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Hannoversche Allgemeine Zeitung - Denkort Bunker Valentin

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HaGEdOrn<br />

Kann ich dich in vier Minuten zurückrufen?<br />

Hier ist grade<br />

Stress.“ „Klar“, sage ich und<br />

weiß schon, dass der Rückruf erst 26<br />

Stunden später erfolgen wird, wenn<br />

überhaupt. Es ist gar nicht böse gemeint.<br />

Es ist immer Stress, wir machen<br />

es alle so, und es greift um sich. Wenn<br />

ich die Mails angucke, die ich in den<br />

letzten Wochen nicht beantwortete,<br />

weil sie nicht existenziell wichtig waren,<br />

ganz zu schweigen von den Kontakten,<br />

die ich gern jenseits der messbaren<br />

Nötigkeiten hielte, schäme ich<br />

mich. Ein Brief ist immer noch ein Brief<br />

und verdient eine antwort, egal wie<br />

kurz. Natürlich kann man sich auf<br />

Selbstschutz herausreden, auf Zeitmanagement,<br />

auf Informationsüberflutung.<br />

aber die Unverbindlichkeit greift ja<br />

nicht nur beim telefonieren und Mai-<br />

Kein<br />

Schwein<br />

ruft zurück:<br />

len um sich. Man sagt<br />

auch gern unter Freunden<br />

mal ganz kurzfristig<br />

ab, was lange verabredet<br />

war. das kann<br />

ein liebevoll vorbereitetes Fünfgängemenü<br />

treffen oder einen abend, für<br />

den man schon die Babysitterin bestellt<br />

hatte. „Ich habe Kopfweh.“<br />

„ach so. Ja, schade …“ Vielleicht wird<br />

der Blick auf die Realität schon geformt<br />

von der digitalen Welt, in der<br />

man mühelos alles von hier nach da<br />

schieben kann, umdisponieren, grenzenlos,<br />

da erscheint auch ein treffen<br />

zwischen leibhaftigen Menschen irgendwann<br />

als eine Funktion, die man<br />

auch später, „mittelfristig“, aktivieren<br />

kann, vielleicht in drei Jahren?<br />

Eine Berliner Freundin von mir bewarb<br />

sich um einen Job an der Oper in<br />

München. das Gespräch war hocherfreulich.<br />

Man stellte ihr eine zweite<br />

Runde in aussicht, in zwei tagen maile<br />

man das Ergebnis, und dann sei es<br />

auch schon so weit. Sie fuhr also nicht<br />

nach Berlin zurück, sondern zu ihren<br />

Eltern nach Salzburg, um rascher nach<br />

München zu können. Keine Mail kam.<br />

auch nicht auf Nachfrage. Es hat sich<br />

auch nach vier Wochen noch niemand<br />

gemeldet. andere Leute verschicken,<br />

keineswegs unverlangt, Videos, gebundene<br />

Manuskripte, aufwendig<br />

hergestellte Bewerbungspakete, die<br />

sie nie wiedersehen. dass sie auch<br />

sonst nichts erfahren, versteht sich<br />

von selbst.<br />

Man könnte meinen, dass das mit<br />

der Kommunikation früher viel schlimmer<br />

war, wegen der Zeitnot. die Leute<br />

Dochwer<br />

ist<br />

Jean Paul?<br />

lebten kürzer, sie konnten<br />

nicht telefonieren,<br />

alles musste geschrieben<br />

werden, und zwar<br />

leserlich von Hand. der<br />

junge autor Jean Paul schickte sein<br />

erstes großes Manuskript an den schon<br />

bekannten Schriftsteller Karl Philipp<br />

Moritz. Wirklich ein Manuskript, also<br />

nicht bequem zu lesen. Zwölf tage<br />

später kam die antwort: „Wo wohnen<br />

Sie? Wie heißen Sie? Wer sind Sie? Ihr<br />

Werk ist ein Juwel!“ Heute müsste sich<br />

Jean Paul an eine agentur wenden<br />

und seine „Unsichtbare Loge“ erstmal<br />

als Exposé mailen. Nach zwölf tagen<br />

würde er per Mail nachfragen, ob alles<br />

angekommenist.<br />

Nach zwölf Wochen würde er vielleicht<br />

mal da anrufen. „Können wir<br />

Sie zurückrufen?“ Kein Wunder, dass<br />

keine Jean Pauls mehr gibt.<br />

Wochenendbeilage<br />

Sonnabend, 12. März 2011<br />

Er ist einfach nicht kaputtzukriegen:<br />

In Bremen kündet diegigantische Ruine<br />

eines U-Boot-<strong>Bunker</strong>s von dem<br />

hektischen Größenwahn der Nazis<br />

in denletzten Kriegsjahren.<br />

1800 Menschen verloren beiden<br />

Bauarbeiten ihr Leben. Nun soll<br />

der Ort eine Gedenkstätte werden.<br />

Ist das ein später Sieg der Gerechtigkeit?<br />

Was<br />

bleibt<br />

VON GUNNaR MENKENS<br />

MIt BILdERN VON MaRtIN StEINER<br />

Sein Name war Jean, Jean aus Orleans. Die Deutschen<br />

hatten ihn verschleppt aus seiner Heimat<br />

und zu einem Sklaven gemacht. Oben auf dem<br />

Dach dieses monströsen <strong>Bunker</strong>s musste er, Holzplanken<br />

schleppend, über Bretter balancieren. 30<br />

Meter unter ihm bauten Tausende Männer, Häftlinge<br />

wie er, eine Werft für Unterseeboote, Hitlers neue<br />

Wunderwaffen. Irgendwann griff sich ein Aufpasser<br />

Jean heraus, einfach so, diesmal traf es eben ihn.<br />

Er schlug so heftig zu, dass Jean ein Brillenglas zerbrach.<br />

Das Gestell bastelte er zusammen, das Glas<br />

konnte er nicht ersetzen. Später wurde Jean noch<br />

einmal geprügelt, und auch das zweite Glas sprang<br />

in Scherben. Ohne Brille war der Franzose fast<br />

blind. Den <strong>Bunker</strong>herren war das egal, sie ließen ihn<br />

weiter über dem Abgrund Planken tragen. Ein<br />

Freund ging hinter ihm und half, so gut es ging.<br />

„Jean, geradeaus, ein bisschen nach links, ein bisschen<br />

nach rechts.“ Bis Jean aus Orleans eines Tages<br />

einen falschen Schritt setzte.<br />

An der Weser in Farge, einem nördlichen Stadtteil<br />

Bremens, steht seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges<br />

ein Ungetüm. 426 Meter Beton streckt sich durch<br />

die Landschaft, 33 Meter hoch, der <strong>Bunker</strong> „<strong>Valentin</strong>“<br />

