Leben in Vilnius - Junges Afrika

Partnerstädte
Vilnius in Litauen

Grußworte
Andreas Bausewein, Oberbürgermeister der Stadt Erfurt
Seit 1997 kündet am Nordhang des Mainzer Gartens im
Egapark eine Freundschaftslinde vom Silberhochzeitsjahr
der Städtepartnerschaft Erfurt-Vilnius. Mit Stolz
können wir heute auf eine 40-jährige Herzensangelegenheit
zurückblicken. Als der Partnerschaftsvertrag am
11. April 1972 unterzeichnet wurde, herrschten in Vilnius
ebenso wie in Erfurt Diktatur und Mangelwirtschaft.
Schließlich kam die Deutsche Einheit, kurz darauf erklärte sich Litauen
als souveräner Staat. Bedingt durch die politischen Umbrüche rückte der
Austausch gegenseitiger Erfahrungen beim Aufbau demokratischer kommunaler
Verwaltungen ebenso in den Vordergrund wie die Zusammenarbeit
von Industrie, Handel, Handwerk und Gewerbe. Heute können wir stolz
sagen: Über Grenzen hinweg sind wir gemeinsam und auf Augenhöhe durch
dick und dünn gegangen. Wir blicken gemeinsam in die Zukunft, haben ein
Gestern, das uns verbindet, haben ein Morgen, das wir zusammen gestalten
wollen. Kennen Sie Vilnius noch nicht, machen Sie am besten eine Reise dorthin
– einen ersten Überblick über Stadt und Leute gibt Ihnen diese Broschüre.
Arturas -
Zuokas, Oberbürgermeister der Stadt Vilnius
In diesem Jahr wird bereits der 40. Jahrestag der
Städtepartnerschaft von Erfurt und Vilnius gefeiert,
und ich freue mich sehr darüber. In diesem Zeitraum
haben unsere Städte großen Wandel erfahren. Sowohl
die Vilniuser als auch die Erfurter haben die Zeiten der
sowjetischen Einflussnahme erlebt, den Fall der Berliner
Mauer, begleitet vom Zusammenbruch des kommunistischen
Regimes; sie mussten das Leben neu gestalten, sie mussten unsere
Städte unter den neuen Umständen erbauen und weiterentwickeln. Der
deutsche Schriftsteller Johann Wolfgang von Goethe hatte einst gesagt: Geteilte
Freude ist doppelte Freude. Unsere Städte verstehen sich gut, und dies
ist der größte Schatz unserer langjährigen Freundschaft. Ich bin überzeugt,
dass die seit 1972 bestehende Partnerschaft unserer Städte noch lange Jahre
zur Stärkung der Beziehungen beitragen wird.

Lage, Natur und Klima
Vilnius ist die Hauptstadt Litauens und mit 552.000 Einwohnern die
größte Metropole des Landes. Die Stadt liegt an der Mündung der Vilnia
in die Neris inmitten einer bewaldeten Hügellandschaft im Südosten
des größten der drei baltischen Staaten und 40 Kilometer von der
Grenze zu Weißrussland entfernt. Die Altstadt, die sich an den Hängen
auf dem linken Ufer der Neris erstreckt, hat eine Fläche von 360 Hektar
und zählt damit zu den größten und besterhaltenen Europas, was ihr
1994 die Anerkennung als Unesco-Weltkulturerbe bescherte.
In der Nähe der Stadt befindet sich der geografische Mittelpunkt
Europas. Das zumindest errechneten französische Geografen im Jahr
1989. Sie zogen auf einer Karte zwei Linien zwischen Gibraltar und
dem Ural sowie dem Nordkap und Kreta. Der Schnittpunkt fällt genau
.
in die litauische Provinz – in die Nähe des Dörfchens Purnuškes an
der Autobahn A14, nur 26 Kilometer nördlich von Vilnius. 25 Grad, 19
Minuten östlicher Länge und 54 Grad, 54 Minuten nördlicher Breite, so
lauten die Koordinaten. Da andere europäische Länder nach eigenen
Berechnungen auch den Mittelpunkt des Kontinentes beanspruchen,
taugt diese Attraktion allenfalls als touristisches Lockmittel.
Das Klima Litauens ist gemäßigt kontinental. Der an der Küste vorherrschende
Westwind trägt das warme und feuchte Wetter von der
Ostsee ins Landesinnere. Die Sommer sind kurz und warm, die Winter
können sehr kalt werden. 30.000 Flüsse, Bäche und kleinere Wasserläufe
durchziehen das niederschlagreiche Litauen. Vilnius liegt im
Baltischen Hochland, eine Region mit weitläufigen Wäldern, Mooren,
Seenplatten und flachen Bergen, alle unter 300 Meter Höhe.
