Nachruf auf Enno Becker - Pfadfinder Hilfsfond eV
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<strong>Nachruf</strong> <strong>auf</strong> <strong>Enno</strong> <strong>Becker</strong><br />
* 21. März 1932 + 16. Febr. 2008<br />
Wir müssen nun von <strong>Enno</strong> Abschied nehmen.<br />
<strong>Enno</strong> ist <strong>auf</strong> seine letzte große Reise gegangen. In ein fernes Land, das keiner<br />
von uns kennt.<br />
Wir bleiben hier zurück: erschüttert, ratlos und unendlich traurig.<br />
Wer <strong>Enno</strong> kannte, musste ihn gern haben. Sein freundliches Wesen: bescheiden,<br />
großzügig und nachsichtig, stets kritisch, aber nie bissig oder gar aggressiv.<br />
Er hat sich nie nach vorn gedrängt, musste nicht Mittelpunkt sein. Er konnte gut<br />
damit leben, auch in der zweiten Reihe zu stehen.<br />
Kurzum: Er war ein lieber Mensch, den seine Söhne zu recht verehrten, und<br />
denen auch seine innigste Liebe galt.<br />
Recht besehen war <strong>Enno</strong>s Leben wie eine einzige, große Fahrt. Er war fast<br />
immer unterwegs, selten zu Hause: als Junge im Internat im fernen Ost-<br />
Westfalen, als Jugendlicher mit den <strong>Pfadfinder</strong>n <strong>auf</strong> Fahrt, als junger<br />
Erwachsener <strong>auf</strong> See, später als Wirtschaftsingenieur im weltweiten Einsatz,<br />
und auch als Altpfadfinder hat er kaum eine Gruppen-Reise ausgelassen.<br />
Neben Familie und Beruf haben vor allem zwei Lebenskreise <strong>Enno</strong>s Leben<br />
bestimmt: die <strong>Pfadfinder</strong>ei und die Seefahrt.<br />
Die Liebe zur See war ihm bereits durch den Vater, der als Schiffsingenieur zur<br />
See fuhr, von Geburt an in die Wiege gelegt.<br />
Im fernen Bielefeld hatte er bei der Marine-HJ seine erste Begegnung mit<br />
Booten und Seefahrt.<br />
Auf der Hamburger Howaldtswerft erlernte er das Handwerk des<br />
Schiffsmotoren-Schlossers, um im Anschluss an die Lehrzeit für 1 ½ Jahre als<br />
Maschinen-Assistent zur See zu fahren.<br />
Obwohl er der Seefahrt alsbald wieder den Rücken gekehrt und sich für das<br />
Landleben entschieden hatte, blieb seine Liebe zur See, zum Wasser, zu<br />
Schiffen ungebrochen.<br />
Als Skipper und Eigner von Segelbooten hat <strong>Enno</strong> viele Jahre lang die Ostsee<br />
durchkreuzt. Dabei hat er viele Menschen kennengelernt und Freundschaften<br />
geschlossen.
Das Segeln war für <strong>Enno</strong> mehr als nur ein Freizeitsport, obwohl er in seinem<br />
Segelclub durchaus Regatta-Erfolge <strong>auf</strong>weisen konnte. Segeln war ein Teil<br />
seiner Lebensphilosophie.<br />
Als Schiffsführer und Kapitän eines Segelbootes verkörperte <strong>Enno</strong> die<br />
Haltungen, die auch sonst sein Leben prägten: Er stand <strong>auf</strong>recht und voraus-<br />
blickend hinter dem Ruderrad, stets umsichtig und gewissenhaft. Jeder Törn<br />
wurde sorgfältig geplant. Unnötigen Risiken ging er aus dem Weg.<br />
Er ist immer dort angekommen, wohin er wollte. Auf seinem Schiff war man<br />
sicher <strong>auf</strong>gehoben. Auf <strong>Enno</strong> war Verlass. Sein Wort hatte in Seglerkreisen<br />
Gewicht. <strong>Enno</strong> hätte auch einen Container-Riesen sicher über die Meere geführt.<br />
Wo lernt man solche Einstellungen und Haltungen, sofern man sie nicht von<br />
Geburt aus mitbringt? Wohl nicht in der Schule.<br />
<strong>Enno</strong>s Schule des Lebens war die <strong>Pfadfinder</strong>ei. Ihr verdankt er seine<br />
wichtigsten Lebensimpulse, wie er andererseits durch sein Wirken die<br />
<strong>Pfadfinder</strong>-Bewegung in Hamburg erheblich beeinflusst hat.<br />
Wie kein anderer verkörperte <strong>Enno</strong> über mehr als ein halbes Jahrhundert die<br />
Kontinuität in der Hamburger <strong>Pfadfinder</strong>-Szene. Er hat das Pfadfinden in dieser<br />
Zeit in unterschiedlichen Rollen erlebt: als einfaches Sippen-Mitglied, als<br />
