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Zeitschrift für Recht, Steuern und Wirtschaft<br />
// WIRTSCHAFTSRECHT<br />
Dr. Sebastian Apfelbaum<br />
Das Merkmal der Zurechenbarkeit beim gutgläubigen<br />
Erwerb von G<strong>mbH</strong>-Anteilen 2470<br />
Dr. Thomas Kapp, LL.M., RA, und Angelika Schlump<br />
Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten)<br />
Unternehmensunterlagen zulässig? 2478<br />
// STEUERRECHT<br />
Dr. Rainer Hartmann, RA/StB<br />
Bestandsschutz für die Gewerbesteuer 2490<br />
Dr. Björn Demuth, RA/StB, und Dr. Daniel Kaiser, RA<br />
Die Folgen der Zinsschranke auf PPP-Projekte nach<br />
dem neuen BMF-Schreiben vom 4.7.2008 2497<br />
BFH: Einleitung eines Strafverfahrens nach Eingang einer<br />
Selbstanzeige<br />
BB-Kommentar von Dr. Marcus Geuenich, RA/StB 2502<br />
Verlag Recht und Wirtschaft<br />
63. Jahrgang // 10.11.2008 // Seiten 2469 - 2524<br />
www.betriebs-berater.de<br />
// BILANZRECHT & BETRIEBSWIRTSCHAFT<br />
Dr. Bernd Stibi, WP/StB, und Prof. Dr. Stefan Thiele<br />
IFRS und Zinsschranke nach dem BMF-Schreiben<br />
vom 4.7.2008 – Ausweg oder Irrweg? 2507<br />
BFH: Voraussetzungen des Verlusts der wirtschaftlichen<br />
Identität einer G<strong>mbH</strong><br />
BB-Kommentar von Dr. Kurt Gratz, WP/StB 2511<br />
// ARBEITSRECHT<br />
Dr. Andreas Schönhöft, RA/FAArbR/FAStR, und Anke Lermen<br />
Der Gemeinschaftsbetrieb im Vergleich zur<br />
Arbeitnehmerüberlassung – eine Alternative<br />
zur Personalkostensenkung? 2515<br />
BAG: Ethikrichtlinie – keine Mitbestimmung am Gesamtwerk<br />
BB-Kommentar von Ulrich Sittard 2520<br />
// BB-MAGAZIN<br />
46.2008<br />
Dr. Anke Freckmann, RA/FAArbR<br />
Mitbestimmungsrecht: Ethikrichtlinien – eine klare<br />
Wegweisung durch das Bundesarbeitsgericht M1<br />
Björn Rohde-Liebenau, RA<br />
Eine Hotline allein ist noch kein Whistleblowing-System M16<br />
Schwerpunktheft<br />
BMF-Schreiben<br />
zur Zinsschranke
Wirtschaftsrecht<br />
Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />
Dr. Thomas Kapp, LL.M., RA, und Angelika Schlump<br />
Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich<br />
relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />
Im Rahmen einer Compliance Due Diligence werden oftmals belastende<br />
Unterlagen aufgedeckt (z.B. Gesprächsnotizen, aber auch interne und<br />
externe E-Mails), und zwar besonders häufig Unterlagen mit kartellrechtlicher<br />
Relevanz. In einem solchen Fall muss das Unternehmen<br />
natürlich für eine sofortige Abstellung von Verstößen sorgen. Es stellt<br />
sich jedoch für den Compliance Officer und seine Berater (Rechtsabteilung,<br />
Anwälte etc.) auch die Frage, wie mit den aufgefundenen Unterlagen<br />
zu verfahren ist und inwieweit solche Unterlagen zur Verbesserung<br />
der Beweissituation des Unternehmens (auch im Hinblick auf<br />
künftige Durchsuchungen) vernichtet werden dürfen. Dieses Problem ist<br />
bisher für das deutsche Recht nur wenig beleuchtet worden. Der vorliegende<br />
Beitrag untersucht daher die rechtliche Zulässigkeit der Vernichtung<br />
von belastenden Unterlagen (einschl. E-Mails), wobei neben den<br />
allgemeinen Vorschriften des HGB und der AO die spezifischen kartellrechtlichen,<br />
die allgemeinen strafrechtlichen sowie die zivilprozessualen<br />
Vorschriften geprüft werden. Damit ist allerdings für die Praxis noch<br />
nicht alles erledigt. Vielmehr muss zusätzlich der Frage nachgegangen<br />
werden, ob eine solche Vernichtung (technisch) überhaupt praktikabel<br />
ist und (rechtlich) wirklich dem Unternehmensinteresse dient. Am<br />
Schluss geht der Beitrag noch auf die Konsequenzen der Untersuchung<br />
für die künftige Umsetzung der Compliance im Unternehmen ein.<br />
I. Einleitung<br />
Im Rahmen der Compliance werden in Unternehmen oftmals belastende<br />
Unterlagen aufgedeckt. Dies wirft im Unternehmen sehr bald<br />
die Frage auf, inwieweit solche Unterlagen vernichtet werden dürfen.<br />
Dieser Aufsatz untersucht diese bisher wenig geprüfte Frage 1 , wobei<br />
sich die Untersuchung aus Platzgründen auf Unterlagen mit kartellrechtlicher<br />
Relevanz beschränkt 2 (II.). Anschließend wird der Frage<br />
nachgegangen, inwieweit eine (zulässige) Unterlagenvernichtung<br />
überhaupt praktikabel ist (III.), um anschließend kurz auf die Konsequenzen<br />
für die Compliance im Unternehmen einzugehen (IV.) 3 .<br />
II. Zulässigkeit der Vernichtung von Unterlagen<br />
1. Aufbewahrungspflichten<br />
In erster Linie können handels- oder steuerrechtliche Aufbewahrungspflichten<br />
einer Vernichtung kartellrechtlich relevanter Unterlagen entgegenstehen.<br />
a) Aufbewahrungspflichten nach dem Handelsrecht<br />
Zunächst ein Wort zu den Begriffen „Unterlagen“, „Datenträger“, „Akten“,<br />
und „Urkunden“: Eine rechtliche Definition des Begriffes „Unterlagen“<br />
gibt es nicht, § 257 HGB zählt lediglich die aufbewahrungspflichtigen<br />
Unterlagen auf. Aus § 261 HGB ergibt sich allerdings, dass<br />
Unterlagen auch auf Datenträgern bestehen und nicht nur in Papier-<br />
form vorliegen können. Daher umfasst der Begriff sowohl Schriftstücke<br />
(einschließlich Notizzettel, Bierdeckel, Konzepte usw.) als auch Datenträger.<br />
Der „Datenträger“ dient zur dauerhaften Speicherung von Daten<br />
bzw. Informationen jeglicher Art. Dabei geht das Gesetz von „Schrift-,<br />
Bild- oder anderen Datenträgern“ aus (§ 238 Abs. 2 HGB). Die Speicherung<br />
kann mittels diverser technischer Verfahren (elektronisch,<br />
magnetisch, optisch etc.) erfolgen. Eine einheitliche Definition der<br />
„Akte“ besteht nicht. Man könnte sie z.B. als Zusammenstellung von<br />
sachlich zusammengehörigen Dokumenten, die als Einheit behandelt<br />
werden, bezeichnen 4 . Der Begriff der „Urkunde“ wird jeweils an gegebener<br />
Stelle beim materiellen und prozessualen Urkundenbegriff im<br />
Einzelnen erörtert.<br />
„Handelsbriefe“ gem. § 257 Abs. 2 HGB sind im vorliegenden Zusammenhang<br />
sicherlich die wichtigsten Unterlagen. Es sind Schriftstücke,<br />
die ein Handelsgeschäft betreffen, d.h. Schriftstücke mit Außenwirkung,<br />
welche mit der Vorbereitung, dem Abschluss, der Durchführung<br />
oder der Rückgängigmachung eines Handelsgeschäfts in Zusammenhang<br />
stehen 5 . Dabei ist die Frage der rechtlichen Relevanz weit<br />
auszulegen 6 . Der Austausch allgemeiner Informationen oder erfolglose<br />
Angebote sind nicht erfasst 7 . Die Art und Weise der Herstellung<br />
und Versendung des Schriftstücks ist gleichgültig, auch elektronische<br />
Nachrichten wie E-Mails fallen unter diesen Begriff 8 .<br />
Damit sind z.B. der „Bierdeckel“ und auch der Notizzettel, auf welchen<br />
kartellrechtliche Absprachen als Erinnerungsstütze festgehalten werden,<br />
nicht vom Begriff des Handelsbriefes erfasst, da es schon an der<br />
Absendung fehlt. Dies gilt ebenso für innerbetriebliche Korrespondenz<br />
wie z.B. rein firmeninterne E-Mails. E-Mails hingegen, welche eine<br />
rechtsgeschäftliche Vereinbarung enthalten – wie z.B. ein Vertriebsvertrag,<br />
Auftrag oder eine Auftragsbestätigung – werden vom Begriff des<br />
Handelsbriefs erfasst 9 . Bei Telefonnotizen, welche eine rechtsgeschäftliche<br />
Erklärung betreffen, gehen die Meinungen auseinander 10 .<br />
1 Vgl. allerdings Hilgard, ZIP 2007, 985 mit ähnlicher Fragestellung im Hinblick auf E-Mails.<br />
2 Natürlich sind diese Überlegungen grundsätzlich auch in anderen Bereichen (Umweltrecht, Wirtschaftsstrafrecht,<br />
Lebensmittelrecht, Produkthaftung, Außenwirtschaftsrecht etc.) von Bedeutung; dort sind<br />
aber ggf. jeweils weitere Besonderheiten zu beachten, die den Rahmen dieser Darstellung sprengen<br />
würden. Sondervorschriften gibt es z. B. auch für Banken oder im Rahmen des Geldwäschegesetzes, vgl.<br />
Hilgard, ZIP 2007, 985, 987.<br />
3 Das Ziel dieses Aufsatzes ist es, eine Diskussion zu diesem Thema anzustoßen. Die Autoren sind sich der<br />
Tatsache bewusst, dass dieses komplexe Thema im Rahmen eines solchen Aufsatzes nicht umfassend<br />
behandelt werden kann.<br />
4 Vgl. z. B. http://www.olev.de/a/akte.htm.<br />
5 Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, § 257 Rn. 23; Walz, in: Heymann, HGB, 2. Aufl. 1999, § 257 Rn. 5.<br />
Gemäß § 343 HGB sind Handelsgeschäfte alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betrieb seines Handelsgewerbes<br />
gehören.<br />
6 Kirnberger, in: Heidelberger Kommentar, HGB, 7. Aufl. 2007, § 257 Rn. 2. Zweck der Aufzeichnungs- und<br />
Aufbewahrungspflicht ist die verständliche und beweiskräftige Darlegung der Rechnungslegung und<br />
der Schutz der Gläubiger (vgl. Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 1; Trappmann, DB<br />
1990, 2437, 2438; Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, § 257 Rn. 1.).<br />
7 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 34; Trappmann, DB 1990, 2437; Hüffer, in: Staub,<br />
HGB, 4. Aufl. 2002, § 257 Rn. 23.<br />
8 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 34; Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, § 257 Rn. 22;<br />
Trappmann, DB 1990, 2437.<br />
9 Vgl. Rath/Hausen, K&R 2007, 113 ff.<br />
10 Vgl. Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, § 257 Rn. 15. Nach Adler/Düring/Schmaltz,<br />
6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 34 und Kirnberger, in: Heidelberger Kommentar, HGB, 7. Aufl. 2007, § 257<br />
2478 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008
Unter den Handelsbriefen können sich damit durchaus kartellrechtlich<br />
relevante Unterlagen befinden, welche einer Aufbewahrungspflicht<br />
gem. § 257 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 3 HGB unterliegen. Für empfangene<br />
Handelsbriefe und Wiedergaben von abgesandten Handelsbriefen<br />
besteht gem. § 257 Abs. 4 HGB die Pflicht, diese Unterlagen für<br />
sechs Jahre geordnet aufzubewahren 11 .<br />
Es stellt sich somit die Frage, welche Konsequenzen sich aus der<br />
Vernichtung von Unterlagen vor Fristablauf ergeben können. Handelsrechtlich<br />
sind keine Sanktionen vorgesehen 12 , es wird jedoch<br />
durch die strafrechtlichen Insolvenztatbestände (§§ 283 Abs. 1 Nr. 6,<br />
283b Abs. 1 Nr. 2 StGB) – dazu unten II.3.d) – ein indirekter<br />
Zwang zur Einhaltung der Vorschrift bewirkt. Zudem wird die Ordnungsmäßigkeit<br />
der Buchführung tangiert, sodass der Abschlussprüfer<br />
erwägen kann, ob Konsequenzen für den Bestätigungsvermerk<br />
