist die Zentralkordillere<br />
im autonomen Gebiet der Ngöbe-Buglé-Indianer<br />
sowie in den Provinzen Bocas del Toro,<br />
Chiriquí und Veraguas (Abb. 3). Entlang dieses<br />
Gebirgszuges werden möglichst viele<br />
Lokalitäten unterschiedlicher Höhenstufen,<br />
Vegetationstypen und Nutzungsintensitäten<br />
aufgesucht, um Belegexemplare der Amphibien-<br />
und Reptilienpopulationen zu sammeln.<br />
Jedes ist mit umfangreichen Funddaten<br />
verknüpft und wird fotografisch dokumentiert.<br />
Wissenschaftler sammeln, um die in einem<br />
bestimmten Gebiet zu einem bestimmten<br />
Zeitpunkt vorkommenden Arten zu erfassen.<br />
Darüber hinaus gilt es, die Variabilität von<br />
Arten (individuell, geschlechtsspezifisch etc.)<br />
aufzuzeigen und Erkenntnisse über deren<br />
Natur und <strong>Museum</strong> 139 (7/8) 20<strong>09</strong><br />
Lebensweise, Verwandtschaft und Evolution<br />
zu gewinnen. So konnten aus dem Gebiet in<br />
Zusammenarbeit mit panamaischen Kollegen<br />
bereits eine Salamanderart und sechs Echsenarten<br />
der Gattung Anolis neu beschrieben<br />
werden (KÖHLER et al. 20<strong>07</strong>a, b; KÖHLER &<br />
SUNYER 2008). Weiterführende Studien können<br />
darauf aufbauen. Die Ergebnisse können<br />
ferner als Grundlage zur Entwicklung eines<br />
nachhaltigen Nutzungsplans der natürlichen<br />
Ressourcen und Artenschutzkonzepten herangezogen<br />
werden.<br />
Kreuz und quer durch Westpanama<br />
Im vergangenen Jahr fand die bisher längste<br />
senckenbergische Forschungsreise nach<br />
Panama statt: Anfang Mai bis Ende August<br />
arbeitete unsere Gruppe – zwei Diplomanden<br />
(NADIM HAMAD und LEONHARD STADLER)<br />
sowie zwei Doktoranden (ANDREAS HERTZ und<br />
SEBASTIAN LOTZKAT) – innerhalb der Zentralkordillere.<br />
Ausgangspunkt für die ein- bis<br />
zweiwöchigen Expeditionen war der kleine<br />
Ort Los Algarrobos direkt nördlich von Davíd,<br />
der Hauptstadt der im Südwesten Panamas<br />
gelegenen Provinz Chiriquí. Dank der Hilfe<br />
und guten Kontakte der regelmäßig hier<br />
Natur und <strong>Museum</strong> 139 (7/8) 20<strong>09</strong><br />
arbeitenden Frankfurter Biologie-Professorin<br />
Dr. MEIKE PIEPENBRING wurden wir hier sehr<br />
freundlich aufgenommen und konnten uns<br />
von Anfang an zu Hause fühlen. Wenige Tage<br />
später stieß auch Dr. GUNTHER KÖHLER zu seiner<br />
Mannschaft und kam gemeinsam mit der<br />
Regenzeit am 9. Mai in Los Algarrobos an.<br />
Sofort ging es in zwei Geländewagen auf der<br />
Carretera Interamericana (uns besser als Panamericana<br />
bekannt) nach Osten. Nach einer<br />
guten Stunde im strömenden Regen bogen wir<br />
in San Félix ab. Zuerst auf immer löchrigerem<br />
Asphalt, dann auf Schotter und schließlich<br />
durch Schlamm arbeiteten wir uns bergauf<br />
�<br />
Abb. 2<br />
Das Expeditionsteam<br />
im gerodeten Hang auf<br />
dem Weg zum Cerro<br />
Negro.<br />
�<br />
Abb. 3<br />
Karte Westpanamas<br />
mit den bis 2008<br />
durch das <strong>Senckenberg</strong>Forschungsinstitut<br />
herpetologisch<br />
untersuchten<br />
Lokalitäten.<br />
229..........
