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Der „Aufschneider“ –von Bernhard Natschläger Durchschnitt? Nie ...

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<strong>Der</strong> <strong>„Aufschneider“</strong> <strong>–von</strong> <strong>Bernhard</strong> <strong>Natschläger</strong><br />

<strong>Durchschnitt</strong>? <strong>Nie</strong>!<br />

Wieso werden Filmemacher/innen eher selten mit Illustriertenfragebögen á la „Was gefällt Ihnen an Ihrem Beruf“<br />

konfrontiert? Vielleicht sollte man das ja ab und zu tun, denn ihre Antworten würden möglicherweise etwas anders<br />

als üblich („Weil er soviel mit Menschen zu tun hat“) ausfallen. Natürlich, nur damit da keine Missverständnisse<br />

entstehen, speziell das Filmemachen hat besonders viel mit Menschen zu tun, streng genommen kann ein Film nur<br />

aufgrund des paradoxen Zusammenwirkens einer großen Zahl von kreativen Individualist/innen entstehen. Jeder und<br />

jede Einzelne, von der internationalen Hauptdarstellerin bis zum Straßenabsperrer, ist essenziell wichtig für das<br />

Gelingen des Gesamtprodukts. Aber nein, das Besondere und Wundersame am Filmemachen ist gar nicht so sehr das<br />

Großgruppenexperiment. Das wirklich Spannende an diesem Job ist die grundsätzliche Verweigerung gegen jede<br />

Form von <strong>Durchschnitt</strong> und Routine. Es gibt selbst für die Erfahrensten auch nach Jahrzehnten noch immer keine<br />

zwei gleichen Produktionen, jeder Dreh ist ein bisschen anders.<br />

Falls Sie sich das schon längst gefragt haben sollten - ja, es gibt auch einen Haken an der wunderbaren Sache: bei<br />

jedem Film kann nämlich was anderes schiefgehen.<br />

Weil wir gerade vom <strong>„Aufschneider“</strong> reden: Bei angenehmem Frühlingswetter im Mai 2009 trudeln nach und nach<br />

Vertreter der Produktion, Schauspieler/innen, Photograph/innen und Journalist/innen zum angesagten Pressetermin


im Schweizerhaus ein 1 . Nun ist es aber so, dass das Schicksal offenbar einen gewissen Hang zur boshaften Ironie<br />

hat. Seit einigen Tagen nämlich grassiert am Set des „Aufschneiders“ ein sehr unangenehmes Magen-Darm-Virus,<br />

das nach und nach fast das gesamte Team angesteckt hat. Auch wenn wir hier medizinisch nicht allzu sehr ins Detail<br />

gehen können, aber eines liegt auf der Hand: so ein Virus und knusprige Stelzen bleiben auf Dauer keine Freunde.<br />

Ein blasser Regisseur (schon wieder am Weg der Besserung, trotzdem erschöpft), ein anders als sonst eher<br />

wortkarger Produktionsleiter, kaum berührtes Essen, Schauspieler/innen, die noch vor kurzem mit Fieber vor der<br />

Kamera gestanden sind, viel Kamillentee auf den Tischen. <strong>Der</strong> Produzent, glücklicherweise bisher von einer<br />

Ansteckung verschont, hat natürlich im Stillen längst schon ausgerechnet, was ihn der seuchenbedingte Ausfall eines<br />

Drehtags kosten würde. Nur soviel: besser, es käme nicht dazu. Das Schicksal, wie bekannt ein boshaftes Luder,<br />

erweist sich in weiterer Folge aber doch als nachsichtig mit der Produktion. Eine weitere Ausbreitung der Krankheit ist<br />

nicht dokumentiert, unter Aufbietung körperlicher Reserven und aller erlaubten Mitteln der Pharmazie gelingt es in<br />

den Tagen und Wochen danach, den Dreh abzuschließen.<br />

Zuschnitt<br />

Rückblende, mehrere Monate zuvor. Josef Hader, David Schalko und John Lüftner sitzen gemeinsam mit mir im Büro<br />

von Fernsehfilmchef Heinrich Mis. Wenn alles nach Plan geht, wird das die abschließende Buchbesprechung. Wir<br />

befinden uns in einer wichtigen Phasen des Projekts. Mozart konnte ja bekanntlich seine hypernervösen Auftraggeber<br />

noch damit trösten, dass er mit dem Komponieren der neuen Oper ja ohnehin schon fertig sei. „Muss es nur noch<br />

