OSI-Zeitung
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<strong>OSI</strong><br />
Wilder Wahlkampf<br />
LHG provoziert und verliert<br />
Seite 2<br />
ZEITUNG<br />
Studierendenzeitung des Otto-Suhr-Instituts<br />
Alle in Aufruhr<br />
Eklat unter Erstsemestern<br />
Seite 7<br />
Sinnlose Sache?<br />
Anwesenheitskontrollen am <strong>OSI</strong><br />
Seite 10<br />
<strong>OSI</strong> muss nachsitzen<br />
In unserer Umfrage zur Lehrqualität<br />
stellen die Studis dem <strong>OSI</strong> ein mittelmäßiges<br />
Zeugnis aus. Außerdem werfen wir<br />
einen Blick auf die Ergebnisse des Peer-<br />
Review.<br />
Lehrevaluation: Seite 5<br />
Ergebnisse des Peer-Review: Seite 9<br />
Nr.11<br />
FEBRUAR 2011
OZ | Institut<br />
2<br />
Inhalt<br />
Qualität? Sichern!<br />
Lehrevaluationen am <strong>OSI</strong><br />
Seite 5<br />
„Geh doch nach<br />
Afghanistan!”<br />
Erstsemester-Eklat<br />
Seite 7<br />
Peer-Review 2010<br />
Ein Rückblick auf die Ergebnisse<br />
Seite 8<br />
Die Last mit der Liste<br />
Anwesenheitskontrollen am <strong>OSI</strong><br />
Seite 10<br />
Fragwürdige Praxis<br />
Streit um die Methodenprofessur<br />
Seite 13<br />
Afrika im Aufschwung?<br />
Die S-Professur soll helfen<br />
Seite 14<br />
„Wir können nicht anders...”<br />
Protest im Wendland<br />
Seite 16<br />
Italienische Zustände<br />
Uni und der status quo in Italien<br />
Seite 18<br />
Titelfoto: © 2011 Moritz Ritter<br />
Der Uni-Wahlkampf ist wie ein kleiner, dicker<br />
Junge mit Brille. Keiner will mit ihm spielen.<br />
Er sabbere, sagen die anderen. Der Junge<br />
weiß, wie sie über ihn reden. Doch immer, wenn<br />
er die Chance hat, ihre Vorurteile zu widerlegen,<br />
läuft ihm vor lauter Aufregung die Spucke aus<br />
dem Mund. Auch der Wahlkampf 2011 machte<br />
den Vorurteilen über ihn lange alle Ehre. Jedes<br />
Jahr das Gleiche: Abgedroschene Sprüche, absurde<br />
Forderungen, sinnfreie Slogans. Eine lausige<br />
Wahlbeteiligung – alles wie immer. Doch<br />
dann Aufregung: Ein handfester Skandal! Mit<br />
echten Folgen an der Wahlurne.<br />
Armin Peter von der Liberalen Hochschulgruppe<br />
(LHG) hatte auf dem Blog der LHG eine private<br />
Email von Juso-Vertreter Oliver Wolff<br />
veröffentlicht – inklusive der Adresse des Absenders.<br />
„Sexismus“ und „Balzverhalten“ von<br />
Wolff würden darin sichtbar, schreibt die LHG.<br />
Der auf Krawall gebürstete Artikel sollte eine<br />
Art Strafe für den Juso werden: ein Wahl-Flyer,<br />
der zuvor am <strong>OSI</strong> verbreitet wurde, warf der<br />
LHG „Sexismus“ und „Beleidigungen“ vor. Außerdem<br />
nehme sie ihren Sitz im Fachbereichsrat<br />
nicht wahr und mache damit ein studentisches<br />
Veto unmöglich. Unterzeichnet ist das Flugblatt<br />
von „einigen hochschulpolitisch aktiven Studierenden“.<br />
Da steckt bestimmt der Wolff dahin-<br />
Foto: Kevin Zollman / flickr.com<br />
Die LHG schießt scharf – und trifft sich selbst<br />
Rhetorische Zuspitzung als Wahlkampf-Strategie / Abstimmung wird zum Debakel<br />
von Marcel Heberlein<br />
ter, waren die Liberalen sich sicher. Und wollten<br />
durch ihren Artikel mit noch größerem Kaliber<br />
zurückschießen. Doch eineinhalb Tage später<br />
ist die private Email plötzlich aus dem Artikel<br />
verschwunden. Mehrere Dutzend wütende<br />
Kommentare hatten sich bis dahin bereits auf<br />
der Website angesammelt. „Unterstes Niveau“<br />
und „Stasi-Methoden“ hieß es empört. Die Jusos<br />
drohten in einer Stellungsnahme sogar mit<br />
rechtlichen Konsequenzen.<br />
„Wir haben den Artikel geändert, als klar wurde,<br />
dass unsere Quelle nicht belastbar war“, erklärt<br />
Armin Peter der OZ. Den Liberalen sei<br />
klar geworden, dass Oliver Wolff nicht hinter<br />
dem LHG-kritischen Flugblatt stand. Eine Unterlassungsklage<br />
habe man lieber vermeiden<br />
wollen, räumt dagegen sein Kollege Sven Hilgers<br />
ein. Ein „Ausrutscher“ sei das Ganze gewesen.<br />
So erscheint die Email-Episode eher wie das<br />
logische Ende einer kindischen Kissenschlacht.<br />
Während anfangs alle fröhlich drauflos kloppen,<br />
werden die Gemüter mit jeder Minute erhitzter.<br />
Bis einer heult.<br />
Schon im März vergangenen Jahres wurde aus<br />
Spiel langsam Ernst. Als in einem besetzten Hörsaal<br />
der Silberlaube Busfahrkarten zur Blockade<br />
des Nazi-Aufmarschs in Dresden verkauft wurden,<br />
zeigte sich die LHG auf ihrem Blog ent-
setzt. Ein Missbrauch des Hörsaals sei das Ganze,<br />
unipolitisch nicht relevant. Überhaupt seien<br />
die Ticketverkäufe „ein Aufruf zu Straftaten“<br />
und „Straßenschlachten“. „Nazi-Verharmloser!“,<br />
schrie es aus der Kommentarfunktion zurück.<br />
„Braun-Hemd“ sei er ebenfalls schon genannt<br />
worden, berichtet Armin Peter, der auch<br />
diesen kontroversen Artikel verfasst hatte. An<br />
seiner Person entzünden sich die meisten Diskussionen.<br />
Eigentlich ist Peter bei der Jungen<br />
Union. Doch an der FU seien die Konservativen<br />
einfach nicht sehr aktiv, sagt er. Bei der LHG ist<br />
Armin der Mann fürs Grobe. „Ich pöbel auch“,<br />
sagt er. „Aber es gibt Grenzen.“ Klar, er habe den<br />
<strong>OSI</strong>-Linken unterstellt, Verhältnisse zu wollen<br />
wie früher in der DDR. Aber dass er die Nazis<br />
verharmlose, das sei zu viel. Er nenne die Linken<br />
ja auch nicht „Gulag-Wächter“.<br />
„Die LHG hat Minderwertigkeitskomplexe“, sagt<br />
Oliver Wolff von den Jusos. Sie wolle mit lautem<br />
Schreien auf sich aufmerksam machen. Und tatsächlich<br />
widerspricht Armin Peter dieser Aussage<br />
nicht, im Gegenteil. Gerade um Nichtwähler<br />
anzusprechen, müsse man im Wahlkampf<br />
zuspitzen, meint er. „Über Polemik redet man<br />
wenigstens.“ Und es wird viel geredet über die<br />
LHG in den letzten Wochen vor der Wahl. Doch<br />
<strong>OSI</strong> GRAFISCH<br />
Wer wird zitiert?<br />
nicht viel Gutes. Eine „Verleumdungskampagne“<br />
sei das gewesen, ereifert sich Armin Peter<br />
noch kurz vor der Abstimmung. „Wir haben viel<br />
Potential für eine Kampagne gegen uns geboten“,<br />
gibt sich sein Kollege Sven Hilgers selbstkritisch.<br />
Er mimt den ruhigeren, den unaufgeregten<br />
Vertreter der Liberalen. Obwohl auch er<br />
nichts einzuwenden hatte gegen ein bisschen<br />
Krawall. Jetzt versucht er zu retten, was noch zu<br />
retten ist. Dass der LHG-Sitz im Fachbereichsrat<br />
lange nicht besetzt war, tue ihm leid, sagt er.<br />
„Uns sind einfach die Leute ausgegangen.“ Man<br />
habe versucht, das Mandat zurückzugeben, aber<br />
rechtlich sei das nicht möglich gewesen. Eine<br />
positive Alternative habe die LHG aufzeigen<br />
wollen, sagt Hilgers dann noch fast flehentlich.<br />
Mehr Transparenz im AStA, mehr studentische<br />
Kompromisse in den Gremien sollten die Themen<br />
sein. Darüber hätte man streiten können.<br />
Doch: Zu spät. Zauberlehrling Armin Peter hatte<br />
die Geister gerufen und die LHG wurde sie<br />
nicht mehr los. Die Wahl wird zum Debakel:<br />
Die LHG gewinnt keinen Sitz mehr im Akademischen<br />
Senat, keinen im Fachbereichsrat, keinen<br />
im Institutsrat des <strong>OSI</strong>. Der Wähler hat den<br />
Wahlkampf offenbar honoriert – wenn auch anders,<br />
als ursprünglich gedacht.<br />
Recherche: Marcel Heberlein, Grafik: Moritz Ritter<br />
Info<br />
Die Grafik zeigt die Anzahl<br />
der Zitationen des meistzitierten<br />
Werkes von derzeit<br />
oder vor kurzer am <strong>OSI</strong> beschäftigten<br />
Professor_innen.<br />
Eine ausführlichere Version<br />
der Grafik findet sich auf unserer<br />
Webseite unter:<br />
www.osi-zeitung.de/<br />
institut/citations<br />
OZ | Institut<br />
3
OZ | Schwerpunkt<br />
4<br />
Qualität? Sichern!<br />
Von außen wurde das <strong>OSI</strong> durch das „Peer-Review“ (siehe S. 8) bereits evaluiert. Ein Ergebnis:<br />
Es muss auch von innen evaluiert werden<br />
von Franziska Grell und Dennis Nill<br />
Qualitatives Schwarz-Weiß-Denken Foto: Dennis Knopf / flickr.com<br />
„Evaluation“ ist ein Modewort, das immer<br />
wieder inflationär in die Diskussion geworfen<br />
wird, wenn es um die Qualität von Lehre geht.<br />
So richtig dagegen ist keiner, alle reden davon,<br />
aber kaum einer tut es. Im „Peer-Review“, dem<br />
sich das <strong>OSI</strong> anlässlich der Akkreditierung der<br />
Bachelor- und Masterstudiengänge zu unterziehen<br />
hatte, wird auf jeder zweiten der über neunzig<br />
Seiten gefordert, es müsse auf allen Ebenen<br />
(universitäts-, fachbereichs- und institutsweit)<br />
eine Qualitätssicherung stattfinden. Auch in<br />
den Zielvereinbarungen, die das <strong>OSI</strong> mit dem<br />
Präsidium der FU geschlossen hat, sind solche<br />
Maßnahmen festgeschrieben. Evaluiert werden<br />
sollen Forschung und Lehre gleichermaßen -<br />
besonders in der<br />
Lehre passiert das<br />
» Das grundsätzliche<br />
Problem dieser und<br />
anderer Evaluationen: Die<br />
Ergebnisse werden kaum<br />
öffentlich gemacht «<br />
aber bisher völlig<br />
uneinheitlich.<br />
So fand die letzte<br />
zentral organisierte<br />
Evaluation am<br />
Institut im Wintersemester<br />
08/09<br />
statt. Das Ergebnis der über 3000 ausgewerteten<br />