.......... 230<br />
�<br />
Abb. 4<br />
Das derzeit einzige<br />
bekannte Exemplar<br />
von Sibon sp., einer<br />
bisher unbeschriebenen<br />
Schneckennatter.<br />
�<br />
Abb. 5<br />
Ein Männchen des<br />
Glasfrosches Centrolenella<br />
prosoblepon aus<br />
La Fortuna.<br />
bis an einem 1 700 m über dem Meeresspiegel<br />
gelegenen Ort mit dem vielsagenden<br />
Namen La Nevera (spanisch für „der Kühlschrank“)<br />
die Kontinentalscheide erreicht<br />
war. Hier, am bislang einzig bekannten Fundort<br />
von drei der oben genannten sechs neuen<br />
Anolis-Arten, fegen die Wolken von der<br />
immer feuchten Karibikseite beständig über<br />
den steilen Kamm der Kordillere. Sie vermitteln<br />
einem dabei nicht nur das Gefühl, in<br />
einem Kühlschrank zu sitzen, sondern schaffen<br />
auch ideale Bedingungen für einen märchenhaften<br />
Nebelwald, in dem fast alles von<br />
mächtigen Moospolstern überzogen ist. Sie<br />
sind dauernd durchnässt und bieten Halt für<br />
Farne, Orchideen, Bromelien und noch mehr<br />
Moose – aber natürlich auch für diverse Lurche<br />
und Kriechtiere. Davon konnten uns mehrere<br />
Echsen und Frösche schon in der ersten<br />
Nacht überzeugen. Zwei weitere Nächte verbrachten<br />
wir in diesem Teil des Gebirges, bevor<br />
es wieder zu Tal und weiter nach Osten ging.<br />
In Santiago (Hauptstadt der Provinz<br />
Veraguas) empfing uns der panamaische Biologe<br />
ARCADIO CARRIZO, der für seine Maestria-<br />
Arbeit (vergleichbar dem jüngst auch bei uns<br />
eingeführten „Master“) die Herpetofaunen<br />
dreier Gebiete in der Umgebung der rund<br />
80 km nördlich gelegenen Kleinstadt Santa<br />
Fé inventarisiert. Mit ihm fuhren wir nach<br />
Alto de Piedra am Fuß des Cerro Mariposa,<br />
der gerne auch als Cerro Tute oder Cerro Los<br />
Gringos bezeichnet wird. Die Pferdeweide<br />
hinter einem noch in der Aufbauphase<br />
befindlichen Restaurant wurde für die nächsten<br />
drei Tage unser Zeltplatz und Ausgangspunkt<br />
für unsere Streifzüge zum Cerro Mariposa.<br />
L. STADLER wählte diesen Berg als<br />
Untersuchungsgebiet für seine Diplomarbeit.<br />
Als nächstes lenkten wir die Wagen westwärts<br />
bis kurz vor Davíd und fuhren auf der<br />
einzigen Straße, die über die in Panama mehr<br />
als 250 km lange Zentralkordillere hinweg an<br />
die karibische Küste führt, in das Waldschutzgebiet<br />
„La Fortuna“, welches das Einzugsgebiet<br />
des gleichnamigen Stausees<br />
umspannt. Dort konnten wir mit der Öko-<br />
Herberge von ANDREW BENNETT einen Glückstreffer<br />
landen: Der naturbegeisterte Kanadier<br />
zeigte sich uns und unserer Arbeit gegenüber<br />
höchst aufgeschlossen und begleitete<br />
uns auch auf unserer Nachtrunde. Innerhalb<br />
weniger Stunden fanden wir unter anderem<br />
fünf verschiedene Schlangenarten – darunter<br />
auch eine Schneckennatter (Abb. 4), die<br />
sich keiner in der Wissenschaft bekannten<br />
Art zuordnen lässt und daher gegenwärtig<br />
von uns als neue Art beschrieben wird. Das<br />
offensichtliche Potenzial dieser Gegend<br />