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Leben in Vilnius
Die mittelalterliche Struktur und prachtvollen Barockbauten aus dem
15. Jahrhundert hat sich Vilnius bewahrt. Die Altstadt ist der Stolz der
Bewohner. Im 20. Jahrhundert war die Stadt ein Brennpunkt sozialer
und nationaler Revolutionen, Schauplatz von Kriegen und Besatzungen.
Seit der politischen Unabhängigkeit 1991 begann die Bevölkerung,
ihren Platz in Europa zu definieren und die eigene Geschichte
neu zu entdecken. Einflüsse verschiedener Kulturen, deren Präsenz
seit Jahrhunderten die Stadt prägte, sind bis heute spürbar. Das gilt
besonders für die Architektur: Es gibt neben dem litauischen das polnische
und das jüdische, das russische und das weißrussische Vilnius
– Stadtteile, die von nationalen und konfessionellen Gruppen stark
beeinflusst sind. Ein Ort, an dem sich Menschen unterschiedlicher
Religionen und Kulturen begegnen, an dem Vielfalt und kultureller
Reichtum herrschen – die Bewohner möchten vor allem dieses Bild vermitteln
und weisen darauf hin, dass Vilnius stets eine Brückenfunktion
zwischen Ost und West erfüllte. Doch auch die national-litauische
Prägung, die Tatsache, dass die Stadt von der indigenen Bevölkerung
und nicht wie andere baltische Städte von einem „fremden Herrscher“
einst gegründet wurde, erwähnen die Hauptstädter selbstbewusst.
Die Kleinfamilie liegt im Trend
Vilnius besteht aus 21 Bezirken mit jeweils einer unterschiedlichen
Anzahl von Stadtteilen. Die Kommunalverwaltung ist zuständig für
. .
die beiden Städte Vilnius und Grigiškes sowie für drei zu Grigiškes gehörende
Dörfer. 552.000 Menschen (Stand 2012) leben in der Metropole.
65 Prozent sind im erwerbstätigen und 19 Prozent im Rentenalter.
Der Anteil der unter 15-Jährigen beträgt 16 Prozent. Die Stadt vereint
Menschen verschiedener ethnischer Herkunft: 83,7 Prozent sind Litauer,
6,6 Prozent Polen, 5,4 Prozent Russen, 1,3 Prozent Weißrussen und
3 Prozent Angehörige anderer Nationalitäten.
Diplomaten aus allen Kontinenten und Vertreter großer Weltfirmen
arbeiten und leben in der Stadt. Der Gedimino-Prospekt ist die
Flaniermeile, das neue Kempinski-Luxushotel am Kathedralenplatz
ein Zeichen, dass das Tourismusgeschäft floriert. Die jungen Litauer
sprechen fast alle Englisch. Russisch spielt im täglichen Umgang
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miteinander kaum noch eine Rolle. Bei der drahtlosen Kommunikation
ist Litauen führend. Viele Straßen und Plätze der Hauptstadt sind
öffentliche WLAN-Hotspots. Vilnius wirbt damit, erste Stadt in Europa
zu sein, die Touristen für einen Mietpreis Tablet PCs anbietet.
Wie in allen europäischen Metropolen hat sich in Vilnius der Trend
zur Kleinfamilie mit ein bis zwei Kindern durchgesetzt. Ein Großteil
der Frauen ist berufstätig, viele arbeiten im Dienstleistungsbereich,
in Büros, Verwaltungszentren und IT-Firmen. Die Einkommen der
Familien in der Hauptstadt liegen über denen der Haushalte im Rest
des Landes, aber dennoch weit unter dem Durchschnittseinkommen
der Westeuropäer. Statistiken besagen, dass jeder fünfte Vilniuser
unterhalb des Existenzminimums lebt.
80 Prozent der Litauer gehören der Römisch-Katholischen Kirche an.
Das religiöse Leben hat einen hohen Stellenwert, sonntags sind die
Gottesdienste gut besucht. Dennoch scheitern auch kirchlich geschlossene
Ehen, jede zweite in Vilnius wird geschieden.
Welthauptstadt des Buches und Europäische Hauptstadt der Jugend
Das Jahr 2009 war für Litauen herausragend: Das größte Land des
Baltikums feierte die erste schriftliche Namenserwähnung in den
Quedlinburger Annalen vor 1000 Jahren. Und erstmals trug mit Vilnius
die Metropole einer ehemaligen Sowjetrepublik den Titel Kulturhauptstadt
Europas. Motto: Endlich zurück in Europa!
Neue Ziele sind avisiert: Vilnius will 2014 Unesco-Welthauptstadt des
Buches und 2015 Europäische Hauptstadt der Jugend werden.

