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Gedichtbeispiele für das Denken, Fühlen und Wolle, 10. Klasse ...

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<strong>Gedichtbeispiele</strong> <strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>Denken</strong>, <strong>Fühlen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wolle</strong>, <strong>10.</strong> <strong>Klasse</strong>, Seite 1 von 4<br />

Solange du dem anderen sein Anderssein<br />

nicht verzeihen kannst,<br />

bist du noch weit ab<br />

vom Wege der Weisheit.<br />

Aus dem Fernen Osten<br />

Schläft ein Lied in allen Dingen,<br />

die da träumen fort <strong>und</strong> fort,<br />

<strong>und</strong> die Welt hebt an zu singen,<br />

triffst du nur <strong>das</strong> Zauberwort.<br />

Joseph von Eichendorff<br />

seit wir vom herde der götter<br />

<strong>das</strong> feuer gestohlen<br />

sind wir betört von den flammen<br />

vom rauche berauscht<br />

getrieben zu immer grösseren bränden<br />

werkzeug im sold der erkalteten erde<br />

vorgespannt ihrem willen<br />

wieder sonne zu sein<br />

Peter Lehner<br />

Nicht zum müßigen Beschauen<br />

<strong>und</strong> Betrachten deiner selbst,<br />

oder zum Brüten über andächtigen<br />

Empfindungen, - nein,<br />

zum Handeln bist du da;<br />

dein Handeln <strong>und</strong> allein dein Handeln<br />

bestimmt deinen Wert.<br />

Johann Gottlieb Fichte<br />

Die Vernunft hat geleistet,<br />

was sie leisten kann,<br />

wenn sie <strong>das</strong> Gesetz findet <strong>und</strong> aufstellt;<br />

vollstrecken muß es der mutige Wille<br />

<strong>und</strong> <strong>das</strong> lebendige Gefühl.<br />

Friedrich Schiller<br />

Sklaverei ertrag ich nicht<br />

Ich bin immer ich<br />

Will mich irgend etwas beugen<br />

Lieber breche ich.<br />

Kommt des Schicksals Härte<br />

Oder Menschenmacht<br />

Hier, so bin ich <strong>und</strong> so bleib ich<br />

Und so bleib ich bis zur letzten Kraft.<br />

Darum bin ich stets nur eines<br />

Ich bin immer ich<br />

Steige ich, so steig ich hoch<br />

Falle ich, so fall ich ganz.<br />

Ingeborg Bachmann<br />

Selbsterkenntnis, goldne Gabe,<br />

w<strong>und</strong>erbare, jungende Kraft!<br />

o solang ich dich nur habe,<br />

glüht mein Geist noch unerschlafft.<br />

Immer tiefer, immer wahrer<br />

machst du den, der dich besitzt;<br />

wirkst zugleich, <strong>das</strong>s immer klarer<br />

Welterkenntnis ihn durchblitzt.<br />

Christian Morgenstern<br />

Wer den Weg nach innen fand,<br />

Wer in glühndem Sichversenken<br />

Je der Weisheit Kern geahnt,<br />

Daß sein Sinn sich Gott <strong>und</strong> Welt<br />

Nur als Bild <strong>und</strong> Gleichnis wähle:<br />

Ihm wird jedes Tun <strong>und</strong> <strong>Denken</strong><br />

Zwiegespräch mit seiner eignen Seele,<br />

Welche Welt <strong>und</strong> Gott enthält.<br />

Herman Hesse<br />

O Schau, sie schweben wieder<br />

Wie leise Melodien<br />

Vergessener scheoner Lieder<br />

Am blauen Himmel hin!<br />

Kein Herz kann sie verstehen,<br />

Dem nicht auf langer Farht<br />

Ein wissen von allem wehen<br />

Und Freuden des Wanderns ward.<br />

Ich liebe die Weissen Losen<br />

Wie Sonne , Meer <strong>und</strong> Wind,<br />

Weil sie der Heimatlosen<br />

Schwestern <strong>und</strong> Engel sind.<br />

im atemhaus<br />

unsichtbare brücken spannen<br />

von dir zu menschen <strong>und</strong> dingen<br />

von der luft zu deinem atem<br />

mit blumen sprechen<br />

die du liebst<br />

im atemhaus wohnen<br />

eine menschblumenzeit<br />

Herman Hesse


<strong>Gedichtbeispiele</strong> <strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>Denken</strong>, <strong>Fühlen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wolle</strong>, <strong>10.</strong> <strong>Klasse</strong>, Seite 2 von 4<br />

