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HÄUSER & STRASSEN<br />
„In der Freimaurerei kann jeder, der<br />
möchte, sein Glück finden“, erklärt<br />
Jürgen Rotschies, Meister vom Stuhl<br />
der St. Johannis Freimaurerloge „Zum<br />
silbernen Schlüssel“. Seit fast 250<br />
Jahren sind die Logen, denen Bürgermeister,<br />
Senatoren, Kaufleute und<br />
Geschäftsmänner angehörten, fester<br />
Bestandteil der Bremer Stadtgeschichte.<br />
Entgegen der noch immer verbreiteten<br />
Meinung bilden die Freimaurer<br />
keinen Geheimbund, sondern sind<br />
ganz normale Männer aller Einkommens-<br />
und Berufsgruppen, die sich<br />
regelmäßig treffen, um gemeinsam<br />
an einem besseren Selbst zu arbeiten<br />
– und seit einigen Jahren immer mehr<br />
an die Öffentlichkeit treten.<br />
Der Grundstein für die zunehmende<br />
Offenheit wurde wahrscheinlich mit der<br />
Sonderausstellung „Licht ins Dunkel“<br />
gelegt, die vom 2. Juli bis 29. Oktober<br />
2006 im Focke-Museum zu sehen war.<br />
In Kooperation mit den Bremer Logen<br />
informierte die Schau mit Hilfe zahlreicher<br />
Exponate und Dokumente über<br />
Ziele, Tätigkeiten, Formen sowie die historische<br />
und gesellschaftliche Rolle der<br />
Freimaurerei. Im Gegensatz zur Gründungszeit<br />
Mitte des 18. Jahrhunderts,<br />
als der weltweit vertretene Männerbund<br />
vor allem Treffpunkt der bürgerlichen<br />
Elite war, ist das Publikum heute bunt<br />
gemischt.<br />
So findet man in den acht Logen der<br />
Hansestadt Selbstständige und Angestellte<br />
verschiedener Branchen, aber<br />
auch Studierende und Pensionäre. „Die<br />
Möglichkeit, sich nicht nur in seinem<br />
Metier zu bewegen, sondern über den<br />
Tellerrand schauen zu können, macht<br />
den Austausch sehr interessant“, sagt<br />
Jürgen Rotschies, der seit 16 Jahren<br />
Freimaurer ist. Bei den Gesprächen mit<br />
seinen „Brüdern“ sind politische und<br />
religiöse Streitthemen allerdings tabu.<br />
Satzungsgemäß unpolitisch setzt sich<br />
die Vereinigung seit jeher für die Vermittlung<br />
humanitärer Tugenden und<br />
Werte ein.<br />
Menschlichkeit, Brüderlichkeit, Toleranz,<br />
42<br />
Klub- und Konferenzraum der Logen in der Kurfürstenallee 15.<br />
Friedensliebe und soziale Gerechtigkeit<br />
werden im Umgang miteinander geübt,<br />
um schließlich in den Alltag einzufließen.<br />
„<strong>Wir</strong> möchten durch unser Beispiel<br />
vorleben, wie man mit anderen Menschen<br />
umgehen sollte“, fügt Lothar<br />
Hesse, Stuhlmeister der Freimaurerloge<br />
„Zur Hansa“, hinzu. Aus diesem Grund<br />
treffen sich die Brüder einmal in der<br />
Woche oder einmal pro Monat zur traditionellen<br />
Tempelarbeit. Viele Freimaurer<br />
bezeichnen ihre Loge als „geschützten<br />
Raum“, der nicht nur Stätte der Begegnung<br />
und Zentrum ihrer geistigen Arbeit<br />
ist, sondern auch Ort für ein offenes und<br />
hilfsbereites Miteinander.<br />
„Beim Betreten des Logenhauses verlieren<br />
alle Standesunterschiede ihre Gültigkeit.<br />
Man ist einfach nur noch Mensch“,<br />
erklärt Harry Mohns, Stuhlmeister der<br />
Johannis-Freimaurer-Loge „Herder“.<br />