ist eines der letzten und größten Zeugnisse nationalsozialistischen<br />

Rüstungsirrsinns. Ein Zaun<br />

aus Maschendraht umfasst diese monumentale<br />

Hässlichkeit, deren steinerne Hülle man Architektur<br />

nicht nennen mag, um die Architektur nicht zu<br />

verhöhnen. Kalkausspülungen vergangener Jahrzehnte<br />

zeichnen unregelmäßige weiße Flecken auf<br />

dicke Wände, als hätte jemand Farbe verschüttet.<br />

Manchmal fallen Betonbrocken zu Boden. Zum<br />

Fluss hin ließen die Planer im Beton eine meterhohe<br />

Öffnung, aus der U-Boote hinausgleiten sollten, auf<br />

Feindfahrt, Schiffe versenken. Aus der Luft betrachtet<br />

wirkt die Aussparung wie das Schlupfloch<br />

einer riesigen Schachtel, aus dem Katzen ins Freie<br />

springen, wenn sie Lust auf Vögel haben. Nun wird<br />

am 8. Mai aus diesem <strong>Bunker</strong>, der 1800 Menschen<br />

das Leben gekostet hat, eine Gedenkstätte.<br />

Weiter auf den nächsten seiten P


Sonnabend, 12. März 2011<br />

7 Fragen an den experten<br />

Habbo KnocH,<br />

Geschäftsführer<br />

derStiftung<br />

niedersächsischer<br />

Gedenkstätten<br />

P Herr Knoch, diegeplante Gedenkstätte in<br />

bremen birgteinekleine Kuriosität:Sie liegt<br />

verteilt auf denFlächen vonzweibundesländern.Der<br />

U-boot-bunkergehörtzubremen,<br />

dieangrenzenden Häftlingsbaracken zählen<br />

zumniedersächsischenSchwanewede.Wie<br />

bringen Siedas zusammen?<br />

Indem beide Länder die Zukunft dort gemeinsam<br />

planen. Der <strong>Bunker</strong> mag in seiner Monstrosität<br />

im ersten Moment bei Besuchern mehr<br />

Aufmerksamkeit erregen; er lässt sich aber<br />

nicht trennen von den Lebensbedingungen<br />

der Zwangsarbeiter und KZ-Häftlinge, die<br />

hier ausgebeutet wurden.<br />

P DerSchwanewederTeilist wohl einer der<br />

verstecktesten orte nationalsozialistischer<br />

Verbrechen. Es gibtnur noch einpaar<br />

Mauerreste,imWortsinnist Gras drüber<br />

gewachsen. Wiewollen Siedie historische<br />

bedeutungsichtbarmachen?<br />

Jedenfalls nicht durch Rekonstruktionen. Es<br />

geht darum, die Topografie der Landschaft<br />

wieder lesbar zu machen, mit Tafeln oder multimedialer<br />

Technik inBild und Ton. Manche<br />

Überreste der Treibstofflager können einen<br />

guten Eindruck vermitteln von den Bedingungen<br />

damals. Die räumliche Verbindung<br />

zum U-Boot-<strong>Bunker</strong> muss anschaulich werden.<br />

Wo waren die Unterkünfte? Wie lebten<br />

die Häftlinge? Wie weit war es zum <strong>Bunker</strong>?<br />

P nun hat das Land bremen vombund1,9<br />

Millionen Euro bekommen,umseinenTeilzu<br />

gestalten.Wie stehtesumdie Finanzen für<br />

dasniedersächsische Gelände?<br />

DasProjekt wird seit Jahren vonder Stiftung<br />

mitgeplant, es ist aber auch wegen des <strong>Bunker</strong>s<br />

und der Ansiedlung der Gedenkstätte<br />

dort ein Projekt mit bremischem Schwerpunkt.<br />

Die bestehenden Angebote von zwei<br />

Initiativen vor Ort sind dabei auch zu berücksichtigen.<br />

Unter den 15 Gedenkstätten in Niedersachsen<br />

gibt es derzeit zumindest sechs<br />

großeProjekte, diefinanziert werden müssen.<br />

Die Stiftung bemüht sich um Geld, aber im<br />

Moment können wir das Projekt nur inhaltlich<br />

undplanerischunterstützen.<br />

P Es bleibt,mit anderen Worten,auf<br />

unabsehbare Zeit alles, wieesist?<br />

Das will ich nicht hoffen. Aber wir müssen<br />

auch die weitere Planung mit der Bremer Seite<br />

fürunsereSchritteabwarten.<br />

P Welche RollebekommtSchwanewede<br />

unterniedersächsischenGedenkstätten?<br />

Wir achten bei der Förderung insbesondere<br />

auf die exemplarische Bedeutung des historischen<br />

Ortes. So wird in Moringen unter anderem<br />

an die Besonderheit der frühen Verfolgung<br />

von Frauen 1933 erinnert. In Wolfenbüttel<br />

befand sich ein zentraler Hinrichtungsort<br />

derNS-Justiz. Oder Bergen-Belsen: Dort wird<br />

dasMassensterben beiKriegsendeerkennbar.<br />

Der <strong>Bunker</strong> und die Lager inSchwanewede<br />

veranschaulichen die Rolle der Marine bei der<br />

Ausbeutung von Zwangsarbeitern und wie<br />

sich Ingenieure undRüstungsexperten immer<br />

weiter vonhumanitären Werten entfernten.<br />

P Welche Rollehat dieMarinegespielt?<br />

Die verheerenden Bedingungen, die zum Tod<br />

von1800Häftlingengeführt haben, zeigen die<br />

wahnwitzige Rüstungsproduktion. Und die<br />

Irrationalität eines Regimes, dessen Unterstützer<br />

bis zuletzt auf den „Endsieg“ hofften.<br />

P DasProjektläuftüberfünfJahre.Wie<br />

