WEIN WAHN WEIHNACHTEN
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Befleckte Überlieferung<br />
Wider die Mariendogmen<br />
Am 8. Dezember 2007, dem Tag von Mariä Empfängnis,<br />
hat das Jubiläumsjahr zur Feier der Marienerscheinungen<br />
in Lourdes vor 150 Jahren begonnen. Per Dekret hat<br />
Benedikt XVI. verfügt, dass alle Gläubigen, die während<br />
dieser Zeit in frommer Gesinnung nach Lourdes pilgern,<br />
für sich oder für die Seelen anderer im Fegefeuer einen<br />
vollkommenen Ablass von Sündenstrafen erlangen<br />
können. Die Pressestelle des Heiligen Stuhls rechnet in<br />
den kommenden zwölf Monaten mit rund acht Millionen<br />
Pilgern.<br />
Am 11. Februar 1858 hatte die 14-jährige Bernadette<br />
Soubirous in der Lourdes-Grotte Massabielle eine<br />
„junge, wunderschöne Dame, ganz vom Licht umflossen“<br />
gesehen. Sie war „bestürzt“, berichtete Bernadette<br />
später und glaubte anfangs an eine „Täuschung“. Der<br />
örtliche Bischof vernahm sie und befahl der Seherin, die<br />
„wunderschöne Dame“ nach ihrem Namen zu fragen.<br />
Darauf stellte diese sich als „die unbefleckte Empfängnis“<br />
vor. Zweifellos stärkte das die damals vier Jahre alte<br />
päpstliche Definition des Dogmas, dass Anna ihre Tochter<br />
Maria unbefleckt, sündlos, empfangen habe. Bernadette<br />
sagte später, die Dame sei ihr erschienen, um die Worte<br />
des Papstes zur unbefleckten Empfängnis der Maria zu<br />
bestätigen.<br />
Die vier Dogmen<br />
Neben dem Dogma von der unbefleckten Empfängnis<br />
sind für Katholiken drei weitere Mariendogmen verbindlich:<br />
a) Maria ist Mutter Gottes, b) sie blieb immer<br />
Jungfrau, c) sie fuhr leiblich in den Himmel. Das<br />
römisch-katholische Lehramt fasst diese Aussagen im<br />
wörtlichen Sinn auf. Die kürzlich veröffentlichte Enzyklika<br />
von Benedikt XVI., „Spe Salvi“ („Auf Hoffnung hin<br />
gerettet“), die am Schluss unter der Überschrift „Maria,<br />
Stern der Hoffnung“ die Gottesmutter anruft, liegt auf<br />
der gleichen Linie. Ihr Verfasser versteht alles wörtlich,<br />
was das Neue Testament über Maria und die Geburt Jesu<br />
aus einer Jungfrau erzählt. Der Intellektuelle auf dem<br />
Heiligen Stuhl, Joseph Ratzinger, der zwischen Glauben<br />
und Vernunft keine Gegensätze sieht, gewinnt so aus der<br />
Bibel ein Fundament für die kirchliche Lehre von Maria.<br />
Nun hat historisch-kritische Erforschung der Texte, die<br />
die Geburt Jesu betreffen, zu einigen sicheren Ergebnissen<br />
geführt.<br />
Erstens. Die Weihnachtsgeschichten enthalten überwiegend<br />
fiktive Elemente, die mit dem wirklichen Hergang<br />
nichts zu tun haben. So gab es weder eine reichsweite<br />
Schätzung unter Kaiser Augustus noch einen Kindermord<br />
in Bethlehem. Die Engel entstammen primitiver Mythologie,<br />
und die Hirten auf dem Felde ebenso wie die Magier<br />
aus dem Morgenland sind Idealpersonen. Die Erzählung<br />
über den Stern von Bethlehem ist eine Fiktion. Überdies<br />
wurde Jesus nicht in Bethlehem, sondern in Nazareth<br />
geboren.<br />
Zweitens. Jesus hatte einen menschlichen Vater. Die<br />
Jungfrauengeburt ist eine Deutung: Sie betont die<br />
Göttlichkeit der Person Jesu, indem sie ihn auf dieselbe<br />
Stufe wie andere ebenfalls von einer Jungfrau geborene<br />
Göttersöhne der Antike stellt. Und sie soll beweisen, dass<br />
das Alte Testament die Geburt Jesu aus einer Jungfrau<br />
geweissagt habe.<br />
Und das intellektuelle Gewissen?<br />
Wein Wahn Weihnachten<br />
Die historisch-kritische Arbeit zur Jungfraugeburt und<br />
Weihnachtsgeschichte zerstört nicht nur das biblische<br />
Fundament der kirchlichen Dogmen zu Maria, sondern<br />
auch die Dogmen selbst. Denn wenn Jesus gar nicht von<br />
einer Jungfrau geboren wurde, fällt auch die gesamte<br />
römisch-katholische Mariologie einschließlich der unbefleckten<br />
Empfängnis wie ein Kartenhaus zusammen. Dies<br />
alles provoziert die Frage, wie ein Gelehrter vom Rang<br />
Joseph Ratzingers die Mariendogmatik und Wallfahrten<br />
nach Lourdes mit seinem intellektuellen Gewissen vereinbaren<br />
kann. Die junge jüdische Mutter Maria hätte nicht<br />
schlecht darüber gestaunt, was die christlichen Kirchen<br />
ihr und ihrem Sohn später angedichtet haben.<br />
Gerd Lüdemann ist Professor für Geschichte und Literatur<br />
des frühen Christentums an der Theologischen Fakultät<br />
der Universität Göttingen. Im Frühjahr 2008 erschien von<br />
ihm: Der erfundene Jesus. Unechte Jesusworte im Neuen<br />
Testament (Verlag zu Klampen).