Der Irak-Krieg I: Der amerikanische Entscheidungsprozess - HSFK
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Hessische Stiftung<br />
Friedens- und<br />
Konfliktforschung<br />
<strong>Der</strong> <strong>Irak</strong>-<strong>Krieg</strong> I: <strong>Der</strong> <strong>amerikanische</strong><br />
<strong>Entscheidungsprozess</strong><br />
5. Vorlesung
Hessische Stiftung<br />
Friedens- und Konfliktforschung<br />
Inhalt<br />
• Die Vorgeschichte, erster Teil: <strong>Irak</strong>, die USA und die internationale<br />
Politik<br />
• Die Vorgeschichte, zweiter Teil: Die Entwicklung des<br />
Sicherheitsdenkens in der <strong>amerikanische</strong>n Rechten<br />
• Einige grundlegende Überlegungen zur Außen- und Sicherheitspolitik<br />
von Staaten<br />
• Die beiden „Bush-Koalitionen“<br />
• Außen- und Sicherheitspolitik in der Bush-Administration vor dem<br />
11. September<br />
• Die Änderungen durch den 11. September<br />
• Von der Koalitionsbildung zur „Achse des Bösen“<br />
• Die Wirkungen des <strong>Krieg</strong>sdiskurses<br />
• Die „Nationale Sicherheitsstrategie“<br />
• <strong>Der</strong> Umweg über die Vereinten Nationen<br />
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Friedens- und Konfliktforschung<br />
<strong>Der</strong> <strong>Irak</strong> wechselte vom Verbündeten zum Hauptfeind<br />
der USA<br />
• Zu Beginn seiner Amtszeit galt Saddam Hussein als relativ gemäßigter,<br />
säkularer arabischer Führer<br />
• Im <strong>Krieg</strong> gegen den <strong>Irak</strong> galt er als „heimlicher Verbündeter“ (Rumsfeld<br />
besuchte ihn 1984 als Abgesandter Präsident Reagans). Die irakischen<br />
Giftgaseinsätze wurden ignoriert<br />
• Die Annexion Kuweits (bei gleichzeitig sich verdichtenden Gerüchten<br />
über das Kernwaffenprogramm) mache den <strong>Irak</strong> zu einem erstrangigen<br />
geostrategischen Problem: Dominanz der Golfregion<br />
• <strong>Der</strong> Golfkrieg von 1991 erledigte das Problem nicht, wie erwartet<br />
• Seither bindet der <strong>Irak</strong> ständig große <strong>amerikanische</strong> Kräfte, ohne dass<br />
eine befriedigende Strategie gefunden worden wäre, mit dem Risiko<br />
neuer Massenvernichtungswaffenprogramme fertig zu werden<br />
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Im weltpolitischen Konzept der <strong>amerikanische</strong>n Rechten<br />
wurde der <strong>Irak</strong> schrittweise zur Schlüsselfrage<br />
• Bereits in den siebziger Jahren entwickelte das „Committee on the<br />
Present Danger“ eine Strategie der absoluten militärischen<br />
Überlegenheit und Konfrontation. Sie wurde unter Reagan z.T.<br />
umgesetzt.<br />
• Nach 1991 galt <strong>Irak</strong> in diesen Kreisen als unerledigtes Problem<br />
• In den frühen neunziger Jahren wurden „neue Rivalen“ und<br />
„Schurkenstaaten“ mit MVW als Hauptgefahr ausgemacht<br />
• Weltordnung sollte auf absoluter <strong>amerikanische</strong>r Überlegenheit<br />
beruhen, kein neuer Rivale sollte zugelassen werden (Defense<br />
Guidance 1992)<br />
• Eine (demokratische) Neuordnung für den Nahen Osten wurde<br />
gefordert. <strong>Der</strong> Regimewechsel im <strong>Irak</strong> war die ersten Bedingung<br />
(Perle/Feith-Artikel von 1996; Brief der 18 von 1998)<br />
• Die der Pax Americana angemessene Militärstrategie war völlige<br />
Überlegenheit, Raketenabwehr und Prävention (, Project for an<br />
American Century (1997), Rebuilding American Defence (2000)<br />
