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Der Irak-Krieg I: Der amerikanische Entscheidungsprozess - HSFK

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Hessische Stiftung<br />

Friedens- und<br />

Konfliktforschung<br />

<strong>Der</strong> <strong>Irak</strong>-<strong>Krieg</strong> I: <strong>Der</strong> <strong>amerikanische</strong><br />

<strong>Entscheidungsprozess</strong><br />

5. Vorlesung


Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

Inhalt<br />

• Die Vorgeschichte, erster Teil: <strong>Irak</strong>, die USA und die internationale<br />

Politik<br />

• Die Vorgeschichte, zweiter Teil: Die Entwicklung des<br />

Sicherheitsdenkens in der <strong>amerikanische</strong>n Rechten<br />

• Einige grundlegende Überlegungen zur Außen- und Sicherheitspolitik<br />

von Staaten<br />

• Die beiden „Bush-Koalitionen“<br />

• Außen- und Sicherheitspolitik in der Bush-Administration vor dem<br />

11. September<br />

• Die Änderungen durch den 11. September<br />

• Von der Koalitionsbildung zur „Achse des Bösen“<br />

• Die Wirkungen des <strong>Krieg</strong>sdiskurses<br />

• Die „Nationale Sicherheitsstrategie“<br />

• <strong>Der</strong> Umweg über die Vereinten Nationen<br />

WS/SS 2003/4 © Harald Müller, <strong>HSFK</strong> 2


Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

<strong>Der</strong> <strong>Irak</strong> wechselte vom Verbündeten zum Hauptfeind<br />

der USA<br />

• Zu Beginn seiner Amtszeit galt Saddam Hussein als relativ gemäßigter,<br />

säkularer arabischer Führer<br />

• Im <strong>Krieg</strong> gegen den <strong>Irak</strong> galt er als „heimlicher Verbündeter“ (Rumsfeld<br />

besuchte ihn 1984 als Abgesandter Präsident Reagans). Die irakischen<br />

Giftgaseinsätze wurden ignoriert<br />

• Die Annexion Kuweits (bei gleichzeitig sich verdichtenden Gerüchten<br />

über das Kernwaffenprogramm) mache den <strong>Irak</strong> zu einem erstrangigen<br />

geostrategischen Problem: Dominanz der Golfregion<br />

• <strong>Der</strong> Golfkrieg von 1991 erledigte das Problem nicht, wie erwartet<br />

• Seither bindet der <strong>Irak</strong> ständig große <strong>amerikanische</strong> Kräfte, ohne dass<br />

eine befriedigende Strategie gefunden worden wäre, mit dem Risiko<br />

neuer Massenvernichtungswaffenprogramme fertig zu werden<br />

WS/SS 2003/4 © Harald Müller, <strong>HSFK</strong> 3


Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

Im weltpolitischen Konzept der <strong>amerikanische</strong>n Rechten<br />

wurde der <strong>Irak</strong> schrittweise zur Schlüsselfrage<br />

• Bereits in den siebziger Jahren entwickelte das „Committee on the<br />

Present Danger“ eine Strategie der absoluten militärischen<br />

Überlegenheit und Konfrontation. Sie wurde unter Reagan z.T.<br />

umgesetzt.<br />

• Nach 1991 galt <strong>Irak</strong> in diesen Kreisen als unerledigtes Problem<br />

• In den frühen neunziger Jahren wurden „neue Rivalen“ und<br />

„Schurkenstaaten“ mit MVW als Hauptgefahr ausgemacht<br />

• Weltordnung sollte auf absoluter <strong>amerikanische</strong>r Überlegenheit<br />

beruhen, kein neuer Rivale sollte zugelassen werden (Defense<br />

Guidance 1992)<br />

• Eine (demokratische) Neuordnung für den Nahen Osten wurde<br />

gefordert. <strong>Der</strong> Regimewechsel im <strong>Irak</strong> war die ersten Bedingung<br />