zu ziehen sind 13 . Außerdem können sich prozessuale Nachteile ergeben:<br />
Wenn z.B. auf einen Vorlegungsantrag des Prozessgegners nach<br />
§ 421 ZPO erklärt werden muss, dass die Urkunde nicht mehr vorhanden<br />
sei, kann das Gericht gem. § 444 ZPO auch ohne förmliches<br />
Beweisverfahren den behaupteten Inhalt als bewiesen ansehen<br />
14 .<br />
Nach Fristablauf können die Unterlagen grundsätzlich vernichtet werden,<br />
ohne dass sich hieraus Rechtsnachteile nach dem HGB ergeben<br />
15 . Es gilt jedoch zu bedenken, dass sich aus prozessrechtlichen<br />
Vorschriften (z.B. wiederum nach § 444 ZPO) ein Nachteil zu Lasten<br />
des Vernichtenden ergeben kann, was jedoch nur im konkreten Einzelfall<br />
geklärt werden kann 16 .<br />
PRAXISHINWEIS: Trotz der grundsätzlichen handelsrechtlichen Zulässigkeit<br />
der Unterlagenvernichtung nach Ablauf der handelsrechtlichen Aufbewahrungsfristen<br />
empfiehlt sich eine solche Maßnahme daher frühestens,<br />
wenn mit einer Verwendung der Unterlagen in einem Prozess nicht mehr<br />
zu rechnen ist 17 .<br />
b) Aufbewahrungspflichten nach der Abgabenordnung<br />
Die steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen sind in § 147 AO geregelt<br />
und an § 257 HGB angelehnt, wobei jedoch der Kreis der aufzubewahrenden<br />
Unterlagen weiter gefasst ist 18 . Nach § 147 Abs. 3<br />
i.V.m. Abs. 1 AO ist für Handels- und Geschäftsbriefe grundsätzlich<br />
von einer Aufbewahrungsfrist von sechs Jahren auszugehen 19 . Bei<br />
den Geschäftsbriefen im Sinne des § 147 Abs. 1 Nr. 2 AO handelt es<br />
sich um die geschäftliche Korrespondenz der übrigen Buchführungs-<br />
und Aufzeichnungspflichtigen, die keine Kaufleute im Sinne<br />
des HGB sind 20 . Zudem werden sonstige Aufzeichnungen, die steuerlich<br />
relevante Vorgänge erfassen, von § 147 Abs. 1 Nr. 5 AO erfasst<br />
21 . Hierunter könnten z.B. Auftrags- und Bestellunterlagen fallen<br />
22 , aus denen wiederum auch kartellrechtlich relevante Sachverhalte<br />
hervorgehen.<br />
Die Aufbewahrungspflicht nach § 147 AO ist Teil der Buchführungsund<br />
Aufzeichnungspflicht 23 . Verstöße gegen §§ 146, 147 AO und die<br />
hierzu bereits in 2001 vom Bundesfinanzministerium verabschiedeten<br />
Grundsätze des Datenzugriffs und der Prüfbarkeit digitaler Unterlagen<br />
(GDPdU) 24 können demnach zur Aberkennung der Ordnungsmäßigkeit<br />
der Buchführung, zur Schätzung der Besteuerungsunterlagen<br />
(§ 162 Abs. 2 S. 2 AO), zur Versagung von Steuerbegünstigungen<br />
und zu Zwangsmaßnahmen (§§ 328ff. AO) führen. Außerdem kann<br />
grundsätzlich eine straf- oder bußgeldrechtliche Ahndung in Betracht<br />
kommen, und zwar für Verstöße in Form von Steuerhinterziehung<br />
Wirtschaftsrecht<br />
Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />
nach § 370 AO oder leichtfertiger Steuerverkürzung nach § 378 AO.<br />
Einer Vernichtung nach Fristablauf stehen diese Vorschriften demgegenüber<br />
nicht entgegen, wobei die oben angesprochenen prozessrechtlichen<br />
Aspekte gleichermaßen in Betracht zu ziehen sind (s.<br />
II.1.a)).<br />
2. Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen<br />
Im Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) besteht keine<br />
Norm, welche sich explizit mit der Zulässigkeit der Vernichtung von<br />
Unterlagen befasst 25 . Nach § 81 Abs. 2 Nr. 6 GWB handelt allerdings<br />
ordnungswidrig, wer unter anderem entgegen § 59 Abs. 2 GWB Unterlagen<br />
nicht vollständig herausgibt 26 oder geschäftliche Unterlagen<br />
27 nicht zur Einsichtnahme und Prüfung vorlegt 28 . Wenn nun im<br />
Unternehmen Unterlagen im Vorfeld vernichtet werden, welche bei<br />
einem Verlangen der Kartellbehörde dann nicht mehr herausgegeben<br />
oder vorgelegt werden können, stellt sich die Frage, auf welchen Zeit-<br />
Rn. 2 sind Telefonnotizen aufbewahrungspflichtig, wenn eine rechtsgeschäftliche Erklärung telefonisch<br />
abgegeben oder empfangen wurde, soweit diese bereits Rechtswirkungen erzeugt und keine schriftliche<br />
Bestätigung folgt. Nach Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, § 257 Rn. 22 soll eine Aufbewahrungspflicht<br />
hingegen nur entstehen, wenn eine Aufbewahrung als Buchungsbeleg erforderlich ist.<br />
11 Gemäß § 239 Abs. 4 HGB können diese Aufzeichnungen auch auf Datenträgern geführt werden. Einzelheiten<br />
hierzu: Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 60 ff. Zudem sind Handelsbücher, Inventare,<br />
Eröffnungsbilanzen, Jahresabschlüsse, Einzelabschlüsse nach § 325 Abs. 2a HGB, Lageberichte,<br />
Konzernabschlüsse, Konzernlageberichte sowie die zu ihrem Verständnis erforderlichen Arbeitsanweisungen<br />
und sonstigen Organisationsunterlagen als auch sämtliche Buchungsbelege für die Dauer von<br />
zehn Jahren aufzubewahren. Gemäß § 257 Abs. 5 HGB entsteht die Aufbewahrungspflicht mit dem<br />
Schluss des Kalenderjahres, in welchem die jeweiligen Unterlagen erstellt, abgesandt oder empfangen<br />
werden. Zu beachten ist, dass die Rechtsprechung bei anhängigen Rechtsstreitigkeiten § 147 Abs. 3 S. 2<br />
AO analog auf § 257 HGB anwendet und sich demnach die Frist verlängern kann (Kirnberger, in: Heidelberger<br />
Kommentar, HGB, 7. Aufl. 2007, § 257 Rn. 2; OLG Düsseldorf, DB 1993, 325).<br />
12 Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, § 257 Rn. 33; Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995,<br />
§ 257 HGB Rn. 78; Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, § 257 Rn. 46; Koller/Roth/Morck, HGB, 6. Aufl.<br />
2007, § 257 Rn. 6.<br />
13 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 80; Staub/Hüffer, HGB, 4. Aufl. 2002, § 257 Rn. 47.<br />
14 OLG Düsseldorf, MDR 1973, 592; Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 79; Walz, in: Heymann,<br />
HGB, 2. Aufl. 1999, § 257 Rn. 3; Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, § 259 Rn. 11;<br />
Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl. 2008, § 257 Rn. 4.<br />
15 Wiedmann, in: Ebenroth/Boujong/Joost, HGB, 2001, § 257 Rn. 32. Zu beachten sind aber ggf. besondere<br />
Aufbewahrungsfristen wie z. B. nach § 9 VPÖA und § 31 BKFT 75, die für öffentliche Aufträge gelten<br />
(vgl. Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 75). Teilweise wird sogar davon ausgegangen,<br />
dass sich im Zivilprozess für einen Kaufmann keine Nachteile ergeben, wenn dieser seine Unterlagen<br />
zulässigerweise unter Beachtung der Aufbewahrungspflichten vernichtet hat, vgl. Adler/Düring/Schmaltz,<br />
6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 74; Merkt, in: Baumbach/Hopt, HGB, 33. Aufl. 2008, § 257 Rn. 4; OLG Bamberg,<br />
WM 1995, 918; BGH, WM 1972, 281, 282. A. A. Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, § 257 Rn. 48.<br />
16 Teilweise wird von einer Unanwendbarkeit des § 444 ZPO ausgegangen, wenn eine Vernichtung ohne<br />
Entziehungsabsicht im Zuge der allgemeinen Vernichtung älterer Unterlagen stattfindet (Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann,<br />
ZPO, 65. Aufl. 2007, § 444 Rn. 4).<br />
17 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 77.<br />
18 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 5.<br />
19 Für die vornehmlich steuerrelevanten Unterlagen gilt nach § 147 Abs. 3 AO eine zehnjährige Frist. Bei<br />
allen Fristen der AO ist zu beachten, dass grundsätzlich eine kürzere Aufbewahrungsfrist in Abweichung<br />
von der AO gelten kann, wenn sie in anderen Steuergesetzen zugelassen ist. Nach Sondervorschriften<br />
kann der Beginn der Aufbewahrungsfrist auch abweichen oder gehemmt werden (z. B. gemäß § 147<br />
Abs. 3 S. 2 AO) (Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB Rn. 73; Brockmeyer, in: Klein, AO, 9. Aufl.<br />
2006, § 147 Rn. 7).<br />
20 Brockmeyer, in: Klein, AO, 9. Aufl. 2006, § 147 Rn. 3.<br />
21 Brockmeyer, in: Klein, AO, 9. Aufl. 2006, § 147 Rn. 5; Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 HGB<br />
Rn. 42; Hüffer, in: Staub, HGB, 4. Aufl. 2002, § 257 Rn. 24.<br />
22 Kirnberger, in: Heidelberger Kommentar, HGB, 7. Aufl. 2007, § 257 Rn. 4.<br />
23 Adler/Düring/Schmaltz, 6. Aufl. 1995, § 257 Rn. 6.<br />
24 Vgl. hierzu Taeger/Rath, IT-Compliance als Risikomanagementinstrument, 2007, S. 16 ff.<br />
25 Das Bundeskartellamt hat zum Thema „Aktenvernichtung“ nach einer inoffiziellen Auskunft noch keine<br />
dezidierte Position, sieht aber auch keinen speziellen Verbotstatbestand im Kartellrecht. Es hat jedoch<br />
darauf hingewiesen, dass für die Aktenvernichtung natürlich die allgemeinen Regeln gelten und dass<br />
die eventuellen Nachteile bei einem späteren Kronzeugenantrag zu bedenken sind (s. hierzu unten<br />
III. 3).<br />
26 Die Herausgabepflicht erstreckt sich auf alle Unterlagen, aus denen sich die wirtschaftlichen Verhältnisse<br />
des Unternehmens ergeben (Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 59 Rn. 11; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker,<br />
GWB, 4. Aufl. 2007, § 59 Rn. 25 ff., 42a).<br />
27 Geschäftliche Unterlagen sollen Unterlagen über das gesamte Geschäftsgebaren der betroffenen Unternehmen<br />
sein, im Zweifel alle Unterlagen, die sich in den Geschäftsräumen befinden, also auch private<br />
Notizkalender und auch in sonstiger Weise gespeicherte Informationen (vgl. Klaue, in: Immenga/Mestmäcker,<br />
GWB, 4. Aufl. 2007, § 59 Rn. 43; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht, Bd. 2,<br />
2006, § 59 Rn. 9; Werner, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 32), wobei umstritten<br />
ist, ob alle vorhandenen Unterlagen erfasst werden oder eine Beschränkung auf die eigenen wirtschaftlichen<br />
Verhältnisse eingreift (Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 59 Rn. 16).<br />
28 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 81 Rn. 14; Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, § 81<br />
Rn. 171; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht, Bd. 2, 2006, § 59 Rn. 11.<br />
Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008 2479
Wirtschaftsrecht<br />
Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />
punkt für die Beurteilung der Nichtvollständigkeit der Unterlagen abzustellen<br />
ist. Grundsätzlich ist dies der Zeitpunkt des förmlichen Ersuchens<br />
der Kartellbehörde 29 . In diesem Zeitpunkt entsteht die Pflicht,<br />
die bezeichneten Unterlagen aufzubewahren 30 , woraus folgt, dass<br />
nach Beginn des der herausgabe- oder vorlagepflichtigen Person bekannt<br />
