Im Lesesaal 2013-01.pdf - Elster Verlag
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Seite 4 <strong>Im</strong> <strong>Lesesaal</strong><br />
Stéphane Hessel<br />
Geschichte erlebt<br />
über fast hundert Jahre<br />
Der in Berlin 1917 geborene Stéphane Hessel<br />
kam in seiner frühen Jugend zusammen mit<br />
seinen Eltern, der Vater jüdisch-polnischer<br />
Herkunft und die Mutter deutsche Protestantin,<br />
1924 nach Paris und erfuhr dort die<br />
klassische Erziehung an der Ecole Normale<br />
Supérieure.<br />
Er ist seit 1937 französischer Staatsbürger<br />
und schloss sich in London der Widerstandsbewegung<br />
gegen die Nazis unter General de<br />
Gaulle an.<br />
Ab 1941 half er in der Résistance in<br />
Frankreich die Landung der Alliierten vorzu-<br />
bereiten. Von der Gestapo verhaftet, kam er<br />
als Spion in die Konzentrationslager von Buchenwald<br />
und dort ins KZ Mittelbau-Dora,<br />
wo er einzig durch den Austausch seiner Identität<br />
mit einem an Fleckfieber verstorbenen,<br />
kremierten Häftling der Verurteilung zum<br />
Tod entrinnen konnte, während ein großer<br />
Teil der Mitgefangenen durch die Nazi sermordet<br />
wurde.<br />
Dieses Schicksal hat den Diplomaten für<br />
den Rest seines Lebens geprägt und veranlasste<br />
ihn, sich nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
für die Menschenrechte einzusetzen, vorerst<br />
1948 bei der Erarbeitung der Charta der<br />
Menschenrechte der Vereinigten Nationen.<br />
Anschliesßnd trat er im Auftrag der UNO<br />
und des französischen Außenministeriums als<br />
Vermittler bei der Entkolonialisierung und in<br />
zahlreichen weiteren Konflikten auf.<br />
Nach dem Terroranschlag am 11. September<br />
2001 in New York forderte er Israel auf,<br />
seine Besetzungspolitik gegenüber den Palästinensern<br />
zu verbessern. Seither kümmert sich<br />
Hessel um das Schicksal von Palästina und<br />
vergleicht, etwas übertrieben formuliert, die<br />
brutale Besetzungspolitik von Israel mit seiner<br />
eigenen Erfahrung im von den Deutschen<br />
besetzten Frankreich während des Zweiten<br />
Weltkriegs. Der Vergleich mag nicht adäquat<br />
sein; seine Ernsthaftigkeit im Kampf um humanistische<br />
Regeln in unhumanen Zeiten<br />
steht aber außer Zweifel.<br />
In seiner Autobiographie beschreibt Hessel<br />
sein Leben im Dienst der humanitären<br />
Vermittlung, geprägt durch eine hohe Bildung<br />
in den französischen und deutschen<br />
Kulturkreisen, die auf sein Elternhaus zurückgeht.<br />
In der bildenden Kunst begegnete er<br />
Marcel Duchamp und Alexander Calder, und<br />
in der Literatur zitiert er unter anderen Friederich<br />
Hölderlin, Rainer Maria Rilke, Hugo<br />
von Hofmannsthal, Albert Camus und Jean<br />
Paul Sartre.<br />
Sein Leben lang kümmert sich Hessel um<br />
Menschen, denen Unrecht geschehen ist. Der<br />
unterdessen 96-jährige wehrt sich gegen die<br />
Abschottungspolitik des Westens gegenüber<br />
anderen Regionen der Welt und weist mit seinem<br />
Kulturpessimismus auf die zunehmende<br />
Verschlechterung der menschlichen Gesellschaften<br />
hin. Ein eindrucksvolles Buch.<br />
Jan A. Fischer<br />
Stéphane Hessel<br />
Empörung – meine Bilanz<br />
Gebunden, 234 Seiten<br />
Fr. 24.00 /Euro 17.00<br />
Pattloch <strong>Verlag</strong>, München 2012<br />
Stéphane Hessel 2011 auf einer Veranstaltung in<br />
Graz.