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einfluss der scholastik auf die theologische entwicklung des ...

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Peter WassermannEINFLUSS DER SCHOLASTIK AUFDIE THEOLOGISCHE ENTWICKLUNGDES CHRISTENTUMS UND ISLAMENTSTEHUNG DER SCHOLASTIKUnter Scholastik versteht man <strong>die</strong>Rezeption von Texten <strong>der</strong> Philosophen<strong>der</strong> Antike (Griechen undRömer) und ihre Interpretation fürden Glauben, <strong>die</strong> Theologie und dasWeltverständnis. Diese Interpretationgeschah nach logischen Schritten,<strong>die</strong> von den Philosophen <strong>der</strong> Antikevorgegeben waren.Im frühen Judentum und in <strong>der</strong> frühenKirche <strong>die</strong>nte <strong>der</strong> philosophischeAnsatz Platons als Grundlagefür <strong>die</strong> <strong>theologische</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzung.Später, im <strong>auf</strong>kommendenIslam und danach, im Christentumund Judentum <strong>des</strong> Mittelalters, wurde<strong>die</strong> platonische Philosophie mit<strong>der</strong>jenigen <strong>des</strong> Aristoteles ersetzt,weil man damit rationelle Fragenbesser beantworten konnte.Diese logischen Schritte beinhaltenfolgende Aspekte:a) Die Bedeutung <strong>des</strong> Textes zuerfassen (sententia)b) Die Behauptung <strong>des</strong> Textes zuhinterfragen (quaestio)c) Aus dem Erfassen <strong>des</strong> Textesund <strong>des</strong>sen Hinterfragung entstehtnun <strong>die</strong> Beweisführung(disputatio) für o<strong>der</strong> gegen<strong>die</strong>se BehauptungDas Problem für <strong>die</strong> Theologie in<strong>der</strong> Scholastik entstand vor allemaus <strong>der</strong> Annahme, dass <strong>die</strong> Philosophie,logisch betrachtet, nichtfehlbar sein kann, da sie einegottgegebene Weisheit sei, <strong>die</strong>den Intellekt <strong>des</strong> Menschen schulenkann „alles“ zu verstehen undzu erklären, vorausgesetzt, manwendet <strong>die</strong> richtige Philosophieund <strong>die</strong> korrekte Logik an.Diese Phase, in <strong>der</strong> <strong>die</strong> aristotelischePhilosophie <strong>die</strong> Grundlage<strong>der</strong> <strong>theologische</strong>n und wissenschaftlichenFragestellung bildeteund ihre Auswirkung <strong>auf</strong> Recht undMedizin im Leben <strong>der</strong> Gesellschaftbestimmte, wird als <strong>die</strong> eigentlicheZeit <strong>der</strong> Scholastik verstanden. Siesetzte nach dem Erscheinen <strong>des</strong>Islams ab dem 9. Jahrhun<strong>der</strong>t imOrient ein und wirkte bis ins späteMittelalter in Europa – dem Vorabend<strong>der</strong> Reformation.Doch auch <strong>der</strong> aristotelische Ansatzin <strong>der</strong> Theologie und Wissenschaftkam letztendlich an seineGrenzen, was schließlich zu demSchisma (Auseinan<strong>der</strong>setzung/Spaltung) Ende <strong>des</strong> 15. Jahrhun<strong>der</strong>tzwischen Kirche und Staat führte.Das Aufbegehren <strong>der</strong> Menschen gegen<strong>die</strong> strikte <strong>theologische</strong> undphilosophische Lehre <strong>der</strong> KircheSTUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. IV (2009) 81