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Die Außenpolitik von Staaten ist nie allein durch äußere<br />
Verhältnisse zu erklären<br />
• Das „Billardball-Modell“ der Außenpolitik ist einleuchtend, aber<br />
falsch (Neorealistische Theorie)<br />
• Außenpolitik wird (außer in Personaldiktaturen) auch nicht<br />
lediglich von einzelnen Persönlichkeiten („wie breit lächelt<br />
Bush?“) gemacht<br />
• Die äußeren Umstände eröffnen Handlungsspielräume und/oder<br />
schränken sie ein. Sie diktieren nicht, wie diese inhaltlich gefüllt<br />
werden<br />
• Überragende Macht legt gleichfalls den Kurs nicht fest<br />
(Münklers „imperiale Logik“). Sie schafft nur relativ breite<br />
Handlungsspielräume<br />
• Je mächtiger der Staat, desto wichtiger der Einfluss der<br />
herrschenden Koalition und ihrer weltpolitischen Vorstellungen<br />
und Präferenzen für die Außenpolitik (liberale Theorie)<br />
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Die gegenwärtige Bush-Administration ist die bisher<br />
„rechteste“ Koalition in der US-Nachkriegsgeschichte<br />
• Die Republikaner setzen sich aus fünf unterschiedlichen ideologischen<br />
Formationen zusammen<br />
– „liberale Republikaner“: Multilateral, kooperativ, sozialstaatliche Ideen –<br />
heute nahezu eine ausgestorbene Spezies<br />
– „zentristische Republikaner“ gemäßigter Multilateralismus, Rücksicht aufs<br />
Völkerrecht und auf Allianzen, militärische Zurückhaltung<br />
– „Jacksonianer“: Imperiale Unilateralisten. Militärische Abwehr aller<br />
drohenden Gefahren, weltweite Präsenz<br />
– Neokonservative: Notfalls gewaltsame Erweiterung der „demokratischen<br />
Friedenszone“, Umgestaltung des Nahen Ostens; keine Beschränkung der<br />
Handlungsfreiheit durch (undemokratische) VN und Völkerrecht<br />
– Christliche Rechte: Unbedingte Unterstützung Israels (einschließlich der<br />
Annexion der West Bank), Ablehnung der VN, Feindschaft zum Islam<br />
• Unter Bush Vater dominierte die Gruppe 2 unter Beimischung von 1<br />
und 3 (Cheney). Unter Bush Sohn dominieren die Gruppen 3-5 unter<br />
Beimischung von 2 (Powell)<br />
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Grundzüge der heutigen Bush-Politik waren bereits vor<br />
dem 11. September zu spüren. Die Eindeutigkeit fehlte.<br />
• Die Bush-Regierung konzentrierte sich zunächst auf<br />
bevorstehende Großmachtrivalitäten (China, Russland)<br />
• Sie betrieb bereits einen breitflächigen Unilateralismus (Kyoto-<br />
Protokoll, Teststoppvertrag, Biowaffenkonvention, ABM-Vertrag<br />
usw.)<br />
• Im Pentagon wurden Planspiele für einen <strong>Irak</strong>-<strong>Krieg</strong> durchdacht<br />
(getrieben v.a. durch Wolfowitz)<br />
• Colin Powell versuchte, ein gewisses Gegengewicht zu geben,<br />
v.a. Wertschätzung der Atlantischen Allianz und Konsultationen<br />
mit den Verbündeten<br />
• Die neokonservative Strategie der Prävention und der<br />
gewaltsamen Demokratisierung von „Schurkenstaaten“ hatte<br />
sich noch nicht durchgesetzt<br />
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<strong>Der</strong> 11. September verschob die Gewichte innerhalb<br />
der Administration<br />
• <strong>Der</strong> Schwerpunkt schob sich weg von der Großmachtrivalität,<br />
dem traditionellen Ansatz der zentristischen Republikaner<br />
• <strong>Der</strong> Eindruck unmittelbar drohender Gefahr begünstigte die<br />