„Dort kann ich alles sagen, alles fragen<br />
und sicher sein, dass es unter uns bleibt.<br />
Darüber hinaus kann ich mich blind<br />
auf meine Brüder verlassen“, bestätigt<br />
Klaus Becker, der bei Herder die Funktion<br />
des Sekretärs inne hat. Die Frage, ob<br />
Familie, Freunde oder Arbeitskollegen<br />
tatsächlich von der „Arbeit am rauen �<br />
Bremer Logenhaus an der Kurfürstenallee 15.<br />
Der Mythos<br />
Mensch<br />
Freimaurerlogen<br />
in Bremen<br />
Teil 2<br />
Das Oelzweig-Haus, Kurfürstenallee 8.<br />
Bremer Logenhaus: Weltkugel am<br />
Treppenaufgang mit dem Symbol<br />
der weltumspannenden Bruderkette.<br />
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43
HÄUSER & STRASSEN<br />
Stein“ – dem Selbst – profitieren, beantwortet<br />
er wie folgt: „In der Loge lernen<br />
wir, zuzuhören und andere Charaktere<br />
und Meinungen zu respektieren. Und<br />
wir haben die Chance, unser eigenes<br />
Verhalten zu reflektieren. Meine Familie<br />
sagte mir einmal, ich sei sehr tolerant<br />
und ausgeglichen.“ Darüber hinaus wird<br />
die Zugehörigkeit zu einer Freimaurer-<br />
Loge, die übrigens eingetragene Vereine<br />
sind, durch eine Vielzahl gemeinsamer<br />
Aktivitäten bestimmt: Vortragsabende,<br />
kulturelle Veranstaltungen, Kohlfahrten,<br />
Weihnachtsfeiern oder Reisen.<br />
Gemäß dem freimaurerischen Verständnis<br />
der „weltumspannenden Bruderkette“<br />
sind alle Freimaurer-Logen freundschaftlich<br />
miteinander verbunden. Ob<br />
regional oder international – die Nähe<br />
zu anderen Logenhäusern wird gesucht<br />
und gefördert. Unterschiede bestehen<br />
höchsten in Bezug auf die jeweilige<br />
Lehrart und die damit einhergehende<br />
Auslegung des Rituals, die Grundstruktur<br />
dagegen ist überall gleich. „Als Bruder<br />
bin ich in jeder Loge der Welt willkommen.<br />
Selbst, wenn ich die Sprache nicht<br />
verstehe, kann ich der Arbeit ohne Probleme<br />
folgen“, sagt Harry Mohns.<br />
Wer sich für die Freimaurerei entscheidet,<br />
sollte die Volljährigkeit erreicht haben<br />
und ein wenig Geduld mitbringen.<br />
Denn schließlich handele es sich um<br />
eine Einstellungssache, etwas Langfristiges,<br />
sozusagen einen „Bund fürs Leben“,<br />
so Lothar Hesse. Viele der Bremer Logenbrüder<br />
seien bereits seit Jahren oder<br />
Jahrzehnten dabei, dass jemand austrete,<br />
käme eher selten vor. Vielleicht ein<br />
Grund, weshalb der Altersdurchschnitt<br />
meist um die 50 oder 60 Jahre liegt. In<br />
letzter Zeit ist aber auch ein gegenläufiger<br />
Trend zu beobachten. „Immer mehr<br />
Jüngere interessieren sich für das Logenleben“,<br />
weiß Karl Engelhard, welcher der<br />
ältesten, im Jahre 1788 gegründeten<br />
und mit etwa 140 Mitgliedern größten<br />
Bremer Loge „Zum Oelzweig“ vorsteht.<br />
Im Gegensatz zu den bisher genannten<br />
Freimaurer-Vereinigungen, die Männer<br />
44<br />
aller Glaubensrichtungen und Weltanschauungen<br />
aufnehmen, müssen sich<br />
Interessierte zu der Lehre Jesu Christi,<br />
wie sie in der Bibel steht, bekennen.<br />
Anfragen kommen meist über Empfehlungen<br />
oder das Internet. Einige Logen<br />
bieten zudem öffentliche Gästeabende<br />
