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oder prozessualen Verfügungen beziehen, bestehen auf der Ebene des<br />

Europarechts – mit Ausnahmen von prozessualen Sondernormen zu e-<br />

Discovery in manchen Jurisdiktionen (vgl. dazu noch Ziffer 5 lit. b)<br />

ebenfalls nicht. Nach Art. 18 Kartellverfahrensverordnung („VO 1/<br />

2003“) 72 hat die Kommission die Möglichkeit, entweder einfache Auskunftsverlangen<br />

oder förmliche Auskunftsentscheidungen zu erlassen<br />

73 . Art. 18 VO 1/2003 umfasst auch die Verpflichtung zur Vorlage<br />

von Unterlagen 74 . Das Unternehmen muss allerdings auf ein einfaches<br />

Auskunftsverlangen nicht antworten 75 . Bei einem förmlichen Auskunftsverlangen<br />

hingegen hat das Unternehmen nicht das Recht, die<br />

Vorlage belastender Unterlagen zu verweigern, es besteht jedoch keine<br />

Pflicht, ein Geständnis abzulegen 76 . Konsequenterweise kann ein Bußgeld<br />

oder Zwangsgeld gem. Artt. 23 Abs. 1 lit. b), 24 Abs. 1 lit. d) VO 1/<br />

2003 bei einer unvollständigen Vorlage von Unterlagen nur aufgrund<br />

einer förmlichen Entscheidung der Kommission verhängt werden 77 .<br />

Demzufolge kann davon ausgegangen werden, dass als Anknüpfungspunkt<br />

für das Entstehen einer Verpflichtung grundsätzlich entsprechend<br />

dem deutschen Recht der Zeitpunkt der förmlichen Entscheidung<br />

maßgeblich ist. Infolgedessen wäre eine Vernichtung von Unterlagen<br />

vor Zugang einer förmlichen Entscheidung durch die Kommission<br />

nach europäischem Recht nicht unzulässig 78 . Nach Zugang einer<br />

förmlichen Entscheidung würde man wohl – anders als nach deutschem<br />

Recht – danach differenzieren müssen 79 , ob die Herausgabe von<br />

Unterlagen von der Kommission verlangt werden kann oder ob eine<br />

solche Herausgabe einem Geständnis gleichkäme, welches ja nicht abgegeben<br />

werden muss. Einem Geständnis soll es gleichkommen, wenn<br />

die Kommission ein Unternehmen auffordert, z.B. Protokolle von Treffen,<br />

vorbereitende Unterlagen, handschriftliche Aufzeichnungen, Notizen<br />

oder Entwürfe zur Durchführung von Preiserhöhungen vorzulegen.<br />

Denn hieraus gehen der Gegenstand, Ablauf sowie Ergebnisse<br />

(bzw. Schlussfolgerungen) von Treffen hervor, sodass dieses Verlangen<br />

geeignet sein soll, das Unternehmen zu verpflichten, seine Teilnahme<br />

an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft<br />

zuzugeben 80 . Somit kann ggf. mit diesem Argument die Vernichtung<br />

von Unterlagen auch noch nach Zugang einer förmlichen Auskunftsentscheidung<br />

gerechtfertigt werden. In der Praxis wird sich das<br />

Problem jedoch eher selten stellen, da die Kommission bei entsprechendem<br />

Anfangsverdacht im Regelfall auf das Mittel der Nachprüfung zurückgreifen<br />

wird, um Unternehmen die Möglichkeit einer „Bereinigung“<br />

des Aktenbestandes zu nehmen.<br />

5. Rechtslage im US-amerikanischen Recht<br />

a) Sarbanes-Oxley Act<br />

Bis zum Erlass des Sarbanes-Oxley Act in 2002 81 wurde eine Vernichtung<br />

von Dokumenten unter dem Gesichtspunkt der „obstruction of<br />

justice“ (Behinderung der Justiz) lediglich nach 18 U.S.C. § 1512(b)<br />

mit Strafe bedroht 82 . § 1512(b) setzt voraus, dass eine Person eine andere<br />

mit missbräuchlichen Absichten zur Vernichtung von Unterlagen<br />

bestimmt 83 . Im Fall Arthur Andersen stellte der Supreme Court ferner<br />

klar, dass eine Verknüpfung zwischen dem Verhalten des Angeklagten<br />

und einem offiziellen Verfahren bestehen muss 84 . Durch den Sarbanes<br />

Oxley Act 2002 wurde zum einen in § 1512 die Ziffer (c) eingeführt.<br />

Demnach ist nun die Vernichtung von Unterlagen mit Missbrauchsabsicht<br />

(„corruptly“) für die handelnde Person selbst unter Strafe gestellt,<br />

wodurch das sog. „individual shredder problem“ gelöst wurde. Zum<br />

anderen wurde mit § 1519 ein weitergehender Tatbestand eingeführt.<br />

Demnach macht sich nun strafbar, wer bewusst Dokumente mit der<br />

Wirtschaftsrecht<br />

Kapp/Schlump · Ist die Vernichtung von (kartellrechtlich relevanten) Unternehmensunterlagen zulässig?<br />

