Sekundäre Immundefizienz nach ZNS-Verletzung Intraoperative ...
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GENETISCHE DEFEKTE DER MYELINBILDUNG: MOLEKULARE PATHOGENESE DER CMT1A<br />
Tab. 1: Klassifikation hereditärer Neuropathien. Hereditäre Neurpathien werden <strong>nach</strong> der<br />
Klinik und den beteiligten Nervenfasertypen klassifiziert.<br />
Klasse Gruppe Merkmale<br />
CMT CMT1 / HMSN1 demyelinisierende, neurale Form<br />
CMT2 / HMSN2 axonale, neuronale Form<br />
CMT3 / HMSN3 Dejeriene-Sottas-Syndrom<br />
CMT4 / HMSN4 M. Refsum<br />
CMT5 / HMSN5 spastische Paraplegie mit Amyotrophie<br />
CMT6 / HMSN6 CMT mit optischer Atrophie<br />
CMT7 / HMSN7 CMT mit Retinitis pigmentosa<br />
Sonderformen CHN kongenitale Hypomyelinisierung<br />
HNPP hereditäre Neuropathie mit Neigung zu Druckparesen<br />
dHMN dHMN-2 bis<br />
dHMN-7<br />
rein motorische Ausfälle<br />
HSAN HSAN-1 bis<br />
HSAN-6<br />
reine Sensibilitätsausfälle, autonome Störungen<br />
Myelinscheide, die für die schnelle, saltatorische<br />
Signalweiterleitung notwendig ist.<br />
Trotz molekularer Diagnostik stellt die<br />
Messung der Nervenleitgeschwindigkeit<br />
(NLG) in Kombination mit morphologischbioptischen<br />
Befunden bei der CMT heute<br />
noch das wichtigste diagnostische Kriterium<br />
dar. Mit Hilfe der Elektrophysiologie<br />
werden grundsätzlich zwei Formen der CMT<br />
unterschieden. Bei deutlich verlangsamter<br />
NLG ist die Funktion der myelinbildenden<br />
Schwannzellen beeinträchtigt. Man spricht<br />
von der demyelinisierenden CMT Typ 1. Bei<br />
normaler oder nur leicht verzögerter NLG<br />
handelt es sich um die axonale CMT Typ 2.<br />
Dabei gilt eine NLG des N. medianus von<br />
38 m/s als Trennlinie (Harding und Thomas<br />
1980). Die CMT Typ 1 ist die häufigste Form<br />
der CMT und wird daher hier ausführlich behandelt.<br />
Trotz der klinischen Variabilität ist die<br />
NLG der motorischen und sensiblen Fasern<br />
bei der CMT1 regelmäßig reduziert und<br />
bleibt im Verlauf des Lebens reduziert (Killian<br />
et al. 1996). Elektromyographisch finden<br />
sich Zeichen eines chronischen Denervierungsprozesses<br />
mit Spontanaktivität. Diese<br />
neurophysiologischen Befunde sprechen<br />
dafür, dass der axonale Verlust und damit die<br />
Denervierung entsprechender Muskelgruppen<br />
die Klinik der CMT1 verursachen, obwohl<br />
es sich um eine primär demyelinisierende<br />
Neuropathie handelt.<br />
Zu den histologischen Befunden der CMT1<br />
gehören eine segmentale Demyelinisierung<br />
von vornehmlich großkalibrigen motorischen<br />
Axonen und die so genannten „Zwiebelschalenformationen“<br />
(Dyck 1993). Axone werden<br />
nicht von jeweils einer myelinisierenden<br />
Schwannzelle umgeben, sondern von mehreren<br />
Lagen konzentrisch angeordneter Zellen<br />
und ihren Fortsätzen. Diese Zellen zeigen<br />
Merkmale undifferenzierter, promyelini-<br />
sierender Schwannzellen (Guenard et al.<br />
1996). Dies könnte die Folge eines parallel<br />
ablaufenden Prozesses von De- und Remyelinisierung<br />
sein. Diese neuropathologischen<br />
Prozesse lassen Nerven von CMT1-Patienten<br />
gelegentlich verdickt erscheinen (Dyck<br />
1993). Im weiteren Verlauf der Erkrankung<br />
kommt es infolge der Demyelinisierung zu<br />
einem Untergang großer, motorischer Axone<br />
(Lewis et al. 2003). Dies bedingt die dargestellte<br />
Muskelatrophie und die klinische Behinderung<br />
der Patienten. Eine ursächliche<br />
Therapie der Erkrankung ist nicht möglich.<br />
Genetische Grundlagen der CMT<br />
In den letzten Jahren wurde eine Vielzahl von<br />
Mutationen beschrieben, die die CMT verursachen<br />
können (Tabelle 2). Eine regelmäßig<br />