gegebenen Verfahrens aus den geschäftlichen Unterlagen nichts<br />
mehr entfernt werden darf 31 . Demnach kann eine „Vorwirkung“ vor<br />
diesen Zeitpunkt nicht angenommen werden, so dass im Umkehrschluss<br />
jedenfalls auf Grundlage des GWB eine Vernichtung von Unterlagen<br />
vor diesem Zeitpunkt zulässig ist. Es ist also unschädlich,<br />
wenn die vorhandenen Unterlagen bereits vor Zustellung der Verfügung<br />
unvollständig sind: Die entsprechend unvollständige Herausgabe<br />
oder Vorlage ist nicht ordnungswidrig 32 .<br />
In der Praxis bedient sich die Kartellbehörde jedoch ganz überwiegend<br />
des formlosen Auskunftsersuchens. Es werden schriftlich bestimmte<br />
Auskünfte oder Unterlagen angefordert, die mit dem Hinweis<br />
versehen sind, dass die freiwillige Herausgabe erwartet wird und<br />
nur ggf. ein formaler Beschluss ergehen wird 33 . Dieses formlose Auskunftsverlangen<br />
löst aber nach Ansicht der Literatur keine Auskunftspflicht<br />
und damit auch keine gesetzliche Herausgabe- oder Vorlagepflicht<br />
gegenüber der Kartellbehörde aus 34 . Dies bedeutet, dass das<br />
formlose Auskunftsersuchen eine Vernichtung von Unterlagen nicht<br />
präkludiert 35 .<br />
PRAXISHINWEIS: Vor Zugang eines förmlichen Auskunftsersuchens ist<br />
jedenfalls aus kartellrechtlichen Gründen die Vernichtung von Unterlagen<br />
nicht sanktioniert.<br />
Im Falle eines förmlichen Auskunftsverlangens bleibt jedoch noch zu<br />
prüfen, inwieweit eine Aktenvernichtung nach Zugang eines förmlichen<br />
Auskunftsverlangens im Falle eines Auskunftsverweigerungsrechts<br />
nach § 59 Abs. 5 GWB zulässig sein könnte. Nach § 59 Abs. 5<br />
GWB kann die Auskunft gegenüber der Kartellbehörde verweigert<br />
werden, wenn hierdurch eine Selbstbelastung oder eine Belastung eines<br />
Angehörigen erfolgt 36 . Hieraus könnte in der Konsequenz gefolgert<br />
werden, dass auch hinsichtlich eines Herausgabe- bzw. Vorlageverlangens<br />
ein Verweigerungsrecht im Falle einer Selbstbelastung besteht.<br />
Ein solches Herausgabeverweigerungsrecht könnte der Bebußung<br />
einer Aktenvernichtung selbst nach Zugang eines förmlichen<br />
Auskunftsverlangens eventuell entgegenstehen.<br />
Die vorgelagerte Frage der Zulässigkeit der Verweigerung der Herausgabe<br />
von Unterlagen wird allerdings unterschiedlich bewertet. Einerseits<br />
wird angeführt, dass in den Fällen, in denen sich aus den herauszugebenden<br />
oder vorzulegenden geschäftlichen Unterlagen die Gefahr<br />
einer strafrechtlichen Verfolgung oder eines Bußgeldverfahrens ergibt,<br />
die Herausgabe oder Vorlage eine aktive Mitwirkung an der eigenen<br />
Verfolgung bedeuten würde, was nicht Inhalt einer bußgeldbewehrten<br />
Rechtspflicht sein könne 37 . Von der überwiegenden Ansicht in der Literatur<br />
wird eine Übertragbarkeit des Rechts zur Auskunftsverweigerung<br />
auf ein Herausgabe- oder Vorlageverlangen jedoch verneint 38 .<br />
Dies wird damit begründet, dass spezielle Regelungen für das Verwaltungsverfahren<br />
fehlen und die Mitwirkungspflichten der Herausgabe<br />
bzw. Vorlage sich von der Auskunftspflicht gemessen an ihrem Inhalt<br />
und ihrer Intensität maßgeblich unterscheiden 39 . Demzufolge ist nach<br />
herrschender Auffassung die Vernichtung von Unterlagen ab dem<br />
Zeitpunkt der Zustellung der förmlichen Verfügung nach § 81 Abs. 2<br />
Nr. 6 GWB mit Bußgeld bedroht.<br />
PRAXISHINWEIS: Nach Zugang eines förmlichen Auskunftsersuchens ist<br />
aus kartellrechtlichen Gründen die Vernichtung von Unterlagen unzulässig<br />
und mit Sanktionen bedroht.<br />
3. Strafrechtliche Vorschriften<br />
a) Urkundenunterdrückung gem. § 274<br />
Abs. 1 Nr. 1 StGB 40<br />
aa) Vernichtung einer Urkunde<br />
Die Vernichtung von Unterlagen könnte den Tatbestand der Urkundenunterdrückung<br />
gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen. Demnach<br />
macht sich insbesondere strafbar, wer eine Urkunde, welche ihm<br />
nicht gehört, mit Nachteilszufügungsabsicht vernichtet. Eine Urkunde<br />
im Sinne des § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist jede verkörperte menschliche<br />
Gedankenerklärung, die objektiv zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet<br />
und subjektiv hierzu bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen<br />
lässt 41 . Eine Urkunde wird in diesem Sinne vernichtet, wenn sie so<br />
zerstört wird, dass anschließend das ursprüngliche Beweismittel nicht<br />
mehr existiert (z.B. durch Schreddern) 42 .<br />
Als verkörperte Gedankenerklärungen kommen im vorliegenden Fall<br />
sowohl schriftliche Aufzeichnungen (auch Notizen mit Bleistift) als<br />
auch abgekürzte Schriftzeichen in Betracht, solange diese für einen<br />
der Beteiligten verständlich sind 43 . In Kartellsachverhalten wird nun<br />
im Regelfall aber keine klassische Urkunde (z.B. in Form eines Vertrags)<br />
erstellt. Damit stellt sich die Frage, ob auch eine Urkunde entsteht,<br />
wenn die Beteiligten z.B. ein Quotenkartell vereinbaren und einer<br />
der Beteiligten das Besprechungsergebnis auf einem „Bierdeckel“<br />
niederschreibt, so dass sich hierauf später alle Beteiligten berufen<br />
29 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 81 Rn. 14; Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, § 81<br />
Rn. 162.<br />
30 Werner, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 32.<br />
31 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, § 81 Rn. 171; Werner, in: Wiedemann, Handbuch des<br />
Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 32; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 81<br />
Rn. 229, § 59 Rn. 53. Auf handels- und steuerrechtliche Aufbewahrungspflichten kommt es hingegen für<br />
die Vollständigkeit nicht an.<br />
32 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 81 Rn. 14; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl.<br />
2007, § 81 Rn. 229; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht, Bd. 2, 2006, § 59 Rn. 17; Wiedemann/Werner,<br />
Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 32. Dies ergibt sich auch aus Sinn und<br />
Zweck des § 81 Abs. 2 Nr. 6 GWB, einen Verstoß gegen eine wesentliche Verfahrensregel zu sanktionieren.<br />
33 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 59 Rn. 13; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 59<br />
Rn. 3, 3a: Für ein nachfolgendes förmliches Auskunftsersuchen muss dann ein begründeter Verdacht bestehen,<br />
dass die formlose Auskunft nicht richtig oder nicht vollständig erteilt wurde.<br />
34 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, § 81 Rn. 162; Wiedemann/Werner, Handbuch des<br />
Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 1; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 81<br />
Rn. 218; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht, Bd. 2, 2006, § 59 Rn. 18.<br />
35 Hier liegt möglicherweise eine vom Gesetzgeber insofern nicht beabsichtigte Gesetzeslücke vor.<br />
36 Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 59 Rn. 36.<br />
37 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 81 Rn. 230.<br />
38 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht Bd. 2, 2006, § 59 Rn. 12; Werner, in: Wiedemann,<br />
Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 33; Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, § 81<br />
Rn. 172; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 59 Rn. 54.<br />
39 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht Bd. 2, 2006, § 59 Rn. 12; Wiedemann/Werner,<br />
Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 33; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 59<br />
Rn. 54: Dies ließe sich nur auf eine entsprechende Anwendung des § 97 StPO stützen, was jedoch nicht<br />
geboten sei.<br />
40 Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich aus Platzgründen auf den Grundtatbestand des<br />
§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die Problemlage ist jedoch bei elektronisch gespeicherten beweiserheblichen<br />
Daten nach § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB grundsätzlich entsprechend zu sehen; vgl. hierzu im Einzelnen Hilgard,<br />
ZIP 2007, 985, 987 ff.<br />
41 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 267 Rn. 2.<br />
42 Erb, in: Münchener Kommentar, StGB, 2006, § 274 Rn. 40; Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB,<br />
11. Aufl. 2001, § 274 Rn. 26.<br />
43 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar,StGB, 11. Aufl. 2001, § 267 Rn. 11 f.; Erb, in: Münchener-Kommentar,<br />
StGB, 2006, § 267 Rn. 40 f. Gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird auch die technische Aufzeichnung erfasst.<br />
Gemäß § 268 Abs. 1 StGB lehnt sich dieser Begriff an dem der Urkunde an, inhaltlich muss jedoch<br />
die Aufzeichnung weder eine Gedankenerklärung verkörpern, noch auf einen Aussteller hinweisen (Cramer/Heine,<br />
in: Schönke/Schröder,StGB, 27. Aufl. 2006, § 268 Rn. 6). § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB bezieht sich<br />
auf beweiserhebliche Daten. Die Verweisung auf § 202 a Abs. 2 StGB enthält insofern eine Einschränkung<br />
auf Daten, die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden (Lackner/Kühl,<br />
StGB, 26. Aufl. 2007, § 274 Rn. 5).<br />
2480 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008
können 44 . Eine Erklärung liegt in einem Schriftstück nach Auffassung<br />
des BGH nur dann vor, wenn es zur Kenntnisnahme durch einen<br />
Dritten bestimmt ist 45 . Hierfür muss der Hersteller sich grundsätzlich<br />
der Notizen durch Übergabe entäußern und dadurch zum Ausdruck<br />
bringen, dass der Inhalt der Notizen wahr sei 46 . Demnach müsste der<br />
„Bierdeckel“ also zumindest an einen anderen Kartellanten übergeben<br />
werden. Es kann aber auch genügen, dass die Notiz mit dem Bewusstsein<br />
angefertigt wird, dass sie anderen zur Verfügung stehen wird,<br />
worin dann der Erklärungswille liegen soll 47 . Demnach kann der<br />
„Bierdeckel“ auch dann erfasst werden, wenn einer der Kartellanten<br />
diesen anstelle aller anfertigt, dies jedoch mit dem Bewusstsein tut,<br />
dass er später auf Verlangen der anderen den „Bierdeckel“ jederzeit<br />
vorzulegen haben wird. Private Notizen und bloße Entwürfe für den<br />
Eigengebrauch scheiden demgegenüber aus 48 . Die Beweisbestimmung<br />
setzt außerdem eine subjektive Zwecksetzung dahingehend voraus,<br />