Absicht vernichtet, Ermittlungen zu behindern oder zu beeinflussen 85 .<br />

Eine Missbrauchsabsicht im Hinblick auf ein Verfahren braucht nun<br />

nicht mehr vorzuliegen 86 . Vielmehr genügt es, wenn Grund zu der Annahme<br />

besteht, dass Ermittlungen einer staatlichen Behörde bevorstehen<br />

(„contemplated investigation“) 87 . Kenntnis von einem konkret bevorstehenden<br />

Verfahren ist aufgrund der Offenheit des Gesetzeswortlauts<br />

und des sich daraus ergebenden weiten Schutzbereichs gerade<br />

nicht erforderlich 88 . Dies hat einige Kritik dahingehend hervorgerufen,<br />

dass nun angesichts dessen die Gefahr bestehe, dass unschuldige Unternehmen<br />

Sanktionen unterworfen werden 89 . Inzwischen wird daher teilweise<br />

einschränkend von dem Erfordernis der Vorhersehbarkeit oder<br />

einer Verknüpfung zu einem bevorstehenden Verfahren ausgegangen 90 .<br />

72 Verordnung (EG) Nr. 1/2003 des Rates zur Durchführung der in den Art. 81 und 82 des Vertrages niedergelegten<br />

Wettbewerbsregeln, ABl. EG L 1/1 v. 4.1.2003.<br />

73 Nach der VO 17/62, der „alten Fassung“ der Kartellverfahrensverordnung, war die Kommission gehalten,<br />

zunächst ein formloses Auskunftsverlangen durchzuführen, welches keine Verpflichtung auslöst. Ob dieses<br />

Stufenverhältnis nach neuer Rechtslage noch gilt, ist fraglich, (s. hierzu Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches<br />

Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 18 VO Nr. 1/2003, Rn. 1 ff.). Nach überwiegender Ansicht wird<br />

davon ausgegangen, dass dieses Stufenverhältnis nicht mehr besteht (so Dannecker, FS für Ulrich Immenga,<br />

2004, S. 61, 68; Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 18 VO 1/2003<br />

Rn. 5; de Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 18 Rn. 1; Schnelle/Bartosch/Hübner,<br />

Das neue EU-Kartellverfahrensrecht, 2004, S. 135).<br />

74 Sura, in: Langen/Bunte, Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 18 VO Nr. 1/2003, Rn. 13: Dies war<br />

nach alter Rechtslage unter Bezug auf den effet-utile-Grundsatz umstritten, aber gängige und vom<br />

EuGH gebilligte Praxis der Kommission. Nach neuer Rechtslage besteht im Hinblick auf Erwägungsgrund<br />

23 zur VO 1/2003 eine eindeutige Verpflichtung hierzu.<br />

75 Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 15; de Bronett, Kommentar<br />

zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 18 Rn. 8.<br />

76 EuGH, Orkem/Kommission, 374/87 – Slg. 1989, 3283 Rn. 35; de Bronett, Kommentar zum europäischen<br />

Kartellverfahrensrecht, 2005, Vor Art. 17 bis 22 Rn. 7; Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht,<br />

2005, Art. 18 VO 1/2003 Rn. 9; Dannecker, FS für Ulrich Immenga, 2004, S 61, 69; Sura, in: Langen/Bunte,<br />

Europäisches Kartellrecht, 10. Aufl. 2006, Art. 18 VO Nr. 1/2003 Rn. 14 f.: Die hier vorzunehmende Abgrenzung<br />

ist äußerst problematisch, denn es ist in der Regel von den Formulierungen der Kommission<br />

abhängig, ob mit einer Frage bereits unzulässigerweise ein Geständnis eingefordert wird oder ob sich<br />

die Frage lediglich auf zulässige, allerdings das Unternehmen später belastende Tatsachenfeststellungen<br />

bezieht. Für ein generelles Auskunftsverweigerungsrecht daher z. B. Schwarze, Grundzüge des europäischen<br />

Kartellverfahrensrechts, 2004, § 4 Rn. 34 ff.<br />

77 Bechtold/Brinker/Bosch/Hirsbrunner, EG-Kartellrecht, 2005, Art. 23 VO 1/2003 Rn. 15.<br />

78 Insofern darf EuG, FEG u. FU/Kommission, T-5/00 u. T-6/00, Urteil v. 16.12.2003, Rn. 87 nicht falsch verstanden<br />

werden: Dort soll ab einem Auskunftsverlangen der Kommission „erst recht“ eine Aufbewahrungspflicht<br />

bestehen. Hieraus könnte zu schließen sein, dass die dort erwähnte allgemeine Obliegenheit,<br />

die Geschäftstätigkeit des Unternehmens betreffende Unterlagen aufzubewahren, auch schon vor<br />