an. Für potentielle Mitglieder empfiehlt<br />
es sich, regelmäßig an diesen Veranstaltungen<br />
teilzunehmen, die neben<br />
der Information vor allem dem gegenseitigen<br />
Kennenlernen dienen. „Der<br />
persönliche Kontakt ist wichtig“, so Karl<br />
Engelhard, der wie andere Logenmeister<br />
auf Einzelgespräche zur Erörterung der<br />
Intention der Neulinge setzt. Viele geben<br />
als Grund an, ihre privaten und beruflichen<br />
Ziele erreicht zu haben. „Wenn<br />
der Lebensweg gesichert ist, können<br />
Gedanken wie ‚es muss doch noch mehr<br />
geben’ auftreten“, erläutert Jürgen Rotschies.<br />
„Vielleicht ist dies als allgemeine<br />
Sinnsuche zu sehen.“<br />
Ob das Ergebnis dieser Suche für den<br />
Einzelnen tatsächlich in der Freimaurerei<br />
liegt, stellt sich oft erst nach einer gewissen<br />
Vorlaufzeit. Diese kann mehrere<br />
Monate oder auch ein Jahr betragen.<br />
Eine Faustregel dafür gibt es nicht. Ist<br />
der Zeitpunkt gekommen, stellt der Kandidat<br />
einen formellen Aufnahmeantrag,<br />
über den alle Logenbrüder gemeinsam<br />
entscheiden. In einer geheimen Abstimmung,<br />
der so genannten „Kugelung“,<br />
wird mit Hilfe weißer und schwarzer Kugeln<br />
– für Ja und Nein – über die Neuaufnahme<br />
abgestimmt. Fällt die Entscheidung<br />
positiv aus, wird ein Termin<br />
für die eigentliche Aufnahme in den �<br />
Gemälde über der Tür im Festsaal des Bremer Logenhauses.<br />
Kleiner Saal der Freimaurer-Loge "Zum Oelzweig",<br />
Kurfürstenallee 8.<br />
Dreiteiliges Glasfenster im Treppenhaus<br />
des Bremer Logenhauses.<br />
Freimaurerische Symbole:<br />
Buch, Winkelmaß und Zirkel<br />
auf dem Meistertisch.<br />
Tempelnachbau der Ausstellung<br />
"Licht ins Dunkel"<br />
im Focke-Museum.<br />
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HÄUSER & STRASSEN<br />
Freimaurerbund, die im Rahmen einer<br />
Tempelarbeit stattfindet, angesetzt. „Ich<br />
war mir nach dem ersten Gästeabend,<br />
den ich besucht habe, gar nicht mehr<br />
sicher, ob ich Feimaurer werden möchte,“<br />
erläutert Karl Engelhard. „Im Grunde<br />
hat meine Frau mich überzeugt. Und ich<br />
habe meine Entscheidung bisher keine<br />
Minute bereut“, so der Logenmeister, der<br />
1997 dem Oelzweig beitrat.<br />
Generell werden die Ehefrauen oder<br />
Lebensgefährtinnen innerhalb der Logen<br />
sehr geschätzt und stark integriert. Zwar<br />
sind Logenabende und freimaurerische<br />
Arbeit den Männern vorbehalten, offizielle<br />
Veranstaltungen finden in der Regel<br />
mit den Partnerinnen statt. Darüber hinaus<br />
treffen sich die Frauen einmal pro<br />
Monat zu vielfältigen Aktivitäten, die<br />
vom gemeinsamen Kaffeetrinken über<br />
Bridge spielen bis hin zu Museums- oder<br />
Konzertbesuchen reichen. „Wichtig für<br />
die Aufnahme eines neuen Bruders ist<br />
zudem, dass seine Frau einverstanden<br />
ist“, betont Harry Mohns. „Die Logenzugehörigkeit<br />
vor der Familie zu verheimlichen<br />
ist heute undenkbar. Vor einigen<br />
Jahrhunderten war das jedoch normal.“<br />
Die Struktur innerhalb der Freimaurerei<br />
dagegen hat sich kaum verändert: In<br />