dass über eine rechtserhebliche Tatsache Beweis erbracht werden<br />
soll 49 . Eine solche ist gerade in Fällen wie dem obigen „Bierdeckel“<br />
gegeben – dieser wird angefertigt, damit sich die Beteiligten untereinander<br />
auf die jeweilige Vereinbarung berufen können.<br />
Eine Beweisbestimmung kann einer Gedankenerklärung aber auch<br />
erst nach deren Entstehung in einer sog. Zufallsurkunde gegeben werden<br />
50 . Dies geschieht einerseits durch den Aussteller selbst, wenn er<br />
sich etwa auf eine private Notiz besinnt, die nun den Nachweis eines<br />
bestimmten, rechtlich bedeutsamen Vorgangs liefert 51 . Die Beweisbestimmung<br />
kann jedoch sogar auch durch eine andere Person als den<br />
Aussteller getroffen werden 52 , so dass die Entstehung einer Zufallsurkunde<br />
z.B. auch erst im Zeitpunkt von Ermittlungen durch die Kartellbehörde<br />
grundsätzlich denkbar wäre.<br />
Demnach ist davon auszugehen, dass in den Fällen des Niederschreibens<br />
kartellrechtlich problematischer Abreden eine Urkunde im Sinne<br />
des § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB entstehen kann. Davon getrennt ist allerdings<br />
zu untersuchen, ob auch ein Beweisführungsrecht eines Dritten<br />
besteht.<br />
bb) Beweisführungsrecht<br />
Gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB muss ein Beweisführungsrecht eines<br />
Dritten bestehen. Hinsichtlich kartellrechtlich relevanter Unterlagen<br />
könnte einerseits die Kartellbehörde ein Beweisführungsrecht haben,<br />
andererseits aber auch ein an der Absprache Beteiligter oder ein durch<br />
die Absprache geschädigter Dritter. Hierfür ist erforderlich, dass ein<br />
Anspruch auf Beweisbenutzung oder auf Vorlage der Urkunden besteht,<br />
wobei gesetzliche Vorlagepflichten grundsätzlich ausreichen 53 .<br />
(1) Einleitung eines Verwaltungsverfahrens nach § 59<br />
Abs. 2 GWB<br />
Wie dargelegt besteht nach § 59 Abs. 2 GWB eine Pflicht des Unternehmensinhabers<br />
bzw. des gesetzlichen Unternehmensvertreters, Unterlagen<br />
vorzulegen oder herauszugeben, wenn ein förmliches Verlangen<br />
der Kartellbehörde gemäß § 59 Abs. 1 GWB geäußert wurde. Ein<br />
Beweisführungsrecht der Kartellbehörde kann also allenfalls ab dem<br />
Zeitpunkt eines formellen Auskunftsverlangens nach § 59 Abs. 2<br />
GWB entstehen.<br />
Über das Entstehen eines Beweisführungsrechts bei Bestehen von öffentlich-rechtlichen<br />
Vorlegungspflichten, welche bloßen Überwachungsaufgaben<br />
dienen, besteht aber Uneinigkeit in Rechtsprechung<br />
und Literatur. Nach vorherrschender Auffassung genießt eine Urkunde<br />
selbst dann nicht den strafrechtlichen Schutz des § 274 Abs. 1<br />
Wirtschaftsrecht<br />
Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />
Nr. 1 StGB, wenn sie im Interesse öffentlich-rechtlicher Verwaltungsund<br />
Überwachungsaufgaben vorzulegen ist und wenn die Nichtvorlage<br />
der Urkunde als Ordnungswidrigkeit mit einer Geldbuße geahndet<br />
werden kann 54 . Demnach kann davon ausgegangen werden, dass<br />
selbst durch ein formelles Auskunftsverlangen der Kartellbehörde<br />
nach § 59 Abs. 2 GWB kein Beweisführungsrecht entsteht 55 .<br />
(2) Zivilrechtliche Vorlage- und Herausgabepflichten<br />
Es ist ferner in Betracht zu ziehen, dass die Beteiligten kartellrechtlich<br />
problematischer Absprachen oder auch Dritte unter dem Gesichtspunkt<br />
zivilrechtlicher Schadensersatzansprüche ein Recht auf Herausgabe<br />
bzw. Vorlage von Unterlagen haben können und damit ein Beweisführungsrecht<br />
an den Unterlagen entsteht. Hierbei wäre zuerst an<br />
eine Herausgabe- bzw. Vorlagepflicht nach §§ 422ff. ZPO i.V.m.<br />
§ 810 BGB zu denken. Diese Pflicht entsteht jedoch erst, wenn im Zivilprozess<br />
ein Vorlegungsantrag nach §§ 421, 424 ZPO gestellt wird<br />
und daraufhin eine Anordnung der Vorlage gem. § 425 ZPO durch<br />
das Gericht erfolgt. Gleiches wird gelten, wenn das Gericht eine Anordnung<br />
nach § 142 ZPO erlässt 56 .<br />
Ein Anspruch auf Vorlage kann sich aber auch materiellrechtlich – also<br />
unabhängig von einem Zivilprozess – aus § 810 BGB ergeben 57 .<br />
Für einen Anspruch gem. § 810 BGB muss es sich zum einen um eine<br />
Urkunde im prozessualen Sinne handeln 58 . Urkunden in diesem<br />
Sinne sind durch Niederschrift verkörperte Gedankenerklärungen,<br />
gleichgültig, in welcher Weise die Niederschrift erfolgt ist 59 . Zudem<br />
muss die Urkunde nach ihrem Zweck oder Inhalt der Rechtsposition<br />
des Anspruchstellers dienen. Dies wird dann angenommen, wenn die<br />
Urkunde (1) in seinem Interesse errichtet worden ist (z.B. der von<br />
einem anderen erstellte „Bierdeckel“), (2) ein zwischen dem Anspruchsteller<br />
und einem anderen bestehendes Rechtsverhältnis beurkundet<br />
(z.B. eine Quotenvereinbarung) oder (3) Verhandlungen über<br />
44 Dass diese Vereinbarung nichtig ist (§ 134 BGB), ist unerheblich, da auch nichtige Erklärungen Gegenstand<br />
einer Urkunde sein können (Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 267 Rn. 12; Erb, in: Münchener<br />
Kommentar, StGB, 2006, § 267 Rn. 63).<br />
45 BGHSt 3, 82, 85.<br />
46 BGHSt 3, 82, 85.<br />
47 BGHSt 3, 82, 85: Dies bejaht der BGH für den Fall, dass eine Notiz angefertigt wird, welche Dritten aufgrund<br />
von bestehenden Herausgabepflichten zugänglich gemacht werden muss.<br />
48 Im Schrifttum wird jedoch zum Teil ausdrücklich die Einbeziehung privater Notizen gefordert, wenn ein<br />
anderer diese findet und nunmehr zu Beweiszwecken verwendet (vgl. Erb, in: Münchener Kommentar,<br />
StGB, 2006, § 267 Rn. 34).<br />
49 Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 267 Rn. 13.<br />
50 BGHSt 3, 82, 85; BGHSt 4, 284, 285. Diese Rechtsfigur wird im Schrifttum teilweise abgelehnt (Erb, in:<br />
Münchener Kommentar, StGB, 2006, § 267 Rn. 34 ff.).<br />
51 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. 2001, § 267 Rn. 70.<br />
52 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. 2001, § 267 Rn. 70.<br />
53 BGH, NJW 1980, 1057, 1058, Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. 2001, § 274 Rn. 6.<br />
54 Nach OLG Zweibrücken, GA 1978, 316, 317, OLG Düsseldorf, NZV 1989, 477, Freund, in: Münchener Kommentar,<br />
StGB, 2006, § 274 Rn. 24 und Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB, 11. Aufl. 2001, § 274<br />
Rn. 7 f. soll in diesen Fällen für einen derart ausgedehnten strafrechtlichen Schutz kein Bedürfnis bestehen.<br />
A. A. Schneider, NStZ 1993, 16 ff., der es für wenig überzeugend hält, die beweisrechtliche Verfügungsgewalt<br />
über das Beweismittel allein dem jeweiligen Eigentümer zuzuweisen, wenn sich staatliche<br />
Stellen eine Urkunde zu Überwachungszwecken vorlegen lassen können. Zur Stützung dieser Ansicht<br />
könnten inzwischen auch die seit 1.1.2002 geltenden neuen Vorschriften zur Archivierung und Prüfung<br />
von Daten (vgl. ausführlich: Graf Kerssenbrock/Riedel, BC 2002, 109 ff.) herangezogen werden. Demnach<br />
dürfen originär digital erstellte Daten für Steuerzwecke nur noch digital archiviert werden und müssen<br />
bis zum Ende der Aufbewahrungsfrist bzw. der steuerlichen Außenprüfung elektronisch unverzüglich<br />
lesbar und elektronisch auswertbar vorgehalten werden. Die Behörde hat demnach jederzeit ein Zugriffsrecht,<br />
was jedoch im Rahmen kartellrechtlicher Fragestellungen im Regelfall nicht einschlägig sein<br />
wird.<br />
55 Es sollte allerdings beachtet werden, dass ab der Zustellung eines formellen Auskunftsverlangens die<br />
Sanktion des § 81 Abs. 2 Nr. 6 GWB greift und ab dem Zeitpunkt der öffentlich-rechtlichen Verstrickung,<br />
zum Beispiel durch Beschlagnahme, die Vernichtung der verstrickten Unterlagen zusätzlich den Straftatbestand<br />
des Verstrickungsbruchs nach § 136 Abs. 1 StGB erfüllen kann.<br />
56 Vgl. auch Hilgard, ZIP 2007, 985, 988 f.<br />
57 Denn es genügt für ein Beweisführungsrecht, dass nach bürgerlichem Recht die Herausgabe, die Vorlage<br />
oder das Bereithalten zur Einsichtnahme verlangt werden kann (Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 274<br />
Rn. 2).<br />
58 Heckelmann, in: Erman, BGB, 11. Aufl. 2004, § 810 Rn. 2.<br />
59 Hüffer, in: Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl. 2004, § 810 Rn. 3.<br />
Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008 2481
Wirtschaftsrecht<br />
Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />
ein Rechtsgeschäft enthält, die zwischen dem Anspruchsteller und einem<br />
anderen gepflegt worden sind (wie z.B. ein Protokoll). Einseitige<br />
Aufzeichnungen wie Notizen oder der „Bierdeckel“, die als Erinnerungsstütze<br />
dienen sollen, sind demgegenüber nicht erfasst 60 . Bei einem<br />
Beteiligten ist also ein Anspruch nach § 810 BGB je nach Lage<br />
des Falles – und damit ein Beweisführungsrecht – nicht von vornherein<br />
auszuschließen. Ein Beweisführungsrecht aus § 810 BGB ist aber<br />
in der Praxis (auch in Verbindung mit §§ 422ff. ZPO) wohl eher selten<br />
anzunehmen 61 .<br />
Der geschädigte Dritte selbst kann sich demgegenüber im Regelfall<br />
nicht auf die Vorlagepflicht berufen; er ist weder an den Verhandlungen<br />
noch dem Rechtsverhältnis unmittelbar beteiligt.<br />
cc) Nachteilszufügungsabsicht<br />
Die Vernichtung muss zudem in Nachteilszufügungsabsicht erfolgen,<br />
wobei unter einem Nachteil die Beeinträchtigung fremder Beweisführungsrechte<br />
zu verstehen ist. Die Vereitelung des staatlichen Strafund<br />
Bußgeldanspruches stellt nach überwiegender Ansicht in Rechtsprechung<br />
und Literatur keinen Nachteil in diesem Sinne dar, da dadurch<br />
gerade kein „anderer“ benachteiligt werde 62 . Jedoch kann unter<br />
dem Gesichtspunkt der Erschwerung möglicher zivilrechtlicher Klagen<br />
(z.B. auf Schadenersatz) eine Nachteilszufügungsabsicht bestehen<br />
63 .<br />
dd) Ergebnis zur Urkundenvernichtung nach § 274 Abs. 1<br />
Nr. 1 StGB<br />
Es kann somit festgehalten werden, dass eine Verwirklichung des<br />
§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB in Einzelfällen in Betracht kommen kann,<br />
wenn kartellrechtlich relevante Unterlagen von den unmittelbar an<br />
der Absprache Beteiligten zu Beweismittelzwecken erstellt wurden<br />
und eine Vernichtung zur Erschwerung der Beweisführung erfolgt.<br />
b) Urkundenfälschung gem. § 267 StGB<br />
Teilweise wird als Folge der Verletzung der Aufbewahrungspflichten<br />