(Kirchen-Dogma) führte schließlichzum Bruch zwischen <strong>der</strong> einseitigenkirchlich-<strong>theologische</strong>n Scholastikund <strong>der</strong> allgemeinen Wissenschaft,<strong>die</strong> sich zunehmend als autonomund nur <strong>der</strong> Vernunft <strong>des</strong> Menschenverpflichtet verstand.Während <strong>der</strong> Reformation – un<strong>der</strong>st recht in <strong>der</strong> Zeit <strong>der</strong> Aufklärungdanach – löste sich <strong>die</strong>Scholastik immer mehr in ihreEinzelteile <strong>auf</strong>. Theologie, Philosophie,Medizin und schlussendlich<strong>die</strong> empirische Wissenschaftwurden einzelne Disziplinen, <strong>die</strong>unterschiedlich gelehrt werdenkonnten.Somit war nicht <strong>die</strong> scholastischeMethode schuld am Scheitern <strong>der</strong>Scholastik, son<strong>der</strong>n ihre Gebundenheitan <strong>die</strong> Lehre <strong>der</strong> Kirche,aus <strong>der</strong> <strong>die</strong> Kirche das Recht herleitete,alle Bereiche <strong>der</strong> Gesellschaftbestimmen und kontrollieren zuwollen. Dieser Anspruch verursachteschlussendlich den Machtmissbrauchsowohl in <strong>der</strong> Kurie wieauch in <strong>der</strong> Gesellschaft.Dieses Scheitern war auch nichtzuletzt darin begründet, dass <strong>die</strong>Scholastik eben nicht alle Bereiche<strong>des</strong> Lebens erklären konnte, wiez.B. <strong>die</strong> Beziehung zwischen Gottund Mensch, o<strong>der</strong> <strong>die</strong> <strong>des</strong> Menschenzu seinem Nächsten. Denn<strong>die</strong>se Beziehung hat nicht nur eineintellektuelle Qualität, son<strong>der</strong>n siebesitzt auch eine „geistliche“ Dimension,<strong>die</strong> nicht „geistig“ fassbarist. 1 Solche Problemkreise in<strong>der</strong> Scholastik hatten sich zuletztfestgefahren und zu Disputationenohne Ende geführt 2 .ANFÄNGE DER SCHOLASTIK IN DERNEU-ZEITAls in Europa <strong>die</strong> Völkerwan<strong>der</strong>ungim ausgehenden 8. Jhd. gerade zuEnde ging und Karl <strong>der</strong> Große zumKaiser über Europa gekrönt wurde,hatte sich in <strong>die</strong>ser Zeit im Orient<strong>der</strong> Islam über 200 Jahre lang etablierenkönnen und befand sich <strong>auf</strong>dem Höhepunkt seiner kulturellenEntfaltung. Bis zum 9. Jhd. (Abbasiden-Reich)hatte <strong>der</strong> Islam bereitsden ganzen Vor<strong>der</strong>en Orient sowieNordafrika erobert und breitetesich bis zum Indus aus. Auch inEuropa hatten <strong>die</strong> Muslime <strong>auf</strong> <strong>der</strong>iberischen Halbinsel eine blühendeKultur <strong>auf</strong>gebaut.Dadurch standen dem Islam immenseReichtümer und Ressourcen zurVerfügung, <strong>die</strong> es den muslimischenKalifen und Fürsten erlaubten, einekulturelle und geistige Entwicklungim Orient ins Rollen zu bringen. Unterden fortschrittlichen Kalifen vonBagdad, Harun al Rashid und nachihm sein Sohn al Ma'mun, entstandsomit eine kulturelle Revolution in<strong>der</strong> islamischen Welt, <strong>die</strong> weit bisin das 13. Jhd. reichte.Diese Revolution sorgte dafür, dass<strong>die</strong> so genannte „scholastische“ Wissenschaft,<strong>die</strong> <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Philosophie<strong>der</strong> Antike basierte, <strong>auf</strong>genommenund weiter interpretiert wurde. DieKalifen von Bagdad begünstigten <strong>die</strong>Philosophen und Wissenschaftlerihrer Zeit, bauten in Bagdad <strong>die</strong> renommierteBibliothek beit ul hikma(dt. Haus <strong>der</strong> Weisheit) 3 <strong>auf</strong>, richtetenSchulen ein und versorgten <strong>die</strong>Stadt mit medizinischen Kliniken– für <strong>die</strong> damalige Zeit ein Novum.Darum wurden <strong>die</strong> Gelehrten jener82 Band/Vol. IV (2009) - STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN


Das Abbasiden-Reichcc WikipediaSTUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. IV (2009) 83


Epoche von <strong>der</strong> „Weltstadt“ Bagdadangezogen.In Byzanz dagegen war nach denkirchlichen Auseinan<strong>der</strong>setzungengegen <strong>die</strong> Häresien <strong>des</strong> Arius undspäter <strong>der</strong> Nestorianer, jeweils im 3.und 4. Jahrhun<strong>der</strong>t, das Experimentmit <strong>der</strong> Philosophie gescheitert und<strong>die</strong> staatliche Kirche von Byzanzhatte keinen Bedarf sich weiterhinmit <strong>der</strong> Philosophie auseinan<strong>der</strong>zusetzen.Darum sahen viele Philosophenund Wissenschaftler jener Zeitihre Chance im arabischen Raum,wo <strong>die</strong> kulturelle Entwicklung invollem Gange war.Die Wissenschaftler und Übersetzerwaren zuerst keine an<strong>der</strong>en als <strong>die</strong>Christen im Vor<strong>der</strong>en Orient und inByzanz, Orthodoxe wie auch Nestorianer,<strong>die</strong> ihre Religion und Kulturüberwiegend in <strong>der</strong> griechischenSprache ausübten. Vor allem <strong>die</strong>Christen aus Antiochien und O<strong>des</strong>sa,<strong>der</strong> heutigen Süd-Türkei, fandenihren Weg nach Bagdad, um griechischePhilosophie zu lehren und<strong>die</strong> entsprechende Literatur in <strong>die</strong>arabische Sprache zu übersetzen.Sie waren es, <strong>die</strong> den Grundsteinfür <strong>die</strong> großen Wissenschaftler <strong>des</strong>neunten, zehnten und elften Jahrhun<strong>der</strong>tslegten.Diese Epoche sah viele Wissenschaftlerin <strong>der</strong> islamischen Welt<strong>auf</strong>kommen, <strong>die</strong> wissenschaftlicheGrundlagenarbeit geleistet haben,und <strong>die</strong> bis in unsere Zeit nachwirken.Zu ihnen gehören u. a.:a) Al-Farabi (870-950), Begrün<strong>der</strong><strong>des</strong> Aristotelismus <strong>der</strong> Neu-Zeit 4 ,b) Avicenna (980-1037), <strong>der</strong> großeDialektiker und MedizinerDiese wichtige Zeitepoche, in <strong>der</strong><strong>die</strong> Universal-Wissenschaften (d.h.<strong>die</strong> Beziehung komplexer Fragenzueinan<strong>der</strong>: Gott, Mensch, Schöpfung,Medizin, Rechtsfragen, Astronomieusw.) entstanden sind,führte dazu, dass <strong>die</strong> Universitätengegründet wurden. Bemerkenswertist dabei, dass <strong>die</strong> ersten Universitätenbereits im 9. und 10. Jhd. in<strong>der</strong> islamischen Welt entstandensind und nicht, wie oft fälschlicherWeise dargestellt wird, im christlichenEuropa. Hierzu gehören:a) Die große Bibliothek von Bagdad(Ende 8. Jhd.)b) Die Universität in Qairawan, demheutigen Tunesien (9. Jd.), undc) in Kairo, <strong>die</strong> Al-Azhar Universität(10. Jhd.).Erst zwei Jahrhun<strong>der</strong>te später wurdendann <strong>die</strong> Universitäten in Bologna,Paris und Oxford zwischendem 11. und 13. Jhd. gegründet.DAS PLÖTZLICHE ENDE DER SCHOLAS-TIK IN DER ISLAMISCHEN EPOCHEDoch im Zeitalter <strong>des</strong> islamischenAufbruchs wurden schon bald <strong>die</strong>Weichen gestellt, dass <strong>die</strong> wissenschaftlicheRevolution im Islam zueinem abrupten Stillstand kam,<strong>der</strong> in <strong>der</strong> finsteren Orthodoxie<strong>der</strong> Scharia endete. Denn während<strong>die</strong> Wissenschaften in Bagdad undan<strong>der</strong>swo in <strong>der</strong> islamischen Welt<strong>auf</strong>blühten, entstand unter denal-Ash‘aria <strong>der</strong> Rückzug aus <strong>der</strong>Scholastik mit ihrer spekulativenFragestellung gegenüber Gott, seinerExistenz und seiner Schöpfung.Somit wurde bei <strong>die</strong>sen neuen Religionsverfechternjede Disziplin <strong>der</strong>84 Band/Vol. IV (2009) - STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN


Philosophie und <strong>der</strong> Wissenschaft,<strong>die</strong> zur Aufgabe hatte eben <strong>die</strong>seThemen zu behandeln, aus <strong>theologische</strong>nGründen verboten.Diese restriktive <strong>theologische</strong>Schule breitete sich parallel zuden <strong>auf</strong>blühenden Wissenschaftenin <strong>der</strong> islamischen Welt aus undfand große Resonanz bei den <strong>auf</strong>kommendenHerrschern, <strong>der</strong> sichgegenseitig bekämpfenden Dynastien,wie den Fatimiden, Mamelukenund Mongolen. Sie machten<strong>die</strong> Orthodoxie zur Rechtsgrundlagefür ihr Staatswesen, um als<strong>die</strong> „treuen“ Verfechter <strong>des</strong> Islamszu erscheinen und somit ihrepolitische Herrschaft über <strong>die</strong>islamische „Umma“ (Reich, Gesellschaft)zu legitimieren. Über <strong>die</strong>Jahrhun<strong>der</strong>te wurden somit Schrittfür Schritt alle Wissenschaften inden Schulen und Universitäten, <strong>die</strong>sich mit Philosophie und Logik auseinan<strong>der</strong>setzten,abgeschafft undverboten.Auch große Wissenschaftler und Dialektiker,wie al-Ghazali, gaben <strong>der</strong>islamischen Orthodoxie nach undwurden sogar <strong>der</strong>en Verfechter, indemsie mit den Methoden <strong>der</strong> Logik<strong>die</strong> Wissenschaft selbst bekämpften.In seiner Schrift: Tahafut al-Falasifa(„Das Versagen <strong>der</strong> Philosophen“),wird je<strong>der</strong> Versuch <strong>der</strong> dialektischenFragestellung gegenüber Allah <strong>auf</strong>sSchärfste kritisiert 5 . Auf <strong>die</strong>se Weisekam im ausgehenden 11. Jhd. <strong>die</strong>blühende Wissenschaft in <strong>der</strong> islamischenWelt zu einem abruptenEnde, von dem sie sich nicht mehrerholen konnte.Noch ein letztes Aufleuchten konntesich im fernen Andalusien erhalten,wo eine islamisch-multikulturelleGesellschaft fernab von <strong>der</strong>islamischen Orthodoxie im Vor<strong>der</strong>enOrient, <strong>die</strong> freie Wissenschaftweiter betrieb und ein Jahrhun<strong>der</strong>tspäter seinen Höhepunkt mit IbnRushd (Averroes) fand. Dieser hattemit seiner kritischen Schrift Tahafutal-Tahafut („das Versagen <strong>der</strong>Versager“), das gegen al-GhazalisBuch gerichtet war, versucht, <strong>die</strong>Verneinung gegenüber <strong>der</strong> Philosophiein <strong>der</strong> islamischen Weltzu hinterfragen und zu bekämpfen.Doch <strong>die</strong>ses Vorhaben bliebohne Wirkung <strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>theologische</strong>Entwicklung im Islam, da <strong>die</strong> Orthodoxiebereits zu stark in <strong>der</strong>islamischen Welt verankert war.Als danach Spanien, im Zuge <strong>der</strong>Rückeroberungswellen <strong>des</strong> Abendlan<strong>des</strong>,ganz dem christlichen Lagerzufiel, ging das Licht <strong>der</strong> freienWissenschaft und Meinungsbildungim Islam endgültig aus.DIE SCHOLASTIK IM ABENDLANDDoch gerade <strong>die</strong>ses Andalusiensollte sich als eine „Brücke“ für<strong>die</strong> Scholastik und <strong>die</strong> Wissenschaftherausstellen, von wo aus<strong>die</strong>ses Wissen über <strong>die</strong> arabischeSprache an <strong>die</strong> Kulturen und Völker<strong>des</strong> Abendlan<strong>des</strong> weitergegebenwerden sollte.Zuerst waren es <strong>die</strong> jüdischen Gelehrten,<strong>die</strong>, nachdem sie durchden Islam über <strong>die</strong> Jahrhun<strong>der</strong>tehinweg immer wie<strong>der</strong> vertriebenwurden, in Andalusien und Nord-Afrika einen Ruhepol fanden undsich den Wissenschaften widmenkonnten. So kam es, dass im Spät-Judentum <strong>die</strong> ersten Wissenschaft-STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. IV (2009) 85