Spezialitäten: Cepelinai und Trolleybus
Die Gastronomie in Vilnius ist international und vielseitig. Beliebt
sind die chinesische, italienische und japanische Küche. Obwohl die
Kartoffel erst im 16. Jahrhundert nach Europa gebracht wurde, ist sie
in Litauen besonders populär. Kartoffelklöße – die Cepelinai – sind das
litauische Nationalgericht.
Parks, Naturschutzgebiete und andere grüne Naturlandschaften
nehmen über 46 Prozent der Stadtfläche ein. Der öffentliche Personennahverkehr
setzt auf Trolleybusse, die nahezu geräuschlos unterwegs
sind. Oberleitungen überspannen die wichtigen Verkehrsachsen.
Obwohl es Pläne für eine Metro gibt, halten die Stadt- und Verkehrsplaner
an den beliebten O-Bussen fest. Die Typenbezeichnung erst
kürzlich in Dienst genommener Neufahrzeuge hat die Chance, bei
Oberleitungs-Fans zur Legende zu werden: Der rot-weiße „Amber Vilnis
12 AC“ kommt aus litauischer Produktion.
Gesundheitswesen mit Nachholebedarf
Das Gesundheitssystem ist zwar gut organisiert, Infrastruktur und
Ausrüstungen gelten aber als ungenügend. Lediglich in großen Städten
entspricht die medizinische Versorgung europäischen Standards.
Das litauische Krankenversicherungsgesetz sieht eine obligatorische
Versicherung für alle Einwohner mit ständigem Wohnsitz im Land vor.
Diese obliegt einer einzigen Institution, der staatlichen Krankenkasse.
Arztbesuche, Krankenhausbehandlungen, Medikamente und Rehabilitation
werden voll aus dem Krankenversicherungsfonds gezahlt. Nicht
versicherte Personen haben nur Anspruch auf medizinische Notfallversorgung
oder zahlen die Leistungen selbst. Die Gesetzgebung sieht
auch eine zusätzliche private Krankenversicherung vor. Diese stößt
jedoch auf wenig Resonanz bei den Litauern. Wie in jeder größeren
Stadt gibt es in Vilnius die Poliklinik.

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Sehenswert und berühmt
Die historische Vilniuser Altstadt erstreckt sich vom Ufer der Neris, an
das der Burgberg und die Museen im Alten und Neuen Arsenal grenzen,
weiter in südlicher Richtung bis zum Tor der Morgenröte mit der
Schwarzen Madonna. Kathedralen- und Rathausplatz sind die zentralen
Treffpunkte. Am Fuß des Burgberges stehen der sich im Wiederaufbau
befindliche Herrscherpalast und die Erzbischöfliche Kathedrale.
Das Symbol von Vilnius ist der Gediminas-Burgturm, erbaut im
14. Jahrhundert. Vilnius ist eine Barockstadt, doch die schönste ihrer
42 Kirchen flammt im markanten Rot der Backsteingotik: Die aus 33
Ziegelarten erschaffene Annakirche gilt als ein Juwel spätgotischer
Baukunst. Nach einer Sage wollte der von der Anmut der Kirche
verzauberte Napoléon Bonaparte sie „auf Händen nach Paris tragen“.
Gegen die filigrane Pracht und verspielte Symmetrie ihres Westgiebels
wirkt die große, 1519 erbaute Bernhardiner-Kirche gleich nebenan
schlicht und schwer. Zusammen bilden die beiden Kirchen das Gotische
Ensemble von Vilnius (Foto oben).
Den Namen „Jerusalem des Nordens“ hatte Vilnius für die Tätigkeit
des Gelehrten Elijah Ben Salomon Salman im 18. Jahrhundert in der
Stadt erhalten. Die Ausstellungen zur Blütezeit der Jüdischen Gemeinde
und im Gegensatz dazu des Holocaust sind im Staatlichen Museum
Gaon und der Gedenkstätte in Paneriai zu finden.
Höchstes Gebäude der Stadt ist der 326 Meter in den Himmel ragende
Fernsehturm. An ein tragisches Kapitel litauischer Geschichte erinnern
Mahnmale im Erdgeschoss: 14 unbewaffnete Litauer starben, als
sowjetische Spezialeinheiten den Turm am 13. Januar 1991 stürmten.

Tor der Morgenröte
Das Marienbild in der klassizistischen
Aušros-Torkapelle gilt als wundertätig
und ist ein Wallfahrtsort für Katholiken.
Wegen der berühmten Madonna blieb
das 1503-22 erbaute Tor der Morgenröte
vom Abriss verschont und ist das letzte
erhaltene Tor der alten Stadtmauer.