(Perle/Feith-Artikel von 1996; Brief der 18 von 1998)<br />

• Die der Pax Americana angemessene Militärstrategie war völlige<br />

Überlegenheit, Raketenabwehr und Prävention (, Project for an<br />

American Century (1997), Rebuilding American Defence (2000)<br />

WS/SS 2003/4 © Harald Müller, <strong>HSFK</strong> 4


Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

Die Außenpolitik von Staaten ist nie allein durch äußere<br />

Verhältnisse zu erklären<br />

• Das „Billardball-Modell“ der Außenpolitik ist einleuchtend, aber<br />

falsch (Neorealistische Theorie)<br />

• Außenpolitik wird (außer in Personaldiktaturen) auch nicht<br />

lediglich von einzelnen Persönlichkeiten („wie breit lächelt<br />

Bush?“) gemacht<br />

• Die äußeren Umstände eröffnen Handlungsspielräume und/oder<br />

schränken sie ein. Sie diktieren nicht, wie diese inhaltlich gefüllt<br />

werden<br />

• Überragende Macht legt gleichfalls den Kurs nicht fest<br />

(Münklers „imperiale Logik“). Sie schafft nur relativ breite<br />

Handlungsspielräume<br />

• Je mächtiger der Staat, desto wichtiger der Einfluss der<br />

herrschenden Koalition und ihrer weltpolitischen Vorstellungen<br />

und Präferenzen für die Außenpolitik (liberale Theorie)<br />

WS/SS 2003/4 © Harald Müller, <strong>HSFK</strong> 5


Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

Die gegenwärtige Bush-Administration ist die bisher<br />

„rechteste“ Koalition in der US-Nachkriegsgeschichte<br />

• Die Republikaner setzen sich aus fünf unterschiedlichen ideologischen<br />

Formationen zusammen<br />

– „liberale Republikaner“: Multilateral, kooperativ, sozialstaatliche Ideen –<br />

heute nahezu eine ausgestorbene Spezies<br />

– „zentristische Republikaner“ gemäßigter Multilateralismus, Rücksicht aufs<br />

Völkerrecht und auf Allianzen, militärische Zurückhaltung<br />

– „Jacksonianer“: Imperiale Unilateralisten. Militärische Abwehr aller<br />

drohenden Gefahren, weltweite Präsenz<br />

– Neokonservative: Notfalls gewaltsame Erweiterung der „demokratischen<br />

Friedenszone“, Umgestaltung des Nahen Ostens; keine Beschränkung der<br />

Handlungsfreiheit durch (undemokratische) VN und Völkerrecht<br />

– Christliche Rechte: Unbedingte Unterstützung Israels (einschließlich der<br />

Annexion der West Bank), Ablehnung der VN, Feindschaft zum Islam<br />

• Unter Bush Vater dominierte die Gruppe 2 unter Beimischung von 1<br />

und 3 (Cheney). Unter Bush Sohn dominieren die Gruppen 3-5 unter<br />

Beimischung von 2 (Powell)<br />

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Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

Grundzüge der heutigen Bush-Politik waren bereits vor<br />

dem 11. September zu spüren. Die Eindeutigkeit fehlte.<br />

• Die Bush-Regierung konzentrierte sich zunächst auf<br />

bevorstehende Großmachtrivalitäten (China, Russland)<br />

• Sie betrieb bereits einen breitflächigen Unilateralismus (Kyoto-<br />

Protokoll, Teststoppvertrag, Biowaffenkonvention, ABM-Vertrag<br />

usw.)<br />

• Im Pentagon wurden Planspiele für einen <strong>Irak</strong>-<strong>Krieg</strong> durchdacht<br />

(getrieben v.a. durch Wolfowitz)<br />

• Colin Powell versuchte, ein gewisses Gegengewicht zu geben,<br />

v.a. Wertschätzung der Atlantischen Allianz und Konsultationen<br />

mit den Verbündeten<br />

• Die neokonservative Strategie der Prävention und der<br />

gewaltsamen Demokratisierung von „Schurkenstaaten“ hatte<br />

sich noch nicht durchgesetzt<br />

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Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

<strong>Der</strong> 11. September verschob die Gewichte innerhalb<br />

der Administration<br />

• <strong>Der</strong> Schwerpunkt schob sich weg von der Großmachtrivalität,<br />

dem traditionellen Ansatz der zentristischen Republikaner<br />

• <strong>Der</strong> Eindruck unmittelbar drohender Gefahr begünstigte die<br />