sowie die „kanadische Infrastruktur“ und<br />
Gastlichkeit qualifizierten La Fortuna eindeutig<br />
als Untersuchungsgebiet für die Diplomarbeit<br />
von N. HAMAD.<br />
Den Abschluss der „Einarbeitungsphase“<br />
bildete das Grenzgebiet zu Costa Rica, wo<br />
das anvisierte Hochtal namens Jurutungo<br />
wegen sintflutartiger Regenfälle leider unerreichbar<br />
war. Stattdessen kamen wir spontan<br />
auf der Kaffee-Hacienda „Café de Eleta“<br />
unter, wo wir rund um die Uhr mit dem<br />
schwarzen Gold versorgt wurden und uns<br />
hellwach der Präparation der zuletzt gesammelten<br />
Tiere widmen konnten.<br />
Nach neun sehr intensiven Tagen kamen<br />
wir wieder in Los Algarrobos an, von wo aus<br />
Natur und <strong>Museum</strong> 139 (7/8) 20<strong>09</strong><br />
G. KÖHLER die Heimreise antrat. Den Verbliebenen<br />
diente fortan ein kurzfristig samt<br />
Mobiliar und zerzaust aussehendem Wachhund<br />
gemietetes Haus als Basisstation für<br />
die nächsten Monate.<br />
Tief im wilden Wald<br />
In den folgenden vier Wochen begannen N.<br />
HAMAD und L. STADLER mit der Feldarbeit. Wir<br />
(A. HERTZ und S. LOTZKAT) nutzten die Gelegenheit,<br />
nahe gelegene und möglichst<br />
ursprüngliche Waldgebiete näher zu untersuchen.<br />
In der Umgebung von Santa Fé<br />
begleiteten wir A. CARRIZO an den Río Chilagres,<br />
wo wir einige Tage im warmen Tiefland-<br />
Regenwald genießen konnten. In La Fortuna<br />
zog uns der über 2100m hohe Cerro Pata de<br />
Macho nahezu magisch an, verlangte von<br />
uns jedoch zunächst einige Tage der Suche<br />
nach einem geeigneten Aufstieg und der<br />
anschließenden Wegbereitung durch vehementen<br />
Macheteneinsatz, bevor wir mit Sack<br />
und Pack aufbrechen konnten. Den Bach<br />
neben unserem Camp im sehr feuchten Wald<br />
auf gut 1400mNN bewohnten unter anderem<br />
hübsche Glasfröschchen (Abb. 5). In den<br />
folgenden Tagen bahnten wir uns – wiederholt<br />
auftauchenden undurchdringlichen<br />
Bambusdickichten zum Trotz – den Weg weiter<br />
hangaufwärts bis auf 1 800 m NN.<br />
Während der neun Tage fernab jeglicher<br />
Zivilisation fanden wir nebst Fröschen und<br />
Schlangen sieben Anolis-Arten. Darunter<br />
befanden sich als besonderes Highlight die<br />
grün-bunten, zu raschem Farbwechsel<br />
fähigen Riesenanolis Anolis casildae und<br />
A. microtus (Abb. 6 und 7). Diese Echsen<br />
schlafen meist einen bis fünf Meter über<br />
dem Boden auf Zweigen oder Lianen, wo sie<br />
dem Suchenden förmlich ins Auge fallen und<br />
ihn mit ihrer atemberaubenden Schönheit<br />
einmal ganz unwissenschaftlich erfreuen.<br />
Hoch hinaus<br />
Die nächste Tour führte uns schließlich doch<br />
noch an den zuvor von der Außenwelt abgeschnittenen<br />
Ort Jurutungo. Dieser liegt im<br />
„Internationalpark“ La Amistad, den sich<br />
Costa Rica und Panama teilen, direkt an der<br />
Grenze zum Nachbarland. Dort konnten wir<br />
Natur und <strong>Museum</strong> 139 (7/8) 20<strong>09</strong><br />
die Finca von Herrn PORFÍRIO YANGÜEZ als Ausgangspunkt<br />
