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Miriamgemeinde Bonames - Kalbach - Miriamgemeinde Frankfurt

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2<br />

Liebe Leserin, lieber Leser,<br />

Wenn Menschen anfangen vom<br />

Urlaub zu erzählen, hört man<br />

manchmal Sätze wie: „Endlich<br />

konnte ich wieder einmal tun, wonach<br />

mir eigentlich der Sinn<br />

steht.“ –„Endlich hatte ich mal<br />

wieder Zeit für mich.“ –„Ich war<br />

mal wieder so richtig ich.“ Denn:<br />

„Eigentlich bin ich ganz anders –<br />

nur komm’ ich so selten dazu.“<br />

In diesem letzten Satz, einem<br />

Bonmot des österreichischungarischen<br />

Schriftstellers und<br />

Dramatikers Ödön von Horváth<br />

steckt die Ahnung eines ungelebten<br />

Lebens, das unter dem Diktat<br />

des Alltags offenbar keine Chance<br />

hat: Jeden Morgen ins Büro,<br />

an den Schalter, vor die Klasse,<br />

an die Kasse – und immer wieder<br />

an diese Maschine, deren Teil<br />

man wird, sobald man ihre Tastatur<br />

berührt.<br />

Was wir täglich tun, tun müssen,<br />

legt uns fest. Unsere Erwerbsarbeit,<br />

aber auch unsere alltäglichen<br />

Familienarbeitsabläufe, sogar<br />

unsere Freizeitrituale legen<br />

uns in einer Weise fest, dass wir<br />

uns auf Dauer selbst immer fremder<br />

werden. Das liegt daran, dass<br />

sie uns nur einen kleinen Teil<br />

dessen abfordern, was auch noch<br />

in uns steckt, aber dieser kleine<br />

Teil bestimmt zu einem großen<br />

Teil unser Leben. – Eigentlich bin<br />

ich ganz anders! Ein anderes Tun,<br />

eine andere Lebensweise würden<br />

viel besser zu mir passen. . . nur<br />

komm’ ich so selten dazu!<br />

Irgendwann haben wir uns so daran<br />

gewöhnt, dass wir zwar der<br />

Meinung sind, wenn wir unbe-<br />

Besinnung<br />

dingt wollten, dann könnten wir<br />

ganz anders – sein, uns verhalten<br />

– aber wenn dann die Gelegenheit<br />

da ist, schaffen wir es nicht.<br />

Das beste Beispiel ist auch hier<br />

der Urlaub. Wie oft gibt es Streit,<br />

weil die Menschen, mit denen wir<br />

im Urlaub zusammen sind, auch<br />

im Urlaub nicht anders sind als<br />

sonst, vielleicht gestresst und unfreundlich,<br />

vielleicht hektisch und<br />

anstrengend, vielleicht langsam<br />

und antriebslos – obwohl doch<br />

jetzt, in den schönsten Wochen<br />

des Jahres alles ganz anders sein<br />

könnte...<br />

Ein Bild in den ersten Tagen meines<br />

diesjährigen Sommerurlaubs<br />

(die ich mal wieder zu einem Gutteil<br />

in der Gemeinde verbracht<br />

habe, obwohl ich doch eigentlich<br />

so viel anderes machen wollte...)<br />

hat mich auf eine Idee gebracht,<br />

und ich musste einfach Lisa neben<br />

der Spinne fotografieren (sie<br />

und ihre Eltern haben mir dann<br />

die Erlaubnis gegeben, das Bild<br />

hier zu veröffentlichen)! Eigentlich<br />

bekomme ich nämlich eine Gänsehaut,<br />

wenn ich nur schon an<br />

Spinnen denke, geschweige<br />

denn, wenn ich eine sehe. Aber<br />

diese hier ist ja zum Glück aus<br />

Joghurtbechern und anderem<br />

Müll zusammengebaut, ein Teil<br />

des „Müllprojekts“ im Kindergarten<br />

<strong>Bonames</strong>, und so kann auch<br />

Lisa ganz gelassen neben ihr sitzen<br />

(wobei ich nicht weiß, ob sie<br />

Spinnen nicht vielleicht sogar gerne<br />

mag?) und ihren Gedanken<br />

nachhängen.<br />

Manchmal sind die Dinge nämlich<br />

anders als erwartet! Eine Spinne<br />

ist keine Spinne, Müll ist kein<br />

Müll – ich muss nur hinschauen<br />

und nicht schon in meinen Erwartungen<br />

festgelegt sein. Ich glaube,<br />

das ist auch das Geheimnis<br />

für einen gelingenden Urlaub:<br />

nicht schon in meinen Erwartungen<br />

festgelegt sein. Nicht das<br />

deutsche Bier am südlichen<br />

Strand suchen, aber auch nicht<br />

die perfekten Tage des Jahres,<br />

bloß weil sie so teuer waren. Mit<br />

offenen Augen anfangen, mich<br />

auf das einzulassen, was mir begegnet<br />

– auch wenn es vielleicht<br />

als erstes eine Wartezeit im Terminal<br />

oder auf der Autobahn ist.<br />

Die könnte dann zum Beispiel<br />

Gelegenheit und Anlass zum ersten<br />

Loslassen sein von dem, was<br />

mich sonst bestimmt: Dass nämlich<br />

alles so klappen muss, wie<br />

ich es geplant oder erwartet habe.<br />

Ich glaube, das könnte auch das<br />

Geheimnis sein, dann auch im<br />

Alltag immer wieder mal dazu zu<br />

kommen, so zu sein, wie ich eigentlich<br />

bin. Denn natürlich bin<br />

ich nicht „ganz anders“. Ich bin<br />

derselbe Mensch, dieselbe Person.<br />

Ich bin aber auf andere Weise<br />

der Mensch, die Person, die<br />

ich bin. So wie die Spinne am<br />

Zaun. Eigentlich ist nämlich auch<br />

die Spinne ganz anders. Ein Lebewesen,<br />

vor dem zwar Insekten,<br />

aber nicht Menschen Angst haben<br />

müssen. Das ändert zwar<br />

nichts an meiner Spinnenphobie.<br />

Aber die Müllspinne erinnert mich<br />

daran, dass die Realität noch größer<br />

und weiter ist. Und ich eben<br />

auch.<br />

Für die Erinnerung daran sage ich<br />

den Kindern, die die Müllspinne<br />

gebastelt haben, und Lisa, die<br />

daneben ihren Gedanken nachh<br />

ä n g t , e i n h e r z l i c h e s<br />

„Dankeschön“ und wünsche Euch<br />

und Ihnen allen eine überraschend<br />

andere Urlaubs- und Ferienzeit!<br />

Ach ja, in der Bibel heißt<br />

es: „Meine Lieben, wir sind nun<br />

Gottes Kinder; und es ist noch<br />

nicht erschienen, was wir sein<br />

werden.“ (1. Johannes 3,2)<br />

Ihr Gemeindepfarrer<br />

Thomas Volz

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