aktualisierte Liste ist verfügbar unter: http://<br />
www.molgen.ua.ac.be/CMTMutations/<br />
default.cfm. Die klinisch orientierte Einteilung<br />
hereditärer peripherer Neuropathien<br />
wurde daher in den letzten Jahren erweitert<br />
durch Erkenntnisse der Molekularbiologie<br />
und Genetik. Es wurde deutlich, dass klinisch<br />
vergleichbare Symptome durch Mutationen<br />
in ganz unterschiedlichen Genen verursacht<br />
werden können. Umgekehrt können Mutationen<br />
im gleichen Gen eine sehr unterschiedliche<br />
Klinik hervorrufen. Daher muss derzeit<br />
eine adäquate Klassifikation der CMT <strong>nach</strong><br />
sowohl klinischen, als auch genetischen Kriterien<br />
erfolgen (Tabelle 2).<br />
Pathomechanismen der CMT<br />
Eine Vielzahl von Gendefekten wurde mit<br />
CMT-Formen assoziiert. Es können Myelinproteine<br />
mutiert sein, wie das Periphere Myelin<br />
Protein-22 (PMP22), das Myelin Protein<br />
Zero (MPZ / P0) und Connexin-32 (Cx32).<br />
Außerdem führen Veränderungen des Tran-<br />
skriptionsfaktors Early Growth Response<br />
(EGR2) sowie axonaler Proteine (NEFL, Gigaxonin,<br />
KIF1Bβ) zu verschiedenen Formen<br />
der CMT.<br />
Eine Reihe kürzlich identifizierter Mutationen<br />
erlaubt interessante Einblicke in mögliche<br />
Pathomechanismen der CMT. Das Protein<br />
Dynactin ist am schnellen retrograden<br />
Transport im Axon beteiligt. Die Mutation des<br />
Dynactin-Gens (DCTN1) führt zu einer längenabhängigen<br />
axonalen Degeneration (Puls<br />
et al. 2003) und zu einer hereditären Neuropathie<br />
(dHMN).<br />
Punktmutationen im Mitofusin-Gen<br />
(MFN2) und in einem Kinesin-Gen (KIF1Bβ)<br />
wurden mit der CMT2A assoziiert (Zhao et<br />
al. 2001; Zuchner et al. 2004). Beide Gene<br />
werden in Neuronen exprimiert. Die Mutation<br />
des Mitofusin-Gens beeinträchtigt die<br />
Morphologie und den Transport der Mitochondrien<br />
am Zytoskelett entlang (Chen et<br />
al. 2003). Diese Bewegung der Mitochondrien<br />
an den Mikrotubuli ist Teil des schnellen<br />
anterograden Transports im Axon. Das intrazelluläre<br />
„Motorprotein“ KIF1Bβ transportiert<br />
Vorläufer synaptischer Vesikel und Mitochondrien<br />
im Axon (Zhao 2001). Es wird<br />
vermutet, dass die Transportbehinderung von<br />
Mitochondrien zu einem Mangel in der Energieversorgung<br />
des distalen Axons und zu<br />
dessen Degeneration führt.<br />
In Nerven von „trembler“-Mäusen, die eine<br />
natürlich vorkommende PMP22-Mutation<br />
tragen, konnte eine verminderte Phosphorylierung<br />
von Neurofilamenten und eine gesteigerte<br />
Neurofilamentdichte im Axon gezeigt<br />
werden (de Waegh et al. 1992). In Xenotransplantationsversuchen<br />
konnte gezeigt werden,<br />
dass Schwannzellen von CMT1A-Patienten<br />
die Struktur „gesunder“ Axone verändern<br />
(Sahenk et al. 1999). Axone zeigten im Abschnitt,<br />
der von pathologischen Schwannzellen<br />
umgeben war, eine erhöhte Neurofilamentdichte<br />
und distal davon eine Degeneration.<br />
Interessanterweise wurde ein ähnliches<br />
Phänomen in den myelinbildenden Gliazellen<br />
des zentralen Nervensystems (Oligodendrozyten)<br />
beschrieben. In nullmutanten Mäusen<br />
ist der axonale Transport für das zentrale<br />
Myelinproteins „Proteolipid Protein“ (PLP)<br />
beeinträchtigt und es kommt zu einer längenabhängigen<br />
axonalen Degeneration (Edgar et<br />
al. 2004). Auch primäre Defekte der Gliazellen<br />
können folglich die Ultrastruktur und den<br />
intrazellulären Transport des Axons stören.<br />
Dieser Pathomechanismus erscheint als gemeinsames<br />
Merkmal verschiedener Formen<br />
hereditärer Neuropathien, wobei die molekularen<br />
Mechanismen der Axon-Glia-Interaktion<br />
unverstanden sind.<br />
26 Neuroforum 1/05