Kahle Kirchenbänke, betuliche Predigten ... - hetzner-fotografie
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Wie sähen wohl die Sonntage von Maria Paetow-Bockwoldt<br />
aus, wenn es keine Pizza gegeben hätte? Aber es<br />
hat ja Pizza gegeben, und das hatte Folgen. Maria wirbelt<br />
ihre Arme durch die Luft, und als die Band anfängt zu spielen,<br />
hält es sie nicht mehr auf dem Plastiksessel. Wie in einer Karaoke-Bar<br />
schauen andere Jugendliche um sie herum auf die<br />
Leinwand hinter der Bühne oder auf die Monitore, welche den Text<br />
anzeigen. Doch Marias Lippen bewegen sich wie von selbst: I say<br />
yes Lord, yes Lord, yes, yes Lord! Selbstvergessen singt sie mit, auch<br />
wenn man sie nicht hören kann. Dafür ist die Band auf der Bühne<br />
mit ihrem Schlagzeugwirbel viel zu laut.<br />
Maria feiert einen Jugendgottesdienst in der Genthiner St.-Trinitatis-Kirche.<br />
Dabei hatte die 18-Jährige mit den kupferfarbenen<br />
Haarsträhnen nach der Konfirmation keine Lust mehr auf Kirche.<br />
24 Mal musste sie den Gottesdienst besuchen, damit der Pfarrer<br />
sie konfirmierte – es war eine harte Geduldsprobe. Irgendwann<br />
nahm Maria nicht mehr ohne Comic-Heft auf der Kirchbank Platz.<br />
„Es war alles so trocken, weil sich der Gottesdienst nie auf unser<br />
Leben bezogen hat.“ Ihr Fazit: „Ich wollte nach der Konfirmation<br />
nie wieder in die Kirche.“<br />
Deshalb lehnte Maria auch erst mal ab, als eine Freundin sie zu<br />
einer Andacht des Jugendreferenten mitnehmen wollte. „Aber<br />
dann hat sie mir erzählt, dass es da auch Pizza gibt.“ Und während<br />
Maria es sich schmecken ließ, kramte Referent Frank Lederer ein<br />
Bergsteigerseil hervor und erzählte damit die Geschichte seines<br />
Glaubens, der im Leben Sicherheit und Halt verleihen könne. Die<br />
Botschaft verfing. „Seitdem hab ich mich auch ganz oft an Jesus<br />
gehängt“, erzählt Maria. „Und ich versuche, nach der Bibel zu leben.“<br />
Mit ganz praktischen Konsequenzen. Zum Beispiel teile die<br />
Abiturientin jetzt ihre Süßigkeiten auf dem Schulhof mit anderen.<br />
Und wenn eine alte Dame in den Bus steige, mache sie ihr Platz.<br />
Ein klarer Missionserfolg für Frank Lederer. Der 30-Jährige<br />
kam im August 2001 aus Baden-Württemberg als neuer Jugendreferent<br />
nach Genthin. Die 15 000-Einwohner-Stadt liegt zwischen<br />
Berlin und Magdeburg. Mit seiner Frau Kathrin zog er in das gelbe<br />
Haus direkt gegenüber der St.-Trinitatis-Kirche im Stadtzentrum.<br />
Er hatte sich auf eine Ausschreibung beworben, mit der der<br />
Kirchenkreis Elbe-Fläming und die evangelische Kirchengemeinde<br />
einen Mitarbeiter für missionarische Kinder- und Jugendarbeit<br />
suchten. Denn die Mitgliederzahl der jungen Gemeinde stagnierte<br />
bei acht bis zehn Stammgästen. Freunde warnten Lederer<br />
vor dem Osten: Kirche und Glauben seien nach der DDR-Diktatur<br />
kaum in der Bevölkerung verankert. Doch Lederer brach auf. Und<br />
in seinem Kopf geisterte die Idee einer Jugendkirche umher. Die<br />
Idee kommt aus Großbritannien und findet seit Anfang der Neunziger<br />
auch in Deutschland Nachahmer.<br />
Der Schriftzug „vivavox.de – die jugendkirche“ ziert die Rückseite<br />
des blauen T-Shirts, das Lederer am Sonntagnachmittag zum<br />
Jugendgottesdienst trägt. Vivavox, das ist Lateinisch und heißt<br />
„lebendige Stimme“ – so nennt sich die Genthiner Jugendkirche.<br />
Lederer sieht zielgruppengerecht aus: blond gefärbte Haare, Rastalocken,<br />
Rapperhose. Das Mikrofon ist am Kopf befestigt, damit<br />
er frei sprechen kann. In seiner Predigt geht es um Gnade. „Stellt<br />
euch vor, der Bundeskanzler lädt euch ein an einen megafett gedeckten<br />
Tisch. Wenn ihr ihm dann hinterher 50 Cent als Wiedergutmachung<br />
für die Einladung gebt, dann wäre er total enttäuscht.