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Wirtschaftsrecht<br />

Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />

punkt für die Beurteilung der Nichtvollständigkeit der Unterlagen abzustellen<br />

ist. Grundsätzlich ist dies der Zeitpunkt des förmlichen Ersuchens<br />

der Kartellbehörde 29 . In diesem Zeitpunkt entsteht die Pflicht,<br />

die bezeichneten Unterlagen aufzubewahren 30 , woraus folgt, dass<br />

nach Beginn des der herausgabe- oder vorlagepflichtigen Person bekannt<br />

gegebenen Verfahrens aus den geschäftlichen Unterlagen nichts<br />

mehr entfernt werden darf 31 . Demnach kann eine „Vorwirkung“ vor<br />

diesen Zeitpunkt nicht angenommen werden, so dass im Umkehrschluss<br />

jedenfalls auf Grundlage des GWB eine Vernichtung von Unterlagen<br />

vor diesem Zeitpunkt zulässig ist. Es ist also unschädlich,<br />

wenn die vorhandenen Unterlagen bereits vor Zustellung der Verfügung<br />

unvollständig sind: Die entsprechend unvollständige Herausgabe<br />

oder Vorlage ist nicht ordnungswidrig 32 .<br />

In der Praxis bedient sich die Kartellbehörde jedoch ganz überwiegend<br />

des formlosen Auskunftsersuchens. Es werden schriftlich bestimmte<br />

Auskünfte oder Unterlagen angefordert, die mit dem Hinweis<br />

versehen sind, dass die freiwillige Herausgabe erwartet wird und<br />

nur ggf. ein formaler Beschluss ergehen wird 33 . Dieses formlose Auskunftsverlangen<br />

löst aber nach Ansicht der Literatur keine Auskunftspflicht<br />

und damit auch keine gesetzliche Herausgabe- oder Vorlagepflicht<br />

gegenüber der Kartellbehörde aus 34 . Dies bedeutet, dass das<br />

formlose Auskunftsersuchen eine Vernichtung von Unterlagen nicht<br />

präkludiert 35 .<br />

PRAXISHINWEIS: Vor Zugang eines förmlichen Auskunftsersuchens ist<br />

jedenfalls aus kartellrechtlichen Gründen die Vernichtung von Unterlagen<br />

nicht sanktioniert.<br />

Im Falle eines förmlichen Auskunftsverlangens bleibt jedoch noch zu<br />

prüfen, inwieweit eine Aktenvernichtung nach Zugang eines förmlichen<br />

Auskunftsverlangens im Falle eines Auskunftsverweigerungsrechts<br />

nach § 59 Abs. 5 GWB zulässig sein könnte. Nach § 59 Abs. 5<br />

GWB kann die Auskunft gegenüber der Kartellbehörde verweigert<br />

werden, wenn hierdurch eine Selbstbelastung oder eine Belastung eines<br />

Angehörigen erfolgt 36 . Hieraus könnte in der Konsequenz gefolgert<br />

werden, dass auch hinsichtlich eines Herausgabe- bzw. Vorlageverlangens<br />

ein Verweigerungsrecht im Falle einer Selbstbelastung besteht.<br />

Ein solches Herausgabeverweigerungsrecht könnte der Bebußung<br />

einer Aktenvernichtung selbst nach Zugang eines förmlichen<br />

Auskunftsverlangens eventuell entgegenstehen.<br />

Die vorgelagerte Frage der Zulässigkeit der Verweigerung der Herausgabe<br />

von Unterlagen wird allerdings unterschiedlich bewertet. Einerseits<br />

wird angeführt, dass in den Fällen, in denen sich aus den herauszugebenden<br />

oder vorzulegenden geschäftlichen Unterlagen die Gefahr<br />

einer strafrechtlichen Verfolgung oder eines Bußgeldverfahrens ergibt,<br />

die Herausgabe oder Vorlage eine aktive Mitwirkung an der eigenen<br />

Verfolgung bedeuten würde, was nicht Inhalt einer bußgeldbewehrten<br />

Rechtspflicht sein könne 37 . Von der überwiegenden Ansicht in der Literatur<br />

wird eine Übertragbarkeit des Rechts zur Auskunftsverweigerung<br />

auf ein Herausgabe- oder Vorlageverlangen jedoch verneint 38 .<br />

Dies wird damit begründet, dass spezielle Regelungen für das Verwaltungsverfahren<br />

fehlen und die Mitwirkungspflichten der Herausgabe<br />

bzw. Vorlage sich von der Auskunftspflicht gemessen an ihrem Inhalt<br />

und ihrer Intensität maßgeblich unterscheiden 39 . Demzufolge ist nach<br />

herrschender Auffassung die Vernichtung von Unterlagen ab dem<br />

Zeitpunkt der Zustellung der förmlichen Verfügung nach § 81 Abs. 2<br />

Nr. 6 GWB mit Bußgeld bedroht.<br />

PRAXISHINWEIS: Nach Zugang eines förmlichen Auskunftsersuchens ist<br />

aus kartellrechtlichen Gründen die Vernichtung von Unterlagen unzulässig<br />

und mit Sanktionen bedroht.<br />

3. Strafrechtliche Vorschriften<br />

a) Urkundenunterdrückung gem. § 274<br />

Abs. 1 Nr. 1 StGB 40<br />

aa) Vernichtung einer Urkunde<br />

Die Vernichtung von Unterlagen könnte den Tatbestand der Urkundenunterdrückung<br />

gem. § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB erfüllen. Demnach<br />

macht sich insbesondere strafbar, wer eine Urkunde, welche ihm<br />

nicht gehört, mit Nachteilszufügungsabsicht vernichtet. Eine Urkunde<br />

im Sinne des § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB ist jede verkörperte menschliche<br />