Fragebögen klingt zufriedenstellend: Die Lehrveranstaltungen<br />
wurden im Durchschnitt mit<br />
„gut“ (1,98) bewertet, die Dozierenden mit 1,75<br />
sogar noch besser.<br />
Das grundsätzliche Problem dieser und anderer<br />
Evaluationen: Die Ergebnisse werden kaum<br />
öffentlich gemacht. Anders als bei den meisten<br />
von Dozierenden selbständig durchgeführten<br />
Erhebungen konnte man die Ergebnisse der<br />
Umfrage 08/09 zwar auf der <strong>OSI</strong>-Homepage finden<br />
– eine institutsweite Diskussion fand aber<br />
nie statt. Auch ob die Dozierenden „Lehren” aus<br />
den Bewertungen zogen, blieb den Studierenden<br />
verborgen.<br />
Status Quo<br />
Zur Zeit ist das <strong>OSI</strong> von einer regelmäßigen und<br />
einheitlichen Qualitätssicherung noch weit entfernt.<br />
In einem Strategiepapier von Bernd Ladwig<br />
und Sven Chojnacki zur Qualitätssicherung<br />
ist zwar von regelmäßigen Evaluationen<br />
von Lehrveranstaltungen die Rede, die „von den<br />
Lehrenden in eigener Verantwortung durchgeführt“<br />
werden. Derzeit seien es aber nur ungefähr<br />
10 bis 20% der Lehrenden, die ihre Veranstaltungen<br />
von den TeilnehmerInnen bewerten<br />
ließen, schätzt Chojnacki. Verpflichtend sind<br />
die Bewertungen im Moment noch nicht, sie<br />
würden aber im Rahmen der Zielvereinba-
Umfrage zur Lehrqualität<br />
Um ein aktuelles Stimmungsbild der Studierenden<br />
am Institut zu erhalten führte<br />
die <strong>OSI</strong>-<strong>Zeitung</strong> im Dezember 2010 eine<br />
Online-Umfrage durch, bei der Lehrveranstaltungen<br />
anhand von sieben Kategorien<br />
bewertet werden konnten. Insgesamt 216<br />
Bewertungen wurden unter anderem zu<br />
Inhalt, Engagement von Dozierenden und<br />
Studierenden, Atmosphäre und Praxisbezug<br />
abgegeben. Die Veranstaltungen, für<br />
die am häufigsten Noten vergeben wurden,<br />
waren allesamt Vorlesungen. Drei davon<br />
werden insgesamt als „gut”, drei weitere<br />
lediglich als „befriedigend” bezeichnet. Beste<br />
Vorlesung ist „Moderne Politische Theorie”<br />
bei Prof. Bernd Ladwig mit Bestnoten<br />
rungen zwischen Fachbereich und Institut demnächst<br />
festgeschrieben, so Studiendekanin Cilja<br />
Harders.<br />
Um Fragen der Lehrplanung und der Qualität<br />
der Lehre kümmert sich seit 2009 die Ausbildungskommission<br />
(ABK) Lehre<br />
» Die Reaktionen auf<br />
eine Befragung von 1991<br />
reichten von Teilnahmeverweigerung<br />
seitens<br />
der Dozierenden bis zu<br />
Klageandrohungen «<br />
unter dem Vorsitz von Sven Chojnacki.<br />
An dieses Gremium können<br />
sich Studierende auch wenden,<br />
wenn sie Probleme mit einer<br />
Lehrveranstaltung haben. Bei der<br />
Frage nach konkreten Maßnahmen<br />
zur Qualitätssicherung agiert<br />
die Kommission bis jetzt aber zurückhaltend.<br />
Gegenüber standardisierten Fragebögen<br />
herrscht, so Chojnacki, eine gewisse<br />
Skepsis. Sollten sie kommen, so sei es wichtig,<br />
„genügend Raum für qualitative Eindrücke und<br />
Hinweise der Studierenden zu lassen”. Fragen<br />
in sechs Kategorien. Mit einer Gesamtnote<br />
von 3,66 schneidet die Veranstaltung „Introduction<br />
to Comparative Politics” von Prof.<br />
Miranda Schreurs derzeit am schlechtesten<br />
ab.<br />
Im Durchschnitt wurden die sechs Vorlesungen<br />
kaum besser als „befriedigend”<br />
(2,84) bewertet. Auch wenn die Befragung<br />
nicht repräsentativ, sondern eher als Trend<br />
zu begreifen ist, legen diese Ergebnisse<br />
weitere Evaluationen nahe.<br />
Der verwendete Fragebogen sowie weitere<br />
Ergebnisse können auf unserer Webseite<br />
www.osi-zeitung.de eingesehen<br />
werden.<br />
wie diese beschäftigen auch eine fachbereichsübergreifende<br />
AG unter der Leitung von Ann-Kathrin<br />
Helfrich, die eine von zwei halben Stellen<br />
für Qualitätssicherung im Bereich der Lehre innehat.<br />
Ergebnisse werden aber erst im Sommersemester<br />
vorliegen.<br />
Ein Blick in die Geschichte des<br />
Instituts zeigt, dass die Evaluation<br />
von individuellem Lehrverhalten<br />
ein sensibler Bereich ist. Die<br />
Reaktionen auf eine Befragung,<br />
die 1991 unter anderem von Peter<br />
Grottian durchgeführt worden<br />
war, reichten von Teilnahmeverweigerung<br />
seitens der Dozierenden bis zu Klageandrohungen.<br />
Grundsätzlich wollten die Verfasser<br />
der Umfrage eine breite Diskussion unter<br />
allen Statusgruppen über Bewertungskriterien<br />
guter Lehre anstoßen. Schlecht bewertete Do-<br />
OZ | Schwerpunkt<br />
5
OZ | Schwerpunkt<br />
6<br />
Fotos: Diter Ohr (l.) , Archiv (r.)<br />
zierende sollten darüber hinaus eine Stellungnahme<br />
abgeben und Änderungsvorschläge machen.<br />
Im Zuge dieser Befragung kam sogar die<br />
Forderung auf, diese Dozierenden sollten auf ihr<br />
Lehrdeputat verzichten und einen Teil ihres Gehalts<br />
in einen Topf geben, aus dem dann besonders<br />
motivierte Kolleginnen und Kollegen bezahlt<br />
werden könnten.<br />
Obwohl das Thema Lehrqualität aufgrund der<br />
Erwähnung in Zielvereinbarungen und „Peer-<br />
Review” durchaus das Potential gehabt hätte, die<br />
Diskussion um Qualität in der Lehre erneut zu<br />
entfachen, sind solche konkreten Forderungen<br />
nun eher selten zu hören.<br />
Was ist geplant?<br />
Sowohl über die Form der Evaluation von Lehrveranstaltungen<br />
als auch über mögliche Konsequenzen<br />
kritischer Beurteilungen – wie zum<br />
Beispiel Weiterbildungsmaßnahmen – ist man<br />
sich zwar ebenso uneinig wie damals, es wird<br />
aber weit weniger hitzig darüber diskutiert.<br />
Während von mehreren Ebenen zu hören ist,<br />
man arbeite an Fragebögen (Präsidium, Fachbereich,<br />
Institut), regt sich von Studierendenseite<br />
Protest: Dennis Lantzberg, Studierendenvertreter<br />
im Institutsrat, hält Fragebögen für<br />
die schlechteste Variante, weil die Studierenden<br />
dabei keinerlei Rückmeldung erhielten. Nur in<br />
der persönlichen Diskussion sei es möglich, „gemeinsam<br />
Lösungen für Kritikpunkte zu erarbeiten”.<br />
Besonders für Seminare seien diskursive<br />
Verfahren wie Feedbackrunden, die vorzugsweise<br />
in der Mitte des Semesters durchgeführt<br />
werden sollten, die beste Alternative. Zudem<br />
schlägt Lantzberg eine zentrale Stelle vor, an die<br />
jeweils ein Ergebnisprotokoll der Feedbackrunden<br />
weitergegeben werden soll. Einen Widerspruch<br />
sieht Peter Massing, der für die ProfessorInnen<br />
im Institutsrat sitzt, in standardisierten<br />
und diskursiven Verfahren nicht. Er regt an,<br />
Reaktionen auf unsere Umfrage<br />
Dieter Ohr: „Evaluation ist für<br />
mich eine Frage von Transparenz<br />
zwischen Lehrenden<br />
und Studierenden und als<br />
Rückmeldung eine extrem<br />
wichtige Information. Die<br />
Ergebnisse haben mich nicht<br />
überrascht.”<br />
dass es generell einen Austausch über die Entwicklung<br />
der Lehre zwischen Studierenden und<br />
Dozierenden geben müsse.<br />
Ist das ausreichend?<br />
Laut „Peer-Review“ existiert noch keine Gesamtstrategie<br />
zur Qualitätssicherung seitens der<br />
Unileitung. Auch am <strong>OSI</strong> besteht offenbar nur<br />
ein geringes Interesse an der Überprüfung des<br />
eigenen Lehrangebots. Konsequenzen für Dozierende,<br />
die ihren Lehrauftrag schlecht erfüllen,<br />
existieren nicht. Lediglich bei Lehraufträgen<br />
könne man bisher reagieren, so ABK-Mitglied<br />
Lantzberg. Ähnlich wie er sieht auch Oliver<br />
Wolff Schwierigkeiten bei der Sanktionierung<br />
schlechter Lehre. Wenn es darum gehe, „die Dozierenden<br />
an die Leine zu nehmen”, ergäben sich<br />
aus dem Grundsatz der Freiheit von Forschung<br />
und Lehre diverse rechtliche Beschränkungen.<br />
Und auch die Evaluation sei letzten Endes nichts<br />
weiter als „Wattebäuschchen gegen Mauern, die<br />
tun niemandem weh”. Während Studierendenvertreter<br />
Wolff daher fordert, „semesterweise<br />
schlechte Lehre sollte sanktioniert werden”, setzt<br />
Sven Chojnacki darauf, dass innerhalb des Instituts<br />
„ein Bewusstsein für transparente Kriterien<br />
guter Lehre entwickelt wird, das notfalls auch<br />
ein Naming & Shaming einschließen kann”. Positive<br />
Anreize wie Weiterbildungsmaßnahmen<br />
oder Auszeichnungen für Dozierende hält Peter<br />
Massing für die beste Alternative um die Motivation<br />
zu guter Lehre zu fördern.<br />
Ob Lehrpreise wie der alle zwei Jahre verliehene<br />
„Lorbär” des <strong>OSI</strong>-Clubs jedoch wirklich<br />
alle Lehrenden zur guten Lehre motiviert,<br />
bleibt fraglich. Ob in der nächsten Zeit mit konkreteren<br />
Vorschlägen von Unileitung und Fachbereich<br />
zu rechnen sein wird, ist unklar. In<br />
dieser Situation könnte das <strong>OSI</strong> die Chance ergreifen<br />
und selbstständig ein eigenes Verfahren<br />
zur Evaluation der Lehre entwickeln.<br />
Die kompletten Statements findet ihr auf<br />
www.osi-zeitung.de/institut/lehrqualitaet<br />
Miranda Schreurs: „I won<br />
several teaching awards in<br />
the United States and generally<br />
had among the best<br />
teaching evaluations of the<br />
faculty I was part of. Very different<br />
from what is reflected<br />
in this survey.”
