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Medienpreis 2007 - die Begründungen - DGB Nord

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<strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong> <strong>2007</strong> / Hörfunk<br />

Dass Mecklenburg-Vorpommern ein Problem mit rechtsextremen<br />

Strukturen und Organisationen hat, ist mittlerweile ein Allgemeinplatz<br />

und klingt beinahe banal.<br />

Für Journalisten ist das eine Herausforderung, denn wenn rechte<br />

Strukturen sich in der bürgerlichen Mitte verankern, werden sie auch<br />

weniger sichtbar.<br />

Wenn rechtes Gedankengut nicht mehr als Extremismus<br />

wahrgenommen wird, dann stellt sich <strong>die</strong> Frage, wie Journalismus, der doch auch<br />

immer der Aufklärung und der demokratischen Gesellschaft verpflichtet ist, <strong>die</strong> allein<br />

<strong>die</strong> freie und unabhängige Berichterstattung garantiert, damit umgehen soll.<br />

Thilo Schmidt liefert mit seinem Beitrag “Der nette Nazi von nebenan” in der Reihe<br />

Länderreport im Deutschlandradio ein Beispiel dafür, wie man es machen kann.<br />

Er fährt nach Ueckermünde in Vorpommern am Stettiner Haff, wo <strong>die</strong> NPD bei den<br />

letzten Landtagswahlen über 18 Prozent erreichte, eine Stadt mit knapp 11.000<br />

Einwohnern, <strong>die</strong> auf ihrer Homepage gleich mit vier Sprachen, nämlich Deutsch,<br />

Polnisch, Englisch und Schwedisch, für sich wirbt, <strong>die</strong> also auf den ersten Blick eine<br />

weltoffene und tolerante Stadt sein will.<br />

Schmidt beschreibt <strong>die</strong> Stimmung in einer Stadt, wo es kaum eine Familie gibt, <strong>die</strong><br />

nicht mit dem Problem Rechtsextremismus konfrontiert ist.<br />

Wo zwei junge Wölfe im Zoo auf <strong>die</strong> Namen Wotan und Thor getauft werden, ohne<br />

dass <strong>die</strong>s öffentlich Anstoß erregt.<br />

Wo schon seit Jahren vor rechtsextremen Strukturen gewarnt wurde, aber niemand<br />

oder zu wenige <strong>die</strong> richtigen Konsequenzen daraus zogen.<br />

Er geht nach Ueckermünde-Ost, wo <strong>die</strong> Menschen auch NPD gewählt haben, weil<br />

sie von ihr Lösungen für ihre Probleme erwarten - und sie doch nicht bekommen.<br />

Er geht zum Garagenkomplex, wo sich rechte Kameradschaften niedergelassen<br />

haben<br />

Der Journalist findet bestätigt, was <strong>die</strong> Universität Greifswald 2006 herausfand, dass<br />

nämlich Ueckermünde zu einem Refugium für Rechtsextremisten geworden ist.<br />

Und was kann man dagegen tun? Auch in <strong>die</strong>ser Stadt gibt es Menschen, <strong>die</strong> sich<br />

nicht damit abfinden wollen, <strong>die</strong> versuchen, das weitere Abrutschen Ueckermündes<br />

in <strong>die</strong> rechte Szene zu verhindern.<br />

Schmidt spricht mit ihnen, <strong>die</strong> sich in der Bürgerinitiative für Integration,<br />

Rechtsstaatlichkeit und Demokratie zusammengefunden haben. Es sind nicht viele,<br />

aber es gibt sie noch. Und solange es sie gibt, sollte man <strong>die</strong> Stadt nicht verloren<br />

geben.<br />

Thilo Schmidt erhält für seine Reportage den <strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong> <strong>2007</strong> in der Sparte<br />

Hörfunk.<br />

1


<strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong> <strong>2007</strong> / Hörfunk<br />

Vor 13 Jahren wurde das Hörfunkprojekt "Erinnerungen für <strong>die</strong><br />

Zukunft" vom NDR Landesfunkhaus Mecklenburg-Vorpommern ins<br />

Leben gerufen.<br />

Darin greifen, wie es auf der Homepage des NDR heißt, Journalisten<br />

aus Ost und West <strong>die</strong> deutsch-deutsche Geschichte bis in <strong>die</strong><br />