stellen Siesichdas GeländeamSchluss vor?<br />

Als Dokumentationsort ohne Grenzen. Und<br />

alseinheitlich erschlossenesGelände,das den<br />

<strong>Bunker</strong> in derRüstungslandschaft kontextualisiert.<br />

FortSetzung<br />

Ein paar Monate zuvor ist es eisig kalt an<br />

diesem Morgen an der Weser. Im <strong>Bunker</strong><br />

schafft es eine röhrende Heizung, ein ausgeräumtes<br />

Depot auf ein paar Grad über null zu<br />

erwärmen. Hier lagerte die Bundeswehr allerlei<br />

Material, bis sie Ende letzten Jahres auszog.<br />

Hinter dieser leeren Halle, getrennt durch ein<br />

stählernes Tor, liegt eine groteske Ödnis aus<br />

Stein, die Ruine einer Werft. Der Betonboden<br />

ist feucht, es tropft von der Decke. Ein Spannbetonträger<br />

ragt aus der Decke, Schutt liegt unter<br />

ihm. Hier schlug im März 1945 die Bombe<br />

eines britischen Fliegers ein und riss ein Loch,<br />

das letztlich das Ende der Bauarbeiten bedeutete.<br />

Brackiges Wasser steht hoch in einem Tauchbecken.<br />

In Nischen leben Fledermäuse, auch ein<br />

Uhu hat den stillen <strong>Bunker</strong> zu seiner Heimat<br />

gewählt. Kein U-Boot hat diese Werft jemals<br />

verlassen, die doch mit ihrem Betonmantel so<br />

gut geschützt sein sollte.<br />

Wo heute Tiere in Frieden leben, beherrschte<br />

von 1943 bis 1945 eine Baustelle ungeheueren<br />

Ausmaßes Farge an der Weser. Im Wettstreit<br />

der Waffensysteme war Großadmiral Karl Dönitz<br />

der konsequenteste Lobbyist in eigener Sache,<br />

als er Hitler überzeugte, im Seekrieg auf<br />

Unterwasserschiffe zu setzen. „Mit der U-Boot-<br />

Waffe allein wird die Marine ihren entscheidenden<br />

Sieg beisteuern können. Diesem Ziel<br />

muss jedes Opfer gebracht werden.“ Was Dönitz<br />

so martialisch verlangte, wurde an der Weser in<br />

die Tat umgesetzt. Beinahe wie Volkswagen<br />

sollten Tauchboote am Fließband entstehen,<br />

alle 56 Stunden eines, montiert an zwölf getakteten<br />

Stationen, ehe imletzten, entscheidenden<br />

Vernichtung<br />

durchArbeit<br />

Test ein Becken geflutet und geprüft würde, ob<br />

Wasser ins Boot dringt. Noch heute reicht der<br />

Betonschacht ein Dutzend Meter in die Tiefe.<br />

Niemand weiß, wie es auf seinem Grund aussieht.<br />

Die Marine wollte nicht ein beliebiges Boot<br />

bauen in Farge, sondern das modernste der<br />

Welt. „U-21“ war schneller als alle Vorgängermodelle,<br />

und es konnte dank neuartiger Motoren<br />

und eines Schnorchels lange Zeit unter<br />

Wasser fahren. Es galt als das erste wirkliche<br />

U-Boot, ein Unterwasserschiff, das auf dem<br />

Höhepunkt des totalen Krieges die Wende im<br />

Seekrieg bringen sollte. Es war konstruiert im<br />

Glauben, mit überlegener Technik diesen Krieg<br />

doch noch gewinnen zu können. Man berauschte<br />

sich am eigenen Können.<br />

In den letzten Monaten, als alles längst verloren<br />

war, wiederholte sich diese Hoffnung auf<br />

eine Wunderwaffe: In Peenemünde in Mecklenburg-Vorpommern<br />

forschten Techniker an Raketen<br />

mit großer Reichweite, vom ersten Düsenjäger<br />

erhoffte sich Hitler die Wende am Himmel.<br />

In Bremen-Farge kam man zuvor gut voran,<br />

an Baustoffen herrschte kein Mangel, und<br />

10 000 Zwangsarbeiter wurden genötigt, für<br />

Deutschlands Sieg zu schuften und zu sterben.<br />

Im März 1944 kam der 17 Jahre alte Erich<br />

Metz, den alle Welt nur „Erle“ nannte, auf dieser<br />

Baustelle an. Der junge Mann war überwältigt.<br />

So etwas hatte er noch nie zuvor gesehen.<br />

Dutzende Kräne ragten neben monumentalen<br />

Betonwänden in den Himmel und schwenkten<br />

tonnenschwere Teile durch die Luft, Kleinspurlokomotiven<br />

zogen Waggons übers Gelände, am<br />

Kai lieferten Schiffe Baustoffe an, Leitungen<br />

pumpten Beton aufs Dach, Treppen führten hinauf<br />

auf den <strong>Bunker</strong>. All diese Arbeiter, Hunderte<br />

von ihnen in den gestreiften dünnen Jacken<br />

und Hosen der KZ-Häftlinge, wirkten wie<br />

Ameisen im Vergleich zu dem Giganten, der mit<br />

jedem Tag höher wuchs.<br />

Die meisten Männer waren nicht freiwillig<br />

hier. Nazis verschleppten sie aus allen Teilen<br />

Europas, aus Frankreich, Polen, Russland und<br />

den Niederlanden, Kriegsgefangene, Zwangsarbeiter<br />

und Häftlinge aus dem Konzentrationslager<br />

Neuengamme. Der junge Erich Metz<br />

störte sich kaum daran. Er hatte trotz seines jugendlichen<br />

Alters eine Gruppe polnischer Gefangener<br />

unter sich, und er wollte dem Vaterland<br />