Auskunftsverlangen bestehen kann. In diesem Fall ging es aber darum, dass das betroffene Unternehmen<br />

geltend gemacht hatte, aufgrund der langen Verfahrensdauer Unterlagen verloren zu haben. Diesen<br />

Einwand hat das EuG nicht gelten lassen. Hieraus können jedoch keine Schlussfolgerungen für die<br />

hier interessierende Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der aktiven Vernichtung von Unterlagen gezogen<br />

werden.<br />

79 Diese Differenzierung ergibt sich daraus, dass im europäischen Recht nicht zwischen Verwaltungs- und<br />

Bußgeldverfahren unterschieden wird.<br />

80 de Bronett, Kommentar zum europäischen Kartellverfahrensrecht, 2005, Art. 18 Rn. 7.<br />

81 Auslöser für den Erlass des Sarbanes-Oxley Acts war der Skandal um Enron. Im Laufe der diesbezüglichen<br />

Ermittlungen kam zum Vorschein, dass durch Enrons Wirtschaftsprüfer Arthur Andersen trotz bereits<br />

begonnener Ermittlungen durch die SEC Tausende von Dokumenten in großem Stil vernichtet worden<br />

waren.<br />

82 § 1512(b) hat folgenden Wortlaut: Whoever knowingly uses intimidation, threatens, or corruptly persuades<br />

another person, or attempts to do so, or engages in misleading conduct toward another person, with intent<br />

to … (2) cause or induce any person to (A) … withhold a record, document, or other object, from an official<br />

proceeding.<br />

83 Stanger, 5 U.C. Davis Bus. L.J. 13 (2005), II. C.; Miller, Washington Legal Foundation, Legal Backgrounder,<br />

Vol. 20 No. 26, S. 2.<br />

84 Arthur Andersen LLP v. United States, 433 U.S. 696 (2005); Miller, Washington Legal Foundation, Legal<br />

Backgrounder, Vol. 20 No. 26, S. 3.<br />

85 § 1519 hat folgenden Wortlaut: „Whoever knowingly … destroys … any record, document, or tangible<br />

object with the intent to impede, obstruct, or influence the investigation or proper administration of any<br />

matter within the jurisdiction of any department or agency of the United States or any case filed under title<br />

11, or in relation to or contemplation of any such matter or case, shall be fined under this title, imprisoned<br />

not more than 20 years, or both.“<br />

86 Akin, Gump, Strauss, Hauer & Feld, L.L.P., Corporate Governance Alert, August 12, 2002, S. 2.<br />

87 Zuckerman, Association Management, July 2004, (http://www.asaecenter.org/PublicationsResources/AM<br />

MagArticleDetail.cfm?ItemNumber=6847); Brownstone, Kevane, Orellana, The National Law Journal,<br />

March 20, 2008, (http://www.law.com/jsp/legaltechnology/pubArticleLT.jsp?id=1205923895814).<br />

88 U.S. v. Ionia Management S.A., No. 3:07 CR 134, 2007, S. 18.<br />

89 Stanger, 5 U.C. Davis Bus. L.J. 13 (2005), IV. B. 3.; Akin, Gump, Strauss, Hauer & Feld, L.L.P., Corporate Governance<br />

Alert, August 12, 2002, S. 2, 3; Brownstone, Kevane, Orellana, The National Law Journal, March<br />

20, 2008, (a. a. O.); Barr, New York Law Journal, Vol. 238 No. 99, S. 2.<br />

90 So die Anklage im Fall U.S. v. Russell, No. 3:07 CR 00031-AHN-1 (D. Conn. 2007); ebenso soll aus der<br />

Entscheidung U.S. v. Aguilar, 515 U.S. 593 (1995) hervorgehen, dass das „intent“-Element im Zusammenhang<br />

mit der Vernichtung von Beweismitteln und damit auch im Rahmen des § 1519 als „Vorhersehbarkeit“<br />

auszulegen ist (Stanger, 5 U.C. Davis Bus. L.J. 13 (2005), IV. A.). Zudem gehen untere Bundesgerichte<br />

davon aus, dass eine Verknüpfung zwischen der Vernichtung und einem Verfahren („nexus“) ebenso im<br />

Rahmen des § 1519 erforderlich ist (Miller, Washington Legal Foundation, Legal Backgrounder, Vol. 20<br />

No. 26, S. 4).<br />

Betriebs-Berater // BB 46.2008 // 10.11.2008 2483

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