Gedankenerklärung, die objektiv zum Beweis im Rechtsverkehr geeignet<br />

und subjektiv hierzu bestimmt ist und ihren Aussteller erkennen<br />

lässt 41 . Eine Urkunde wird in diesem Sinne vernichtet, wenn sie so<br />

zerstört wird, dass anschließend das ursprüngliche Beweismittel nicht<br />

mehr existiert (z.B. durch Schreddern) 42 .<br />

Als verkörperte Gedankenerklärungen kommen im vorliegenden Fall<br />

sowohl schriftliche Aufzeichnungen (auch Notizen mit Bleistift) als<br />

auch abgekürzte Schriftzeichen in Betracht, solange diese für einen<br />

der Beteiligten verständlich sind 43 . In Kartellsachverhalten wird nun<br />

im Regelfall aber keine klassische Urkunde (z.B. in Form eines Vertrags)<br />

erstellt. Damit stellt sich die Frage, ob auch eine Urkunde entsteht,<br />

wenn die Beteiligten z.B. ein Quotenkartell vereinbaren und einer<br />

der Beteiligten das Besprechungsergebnis auf einem „Bierdeckel“<br />

niederschreibt, so dass sich hierauf später alle Beteiligten berufen<br />

29 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 81 Rn. 14; Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, § 81<br />

Rn. 162.<br />

30 Werner, in: Wiedemann, Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 32.<br />

31 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, § 81 Rn. 171; Werner, in: Wiedemann, Handbuch des<br />

Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 32; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 81<br />

Rn. 229, § 59 Rn. 53. Auf handels- und steuerrechtliche Aufbewahrungspflichten kommt es hingegen für<br />

die Vollständigkeit nicht an.<br />

32 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 81 Rn. 14; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl.<br />

2007, § 81 Rn. 229; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht, Bd. 2, 2006, § 59 Rn. 17; Wiedemann/Werner,<br />

Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 32. Dies ergibt sich auch aus Sinn und<br />

Zweck des § 81 Abs. 2 Nr. 6 GWB, einen Verstoß gegen eine wesentliche Verfahrensregel zu sanktionieren.<br />

33 Bechtold, GWB, 4. Aufl. 2006, § 59 Rn. 13; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 59<br />

Rn. 3, 3a: Für ein nachfolgendes förmliches Auskunftsersuchen muss dann ein begründeter Verdacht bestehen,<br />

dass die formlose Auskunft nicht richtig oder nicht vollständig erteilt wurde.<br />

34 Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, § 81 Rn. 162; Wiedemann/Werner, Handbuch des<br />

Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 1; Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 81<br />

Rn. 218; Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht, Bd. 2, 2006, § 59 Rn. 18.<br />

35 Hier liegt möglicherweise eine vom Gesetzgeber insofern nicht beabsichtigte Gesetzeslücke vor.<br />

36 Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 59 Rn. 36.<br />

37 Dannecker/Biermann, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 81 Rn. 230.<br />

38 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht Bd. 2, 2006, § 59 Rn. 12; Werner, in: Wiedemann,<br />

Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 33; Achenbach, in: Frankfurter Kommentar, GWB 2005, § 81<br />

Rn. 172; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 59 Rn. 54.<br />

39 Loewenheim/Meessen/Riesenkampff-Becker, Kartellrecht Bd. 2, 2006, § 59 Rn. 12; Wiedemann/Werner,<br />

Handbuch des Kartellrechts, 1999, § 52 Rn. 33; Klaue, in: Immenga/Mestmäcker, GWB, 4. Aufl. 2007, § 59<br />

Rn. 54: Dies ließe sich nur auf eine entsprechende Anwendung des § 97 StPO stützen, was jedoch nicht<br />

geboten sei.<br />

40 Die nachfolgenden Ausführungen beschränken sich aus Platzgründen auf den Grundtatbestand des<br />

§ 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB. Die Problemlage ist jedoch bei elektronisch gespeicherten beweiserheblichen<br />

Daten nach § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB grundsätzlich entsprechend zu sehen; vgl. hierzu im Einzelnen Hilgard,<br />

ZIP 2007, 985, 987 ff.<br />

41 Cramer/Heine, in: Schönke/Schröder, StGB, 27. Aufl. 2006, § 267 Rn. 2.<br />

42 Erb, in: Münchener Kommentar, StGB, 2006, § 274 Rn. 40; Gribbohm, in: Leipziger Kommentar, StGB,<br />

11. Aufl. 2001, § 274 Rn. 26.<br />

43 Gribbohm, in: Leipziger Kommentar,StGB, 11. Aufl. 2001, § 267 Rn. 11 f.; Erb, in: Münchener-Kommentar,<br />

StGB, 2006, § 267 Rn. 40 f. Gemäß § 274 Abs. 1 Nr. 1 StGB wird auch die technische Aufzeichnung erfasst.<br />

Gemäß § 268 Abs. 1 StGB lehnt sich dieser Begriff an dem der Urkunde an, inhaltlich muss jedoch<br />

die Aufzeichnung weder eine Gedankenerklärung verkörpern, noch auf einen Aussteller hinweisen (Cramer/Heine,<br />

in: Schönke/Schröder,StGB, 27. Aufl. 2006, § 268 Rn. 6). § 274 Abs. 1 Nr. 2 StGB bezieht sich<br />

auf beweiserhebliche Daten. Die Verweisung auf § 202 a Abs. 2 StGB enthält insofern eine Einschränkung<br />

auf Daten, die nicht unmittelbar wahrnehmbar gespeichert sind oder übermittelt werden (Lackner/Kühl,<br />

StGB, 26. Aufl. 2007, § 274 Rn. 5).<br />

2480 Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008

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