Durchsetzung der Bedrohungsanalysen von Neokonservativen<br />

und „Jacksonianern“<br />

• <strong>Der</strong> wahrgenommene Zwang zum unmittelbaren, einseitigen<br />

Handeln schob das Militär in den Vordergrund und schwächte<br />

den ohnehin kaum ausgeprägten Multilateralismus weiter<br />

• Denselben Effekt erzielte das neokonservative Argument, die<br />

bestehenden Institutionen seien nicht geeignet, mit den neuen<br />

Problemen umzugehen.<br />

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Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

Einer Scheinblüte des Multilateralismus folgte ein immer<br />

stärkeres uniliaterales, militarisiertes Konzept<br />

• Zunächst ging es um die Formierung einer möglichst breiten<br />

Anti-Terror-Koalition, um die Voraussetzungen für die<br />

Kampagne in Afghanistan zu schaffen und möglichst starken<br />

repressiven Druck auf das Al-Qaida-Netzwerk zu entfalten<br />

• Auf der ersten Sitzung des NSC nach dem 11. September<br />

wollten Cheney, Rumsfeld, Wolfowitz ein Vorgehen gegen <strong>Irak</strong><br />

• Die „Achse-des-Bösen“-Rede des Präsidenten stellte die<br />

Weichen auf <strong>Krieg</strong><br />

• Im Frühjahr 2002 begann die konkrete militärische Planung<br />

• Die West-Point-Rede Bushs (Juni) leitete die öffentliche<br />

Werbung für den <strong>Krieg</strong> ein<br />

• Im Sept. wurde die „Nationale Sicherheitsstrategie“ vorgestellt<br />

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Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

Grundbegriffe der Sprechakttheorie: Sprechen ist nicht<br />

nur Mitteilen, Sprechen ist Handeln<br />

Sprecher<br />

Locutionärer<br />

Aspekt<br />

Was wird gesagt?)<br />

Illocutionärer<br />

Aspekt:<br />

Was wird gemeint?<br />

Perlocutionärer<br />

Aspekt:<br />

Was wird erreicht?<br />

Zustimmung/Ablehnung<br />

Hörerschaft<br />

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Friedens- und Konfliktforschung<br />

Für die Durchsetzung der neokonservativen Positionen<br />

war der <strong>Krieg</strong>sdiskurs entscheidend<br />

• <strong>Krieg</strong>sdiskus als Sprechakt: Definition einer Extremsituation, die<br />

extreme Maßnahmen verlangt und Normalität außer Kraft setzt.<br />

Erfordernis: Anerkennung durch Auditorium<br />

• Er mobilisiert Loyalität, isoliert Kritiker. Die Opposition dreht bei<br />

• Er domestiziert den größten Teil der Medien<br />

• Er suggeriert den „Ausnahmezustand“ (Carl Schmitt)<br />

• Er rechtfertigt außergewöhnliche Maßnahmen, z.B.<br />

– Einschränkung von Bürgerrechten<br />

– Erweiterung der Kontrollbefugnisse<br />

– Ausbau der Dienste und Polizeien<br />

– Wegfall verfassungsmäßiger Schranken Exekutive“<br />

• Neuordnung der Beziehung Staat/Gesellschaft.<br />

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Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

Nach außen erlaubt der <strong>Krieg</strong>sdiskurs mächtigen Staaten<br />

energische Schritte der Polarisierung, Unilateralisierung,<br />

Hegemonialisierung<br />

• <strong>Krieg</strong>sdiskurs als Signum von Entschlossenheit<br />

• Hohe Abschreckungswirkung<br />

• Polarisierung entlang der Achse „für uns / gegen uns“<br />

• Legitimierung von zuvor blockiertem Gewalthandeln (<strong>Irak</strong>)<br />

• Neujustierung von Großmachtbeziehungen und Allianzen<br />

• Entmultilateralisierung, Entrechtlichung Militarisierung<br />

(„Defensive Präemption“)<br />

• Negativwirkungen: „Empowerment“ der Terroristen, Öffnung von<br />

Rekrutierungschancen durch Polarisierung, Ambivalenz des<br />

Rechtsstatus terroristischer „<strong>Krieg</strong>sgefangener“<br />

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Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

