08.02.2013 Aufrufe

Unerwünschte Erinnerungen Gefängnisliteratur 1945/49 bis ... - gulag

Unerwünschte Erinnerungen Gefängnisliteratur 1945/49 bis ... - gulag

Unerwünschte Erinnerungen Gefängnisliteratur 1945/49 bis ... - gulag

MEHR ANZEIGEN
WENIGER ANZEIGEN

Sie wollen auch ein ePaper? Erhöhen Sie die Reichweite Ihrer Titel.

YUMPU macht aus Druck-PDFs automatisch weboptimierte ePaper, die Google liebt.

<strong>Unerwünschte</strong> <strong>Erinnerungen</strong><br />

801<br />

1969, München 1971/87) und innerhalb seiner sechsbändigen „Chronik des<br />

deutschen Bürgertums“ unter dem Titel „Ein Kapitel für sich“ (München<br />

1974). Der Unterschied zwischen beiden Fassungen bestand darin, daß der<br />

Protokollstil von 1969, hinter dem der Erzähler fast verschwand, 1975 dadurch<br />

aufgelockert wurde, daß das Haftgeschehen auch aus der Perspektive der<br />

Mutter und des Bruders erzählt wurde. Walter Kempowski, 1948 verhaftet und<br />

nach der Entlassung 1956 zum Lehrer ausgebildet, hat jahrelang an seinem<br />

ersten Manuskript gearbeitet, <strong>bis</strong> es 1969 erscheinen konnte. Abgesehen davon,<br />

daß er über diese Arbeit zum Schriftsteller wurde und die „Chronik“ schreiben<br />

konnte, die <strong>bis</strong> ins Kaiserreich zurückführte, sah er in den Bautzener Jahren,<br />

im Gegensatz zu Eva Müthel (Bewährung einer Liebe) und Hermann Josef<br />

Flade (politischer Widerstand) nichts Sinnvolles für sein späteres Leben.<br />

Seine Verhaftung war Willkür ohne jeden Tatbestand. Gerade diese Art des<br />

Schreibens aber machte das Buch für Literaturkritik und Literaturwissenschaft<br />

interessant.<br />

4. Autobiographische Berichte. <strong>Gefängnisliteratur</strong> unter Erich Honecker<br />

1971/89<br />

Die wenigen Darstellungen politischer Haft, die <strong>bis</strong> 1971 erschienen, dürfen<br />

nicht zur Annahme verführen, als hielten die Autoren ihre Erlebnisse nicht für<br />

berichtenswert oder als seien sie über der Schwere des Erlebten verstummt.<br />

Es gab mehrere Gründe für diese Zurückhaltung: Manche Autoren lebten<br />

auch nach der Haftentlassung noch in der DDR und wagten es nicht,<br />

ihre Manuskripte, sofern sie schon welche hatten, einem westdeutschen<br />

Verlag anzubieten; so hat Erich Loest seine Bautzener Jahre in Leipzig<br />

aufgeschrieben, das fertige Buch aber erst im Jahr der Übersiedlung 1981<br />

in Hamburg erscheinen lassen. Margret Bechler wiederum, <strong>1945</strong> verhaftet<br />

und 1956 nach Westdeutschland entlassen, hat 22 Jahre gebraucht, <strong>bis</strong> sie<br />

ihre Erlebnisse der Öffentlichkeit zugänglich machten konnte. Die Leipziger<br />

Lehrerin Dagmar Suckert, die unter dem Pseudonym „Tina Österreich“<br />

schrieb, wollte ihre <strong>Erinnerungen</strong> an das Haftarbeitslager Dessau-Wolfen nur<br />

deshalb aufzeichnen, um nicht alles Erlebte immer wieder von vorn erzählen zu<br />

müssen im Bekanntenkreis. Das so entstandene Buch „Ich war RF“ (Stuttgart<br />

1977) verkaufte sich freilich wider Erwarten gut und war 1978 schon in der<br />

vierten Auflage, obwohl der Titel westdeutschen Ohren unverständlich war. Er<br />

meinte das Delikt „Republikflucht“, dessen sich die Autorin mit Ehemann und<br />

zwei Kindern im Sommer 1974 schuldig gemacht hatte. Als sie am Strand der<br />

Ostsee Fluchtmöglichkeiten nach Dänemark auskundschaften wollte, war sie<br />

gestellt und verhaftet worden, im Auto gefundene „Schwimmittel“ galten als<br />

Tatbeweis, die Kinder wurden den Großeltern übergeben. Die Strafe lautete

Hurra! Ihre Datei wurde hochgeladen und ist bereit für die Veröffentlichung.

Erfolgreich gespeichert!

Leider ist etwas schief gelaufen!