nach § 257 HGB und § 147 AO auf eine Strafbarkeit gem. § 267 StGB<br />
verwiesen. Denkbar ist eine Urkundenfälschung bei der Vernichtung<br />
kartellrechtlich relevanter Unterlagen dahingehend, dass z.B. durch<br />
die Entnahme einzelner Seiten aus einer Akte der Gesamtsinn verändert<br />
wird und so eine Gesamturkunde verfälscht wird. Eine Gesamturkunde<br />
liegt aber nur dann vor, wenn die darin enthaltenen Schriftstücke<br />
zu einer Gesamterklärung vereinigt sind und eine selbständige<br />
Gedankenäußerung verkörpern 64 . Dies wird z.B. hinsichtlich der<br />
Handakte eines Rechtsanwalts verneint, aber für Handelsbücher bejaht.<br />
In einer EDV-Anlage gespeicherte Daten werden grundsätzlich<br />
nicht erfasst, da es an einer dauerhaften Verkörperung fehlt 65 . Anders<br />
ist dies jedoch, wenn eine Computermanipulation zu einem Ausdruck<br />
mit Urkundenqualität führt 66 . Damit wird der Tatbestand der<br />
Urkundenfälschung im vorliegenden Zusammenhang wohl nur in<br />
Einzelfällen relevant werden.<br />
c) Strafvereitelung gem. § 258 Abs. 1 StGB<br />
Die Vernichtung von Unterlagen könnte weiterhin eine Strafvereitelung<br />
nach § 258 Abs. 1 StGB darstellen. Dies setzt als Vortat eine Tat<br />
nach dem StGB voraus. Kartellrechtsverstöße stellen – mit Ausnahme<br />
des Submissionsbetrugs nach § 298 StGB – nach deutschem Recht lediglich<br />
Ordnungswidrigkeiten dar. Soweit also § 258 Abs. 1 StGB<br />
überhaupt anwendbar wäre, müsste die Vernichtung der Unterlagen<br />
vereiteln, dass ein anderer bestraft oder einer Maßnahme unterworfen<br />
wird, wofür bei Ermittlungshandlungen eine nicht unerhebliche Verzögerung<br />
der Aburteilung gefordert wird 67 .<br />
Vor der Aufnahme von Ermittlungen durch die Strafverfolgungsorgane<br />
liegt dieser Erfolg noch in der Ferne, so dass zunächst die Vernichtung<br />
von Unterlagen als unmittelbarer Eingriff in die Beweislage<br />
lediglich einen Versuch darstellt 68 , solange mangels der Aufnahme<br />
von Ermittlungen eine spätere Verzögerung oder Vereitelung der Aburteilung<br />
nicht eintritt. Wenn Ermittlungen aufgenommen werden,<br />
muss die Verzögerung bzw. Vereitelung der Strafverfolgung zudem gerade<br />
aufgrund der Vernichtung eingetreten sein 69 .<br />
Im Regelfall wird eine Bestrafung des Täters aber oft schon an der<br />
strafbegrenzenden Vorschrift des § 258 Abs. 5 StGB scheitern. Ein<br />
Vorgesetzter, der eine Tat nach § 298 StGB begangen hat und entweder<br />
die Akten selbst vernichtet oder seiner Sekretärin die Anweisung<br />
erteilt, bestimmte Unterlagen zu vernichten, macht sich selbst daher<br />
nicht strafbar 70 . Die vorsätzlich handelnde Sekretärin bleibt in diesem<br />
Fall ebenso straffrei, wenn sie (zumindest auch) ihre eigene Beteiligung<br />
an der Vortat verdecken will 71 . Problematisch könnte die Aktenvernichtung<br />
nur für diejenigen Personen werden, die am Submissionsbetrug<br />
nicht beteiligt waren. Für die Submissionsfälle wird somit<br />
eine Strafvereitelung nur in Einzelfällen, für die klassischen Kartellabsprachen<br />
außerhalb des Bereichs der Submissionsabsprache überhaupt<br />
nicht in Betracht kommen.<br />
d) Bankrott bzw. Verletzung der Buchführungspflicht<br />
gem. §§ 283, 283b StGB<br />
Wer aufbewahrungspflichtige Unterlagen während der Aufbewahrungsfrist<br />
nicht aufbewahrt und dadurch die Übersicht über seinen<br />
Vermögensstand erschwert, kann gem. §§ 283 Abs. 1 Nr. 6, 283b<br />
Abs. 1 Nr. 2 StGB bestraft werden. § 283 Abs. 1 StGB setzt (im Gegensatz<br />
zu § 283b StGB) eine wirtschaftliche Krise in Form von bestehender<br />
oder drohender Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung voraus.<br />
Die Strafbarkeit gem. §§ 283, 283b StGB hängt allerdings von weiteren<br />
objektiven Strafbarkeitsbedingungen ab (z.B. Einstellung der Zahlungen<br />
oder der Eröffnung des Insolvenzverfahrens bzw. der Ablehnung<br />
des Eröffnungsbeschlusses mangels Masse). Eine Strafbarkeit<br />
gem. §§ 283, 283b StGB wird demzufolge nur in diesen speziellen Fällen<br />
in Betracht kommen.<br />
4. Rechtslage im europäischen Recht<br />
Spezielle Normen, welche sich auf die Zulässigkeit der Vernichtung<br />
von Unterlagen vor der Aufnahme von behördlichen Ermittlungen<br />
60 Hüffer, in: Münchener Kommentar, BGB, 4. Aufl. 2004, § 810 Rn. 9; BGHZ 60, 275, 292. Bei diesen handelt<br />
es sich aber mangels Beweisbestimmung schon nicht um eine Urkunde im Sinne des § 274 StGB.<br />
61 Vgl. so auch Lübbig, WRP 2006, 1209, 1215. Daneben besteht der materiell-rechtliche Auskunftsanspruch<br />
nach § 242 BGB, der zur Vorbereitung eines späteren Prozesses oder in einem laufenden Verfahren als<br />
akzessorischer Anspruch erhoben werden kann. Dieser unterliegt aber sehr engen Voraussetzungen, die<br />
hier nicht weiter untersucht werden sollen.<br />
62 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 274 Rn. 16; BayObLG, NZV 1989, 81; OLG<br />
Düsseldorf, NZV 1989, 477, 478.<br />
63 OLG Düsseldorf, NZV 1989, 477, 478.<br />
64 BGH, NJW 1953, 514, 515; Erb, in: Münchener Kommentar, StGB, 2006, § 267 Rn. 56.<br />
65 Allerdings kommt hier die Verwirklichung der Spezialnormen in §§ 268 f. StGB (Fälschung technischer<br />
Aufzeichnungen oder beweiserheblicher Daten) in Betracht.<br />
66 Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 267 Rn. 5, 7.<br />
67 Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 258 Rn. 4.<br />
68 Stree, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 258 Rn. 31.<br />
69 Lackner/Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 258 Rn. 4.<br />
70 Von § 258 Abs. 5 StGB wird auch die Teilnahme eines Vortäters an der Strafvereitelung erfasst, die ein<br />
an der Vortat Unbeteiligter zu seinen Gunsten begeht (BayObLG, JR 1979, 252; Stree, in: Schönke/Schröder,<br />
StGB, 27. Aufl. 2006, § 258 Rn. 38).<br />
71 Das Bestreben der Selbsthilfe braucht gegenüber dem der Fremdhilfe nicht zu überwiegen (Lackner/<br />
Kühl, StGB, 26. Aufl. 2007, § 258 Rn. 16).<br />
2482 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008
oder prozessualen Verfügungen beziehen, bestehen auf der Ebene des<br />
Europarechts – mit Ausnahmen von prozessualen Sondernormen zu e-<br />
Discovery in manchen Jurisdiktionen (vgl. dazu noch Ziffer 5 lit. b)<br />
ebenfalls nicht. Nach Art. 18 Kartellverfahrensverordnung („VO 1/<br />
2003“) 72 hat die Kommission die Möglichkeit, entweder einfache Auskunftsverlangen<br />
oder förmliche Auskunftsentscheidungen zu erlassen<br />
73 . Art. 18 VO 1/2003 umfasst auch die Verpflichtung zur Vorlage<br />
von Unterlagen 74 . Das Unternehmen muss allerdings auf ein einfaches<br />
Auskunftsverlangen nicht antworten 75 . Bei einem förmlichen Auskunftsverlangen<br />
hingegen hat das Unternehmen nicht das Recht, die<br />
Vorlage belastender Unterlagen zu verweigern, es besteht jedoch keine<br />
Pflicht, ein Geständnis abzulegen 76 . Konsequenterweise kann ein Bußgeld<br />
oder Zwangsgeld gem. Artt. 23 Abs. 1 lit. b), 24 Abs. 1 lit. d) VO 1/<br />
2003 bei einer unvollständigen Vorlage von Unterlagen nur aufgrund<br />
einer förmlichen Entscheidung der Kommission verhängt werden 77 .<br />
Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass als Anknüpfungspunkt<br />
für das Entstehen einer Verpflichtung grundsätzlich entsprechend<br />
dem deutschen Recht der Zeitpunkt der förmlichen Entscheidung<br />
maßgeblich ist. Infolgedessen wäre eine Vernichtung von Unterlagen<br />
vor Zugang einer förmlichen Entscheidung durch die Kommission<br />
nach europäischem Recht nicht unzulässig 78 . Nach Zugang einer<br />
förmlichen Entscheidung würde man wohl – anders als nach deutschem<br />
Recht – danach differenzieren müssen 79 , ob die Herausgabe von<br />
Unterlagen von der Kommission verlangt werden kann oder ob eine<br />
solche Herausgabe einem Geständnis gleichkäme, welches ja nicht abgegeben<br />
werden muss. Einem Geständnis soll es gleichkommen, wenn<br />
die Kommission ein Unternehmen auffordert, z.B. Protokolle von Treffen,<br />
vorbereitende Unterlagen, handschriftliche Aufzeichnungen, Notizen<br />
oder Entwürfe zur Durchführung von Preiserhöhungen vorzulegen.<br />
Denn hieraus gehen der Gegenstand, Ablauf sowie Ergebnisse<br />
(bzw. Schlussfolgerungen) von Treffen hervor, sodass dieses Verlangen<br />
geeignet sein soll, das Unternehmen zu verpflichten, seine Teilnahme<br />
an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft<br />
zuzugeben 80 . Somit kann ggf. mit diesem Argument die Vernichtung<br />
von Unterlagen auch noch nach Zugang einer förmlichen Auskunftsentscheidung<br />
gerechtfertigt werden. In der Praxis wird sich das<br />
Problem jedoch eher selten stellen, da die Kommission bei entsprechendem<br />
Anfangsverdacht im Regelfall auf das Mittel der Nachprüfung zurückgreifen<br />
wird, um Unternehmen die Möglichkeit einer „Bereinigung“<br />
des Aktenbestandes zu nehmen.<br />
5. Rechtslage im US-amerikanischen Recht<br />
a) Sarbanes-Oxley Act<br />
Bis zum Erlass des Sarbanes-Oxley Act in 2002 81 wurde eine Vernichtung<br />
von Dokumenten unter dem Gesichtspunkt der „obstruction of<br />
justice“ (Behinderung der Justiz) lediglich nach 18 U.S.C. § 1512(b)<br />
mit Strafe bedroht 82 . § 1512(b) setzt voraus, dass eine Person eine andere<br />
mit missbräuchlichen Absichten zur Vernichtung von Unterlagen<br />
bestimmt 83 . Im Fall Arthur Andersen stellte der Supreme Court ferner<br />
klar, dass eine Verknüpfung zwischen dem Verhalten des Angeklagten<br />
und einem offiziellen Verfahren bestehen muss 84 . Durch den Sarbanes<br />
Oxley Act 2002 wurde zum einen in § 1512 die Ziffer (c) eingeführt.<br />
Demnach ist nun die Vernichtung von Unterlagen mit Missbrauchsabsicht<br />
(„corruptly“) für die handelnde Person selbst unter Strafe gestellt,<br />
wodurch das sog. „individual shredder problem“ gelöst wurde. Zum<br />
anderen wurde mit § 1519 ein weitergehender Tatbestand eingeführt.<br />
Demnach macht sich nun strafbar, wer bewusst Dokumente mit der<br />
Wirtschaftsrecht<br />
Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />
Absicht vernichtet, Ermittlungen zu behindern oder zu beeinflussen 85 .<br />
Eine Missbrauchsabsicht im Hinblick auf ein Verfahren braucht nun<br />
nicht mehr vorzuliegen 86 . Vielmehr genügt es, wenn Grund zu der Annahme<br />
besteht, dass Ermittlungen einer staatlichen Behörde bevorstehen<br />
(„contemplated investigation“) 87 . Kenntnis von einem konkret bevorstehenden<br />