„Dann geh doch nach<br />
Afghanistan”<br />
Wenn aus einer Vorlesung eine hitzige Sexismus-Debatte wird<br />
Tatort: Einführungsvorlesung zum Thema<br />
Gender. „Kann ich mal bitte das Mikrofon<br />
haben?“, fragt der vornehm gekleidete Kommilitone<br />
mit osteuropäischem Akzent aus einer<br />
der hinteren Reihen. Das sei ja alles schön<br />
und gut, was Katharina Pühl über die Gleichberechtigung<br />
und Chancengleichheit der Frau<br />
erzählt habe. Doch nun sei es mal Zeit für eine<br />
Gegenposition.<br />
Fakt sei doch, dass Gesellschaften mit dem traditionellen<br />
Rollenbild der Frau, die hinterm<br />
Herd steht und in Karriere-Angelegenheiten den<br />
Mund zu halten hat, in den vergangenen Jahrhunderten<br />
ganz gut gefahren seien. Munteres<br />
Kichern im Publikum, das den schlank gewachsenen<br />
Brillenträger mit Bürstenhaarschnitt<br />
wohl motiviert, noch weiter zu gehen. Man sehe<br />
ja, wohin das berufliche Selbstbewusstsein moderner<br />
Frauen führe: Die westlichen Industrienationen<br />
wie Deutschland hätten mit dem demographischen<br />
Wandel zu kämpfen, während<br />
osteuropäische Länder mit dem althergebrachten<br />
Modell erheblich besser zurechtkämen.<br />
Rums. Das schlug ein wie eine Bombe. Die<br />
spontanen Reaktionen der Zuschauer reichten<br />
von Lachen und Beifall zu Entrüstung und<br />
anschwellender Wut. Solche vermeintlich diffamierenden<br />
Äußerungen im universitären<br />
„Schutzraum“, wie Sven Chojnacki das <strong>OSI</strong> in<br />
einer späteren Vorlesung nennt? Das sind ja<br />
ganz neue Töne für die im Raum versammelten<br />
Erstsemester - eigentlich wurde das <strong>OSI</strong> in den<br />
vergangenen Wochen doch so gerne als Mikrokosmos<br />
präsentiert, in dem ausgrenzende Meinungen<br />
nichts verloren haben.<br />
Alles Pustekuchen? Mitnichten! Dem Provokateur<br />
stellt sich eine energisch auftretende junge<br />
Dame mit schwarzen Locken entgegen, die<br />
den geballten Frust vieler ZuhörerInnen kanalisiert.<br />
Der „Prototyp eines Chauvinisten des 21.<br />
Jahrhunderts“ habe sich eben zu Wort gemeldet,<br />
und wenn er tatsächlich dem traditionellen Rollenbild<br />
der Frau am Herd anhänge, hat sie nur<br />
einen Rat für ihn übrig: „Dann geh doch nach<br />
Afghanistan!“<br />
Rums. Auch der Gegenschlag hat gesessen. Dieser<br />
High Noon der Weltbilder stieß eine Diskus-<br />
von Tobias Schmutzler<br />
sion unter den <strong>OSI</strong>anern an, die so schnell nicht<br />
mehr abließ. Wochenlang war die Frage nach<br />
dem richtigen Umgang mit derartigen Äußerungen<br />
ein Thema unter Erstsemestern und in<br />
den Tutorien zur Einführungsvorlesung. Wie<br />
weit geht in diesem Fall die Meinungsfreiheit?<br />
Wo fangen Diskriminierung und Chauvinismus<br />
an?<br />
Ihre persönliche Antwort darauf gaben einige<br />
der Erstsemester-Tutorinnen in einem Aufruf,<br />
den Sven Chojnacki in einer der folgenden<br />
Sitzungen vorlas und offiziell unterstützte. Darin<br />
unterstellten sie, dass „Rassismus und Sexismus“<br />
in den Räumen des <strong>OSI</strong> „überaus präsent“<br />
seien. Das passe zwar nicht mit „dem Selbstbild<br />
der meisten weißen, bzw. männlichen Studierenden“<br />
zusammen. Die Unterzeichnerinnen<br />
wendeten sich dennoch unerschrocken gegen<br />
Äußerungen aus einer „Gesellschaft, […] welche<br />
rassistisch, sexistisch und heteronormativ ist“.<br />
Inzwischen hat sich unter den <strong>OSI</strong>anern wohl<br />
jeder seine Meinung dazu gebildet, ohne dass<br />
die anfängliche Aufregung in eine größere, offizielle<br />
Aktion gemündet wäre. Das letzte Wort<br />
in dieser Angelegenheit ist indes noch nicht gesprochen.<br />
Die von Sven Chojnacki angekündigte<br />
Veranstaltung zu Rassismus an der Uni wird<br />
in Kürze stattfinden – sie könnte die Debatte<br />
doch noch zu einem versöhnlichen Abschluss<br />
führen.<br />
Illustration: Christa Roth<br />
» Wie weit geht<br />
in diesem Fall die<br />
Meinungsfreiheit?<br />
Wo fangen Diskriminierung<br />
und Chauvinismus<br />
an? «<br />
OZ | Institut<br />
7
OZ | Institut<br />
8<br />
Peer-Review 2010 –<br />
ein Rückblick<br />
Das <strong>OSI</strong> lud zur Nabelschau mit den Peers, die kamen zu gemischten Ergebnissen<br />
„Gemischtwarenladen“ ist keine sehr nette<br />
Bezeichnung für ein politikwissenschaftliches<br />
Institut. Schon gar nicht für eines, das so stolz<br />
auf sein großes Angebot ist. Da nimmt man es<br />
übel, mit dem Krämer von nebenan verglichen<br />
zu werden. Dementsprechend unzufrieden waren<br />
die <strong>OSI</strong>aner mit der vor etwa einem Jahr<br />
durchsickernden Information, die Teilnehmer<br />
des gleichzeitig stattfindenden Peer-Reviews<br />
hätten das Institut in besagter Art und Weise<br />
charakterisiert. In welchem Zusammenhang<br />
der Begriff gefallen war, konnte aber nie jemand<br />
so genau sagen. Was vor allem daran lag, dass<br />
der vor knapp vier Monaten eingereichte Abschlussbericht<br />
nur sehr halbherzig öffentlich gemacht<br />
wurde – obwohl die Kommission genau<br />
das empfohlen hatte.<br />
Hier eine kleine Zusammenfassung der wesentlichen<br />
Punkte. Im Bericht selbst klingt nämlich<br />
zum Beispiel der Gemischtwarenladen gar nicht<br />
mehr so böse. Er wird vor allem mit Pluralität in<br />
Verbindung gebracht – aber, so beeilen sich die<br />
Autoren dann doch noch einzuschränken, nicht<br />
direkt mit Qualität. Dass überhaupt fremde Professoren<br />
durchs <strong>OSI</strong> spazierten, hängt mit dem<br />
von Malte Büschen<br />
Der 100 Seiten starke Bericht der Kommission und das unschöne Wort Foto: Malte Büschen<br />
» Der vor knapp vier<br />
Monaten eingereichte<br />
Abschlussbericht wurde nur<br />
sehr halbherzig öffentlich<br />
gemacht – obwohl die<br />
Kommission genau das<br />
empfohlen hatte «<br />
Zauberwort Akkreditierung zusammen. Dabei<br />
handelt es sich um ein Verfahren, bei dem externe<br />
Agenturen Studiengänge hinsichtlich ihrer<br />
Qualität prüfen. Explizit begutachtet wird dabei<br />
unter anderem deren Profil , also welche Qualifikationen<br />
die Absolventen vorweisen können<br />
- eine nicht zuletzt arbeitsmarktorientierte<br />
Perspektive.<br />
Bisher durchliefen die Studiengänge der FU jeweils<br />
einzelne Programmakkreditierungen.<br />
Die Uni will sich aber lieber im Ganzen einer<br />
Systemakkreditierung unterziehen. Damit<br />
könnte sie ihre Studiengänge selber prüfen.<br />
Bei der zuvor einmal zu bestehenden Systemakkreditierung<br />
stehen vor allem die Qualitätssicherungssysteme<br />
einer Universität (vgl. Seite<br />
5) auf der Checkliste der Prüfer. Als Testlauf<br />
im Rahmen der dahingehenden Vorbereitung<br />
lud sich die FU eine siebenköpfige Kommission<br />
um den Düsseldorfer Politikwissenschaftler<br />
Professor Ulrich von Alemann ins <strong>OSI</strong> ein. Diese<br />
„peers“ studierten die ihnen vorgelegte Akten,<br />
hörten Präsentationen der Instituts- sowie<br />
Studiengangverantwortlichen und sprachen<br />
mit Vertretern der einzelnen Statusgruppen.