und seiner Firma dienen.<br />

Seine Männer luden Baumaterial in Loren<br />

und schoben sie nur mit der Kraft ihrer Muskeln<br />

ein paar Hundert Meter weiter, um es dort<br />

wieder auszuladen. Dann ging alles von vorne<br />

los, zwölf Stunden dauerte eine Schicht. Aber<br />

Erich Metz sah nicht so sehr die Fronarbeit. Er<br />

sah die einzigartige Technik, die Meisterschaft<br />

die sachen der woche<br />

der Organistion, und er glaubte an Deutschlands<br />

Sieg. „Wir waren ja neugierig und begeistert,<br />

dass wir mitwirken durften. In jungen<br />

Jahren war ich wie alle anderen ständiger Propaganda<br />

ausgesetzt, mit einer Intensität, die<br />

kann man sich heute kaum vorstellen. Erst später<br />

setzte bei mir ein Reifeprozess ein.“<br />

Metz lebt heute in Neustadt an der Weinstraße.<br />

Er ist einer der letzten Zeitzeugen und erzählt<br />

im Gespräch sehr offen von diesem <strong>Bunker</strong><br />

und der Werft, die ihn sein Leben lang geprägt<br />

hat. Er erzählt von seiner Faszination und<br />

von seinem Nachdenken Jahre danach. Erich<br />

Metz ist heute 84 Jahre alt, er arbeitete nach<br />

dem Krieg eine lange Zeit als Architekt in Bremen.<br />

Dass es bald eine Gedenkstätte geben<br />

wird, freut ihn sehr. Dennoch legt er Wert da-<br />

1800 Zwangsarbeiter sind beim Baudes <strong>Bunker</strong>sumgekommen.<br />

rauf, dass es nicht so grausam zuging wie in<br />

Konzentrationslagern. Auf der Baustelle, sagt<br />

er, „gab es keine Vernichtung durch Arbeit, die<br />

Leute wurden ja gebraucht. Das Drama spielte<br />

sich in den Lagern ab“.<br />

Es waren sieben Lager, in denen die Häftlinge<br />

rund um den <strong>Bunker</strong> hausten. Sie lebten in<br />

einem Treibstofflager unter der Erde und in<br />

zahllosen Baracken. Mit einem perfiden hierarchischen<br />

System wurden die Gefangenen überwacht.<br />

SS-Männer und Soldaten der Marine<br />

gehörten dazu, aber auch Häftlinge wurden zu<br />

Aufsehern ernannt. Sie erhielten Vergünstigungen,<br />

die das Überleben erleichterten, und<br />

niemand wollte sie gefährden. Und so griffen<br />

sich diese Kapos Männer heraus, Gefangene<br />

wie sie selbst, wenn ihnen der Sinn nach Miss-<br />

CD Verwundete Reime<br />

rÜCKSpIegeL Das erste Mal Leben oHne ... Blu-ray<br />

Der strengeDuttist weg. Ein<br />

niedliches Ringelshirt zieht<br />

sieauchnicht mehr an. LykkeLi<br />

macht Schluss mit dem Image<br />

der goldigen Elektroelfe aus<br />

Schweden – und vertont auf ihremzweitenAlbum<br />

„Wounded<br />

Rhymes“ lieber alle Facetten einer<br />

verwundeten, traurigen<br />

Seele. Und das steht ihr gut.<br />

Ebenso wie die jetzt dunklen Haare und der<br />

exzentrische Look,den sie sich verpasst hat.<br />

Auf dem Debüt „Youth Novels“ (2008)<br />

hauchte sie noch Zeilen wie „Dance Dance<br />

Dance“, ein bisschen naiv, aber imschönen<br />

Stilmix aus Folk, Pop und Elektro. Das gefiel<br />

einigen Internetbloggern, die ihre Musik<br />

schnell verbreiteten, ebenso wie ihren Kleidungsstil:<br />

Aufzahlreichen Webseitengibtes<br />

denLykke-Li-Lookmit Stirnbändern undRömersandalenzum<br />

Nachmachen.Und so ziert<br />

die zierliche junge Dame inzwischen sogar<br />

dieaktuelleKampagne vonLevi´s.<br />

Nun erhebt die 24-Jährige Traurigkeit zu<br />

ihrer Kunstform, jugendliche Depression<br />

IntervIew:GunnarMenkenS<br />

„Wir waren begeistert, dass wir mitwirken durften“:<br />

Diedeutschen Fachkräfte,die dieZwangsarbeiter<br />

beaufsichtigten, glaubten an dietechnische<br />

Überlegenheit der Wehrmacht.<br />

zum roten Faden – so schön<br />

und modern umgesetzt war<br />

Schwermütigkeit lange nicht.<br />

Die „verwundeten Reime“, die<br />

der Albumtitel verspricht, gibt<br />

es überall zu finden: In der nur<br />

mit leichtem Handklopfen und<br />

E-Gitarrevertonten Odeandie<br />

unerwiderte Liebe („Unrequited<br />

Love“) und im Blues der reichen<br />

Kinder („Rich Kids Blues“). Das Flehen<br />

gerät in „Youth Knows No Pain“, dem Eröffnungssong,<br />

jedoch umeiniges lauter: Wie<br />

ein Donnergrollen platzen die Pauken herein<br />

und brechen die eigentlich eingängige<br />

Melodie, hier istLykkeLimehrKateBushals<br />

CharlotteGainsbourg. In „Get Some“schlägt<br />

Misanthropie in Wut und Anklage um. Wie<br />

im Wahn poltern die Trommeln, esklingt<br />

wieeineVoodoo-Zeremonie gegen sexuelle<br />

Abhängigkeiten. „I’m your prostitute“ singt<br />

sie ruppig.Esist derbeste Song desAlbums.<br />

HannaH Suppa<br />

Lykke Li: „Wounded Rhymes“. Warner<br />