Durchsetzung der Bedrohungsanalysen von Neokonservativen<br />
und „Jacksonianern“<br />
• <strong>Der</strong> wahrgenommene Zwang zum unmittelbaren, einseitigen<br />
Handeln schob das Militär in den Vordergrund und schwächte<br />
den ohnehin kaum ausgeprägten Multilateralismus weiter<br />
• Denselben Effekt erzielte das neokonservative Argument, die<br />
bestehenden Institutionen seien nicht geeignet, mit den neuen<br />
Problemen umzugehen.<br />
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Einer Scheinblüte des Multilateralismus folgte ein immer<br />
stärkeres uniliaterales, militarisiertes Konzept<br />
• Zunächst ging es um die Formierung einer möglichst breiten<br />
Anti-Terror-Koalition, um die Voraussetzungen für die<br />
Kampagne in Afghanistan zu schaffen und möglichst starken<br />
repressiven Druck auf das Al-Qaida-Netzwerk zu entfalten<br />
• Auf der ersten Sitzung des NSC nach dem 11. September<br />
wollten Cheney, Rumsfeld, Wolfowitz ein Vorgehen gegen <strong>Irak</strong><br />
• Die „Achse-des-Bösen“-Rede des Präsidenten stellte die<br />
Weichen auf <strong>Krieg</strong><br />
• Im Frühjahr 2002 begann die konkrete militärische Planung<br />
• Die West-Point-Rede Bushs (Juni) leitete die öffentliche<br />
Werbung für den <strong>Krieg</strong> ein<br />
• Im Sept. wurde die „Nationale Sicherheitsstrategie“ vorgestellt<br />
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Grundbegriffe der Sprechakttheorie: Sprechen ist nicht<br />
nur Mitteilen, Sprechen ist Handeln<br />
Sprecher<br />
Locutionärer<br />
Aspekt<br />
Was wird gesagt?)<br />
Illocutionärer<br />
Aspekt:<br />
Was wird gemeint?<br />
Perlocutionärer<br />
Aspekt:<br />
Was wird erreicht?<br />
Zustimmung/Ablehnung<br />
Hörerschaft<br />
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Für die Durchsetzung der neokonservativen Positionen<br />
war der <strong>Krieg</strong>sdiskurs entscheidend<br />
• <strong>Krieg</strong>sdiskus als Sprechakt: Definition einer Extremsituation, die<br />
extreme Maßnahmen verlangt und Normalität außer Kraft setzt.<br />
Erfordernis: Anerkennung durch Auditorium<br />
• Er mobilisiert Loyalität, isoliert Kritiker. Die Opposition dreht bei<br />
• Er domestiziert den größten Teil der Medien<br />
• Er suggeriert den „Ausnahmezustand“ (Carl Schmitt)<br />
• Er rechtfertigt außergewöhnliche Maßnahmen, z.B.<br />
– Einschränkung von Bürgerrechten<br />
– Erweiterung der Kontrollbefugnisse<br />
– Ausbau der Dienste und Polizeien<br />
– Wegfall verfassungsmäßiger Schranken Exekutive“<br />
• Neuordnung der Beziehung Staat/Gesellschaft.<br />
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Nach außen erlaubt der <strong>Krieg</strong>sdiskurs mächtigen Staaten<br />
energische Schritte der Polarisierung, Unilateralisierung,<br />
Hegemonialisierung<br />
• <strong>Krieg</strong>sdiskurs als Signum von Entschlossenheit<br />
• Hohe Abschreckungswirkung<br />
• Polarisierung entlang der Achse „für uns / gegen uns“<br />
• Legitimierung von zuvor blockiertem Gewalthandeln (<strong>Irak</strong>)<br />
• Neujustierung von Großmachtbeziehungen und Allianzen<br />
• Entmultilateralisierung, Entrechtlichung Militarisierung<br />
(„Defensive Präemption“)<br />
• Negativwirkungen: „Empowerment“ der Terroristen, Öffnung von<br />
Rekrutierungschancen durch Polarisierung, Ambivalenz des<br />
Rechtsstatus terroristischer „<strong>Krieg</strong>sgefangener“<br />