Gegenwart auf.<br />

Kein Lebensbereich der drei ehemaligen DDR-<strong>Nord</strong>bezirke werde<br />

ausgeklammert: staatliche Willkür und Protest, Repression und Verweigerung,<br />

Diktatur und Demokratie, aber auch Geschichten aus dem Alltagsleben der<br />

Menschen.<br />

Der Beitrag, um den es jetzt geht, handelt vor allem von stattlicher Willkür in der<br />

früheren DDR, es geht um Zwangsadoptionen und darum, was es für <strong>die</strong> betroffenen<br />

Eltern und Kinder bedeutete.<br />

Da gab es junge Mütter, denen man aus oft nicht nachvollziehbaren Gründen <strong>die</strong><br />

Fähigkeit absprach, ein Kind großzuziehen. Da gab es <strong>die</strong> Eltern, <strong>die</strong> aus der DDR<br />

fliehen wollten, dabei erwischt wurden und denen man <strong>die</strong> Kinder wegnehmen wollte<br />

- was in einem Fall nur durch <strong>die</strong> Großeltern verhindert werden konnte.<br />

Da gab es <strong>die</strong> junge Mutter, <strong>die</strong> unter schwierigen Familienverhältnissen aufwuchs,<br />

mit Eltern, <strong>die</strong> sie nicht liebten und <strong>die</strong> dafür sorgten, dass man ihnen das<br />

Sorgerecht für das Kind ihrer Tochter übertrug.<br />

Die betroffenen Kinder wurden von anderen Familien adoptiert oder wuchsen zwecks<br />

Erziehung zur sozialistischen Persönlichkeit in Heimen auf, wie dem Kinderheim<br />

Hermann Fischer bei Hagenow.<br />

Das, was zu DDR-Zeiten entschieden wurde, wurde nach der Wiedervereinigung<br />

fortgesetzt.<br />

Die Mütter, <strong>die</strong> gezwungen worden waren, ihre Kinder abzugeben, hatten auch<br />

danach keinerlei Rechte.<br />

So wurde das Unrecht fortgeschrieben.<br />

Über fünf Folgen beschreibt Eva Storrer, <strong>die</strong> einst das Neue Forum in Güstrow mit<br />

begründete und heute als Freie Journalistin beim NDR arbeitet, <strong>die</strong> Dramen, <strong>die</strong> sich<br />

abspielten und von denen viele bis heute nicht geklärt sind.<br />

Sie tut das auf der Basis einer genauen Recherche und ohne Larmoyanz, ohne<br />

wehleidig oder sentimental zu sein.<br />

Es gelingt ihr, zusammen mit ihrem Co-Moderator den Spannungsbogen über alle<br />

fünf Folgen aufrecht zu erhalten.<br />

Sie erhält, so hat <strong>die</strong> Jury des <strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong>es entschieden, dafür heute den<br />

<strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong> <strong>2007</strong> in der Sparte Hörfunk.<br />

Anmerkung: Leider wurde das Hörfunkprojekt „Erinnerungen für <strong>die</strong> Zukunft“ in der<br />

Zwischenzeit aus finanziellen Gründen eingestellt.<br />

2


<strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong> <strong>2007</strong> / Fernsehen<br />

Die folgende Geschichte spielt in einem Hotel, und es geht darin um<br />

<strong>die</strong> Menschen, <strong>die</strong> dort leben und arbeiten.<br />

Sie handelt von den Beziehungen <strong>die</strong>ser Menschen untereinander und<br />

den Verbindungen zwischen ihnen.<br />

Aber <strong>die</strong>se Geschichte ist keine Geschichte à la “Menschen im Hotel”,<br />

jenem berühmten und mindestens dreimal verfilmten Roman von Vicky<br />

Baum aus dem Jahr 1929.<br />

Nein, <strong>die</strong>se Geschichte hat nichts Literarisches an sich, denn es geht hier im<br />

wahrsten Sinn darum, was sich wohl hinter der Fassade verbirgt: hinter der Fassade<br />

<strong>die</strong>ses Hotels der Spione.<br />

Gemeint ist Rostocks berühmtestes Hotel, das Neptun, wo früher Gäste aus dem<br />