aM 13. MäRZ 1772 WiRD<br />

aM HERZöGLicHEn oPERnHaUS<br />

in bRaUnScHWEiG LESSinGS<br />

„EMiLia GaLoTTi“ URaUFGEFüHRT.<br />

Es war ein Trauerspiel. Gotthold Ephraim<br />

Lessing hat nach angelsächsischem Vorbild<br />

eine neue Gattung in den deutschen<br />

Theaterbetrieb eingeführt. „MissSaraSampson“<br />

hieß 1755 sein erstes bürgerliches Trauerspiel.<br />

Das zweite sollte eines seiner größten<br />

Erfolge werden: „Emilia Galotti“ erzählt<br />

die Geschichte einer Bürgerstochter, die, um<br />

der Verführung durch einen Grafen zu entgehen,von<br />

ihremVater ermordet wird.<br />

Bei der Uraufführung seines Stückes war<br />

Lessing klar, dass das Theater nicht mehr seine<br />

Welt sein würde. Nach Jahren, die er in<br />

Hamburginunmittelbarer Nähe derBretter,<br />

die die Welt bedeuten, verbracht hatte, war<br />

er ab 1770 Bibliothekar der Herzöglichen Bibliothek<br />

in Wolfenbüttel. Zwei Jahre später,<br />

am Sonntag vor 239 Jahren, hob sich im benachbarten<br />

Braunschweig derersteVorhang<br />

für „Emilia Galotti“. Den Zeitpunkt hatte Les-<br />

LandeszentraLefür poLitische BiLdung Bremen/staatsarchiv Bremen (4)<br />

sing nicht freiwillig gewählt. Anjenem 13.<br />

März sollte derGeburtstag derHerzogin gefeiert<br />

werden, und der Braunschweiger<br />

Theaterdirektor hatte gedroht, er würde das<br />

bislang unvollendete Stück mit einem eigenen<br />

Schluss zurAufführungbringen.<br />

Wie das Stück dann ausgegangen wäre,<br />

mochte Lessing sich wohl nicht einmal ausmalen.<br />

Schließlichwar er auch mitdem Spiel<br />

der Truppe so wenig zufrieden, dass er der<br />

Premiere fernblieb und auch keine weitere<br />

Aufführung inBraunschweig gesehen hat.<br />

Einer anderen –eher unwahrscheinlichen –<br />

Lesart zufolgesollLessingauchder Reaktion<br />

seines feudalen Publikums auf das adelskritische<br />

Stück ausgewichen sein. Die Premiere<br />

jedenfalls war ein Flop. „Emilia“ setzte sich<br />

erst später durch.<br />

Im Braunschweiger Theater blieb man<br />

aber unbeeindrucktselbstbewusstund führte<br />

neue Stücke junger Autoren auf. Eins davon<br />

ist heute sogar noch bekannter als Lessings<br />

Trauerspiel: 1829 wurde Goethes<br />

„Faust“inBraunschweig uraufgeführt.<br />

Stefan arndt<br />

Haben Sie auch schonBlu-ray?Das ist, wie<br />

Werbemenschen sagenwürden, „senju<br />

deimenschen“ of what wir Videogucken<br />

nennen. Eine Blu-ray Disc (kurz:<br />

BD, hierzulande: BRD) sieht aus<br />

wie eine handelsübliche DVD,<br />

trägt aber noch viel mehr Bildpunkte<br />

mitsichherum.Klingtnach<br />

Masern,ist aber gut, denn dieBildpunkte<br />

sind eine Art rote Blutkörperchen<br />

der Blaustrahlscheibe.<br />

Und das macht das Bild noch schärfer, noch<br />

klarer, noch farbiger. Hinzu kommt ein Turbosurroundsound,<br />

der besser ist als das eigene<br />

Gehör.<br />

Die BRD bietet also alles das, was sie uns<br />

damals beider Einführungder DVDaucherzählt<br />

haben. Was im Umkehrschluss heißt,<br />

dass auf den alten Videokassettenbriketts<br />

nicht viel mehr als unscharf verwaschene<br />

Schemenzuerkennen undnur dumpfesGemurmel<br />

zu hören waren. Filme mit kleinen<br />

Menschen wie„Schneewittchen“waren auf<br />

VHSrausgeschmissenesGeld.Mit Blu-ray dagegen<br />

ist man bei großen Schlachten mit-<br />

Die <strong>Bunker</strong>anlage von außen: Heute mit Windrad – und 1944 mit Kränen. K<br />

tendrin und kann auch erkennen, obder<br />

Krieger in der 14 000. Reihe ein guter Charakterdarstellerist.Wennman<br />

will.<br />

Es istwie in derWaschmittelwerbung.<br />

Das Weiß war schon vor 30<br />

Jahren weiß. Dann wurde es immer<br />

weißer.Irgendwann wuschWaschmittel<br />

so weiß, weißer ging’snicht.<br />

Und dann ging’s doch. Metaweiß.<br />

Mit Ariel, Dash, Persil, Omo und<br />

dem phantastischen TAED-System,<br />

das Audi später zur Stotterbremse weiterentwickelt<br />

hat. Selbst Trill und Chappi schienen<br />

1982 weißer zu waschen als das, was<br />

man vorher für weiß gehalten hatte. Im Gegenteil.<br />

Pulver, flüssig, inKugeln, im Nachfüllpack,<br />

als Konzentrat. Demnächst kann<br />

man seine Sachen im Internet waschen lassen.<br />

Hochladen statt topladen. In Topqualität.<br />

Blu-ray statt Stichweh. Wäscht so blu,<br />

bluer geht’s nicht. uwe JanSSen<br />

Janssen & Grimm live: 18. März Glashaus<br />

Derneburg, 25. März Brelinger Mitte.<br />

Infos: www.janssenundgrimm.de<br />

Eine britische Bombestoppte dieBauarbeiten 1945.Das Loch,das sieindie Decke schlug, ist nochimmer zu sehen.<br />