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Friedens- und Konfliktforschung<br />
Die neue „Nationale Sicherheitsstrategie“ legte den<br />
Rahmen für das weitere Vorgehen fest.<br />
• Drei Bedrohungstypen dominieren die <strong>amerikanische</strong> Analyse:<br />
– <strong>Der</strong> internationale Terrorismus, geführt von Al-Qaida<br />
– „Schurkenstaaten“, die „Achse des Bösen“, die nach<br />
Massenvernichtungswaffen streben, den Terrorismus unterstützen<br />
und gegen <strong>amerikanische</strong> Interessen arbeiten<br />
– Mögliche weltpolitische Rivalen, an der Spitze Chinas<br />
• Die Bedrohungen sind gewaltsamer Natur und bedürfen der<br />
staatlichen (überwiegend militärischen) Antwort<br />
• Demgegenüber werden andere Weltprobleme (Handel,<br />
Finanzen, Entwicklung, Umwelt) überwiegend besser dem<br />
privaten Sektor überlassen.<br />
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Amerikanische Überlegenheit ist die Grundbedingung<br />
von Weltordnung<br />
• Die umfassende Bedrohungslage verlangt nach einer gleich<br />
umfassenden Antwort<br />
• Die Vereinigten Staaten müssen zum überlegenen, weltweiten<br />
Eingriff gegen alle diese Gefahren in der Lage sein<br />
• Die Prävention gegen noch in der Entwicklung befindliche<br />
Gefahren ist geboten und berechtigt<br />
• Gewaltsame Demokratisierung ist ein probates Mittel der<br />
Sicherheitspolitik<br />
• Zu diesem Zweck benötigen die USA unbegrenzte Handlungsund<br />
Entscheidungsfreiheit außerhalb geltenden Völkerrechts<br />
• Solche Handlungsfreiheit ist nur durch absolute militärische<br />
Überlegenheit zu erreichen<br />
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<strong>Irak</strong> stellt für die Sicherheitspolitiker der Administration<br />
eine Schlüsselfrage dar<br />
• Erste Anwendung der präemptiven (präventiven) Strategie<br />
• Damit Glaubwürdigkeitsfrage betroffen: Nachweis<br />
<strong>amerikanische</strong>r Durchsetzungsfähigkeit<br />
• Trauma der nicht vollendeten Ordnungsleistung von 1991<br />
• Generalabschreckung gegen mögliche Nachahmer<br />
• Counterproliferation als Ordnungsprinzip etabliert<br />
• Regionale Befriedung und Ordnungsgestaltung (best case<br />
analysis)<br />
• Sicherung der weltwirtschaftlich wichtigen Erdölregion<br />
• „Hardliner“ hätten aus Demonstrationsgründen unilaterales<br />
Handeln vorgesehen, brachen sich aber an den multilateralen<br />
Präferenzen der Öffentlichkeit, des SD (und Tony Blairs)<br />
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Friedens- und Konfliktforschung<br />
<strong>Der</strong> Umweg über den Sicherheitsrat war ein taktisches<br />
Täuschungsmanöver. Es gab nie die Absicht die Alternative der<br />
Res. 1441 zu realisieren.<br />
• Cheney hatte am 26. August 2002 erklärt, dass man den <strong>Irak</strong><br />
unabhängig von Inspektionen und ohne Rücksicht auf den SR<br />
angreifen würde.<br />
• <strong>Der</strong> Gang über den Sicherheitsrat erfolgte aus Rücksicht auf die<br />
öffentliche Meinung in den USA und auf den britischen<br />
Verbündeten.<br />
• Von Anfang an begleiteten Stellungnahmen (einschließlich des<br />
Präsidenten) die Verhandlungen des Rats, man behalte sich<br />
eigenständiges Handeln vor. <strong>Der</strong> Rat müsse zustimmen oder<br />
werde „irrelevant“.<br />
• Als es nicht gelang, eine zweite Resolution durchzusetzen,<br />
handelten die USA auf eigene Rechnung<br />
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