Laudatio Andrea Werthmüller_Schaufler 2012 - Katholische ...
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Prof. Dr. Birgit <strong>Schaufler</strong><br />
17. April <strong>2012</strong>:<br />
Preisverleihung durch den<br />
Förderverein <strong>Katholische</strong> Stiftungsfachhochschule München<br />
1. Preis für die Bachelorarbeit von <strong>Andrea</strong> <strong>Werthmüller</strong><br />
„Ausstieg von Jugendlichen aus der rechten Szene. Möglichkeiten der Beratung von Eltern“<br />
<strong>Laudatio</strong><br />
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Preisträgerin,<br />
es ist mir eine besondere Freude, hier und heute diese <strong>Laudatio</strong> halten zu dürfen. Die Auswahlkommission<br />
des Fördervereins hat eine gute Entscheidung getroffen und ich will gerne<br />
erläutern, wie ich zu dieser Meinung komme.<br />
Als Hochschullehrerin oder - lehrer wird man von den Studierenden gegen Ende des Studiums<br />
angesprochen, ob man ihre Abschlussarbeit betreuen würde. Manchmal kennt man die<br />
Fragenden, manchmal nicht – manchmal bringen sie ein Thema mit, das sie bearbeiten<br />
wollen, manchmal nicht. So oder so: Wenn man die Betreuung zusagt, begibt man sich gemeinsam<br />
auf eine Reise, deren Verlauf und Ausgang unsicher sind. Für alle Lehrenden ist<br />
es ein besonderes Geschenk, wenn der Weg, den man sich gemeinsam vornimmt, anspruchsvoll<br />
aber gangbar ist, wenn das Ziel lohnend erscheint und der oder die Mitreisende<br />
diszipliniert und inspiriert mitgeht bzw. voranschreitet. Bei <strong>Andrea</strong> <strong>Werthmüller</strong> war das so.<br />
Rechtsextremismus bei Jugendlichen, das ist ihr Thema und der Titel ihrer Arbeit lautet<br />
„Ausstieg von Jugendlichen aus der rechten Szene. Möglichkeiten der Beratung von Eltern“.<br />
Sie schreibt ihre Arbeit im Winter 2010 und ist damit der öffentlichen Diskussion einen<br />
Schritt voraus, denn: die Arbeit ist bereits abgegeben und bewertet als deren Inhalt durch<br />
das Offenbarwerden der Zwickauer Terrorzelle im November 2011 neue Brisanz erfährt.<br />
Wenn sich Jugendliche an rechtsextremem Gedankengut orientieren und sich einer Gruppierung<br />
der rechten Szene anschließen, dann wird diese Mitgliedschaft häufig zur Belastung<br />
für das ganze Familiensystem. Eltern leiden unter den Veränderungen ihres Kindes.<br />
Sie berichten davon, dass sich ihr Kind mehr und mehr von Familie und ehemaligen Freunden<br />
zurückzieht. Dass es eine härtere Sprache verwendet und in der Familie aggressiv auftritt.<br />
Dadurch kommt es zu einer schleichenden Entfremdung zwischen Eltern und Kind. Die<br />
Eltern entwickeln zunehmend Ängste, Schuld- und Schamgefühle. Konflikte bestimmen die<br />
Kommunikation und schließlich wird der familiäre Alltag vom Thema Rechtsextremismus<br />
beherrscht.