Anlehnung an die alten Handwerkszünfte,<br />
durchläuft jeder Logenbruder die drei<br />
Grade „Lehrling“, „Geselle“ und „Meister“.<br />
Sie symbolisieren den Weg der persönlichen<br />
Weiterentwicklung und wechseln<br />
jeweils nach circa einem Jahr mit einem<br />
erneuten Ritual. Daneben kann jedes<br />
Mitglied sich ehrenamtlich engagieren.<br />
Ob als Schriftführer, Schatzmeister,<br />
Aufseher, Redner oder als gewählter<br />
Vorsitzender der Loge, der sogenannte<br />
Meister vom Stuhl – die Möglichkeiten<br />
sind vielfältig.<br />
Ein Beispiel: Klaus Wischmann, seit mehr<br />
als 20 Jahren Mitglied der Johannisloge<br />
„Zum silbernen Schlüssel“, ist dort für<br />
die Kunstarbeit tätig. Im Leben der 1913<br />
gegründeten Vereinigung spielte bildende<br />
Kunst von Anfang an eine besondere<br />
Rolle. Zum einen befanden sich unter<br />
den Brüdern namhafte Kunstschaffende,<br />
46<br />
Milena Tsochkova erhält den<br />
Kunstpreis der Loge<br />
"Zum silbernen Schlüssel".<br />
zum anderen wurden im Logenhaus an<br />
der Kurfürstenallee 15 ab 1979 verschiedene<br />
Ausstellungen veranstaltet.<br />
Ein Interview mit Jürgen Waller, dem damals<br />
neu gewählten Direktor der Hochschule<br />
für Künste (HfK), gab im Jahr 1989<br />
den Anstoß für einen weiteren Schritt,<br />
mit dem sich die Freimaurer in der Hansestadt<br />
einen Namen machten. Bremen<br />
sei das Schlusslicht aller Bundesländer,<br />
sagte Waller in seiner Antrittsrede. „Sehr<br />
gute Künstler, die wir ausbilden, können<br />
in der Stadt nicht existieren“, so der<br />
Wortlaut.<br />
Um diese zu unterstützen, rief die Johannisloge<br />
„Zum silbernen Schlüssel“<br />
auf Initiative des Bremers Heinz-Arnold<br />
Bockmeyer einen Kunstförderpreis ins<br />
Leben.<br />
Seit 1990 wird der mit 4.000 Euro dotierte<br />
Preis jährlich an Absolventen der HfK<br />
vergeben. „Mussten wir anfangs noch<br />
regelmäßig Sponsoren finden, werden<br />
die Fördermittel inzwischen von der<br />
Heinz A. Bockmeyer Stiftung und der<br />
Stiftung Silberner Schlüssel getragen“,<br />
erklärt Klaus Wischmann. Sobald die<br />
Diplomanden eines Jahrgangs feststehen,<br />
prüft eine Kommission der Loge die<br />
Abschlussarbeiten der Kunststudenten,<br />
um den Preisträger zu ermitteln.<br />
Im vergangenen Jahr fiel die Wahl auf<br />
die Malerin Milena Tsochkova, die das<br />
Thema Mensch in den Mittelpunkt ihrer<br />
Gemälde und Zeichnungen stellt. Am<br />
21. November 2010 wurden ihre Werke<br />
im Rahmen eines feierlichen Empfangs<br />
vorgestellt und mit dem Kunstpreis der<br />
Loge prämiert. Mehr über die Künstlerin<br />
lesen Sie auf Seite 48.<br />
Weitere Informationen zu den einzelnen<br />
Logen unter<br />
www.freimaurer-bremen.de.<br />
Text: Kerstin Boelsen<br />
Fotos: Kerstin Boelsen,<br />
Loge Zum silbernen Schlüssel, via roeper<br />
■<br />
Ölmalerei von Milena Tsochkova.<br />
Großer Festsaal des Vereins Bremer Logenhaus e.V.<br />
Bibliothek im ersten Stock des Hauses Kurfürstenallee 15.<br />
Prof. Andreas Löffler (HfK), Prof. Peter Schaefer (HfK) Laudator, Preisträgerin Milena Tsochkova,<br />
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