für unsere Streifzüge in dieses<br />
riesige Waldgebiet nutzen, dessen Gipfel<br />
weit über zweitausend Meter aufragen.<br />
Jurutungo ist das Hochtal des Rio Candela,<br />
dessen Quellwasser hier von über 2 400 m<br />
hohen, mit exquisitem Nebelwald überzogenen<br />
Bergen herabstürzen. Hier wechseln die<br />
Sichtverhältnisse ständig – man befindet<br />
sich entweder direkt über den Wolken, direkt<br />
unter den Wolken oder in den Wolken. Das<br />
Klima ist jedoch alles andere als tropisch,<br />
hier und da fühlt man sich an Deutschland<br />
erinnert. Die Finca bot uns eine ideale Basis:<br />
im Innern ist man vor Regen und Wind<br />
geschützt, die einem draußen wirklich ernsthafte<br />
Probleme bereiten. Dazu eine Dusche<br />
(die Wassertemperatur entspricht einem<br />
Gebirgsbach im Hochschwarzwald) und eine<br />
Küche mit Gasherd – was will man mehr? An<br />
verschiedenen Stellen knackten wir die<br />
2 400-er Marke – unter anderem am Cerro<br />
Pando, über dessen Gipfel die Grenze<br />
verläuft, was sich in einem mitten im Wald<br />
plötzlich auftauchenden, moosüberzogenen<br />
�<br />
Abb. 6<br />
Die bisher nur aus La<br />
Fortuna bekannte<br />
Saumfingerechse Anolis<br />
casildae bewohnt<br />
unberührte<br />
Feuchtwälder der mittleren<br />
Höhenstufen.<br />
�<br />
Abb. 7<br />
Die im Nebelwald<br />
der Hochlagen anzutreffendeSaumfingerechse<br />
Anolis microtus<br />
ist im Hinblick auf<br />
Färbung und Zeichnung<br />
sehr variabel<br />
und besticht durch<br />
ihre blauen Augen.<br />
231..........
.......... 232<br />
�<br />
Abb. 8<br />
Mit den Fersen in<br />
Costa Rica: A. Hertz,<br />
S. Lotzkat und der<br />
moosüberzogene<br />
Grenzstein auf dem<br />
Cerro Pando.<br />
�<br />
Abb. 9<br />
Der spektakulär<br />
gefärbte Harlekinfrosch<br />
Atelopus varius<br />
gilt als stark bedroht.<br />
�<br />
Abb. 10/11/12/13<br />
Ein Fall von Mimikry:<br />
Die harmlose Erdschlange<br />
Geophis<br />
talamancae ahmt<br />
giftige Korallenschlangen<br />
nach.<br />
Der lungenlose<br />
Salamander Bolitoglossa<br />
gomezi ist bisher<br />
nur aus den Nebelwäldern<br />
der Grenzregion<br />
bekannt.<br />
Die nachtaktive Natter<br />
Dipsas articulata<br />
ernährt sich ausschließlich<br />
von Schnecken.<br />
Craugastor melanostictus<br />
und seine näheren<br />
Verwandten sind perfekt<br />
an das Leben im<br />
Nebelwald angepasst<br />
und bilden hier die<br />
artenreichste Gruppe<br />
der Froschlurche.<br />
Grenzstein manifestiert (Abb. 8). Der Nebelwald<br />
in diesen Höhenlagen ist atemberaubend<br />
schön. Überall Farne und Moose, viele<br />
Palmen, und immer ist alles feucht – auch<br />
wenn ausnahmsweise mal keine Wolke den<br />
Wald durchwabert und kein Regen fällt. Aufgrund<br />
der Höhe und der damit verbundenen<br />
Temperaturen (das von uns gemessene Minimum<br />
in 2 460 m Höhe betrug 9,6 °C) kriecht<br />
einem hier nicht mehr alle zwei Meter eine<br />
andere Art über den Weg. Dennoch konnten<br />
wir einige interessante Tiere finden, etwa die<br />