Im September 2009 legten sie ihre Ergebnisse<br />
vor. Manche hatten eine Stellungnahme zur<br />
schwelenden Strukturdebatte erhofft. Dies sah<br />
die Kommission jedoch nicht als ihre Aufgabe<br />
an. Zwar sei die Besetzung der Vakanzen zu<br />
empfehlen, der Streit um Ideengeschichte, Regierungssystem<br />
der BRD und Methoden müsse<br />
jedoch <strong>OSI</strong>-intern geführt werden.<br />
Vergleichsweise harsch erscheint hingegen das<br />
Abhandeln der am <strong>OSI</strong> – in den Worten der<br />
Kommission – „grassierenden […] Diplom-<br />
Nostalgie“. Auch die zum Zeitpunkt des Peer-<br />
Reviews noch lebendige Idee eines vierjährigen<br />
BA-Studiengangs wird abgewiesen. Ein solcher<br />
wäre eine Entwicklung „in die falsche Richtung“.<br />
Vor allem über die Konsequenzen eines<br />
dann nur einjährigen Masters sei kaum nachgedacht<br />
worden. Eine Wahlmöglichkeit zwischen<br />
drei- und vierjährigem Bachelor stellt sich für<br />
die Gutachter als „Abwälzen“ der Entscheidung<br />
auf den einzelnen Studierenden dar. Das Nebeneinander<br />
beider Studiengänge würde darüber<br />
hinaus die Profilierung des BA weiter erschweren.<br />
Ohnehin mache dieser den Eindruck, als<br />
Vorstufe zum konsekutiven Master gedacht zu<br />
sein. Ein nicht-eigenständiger „erster“ Studiengang<br />
ließe sich jedoch nicht mit der ursprünglichen<br />
Bologna-Idee vereinbaren.<br />
Mangels eigenem Profil bleibe daher unklar, welche<br />
(Berufs-)Qualifizierung der BA biete. Auch<br />
die Qualifikation der ein-<br />
» Wenn fremde Professoren das<br />
<strong>OSI</strong> evaluieren, dann muss Umfang,<br />
Sinn und Zweck dieses Vorgangs den<br />
Institutsangehörigen gegenüber artikuliert<br />
werden «<br />
zelnen Absolventen sei<br />
schwer vergleichbar. Die<br />
Kommission empfiehlt<br />
dementsprechend engere<br />
Vorgaben bei der Reihenfolge<br />
der Lehrveranstaltungen<br />
und damit einen<br />
einheitlicheren Studienverlauf. Im Verhältnis<br />
der Studiengänge befürchtet die Kommission,<br />
dass zu viele Kapazitäten in die MA-Programme<br />
fließen könnten - dann würde die BA-Lehre am<br />
Mittelbau hängen bleiben. Die Profilkritik ist<br />
prinzipiell ähnlich: Zu viele der weiterführenden<br />
Angebote seien auf eine spätere wissenschaftliche<br />
Laufbahn der Absolventen ausgelegt.<br />
Nur dass es sich hier dann nicht um einen<br />
anschließenden MA, sondern die Promotion<br />
handle.<br />
Dass diesen Ergebnissen eine bestimmte politische<br />
Richtung und ein bestimmtes Verständnis<br />
universitärer Lehre innewohnt, kann das Peer-<br />
Review nicht verstecken. Das will es auch nicht.<br />
Diese Grundentscheidung macht den Bericht allerdings<br />
noch nicht zum Gefälligkeitsgutachten.<br />
Man übt offen Kritik an Missständen, sagt, wo<br />
sich die Verantwortlichen um klare Antworten<br />
drücken und wo Verbesserungsmöglichkeiten<br />
bestehen. Dabei lässt man sich nicht von <strong>OSI</strong>-typischen<br />
Leerformeln à la „Vertiefung der Breite<br />
und Verbreiterung der Tiefe“ blenden. Auch die<br />
Beschreibung „Seminare sind diskursiv“ hinsichtlich<br />
innovativer Lehrformen wird als das<br />
Foto: Archiv<br />
bezeichnet, was sie ist: trivial. Gut so!<br />
Fraglich ist, was vom Peer-Review bleibt. Als externer,<br />
kritischer Blick könnte er allen Beteiligten<br />
ein Segen sein. Oder ungelesen in der Schublade<br />
verschwinden; als reine<br />
Pflichtübung auf dem Weg zur<br />
Systemakkreditierung. Eine<br />
regelmäßige Durchführung<br />
müsste allerdings besser vorbereitet<br />
und durchgeführt werden.<br />
Klarere Vorgaben über<br />
den Prüfungsgegenstand, wie<br />
es sich die Kommission selbst wünscht, sind<br />
selbstverständlich. Wichtig wäre aber auch eine<br />
andere Informationspolitik des Instituts und<br />
der Universität. Wenn fremde Professoren das<br />
<strong>OSI</strong> evaluieren, dann muss Umfang, Sinn und<br />
Zweck dieses Vorgangs den Institutsangehörigen<br />
gegenüber artikuliert werden. Vor einem<br />
Jahr wurde darüber kaum informiert.<br />
Die Kommission wünscht sich übrigens eine<br />
weniger hierarchisch-steuerungsfixierte Kommunikation<br />
zwischen Institut und Universitätsleitung<br />
– alles andere führe zu Missverständnissen<br />
und einer Verweigerungshaltung. Vielleicht<br />
wäre das auch für das Verhältnis zwischen Professoren<br />
und Studierenden ein guter Vorsatz im<br />
Jahr 2011: Mehr Kommunikation im Gemischtwarenladen<br />
wagen!<br />
Infos zum Bericht<br />
FU-Angehörige können den<br />
Bericht auf Anfrage beim<br />
Dekanat erhalten.<br />
Joachim-Jens Hesse hat eine<br />
eigene, bis auf die Kollegenschelte<br />
durchaus lesenswerte<br />
Stellungnahme zum<br />
<strong>OSI</strong> auf seine FU-Homepage<br />
gestellt, abrufbar unter:<br />
http://tinyurl.com/reviewhesse<br />
OZ | Institut<br />
9
10<br />
OZ | Institut<br />
» Wie verbreitet ist<br />
die Anwesenheitskontrolle<br />
eigentlich<br />
noch unter denen,<br />
die die Macht<br />
über Schein oder<br />
Nicht-Schein in den<br />
Händen halten? «<br />
Die Last mit der Liste<br />
Anwesenheitslisten sind auf dem Rückzug, die Diskussion darüber auf dem Vormarsch<br />
Unschön: Leere Reihen in der Uni Foto: jodofe / photocase.com<br />
Es könnte so einfach sein: Eine Liste geht<br />
durch die Reihen, die Studis setzen ihre Unterschrift<br />
hinter ihren Namen – manchmal auch<br />
verstohlen eine hinter den eines Freundes oder<br />
einer Freundin – die Anwesenheit ist bestätigt<br />
und alle sind glücklich. Nicht so am rebellischen<br />
Otto-Suhr-Institut, denn hier sind Anwesenheitslisten<br />
und Anwesenheitspflicht seit jeher<br />
ein Grund für Diskussionen zwischen Studierenden<br />
und Lehrenden. Auch im Bildungsstreik<br />
der letzten Jahre war die Abschaffung<br />
der Anwesenheitspflicht eines der prominentesten<br />
Ziele. Daraufhin beschloss<br />
der Akademische Senat, das höchste<br />
Gremium der Selbstverwaltung der FU,<br />
am 16. Dezember 2009 das, was bis heute<br />
als der größte Erfolg des Bildungsstreiks<br />
gewertet wird. Die regelmäßige<br />
Teilnahme ist nicht mehr Voraussetzung<br />
für einen erfolgreichen Modulabschluss.<br />
Entsprechend solle auf deren<br />
Überprüfung verzichtet werden. Mit diesem<br />
Beschluss wurde die Anwesenheitspflicht an der<br />
FU zwar ausgesetzt. Dennoch bleibt den Dozierenden<br />
die Wahl, die regelmäßige Teilnahme zu<br />
kontrollieren, wenn sie dies als unabdingbar für<br />
den erfolgreichen Abschluss des Moduls erach-<br />
von Moritz Ritter und Martin Kündiger<br />
ten. Es kommt also auf die einzelne Lehrkraft<br />
an, wie und ob sie die Anwesenheit der Studierenden<br />
überprüft. Bevor man also nun weiterhin<br />
über Sinn und Unsinn der berüchtigten<br />
Listen diskutiert, fragt sich: Wie verbreitet ist<br />
die Anwesenheitskontrolle eigentlich noch unter<br />
denen, die die Macht über Schein oder Nicht-<br />
Schein in den Händen halten? Dazu hat die<br />
<strong>OSI</strong>-<strong>Zeitung</strong> im Dezember 2010 eine Online-<br />
Umfrage unter 109 Dozierenden, die dieses Semester<br />
am <strong>OSI</strong> lehren, durchgeführt. Dies förderte<br />
einige interessante Ergebnisse zutage.<br />
Das auffälligste Resultat unserer Umfrage ist,<br />
dass Anwesenheitskontrollen nur noch von etwas<br />
mehr als einem Drittel der Dozierenden<br />
eingesetzt werden. Viele stehen der Anwesenheitsliste<br />
skeptisch gegenüber. 51 Dozierende<br />
antworteten, dass sie keine Anwesenheitsliste<br />
in ihren Veranstaltungen führen, während<br />
zwölf Dozierende sie in ihren Veranstaltungen<br />
verwenden. Jedoch wird die regelmäßige Teilnahme<br />
von neun Lehrenden statt mit Liste<br />
durch andere Mittel kontrolliert. Den 42 Dozierenden,<br />