Litauisches Nationalmuseum
Fast eine Million Exponate zur Geschichte
lagern im ältesten und bedeutendsten
Museum des Landes. Vor dem Prachtbau
thront der erste große Herrscher mit Zepter
und Reichsapfel: Großfürst Mindaugas.
Der Sockel des Granitdenkmals ist
von einem Sonnenkalender umrahmt.
Kathedralenplatz
Die Erzbischöfliche Basilika des Hl. Stanislaw
und Hl. Wladislaw mit ihrem frei
stehenden Glockenturm und der Kasimirkapelle
im Inneren ist das wichtigste katholische
Gotteshaus Litauens. Weiterer
Blickfang des Platzes ist die Reiterstatue
des Großfürsten Gediminas.
„Unabhängige Republik Užupis“
Hier wohnen Künstler und andere, die satirisch
gegen Zeitgeist und Konsumwahn
anleben. Weltweit haben die kreativ-idealistischen
Bewohner über 200 Botschafter,
unter ihnen der Dalai Lama. Musiker-
Legende Frank Zappa ist Schutzpatron
des Viertels und als Denkmal verewigt.
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Politik und Gesellschaft
Litauen war die erste Sowjetrepublik, die sich von der Sowjetunion
löste und ihre Souveränität durch die Unabhängigkeitserklärung vom
11. März 1990 wiederherstellte. Es ist eine parlamentarische Demokratie.
Die Verfassung sieht die kommunale Selbstverwaltung der zehn
Regierungsbezirke vor. Das Einkammerparlament, der Seimas, umfasst
141 Abgeordnete. Der Präsident wird alle fünf Jahre direkt vom Volk
gewählt und hat weitreichende Befugnisse bei der Regierungsbildung
und in der Außenpolitik. Staatsoberhaupt seit Juli 2009 ist Dalia Grybauskaité,
einst EU-Budgetkommissarin.
Der Beitritt in den Schengenraum 2004 und der Wunsch nach Einführung
des Euro zeigen das Interesse des Landes, nicht am Rande eines
Europas der zwei Geschwindigkeiten zu verbleiben. Allerdings sind
sowohl Litauens Inflationsrate als auch die Arbeitslosenquote (13,9
Prozent Ende 2011) hoch, was den Beitritt zur Euro-Zone bislang verhinderte.
Frühestens im Jahr 2014 könnte Litauen die Kriterien für die
Euro-Einführung erfüllen, so schätzt es die Präsidentin ein.
Die Litauer sind stolz auf ihre vielfältige und sprachwissenschaftlich
interessante Sprache. Sie bezeichnen sich als Zentraleuropäer. Osteuropäer
sind aus litauischer Sicht Russen, Ukrainer und Weißrussen.
Von Litauen aus agieren seit Jahren Mitglieder der weißrussischen
Opposition. Sie sind gut integriert, teils im Staatsdienst tätig und verfolgen
das Ziel, Weißrusslands Zivilgesellschaft im Widerstand gegen
die autoritäre Regierung von Alexander Lukaschenko zu stärken. Ihre
in Litauen gesammelten Erfahrungen, speziell mit der Transformation
von zwei politischen Systemen, sehen sie dabei als hilfreich an.

Vilnius – eine führende Stadt im Baltikum
Der Vilniuser Stadtrat besteht aus 51 Personen, seine Amtszeit beträgt
vier Jahre. In der ersten Sitzung nach seiner Ernennung wählt er den
Oberbürgermeister, dessen vier Stellvertreter und den Administrationsdirektor.
Die Administration der Stadtverwaltung Vilnius setzt
sich aus Departments und aus Gemeinden der Stadtteile zusammen.
Stärkste Fraktion des im Jahr 2011 gewählten Stadtrates ist die Vilnius
Koalition, eine Bewegung unabhängiger Kandidaten (12 Sitze). Sie
stellt den Oberbürgermeister: Arturas -
Zuokas. Im Jahr 2000 wurde der
damals 32-Jährige erstmals in dieses Amt gewählt. Außerdem im Rat
vertreten ist der polnisch-russische „Block von Valdemar Tomashevskij“
(11 Sitze), die Vaterlandsunion – Litauische Christdemokraten
(10 Sitze), die Arbeitspartei (8 Sitze), die Sozialdemokratische Partei
Litauens (5 Sitze) und die Partei „Ordnung und Gerechtigkeit“ (5 Sitze).
Vilnius ist Sitz aller wichtigen Institutionen des Staates (Foto links
das Rathaus) und eine führende Stadt der baltischen Länder in politischer
und wirtschaftlicher Hinsicht. Das Gesellschafts- und Geschäftszentrum
am Ufer der Neris ist ein Symbol der expansiven Entwicklung.
Gut ausgebildete Litauer suchen Arbeit im Ausland
Die weltweite Wirtschaftskrise sorgte auch in Litauen für Einschnitte.