Und so hebe dich denn<br />

aus dem Nebeln des Graues<br />

auf des Selbstvertrauens<br />

mächtigen Fittichen<br />

aufwärtz<br />

bis du dir selber<br />

mit all deinem Leide<br />

Klein wirst<br />

über dir selber<br />

<strong>und</strong> all deinen Leide.<br />

Christian Morgenstern<br />

Fort, sinnegrübelnde Schleichekultur!<br />

Komm, jubelkehlfröhliche Tanzenatur,<br />

triumphtrommelwirbelnder Übermutschnalzer,<br />

quietschseelenvergnügter Überschnappwalzer,<br />

laß mich, Rixdorfer scherbelnd, ein Übermensch<br />

sein,<br />

tanzliederschwingend mein Überbein,<br />

stiernackigstolz Weltraumergänzendes,<br />

tagriesengroß Göttlicherglänzendes!<br />

Häng dir den Kranz um,<br />

drehe dich ganz rum,<br />

Schrumm - Bum!<br />

Ich bin nichts als unersättlicher Wille,<br />

unersättlicher Wille, doch wozu, wozu?<br />

Alles ist Dunkel rings um mich<br />

Nicht einen Strohhalm kann ich heben<br />

Mein Wille will nur eines, doch ich kenne es<br />

nicht.<br />

Wenn mein Wille hervorbricht, werde ich<br />

sterben:<br />

seid gegrüßt, mein Leben, mein Tod, mein<br />

Schicksal.<br />

Jag är ingenting än en omätlig vilja,<br />

en omätlig vilja, men vartill, vartill?<br />

Alting är mörker omkring mig,<br />

jag kan ej lyfta ett halmstrå.<br />

Min vilja vil blott ett, men detta känner icke jag.<br />

När min vilja brytaer fram, skall jag dö:<br />

var hälsad mit liv, min död och mitt öde.<br />

Edith Södergran<br />

Lass mich, Berg, mich an dich klammern,<br />

werde, Berg, mir nicht zum Hügel,<br />

lass dich, Berg, mein Elend jammern!<br />

Meines Geists entschwerte Flügel<br />

reißen mich aus deinen Toren<br />

in den Raum hinaus - <strong>und</strong> zeigen<br />

mir den Ball in grausem Schweigen<br />

im Unendlichen verloren . . .<br />

Christian Morgenstern<br />

Diese Vögel<br />

ohne Schmerzen<br />

diese leichtesten goldenen<br />

Vögel<br />

dahintreibend<br />

über den Dächern.<br />

Keiner<br />

nach dem andern<br />

fragend<br />

Frei die blaue Luft<br />

genießend<br />

Sorgenlose, unbeschränkte<br />

Vögel.<br />

Nehmt mich mit<br />

In euer Reich der<br />

Ferne.<br />

Hilde Domin<br />

Ich bin mir selbst ein unbekanntes Land,<br />

<strong>und</strong> jedes Jahr entdeck ich neue Stege.<br />

Bald wandr’ ich hin durch meilenweiten Sand<br />

<strong>und</strong> bald durch blütenquellende Gehege.<br />

So oft mein Ziel im Dunkel mir entschwand,<br />

verriet ein neuer Stern mir neue Wege.<br />

Christian Morgenstern<br />

Verlange nichts von irgendwen,<br />

Lass’ jedermann sein Wesen!<br />

Du bist von irgendwelcher Fehm<br />

Zum Richter nicht erlesen.<br />

Christian Morgenstern


<strong>Gedichtbeispiele</strong> <strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>Denken</strong>, <strong>Fühlen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wolle</strong>, <strong>10.</strong> <strong>Klasse</strong>, Seite 3 von 4<br />