die gar keine Anwesenheitskontrolle<br />
durchführen, stehen insgesamt 23 Dozierende<br />
gegenüber, die die regelmäßige Teilnahme überprüfen.<br />
Eine Kontrolle findet nach unserer
Erhebung also durchaus noch statt, allerdings<br />
in geringerem Maße als es manche Diskussion<br />
vermuten lässt. Interessanterweise setzen die<br />
Dozierenden neben der Anwesenheitsliste auch<br />
darauf, dass sie sich diejenigen merken, die oft<br />
in ihrer Veranstaltung fehlen. Das Mittel der<br />
Wahl für immerhin fünf Dozierende unserer<br />
Umfrage. Noch eine unorthodoxe Vorgehensweise<br />
fiel auf: Eine Lehrkraft führt einen unangekündigten<br />
Kurz-Test durch, mit dem man seine<br />
Hausarbeitsnote zwar nur verbessern kann.<br />
Dessen Bestehen ist jedoch auch Pflicht ist für<br />
einen Teilnahmeschein.<br />
Es hat uns außerdem interessiert, aus welchen<br />
Gründen Dozierende Anwesenheitslisten ablehnen<br />
oder einsetzen. Unter den Lehrenden, die<br />
keine Anwesenheitsliste verwenden, zeigt sich,<br />
dass sie das mehrheitlich genau aus den Gründen<br />
nicht tun, die schon die Studis im Kampf gegen<br />
Anwesenheitslisten angebracht haben. Die Dozierenden<br />
am <strong>OSI</strong> setzen auf die Selbstbestimmung<br />
der Studierenden und deren intrinsische<br />
Motivation. Der kleinste Teil der Antworten<br />
verwies auf den Beschluss des Akademischen<br />
Senats bzw. anderer Gremien oder auf organisatorische<br />
Gründe bei der Entscheidung, keine<br />
Teilnahmelisten zu führen. Auf Seiten der Befürworter<br />
von Anwesenheitslisten findet sich<br />
vor allem die Meinung, dass sonst nicht genug<br />
Menschen an den Veranstaltungen teilnehmen<br />
oder der Ablauf der Veranstaltung ohne Teilnahmeliste<br />
beeinträchtigt werde. Vereinzelt findet<br />
sich auch die Annahme, dass nach wie vor<br />
eine Anwesenheitspflicht besteht, was sich<br />
Umfrage zu Anwesenheitskotrollen<br />
Im Dezember 2010 hat die<br />
<strong>OSI</strong>-<strong>Zeitung</strong> eine Umfrage<br />
unter 109 Dozierenden,<br />
die dieses Semster am <strong>OSI</strong><br />
lehren, durchgeführt. Dazu<br />
haben wir die derzeit im Vorlesungsverzeichnisangegebene<br />
Dozierenden ermittelt<br />
und die, deren E-Mail-Adrese<br />
wir ermitteln konnten, angeschrieben.<br />
Insgesamt beteiligten sich<br />
65 Dozierende an der Befragung.<br />
Damit haben knapp<br />
die Hälfte der tatsächlich in<br />
diesem Semester am <strong>OSI</strong><br />
Lehrenden geantwortet.<br />
Volker von Prittwitz hat zu<br />
unserer Umfrage eine Stellungnahme<br />
veröffentlicht,<br />
die online einsehbar ist:<br />
http://tinyurl.com/AnwesenheitPrittwitz<br />
OZ | Institut<br />
11
12<br />
OZ | Institut<br />
» Von Prittwitz:<br />
Universität macht nur<br />
Sinn, wenn die Studierenden<br />
nicht als Masse<br />
behandelt werden «<br />
auch aus der Tatsache speist, dass die regelmäßige<br />
Teilnahme von den Dozierenden in Campus<br />
Management immer noch gesondert bestätigt<br />
werden muss.<br />
Die Umfrage, wenn sie auch keinen Anspruch<br />
auf vollständige Gültigkeit erheben kann, verdeutlicht<br />
sehr klar einen Trend unter den Dozierenden<br />
zur Infragestellung der Kontrolle der<br />
regelmäßigen Anwesenheit. Auch zeigt sich eine<br />
mehrheitliche Ablehnung von zwanghafter Anwesenheitserhebung.<br />
Es zeigte sich zudem in<br />
der Reaktion der Dozierenden auf unsere Umfrage,<br />
dass sich eine kontroverse Diskussion<br />
mittlerweile vor allem daran entzündet, wie<br />
Anwesenheitskontrollen und Lehrqualität zusammenhängen.<br />
Gewiss ist ein Seminar ohne<br />
Studierende weder für die Abwesenden, noch<br />
für den Dozenten gewinnbringend, aber kann<br />
Qualität dadurch erhöht werden, dass einfach<br />
nur alle anwesend sind? Bisher galten 85 Prozent<br />
Anwesenheit oder zweimaliges Fehlen in<br />
der Regel als entschuldbar. Alles andere, was<br />
in einem unberechenbaren Studileben so vorkommen<br />
kann, war ein Fall für die (gerechte)<br />
Willkür des Dozenten. Anwesenheitskontrollen<br />
sollten sicherstellen, dass ein kontinuierlicher<br />
Gesprächs- und Diskussionsfluss während des<br />
Seminars entstehen kann. Ein Umfrageteilnehmer<br />
gab zu bedenken, dass die Anwesenheit<br />
aber keine Garantie für eine aktive Mitarbeit sei,<br />
denn wer ohnehin nur wenig Interesse an einem<br />
bestimmten Thema habe, trage zum Seminar<br />
auch wenig bei. Trotzdem blieben ein regel-<br />
<strong>OSI</strong> NEWS<br />
Prof. Thomas Risse wird nach Informationen<br />
der OZ das <strong>OSI</strong> nicht verlassen. Risse hatte sich<br />
im Dezember vergangenen Jahres als Präsident<br />
des GIGA-Instituts in Hamburg beworben und<br />
damit Spekulationen um seinen Weggang ausgelöst<br />
(Die OZ berichtete online).<br />
Bei den Wahlen zum Akademischen Senat vom<br />
11.-12. Januar errang eine neue ProfessorInnen-<br />
Liste, die der ehemalige FU-Präsidentschaftskandidat<br />
Raúl Rojas gegründet hat, zwei Sitze.<br />
Durch einen Formfehler bei einer Präsidumsnahen<br />
Liste gingen außerdem alle vier Sitze der<br />
Wissentschaftlichen MitarbeiterInnen an die<br />
ver.di/GEW-Liste. Somit ergeben sich zum ersten<br />
Mal seit Jahrzehnten neue Machtoptionen<br />
für Studis und linke Listen.<br />
mäßiger Gesprächs- und Diskussionsfluss aber<br />
wichtig für ein Seminar, damit ein Prozess des<br />
Lernens, Zuhörens und vielleicht sogar des Forschens<br />
entstehen kann. Jedoch „garantiert bloße<br />
Anwesenheit noch lange keinen Lernerfolg“,<br />
wie ein Dozierender bemerkte. Dafür sei Interesse<br />
nötig, einmal auf Seiten der Studierenden<br />
und natürlich auch seitens der Dozierenden, interessante<br />
Themen gemeinsam zu setzen. So entstehe<br />
eine regelmäßige Teilnahme aus Motivation<br />
heraus. Eine stärkere Selbstbestimmung des<br />
Studiums würde dafür den nötigen Freiraum<br />
geben. So sei auch das ganze Prinzip des Teilnahmescheins<br />
zu hinterfragen, da Studierende<br />
selbst entscheiden können sollten, wo es sich für<br />
sie lohnt, Zeit zu investieren. Außerdem mache<br />
es keinen Sinn, mit unmotivierten Studis Seminare<br />
zu halten.<br />
Volker von Prittwitz, Professor für Vergleichende<br />
Politikanalyse am <strong>OSI</strong>, plädiert in seiner<br />
Stellungnahme zu unserer Umfrage für grundlegende<br />
Reformen der universitären Lehre. „Die<br />
Zahl der zu absolvierenden Kurse senken; reine<br />
Teilnahmeregelungen streichen; gewählte Kurse<br />
aber intensiv und dialogisch gestalten, so dass<br />
ein wirklicher Bildungs- und Ausbildungseffekt<br />
entsteht!“. Universität mache nur Sinn, wenn die<br />
Studierenden nicht als Masse behandelt würden,<br />
sondern weniger Kurse mit intensiver Betreuung<br />
absolvierten. Wie das alles angesichts von<br />
immer schneller steigenden Studierendenzahlen<br />
gemeistert werden kann, sollte uns am <strong>OSI</strong> in<br />
nächster Zeit beschäftigen.<br />
Bei den akademischen Wahlen hat die Liberale<br />
Hochschulgruppe (LHG) eine Schlappe einstecken<br />
müssen. Sie errang weder im <strong>OSI</strong>-Institutsrat,<br />
noch im Fachbereichsrat (FBR) einen<br />
Sitz. Die FSI*<strong>OSI</strong> stellt beide Studi-VertreterInnen<br />
im I-Rat und hat mit anderen Inis des Fachbereichs<br />
einen Sitz im FBR inne.<br />
Eine neue Mittelbau-Initiative kämpft an der<br />
FU für eine verbesserte Lage des wissenschaftlichen<br />
Nachwuchses. Die Phase zwischen Studium<br />
und fester Professur sei momentan nur von<br />
prekärer Beschäftigung geprägt, kritisierte die<br />
Initiative in einem Protestbrief an Uni-Präsident<br />
Alt. Der Brief wurde von 280 Mittelbaulern<br />
unterzeichnet. Weitere Infos unter: www.fumittelbau.de.