handlung stand oder sie Vorgesetzten imponieren<br />

wollten. Ohne die 10 000 Leidenden hätte<br />

dieser U-Boot-<strong>Bunker</strong> niemals entstehen können;<br />

aber trotz schwerster körperlicher Arbeit<br />

war die Verpflegung so miserabel, dass selbst<br />

ein SS-Arzt warnte, die Körper der Männer<br />

würden sich bald selbst aufzehren. Im Winter<br />

stiegdie Todesratedramatisch.<br />

Raymond Portefaix, ähnlich jung wie Erich<br />

Metz, gehörte zu den Häftlingen. Er war verschleppt<br />

worden, gemeinsam mit allen Männern<br />

aus seinem Dorf in der Provence, es war ein Racheakt<br />

der deutschen Besatzer für ein tödliches<br />

Attentatfranzösischer Widerstandskämpfer auf<br />

einen Gestapo-Offizier. Der deportierte Portefaix<br />

schrieb später ein Buch über seine Zeit in<br />

Bremen-Farge, er hat es „Vernichtung durch Ar-<br />

dIe zahlen der<br />

Woche<br />

72 Prozent derMütterinDeutschland sind<br />

erwerbstätig<br />

77 Prozent derMüttermit einemKind<br />

gehen einemBeruf nach<br />

72 Prozent derMüttermit zwei Kindern<br />

gehen arbeiten<br />

86 Prozent derMütterinSlowenien sind<br />

erwerbstätig<br />

79 Prozent derMütterinLitauen undden<br />

Niederlanden<br />

60 Prozent dergriechischen Mütter gehen<br />

nichtarbeiten<br />

55 Prozent deritalienischen<br />

Quelle: StatistischesBundesamt<br />

beit“ genannt. Es ist ein exakter Bericht darüber,<br />

was die Angst vor dem Tod mit einem Menschen<br />

anstellt. Portefaix hatte lange Zeit Zementsäcke<br />

geschleppt, er schaufelte Beton in<br />

Mischmaschinen, bis es ihm immer schlechter<br />

ging. Irgendwie musste es ihm gelingen, ins<br />

Krankenlager zu kommen. Aber sein Versuch<br />

scheiterte, sich mit einer Schaufel eine Wunde<br />

in den Fuß zu schlagen. Als er aus drei Metern<br />

Höhe auf Betonboden sprang, reicht seine Kopfverletzung<br />

nicht aus für eine Einweisung. Erst,<br />

als er Mengen von Kohl aß und Blut in seinen<br />

Stuhlgang mischte, wurde er aufgenommen.<br />

Ruhr, vermuteten die Ärzte. Seine Entlassung<br />

zögerte Portefaix hinaus, weil er Nadel und Faden<br />

mit üblem Dreck verschmutzte. Portefaix<br />

zog sie durch den Dreck. Er stach die Nadel in<br />

WeIn<br />

Albert Kallfelz ist ein meinungsstarker<br />

Mann, der seine „Ansichten eines Mosel-Winzers“<br />

(so der Untertitel) in<br />

einem Büchlein mit dem Titel<br />

„Wein, Mensch, Natur“ zusammengefasst<br />

hat. Dort gibt ernicht nur<br />

eine gut lesbare Einführung ins<br />

Thema Wein, sondern erläutert<br />

auch das Besondere der Moselweine.<br />

Und in dem Buch begründet er<br />

seine Entscheidung für Plastikkorken,<br />

die man aber nicht ganz so<br />

entschieden teilen muss wie seine<br />

Abneigung gegen Korken. Allerdings<br />

gehören die von Kallfelz benutzten<br />

Syncor-Pfropfen offensichtlich<br />

zu denbesten: Alle vonmir<br />

gekosteten Weine waren frisch, lebendig<br />

undeintönig.<br />

Alle gehörten zur Kallfelz-Kategorie<br />

„Selection“,<br />

dieerlange vorder<br />

gleichnamigenSpezifikationdesDeutschenWeingeset-<br />

Reiner Riesling<br />

die Haut unter seinem Knie und begann zu warten.<br />

Er hatte Glück: Die erhoffte schwere Entzündung<br />

verschonte ihn weitere Tage vor der<br />

zermürbenden Schwerstarbeit am Beton. Einmal,<br />

schreibt Portefaix, war sein Hunger so<br />

groß, dass er einem todkranken Mann das Brot<br />

stahl. Der Franzose hat Farge überlebt.<br />

Es ist vielleicht ein später Sieg der Gequälten<br />

und in Massengräbern Verscharrten, dass die<br />

Ruine wegen ihrer massiven Wände und Decken<br />

erst unzerstörbar blieb und nun an ihr Leben<br />

erinnern wird. Hätten die Briten den <strong>Bunker</strong><br />

nach Kriegsende gesprengt, wäre von der<br />

Druckwelle des benötigten Sprengstoffes der<br />

halbe Stadtteil gefährdet gewesen. Die Engländer<br />

nutzten die Betondecke stattdessen, um die<br />

Durchschlagskraft eigener Bomben zu testen.<br />

Offenbar ließ die Faszination des Betongiganten<br />

auch nach Kriegsende wenig nach. „Das<br />

achte Weltwunder“ überschrieb eine Bremer<br />

Tageszeitung noch 1952 einen Bericht, dessen<br />

Autor Spekulationen über die Zukunft dieses<br />

auf barbarische Art gebauten Klotzes anstellte.<br />

Er mag daran gedacht haben, dass auch beim<br />

Bau der Pyramiden 10 000 Menschen unter<br />

schwersten Bedingungen geschuftet haben.<br />

Kuriose Überlegungen machten die Runde,<br />

nachdem feststand, dass das Monstrum wohl<br />

ewig am Fluss stehen würde. Ein Lokal auf dem<br />

Dach, wo die Bremer doch sowieso schon gerne<br />

am <strong>Bunker</strong> badeten; ein Lagerplatz für Weltkriegsschutt;<br />

als Ort, um Atomwaffen zu lagern<br />

oder einen Kernreaktor zu ummanteln. Alles<br />

schien möglich. Die Baracken in den Lagern<br />

waren da längst abgerissen. Nur wenige Menschen<br />

hatten die Toten im Sinn.<br />

Fünf Jahre lang haben der Bremer Historiker<br />

Marcus Meyer und seine Kollegen nun Zeit, aus<br />

dem <strong>Bunker</strong> eine Gedenkstätte zu entwickeln.<br />

Nach dem Abzug der Bundeswehr ist Platz, die<br />

Geschichte vom <strong>Bunker</strong> „<strong>Valentin</strong>“ zu erzählen.<br />