Verfahren ist aufgrund der Offenheit des Gesetzeswortlauts<br />
und des sich daraus ergebenden weiten Schutzbereichs gerade<br />
nicht erforderlich 88 . Dies hat einige Kritik dahingehend hervorgerufen,<br />
dass nun angesichts dessen die Gefahr bestehe, dass unschuldige Unternehmen<br />
Sanktionen unterworfen werden 89 . Inzwischen wird daher teilweise<br />
einschränkend von dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit oder<br />
einer Verknüpfung zu einem bevorstehenden Verfahren ausgegangen 90 .<br />
72 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrages niedergelegten<br />
Wettbewerbsregeln, ABl. EG L 1/1 v. 4.1.2003.<br />
73 Nach der VO 17/62, der „alten Fassung“ der Kartellverfahrensverordnung, war die Kommission gehalten,<br />
zunächst ein formloses Auskunftsverlangen durchzuführen, welches keine Verpflichtung auslöst. Ob dieses<br />
Stufenverhältnis nach neuer Rechtslage noch gilt, ist fraglich, (s. hierzu Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches<br />
Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 18 VO Nr. 1/2003, Rn. 1 ff.). Nach überwiegender Ansicht wird<br />
davon ausgegangen, dass dieses Stufenverhältnis nicht mehr besteht (so Dannecker, FS für Ulrich Immenga,<br />
2004, S. 61, 68; Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 18 VO 1/2003<br />
Rn. 5; de Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 18 Rn. 1; Schnelle/Bartosch/Hübner,<br />
Das neue EU-Kartellverfahrensrecht, 2004, S. 135).<br />
74 Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 18 VO Nr. 1/2003, Rn. 13: Dies war<br />
nach alter Rechtslage unter Bezug auf den effet-utile-Grundsatz umstritten, aber gängige und vom<br />
EuGH gebilligte Praxis der Kommission. Nach neuer Rechtslage besteht im Hinblick auf Erwägungsgrund<br />
23 zur VO 1/2003 eine eindeutige Verpflichtung hierzu.<br />
75 Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 15; de Bronett, Kommentar<br />
zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 18 Rn. 8.<br />
76 EuGH, Orkem/Kommission, 374/87 – Slg. 1989, 3283 Rn. 35; de Bronett, Kommentar zum europäischen<br />
Kartellverfahrensrecht, 2005, Vor Art. 17 bis 22 Rn. 7; Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht,<br />
2005, Art. 18 VO 1/2003 Rn. 9; Dannecker, FS für Ulrich Immenga, 2004, S 61, 69; Sura, in: Langen/Bunte,<br />
Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 18 VO Nr. 1/2003 Rn. 14 f.: Die hier vorzunehmende Abgrenzung<br />
ist äußerst problematisch, denn es ist in der Regel von den Formulierungen der Kommission<br />
abhängig, ob mit einer Frage bereits unzulässigerweise ein Geständnis eingefordert wird oder ob sich<br />
die Frage lediglich auf zulässige, allerdings das Unternehmen später belastende Tatsachenfeststellungen<br />
bezieht. Für ein generelles Auskunftsverweigerungsrecht daher z. B. Schwarze, Grundzüge des europäischen<br />
Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 34 ff.<br />
77 Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 15.<br />
78 Insofern darf EuG, FEG u. FU/Kommission, T-5/00 u. T-6/00, Urteil v. 16.12.2003, Rn. 87 nicht falsch verstanden<br />
werden: Dort soll ab einem Auskunftsverlangen der Kommission „erst recht“ eine Aufbewahrungspflicht<br />
bestehen. Hieraus könnte zu schließen sein, dass die dort erwähnte allgemeine Obliegenheit,<br />
die Geschäftstätigkeit des Unternehmens betreffende Unterlagen aufzubewahren, auch schon vor<br />
Auskunftsverlangen bestehen kann. In diesem Fall ging es aber darum, dass das betroffene Unternehmen<br />
geltend gemacht hatte, aufgrund der langen Verfahrensdauer Unterlagen verloren zu haben. Diesen<br />
Einwand hat das EuG nicht gelten lassen. Hieraus können jedoch keine Schlussfolgerungen für die<br />
hier interessierende Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der aktiven Vernichtung von Unterlagen gezogen<br />
werden.<br />
79 Diese Differenzierung ergibt sich daraus, dass im europäischen Recht nicht zwischen Verwaltungs- und<br />
Bußgeldverfahren unterschieden wird.<br />
80 de Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 18 Rn. 7.<br />
81 Auslöser für den Erlass des Sarbanes-Oxley Acts war der Skandal um Enron. Im Laufe der diesbezüglichen<br />
Ermittlungen kam zum Vorschein, dass durch Enrons Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen trotz bereits<br />
begonnener Ermittlungen durch die SEC Tausende von Dokumenten in großem Stil vernichtet worden<br />
waren.<br />
82 § 1512(b) hat folgenden Wortlaut: Whoever knowingly uses intimidation, threatens, or corruptly persuades<br />
another person, or attempts to do so, or engages in misleading conduct toward another person, with intent<br />
to … (2) cause or induce any person to (A) … withhold a record, document, or other object, from an official<br />
proceeding.<br />
83 Stanger, 5 U.C. Davis Bus. L.J. 13 (2005), II. C.; Miller, Washington Legal Foundation, Legal Backgrounder,<br />
Vol. 20 No. 26, S. 2.<br />
84 Arthur Andersen LLP v. United States, 433 U.S. 696 (2005); Miller, Washington Legal Foundation, Legal<br />
Backgrounder, Vol. 20 No. 26, S. 3.<br />
85 § 1519 hat folgenden Wortlaut: „Whoever knowingly … destroys … any record, document, or tangible<br />
object with the intent to impede, obstruct, or influence the investigation or proper administration of any<br />
matter within the jurisdiction of any department or agency of the United States or any case filed under title<br />
11, or in relation to or contemplation of any such matter or case, shall be fined under this title, imprisoned<br />
not more than 20 years, or both.“<br />
86 Akin, Gump, Strauss, Hauer & Feld, L.L.P., Corporate Governance Alert, August 12, 2002, S. 2.<br />
87 Zuckerman, Association Management, July 2004, (http://www.asaecenter.org/PublicationsResources/AM<br />
MagArticleDetail.cfm?ItemNumber=6847); Brownstone, Kevane, Orellana, The National Law Journal,<br />
March 20, 2008, (http://www.law.com/jsp/legaltechnology/pubArticleLT.jsp?id=1205923895814).<br />
88 U.S. v. Ionia Management S.A., No. 3:07 CR 134, 2007, S. 18.<br />
89 Stanger, 5 U.C. Davis Bus. L.J. 13 (2005), IV. B. 3.; Akin, Gump, Strauss, Hauer & Feld, L.L.P., Corporate Governance<br />
Alert, August 12, 2002, S. 2, 3; Brownstone, Kevane, Orellana, The National Law Journal, March<br />
20, 2008, (a. a. O.); Barr, New York Law Journal, Vol. 238 No. 99, S. 2.<br />
90 So die Anklage im Fall U.S. v. Russell, No. 3:07 CR 00031-AHN-1 (D. Conn. 2007); ebenso soll aus der<br />
Entscheidung U.S. v. Aguilar, 515 U.S. 593 (1995) hervorgehen, dass das „intent“-Element im Zusammenhang<br />
mit der Vernichtung von Beweismitteln und damit auch im Rahmen des § 1519 als „Vorhersehbarkeit“<br />
auszulegen ist (Stanger, 5 U.C. Davis Bus. L.J. 13 (2005), IV. A.). Zudem gehen untere Bundesgerichte<br />
davon aus, dass eine Verknüpfung zwischen der Vernichtung und einem Verfahren („nexus“) ebenso im<br />
Rahmen des § 1519 erforderlich ist (Miller, Washington Legal Foundation, Legal Backgrounder, Vol. 20<br />
No. 26, S. 4).<br />
Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008 2483
Wirtschaftsrecht<br />
Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />
In den USA kann somit eine Vernichtung von Unterlagen auch schon<br />
vor der Einleitung eines offiziellen Untersuchungsverfahrens unzulässig<br />
sein. Im Einzelnen erscheint die Rechtslage aber noch nicht endgültig<br />
geklärt und birgt daher nicht unerhebliche Risiken.<br />
b) (e-)Discovery<br />
Neben den Regelungen des Sarbanes-Oxley Acts gibt es noch weitere,<br />
prozessuale Anforderungen an die (digitale) Informationsverwaltung<br />
und Vernichtung solcher Dokumente. Discovery bzw. neuerdings<br />
e-Discovery 91 ist die in manchen Prozessordnungen (wie z.B. in den<br />
USA) vorgesehene Beweissammlung von (elektronisch gespeicherten)<br />
Informationen. Anders als im deutschen Prozessrecht erfolgt dort die<br />
Sachverhaltsfeststellung in einem gerichtlichen Vorverfahren, der sog.<br />
„Pre-Trial Discovery“. In diesem Vorverfahren haben die Parteien die<br />
Möglichkeit, von der Gegenseite umfassende Informationen zu allen<br />
Tatsachen einzufordern, die für den behaupteten Klageanspruch oder<br />
die Verteidigung „relevant“ sein können. Dabei werden die Begriffe<br />
„Relevanz“ und „Dokumente“ weit ausgelegt. So werden z.B. auch<br />
alle Entwürfe, Anmerkungen und Notizen zu Dokumenten sowie ggf.<br />
unterschiedliche Bearbeiterversionen dieser Dokumente von der Discovery<br />
umfasst 92 .<br />
Die prozessuale Pflicht zur Offenlegung relevanter Dokumente und<br />
Daten betrifft zunächst allein diejenigen Informationen, die sich im<br />
Besitz der in den USA beklagten Parteien befinden. Eine Prozesspartei<br />
ist zur Herausgabe der für einen Prozess relevanten Unterlagen verpflichtet,<br />
die sie in Besitz, Verwahrung oder unter Kontrolle hat. Allerdings<br />
kann sich diese Offenlegungspflicht auch auf solche Dokumente<br />
erstrecken, die sich im Besitz einer Konzerngesellschaft befinden,<br />
selbst wenn diese nicht Partei des Verfahrens ist. Von den US-<br />
Gerichten wird oftmals eine Herausgabepflicht auch nicht am Prozess<br />
beteiligter ausländischer Gesellschaften hergeleitet, sofern eine rein<br />
tatsächliche Kontrollmöglichkeit bezüglich dieser Daten besteht. Dies<br />
gilt selbst dann, wenn dieser faktischen Kontrollmöglichkeit geltendes<br />
(Datenschutz-)Recht entgegen steht 93 .<br />
Die Nichteinhaltung einer „Discovery Order“ kann nach der „Doctrine<br />
of Spoliation“ zu erheblichen Sanktionen für die am Prozess<br />
beteiligte Konzerngesellschaft führen. Danach drohen jedenfalls der<br />
Prozesspartei in den USA (und zwar auch bei der Weigerung einer<br />
europäischen Konzerngesellschaft, bei dem Auskunftsverlangen mitzuwirken)<br />
neben dem Ausschluss eigener Beweismittel und einer<br />
Art Beweislastumkehr bei absichtlicher Vorenthaltung von Beweisen<br />
ein Unterliegen im Rechtsstreit in den USA oder finanzielle Sanktionen<br />
wegen „Contempt of Court“. Dies gilt jedenfalls dann, wenn<br />
die Beweisvereitelung nach Ansicht des Gerichtes in „Bad Faith“,<br />
also mit Vereitelungsabsicht, erfolgte. Viele Gerichte lassen aber<br />
auch schon den nur fahrlässigen Umgang mit Beweismaterial genügen,<br />
um entsprechende Sanktionen zu verhängen 94 . So wird vielfach<br />
bereits ab dem Zeitpunkt, in dem die (spätere) Prozesspartei<br />