Kürzungen unter anderem der staatlichen Leistungen während des
Mutterschafts- und Elternurlaubs treffen die Familien hart. Die Geburtenrate
(1,55 Kinder pro Frau) zählt zu den niedrigsten in der EU.
Die junge Generation orientiert sich in Richtung Westen. Mit der Krise
und der hohen Arbeitslosigkeit handeln gut ausgebildete Litauer wie
einst ihre Vorfahren: Sie wandern aus. Zehntausende suchen Arbeit
vorzugsweise in Großbritannien und Irland. Auf Platz drei der Beliebtheitsskala
der Litauer liegt Norwegen, das Land, in dem Traumlöhne
gezahlt werden. Das Durchschnittsgehalt in Litauen lag Ende 2011 bei
591 Euro. Zwischen 1990 und 2011 sind insgesamt rund 670.000 Litauer
abgewandert und nur 110.000 heimgekehrt. In zwei Jahrzehnten hat
das 3,5-Millionen-Land nach offiziellen Angaben knapp eine halbe
Million Einwohner verloren. Die Litauer sind damit eines der auswanderungsfreudigsten
Völker Europas.
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Ein Blick zurück
Im 11. Jahrhundert als Residenz der Großfürsten von Litauen gegründet,
entwickelte sich Vilnius zur Bürgerstadt, wurde Sitz der Bischöfe
von Litauen und Hauptstadt des Großfürstentums Litauen in der Zeit
des polnisch-litauischen Unionsreiches. Im Frühmittelalter siedelten
an diesem Ort Balten, später Slawen und Juden. Bereits im 10. Jahrhundert
war auf dem heutigen Stadtgebiet eine hölzerne Befestigungsanlage
errichtet worden, um die herum eine Siedlung entstand. Erste
Erwähnung in historischen Quellen findet Vilnius als Hauptstadt der
Litauer 1323. Großfürst Gediminas sandte in Latein verfasste Briefe
an Kaiser, Papst, Ritterorden und Handelsstädte jener Zeit und warb
darin um Kaufleute, Wissenschaftler und Handwerker. Ins 14. Jahrhundert
fallen die Christianisierung und die Einführung des Magdeburger
Stadtrechts. Im 16. Jahrhundert war Vilnius wichtigstes Zentrum
jüdischer Kultur in Nordeuropa.
Einwohner unterschiedlicher Herkunft und Religionszugehörigkeit
und eine Vielzahl von Berufszweigen trugen dazu bei, dass Vilnius im
Spätmittelalter und in der frühen Neuzeit zu einer der bedeutenden
Städte Osteuropas emporstieg. Von 1795 bis 1915 gehörte das Land
und damit Vilnius zum russischen Zarenreich. Die beiden Weltkriege
stürzten die Bewohner der Stadt in eine Katastrophe. Insbesondere
die deutsche Besatzung 1941 bis 1944 mit dem Massenmord an der
jüdischen Bevölkerung, aber auch die sowjetische Herrschaft brachten
tiefe Einschnitte. 1990 erlangte Litauen erneut seine Unabhängigkeit,
Vilnius wurde Hauptstadt eines demokratischen Staates. Seit 2004 ist
das Land Mitglied der Europäischen Union und der NATO.

Reisen und Entdecken
Die baltischen Hauptstädte entwickelten sich in den vergangenen Jahren
von sowjetischen Provinzstädten zu pulsierenden EU-Metropolen
mit reicher Geschichte. Litauen hat viel Sehenswertes zu bieten: Städte
mit Baudenkmälern verschiedener Epochen und reizvolle Gegenden
unberührter Natur. Vilnius zeigt sich als Stadt voller Lebensfreude mit
einem prall gefüllten Veranstaltungskalender. Alle vier Jahre, aktuell
2013, ist die Stadt Schauplatz des Folklorefestivals Dainu sventje,
dem größten baltischen Chor- und Tanzgruppentreffen. Es zählt zum
Unesco-Kulturerbe. Das Mittelalterfestival auf der Burg Trakai, das
internationale Frühlings-Filmfestival, der Kasimir-Kunsthandwerksmarkt
oder der seit 1995 wieder offiziell mit Umzügen gefeierte
Fasching sind öffentliche Spektakel mit Unterhaltungswert.