<strong>Andrea</strong> <strong>Werthmüller</strong> greift in ihrer Bachelorarbeit diese familiären Belastungen auf. Sie analysiert<br />
die Rolle der Eltern in diesem Zusammenhang und erörtert deren Möglichkeiten, einen<br />
Ausstieg aus der rechten Szene anzustoßen und zu begleiten. Basis für die Bearbeitung<br />
der Fragestellung ist zunächst die differenzierte Bestimmung des Begriffes „Rechtsextremismus“<br />
und eine Darstellung der damit verbundenen Einstellungen wie Autoritarismus,<br />
Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Wohlstandschauvinismus, Antisemitismus und Pronazismus.<br />
Eine Beschreibung der relevanten Organisationen, Parteien und Gruppierungen der<br />
rechten Szene folgt und vermittelt einen Idee davon, was deren Attraktivität für eine bestimmte<br />
Gruppe von Jugendlichen ausmacht.<br />
Eindrücklich schildert die Autorin wie insbesondere die sogenannten „freien, autonomen<br />
oder nationalistischen Kameradschaften“ eine große Anziehungskraft entwickeln – mehr<br />
noch als die Jugendorganisation der Nationaldemokratische Partei Deutschlands, der NPD.<br />
Die scheinbar losen Kameradschaften bieten den Jugendlichen das Gefühl der Zugehörigkeit<br />
zu einer spezifischen jugendgemäßen Szene. Diese Szene lockt mit einer Verbindung<br />
von Lebensgefühl, Freizeitwert und eingängigen politischen Botschaften, mit Musik, Symbolen<br />
und eigenen Internetforen. Die Autoren Stefan Glaser und Thomas Pfeiffer bezeichnen<br />
sie zusammenfassend als „Erlebniswelt Rechtsextremismus“ und finden für ihr Buch den<br />
treffenden Untertitel „Menschenverachtung mit Unterhaltungswert“.<br />
Um Ansatzpunkte für die Förderung eines Ausstiegs aus der Szene benennen zu können,<br />
erörtert <strong>Andrea</strong> <strong>Werthmüller</strong> anschließend Einstiegsszenarien und Erklärungsmodelle für<br />
die Entwicklung rechtsextremer Orientierungs- und Handlungsweisen. Es gelingt ihr, die<br />
Vielfalt der Ansätze systematisch zu erfassen. Präzise arbeitet sie die relevanten sozialisations-<br />
und bindungstheoretischen Aussagen heraus, die sich auf das Familienklima, die<br />
Familienstruktur, die Erziehungspraxis sowie die Beziehungs- und Bindungsqualität beziehen.<br />
Im Kernteil ihrer Arbeit geht Frau <strong>Werthmüller</strong> der Frage nach, inwiefern eine fachliche Beratung<br />
der Eltern, diese darin unterstützen kann, einen Ausstieg ihres Kindes aus der Szene<br />
zu fördern, und sie stellt dar, welche Themen in einer qualifizierten Beratung zur Sprache<br />
kommen sollten.<br />
Betroffene Eltern, die Hilfe suchen, wenden sich häufig an Lehrerinnen und Lehrer, an das<br />
Jugendamt oder an Erziehungsberatungsstellen. Dort finden sie jedoch meist nicht die erhoffte<br />
Unterstützung. Auch Aussteigerprojekte, die seit 2001 in einigen Bundesländern<br />
etabliert sind, sind nicht auf die Beratung der Eltern vorbereitet - sie haben eher die Jugendlichen<br />
selbst im Blick. Erst in jüngerer Zeit beginnt man spezielle Beratungsstellen für Eltern<br />
rechtsextremer Jugendlicher einzurichten. Sie verbinden professionelle Beratung auf der<br />
einen Seite und Wissen über Rechtsextremismus auf der anderen Seite. In Bayern existiert<br />
ein entsprechendes Beratungsangebot seit dem Jahr 2009. Landesweit sind zu dieser Zeit<br />
allerdings nur sechs Beraterinnen bzw. Berater in diesem Feld tätig – und die können den<br />
steigenden Bedarf bei weitem nicht decken.<br />
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Oberstes Ziel der Beratung ist, dass Eltern ihre erlebte Ohnmacht überwinden und wieder<br />