Fragwürdige Praxis<br />
Umstrittenes Berufungsverfahren am <strong>OSI</strong>: Dieter Ohr soll Methodenprofessur behalten<br />
In wenigen Monaten läuft die Professur für<br />
Methoden aus und mit ihr auch das noch geltende<br />
Arbeitsverhältnis von Dieter Ohr. Um zu<br />
verhindern, dass Ohr den Fachbereich verlässt<br />
und so die Methodenausbildung aufs Spiel gesetzt<br />
wird, soll die Professur dauerhaft entfristet<br />
werden – darin sind sich alle einig. Doch ob die<br />
neue Stelle offen ausgeschrieben werden muss<br />
oder weiterhin von Ohr besetzt bleiben darf, ist<br />
heftig umstritten.<br />
Das Berliner Hochschulgesetz (BerlHG) schreibt<br />
eine öffentliche Ausschreibung zwar vor. Dies<br />
wäre jedoch langwierig und mit viel Aufwand<br />
verbunden, während nach Ansicht vieler mit<br />
Dieter Ohr der geeignete Kandidat schon vor<br />
Ort ist. Die Mehrheit der ProfessorInnen im<br />
Fachbereichsrat (FBR) und studentische Vertreter<br />
der Liberalen Hochschulgruppe (LHG)<br />
befürworten daher eine gesetzlich erlaubte<br />
Sonderregelung. „Die Dienstbehörde“, so heißt<br />
es im BerlHG „kann im Einzelfall Ausnahmen<br />
von der Pflicht zur Ausschreibung einer<br />
Professur zulassen“. Eine Ausschreibung ist<br />
demnach nicht nötig, wenn ein/e ProfessorIn<br />
in „einem befristeten Beschäftigungsverhältnis<br />
auf dieselbe Professur […] berufen werden soll“.<br />
Diese Bedingung sei im Fall Ohrs gegeben, behaupten<br />
die UnterstützerInnen.<br />
VertreterInnen der Fachschaftsinitiative (FSI)<br />
und der Jusos weigern sich, das „verkürzte Berufungsverfahren“<br />
mitzutragen. Durch die Umgehung<br />
einer ordentlichen Berufung werde im<br />
FBR „über die Köpfe der Studierenden hinweg<br />
entschieden“ und die Ausnahme zur Regel gemacht.<br />
Schließlich wurden in der Vergangenheit<br />
bereits mehrmals Stellenausschreibungen<br />
so zugeschnitten, dass nur die Wunschkandidaten<br />
ernsthaft dafür in Frage kamen. Zuletzt<br />
geschehen bei der Entfristung der Verträge von<br />
Sven Chojnacki und Christoph Zürcher.<br />
In der Wahl dieses Instruments sehen die KritikerInnen<br />
darüber hinaus eine Möglichkeit,<br />
Neueinstellungen von unerwünschten WissenschaftlerInnen<br />
zu umgehen. Bereits bewährtes,<br />
wissenschaftliches Personal werde hingegen<br />
hofiert. VertreterInnen der LHG erkennen in<br />
einem effizienten Verfahren jedoch deutliche<br />
Vorteile: Angesichts einer ohnehin „prekären<br />
Lage der Methodenausbildung“ könne ein bis<br />
zu 14 Monate andauerndes Berufungsverfahren<br />
zeitweise eine Grundsicherung in der Lehre gefährden.<br />
Im Streit zwischen FSI, Jusos und LHG<br />
will letztere vorpreschen. Sie hat im Dezember<br />
2010 vorgeschlagen, selbst einen studentischen<br />
Vertreter in die Kommission zu entsenden. Und<br />
damit der Berufung den Weg frei zu machen.<br />
Für Dennis Lantzberg von der FSI bleibt nur<br />
die klare Absage, die Uni-Präsident Peter-André<br />
Alt kürzlich einer Ad-personam-Berufung in<br />
diesem Fall erteilte. Lantzberg schreibt in einer<br />
Email an die OZ, Alt habe im letzten FBR am<br />
12. Januar versprochen „sich [in der Causa Ohr]<br />
weiter informieren zu wollen“. Der Studi-Vertreter<br />
hofft, dass das Präsidium noch in das Berufungsverfahren<br />
eingreift. Dies sei bereits bei der<br />
BRD-Professur geschehen, so Lantzberg.<br />
In wiefern das alles im Sinne des Betroffenen ist,<br />
bleibt ungewiss. Ein Gespräch mit der OZ lehnte<br />
Ohr mit Hinweis auf das laufende Verfahren ab.<br />
Ebenfalls unklar ist, ob und wie der Fachbereich<br />
darlegen kann, weshalb es sich erneut um eine<br />
Einzelfallsituation handelt. Solange<br />
hier eine überzeugende Begründung<br />
fehlt, wird der Ruf nach mehr Demokratie<br />
am <strong>OSI</strong> nicht viel mehr als<br />
eine gut gemeinte Empfehlung bleiben.<br />
Und dem Fall Ohr könnten noch<br />
viele weitere „Einzelfälle“ folgen.<br />
von Christa Roth<br />
» Dem Fall Ohr könnten<br />
noch viele weitere<br />
„Einzelfälle“ folgen «<br />
Hat der „Einzelfall” Methode?<br />
Foto: memephoto / pixelio.de<br />
Berufungsverfahren<br />
Laut §94, Abs. 1 des Berliner<br />
Hochschulgesetz sind<br />
„Stellen für hauptberufliches<br />
wissenschaftliches Personal<br />
öffentlich auszuschreiben“.<br />
Das Verfahren aus Ausschreibung,<br />
Bildung einer Berufungskommission,Begutachtung<br />
der KandidatInnen<br />
und der leztendlichen Berufung<br />
kann sich bis zu 14 Monate<br />
hinziehen. Zum Ablauf<br />
des Berufungsverfahrens hat<br />
das Präsidium der FU einen<br />
Leitfaden entwickelt, der<br />
die einzelnen Schritte und<br />
AkteureInnen dokumentiert<br />
.Der Leitfaden kann online<br />
abgerufen werden unter:<br />
http://www.fu-berlin.de/<br />
praesidium/qm/media/Berufungsleitfaden_FU.pdf<br />
OZ | Institut<br />
13
14<br />
OZ | Institut<br />
» Generelles Problem<br />
bei jeder S-Professur:<br />
Meist werden sie nicht<br />
ausgeschrieben, sind<br />
personengebunden «<br />
Afrika im Aufschwung?<br />
Eine S-Professur soll der Afrika-Lehre am <strong>OSI</strong> auf die Beine helfen<br />
Es ist noch nicht allzu lange her, da stand<br />
der afrikanische Kontinent im Mittelpunkt der<br />
Weltöffentlichkeit. Die stimmungsvollen Bilder<br />
aus den Fußballstadien am Kap weckten<br />
leise Hoffnungen für die künftige Entwicklung<br />
dieses oft vergessenen Kontinent. Oft vergessen<br />
– auch am <strong>OSI</strong>. Seit der Emeritierung des<br />
renommierten Afrikaforschers Franz Ansprenger<br />
1992 hat es keine ordentliche Afrikaprofessur<br />
mehr gegeben. Privatdozenten haben dieses<br />
Feld der Regionalstudien übernommen. Das<br />
Veranstaltungsangebot ist überschaubar.<br />
Ist nun neue Rettung in Sicht? Die Einrichtung<br />
einer S-Professur soll helfen, Afrika nicht vollkommen<br />
aus den Vorlesungsverzeichnissen zu<br />
verbannen. S-Professur – das steht für Sektoral-<br />
Professur. Diese ProfessorInnen sind bei einer<br />
außeruniversitären Einrichtung angestellt, die<br />
in der Regel weiterhin ihr Gehalt übernimmt.<br />
Sie erhalten einen auf meist sehr wenige Wochenstunden<br />
begrenzten Lehrauftrag, genießen<br />
aber sämtliche Privilegien einer ordentlichen<br />
Professur. Im diskutierten Fall für Afrika-Politik<br />
am <strong>OSI</strong> hieße der Kandidat Andreas Mehler,<br />
Leiter des Afrikainstituts beim German Institute<br />
of Global and Area Studies (GIGA) in<br />
von Benedikt Becker<br />
Illustration: Christa Roth<br />
Hamburg. Lediglich eine Veranstaltung pro Semester<br />
soll der Lehrauftrag beinhalten. Nicht<br />
nur deswegen ist seine Berufung umstritten.<br />
Generelles Problem bei jeder S-Professur: Meist<br />
werden sie nicht ausgeschrieben, sind personengebunden.<br />
So sind es Fragen um die Person Mehlers,<br />
die die Diskussionen in den akademischen<br />
Gremien bestimmen. Deckt seine Berufung den<br />
tatsächlichen Bedarf dieses Forschungsfeldes<br />
am <strong>OSI</strong> ab? Es geht um die Frage nach Ansätzen<br />
kritischer Afrikaforschung. Diese suche man<br />
bei Mehler vergeblich, heißt es aus Kreisen der<br />
StudierendenvertreterInnen. Der Vorwurf: Die<br />
vorgeschlagene Person schlage inhaltlich in die<br />
gleiche Kerbe wie viele SFB-ForscherInnen, so<br />
die FSI-<strong>OSI</strong> in ihrem Internetblog.<br />
Viel Zündstoff für Diskussionen im Institutsrat.<br />
Eine fachlich fundierte Einschätzung sollte<br />
deshalb die Entscheidungsfindung erleichtern.<br />
So bat man im vergangenen Sommer die Privatdozentin<br />
Salua Nour um eine Stellungnahme.<br />
Nour lehrt seit 2008 am <strong>OSI</strong>, ist Koordinatorin<br />
für die Afrika-Lehrveranstaltungen.<br />
Umfassend und präzise legte sie dem Institutsrat<br />
den Bedarf einer Professur „Politik Afrikas“<br />
sowie die Vor- und Nachteile einer möglichen
S-Professur Andreas Mehlers dar.<br />
Nour stellt fest, dass sich die Afrikalehre<br />
und -forschung am <strong>OSI</strong><br />
zum gegenwärtigen Zeitpunkt „mit<br />
wichtigen Teilaspekten der afrikanischen<br />
Realität“ beschäftige,<br />
die „mit Hilfe des methodischen<br />
und theoretischen Instrumentariums<br />
der Friedens- und Konfliktforschung<br />
bearbeitet werden“.<br />
Sie fordert eine Erweiterung des<br />
Angebots um eine kritische und<br />
praxeologische Dimension. Bezogen<br />
auf eine mögliche Kooperation<br />
mit dem GIGA vertritt Nour<br />
die Meinung, dass dadurch keine<br />
Diversifizierung des Afrika-Angebots<br />
gegeben sei. Vielmehr werde<br />