Der päpstliche Pilgerweg durch Litauen erinnert an den Besuch von Johannes
Paul II. im Jahre 1993. Beliebte Ausflugsregion ist die Kurische
Nehrung – eine einzigartige Landschaft aus hohen Dünen und sauberen
Stränden. Dank der Aufforstung im 19. Jahrhundert ist es gelungen,
den Flugsand zu bändigen und diese Naturlandschaft für künftige
Generationen zu erhalten. Der Bernstein ist für die Ostseeküste des
Baltikums ein wahrer Schatz und ein wertvolles Erbe für Litauen, das
einst Ausgangspunkt zahlreicher Bernsteinstraßen durch Polen und
Deutschland bis hin zum Mittelmeer und nach China war. Im Museum
in Palanga zeigt eine Ausstellung knapp 4500 Bernstein-Exponate.
Entfernungen ab Vilnius
21km Trakai, legendäre Burg aus dem 16. Jahrhundert, in der Neuzeit
35km
renoviert, gilt als die Wiege des Staates Litauen
.
Kernave, historisches und archäologisches Reservat
105km Kaunas, zweitgrößte Stadt Litauens mit sehenswerter Altstadt
292km
328km
Riga, Hauptstadt Lettlands
.
Juodkrante - Zentrum des Bernsteinhandels
360km Nationalpark Kurische Nehrung mit Nida als touristisches Zentrum;
kleines Museum erinnert an das einstige Urlaubsdomizil des
Schriftstellers Thomas Mann
602km Tallinn, Hauptstadt Estlands
1318km Partnerstadt Erfurt

Arbeit und Bildung
Vilnius ist das wichtigste Industriezentrum des Landes mit bedeutenden
Wirtschaftsansiedlungen in Metallverarbeitung, Maschinenbau,
Nahrungsmittel-, elektronischer und chemischer sowie Papier- und
Möbelindustrie. Große Einzelhandels- und Telekommunikationsunternehmen,
Banken und Dienstleister haben in Vilnius ihren Stammsitz,
ausländische Firmen sind mit Niederlassungen vertreten. Die
Arbeitslosenquote in der Stadt ist mit knapp unter zehn Prozent eine
der niedrigsten in Litauen. Die französische Firma Dalkia kündigte an,
in Vilnius 145 Millionen Euro in den Bau eines Biomasse-Heizwerkes
zu investieren, laut Oberbürgermeister Arturas -
Zuokas ist das eine
der größten ausländischen Direktinvestitionen in Vilnius und Litauen
seit 2009. Der erste Baltic-Shop des Möbelhändlers Ikea wird 2013 in
Vilnius eröffnet. Menschen siedeln sich an, rund 4000 neue Wohnungen
entstehen jedes Jahr, die Mieten steigen, Pläne für eine Metro
existieren. Bis Ende 2013 soll eine Südumgehung für Vilnius fertiggebaut
sein, ein Jahr später eine westliche Umfahrung. Der expandierende
Außenhandel erfordert effektive Transportwege. Die wichtigsten
Ausfuhrgüter Litauens sind Mineralprodukte, Textilwaren, Maschinen
und Maschinenteile, Elektronik, Fleisch und Molkereiprodukte, Holz
sowie chemische Produkte.
Gigantische Investitionen im Energiesektor
Auf die weltweite Wirtschafts- und Finanzkrise reagierte der litauische
Staat 2009/10 mit drastischen Einsparungen: Gehaltskürzungen
von 20 Prozent im öffentlichen Dienst und Rentenkürzungen. Alle
öffentlichen Investitionen wurden verringert. Die Löhne in der freien
Wirtschaft sanken um etwa zehn Prozent. Der Konsolidierungskurs
zahlte sich aus. Die Brüsseler EU-Kommission sieht Litauens Wirtschaft
2012 auf einem Wachstumskurs. Es wird wieder mehr produziert.
Großprojekte im Energiesektor und in der Verkehrsinfrastruktur
sind in Planung. Nach einem Parlamentsbeschluss soll Litauen bis

zum Jahr 2020 eine stärkere Unabhängigkeit in der Energieversorgung
erlangen. Das mit fünf Milliarden Euro teuerste, aber auch umstrittene
Vorhaben ist der Bau eines Atomkraftwerkes. Außerdem will man in
erneuerbare Energien und in den Netzausbau investieren, ein Flüssiggasterminal
im Ostseehafen Klaipeda, neue Stromtrassen nach Polen
und Schweden errichten.
Zwei freie Wirtschaftszonen in Kaunas und Klaipeda bieten ausländischen
Investoren Top-Konditionen. Fünf Industrieparks, u.a. das
Santara Valley in Vilnius, sind speziell auf Hightech-Unternehmen
beispielsweise für Laser- und Licht-Technologien, Halbleiterphysik,
Elektronik, Bio-Pharmazie, Molekulare Medizin, nachhaltige Chemie,
Mechatronik und Biomedizintechnik ausgerichtet.