1 Exkurs für Nichtwiener/innen: das Schweizerhaus, ein traditionsreiches Lokal im Wiener Prater, gilt in der warmen Jahreszeit als die Location<br />

schlechthin, wenn es um gepflegtes Budweiser Bier und knusprige Schweinsstelzen geht.


hinschreiben“, soll er gesagt haben. Diesen berühmten Trick müssen Drehbuchautor/innen, kleines<br />

Betriebsgeheimnis, gleich wieder vergessen. Sowas geht nämlich gar nicht im Film. Was nicht im Buch steht, kann<br />

auch nicht gedreht werden. Was nicht schriftlich niedergelegt ist, kann nicht kalkuliert, besetzt, ausgestattet werden.<br />

Was wir hier nicht beschließen, wird nicht über den Sender gehen. Ohne ein fertiges Buch geht schlicht gar nichts.<br />

Nur, was ist das - ein fertiges Buch und wie kommt es dazu?<br />

Am Anfang der Reise steht meistens eine kurz zusammengefasste Idee, ein Pitch, der dazu geeignet ist, die<br />

Begeisterung eines Autors oder einer Autorin für seinen/ihren Stoff, die Figuren und die Geschichte auf die erhofften<br />

Auftraggeber/innen - das sind in erster Linie Entscheider beim Sender - zu übertragen. Das zu schaffen ist nicht<br />

leicht, denn das Stoffangebot ist groß, das Produktionsbudget und die Zahl der Sendeplätze sind es dagegen ganz<br />

und gar nicht. David Schalko und Josef Hader hatten mit ihrer Idee <strong>„Aufschneider“</strong> diese erste Hürde genommen, der<br />

Funke war übergesprungen.<br />

Neugierig? Also schön. "Aufschneider" nimmt sich vorrangig jener Ärztegattung an, die sich in den vergangenen<br />

Jahren dank zahlreicher TV-Serien breitester Beliebtheit erfreut: jene der Pathologen. Allerdings nicht der slicken Las<br />

Vegas- oder Miami-Variante, sondern jene der echten Patholog/innen. Sie werken und wirken in den unterirdischen<br />

und stets nur neonbeleuchteten Bereichen eines Krankenhauses. Nur selten bekommt man sie zu Gesicht - und<br />

meistens hat das mit schlechten Nachrichten zu tun. Patholog/innen entscheiden über schwere und leichte<br />

Krankheiten und sind Qualitätssicherer/innen. Das Interessante an Patholog/innen ist, dass sie an einer gewissen<br />

Grenze stehen und mit Dingen zu tun haben, die gerne verdrängt werden, aber auf der anderen Seite ein ganz<br />

normales Leben führen und auch auf Partys gehen. - Das war die Geburtsstunde der Hauptfigur Dr. Fuhrmann.


Das war gut, aber nur der Anfang. Jetzt muss aus der anfänglichen Skizze ein ausgefeiltes Gesamtbild entwickelt<br />

werden, müssen laufend Fragen beantwortet und Entscheidungen getroffen werden: Welches Genre wollen wir<br />

konsequent bedienen? Welche Figur „führt“ und welche geht sozusagen als Anwalt bzw. Anwältin des Publikums<br />

durch die Geschichte? Worum geht´s - unausgesprochen - in der Szene zwischen Fuhrmann und seiner Kollegin<br />

Wehninger gerade? Warum sagt der große Widersacher Böck das jetzt und nicht schon mindestens zehn Minuten<br />

früher? Wie geht es weiter mit dem jungen Neuling Winkler und der Sache mit den Prosekturgehilfen? Und was um<br />

alles in der Welt ist mit Fuhrmanns Tochter Feli passiert, von der wir schon länger nichts mehr gehört und gelesen<br />

haben? Die Zuschauer/innen sollen sich auskennen, sich unterhalten können, gespannt sein, wie‘s weitergeht - und<br />

sich nach Möglichkeit nicht langweilen. Lösungen für solche Aufgaben zu finden ist wesentlicher Teil der Arbeit mit<br />

