Grundfragen des Strafrechts, Rechtsphilosophie und die ... - Oapen
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Heinz Koriath<br />
Vielleicht genügt <strong>die</strong>se kleine Skizze um zu zeigen, dass v. Hippel sich irrte als er<br />
behauptete, Juristen <strong>und</strong> Psychologen sprächen über dasselbe Objekt, wenn sie das<br />
Wort Wille verwendeten. Etwas rätselhaft ist v. Hippels Irrtum freilich schon, hatte<br />
er doch, wie er selbst schrieb, <strong>die</strong> psychologische Literatur (seiner Epoche) gründlich<br />
stu<strong>die</strong>rt. 78<br />
Der Unterschied zweier Objekte (eigenpsychische Größe, Zurechnungskonstrukt)<br />
darf freilich nicht missverstanden werden. Die semantische Analyse ist eine<br />
Sache; eine andere ist <strong>die</strong> Frage, ob <strong>die</strong> normative Zurechnung nicht aus Gründen<br />
retributiver Gerechtigkeit (wie in Ross’ Konstruktion) von psychischen Tatsachen<br />
abhängig sein sollte. So schreibt etwa Kelsen (der <strong>die</strong>sen Unterschied vermutlich<br />
stärker als viele andere Rechtsphilosophen betonte) <strong>die</strong>s: „Es ist ein Postulat verfeinerten<br />
Rechtsempfindens, dass wegen sozialschädlicher Erfolge, <strong>die</strong> durch <strong>die</strong><br />
Rechtsordnung verhindert werden sollen, womöglich nur solche Menschen bestraft<br />
werden, bei denen gewisse Willens- oder Vorstellungsakte vor sich gehen<br />
…“ 79 Das zentrale Problem liegt in der Frage, ob <strong>und</strong> wie <strong>die</strong>ses Postulat durch<br />
Dogmatik (hier geht es um v. Hippels Willenstheorie) <strong>und</strong> Verfahren einzulösen ist.<br />
Zum Prozess schreibt Kelsen: „Die Grenze, <strong>die</strong> der Realisierung der bezeichneten<br />
Forderung gezogen sind, besteh(t) … in der Natur der Rechtsanwendung, der niemals<br />
eine sichere Feststellung psychischer Tatsachen, sondern stets nur eine Berücksichtigung<br />
äußerer Momente möglich ist, <strong>die</strong> gewisse Wahrscheinlichkeitsschlüsse<br />
auf innere Vorgänge zulassen …“ 80 Hiervon wird später (in IV) <strong>die</strong> Rede<br />
sein; <strong>die</strong> Frage, ob v. Hippels Willenstheorie eine perfekte Umsetzung <strong>des</strong> Postulates<br />
ist, wird sogleich (in bb)) erörtert.<br />
Zum Schluss <strong>die</strong>ses Teils meiner Kritik sei ein wenig Spekulation erlaubt. Wie<br />
gezeigt, beruft sich v. Hippel zur Begründung seines Willensdogmas auf <strong>die</strong> Alltagssprache<br />
<strong>und</strong> <strong>die</strong> Psychologie – leider mit nur mäßigem Erfolg. Seltsamerweise beruft<br />
er sich nicht auf <strong>die</strong> Tradition, obwohl ich gerade an <strong>die</strong>ser Stelle einen starken<br />
Zusammenhang vermute. Ich glaube, es gibt eine Verbindung zwischen v. Hippels<br />
Zurechnungsdoktrin <strong>und</strong> einer „religiös-philosophischen Schuldmetaphysik“ 81 Danach<br />
besteht eine Analogie zwischen Sünde <strong>und</strong> Verbrechen. Das „Wesen“ der Sünde<br />
ist der böse Wille, der Ungehorsam gegen Gott. Dem entspricht in der Philosophie<br />
<strong>des</strong> <strong>Strafrechts</strong> <strong>die</strong> Lehre vom „Wesen“ <strong>des</strong> Verbrechens als einer Verletzung der<br />
Gehorsamspflicht gegenüber der Autorität <strong>des</strong> Staates. Binding 82 ist der ideale<br />
Vertreter <strong>die</strong>ser Lehre, sie wurde aber auch von Welzel 83, wenn auch deutlich abgeschwächt,<br />
vertreten <strong>und</strong> v. Hippels Willensdogma ist – m. E. – eine weitere, ziemlich<br />
klare Variante <strong>die</strong>ses theologischen Dogmas.<br />
78 R. v. Hippel (Fn. 33), S. 308 Fn. 4.<br />
79 H. Kelsen (Fn. 65), S. 138.<br />
80 H. Kelsen (Fn. 65), S. 138.<br />
81 A. Ross (Fn. 11), S. 22.<br />
82 K. Binding (Fn. 6), S. 6.<br />
83 H. Welzel (Fn. 5), S. 1 ff.