erst vor kurzem (SAVAGE & WATLING 2008) für<br />
Panama nachgewiesene Erdschlange Geophis<br />
talamancae (Abb. 10) oder die nur im<br />
Gebirge vorkommende Viper Cerrophidion<br />
godmani. Von letzterer Art fanden wir<br />
während eines nachmittäglichen Streifzuges<br />
innerhalb einer Stunde fünf Exemplare – und<br />
über die restlichen 13 Tage kein weiteres.<br />
Diese „Giftzwerge“ sind wahre Allesfresser,<br />
wie ihre Mageninhalte uns verrieten: Neben<br />
Heuschrecken fanden wir Haare, Schlangenschuppen<br />
und einen halb erhaltenen Salamander<br />
– à propos! In Jurutungo schlug die<br />
Stunde der Salamander. Aus dem Park La<br />
Natur und <strong>Museum</strong> 139 (7/8) 20<strong>09</strong><br />
Amistad sind ganze 22 Arten bekannt, von<br />
denen wir drei finden konnten, darunter zwei<br />
erst jüngst beschriebene: Bolitoglossa gomezi<br />
(WAKE et al. 20<strong>07</strong>; Abb. 11) und die großen<br />
schwarzen B. sombra (HANKEN et al. 2005).<br />
Letztere schlurften bei Regen sogar über die<br />
Kuhweiden.<br />
Zum „Schwarzen Berg“<br />
Kurz nach unserer Rückkehr aus den Wolken<br />
traf Ende Juli ein zweiköpfiges Filmteam ein:<br />
Die Kommunikationsdesign-Studentin CARO-<br />
LINE D’ORVILLE wollte als Diplomarbeit einen<br />
Dokumentarfilm über unsere Arbeit drehen<br />
und wurde dabei von DUSTIN AUF DER SPRINGE<br />
technisch unterstützt. Nach einem gemeinsamen<br />
Kurzausflug in ein nahe gelegenes<br />
Schutzgebiet reisten wir zu viert in die Provinz<br />
Veraguas, um A. CARRIZO auch noch in<br />
sein drittes Untersuchungsgebiet zu begleiten,<br />
den Cerro Negro („Schwarzer Berg“)<br />
nördlich von Santa Fé. Wie unser letzter<br />
gemeinsamer Trip zum Río Chilagres hatte<br />
auch diese Unternehmung den Charakter<br />
einer richtigen Wildnisexpedition. In Santa<br />
Fé angekommen trafen wir unseren ortskundigen<br />
Helfer SMELIN ABREGO und luden unser<br />
Gepäck auf einen Geländewagen. Nach<br />
zwanzig Minuten rasanter Fahrt auf der<br />
Ladefläche folgte ein fünfstündiger Marsch<br />
in Richtung des Cerro Negro. Der Weg wurde<br />
immer schmaler, die durchwanderten Waldstücke<br />
größer, die Umgebung wilder und die<br />
Rucksäcke schwerer. Deshalb suchten wir<br />
uns kurz nach Überquerung der letzten Kahlschläge<br />
einen Schlafplatz im Wald und schlugen<br />
unsere Zelte auf. Hier war der karibische<br />
Einfluss durch tägliche Platzregen deutlich<br />
spürbar. Er verwandelte unser Camp trotz der<br />
aufgespannten Plastikplane in eine<br />
Schlammgrube – aber was kann man dagegen<br />
tun? Am nächsten Tag kämpften wir uns<br />
von dem in 700m Höhe gelegenen Zeltplatz<br />
auf rund 1100m den Hang hinauf – das dauerte<br />
von Mittag bis in die Dunkelheit, wobei<br />
es die meiste Zeit regnete. Durchweicht und<br />
fröstelnd machten wir uns suchend auf den<br />
Rückweg und wurden reichlich belohnt:<br />
Neben wunderschönen Schneckennattern<br />
(Abb. 12) trafen wir auf eine amphibische<br />
Natur und <strong>Museum</strong> 139 (7/8) 20<strong>09</strong><br />
233..........