Autor/innen am Drehbuch. Mit Hader und Schalko kann man das auf eine wunderbare Weise verhandeln. Einerseits<br />

bedingungslose Anwälte ihrer Story sind die beiden zugleich auch offen für andere Zugänge und Ideen, sodass die<br />

Buchentwicklung zwar als sehr intensiv, aber alles andere als mühselig in Erinnerung bleibt. Es ist, um eine Hader-<br />

Metapher zu missbrauchen, wie Jazzmusik, hinhören, dagegen spielen, antreiben, zusammenkommen, Themen<br />

variieren - groovy.<br />

Logistik und Glück<br />

Den Cast für den <strong>„Aufschneider“</strong> zu finden ist leicht und schwierig zugleich. Leicht insofern, als nach Lektüre der<br />

Bücher alle ausgewählten Schauspieler/innen sofort begeistert mitmachen wollten. Schwierig war es in Einzelfällen,<br />

überhaupt bis zu diesem Punkt zu kommen. Oliver Baier sollte beispielsweise für die Rolle des Widersachers Primar


Böck Probeaufnahmen mit Josef Hader machen. Nur war Hader zu diesem Zeitpunkt bis über beide Ohren mit<br />

Promotion-Verpflichtungen und Premierenterminen seines Kinofilms („<strong>Der</strong> Knochenmann“) in Deutschland<br />

eingedeckt. Die Zeit, um auf seine Rückkehr nach Wien zu warten, war einfach nicht. Die Lösung dieses<br />

Terminproblems war dann dementsprechend auch ein wenig kompliziert. Oliver Baier besteigt zusammen mit David<br />

Schalko frühmorgens ein Flugzeug nach Hamburg, weckt Hader, der am Vorabend bei der Deutschland-Premiere des<br />

Knochenmanns war, in seinem Hotelzimmer auf und wenig später stehen zwei ordentlich übermüdete Männer vor der<br />

Kamera und probieren mehrere Varianten der ausgesuchten Castingszenen. <strong>Der</strong> Tag war strapaziös für alle<br />

Beteiligten, das Ergebnis steht allerdings dafür.<br />

Anderes Beispiel, ebenfalls eine Frage höherer Diplomatie und Logistik: Für die Rolle der Exfrau von Fuhrmann gab es<br />

mit Ursula Strauss schon sehr bald eine Wunschkandidatin. Unangenehm nur, dass Strauss parallel auch „Schnell<br />

ermittelt“ drehen sollte. Sehr unangenehm, um genau zu sein, denn regelmäßige Zuseher/innen dieser tollen Serie<br />

wissen, Angelika Schnell fehlt in keinem Bild, ist also sprichwörtlich jeden einzelnen Drehtag dran. Zum Glück konnte<br />

auch diese Klippe erfolgreich umschifft werden.<br />

Àpropos Glück - spätestens ab dem Moment, in dem das Team festeht, alle Motive gefunden sind, der Drehplan fast<br />

gar nicht mehr wackelt, geht von dieser Produktion eine Freude und ein Strahlen aus, das sich nur auf den ersten<br />

Blick mit dem scheinbar morbiden Thema der Filme schlägt. So etwas bleibt nicht ohne Wirkung, hat was mit<br />

Identifizierung und Begeisterung zu tun und ist mitverantwortlich dafür, dass trotz überlanger Drehtage und<br />

Darmgrippe-Epidemie beim Abschlussfest alle ganz stolz sind, bei so etwas dabei gewesen zu sein.


Und falls Sie sich fragen, was zum Beispiel ich auf die eingangs gestellte Illustrierten-Frage antworten würde - warum<br />

ich meinen Beruf als Redakteur in der Fernsehfilmabteilung des ORF mag? Weil es möglich ist, an Produktionen wie<br />

der <strong>„Aufschneider“</strong> mitzuarbeiten.

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