Kenntnis von dem bevorstehenden Rechtsstreit hat, eine sanktionierbare<br />
Verpflichtung zur Sicherung von Unterlagen und elektronischen<br />
Daten bejaht. Spätestens ab Zustellung einer formellen<br />
„Discovery Order“ jedoch wird die Vernichtung von Unterlagen<br />
auf jeden Fall sanktioniert. Zumindest mittelbar können sich daher<br />
die Vorschriften rund um (e-)Discovery auch auf in Deutschland<br />
ansässige Unternehmen auswirken. Hier kann ggf. eine organisierte<br />
Schriftgutverwaltung zur Verteidigung herangezogen werden (s. dazu<br />
unten IV. 3.).<br />
PRAXISHINWEIS: Ein deutsches Unternehmen kann somit durchaus vor<br />
die schwierige Frage gestellt werden, ob es bestimmte Unterlagen vernichten<br />
darf, wenn eine Vernichtung nach deutschem und auch europäischem<br />
Recht zulässig, in den USA aber aufgrund der weitergehenden Vorschriften<br />
mit Sanktionen bedroht wäre.<br />
III. Praktikabilität der (zulässigen)<br />
Unterlagenvernichtung<br />
Selbst wenn eine Aktenvernichtung rechtlich zulässig ist, stellen sich<br />
darüber hinaus verschiedene praktische Fragen, insbesondere wie<br />
eine zulässige Unterlagenvernichtung praktisch wirksam durchgeführt<br />
wird, ob eine Aktenvernichtung überhaupt den beabsichtigten<br />
Zweck der Informationsvernichtung erfüllen kann und ob es für<br />
das betroffene Unternehmen insgesamt sinnvoll ist, Unterlagen zu<br />
vernichten.<br />
1. Technische Aspekte<br />
Selbst wenn man zulässigerweise Daten löschen darf, ist dies technisch<br />
nicht so einfach umsetzbar. Es ist weitgehend bekannt, dass<br />
weder durch einfachen Löschbefehl noch durch die Formatierung<br />
und Neupartitionierung der Festplatte Daten unwiederbringlich vernichtet<br />
werden 95 . Als eine Methode der Datenlöschung wird die<br />
physikalische Zerstörung der Festplatte genannt, was einerseits mechanisch<br />
96 , andererseits thermisch 97 erfolgen kann. Außerdem gibt<br />
es die Möglichkeit, die Festplatte einem starken Magnetfeld auszusetzen<br />
98 . Diese Methoden haben aber größtenteils zur Folge, dass<br />
die Festplatte nicht mehr weiter genutzt werden kann. Für Festplatten,<br />
die einsatzfähig bleiben sollen, wird das Überschreibverfahren<br />
genannt 99 . Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik<br />
(BSI) und das US-Verteidigungsministerium empfehlen Methoden<br />
mit drei- bis siebenfacher Überschreibung der Daten, wobei eine<br />
siebenfache Überschreibung allgemein als sicher gilt 100 . Je nach<br />
technischem Aufwand können aber auch diese Daten ggf. rekonstru-<br />
91 Vgl. speziell zur eDiscovery: Klinger, RIW 2007, 108 ff.; Sankol, K&R 2008, 279 ff.; Rath, ComplianceReport<br />
6/2008; 4; Hilgard, ZIP 2007, 985 ff.; Junker, Electronic Discovery gegen deutsche Unternehmen, 2008,<br />
passim; Rath/Klug, K&R 2008, 596.<br />
92 Vgl. Rath, ComplianceReport 6/2008, 4. Zu den elektronisch gespeicherten Informationen gehören<br />
schließlich auch die Metadaten, also alle Zusatzinformationen zu den Dokumenten wie Name des Bearbeiters,<br />
Datum der Erstellung und der letzten ¾nderung etc.<br />
93 Vgl. Rath, ComplianceReport 6/2008, 4.<br />
94 Vgl. Geissl, DAJV Newsletter 2/2008, S. 74 (77); vgl. ferner z. B. Silvestri v. Gen. Motors Corp., 271 F 3d<br />
583, 591 (4th Cir. 2001).<br />
95 Dadurch werden die Einträge im Dateiverzeichnis gelöscht bzw. die Dateizuordnungstabelle wird geleert<br />
oder neu angelegt, die eigentlichen Daten verbleiben vollkommen intakt auf der Festplatte und<br />
lassen sich mit Recoverytools rekonstruieren (http://www.sicherheitsforum-bw.de/prae vention/praevention_it-sicherheit.htm;<br />
http://www.zendas.de/themen/vernichtung/festplatten/index.html). Außerdem<br />
besteht die Möglichkeit, dass sich automatisch angelegte Sicherungskopien der Daten in anderen<br />
Verzeichnissen befinden.<br />
96 Z. B. durch Abschleifen der magnetischen Beschichtung aller Magnetscheiben oder durch Zerkleinern,<br />
Schreddern oder Einschmelzen.<br />
97 Durch ein Erhitzen mindestens auf die sog. Curie-Temperatur (ab dieser Temperatur verschwindet die<br />
ferromagnetische bzw. ferroelektrische Ordnung (bei Eisen 7668C)) verliert die Festplatte ihre magnetische<br />
Eigenschaft und die Daten werden unwiderruflich gelöscht.<br />
98 Dies wird wegen der unterschiedlichen Dämpfungseigenschaften von Festplatten und dem Risiko, dass<br />
die Festplatte dauerhaft beschädigt wird, teilweise als nicht geeignet angesehen (http://www.sicher<br />
heitsforum-bw.de/praevention/praevention_it-sicherheit.htm).<br />
99 Dabei wird die Festplatte mit spezieller Software mit bis zu 35 unterschiedlichen Bitmustern gezielt<br />
nach einem speziellen Muster so überschrieben, dass alle Kodierungen ausgenutzt werden und aus<br />
dem entstandenen Restmagnetismus keine brauchbaren Dateifetzen mehr zu rekonstruieren sind, z. B.<br />
anhand der Gutmann-Methode. Diese gilt als die sicherste, aber zeitaufwändigste Methode der softwaregesteuerten<br />
Datenlöschung (Grunwald, Blitzblank – Sicheres Löschen von Speichermedien, iX 05/<br />
2003, S. 72). Hierfür gibt es eine Vielzahl von Softwareprogrammen, welche einerseits für das Löschen<br />
einzelner Dateien im Filesystem konzipiert sind und andererseits die Löschung der kompletten Festplatte<br />
oder Partition vornehmen.<br />
100 Bitkom, Leitfaden zum sicheren Datenlöschen, S. 3 (http://www.bitkom.org/de/themen_gremien/<br />
36342_27735.aspx).<br />
2484 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008
iert werden. Dies ist jedenfalls dann möglich, wenn ein Rückgriff<br />
auf Backups dieser Daten möglich ist.<br />
2. Korrespondenz bei Dritten<br />
Es stellt sich die weitere Frage, inwieweit die Informationsvernichtung<br />
im eigenen Unternehmen zu einer verlässlichen Informationsvernichtung<br />
insgesamt führt und somit der beabsichtigte Zweck, die Offenlegung<br />
von Informationen zu verhindern, überhaupt erreicht werden<br />
kann. Es muss im Auge behalten werden, dass belastende Unterlagen<br />
auch bei Dritten vorhanden sein können, insbesondere solche, die<br />
durch gegenseitige Korrespondenz entstehen. Dies gilt insbesondere<br />
für den heutzutage zunehmend ausufernden E-Mail-Verkehr, aber<br />
ebenso für entsprechende Niederschriften oder Kopien, welche für<br />
mehrere Beteiligte erstellt oder an diese versandt („cc to everybody“)<br />
wurden. Wenn man darauf abstellt, dass eine Vernichtung den Zweck<br />
haben soll, kartellrechtlich problematische Unterlagen zu beseitigen,<br />
kann dieser Zweck gerade nicht erfüllt werden, wenn auf diese Unterlagen<br />
von der Kartellbehörde ohnehin bei Dritten zurückgegriffen<br />
werden kann.<br />
3. Bonusregelung<br />
Zu beachten ist ferner der mögliche Zusammenhang der Unterlagenvernichtung<br />
mit den Bonusregelungen der Kartellbehörden 101 .<br />
Die Bonusregelungen ermöglichen es den kartellbeteiligten Unternehmen,<br />
durch Kooperation mit den Kartellbehörden dazu beizutragen,<br />
ein Kartell aufzudecken, um dadurch selbst einen Erlass<br />
oder eine Reduzierung der Geldbuße zu erlangen 102 . Kooperation<br />
bedeutet dabei, dass die Kartellbehörde durch vollständige Vorlage<br />
der verfügbaren Informationen und Beweismittel in die Lage versetzt<br />
wird, einen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken oder die Tat<br />
nachzuweisen oder dass die Informationen und Beweismittel zumindest<br />
wesentlich dazu beitragen, die Tat nachzuweisen 103 . Durch<br />
eine gezielte Vernichtung von Unterlagen kann es daher dazu kommen,<br />
dass ein Unternehmen zu einem späteren Zeitpunkt die Vorteile<br />
einer Bonusregelung möglicherweise nicht mehr in Anspruch<br />
nehmen kann, da es sich selbst seiner Beweismittel beraubt hat. Die<br />
Entscheidung zur Unterlagenvernichtung wird für das Unternehmen<br />
dadurch erschwert, dass es sich in vielen Fällen nicht völlig ausschließen<br />
lässt, dass ein Unternehmen zwar nicht jetzt, aber eventuell<br />
in der Zukunft die Bonusregelung in Anspruch nehmen möchte.<br />
So kann es durchaus sein, dass ein Unternehmen von sich aus nicht<br />
die Bonusregelung in Anspruch nehmen würde, jedoch aufgrund<br />
von Hinweisen, dass andere Unternehmen evtl. von der Bonusregelung<br />
Gebrauch machen werden, sich nunmehr doch für einen Bonusantrag<br />
entscheidet, um sich im sog. „Windhundrennen“ den ersten<br />
Platz und damit die größtmöglichen Vergünstigungen zu sichern.<br />
In einem solchen Fall kann sich eine gezielte Vernichtung<br />
von Unterlagen letztlich als Pyrrhus-Sieg erweisen.<br />
IV. Konsequenzen für die<br />
Compliance<br />
Es stellt sich die Frage, welche Konsequenzen sich aus den vorstehenden<br />
Erkenntnissen für das künftige Verhalten der Mitarbeiter eines<br />
Unternehmens ergeben. Im Rahmen der Compliance-Maßnahmen<br />
eines Unternehmens möchten wir drei Aspekte herausgreifen:<br />
Vermeidung von Fehlverhalten, verantwortungsvolle Unternehmens-<br />
Wirtschaftsrecht<br />
Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />
kommunikation und Vermeidung einer unzulässigen Vernichtung<br />
von Unterlagen.<br />
1. Vermeidung von Fehlverhalten<br />
Das Wort „Compliance“ ist derzeit in aller Munde 104 . Im Rahmen einer<br />
kartellrechtlichen Compliance muss im Unternehmen sichergestellt<br />
werden, dass Rechtsverstöße des Unternehmens nicht vorkommen.<br />
Die Vermeidung von Fehlverhalten macht die heikle Frage nach<br />
der Zulässigkeit der Vernichtung von Unterlagen schlicht obsolet. Angesichts<br />
der in der Praxis häufig angetroffenen fehlerhaften Vorverständnisse<br />
von Mitarbeitern (z.B.: „Kartellrecht betrifft doch nur die<br />
Großen“ – „Das haben wir doch schon seit Jahrzehnten so gemacht“<br />
etc.) hinsichtlich der grundsätzlichen und konkreten Bedeutung des<br />
Kartellrechts für ihr Geschäft, ist eine effektive und nachhaltige Schulung<br />
der Mitarbeiter unumgänglich. So ist auch eine Enthaftung des<br />
Managements ohne ausreichende Schulungsmaßnahmen heute kaum<br />
mehr denkbar. Durch diese Schulung der Mitarbeiter muss einerseits<br />
ein Risikobewusstsein hinsichtlich unternehmensspezifischer Gefahrenbereiche<br />
im Kartellrecht geschaffen und andererseits die Kenntnis<br />
der materiellrechtlichen Grundlagen des Kartellrechts und insbesondere<br />
der Grenzen zwischen rechtskonformem und unrechtmäßigem<br />
Verhalten vermittelt werden. Besonders effektiv sind Schulungen,<br />