.......... 234<br />
�<br />
Abb. 14<br />
Blick von La Nevera<br />
entlang der<br />
Kontinentalscheide<br />
nach Westen.<br />
Sensation: Atelopus varius (Abb. 9) ist eine<br />
Art der hochgiftigen, nur in Lateinamerika<br />
vorkommenden Harlekinfrösche, die aufgrund<br />
drastischer Populationseinbrüche zum<br />
Sinnbild des globalen Amphibiensterbens<br />
geworden sind. Als A. CARRIZO vor acht Jahren<br />
hier für seine Abschlussarbeit forschte,<br />
musste er quasi aufpassen nicht auf diese<br />
bunten Burschen zu treten – dieses Jahr hatten<br />
wir noch keinen einzigen gesehen. Überhaupt<br />
hat sich in Panama seit 2002 kein Vertreter<br />
dieser Art einem Biologen gezeigt.<br />
Grund zur Freude über unseren Fund! Nach<br />
drei Nächten mussten wir uns schweren<br />
Herzens vom Matsch verabschieden, um den<br />
Rückweg anzutreten.<br />
Zwölf Tage Regen<br />
Es folgte das letzte und gleichzeitig größte<br />
unserer kleinen Abenteuer in Panama. Zuerst<br />
fuhren wir nach San Félix, um der Belegschaft<br />
des dortigen Krankenhauses einen<br />
kleinen <strong>Vor</strong>trag über Giftschlangen zu halten.<br />
Am nächsten Morgen ging es mit einem<br />
gecharterten Jeep bergauf nach La Nevera.<br />
Oben angekommen wurden wir prompt vom<br />
Regen willkommen geheißen. Wir schlugen<br />
uns zu einem ganz passablen Zeltplatz an<br />
den Hängen des nach Osten hin aufragenden<br />
Cerro Santiago durch, den wir am näch-<br />
sten Tag bezogen. Während die Bäume am<br />
gegenüberliegenden Hang gerodet worden<br />
waren, befand sich unser Lager (Abb. 15)<br />
mitten im Wald. Es bot zwar weniger Sonne<br />
als der zuerst ins Auge gefasste Kahlschlag,<br />
dafür aber andere <strong>Vor</strong>züge, wie wir später<br />
feststellen sollten. Dank der handwerklichen<br />
Fertigkeiten von D. AUF DER SPRINGE wurde es<br />
im Lager recht wohnlich– er zauberte uns<br />
eine ganze „Küchenzeile“ und einen überaus<br />
bequemen Sessel aus Holz und Lianen. Nach<br />
den üblichen Anlaufschwierigkeiten brannte<br />
das Feuer.<br />
Bei der Feldarbeit fanden wir neben<br />
Craugastor melanostictus (Abb. 13) verschiedene<br />
weitere Vertreter aus den Familien<br />
Craugastoridae und Eleutherodactylidae, die<br />
sich durch direkte Entwicklung ohne freilebendes<br />
Kaulquappenstadium auszeichnen<br />
und deren tatsächlicher Artenreichtum und<br />
Verwandtschaftsverhältnisse noch wenig<br />
bekannt sind. Daneben sammelten wir<br />
zusätzliche Exemplare der drei von hier neu<br />
beschriebenen (KÖHLER et al. 20<strong>07</strong>a), jeweils<br />
nur von wenigen Stücken bekannten Saumfingerechsen<br />
Anolis datzorum, A. pseudokemptoni<br />
und A. pseudopachypus. Schließlich<br />
war da noch der Regen – in dieser Hinsicht<br />
stellte die letzte Feldphase alles bisher<br />
Gekannte in den Schatten! Es schüttete (mit<br />
einer Ausnahme) jeden Tag, und der Deichbau<br />
innerhalb des Camps wurde zur Kür. Als<br />
wir am Tag vor der Abreise dachten, es könne<br />
gar nicht noch mehr regnen, wurden wir<br />
eines Besseren belehrt: Aus dem Bach im<br />
Camp wurde ein Fluss, alle Dämme brachen,<br />
und wir bekamen eine eindrucksvolle<br />
Demonstration von Naturgewalt geboten:<br />
Auf dem Kahlschlag gegenüber rutschten<br />
große Teile des Hanges samt Pflanzendecke<br />
einfach ab; selbst einzelne übrig gebliebene<br />
große Bäumen gingen mit den so genannten<br />
„derrumbes“ (Erdrutsche) donnernd zu Tal,<br />
dass einem Angst und Bange wurde. Am<br />