handlungsfähig werden. Die Voraussetzung dafür ist, dass sie Informationen über die Akteure<br />
und Einblicke in die Strukturen und die Kultur der rechtsextremen Szene bekommen.<br />
In der Beratung fördert man zudem einen Perspektivenwechsel, um damit die innerfamilialen<br />
Ressourcen in den Blick zu nehmen und neue Handlungsoptionen auszuloten. Die<br />
Kraft, die Eltern dadurch gewinnen, können sie nutzen, um in Konfliktsituationen adäquat<br />
reagieren zu können und mit den Jugendlichen wieder ins Gespräch zu kommen.<br />
<strong>Andrea</strong> <strong>Werthmüller</strong> überprüft und erweitert das bestehende Beratungskonzept, indem sie<br />
die Ergebnisse ihrer theoretischen Befassung in den Beratungskontext integriert. Sie fundiert<br />
dieses Vorhaben durch ihre eigene empirische Studie, die als Experteninterview angelegt<br />
ist. Die Wahl der Forschungsmethodik wird nachvollziehbar begründet und die Phasen<br />
der Datenerhebung werden transparent dokumentiert. Die Auswertung erfolgt theoriegestützt<br />
und zeichnet sich durch einen hohen Reflexionsgrad und eine sensible Interpretation<br />
des Gesamtzusammenhangs aus. Auf der Grundlage der Daten gelangt <strong>Andrea</strong> <strong>Werthmüller</strong><br />
schließlich zu einer positiven Einschätzung des Nutzens von fachlichen Beratungsangeboten<br />
für Eltern. Sie zeichnet ein detailliertes Bild möglicher Beratungsinhalte.<br />
Eltern, so ein wesentliches Ergebnis der Untersuchung, können eine bedeutsame Ressource<br />
bei einem Ausstieg aus der rechten Szene darstellen, wenn es ihnen gelingt, 1. stabil<br />
und ruhig zu bleiben, 2. positive Beziehungen innerhalb der Familie aufzubauen, 3. die<br />
Kommunikation mit ihrem Kind aufrecht zu erhalten und 4. Kontakte zur Welt außerhalb der<br />
Szene zu vermitteln – was die Szene grundsätzlich zu unterdrücken versucht.<br />
Frau <strong>Werthmüller</strong> hat eigenständig ein Thema aufgegriffen, das eine Lücke in der Jugendarbeit<br />
bzw. der Elternarbeit schließt. Der Ertrag ihrer Arbeit ist nicht hoch genug einzuschätzen<br />
- nicht einzig, was die Aktualität der Fragestellung und die praktische Verwertbarkeit<br />
der Ergebnisse betrifft, sondern auch im Hinblick auf die theoretische Tiefe und forschungsmethodische<br />
Sorgfalt der Studie.<br />
Mein Kollege <strong>Andrea</strong>s Schwarz, der als Zweitgutachter fungierte, und ich als Betreuerin<br />
sind beeindruckt davon, wie sich <strong>Andrea</strong> <strong>Werthmüller</strong> in ihr Thema vertieft, ohne sich darin<br />
zu verlieren. Sie widersteht der Versuchung, in die Bearbeitung dieses sensiblen Themas<br />
populistische „Wahrheiten“ einfließen zu lassen und vorschnelle Urteile zu fällen. Sie macht<br />
ihre kritische Haltung deutlich – nicht durch empörtes Lamento – sondern durch ihr engagiertes<br />
Verstehenwollen und ihr Ringen um Lösungen. Sowohl die Profession als auch die<br />
wissenschaftliche Disziplin der Sozialen Arbeit kann daran anknüpfen.<br />
Liebe Frau <strong>Werthmüller</strong>, ich gratuliere Ihnen sehr herzlich zu dieser Auszeichnung und<br />
wünsche Ihnen, dass Sie Ihren Weg mit Freude, Mut und Weitblick fortführen. Derzeit absolvieren<br />
Sie ein weiteres Studium in Politologie und ich wünsche mir und rechne damit,<br />
dass wir auch künftig von Ihnen zu lesen bekommen.<br />
Noch einmal: meinen herzlichen Glückwunsch!<br />
Ihnen allen wünsche ich einen anregenden Abend und danke Ihnen.<br />
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