der „notwendige, aber nicht genügende“<br />
Ansatz der Friedens- und<br />
Konfliktforschung verstärkt.<br />
StudierendenvertreterInnen interpretierten dies<br />
als eine klare Unterstützung ihrer eigenen Haltung:<br />
„Salua Nour sprach sich dann auch strikt<br />
gegen die vorgeschlagene Person aus“, heißt es<br />
auf der Homepage der FSI-<strong>OSI</strong>. In Nours Ausführungen<br />
lässt sich eine solch strikte Ablehnung<br />
gegenüber Mehler nicht finden. Sie befürwortet<br />
ihn allerdings auch nicht ausdrücklich.<br />
Aus ihrer Stellungnahme geht<br />
hervor: Nour sorgt sich um die<br />
Zukunft der Afrikalehre am <strong>OSI</strong>.<br />
Diese Zukunft liegt nun in den<br />
Händen des Fachbereichsrats. Mit<br />
einem Gruppenveto im Institutsrat<br />
hatten die Studierendenvertreter<br />
eine endgültige Entscheidung<br />
um eine Sitzung verzögern können.<br />
Letztlich wurde der Antrag<br />
genehmigt und somit zur finalen<br />
Abstimmung an den FBR weitergereicht.<br />
Betrachtet man die Mehrheitsverhältnisse dort,<br />
so sollten eigentlich keine Zweifel mehr bestehen,<br />
dass sie kommt – die S-Professur für Andreas<br />
Mehler. Auch Studierendenvertreter<br />
Oliver Wolff sieht das so: „Letztlich kommt die<br />
Professur deswegen, weil es entsprechende Interessen<br />
auf Seiten der Professor_innenschaft gibt<br />
und keine Alternative präsentiert werden konnte.“<br />
Trotzdem lässt man nichts unversucht. Bevor<br />
es zur Abstimmung über die Person Mehler<br />
kommt, sollen nun zuerst die formalen Regeln<br />
bei der Einrichtung einer S-Professur geklärt<br />
werden. Diese Diskussion ist wichtig, aber auch<br />
» Nur mit kreativen<br />
Vorschlägen lässt sich die<br />
Ablehnung einer Professur<br />
begründen, die, so ihre<br />
BefürworterInnen, dem<br />
<strong>OSI</strong> ja gewissermaßen<br />
geschenkt wird «<br />
ein Spiel auf Zeit. Denn: „Vielleicht ergibt sich<br />
nach den anstehenden Wahlen eine andere personelle<br />
Konstellation im Fachbereichsrat und es<br />
gelingt uns, das Problem Afrika anders anzugehen“,<br />
so Wolff.<br />
Es bleibt die Frage nach der Alternative. Sind<br />
renommierte AfrikaforscherInnen für das <strong>OSI</strong><br />
zu gewinnen, deren Arbeitgeber an einer Kooperation<br />
interessiert sind? Solche, die das Lehrangebot<br />
eindeutig erweitern und<br />
diversifizieren können? Klar ist:<br />
Nur mit kreativen Vorschlägen<br />
lässt sich die Ablehnung einer<br />
Professur begründen, die, so ihre<br />
BefürworterInnen, dem <strong>OSI</strong> ja<br />
gewissermaßen geschenkt wird.<br />
Deshalb wird abzuwarten sein, ob<br />
sich die Diskussionen um die Zukunft<br />
der Afrikalehre in den Kontroversen<br />
um die S-Professur erschöpfen<br />
oder dazu führen können, die Frage<br />
nach einem Lehrstuhl „Politik Afrikas“ wieder<br />
auf die Tagesordnung zu setzten.<br />
Im Fokus der <strong>OSI</strong>-Öffentlichkeit steht diese Problematik<br />
jedenfalls schon lange nicht mehr. Vor<br />
zehn Jahren berichtete die Berliner Tagespresse<br />
über umfangreiche studentische Initiativen zum<br />
Erhalt der Afrikaforschung am <strong>OSI</strong>. Noch 2006<br />
gründete sich eine „Initiative Kritische Afrikalehre“.<br />
Nichts vergleichbares gibt es heute. Einzig<br />
die FSI versucht es mit ein wenig Motivation:<br />
Sie verspricht Freibier, sollte die S-Professur bis<br />
zum Ende des Semesters noch nicht eingerichtet<br />
sein.<br />
GIGA-Institut in Ham-<br />
burg, Partner bei der<br />
geplanten S-Professur<br />
Foto: GeorgHH / wikipedia.org<br />
OZ | Institut<br />
15
16<br />
OZ | uniWEIT<br />
» Lisa: Wenn Recht zu Unrecht<br />
wird, dann wird Widerstand<br />
eben zur Pflicht «<br />
„Wir können nicht anders...“<br />
Blockieren und Schottern aus Überzeugung – Stimmen einer Protestkultur<br />
Es sind die letzten Herbsttage des Jahres 2010<br />
und ich befinde mich auf dem Weg nach Magdeburg.<br />
In schönstem Bahndeutsch wird das<br />
vorzeitige Ende meiner Reise verkündet, denn<br />
der Zug kann aufgrund einiger Streckenschäden<br />
nicht weiterfahren. Währenddessen beginnt<br />
um mich herum ein Wettern über das Wetter.<br />
Furchtbar kalt ist dieser Winter und wo<br />
um Himmelswillen kommen diese Massen an<br />
Schnee bloß her? Und plötzlich wird es still. Was<br />
höre ich da? Castortransport. Vandalismus. Beschädigte<br />
Signalanlagen. „Jetzt geht das schon<br />
wieder los!“, raunt es durch den Waggon. Nein,<br />
es geht nicht wieder los. Wir sind noch mittendrin,<br />
und das seit vielen Jahren.<br />
Die Großdemo im vergangenen November zog<br />
Massen an Atomkraftgegnern nach Dannenberg.<br />
Insgesamt liegen spannungsgeladene Monate<br />
hinter uns und niemand interessiert sich<br />
mehr für erzkonservatives Stammtischgerede.<br />
Wieder einmal sind wir das Volk, denn wir Bürger<br />
fühlen uns hintergangen. Die Regierung leistet<br />
sich eine Laufzeitverlängerung und schickt<br />
zukünftig weitere Castor-Transporte nach Gorleben,<br />
das vermeintliche Endlager. Zehntausende<br />
Demonstranten würdigten diese Leistung<br />
von Carsten Spandau<br />
Protestaktion während der Anti-Atom-Demo im Wendland Foto: cephir / flickr.com<br />
mit einem bitter schmeckenden Auflauf.<br />
Lisa und Jan sind <strong>OSI</strong>-Studierende. Auf sehr unterschiedliche<br />
Weise beteiligten sie sich an den<br />
Protesten im Wendland und verfolgten letztlich<br />
das selbe Ziel. Für die OZ versetzten sich die beiden<br />
zurück ins Geschehen und gaben einen Eindruck<br />
über ihre Beweggründe, Gedanken und<br />
Erlebnisse.<br />
Vor den Toren der Endhaltestelle für Atommüll<br />
saß Lisa G. in der Sitzblockade von „X-tausendmal<br />
quer“. Sie bewegte sich nicht das erste Mal<br />
in Aktivistenkreisen. Dennoch kam bei ihr ein<br />
wenig Nervosität auf, kurz bevor die Räumung<br />
begann.<br />
LISA:<br />
Im Nachhinein habe ich nicht das Gefühl,<br />
”<br />
vieles geopfert zu haben. Unsere Aktion war<br />
bestens organisiert und alle wussten zu jeder<br />
Zeit, was vor sich ging. Solidarität war unter<br />
uns die tragende Kraft, wobei ich insbesondere<br />
auf die Unterstützung der Landwirte hinweisen<br />
möchte. Ich war beeindruckt, wie fürsorglich<br />
sie sich hinter uns stellten.<br />
Uns alle verbindet eine grundlegende Überzeugung.<br />
Wenn Recht zu Unrecht wird,
dann wird Widerstand eben<br />
zur Pflicht. Die Laufzeitverlängerung<br />
verträgt sich nicht<br />
mit der Energiewende und<br />
ist unvereinbar mit dem Ausbau<br />
erneuerbarer Energien.<br />
Es gibt weltweit kein Endlager<br />
und jeder Transport zementiert<br />
Gorleben als einzige<br />
Alternative in unserem Land.<br />
Wer zu einem Ökostromanbieter<br />
wechselt, leistet hierfür<br />
einen wichtigen Beitrag. Dennoch<br />
bleibt ein öffentlicher<br />
Aufschrei unersetzlich, um den<br />
politischen Motor anzutreiben. Dafür nehme<br />
ich gerne 43 Stunden Sitzblockade in Kauf. Die<br />
meisten von uns wurden von den Einsatzkräften<br />
einfach weggetragen. Es gab somit keine<br />
Gewaltausbrüche.<br />
Wenn ich jedoch auf das gesamte Spektrum aller<br />
Aktionen schaue, streite ich nicht ab, dass<br />
auch gewaltfreudige Aktivisten angezogen<br />
wurden. Zwar erkenne ich die Intention von<br />
Autonomen und Aktionen wie das „Castor-<br />
Schottern“ an und zähle sie zu der Anti-Atomkraftbewegung<br />
dazu, aber ich möchte damit<br />
nicht auf eine Stufe gestellt werden. Der Protest<br />
ist bürgerlich und soll friedlich bleiben. Darin<br />
liegt sein Potential. Natürlich lassen sich Castor-Transporte<br />
nicht so einfach wegzaubern.<br />
Es lassen sich auf seiner Strecke lediglich wegweisende<br />
Signale setzen. Allein dieser Einsatz<br />
kann uns nur zu Gewinnern machen.<br />
Jan G. beteiligte sich hingegen an einer weitaus<br />
offensiveren Aktion. Er wusste, dass es sich beim<br />
„Castor schottern“ nicht um einen fröhlichen<br />
Ausflug für leidenschaftliche „Steinesammler“<br />
handeln würde.<br />
JAN:<br />
Ich bekam Pfefferspray in meine Augen und<br />
” war für 15 Minuten blind. Es war unser erster<br />
Versuch, zu den Gleisen zu gelangen, welchen<br />
die Polizei ohne deeskalierende Maßnahmen<br />
sofort abblockte. Erst als wir an einer anderen<br />
Stelle ansetzten und eine breite Front bildeten,<br />
konnte endlich „geschottert“ werden.<br />
Nach acht Stunden war unser Ziel erreicht. Ich<br />
möchte klarstellen, dass niemand ernsthaft gefährdet<br />
war. Die gesamte Aktion sollte symbolischen<br />