14 Hochschulen in Vilnius
Mit sechs bzw. sieben Jahren beginnt die Schulzeit eines Kindes in
Litauen. Danach folgen Grundschule und ab Klasse fünf die Hauptschule,
entweder bis zu Klasse zehn oder ab Klasse 9 der Übertritt
zum Gymnasium. Die Notenskala reicht von eins (unteres Level) bis
zehn (oberes Level). In Vilnius gibt es 148 Kindertageseinrichtungen
mit Vorschulbildung, 152 Hauptschulen, 11 Berufsschulen und sechs
Gymnasien. Die Universität Vilnius – im 16. Jahrhundert gegründet –
ist das älteste und größte höhere Bildungsinstitut Litauens. 13 weitere
Hochschulen existieren in der Hauptstadt, darunter die Kunstakademie,
die Universität für Edukologie, die Technische Universität und
die Musik- und Theaterakademie.
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Partnerschaft und Projekte
Die Städtepartnerschaft zwischen Vilnius und Erfurt besteht seit April
1972. Nach der Wende 1990 unterzeichneten die Oberbürgermeister
beider Städte eine Vereinbarung über die Fortführung der Partnerschaftsbeziehungen.
Der Erfahrungsaustausch beim Aufbau demokratischer
Kommunalverwaltungen und die Zusammenarbeit von Industrie,
Handel, Handwerk und Gewerbe rückten in den Vordergrund.
Hilfe, die ankommt! - der Förderverein Kinder in Litauen e.V.
In den zwanzig Jahren seines Bestehens fand der Verein zur Umsetzung
und Begleitung seiner Projekte in Vilnius verlässliche und in der
Sozialarbeit gut ausgebildete Partner. Er unterstützt Kinderpatenschaften,
Familienentschuldung, Nachhilfe und Begabtenförderung in
Zusammenarbeit mit dem Sozialzentrum Jurgis Matulaitis. Insgesamt
flossen 300.000 Euro in diese Projekte. Seit Jahren wird die Kinderkrebsstation
der Kinderklinik in Vilnius unterstützt, zum Beispiel mit
der Anschaffung eines Blutanalysegerätes. Außerdem lobt der Verein
einen Deutschwettbewerb für Vilniuser Schüler aus.
Kontakte zwischen Bildungseinrichtungen
Die Universität Erfurt pflegt Kontakte mit der Universität Vilnius und
dem Vilnius Cooperative College. Die Fachhochschule Erfurt und die
Technische Universität Vilnius sind partnerschaftlich verbunden.
Auf das Jahr 1969 geht die Kooperation Erfurter Schüler und Lehrer zur
34. Mittelschule (Sausio 13-Osios Vidurine Mokykla) in Vilnius zurück.
Die neue Schullandschaft nach der Wende brachte Veränderungen, die
Kontakte aber blieben bestehen und wurden ab 1991 in der Integrierten
Gesamtschule Erfurt auf ein neues Fundament gestellt. Jährlich
gibt es abwechselnd in Vilnius und Erfurt ein Schülertreffen.
Kultur und Sport
Tanz- und Musikgruppen aus Litauen treten regelmäßig beim internationalen
Folklorefestival Danetzare in Erfurt auf (Foto links).
Vilniuser Sportler nehmen am Thüringen-Pokal der Judoka und am
Familienschachturnier teil. Kontakte bestehen zwischen dem Erfurter
Hockey Club und dem Verein Vanagai Vilnius, der Nachwuchsspieler
zum Erfurter „Puffbohnenturnier“ schickte (Foto rechts).

Streiflichter aus vier Jahrzehnten Städtepartnerschaft
1973 erhielt im Wohnungsbaukombinat Erfurt eine neu entwickelte
Fließstrecke für Badzellen in Plattenbauten den Namen Vilnius, sie
war mit dem Häuserbaukombinat Vilnius entwickelt worden. Zu einem
Erfahrungsaustausch hielten sich litauische Ingenieure aus dem
Komunaras-Werk Vilnius 1978 im Kombinat Umformtechnik auf.
Wirtschaftliche Zusammenarbeit, gegenseitige Besuche, Schüler- und
Jugendaustausche, Gastspiele der Theater und Chöre, Freundschaftszüge,
Schriftstellerlesungen und Festtage internationaler Kunst in Erfurt
mit Vilniuser Beteiligung wurden gefördert und gepflegt. Freundschaften
aus der DDR-Zeit überdauerten die politischen Umbrüche.
Mitte der 1990er Jahre übernahmen Erfurter die Patenschaft über ein
Kinderheim und ein Tuberkulosekinderkrankenhaus, schickten medizinische
Geräte und Medikamente. Hilfsaktionen u.a. für die Kleiderkammer
der katholischen Pfarrgemeinde Jurgis Matulaitis in Vilnius
wurden organisiert. Deren Sozialstation konnte mit Unterstützung
u.a. des Katholischen Familienbundes ihre Arbeit aufnehmen.