Westen auf DDR-Urlauber trafen.<br />

Schon zu DDR-Zeiten nannte man es das Stasi-Hotel.<br />

Die Stasi, das ergeben <strong>die</strong> Recherchen für <strong>die</strong>sen Film, <strong>die</strong> sich insgesamt über vier<br />

Jahre hinziehen, war Dauergast in <strong>die</strong>sem Haus.<br />

Und je länger der Film dauert, desto mehr bekommt man den Eindruck, dass <strong>die</strong><br />

normalen Hotelgäste so etwas wie <strong>die</strong> Untermieter waren, <strong>die</strong> vom Hauptmieter<br />

überwacht wurden, und der eigentliche Sinn des ganzen Unternehmens Hotel<br />

Neptun <strong>die</strong> Überwachung seiner Gäste war - jedenfalls aus der Sicht der Stasi.<br />

Zwar sagt der honorige und sympathisch wirkende Hoteldirektor in einem der ersten<br />

Interviews “Das war nicht unser Geschäft, damit hatten wir nichts zu tun”, aber er und<br />

seine Mitarbeiter betreiben <strong>die</strong>ses Geschäft eben doch, unterschreiben bereitwillig<br />

Verpflichtungserklärungen, liefern Informationen, denunzieren.<br />

Das alles zeigt der Film sehr genau, seine Macher recherchieren in Archiven, stellen<br />

immer wieder fest, dass Akten vernichtet wurden, tasten im Leeren, bis sie wieder<br />

Anhaltspunkte finden und kehren immer wieder an den Ort zurück, um nachzufragen<br />

und <strong>die</strong> Beteiligten mit unangenehmen Fragen zu konfrontieren.<br />

Bis <strong>die</strong> sich, je mehr unangenehme Wahrheiten an den Tag kommen, weigern,<br />

Interviews zu geben, allen voran der Direktor.<br />

Aber da ist es zu spät, da hat der Film längst sein Ziel erreicht: offen zu legen, was<br />

sich hinter der Fassade verbarg, wie alle mitmachten und wie sie auch später<br />

versuchten, Ihre Verstrickung zu vernebeln.<br />

Dieser Film klärt auf, ohne Sensationen zu heischen, ist hoch konzentriert und<br />

journalistisch auf hohem Niveau:<br />

Dafür erhalten Wolfram Bortfeldt und Friederike Pohlmann den <strong>die</strong>sjährigen<br />

<strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong> in der Kategorie Fernsehen.<br />

3


<strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong> <strong>2007</strong> / Fernsehen - lobende Erwähnung<br />

Anlässlich des Bush-Besuches vor einem Jahr sind im Programm des<br />

NDR verschiedene Sendungen gezeigt worden, <strong>die</strong> sich kritisch mit<br />

<strong>die</strong>sem Ereignis auseinandersetzten.<br />

Zwei wurden in <strong>die</strong>sem Jahr im Rahmen des <strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong>es <strong>2007</strong><br />

eingereicht.<br />

Einer von ihnen erhält zwar nicht <strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong>, jedoch möchte <strong>die</strong> Jury<br />

darauf aufmerksam machen und ihn heute Abend lobend erwähnen,<br />

weil er sich für <strong>die</strong> Ereignisse auf dem Stralsunder Marktplatz am Tag des Bush-<br />

Besuches nur am Rande interessiert.<br />

Er stellt einen Mann, in den Mittelpunkt, der am Marktplatz lebt und der sich<br />

eigentlich auf <strong>die</strong>sen Besuch freut. Er hat sogar eine amerikanische Fahne an<br />

seinem Fenster befestigt.<br />

Der Mann muss sich aber, obwohl er nur wenige Meter von den Ereignissen entfernt<br />

wohnt und mit seinem Fensterplatz einen Logenplatz hätte, um den ihn viele<br />

beneiden würden, mit dem Fernseher begnügen.<br />

Denn allein dort darf er den Bush-Besuch verfolgen, in seiner eigenen Wohnung ist<br />

das Fenster tabu, er geriete sonst in das Visier von Scharfschützen. Und das<br />

Fähnchen muss er auch noch wegnehmen.<br />

Der Film von Jens-Peter Schöne, der im <strong>Nord</strong>magazin des NDR lief, ist eine kleine<br />

Parabel auf <strong>die</strong> Arroganz und <strong>die</strong> Inszenierung von Macht.<br />