Charakter innehaben, wobei ziviler<br />
Ungehorsam ein effektives Mittel ist, um einer<br />
Debatte den nächsten Kick zu verleihen. Dem-<br />
Symbol der Castor-Proteste Foto: cephir / flickr.com<br />
“<br />
entsprechend stelle ich der Bewegung meinen<br />
Körper zur Verfügung, damit es nicht zum Stillstand<br />
kommt. Die schwarz-gelbe Regierung<br />
will uns die Laufzeitverlängerung als „alternativlos“<br />
verkaufen, eine typisch neoliberale Einstellung.<br />
Es gilt, sich dem zu widersetzen, weil<br />
es nicht der Wahrheit entspricht. Meine Legitimation<br />
dafür schöpfe ich aus dem Vermögen,<br />
mich meines eigenen Verstandes zu bedienen.<br />
Es ist befreiend, sich von bestimmten Skrupeln<br />
zu lösen, um für eine Sache voll und ganz einzustehen.<br />
Dabei wird es keine Verletzten mehr<br />
geben, sobald wir die Mehrheit auf den Straßen<br />
bilden. Wer würde es dann noch wagen,<br />
gegen uns zu sein?<br />
“<br />
Was für Lisa und Jan Gewissheit ist, erweist sich<br />
für einen anderen Teil der Bevölkerung als aussichtsloser<br />
Aufschrei oder gar reine Sachbeschädigung.<br />
Demonstranten und Regierungsvertreter<br />
werfen sich gegenseitig unverantwortliches<br />
Verhalten vor, während die Debatte mehr und<br />
mehr an Fahrt gewinnt. Wie soll also ein demokratisches<br />
Vorzeigemodell, wie Deutschland es<br />
sein will, mit derartigen Protesten umgehen?<br />
Die Gefahr liegt in der von Regierungskreisen<br />
ausgehenden Ignoranz gegenüber der Protestbewegung,<br />
die ein zunehmendes Gewaltpotential<br />
von Aktivisten auslöst. Die Rufe aus dem Wendland<br />
werden von Jahr zu Jahr lauter, solange sie<br />
ungehört bleiben.<br />
So stehe ich also zusammen mit anderen Zugreisenden<br />
in der Kälte und warte auf den Schienenersatzverkehr.<br />
Meine Gedanken kreisen um die<br />
Bewegung. Sie packt mich hier und jetzt im Herzen,<br />
während sich der Verstand für eine Weile<br />
allein beschäftigen muss. Ich schließe meine<br />
Augen, atme tief ein und flüstere:„Abschalten!<br />
Abschalten, abschalten,...“.<br />
Es liegt Protest in der Luft.<br />
» Jan: Ziviler Ungehorsam<br />
ist ein effektives Mittel, um<br />
einer Debatte den nächsten<br />
Kick zu verleihen «<br />
OZ | uniWEIT<br />
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OZ | uniWEIT<br />
» Viele der Dozenten<br />
beschränken sich in<br />
ihren Vorträgen darauf,<br />
die Kernaussagen des<br />
zu lesenden Kursmaterials<br />
zu referieren «<br />
Italienische Zustände<br />
Angelo D‘Abundo fragt sich, welchen Einfluss die Mailänder Politikfakultät auf den italienischen<br />
Status quo ausübt und andersrum<br />
Jeder Diskurs politischer Absurditäten findet<br />
im Spielen der Italien-Karte in erleichterndem<br />
Gelächter seinen Höhepunkt. In 16 Jahren Politik<br />
hat Silvio Berlusconi eine Videokratie erschaffen,<br />
in der er kulturelle und politische<br />
Entwicklungen zu Ungunsten einer gesellschaftlichen<br />
Mehrheit entscheidend beeinflusst.<br />
Die politische Sozialisation einer ganzen Generation<br />
junger Erwachsener fällt in diese Ära. Einige<br />
von ihnen treffe ich dieses Semester montags<br />
bis freitags in der politikwissenschaftlichen<br />
Fakultät der Università degli Studi di Milano<br />
(UniMi). Welchen Beitrag leistet das Politikstudium<br />
zur kritischen Einschätzung der politischen<br />
Lage, wie hat die defizitäre italienische<br />
Politik das Lehrangebot der größten Politikfakultät<br />
Italiens beeinflusst?<br />
Einen quantitativen Vergleich mit dem <strong>OSI</strong> entscheidet<br />
die Politikfakultät der staatlichen Universität<br />
Mailands für sich: Im eleganten Palazzo<br />
Resta-Pallavicino folgen 7320 Studenten den<br />
Curricula von 16 verschiedenen grundlegenden<br />
und weiterführenden, in Trimestern organisierten<br />
Studiengängen, deren Lehrveranstaltungen<br />
von 60 überwiegend ordentlichen Professoren<br />
von Angelo D‘Abundo<br />
Politikwissenschaftliches Institut der Universität Mailand Foto: Angelo D‘Abundo<br />
und 53 assoziierten Dozenten geleitet werden.<br />
Über 1500 der Studierenden sind in den Bachelor<br />
der Politikwissenschaft eingeschrieben.<br />
Schon die Vielfalt der Studiengänge verrät, dass<br />
Politikwissenschaft in Mailand integrativ begriffen<br />
wird. Neben der Einführung in Öffentliches<br />
Recht und Volkswirtschaftslehre werden auch<br />
organisationssoziologische Kenntnisse erworben.<br />
Diese Inhalte werden in den meisten Fällen<br />
dreimal die Woche in 105minütigen Sitzungen<br />
vermittelt, die ihre didaktische Nähe zum schulischen<br />
Frontalunterricht nicht verbergen können.<br />
Viele der Dozenten beschränken sich in ihren<br />
Vorträgen darauf, die Kernaussagen des zu<br />
lesenden Kursmaterials zu referieren. Kritische<br />
Diskussionen der Texte im Plenum bleiben auch<br />
in Masterkursen meist aus. Die italienische<br />
Lehrkultur scheint mit dem Begriff Studium vor<br />
allem die Erarbeitung exakter Detailkenntnisse<br />
zu verbinden.<br />
Gegen die Vermittlung fachlicher Expertise ist<br />
per se nichts einzuwenden. Dieses Vorgehen<br />
wird aber problematisch, wenn die Entwicklung<br />
essenzieller, fachübergreifender Fähigkeiten<br />
während des Studiums vernachlässigt wird.
Die einseitige Konzentration auf die Ausbildung<br />
von ExpertInnen ohne Rücksicht auf deren<br />
Fähigkeit der kritischen Reflexion riskiert,<br />
dass Politikwissenschaftler einer Vielfalt neuer<br />
politischer Problemstellungen nur bereits bekannte<br />
Lehrbuchlösungen entgegensetzen können.<br />
Wenn Expertise zur bloßen Repetiermasse<br />
verkommt, beraubt sie sich ihres Nutzens. Auf<br />
die kritische Einschätzung des Status quo muss<br />
das Aufzeigen fachlich begründeter Alternativen<br />
folgen, wenn Veränderungen erreicht werden<br />
sollen. Das gilt im Großen für eine ganze<br />
Gesellschaft wie auch im Kleinen für die Politikfakultät<br />
der UniMi.<br />
Im Falle des Fachbereichs Politik lassen einige<br />
Beispiele erkennen, wie nötig Institutionen kritische<br />
Rückmeldungen ihrer Adressaten nötig<br />
haben, um Verbesserungen zu erzielen. Bis heute<br />
ist es nicht gelungen, eine der Studierendenzahl<br />
angemessene Zahl von Arbeitsplätzen in<br />
der Bibliothek zu schaffen. Optimistische sechs<br />
Plätze werden auf esstischgroße Arbeitsflächen<br />
fantasiert, telefonierende oder sich unterhaltende<br />
Tischnachbarn sind regelmäßige Begleiter.<br />
Symptomatisch für das Analysefähigkeit<br />
der Studentenschaft ist, dass während der gewaltsamen<br />
Studierendenproteste zwar die Regierung<br />
für ihr Reformvorhaben, nicht aber die<br />
staatlichen Universitäten für ihre fragwürdige<br />
Ausgabenpolitik heftig kritisiert wurden. Letztere<br />
haben bis zuletzt an ihren finanziellen Privilegien<br />
wie großzügigen Pensionen und Verträgen<br />
auf Lebenszeit festgehalten, anstatt die<br />
IMPRESSUM<br />
Die <strong>OSI</strong>-<strong>Zeitung</strong> erscheint am Fachbereich Politik-<br />
und Sozialwissenschaften der FU Berlin.<br />
Redaktion: Malte Büschen, Benedikt Becker,<br />
Angelo D‘Abundo, Tanja Goldbecher, Franziska<br />
Grell, Marcel Heberlein, Martin Kündiger, Dennis<br />
Nill, Moritz Ritter, Christa Roth, Tobias Schmutzler,<br />
Carsten Spandau.<br />
defizitäre Mittelausstattung des italienischen<br />
Bildungssystems auf die Verbesserung der Lage<br />
der Studenten zu verwenden.<br />
Im Hinblick auf eine Veränderung des italienischen<br />
status quo wird viel davon abhängen,<br />
ob sich Universitäten wie die UniMi ihrer Versäumnisse<br />
in der Ausbildung kritisch denkender<br />
Akademiker und ihrer herausragende Rolle<br />
in der Offenlegung der vielfältigen gesellschaftlichen<br />
Missstände bewusst werden. Solange Absolventen<br />
die Universitäten aber als bloße Konsumenten<br />
und Reproduzenten fachlicher Details<br />
verlassen, werden die italienischen Zustände ein<br />
Fundus politischer Gags bleiben.<br />
Aktuell und überall erreichbar: Die OZ<br />
im Internet.<br />
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www.<strong>OSI</strong>-ZEITUNG.de<br />
Layout: Moritz Ritter, Max Enno Hildebrandt,<br />
Gesine Hildebrandt<br />
Illustrationen: Christa Roth<br />
Druck: Herforder Druck, Herford<br />
Kontakt: info@osi-zeitung.de,<br />
http://www.osi-zeitung.de<br />
V.i.S.d.P.: Moritz Ritter, Kärntener Straße 25,<br />
10827 Berlin<br />
Poltitik-Fakultät der<br />
Uni Mailand,<br />
Foto: Dans / wikipedia.org<br />
OZ | uniWEIT<br />
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