Eine aus Spenden von Erfurtern finanzierte Glocke für eine Kirche im
Vilniuser Neubaugebiet verlieh den Feierlichkeiten zum 25. Jubiläum
der Städtepartnerschaft im Jahr 1997 eine ganz besondere Symbolkraft.
Eine Kunstgießerei in Lauchhammer schuf diese Glocke für die
Matulaitis-Kirche, einen der ersten sakralen Bauten der Sowjetzeit.
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Impressum
Herausgeber
Landeshauptstadt Erfurt
Stadtverwaltung
Redaktion
Sachgebiet Protokoll und
internationale Verbindungen
Fischmarkt 1
99084 Erfurt
Telefon:
Fax:
E-Mail:
+49 361 655-1023
+49 361 655-1019
gabriele.schmidt@erfurt.de
simone.kraft@erfurt.de
Internet: www.erfurt.de
Text und Gestaltung: Vera Dähnert
Fotos: Tourismus-Informationszentrum Vilnius,
Mark Poltermann, Andrius Ufartas, Tomas Urbelionis,
Tomas Luksys, Erfurter Hockey Club
1. Auflage November 2012

Service
EINREISE NACH LITAUEN
Für Touristen aus Mitgliedsstaaten der
Europäischen Union genügt ein gültiger
Personalausweis oder Reisepass für
die Einreise. Wer über Weißrussland
einreist, benötigt zudem ein
Transitvisum für Belarus; für deutsche
Staatsangehörige ausgestellt von der
Botschaft Weißrusslands in Berlin.
Formular: www.german.belembassy.org
ANREISE
Flugzeug: Der Flughafen Vilnius
wird ab Frankfurt von Lufthansa
täglich angeflogen. Baltic Air bietet
Umsteigeverbindungen von mehreren
deutschen Flughäfen. Ryanair steuert ab
Frankfurt-Hahn die Stadt Kaunas (105 km
entfernt von Vilnius) an.
Eisenbahn: Die kürzeste Fahrzeit von
Berlin über Warschau nach Vilnius
beträgt 15 Stunden. Führt die Strecke
über Weißrussland, Touristenvisum
nicht vergessen!
Auto: Eine Fahrt von Berlin über
Warschau nach Vilnius über Autobahnen
und Schnellstraßen dauert 14 Stunden;
alternativ über Danzig oder Krakau.
Das Mitführen eines Feuerlöschers im
Auto ist in Litauen Pflicht.
Autofähre: von Kiel oder Sassnitz
nach Klaipeda, dann weiter über die
Schnellstraße nach Vilnius
WICHTIGE ADRESSEN
Botschaft der Bundesrepublik
Deutschland in Litauen
Z. Sierakausko g. 24, LT 03105 Vilnius
Telefon: +370 5 210-6400
E-Mail: info@wilna.diplo.de
www.wilna.diplo.de
Vilnius Stadtverwaltung
Konstitucijos pr. 3, LT 09601 Vilnius
Telefon: +370 5 211-2332
Homepage: www.vilnius.lt
E-Mail: international@vilnius.lt
Tourismus-Informationszentrum Vilnius
Vilniaus g. 22, LT 01119 Vilnius
Telefon: +370 5 262-9660
Homepage: www.vilnius-tourism.lt
E-Mail: tic@vilnius.lt
Honorarkonsul der Republik Litauen
Bernd Wilfried Moser
Melchendorfer Straße 64, 99096 Erfurt
Telefon: +49 361 4283112
Förderverein Kinder in Litauen e.V.
Jörg Kallenbach, stellv. Vorsitzender
Viktor-Scheffel-Straße 60, 99096 Erfurt
Telefon: +49 361 3452144
Homepage: www.kinder-in-litauen.de
LANDESDATEN LITAUENS
Fläche: 65.300 km²
Einwohnerzahl: 3.187.659 (Mai 2012)
Bevölkerungsdichte: 52 Einwohner pro km²
Hauptstadt: Vilnius
Nationalfeiertage: 16. Februar – Tag der
Eigenstaatlichkeit (1918);
11. März – Tag der Wiedererlangung der
Unabhängigkeit (1990)
höchste Erhebung: Aukštojas 293,84 m
längster Fluss: Nemunas (Memel) 937 km
internationales Kfz-Kennzeichen: LT
Landeswährung: Litas (LTL)
Wechselkurs: 1 Euro sind 3,45 Litas
Uhrzeit: MEZ plus 1 Stunde (OEZ),
Sommerzeit MESZ plus 1 Stunde (OESZ)
internationale Telefonvorwahl: +370
Spannung/Frequenz: 220 Volt und 50 Hertz