Gruppen- bzw. Stammesführer und schließlich als Mitglied einer Altpfadfinder-<br />
Gilde.<br />
Als sich <strong>Enno</strong>s <strong>Pfadfinder</strong>-Gruppe Ende der 40er Jahre nach dem<br />
Widerstandskämpfer Graf Schenk von St<strong>auf</strong>fenberg benannte, erzeugte das nicht<br />
nur den Unmut zahlreicher Eltern und Zeitgenossen. Es war zu jener Zeit schon<br />
fast eine politische Provokation.<br />
Sie zeigte jedoch, dass sich in diesem <strong>Pfadfinder</strong>stamm politisch engagierte und<br />
kritische Geister zusammengefunden hatten, die Demokratie ernst nahmen.<br />
Politik und die Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit waren ein<br />
zentrales Thema bei den Zusammenkünften seiner Gruppe.<br />
Das Interesse an politischen Grundfragen, das kritische Hinterfragen<br />
vorgegebener Meinungen und die Ablehnung von autoritären bzw.<br />
patriarchalischen Strukturen, die es auch bei den <strong>Pfadfinder</strong>n durchaus gab, hat<br />
<strong>Enno</strong> sich bis zuletzt bewahrt und in diesem Sinne einen nicht zu<br />
unterschätzenden Einfluss <strong>auf</strong> die Hamburger <strong>Pfadfinder</strong>arbeit genommen.
<strong>Enno</strong>s nachhaltiger Einfluss <strong>auf</strong> die musische Arbeit der Hamburger <strong>Pfadfinder</strong><br />
wird vielen nicht mehr bekannt sein. Dieser erfolgte zu einer Zeit, als sich die<br />
<strong>Pfadfinder</strong> unter dem Einfluss älterer <strong>Pfadfinder</strong>führer aus der Vorkriegszeit vor<br />
allem noch als Naturburschen und Waldläufer verstanden.<br />
Beflügelt durch die enge Freundschaft mit dem bekannten Hamburger Maler<br />
und früheren <strong>Pfadfinder</strong>freund Volker Meier hat <strong>Enno</strong> viel dazu beigetragen,<br />
künstlerisches Gestalten und schöpferisches Werken in die Gruppen<br />
hineinzutragen.<br />
Auf diese Weise habe ich <strong>Enno</strong> und Volker Meier 1956 <strong>auf</strong> dem ersten<br />
Führerlehrgang der Landesmark in Undeloh kennen gelernt, als beide<br />
gemeinsam die Arbeitsgruppe Linolschnitt und Buchbinden leiteten.<br />
Für <strong>Enno</strong> gab dieses Führerlager den Ausschlag für seinen Wiedereintritt in den<br />
Bund Deutscher <strong>Pfadfinder</strong>, den er Anfang der 50er Jahre verlassen hatte.<br />
Später lernten wir von <strong>Enno</strong>, eigene Winter-Kothen zu nähen und mit<br />
graphischen Darstellungen zu verzieren, unsere Gruppenräume dekorativ zu<br />
gestalten sowie praktische Tische und Sitzhocker anzufertigen.<br />
Als langjähriger Gruppenführer war <strong>Enno</strong> einflussreich und vielseitig<br />
pädagogisch tätig, obwohl er sich selbst nie als Erzieher oder Pädagoge<br />
verstand. Auf unzähligen Fahrten von kürzerer oder längerer Dauer hat er den<br />
Jungen seiner Gruppe einzigartige Erlebnisse und Erfahrungen vermittelt.<br />
Der absolute Höhepunkt seiner Tätigkeit als Gruppenführer war die Großfahrt<br />
1959 nach Korsika. Nach zweiwöchigen Wanderungen aus verschiedenen<br />
Himmelrichtungen hatten wir uns mit mehreren Gruppen zu einem<br />
gemeinsamen Lager am Melo-See getroffen, mitten im Hochgebirge, <strong>auf</strong> 2.000<br />
Metern Höhe, drei Tageswanderungen vom nächsten Ort entfernt.<br />
Wie tief dieses Erlebnis die Jungen aus <strong>Enno</strong>s Gruppe geprägt hat, ist mir<br />
kürzlich bewusst geworden, als mir einer der Teilnehmer anlässlich meines<br />
Ausscheidens aus dem Dienst ein gerahmtes Foto vom Melo-See mit<br />
ausdrücklichem Hinweis <strong>auf</strong> jenes bewegende Abenteuer geschenkt hat.<br />
In späterem Alter, als <strong>Enno</strong> selbst nicht mehr als Gruppenführer aktiv war, hat er<br />
1976 zusammen mit anderen älteren und ehemaligen <strong>Pfadfinder</strong>n die<br />
Altpfadfinder-Gilde Hamburg gegründet. Er war ihr erster Sprecher. Bis<br />
zuletzt ist <strong>Enno</strong> seiner Gilde eng verbunden geblieben. Eine Zeitspanne von<br />
mehr als dreißig Jahren!