Die neue „Nationale Sicherheitsstrategie“ legte den<br />

Rahmen für das weitere Vorgehen fest.<br />

• Drei Bedrohungstypen dominieren die <strong>amerikanische</strong> Analyse:<br />

– <strong>Der</strong> internationale Terrorismus, geführt von Al-Qaida<br />

– „Schurkenstaaten“, die „Achse des Bösen“, die nach<br />

Massenvernichtungswaffen streben, den Terrorismus unterstützen<br />

und gegen <strong>amerikanische</strong> Interessen arbeiten<br />

– Mögliche weltpolitische Rivalen, an der Spitze Chinas<br />

• Die Bedrohungen sind gewaltsamer Natur und bedürfen der<br />

staatlichen (überwiegend militärischen) Antwort<br />

• Demgegenüber werden andere Weltprobleme (Handel,<br />

Finanzen, Entwicklung, Umwelt) überwiegend besser dem<br />

privaten Sektor überlassen.<br />

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Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

Amerikanische Überlegenheit ist die Grundbedingung<br />

von Weltordnung<br />

• Die umfassende Bedrohungslage verlangt nach einer gleich<br />

umfassenden Antwort<br />

• Die Vereinigten Staaten müssen zum überlegenen, weltweiten<br />

Eingriff gegen alle diese Gefahren in der Lage sein<br />

• Die Prävention gegen noch in der Entwicklung befindliche<br />

Gefahren ist geboten und berechtigt<br />

• Gewaltsame Demokratisierung ist ein probates Mittel der<br />

Sicherheitspolitik<br />

• Zu diesem Zweck benötigen die USA unbegrenzte Handlungsund<br />

Entscheidungsfreiheit außerhalb geltenden Völkerrechts<br />

• Solche Handlungsfreiheit ist nur durch absolute militärische<br />

Überlegenheit zu erreichen<br />

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Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

<strong>Irak</strong> stellt für die Sicherheitspolitiker der Administration<br />

eine Schlüsselfrage dar<br />

• Erste Anwendung der präemptiven (präventiven) Strategie<br />

• Damit Glaubwürdigkeitsfrage betroffen: Nachweis<br />

<strong>amerikanische</strong>r Durchsetzungsfähigkeit<br />

• Trauma der nicht vollendeten Ordnungsleistung von 1991<br />

• Generalabschreckung gegen mögliche Nachahmer<br />

• Counterproliferation als Ordnungsprinzip etabliert<br />

• Regionale Befriedung und Ordnungsgestaltung (best case<br />

analysis)<br />

• Sicherung der weltwirtschaftlich wichtigen Erdölregion<br />

• „Hardliner“ hätten aus Demonstrationsgründen unilaterales<br />

Handeln vorgesehen, brachen sich aber an den multilateralen<br />

Präferenzen der Öffentlichkeit, des SD (und Tony Blairs)<br />

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Hessische Stiftung<br />

Friedens- und Konfliktforschung<br />

<strong>Der</strong> Umweg über den Sicherheitsrat war ein taktisches<br />

Täuschungsmanöver. Es gab nie die Absicht die Alternative der<br />

Res. 1441 zu realisieren.<br />

• Cheney hatte am 26. August 2002 erklärt, dass man den <strong>Irak</strong><br />

unabhängig von Inspektionen und ohne Rücksicht auf den SR<br />

angreifen würde.<br />

• <strong>Der</strong> Gang über den Sicherheitsrat erfolgte aus Rücksicht auf die<br />

öffentliche Meinung in den USA und auf den britischen<br />

Verbündeten.<br />

• Von Anfang an begleiteten Stellungnahmen (einschließlich des<br />

Präsidenten) die Verhandlungen des Rats, man behalte sich<br />

eigenständiges Handeln vor. <strong>Der</strong> Rat müsse zustimmen oder<br />

werde „irrelevant“.<br />

• Als es nicht gelang, eine zweite Resolution durchzusetzen,<br />

handelten die USA auf eigene Rechnung<br />

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