wenn in diese auch die konkreten, unternehmensspezifischen Ergebnisse<br />
einer Compliance Due Diligence 105 einfließen. Hier können<br />
auch spezielle EDV-Programme bei der präventiven Entdeckung kartellrechtlich<br />
relevanter Sachverhalte helfen. 106 Ferner ist im Rahmen<br />
von Compliance-Programmen zu verdeutlichen, dass die Unternehmensleitung<br />
selbst großen Wert auf die Einhaltung der (kartell)rechtlichen<br />
Vorschriften legt (und sich auch selbst daran hält!) und dass<br />
bei Unklarheiten die Rechtsabteilung oder der Compliance-Beauftragte<br />
zu kontaktieren ist.<br />
2. Unternehmenskommunikation<br />
a) Extern<br />
Im Hinblick auf die externe Kommunikation (insbesondere mit Wettbewerbern,<br />
Lieferanten und Kunden) sollte darauf geachtet werden,<br />
dass Mitteilungen eindeutig, unmissverständlich und mit gebührender<br />
Professionalität formuliert sind. Es muss (ggf. auch mit Hilfe von<br />
entsprechenden Softwareprogrammen, die eine entsprechende Überwachung<br />
der Unternehmenskommunikation ermöglichen) verhindert<br />
werden, dass diese später z.B. im Rahmen eines Ermittlungsverfahrens<br />
der Kartellbehörde falsch ausgelegt werden können und Verfahren<br />
eingeleitet werden, obwohl ein Verstoß gar nicht vorliegt. Es wird<br />
101 Diese gibt es in Deutschland (Bek Nr. 9/2006 des Bundeskartellamts v. 7.3.2006), auf EU-Ebene (ABl.<br />
2006/C 298/11 v. 8.12.2006) sowie in zahlreichen europäischen und außereuropäischen Ländern. Vgl.<br />
z. B. Hetzel, EuR 2005, 735 ff. und die Liste der nationalen Bonusprogramme unter http://ec.europa.eu/<br />
comm/competition/antitrust/legislation/authorities_with_leniency_programme.pdf.<br />
102 Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 23 VO 01/2003 Rn. 54; Dannecker,<br />
FS für Ulrich Immenga, 2004, S. 61, 76 f.; Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005,<br />
Art. 23 VO 1/2003 Rn. 76 ff.<br />
103 Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 23 VO 01/2003 Rn. 58 ff.; Dannecker,<br />
FS für Ulrich Immenga, 2004, 61, 76 f.<br />
104 Vgl. z. B. nur Hauschka, Corporate Compliance, 2007; Wecker/van Laak, Compliance in der Unternehmenspraxis,<br />
2008; Wissmann/Dreyer/Witting, Kartell- und regulierungsbehördliche Ermittlungen im Unternehmen<br />
und Risikomanagement, 2008, S. 340 ff.; Kapp, Kartellrecht in der Unternehmenspraxis,<br />
2005, S. 225 ff.; Lampert, BB 2002, 2237; Dreher, ZWeR 2004, 75; Stadler, Schwerpunkte des Kartellrechts<br />
2004 (FIW-Schriftenreihe, Heft 206), 2006, S. 67 ff.; Pampel, BB 2007, 1636; Rodewald/Unger, BB 2007,<br />
1629.<br />
105 Vgl. hierzu Umnuss (Hrsg.), Corporate Compliance-Checklisten: Compliance-Risiken erkennen und vermeiden<br />
(Compliance für die Praxis), 2008.<br />
106 Vgl. zu solchen e-Discovery-Services etwa Rath, ComplianceReport 6/2008, 4.<br />
Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008 2485
Wirtschaftsrecht<br />
Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />
in der Praxis nicht selten die Erfahrung gemacht, dass sich zunächst<br />
kartellrechtlich äußerst dubios klingende Formulierungen (z.B.: „den<br />
putzen wir weg“ – „wir müssen dringend mehr Ruhe in den Großhandel<br />
bringen“ etc.) in der Korrespondenz bei näherem Hinschauen<br />
später in kartellrechtlicher Hinsicht als völlig harmlos erweisen. Hier<br />
gilt es, die Korrespondenz professionell zu führen und keinen falschen<br />
Schein zu setzen.<br />
b) Intern<br />
Auch bei der internen Kommunikation ist im Unternehmen darauf<br />
zu achten, dass eine Ausdrucksweise verwendet wird, die zumindest<br />
nicht zweideutig ist oder falsch ausgelegt werden kann. Dabei ist stets<br />
im Hinterkopf zu behalten, dass selbst Aktennotizen, Vermerke und<br />
E-Mails der Mitarbeiter untereinander Bestandteil der Unterlagen des<br />
Unternehmens sind. Es erscheint daher ratsam, im Unternehmen gewisse<br />
Grundregeln betreffend die Ausdrucksweise im Schriftverkehr<br />
aufzustellen, um zu vermeiden, dass allein eine unbedachte Wortwahl<br />
später zu einem gar nicht gerechtfertigten Verdacht eines Kartellrechtsverstoßes<br />
führt. Auch hier können Softwareprogramme, die bereits<br />
präventiv bei der Erstellung einer E-Mail solche Schwachstellen<br />
aufdecken können, Unterstützung leisten. Auf Einzelheiten kann in<br />
diesem Zusammenhang aufgrund der Schwerpunktsetzung dieses Beitrags<br />
nicht eingegangen werden 107 .<br />
3. Schriftgutverwaltung<br />
Für die interne Verwaltung von Dokumenten wird für größere Unternehmen<br />
inzwischen eine Schriftgutverwaltung („Records Management<br />
System“ bzw. Dokumentenmanagement-System) 108 empfohlen.<br />
Dies bedeutet, dass im Unternehmen schriftliche Richtlinien (IT-<br />
Richtlinien) geschaffen werden, welche sowohl physische als auch<br />
elektronische Geschäftsunterlagen betreffen und unter Beachtung<br />
zwingender Vorgaben des Datenschutz- und Betriebsverfassungsrechtes<br />
109 Aufbewahrungs- und Vernichtungsregeln aufstellen. Damit<br />
wird auch im Sinne von IT-Compliance verbindlich und unternehmensweit<br />
festgelegt, welche Unterlagen zu erhalten oder zu vernichten<br />
sind. Eine Vernichtung unter Einhaltung dieser Richtlinien wird protokolliert.<br />
Somit kann das Unternehmen den notwendigen Nachweis<br />
über alle gelöschten Unterlagen erbringen und die Einhaltung der für<br />
das Unternehmen geltenden Vorschriften belegen 110 . Hierfür wurden<br />
verschiedene Standards entwickelt. z.B. die ISO 15489. Diese Norm<br />
gibt jedoch keine konkreten Handlungsanweisungen, sondern legt<br />
unter anderem fest, wie bei der Einführung eines Schriftgutverwaltungssystems<br />
vorzugehen ist 111 . Der Standard „MoReq“ 112 enthält<br />
demgegenüber eine sehr detaillierte Anforderungsliste 113 . Er wurde<br />
im Auftrag der Europäischen Kommission erarbeitet und stellt exemplarische<br />
Anforderungen an elektronische Records Management Lösungen<br />
114 .<br />
Der Vorteil solcher schematischer Aktenvernichtungsprogramme ist<br />
eine strukturierte Schriftgutverwaltung, welche aufgrund ihrer Systematik<br />
über den Verdacht einer unzulässigen Aktenvernichtung erhaben<br />
ist. Damit kann in jedem Fall dem Vorwurf eines dolosen Handelns<br />
mit Benachteiligungs- oder Verdunklungsabsicht begegnet<br />
werden 115 . Außerdem werden bei solchen regelmäßigen „Reinigungsprozeduren“<br />
in den Fällen, in denen keine regelmäßigen Compliance-Due-Diligence-Arbeiten<br />
durchgeführt werden, zumindest<br />
durch Zeitablauf auf lange Sicht ggf. bestimmte „Aktenleichen im<br />
Keller“ entsorgt.<br />
V. Zusammenfassung<br />
Insgesamt kann keine generelle Aussage getroffen werden, inwiefern<br />
eine Vernichtung von Unternehmensunterlagen im Vorfeld von Ermittlungen<br />
zulässig ist. Es empfiehlt sich in jedem Fall, die handelsund<br />
steuerrechtlichen Aufbewahrungsfristen zu beachten. Ferner ist<br />
zu prüfen, ob die Unterlagen nicht später als Beweismittel für einen<br />
Prozess oder im Rahmen einer Bonusregelung benötigt werden könnten.<br />
Spezifische kartellrechtliche Sanktionen sind vor Zugang eines<br />
förmlichen Auskunftsverlangens der Kartellbehörde und gerade auch<br />
bei Zuwiderhandlung gegen ein formloses Ersuchen jedenfalls in<br />
Deutschland und im europäischen Recht nicht zu befürchten. Für andere<br />
Jurisdiktionen (z.B. USA oder Großbritannien) mag anderes gelten.<br />
Auf jeden Fall ist die Vernichtung von Unterlagen nach Zugang<br />
eines förmlichen Auskunftsverlangens einer Kartellbehörde äußerst<br />
problematisch. Strafrechtliche Vorschriften kommen demgegenüber<br />
nur in seltenen Einzelfällen in Betracht.<br />
Diese Untersuchung bestätigt erneut, wie wichtig es geworden ist, dass<br />
im Rahmen der Unternehmens-Compliance eine effektive und nachhaltige<br />
Schulung der Mitarbeiter erfolgt und entsprechende Compliance-Prozesse<br />
eingeführt werden. Hierdurch kann Fehlverhalten von<br />
vornherein vermieden werden, so dass sich die Frage nach einer Vernichtung<br />
von Unterlagen gar nicht mehr stellt. Außerdem sollte das<br />
Kommunikationsverhalten von Mitarbeitern geschult und auch kontrolliert<br />
werden, um auszuschließen, dass ein nicht gerechtfertigter Verdacht<br />
eines Kartellrechtsverstoßes aufkommen kann. Größere Unternehmen<br />
sollten zudem erwägen, in Anlehnung an die bestehenden<br />
Standards ein unternehmensindividuell angepasstes System für eine<br />
Schriftgutverwaltung bzw. Aktenvernichtung zu entwickeln.<br />
// Autoren h<br />
Dr. Thomas Kapp ist Rechtsanwalt und Partner der Luther<br />
<strong>Rechtsanwaltsgesellschaft</strong> <strong>mbH</strong> am Standort Stuttgart.<br />
Dort leitet er die Service Line International Trade &<br />
Anti-Trust. Dabei befasst er sich mit allen Fragen des<br />
nationalen und internationalen Kartellrechts, insbesondere<br />
aber mit Fusionskontrolle, Kartellbußgeldverfahren,<br />
Vertriebsrecht und Compliance.<br />
Angelika Schlump ist Rechtsreferendarin am LG Stuttgart<br />
und absolviert seit Juli 2008 ihre Wahlstation bei<br />
Dammholz & Co. in Sydney. Sie studierte von<br />
2001–2006 Rechtswissenschaften an der Eberhard-<br />
Karls-Universität in Tübingen.<br />
107 Vgl. hierzu insbesondere Kübler/Pautke, BB 2007, 390, 395.<br />
108 Vgl. etwa Hilgard, ZIP 2007, 985, 990 f.<br />
109 Siehe hierzu etwa Rath/Karner, K&R 2007, 446.<br />
110 Smith Finnegan, LJN’S Product Liability, December 2004, Volume 23, Number 6 (http://www.herrick.com/Upload/Publication/Articles/ArticleHF_0170.pdf).<br />
Zur geordneten E-Mail-Archivierung vgl. z. B.<br />
Lensdorf, CReport 2008, 332.<br />
111 Fachbericht der Obfrau des DIN Arbeitsausschusses „Archiv- und Schriftgutverwaltung“, S. 6 (7) (http://<br />
www.landesarchiv-bw.de/sixcms/media.php/25/fachinfo_vortrag_normung.pdf): Ein Faktor ist z. B. die<br />
Ermittlung der erforderlichen Aufbewahrungsdauer.<br />
112 Model Requirements for the Management of Electronic Records.<br />
113 Der am 13.2.2008 veröffentlichte MoReq2 ist herunterzuladen unter: http://www.cornwell.co.uk/mo<br />
req2/MoReq2_body_v1_0.pdf.<br />
114 Näheres hierzu unter: http://moreq.niniel.org/2007/08/02/moreq-standard/#more-6; s. hierzu auch<br />
Kampffmeyer/Risse, MoReq Update (http://downloads.brainguide.com/publications/PDF/pub78215.pdf).<br />
115 Vgl. Geissl, DAJV Newsletter 2/2008, S. 74, 77.<br />
2486 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008