Narzißmus, Intersubjektivität und Anerkennung* - Martin Altmeyer
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Bedeutungsumfeld <strong>und</strong> wird als Sammelkategorie für zumindest<br />
objektabgewandte, wenn nicht objektlose Erscheinungsformen des<br />
Seelenlebens gebraucht. Zu sehr ist er in der Dichotomie von<br />
Subjekt <strong>und</strong> Objekt an den Subjektpol gerückt, zu stark ist er mit<br />
dem Selbst als dessen libidinöse Besetzung oder Selbstliebe<br />
identifiziert, zu eingängig ist das Bild des Protoplasmatiers, als daß<br />
ein Versuch aussichtsreich scheint, den <strong>Narzißmus</strong> als<br />
intersubjektives Konzept in die Metapsychologie einzuführen.<br />
Was Narziß im Spiegel der Wasseroberfläche sieht, ist aber nicht ein<br />
inneres Bild von sich, sondern das Bild, wie die Welt ihn sieht. Das<br />
Selbstbild entsteht nicht introspektiv, sondern im Spiegel des<br />
Anderen. »Ich ist ein Anderer«, Rimbauds rätselhafte Sprachfigur,<br />
hätte zum Programm für eine intersubjektive Reformulierung auch<br />
des <strong>Narzißmus</strong>-Konzepts werden können. Lacan aber, der es in<br />
seinem legendären Aufsatz »Das Spiegelstadium als Bildner des<br />
Ich« übernommen hat (Lacan, 1936), fängt die <strong>Intersubjektivität</strong><br />
dieses Bildes solipsistisch wieder ein. Der Andere ist gar kein<br />
Anderer, sondern ein ideales Spiegel-Ich, in dem sich das<br />
empirische Ich imaginär erkennt <strong>und</strong> zugleich verkennt; es ist die<br />
Selbstbegegnung des Ich (je) im Ich (moi). Dagegen hat Winnicott<br />
(1965) eingewandt - <strong>und</strong> so den medialen Gehalt der Spiegel-<br />
Metapher enthüllt -, daß »das Gesicht der Mutter der Vorläufer<br />
des Spiegels« ist (S. 128).<br />
Mein Vorschlag einer intersubjektiven Definition des <strong>Narzißmus</strong><br />
bedeutet für den einschlägigen psychoanalytischen Diskurs einen<br />
Nachvollzug jener »kopernikanischen Wende«, die mit Laplanches<br />
Konzeption einer intersubjektiven Emergenz des Triebs bereits die<br />
traditionell monadologische Triebtheorie selbst erreicht hat. Bei<br />
Laplanche (1992) bezeichnet die »Existenz des Anderen« als des<br />
Fremden die dezentrierende Neuerung der Psychoanalyse gegenüber<br />
der Subjektphilosophie in doppeltem Sinn: das Andere ist das<br />
Unbewußte <strong>und</strong> der Andere der Verführer, dessen rätselhafte<br />
Botschaften das Unbewußte <strong>und</strong> den Trieb erst erzeugen; der<br />
<strong>Narzißmus</strong> bleibt aber auch bei ihm Ausdruck der »Rezentrierung«<br />
in der Instanz des Ich. Ich behaupte, daß die hartnäckig sich haltende<br />
»ptolemäische« Version des <strong>Narzißmus</strong>-Begriffs für dessen<br />
notorische kategoriale Unklarheit <strong>und</strong> zweifelhafte klinische <strong>und</strong><br />
sozialwissenschaftliche Anwendbarkeit verantwortlich ist <strong>und</strong> daß<br />
erst in einer intersubjektiven Konzeption diese theoretische <strong>und</strong><br />
praktische Schwäche des Begriffs sich aufheben läßt.<br />
PSYCHE - Z PSYCHOANAL 54 (2000), 142–171 3