Ich bin nicht Ich,<br />

Ich bin jener,<br />

der an meiner Seite geht,<br />

ohne daß ich ihn erblicke,<br />

den ich oft besuche,<br />

<strong>und</strong> den ich oft vergesse.<br />

Jener, der ruhig schweigt, wenn ich spreche,<br />

der sanftmütig verzeiht, wenn ich hasse,<br />

der geht, wo ich nicht bin,<br />

der aufrecht bleiben wird, wenn ich sterbe.<br />

Juan Ramon Jiménez<br />

Wenn der Krieg beendet ist<br />

Am Ende der Zeit<br />

gehn wir wieder spazieren<br />

in der Muschelalle<br />

einverstanden<br />

mit Mensch <strong>und</strong> Mensch<br />

Es wird schön sein<br />

wenn es sein wird<br />

am Ende der Zeit.<br />

Rose Ausländer<br />

Gut verloren - etwas verloren!<br />

Mußt rasch dich besinnen<br />

<strong>und</strong> neues gewinnen.<br />

Ehre verloren - viel verloren!<br />

Mußt Ruhm gewinnen<br />

da werden die Leute sich anders besinnen.<br />

Mut verloren - alles verloren!<br />

Da wäre es besser, nicht geboren<br />

Goethe<br />

Oben, wo es nächtig blaut<br />

funkelndes Gedränge<br />

Unten, wo <strong>das</strong> Auge taut<br />

Milden Sehnens Klänge<br />

Klimme Seele, leis´empor<br />

Auf des Klanges Gleisen,<br />

Sterne glänzt der Seele vor<br />

In des Himmels Kreisen<br />

Fercher v. Steinwand<br />

Es war, als hätt der Himmel<br />

Die Erde still geküßt,<br />

Daß sie im Blütenschimmer<br />

Von ihm nun träumen müßt.<br />

Die Luft ging durch die Felder,<br />

Die Ähren wogten sacht,<br />

Es rauschten leis´die Wälder,<br />

So sternklar war die Nacht.<br />

Und meine Seele spannte<br />

Weit ihre Flügel aus,<br />

Flog durch die stillen lande,<br />

Als flöge sie nach Haus.<br />

Es ist Nacht,<br />

<strong>und</strong> mein Herz kommt zu dir,<br />

hält’s nicht aus,<br />

hält’s nicht aus mehr bei mir.<br />

Legt sich dir auf die Brust,<br />

wie ein Stein,<br />

sinkt hinein<br />

zu dem deinen hinein.<br />

Eichendorf<br />

Dort erst,<br />

dort erst kommt es zur Ruh’,<br />

liegt am Gr<strong>und</strong><br />

seines ewigen Du.<br />

Christian Morgenstern<br />

Was wärst du, Wind,<br />

Wenn du nicht Bäume hättest<br />

zu durchbrausen;<br />

Was wärst du, Geist,<br />

wenn du nicht Leiber hättest,<br />

drin zu hausen!<br />

All leben will Wiederstand.<br />

All Licht will Trübe.<br />

All Wehen will Stamm <strong>und</strong> Wand,<br />

daß es sich drann übe.<br />

Christian Morgenstern


<strong>Gedichtbeispiele</strong> <strong>für</strong> <strong>das</strong> <strong>Denken</strong>, <strong>Fühlen</strong> <strong>und</strong> <strong>Wolle</strong>, <strong>10.</strong> <strong>Klasse</strong>, Seite 4 von 4<br />

Endlich<br />

Sagt euch los vom Grauen<br />

zwar in Asche sinkt die Welt<br />

doch Geschlechter werden bauen<br />

was vor unserem Blick zerfällt.<br />

Ehe noch des Unheils Ende<br />

Und ein neuer Stern erschien<br />

muß im Herzen sich die Wende<br />

muß ein Wille sich vollziehn.<br />

Nur Geglaubtes läßt sich finden<br />

Nur Gewißheit wird den Stein<br />

Heilger Kräfte neu entbinden<br />

St<strong>und</strong> um St<strong>und</strong>e sind verkettet<br />

Ehe uns die Zukunft rettet<br />

müssen wir die Zukunft sein!<br />

Marie-Luise Kaschnitz<br />

Jetzt, wilde Rosse, faß ich euch am Zaume,<br />

die ihr mich fortgerissen Jahr um Jahr!<br />

Ich folgte euch, bergauf, bergab, im Traume<br />

<strong>und</strong> sah es nicht, in wessen troß ich war.<br />

Nun seis genug! Das blinde Stehn <strong>und</strong> Reisen,<br />

<strong>das</strong> <strong>und</strong>urchschaute wilde Launenspiel<br />

ist abgelaufen. Fortan soll uns weisen<br />

allein <strong>das</strong> eigne, klar umrißne Ziel.<br />

Jetzt ist’s an der Zeit: In Zaum <strong>und</strong> Speichen<br />

faßt mutig die erstarkte, feste Hand.<br />

Und geht es langsam jetzt: was wir erreichen<br />

zusammen, <strong>das</strong> ist eignes, freies Land.<br />

Erika Beltle<br />

“Greif aus du mein junges, mein feuriges Tier!<br />

Noch einmal verwachs ich zentaurisch mit dir!<br />

Umschmettert mich Tuben! Erhebet den Ton!<br />

Den Latiner besiegte des Manlius Sohn!<br />

Voran die Trophän! Der latinische Speer!<br />

Der eroberte Helm! Die erbeutete Wehr!<br />

Duell ist bei Strafe des Beiles verpönt...<br />

Doch er liegt, der die römische Wölfin gehöhnt!<br />

Liktoren, erfüllet des Vaters Gebot!<br />

Ich besitze den Kranz <strong>und</strong> verdiene den Tod -<br />

Bevor es sich rollend im Sande bestaubt,<br />

Erheb ich in ewigem Jubel <strong>das</strong> Haupt!”<br />

Dorthin – w i l l ich; <strong>und</strong> ich traue<br />

Mir fortan <strong>und</strong> meinem Griff.<br />

Offen liegt <strong>das</strong> meer, ins Blaue<br />

Treibt mein Genueser Schiff.<br />

Alles glänzt mir neu <strong>und</strong> neuer,<br />

Mittag schläft auf Raum <strong>und</strong> Zeit –:<br />

Nur d e i n Auge - Ungeheuer<br />

Blickt mich´s an, Unendlichkeit!<br />

Rosenkranzlieder<br />

An die Schwester<br />

C.F. Meyer<br />

Friedrich Nietzsch<br />

Wo du gehst wird Herbst <strong>und</strong> Abend,<br />

Blaues Wild, <strong>das</strong> unter Bäumen tönt,<br />

Einsamer Weiher am Abend.<br />

Leise der Flug der Vögel tönt,<br />

Die Schwermut über deinen Augenbogen.<br />

Dein schmales Lächeln tönt.<br />

Gott hat deine Lider verbogen.<br />

Sterne suchen nachts, Karfreitagskind,<br />

Deinen Stirnenbogen.<br />

Georg Trakl (1887-1914)

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