nächsten Morgen offenbarte uns der Rückweg<br />
zur Straße weitere „derrumbes“. Nach<br />
unerwartet erdrutschfreier Fahrt ins Tal<br />
schafften wir es wie geplant, pünktlich zur<br />
Dämmerstunde am traumhaften Pazifikstrand<br />
von Las Lajas anzukommen, um mit<br />
dem Salzwasser sämtliche Pilze auf, und mit<br />
Feuerwasser sämtliche Erreger in uns abzutöten.<br />
Gegrillter Fisch der Extraklasse rundete<br />
diese Belohnungsaktion ab.<br />
Einige Trocknungstage und Behördengänge<br />
später hieß es Abschied nehmen. Zurück in<br />
Deutschland erwartete uns die Auswertung<br />
von vier Monaten Feldarbeit: Insgesamt hatten<br />
wir zwischen 16 und 2460m über dem<br />
Meeresspiegel 233 Amphibien- und 217 Reptilienexemplare<br />
gesammelt, die nach gegenwärtigem<br />
Kenntnisstand 51 Amphibien- und<br />
72 Reptilienarten repräsentieren. Verschiedene<br />
waren bislang nur von einem oder<br />
wenigen Exemplaren bekannt, andere seit<br />
vielen Jahren nicht mehr gesichtet worden.<br />
Die Funde belegen, dass das Verbreitungs-<br />
gebiet vieler Arten erheblich größer sein<br />
muss als bisher angenommen und zwei<br />
Schlangen gehören offensichtlich neu zu<br />
beschreibenden Arten an. Gegenwärtig<br />
arbeiten wir an der wissenschaftlichen Publikation<br />
dieser Ergebnisse, während wir mit<br />
Spannung die nächste Forschungsreise nach<br />
Panamá erwarten.<br />
Danksagung<br />
Wir danken herzlichst all jenen, die uns bei<br />
der Feldarbeit unterstützt haben. Unser<br />
besonderer Dank gilt der Paul Ungerer-Stiftung,<br />
der Fazit-Stiftung und der Studienstiftung<br />
des deutschen Volkes, die diese Forschungsreise<br />
großzügig finanziell unterstützt<br />
haben.<br />
Schriften<br />
HANKEN, J., WAKE, D. B. & SAVAGE, J. M. (2005): A solution to the large black salamander problem (Genus Bolitoglossa) in Costa<br />
Rica and Panama. – Copeia, 2005 (2): 227–245. � KÖHLER, G. & SUNYER, J. (2008): Two new species of anoles formerly<br />
referred to as Anolis limifrons (Squamata: Polychrotidae). – Herpetologica, 64 (1): 92–108. � KÖHLER, G., PONCE, M., SUNYER,<br />
J. & BATISTA, A. (20<strong>07</strong>a): Four new species of anoles (genus Anolis) from the Serranía de Tabasará, west-central Panama (Squamata:<br />
Polychrotidae). – Herpetologica, 63 (3): 375–391. � KÖHLER, G., PONCE, M. & BATISTA, A. (20<strong>07</strong>b): A new species of<br />
worm salamander (genus Oedipina) from Fortuna, western central Panama (Amphibia, Caudata, Plethodontidae). – <strong>Senckenberg</strong>iana<br />
biologica, 87 (2): 213–217. � SAVAGE, J. M. & WATLING, J. I. (2008): Not so rare snakes: a revision of the Geophis<br />
sieboldi group (Colubridae: Dipsadinae) in lower Central America and Colombia. – Zoological Journal of the Linnean Society,<br />
153: 561–599. � WAKE, D. B., SAVAGE, J. M. & HANKEN, J. (20<strong>07</strong>): Montane salamanders from the Costa Rica-Panama border<br />
region, with descriptions of two new species of Bolitoglossa. – Copeia, 20<strong>07</strong> (3): 556–565.<br />
�<br />
Abb. 15<br />
Mittendrin: das<br />
Nebelwaldcamp bei<br />
La Nevera.<br />
Verfasser<br />
S. Lotzkat<br />
A. Hertz<br />
Dr. G. Köhler<br />
Forschungsinstitut<br />
und Naturmuseum<br />
<strong>Senckenberg</strong><br />
<strong>Senckenberg</strong>anlage 25<br />
D-60325 Frankfurt a. M.<br />
Natur und <strong>Museum</strong> 139 (7/8) 20<strong>09</strong> Natur und <strong>Museum</strong> 139 (7/8) 20<strong>09</strong><br />
235..........