Es gelingt ihm in knapp drei Minuten nachzuzeichnen, warum Menschen sich von<br />

den politischen Eliten entfernen.<br />

Und am Ende hat man das Gefühl, dass Bush eigentlich nicht wichtig ist, sondern<br />

dass das wahre Leben sich in einer kleinen Wohnung am Stralsunder Markt abspielt.<br />

Die Jury des <strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong>es möchte <strong>die</strong>sen Film lobend erwähnen.<br />

4


<strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong> <strong>2007</strong> / Print<br />

1990 besucht eine bis dato unbekannte Politikerin aus Mecklenburg-<br />

Vorpommern <strong>die</strong> Fischerbrigade “Heuer“ in Lobbe auf Rügen. Ihr<br />

Name ist Angela Merkel, und sie hat Ambitionen, sie will in den<br />

Bundestag einziehen. Der Besuch bei den Fischern ist Teil ihrer<br />

Wahlkampagne.<br />

Und <strong>die</strong> nehmen auch kein Blatt vor den Mund, sprechen über ihre<br />

Hoffungen, ihre Erwartungen und ihre Wünsche und sagen der<br />

Kandidatin, was aus ihrer Sicht Sache ist: “Davon, dass es früher besser war und<br />

was <strong>die</strong> Zukunft im neuen wiedervereinigten Deutschland bringen muss. Bessere<br />

Geräte, schnellere Boote, mehr Absatzgebiete, leichteren Fang.”<br />

Die Kandidatin verspricht, sich für <strong>die</strong> Fischer einzusetzen. Es bleibt ihr einziger<br />

Besuch bei den Männern von Lobbe.<br />

Zurück bleibt von <strong>die</strong>ser Begegnung ein Foto, das berühmt werden sollte: <strong>die</strong> spätere<br />

Kanzlerin und <strong>die</strong> Fischer in den blauen Drillichanzügen in der engen,<br />

sonnendurchfluteten Hütte. Ein ideales Bild für den Wahlkampf.<br />

16 Jahre später macht sich eine Journalistin aus Rostock auf <strong>die</strong> Suche nach der<br />

Geschichte hinter <strong>die</strong>sem Foto, oder besser: sie sucht <strong>die</strong> Geschichte nach <strong>die</strong>sem<br />

Foto.<br />

Was aus der jungen Frau, <strong>die</strong> in den Bundestag wollte, wurde, das wissen wir. Aber<br />

was wurde aus den Fischern und ihren Wünschen und Träumen?<br />

Was <strong>die</strong> Journalistin findet, das sind zerplatzte Träume und Hoffnungen, sind <strong>die</strong> für<br />

<strong>die</strong> Neunzigerjahre in Ostdeutschland typischen gebrochenen Biografien. Als Angela<br />

Merkel Lobbe besuchte, gab es dort noch 123 Fischer, heute sind es noch 16. Von<br />

den Freundschaften aus alten Zeiten ist nicht viel geblieben, seit alle ihre eigenen<br />

Wege gehen, der Ort hat sich verändert.<br />

„Irgendwann, als alles anfing, den Bach runter zu gehen, da haben <strong>die</strong> Fischer noch<br />

einmal versucht, einen Kontakt zu Frau Merkel aufzunehmen. Aber es ist nichts<br />

dabei herausgekommen. Sie mussten alleine sehen, wie sie es schaffen.“<br />

Die Geschichte hinter dem berühmten Foto, Manuela Pfohl hat sie sichtbar<br />

gemacht, sehr einfühlsam, mit Sinn für Details und einer genauen<br />

Beobachtungsgabe, sprachlich auf hohem Niveau und sehr präzise. „Merkels<br />

enttäuschte Männer“ erschien in mehreren deutschen Tageszeitungen, darunter <strong>die</strong><br />

Frankfurter Rundschau, <strong>die</strong> Frankfurter Allgemeine Zeitung, <strong>die</strong> Welt und <strong>die</strong><br />

Berliner Morgenpost. Auch das ist ein Qualitätsbeweis.<br />

Manuela Pfohl, <strong>die</strong> auch für <strong>die</strong> Ostseezeitung schreibt, erhält in <strong>die</strong>sem Jahr den<br />

<strong>Me<strong>die</strong>npreis</strong> <strong>2007</strong> in der Sparte Print.<br />

5

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