In jene Zeit der Gildengründung fällt auch die Durchführung des ersten<br />
Hamburger Singewettstreits der <strong>Pfadfinder</strong> und Bündischen Jugend, an dessen<br />
Zustandekommen <strong>Enno</strong> aktiv beteiligt war. Als jährlich wiederkehrendes<br />
Festival der Jugend hat der Singewettstreit inzwischen eine weit über Hamburg<br />
hinausragende Bedeutung erhalten. Wie die Altpfadfinder-Gilde konnte auch der<br />
Singewettstreit im vergangenen Jahr <strong>auf</strong> ein 30jähriges Jubiläum zurückblicken.<br />
Und schließlich sollten wir uns noch daran erinnern, dass <strong>Enno</strong> im Jahre 1990<br />
einer der Mitbegründer des <strong>Pfadfinder</strong> <strong>Hilfsfond</strong>s gewesen ist, einer Stiftung,<br />
die erstmals die verschiedenen <strong>Pfadfinder</strong>bünde in Deutschland trotz ihrer<br />
inhaltlichen Unterschiede als eine Einheit begriff und sie seither gemeinsam zu<br />
fördern sucht.<br />
<strong>Enno</strong>s Mitarbeit im <strong>Pfadfinder</strong> <strong>Hilfsfond</strong> blieb nicht <strong>auf</strong> die verbale oder<br />
finanzielle Unterstützung beschränkt. Trotz seines fortgeschrittenen Alters hat<br />
<strong>Enno</strong> mehrfach an praktischen Arbeitseinsätzen zur Renovierung bzw. zum<br />
Ausbau des <strong>Pfadfinder</strong>zentrums im Ost-Harz, einem zentralen Projekt des<br />
<strong>Pfadfinder</strong> <strong>Hilfsfond</strong>s, teilgenommen. Sein handwerkliches Geschick und sein<br />
Organisationstalent erwiesen sich als sehr hilfreich.<br />
Der letzte Höhepunkt in <strong>Enno</strong>s <strong>Pfadfinder</strong>leben war der Besuch <strong>auf</strong> dem<br />
internationalen Jamboree in England im August letzten Jahres. Für alle die<br />
daran teilgenommen haben, ein wohl unvergessliches Erlebnis.<br />
Was sich <strong>Enno</strong> als Jugendlicher erträumt hatte, was damals aber jenseits aller<br />
realen Möglichkeiten stand, durfte er sich im Alter erfüllen:<br />
das Erlebnis einer weltweiten Gemeinschaft von Millionen <strong>Pfadfinder</strong>n über<br />
alle Ländergrenzen, Religionen und Kulturen hinweg, hier dokumentiert durch<br />
ein riesiges Zeltlager von mehreren Tausend <strong>Pfadfinder</strong>n, die sich verbunden<br />
fühlen im Geiste des friedlichen Zusammenlebens, der gegenseitigen Achtung<br />
und in Freundschaft.<br />
Natürlich hat es auch in <strong>Enno</strong>s Leben Widrigkeiten, Beschwernisse und<br />
Rückschläge gegeben. Dennoch hat sich <strong>Enno</strong> nicht unterkriegen lassen,<br />
sondern sich stets bemüht, das Leben von seiner positiven Seite zu sehen.<br />
Sein reiches und erfülltes Leben hat auch uns bereichert.<br />
<strong>Enno</strong>, wir danken Dir für alles, was wir mit Dir und durch Dich erleben konnten.<br />
Du bleibst uns als guter Freund und <strong>Pfadfinder</strong>bruder unvergessen!<br />
Hans-Peter Schäfer (Happi), 7. März 2008