Von der Marine, den Häftlingen und den Nachbarn,<br />

die mitbekommen hatten, was sich auf<br />

dieser vier Quadratkilometer großen Baustelle<br />

tat, Tag und Nacht. Die Eröffnung am symbolischen<br />

8. Mai, dem Tag, als Admiral Dönitz die<br />

deutsche Kapitulation unterzeichnete, ist ein<br />

erster Schritt: Besucher können außen am <strong>Bunker</strong><br />

entlanggehen, im ehemaligen Depot eine<br />

Dokumentation ansehen und, wenn Meyer mit<br />

einem Knopfdruck dieses Stahltor zur Seite<br />

schiebt, einen Blick in die Überreste der U-<br />

Boot-Werft werfen.<br />

Dort liegen auch Überbleibsel aus jüngerer<br />

Zeit, ein Holzsteg etwa, den Theaterregisseur<br />

Johann Kresznik für seine Inszenierung „Die<br />

letzten Tage der Menschheit“ benötigte.<br />

Die Werftruinen dürfen Besucher vorerst<br />

nicht betreten. Zu gefährlich, sagt das Bauamt,<br />

es gibt noch keine Sicherungen und keine Wege.<br />

Weil Meyer aber gut vier Millionen Euro vom<br />

Bund und der Stadt Bremen zur Verfügung hat,<br />

soll „<strong>Valentin</strong>“ allmählich erschlossen werden.<br />

Der Historiker kennt die Anziehungskraft, die<br />

tote Orte haben können, aber darum geht es<br />

ihm nicht bei der Konzeption des Gedenkortes.<br />

„Wir wollen den <strong>Bunker</strong> in allen Facetten erklären,<br />

nicht nur seine für viele faszinierende<br />

technische Dimension. Er ist das Synonym für<br />

eine Gesellschaft im Krieg.“<br />

Dann wird sich auch ein Platz für eine kleine<br />

Dose finden und die Geschichte, die dazugehört.<br />

Erich Metz war erst wenige Monate auf<br />

der Baustelle, da sprach ihn zwischen den Baracken<br />

ein italienischer Zwangsarbeiter an.<br />

„Brot“, bat er. Der Mann streckte dem jungen<br />

Bauzeichner eine Büchse aus hellem Blech entgegen,<br />

groß wie zwei Zigarettenschachteln, sie<br />

sollte sein Tauschobjekt sein für einen halben<br />

Laib. Metz gefiel die handwerklich geschickt<br />

gearbeitete Dose, bat den Italiener aber, zur Er-<br />

zeskreierteunddiestrengereMaßstäbeanlegt. Schon sein trockener Riesling-Kabinett<br />

von der Lage Merler Adler ist elegant,<br />

ausgewogen, duftig, aber<br />

auch leicht mineralisch: Der Schieferboden<br />

spiegelt sich in allen Kallfelz-Weinen.<br />

Säure und Restzucker<br />

sind ausgewogen (knapp über sieben<br />

Gramm). Der Vergleich mit der<br />

feinherben Variante (ebenfalls 6,95<br />

Euro)ist reizvoll,weilder Wein duftiger<br />

wirkt, aber beim zweiten Glas<br />

ist mir die trockene Variante dann<br />

doch lieber. Soschön diese Weine<br />

undder feinherbe Riesling Hochgewächs<br />

auch sind, mein Liebling ist<br />

die trockene Spätlese von der Spitzenlage<br />

Merler Königslay-Terrassen,<br />

dieKallfelzfastimAlleinbesitz<br />

gehört: ansprechend und animierend,<br />

biegsam und<br />

2009 Merler rIeSlIng<br />

KönIgSlay-TerraSSen SpäTleSe Tr.,<br />

9,40 euro. Tel. (0 65 42) 938 80<br />

Selbstverstümmelung stattZwangsarbeit:<br />

Ein Porträt von Raymond Portefaix ist auch in der<br />

Gedenkstätte zu finden (Bildrechts, linksunten).<br />

gehaltvoll. Es muss<br />

nicht immer viel AlkoholimSpiel<br />

sein!<br />

RaineR WagneR<br />

Der Franzose hat ein Buch über seine<br />

Verschleppung nach Bremen geschrieben.<br />

daS DING<br />

Neulich trat dieErfinderin desBinnen-I in<br />

Hannover auf ... Verzeihung: Neulich<br />

trat die ErfInderIn des BInnen-I in Hannover<br />

auf. Und das, obwohl Hannov-Er natürlich<br />

eine männliche Stadt ist, sonst hieße sie ja<br />

Hannov-Sie. Andererseits heißt es „die<br />

Stadt“ und„dasHannover“.<br />

Hannover muss also ein<br />

Zwittersein, obwohl ja auch<br />

einZwitt-Er eher ein„Er“ist<br />

undkeine Zwitt-Sie oder ein<br />

Zwitt-Es ...<br />

Es ist nicht so einfach mit<br />

der gendersensiblen Lingualakrobatik.<br />

Die sogenannte Binnenmajuskel„I“<br />

soll Sprachsexismus eliminieren, ohne<br />

beide Formen einzeln zu verwenden. Also<br />

beispielsweise, äh: KlapperInnenschlange,<br />

WetterInnenmoderator oder RottweilerIn.<br />

Problem 1: Das phallische Äußere des „I“<br />

(„Majuskel“ klingt ja auch ziemlich sexy).<br />

Problem 2:Manche Sätze mit Binnen-I sind<br />

zwar feministischvorbildlich,klingen ausgesprochen<br />

aber ausgesprochen dämlich,etwa<br />

dieser: „Mädchen sind die besseren Schüle-<br />

innerung Zeit und Ort einzustanzen und seinen<br />

Spitznamen dazu. „Erle“. Am nächsten Tag trafen<br />

sich die beiden Männer wieder, noch einmal<br />

heimlich an einer schwer einsehbaren Stelle<br />

zwischen den Hütten, Kontakte mit Häftlingen<br />

waren streng verboten. Der Italiener nahm das<br />

Brot, Metz die Büchse, dann ging jeder seiner<br />

Wege. Man sah sich nie wieder. Seither begleitet<br />

die Blechdose aus dem Lager den Deutschen.<br />

Krimskrams bewahrte er darin auf, Knöpfe,<br />

Schrauben, Beschläge, und immer lag sie in einer<br />

Schublade im Küchenschrank. Jetzt hat er<br />

sie den Bremern geschenkt. Die Blechbüchse<br />

wird später in der Ausstellung einen Platz bekommen.<br />

Von Jean blieb keine Spur.<br />

Der Historiker Marc Buggeln beschreibt in seinem<br />

Buch detailliert die Geschichte des Rüstungsprojekts.<br />

„<strong>Bunker</strong> <strong>Valentin</strong>. Marinerüstung, Zwangsarbeit<br />

