I. Die Instanz – Jean-Martin Büttner und Christian Rentsch im <strong>Gespräch</strong> <strong>mit</strong> <strong>Claude</strong> <strong>Nobs</strong> «Ich mache das Spiel <strong>mit</strong>, aber ich hasse es auch» Warum <strong>Claude</strong> <strong>Nobs</strong> nach 43 Jahren aufhört, sein <strong>Jazz</strong>festival zu leiten. Warum er nichts von den Aufnahmegeräten hält, <strong>mit</strong> denen er die Konzerte von <strong>Montreux</strong> einfängt. Warum ihn das Musikgeschäft zunehmend beelendet, obwohl er die Arbeit <strong>mit</strong> der Musik über alles liebt. <strong>Claude</strong> <strong>Nobs</strong> im <strong>Gespräch</strong> <strong>mit</strong> Jean-Martin Büttner und Christian Rentsch Porträts Philippe Dudouit Schon bald wird das <strong>Gespräch</strong> erstmals unterbrochen. Dass das nie lange dauert bei ihm, weiss jeder, der <strong>Claude</strong> <strong>Nobs</strong> interviewt hat. Entweder kommt ein Anruf von irgendwo auf der Welt, oder einer seiner Angestellten bringt etwas oder holt etwas oder muss etwas wissen. Oder es ist <strong>Nobs</strong> selber, dem gerade etwas einfällt, das er zeigen möchte, dann springt er auf und ist weg. Wir hatten uns vorgenommen, ihn für einmal von seinen permanenten Floskeln und Anekdoten wegzubringen, <strong>mit</strong> denen er sich vor unangenehmen Fragen rettet; wir wollten etwas anderes hören als die von ihm immer wieder neu zusammengesetzten Geschichten und Aufregungen, die er jeweils serviert, wenn wieder eine neue Ausgabe seines <strong>Festival</strong>s ansteht. Wie schwer es ist, diesen Mann zu packen, der <strong>mit</strong> allen per Du und trotzdem kaum zu fassen ist, das zeigt schon unsere erste Frage: Wir brauchten mehrere Anläufe, bis er sie beantwortete – auf seine Art und widersprüchlich. Das geht dann so: <strong>Claude</strong>, schon Mitte der 1970er-Jahre war von dir zu hören, du hättest nie die Absicht gehabt, das <strong>Jazz</strong>festival in <strong>Montreux</strong> so gross werden zu lassen. Das stimmt. Ich wundere mich noch heute, dass es so sehr gewachsen ist. Am Anfang dauerte es nur drei Tage, am wichtigsten war dabei der Wettbewerb, der junge Musiker bekannt machen sollte. 1967 konnte ich mir <strong>mit</strong> meinem Budget nur gerade eine amerikanische Gruppe leisten, das waren Keith Jarrett und Charles Lloyd. Im Jahr darauf war es ähnlich. Damals war <strong>Montreux</strong> der Ort, wo man den europäischen <strong>Jazz</strong> entdecken konnte. Und schon damals begann ich da<strong>mit</strong>, alles aufzunehmen, damals noch fürs Radio … Wieso wurde das <strong>Festival</strong> trotzdem immer grösser? Hast du das gewollt oder ist es einfach passiert? Das kam einfach so. Das fi nanzielle Problem löste ich, indem ich den europäischen Radiostationen sagte, ich überlasse euch die Aufnahmen umsonst, dafür zahlt ihr die Spesen der Musiker, wie Flüge, Hotel und Gagen. Dazu kam, dass ich schon ab 1969 da<strong>mit</strong> begann, auch Rockgruppen einzuladen. Die erste war Ten Years After, ich dachte, das sei eine Bluesband. Sie spielte so laut, dass es einen Skandal gab; die Leute sagten, der <strong>Nobs</strong> sei verrückt geworden. 22 Ja, aber: Bekamst du nie das Gefühl, das <strong>Festival</strong> werde zu gross, und du könntest es nicht mehr kontrollieren? Nein, überhaupt nicht, im Gegenteil. Man vergisst gerne, dass ich schon damals parallel zum <strong>Festival</strong> Konzerte organisierte <strong>mit</strong> Gruppen wie Chicago, Transit Authority, Pink Floyd oder den Rolling Stones, die haben schon 1964 in <strong>Montreux</strong> gespielt. Santana kam 1970, dann gab es Musik aus Afrika und dann aus Brasilien. Das alles wirkte sich auch auf die Dauer des <strong>Jazz</strong>festivals aus. Aber jetzt, nach 44 Jahren, hat das <strong>Festival</strong> <strong>mit</strong> seinen sechzehn Tagen eine Dimension erreicht, das ich sagen muss: Es ist verrückt. Fragen wir nochmals anders: Hattest du nie den Eindruck, du würdest von der Maschine verschlungen, die du in Gang gesetzt hattest? Nein. Was mich geschafft hat, waren meine beiden Herzattacken. Die erste Warnung kam vor vier Jahren, da hätte ich schon sagen können, ich höre jetzt auf. Aber meine eigenen Leute haben mich gedrängt, weiterzumachen. Vor Kurzem hatte ich wieder Probleme <strong>mit</strong> dem Herzen, eine Komplikation nach einem Eingriff. Da dachte ich: Ich bin jetzt 74 und mache das seit 43 Jahren; ich werde von nun an nicht nur langsamer vorgehen, sondern mich auf ganz bestimmte Sachen konzentrieren. Also etwa auf Grossprojekte wie damals die Sache <strong>mit</strong> Miles Davis und Quincy Jones. Ich werde dieses Jahr auch die Konzerte nicht mehr selber ansagen, oder nur noch einige. Einerseits ist das körperlich zu anstrengend für mich geworden, anderseits müsste ich die halbe Nacht aufbleiben, um den Musikern nach dem letzten Konzert zu danken. Das werde ich also delegieren. Ich war ja nie ein professioneller Ansager, ich habe auch schon Fehler gemacht und die Falschen angesagt. Und dann geht plötzlich die Musik los. Das <strong>Gespräch</strong> fi ndet in einem von <strong>Nobs</strong>’ Chalets statt, hoch über dem Genfersee, in einem der unzähligen Zimmer, die <strong>mit</strong> Lampen, in Vitrinen aufgereihten Modelleisenbahnen, <strong>mit</strong> Motorrädern, Musikanlagen, Fernsehgeräten und Plakaten vollgestellt sind. Und plötzlich beginnt auf einem der Bildschirme Prince zu spielen, eine Aufnahme vom letzten Jahr. Das passt gut zu einem Konzertveranstalter, der die Musik immer schon auf ihre Reproduktion und Vervielfältigung «Dieses Geschäft ist heuchlerisch. Die Leute sagen dir nie direkt, was sie von dir halten»: <strong>Claude</strong> <strong>Nobs</strong>, Mai 2010.