und Erinnerung“ ist, versehen mit zahlreichen<br />

Fotos, in der Edition Temmen in Bremen erschienen.<br />

Wieesauf demGrund desAusfahrbeckens<br />

aussieht,weißniemand.<br />

Der Historiker Markus Meyer(unten) entwickelt<br />

dieGedenkstätte.<br />

Majuskelschwund<br />

KneIfzangerIch,<br />

ab 6 euro<br />

rInnen.“ (Ja, was denn sonst?). Problem 3:<br />

Binnen-Issindsehr, sehr hässlich.<br />

Inzwischen gibt esPlanungen, weibliche<br />

Wörter im Sinneder Geschlechtergerechtigkeit<br />

zu maskulinisieren. Wer ganz vorne mit<br />

dabei sein will, sagt jetzt Ärzt (statt Ärztin)<br />

oder Kneifzangerich (statt<br />

Kneifzange). Im universitären<br />

Umfeld hat man sich auf<br />

„Studierende“ geeinigt,<br />

weil „Studentinnen und<br />

Studenten“ doch ziemlich<br />

viel Kopierer-Toner verbraucht.<br />

Das Wort „Studierende“<br />

hat zudem den Vorteil, dass esdas<br />

„Studier-Ende“ in sich trägt. Im Übrigen<br />

müssten männliche Stud-Enten sowieso<br />

Stud-Erpel heißen.<br />

In den letzten Jahren freilich litten auch genderengagierte<br />

Publikationen an verstärktem<br />

Majuskelschwund. Heißt: Immer mehr Schreiberlinge<br />

und SchreiberlingInnen lassen den<br />

Quatsch einfach sein und schreiben wieder so,<br />

dass man den Kram auch lesen kann. Und Mann<br />

auch.SchönesWochenende! imRe gRimm<br />

Sonnabend, 12. März 2011<br />

So weit<br />

weg wie das<br />

Mittelalter<br />

In Ravensbrück gehen in meteorologisch<br />

betrachtet eher dunkleren Zeiten gelegentlich<br />

Schülergruppen über das Gelände des<br />

ehemaligen Konzentrationslagers. Bleiben<br />

sie stehen bei ihrer Führung, könnte es sich<br />

bereits um Pädagogik handeln. Ist es trüb,<br />

nass und kalt, das jedenfalls glauben mitunter<br />

Lehrer, könnten junge Menschen die Härten<br />

des Appells „besser nachfühlen“, denen<br />

Häftlinge ausgesetzt waren. Wer einen Ort<br />

des Grauens besucht, soll es selbst auch ein<br />

bisschen schwer haben.<br />

„Überwältigungspädagogik“ nennt Matthias<br />

Heyl diesen Ansatz. Der Leiter der Gedenkstättenpädagogik<br />

weiß, dass diese Idee<br />

der Wissenvermittlung nur noch von einer<br />

Minderheit bevorzugt wird. Sie ist oft verbunden<br />

mit der Erwartung, Besucher hätten<br />

mitzufühlen mit Opfern der Geschichte – obwohl<br />

ein Großteil der heutigen Schülergeneration<br />

zum Nationalsozialismus kaum noch<br />

familiäre Beziehungen hat. Wer schon den<br />

Mauerfall von 1989 nur aus Rückblicken<br />

kennt, dem kommt das Deutschland von 1933<br />

bis 1945 ähnlich ent-<br />

Neue<br />

Pädagogik<br />

für<br />

Gedenkstätten<br />

Ver t<br />

fernt vor wie das Mittelalter.<br />

Wer erwartet,<br />

Schüler hätten zu trauern<br />

an Orten von Verbrechen,<br />

der muss sich<br />

nicht wundern, wenn<br />

sich Jugendliche übergestülpten<br />

Ansprüchen<br />

entziehen. „Es überfordert Jugendliche und<br />

verschließt Zugänge“, sagt Heyl.<br />

In Ravensbrück können Besuchergruppen<br />

daher auch ohne Führung über das Gelände<br />

gehen, vorbei etwa an der ehemaligen SS-<br />

Siedlung, Zellenbau, Lagertor und symbolischen<br />

Vertiefungen, die an Häftlingsbaracken<br />

erinnern sollen. Die Schüler sollen beim<br />

Rundgang neugierig werden und selbst Fragen<br />

entwickeln, die Heyl und Kollegen anschließend<br />

zu beantworten versuchen – statt<br />

Antworten zu geben auf Fragen, die ihnen<br />

vielleicht nie gestellt worden wären. Ein Modell,<br />

das mit alten Gewohnheiten bricht.<br />

Jedenfalls, wenn es gut läuft. Heyl hat erlebt,<br />

dass diese Umkehrung der Situation<br />

sehr spannend sein kann; wie es aber auch<br />

quälende Stunden gab: Manches Desinteresse<br />

lässt sich mit dem besten Konzept nicht<br />

beheben, mögen auch 28 000 Menschen an einem<br />

Ort ermordet worden sein. Bei solchen<br />

Schülern bemerkt Heyl einen Effekt, wie er<br />

auch von Erwachsenen bekannt ist. „Meist<br />

beklagen sich die über zu viel Informationen,<br />

dieamwenigsten wissen.“<br />

Das Credo neuer Gedenkstättenpädagogik<br />

heißt: Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft<br />

in Beziehung zueinandersetzen und<br />

Lebenswelten der Jugendlichen berücksichtigen.<br />

Überlebende erzählen lassen und den<br />

Stolz der Täter auf Verbrechen zum Thema<br />

machen, damit Ideologien deutlich werden.<br />

Bezieht man die Umgebung von Verbrechensorten<br />

ein, ergeben sich oft Fragen, wie Menschen<br />

mit Unrecht in direkter Nachbarschaft<br />

umgegangen sind.<br />

Kinder aus Migrantenfamilien, sagt Heyl,<br />

hätten oft starkes Interesse an diesen Geschichten,<br />

weil sie oft selbst aus Ländern<br />

stammten, in denen Menschenrechtsverletzungen<br />

an der Tagesordnung seien. Dies sei<br />

Gelegenheit, die deutsche Diktatur als ein<br />

Land zu zeigen, in dem Millionen Menschen<br />

zum Beispiel mit der herrschenden Doktrin<br />

des Antisemitismus durchaus einverstanden<br />

waren. „Mit Betroffenheitspädagogik“, sagt<br />

Matthias Heyl, „erreichen wir dagegen niemanden.“<br />

gum<br />

Um am Leben zu bleiben,<br />

müsse er pro Tag drei bis<br />

fünf Hausbesuche machen.<br />

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