ler in Andalusien <strong>auf</strong>tauchten (<strong>die</strong>teilweise später auch in Ägyptenweiter wirkten) und zu den Trägern<strong>der</strong> Scholastik wurden. Zwei<strong>die</strong>ser hervorragenden Gelehrtenwaren Ibn Gabirol im 11. Jhd. undMaimoni<strong>des</strong> 6 im 12. Jhd. Interessantist dabei, dass <strong>die</strong> Bücher<strong>die</strong>ser jüdischen Wissenschaftler,obwohl sie in erster Linie für Judengeschrieben waren, in arabischerSprache verfasst wurden. Das zeigtein wenig, wie <strong>die</strong> arabisch-islamischeKultur in jener Zeit Trägerin<strong>der</strong> Wissenschaften war, bevor<strong>die</strong> islamische Orthodoxie daswissenschaftliche „Hinterfragen“verbot und so den Islam zu einerfatalistischen Religion <strong>der</strong> „Prä<strong>des</strong>tination“werden ließ 7 .Während <strong>die</strong> Orthodoxie <strong>die</strong> Scholastikund <strong>die</strong> Wissenschaft systematischin <strong>der</strong> islamischen Welt auslöschte,befand sich das Abendlandgerade im Aufbruch. Dies geschaheinmal durch das Christentum, dassich rapide in Europa ausgebreitethatte und zum an<strong>der</strong>en durch denKreuzzug, <strong>der</strong> im 11. Jhd. begannund dafür sorgte, dass in Europadas Interesse für neue Kulturen undWissenschaften erwachte.Durch das Mönchtum, das mit<strong>der</strong> Christianisierung einherging,breitete sich <strong>die</strong> Bildung gleichermaßenin ganz Europa aus. So wurden<strong>die</strong> Klöster Zentren <strong>der</strong> Bildungund Forschung im Abendland. Diesführte zu einer Rückschau <strong>auf</strong> <strong>die</strong>Kirchenväter im Orient und Nordafrikaund <strong>der</strong>en Auseinan<strong>der</strong>setzungmit <strong>der</strong> Antike und ihrer Philosophie.Schriften und Manuskripte<strong>die</strong>ser Kirchenväter, <strong>die</strong> in Lateinund Griechisch verfasst waren,wurden rezipiert und kommentiert.Da aber viele Schriften <strong>der</strong> Antike,<strong>auf</strong> <strong>die</strong> <strong>die</strong> Kirchenväter in ihrenAusführungen Bezug nahmen, imAbendland nicht vorhanden waren,wurde das Spanien <strong>des</strong> 11. und 12.Jhd. zu einer „Fundgrube“ für solcheSchriften. Viele philosophischeund wissenschaftliche Abhandlungenfanden dadurch ihren Weg inschristliche Abendland.Im ausgehenden 11. Jhd. fingendann <strong>die</strong> abendländischen Theologenan, ihre eigenen wissenschaftlichenAbhandlungen überPhilosophie und Theologie zuveröffentlichen, was zur Geburt<strong>der</strong> Scholastik im Abendland führte.Hierzu gehören u.a. Anselmvon Canterbury mit seiner Schrift„Der ontologische Gottesbeweis“o<strong>der</strong> Petrus Abaelard mit seinemKommentar zu Aristoteles. Dabei<strong>die</strong>nte <strong>die</strong> Kirchensprache Roms,das Latein, als Grundlage für <strong>die</strong>seWissenschaft. So kam es dazu, dass<strong>die</strong> Scholastik aus dem Griechischenüber <strong>die</strong> arabische Spracheihren Weg in <strong>die</strong> lateinische Sprachefand und in den kommendenJahrhun<strong>der</strong>ten <strong>die</strong> Grundlage für<strong>die</strong> Wissenschaft werden sollte.Ihren Höhepunkt fand <strong>die</strong> Scholastikim Abendland im 13. Jhd. mitAlbertus Magnus und Thomas vonAquin, <strong>die</strong> große wissenschaftlicheWerke erstellten und darin <strong>die</strong><strong>theologische</strong> Thematik <strong>der</strong> Kirchesystematisch und umfassend behandelthaben. Die „Summa Theologiae“von Thomas erfasste alle<strong>theologische</strong>n Fragen <strong>der</strong> Kircheund wurde von <strong>der</strong> katholischenKirche als oberste Instanz für ihrKirchendogma eingesetzt.86 Band/Vol. IV (2009) - STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN


Chronologische Entwicklung <strong>der</strong> Philosophie und Theologie von <strong>der</strong> Antike bis zur Reformation:Periode Jahr / Herrscher Antike Judentum Ort Christentum Ereignisse Islam EreignissePerserreich Artaxerxes I.400 Sokrates Daniel-Buch PersienDarius III. PlatonHellenismus 300 Alex. d.Gr. AristotelesDiadochen Septuaginta Alexandrien200Röm. Reich Makkabäer Jerusalem100Julius C. CiceroChristentum 0 Augustus VergilNero Seneca Philo v. Alex Alexandrien Jesus v. N. NTSchriften100 Tempelzerstörung Jerusalem Paulus EpistelnBarbaren Hadrian Kabbala Orient Gnostiker Irrlehre200 Cl. v. Alex. ApologetikOrigenes Vergl. mit Phil.Byzanz 300 Konstantin Eusebius Historien <strong>der</strong> ApostelArianismus Dog. Streitigkeiten400 Nestorianer Dog. StreitigkeitenErob. Roms Vandalen Augustin Apologetik Ende <strong>der</strong> Antike500Islam 600 Mohammad Entstehung <strong>des</strong> Qur'ansMu'awiya Joh. v. Dam. Apologetik Umayyaden Al Aqsa Moschee, Jerusalem700 Christen Ausdehnung Eroberung NordafrikasAntiochien übersetzen <strong>die</strong> Mu'tazila RationalismusFranken 800 Karl d. Gr. Haran Philosophen ins Abassiden Baghda<strong>der</strong> BibliothekArabische Al Kindi Al Ash'aria900 Abu Bishr Matta Al Razi Qairawan UniHl. R. R. Otto d. Gr. Joh. b. Haylan Al Farabi Philosophie1000 Fatimiden al Azhar UniIbn Gabirol Andalusien Ibn Sina Avicenna/MedizinKreuzzug 1100 Anselm v.C. Uni Bologna Al Ghazali Orthodoxi/ShariaAbaelard Mamluken Saladin1200 Friedr. II. Maimoni<strong>des</strong> Andalusien Joh. v.Salisb. Franz v. Assisi Ibn Rushd Averroes/AndaluseinEnde d. KrZ. Albertus M. Uni Paris Mongolen Zerstör. <strong>der</strong> arab. Wissenschaften1300 Kabbala Europa Thomas v.A. Uni OxfordJohn D. Scot.Schisma 1400 Konstanz 1414-18 Vertreibung Europa Wycliff,Huss Osmanen Ende <strong>des</strong> christl.Reformation Hinrichtung von Joh. Huss Reformbewegung 1453 Eroberung Konstantinopels Morgenlan<strong>des</strong>STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. IV (2009) 87


DER BRUCH MIT DER SCHOLASTIKDoch auch in Europa wuchs allmählicheine Bewegung gegen <strong>die</strong> Scholastik.Denn während <strong>die</strong>se wissenschaftlicheForm viele intellektuelle Fragen behandelteund das „Wissen“ <strong>der</strong> damaligenZeit akribisch zu bestimmen schien,blieben viele an<strong>der</strong>e Wesenszüge <strong>der</strong>Gesellschaft, wie <strong>die</strong> Freiheit einesMenschen o<strong>der</strong> <strong>die</strong> Unabhängigkeit<strong>der</strong> wissenschaftliche Meinung von<strong>der</strong> Kirche, <strong>auf</strong> <strong>der</strong> Strecke. Vor allemblieb das Wissen den elitären Klosterschulenund den wenigen Universitätenvorbehalten, was dazu führte,dass <strong>die</strong> Kirche das Wissensmonopolfür sich in Anspruch nehmen und darüberbestimmen konnte. Somit wurde<strong>die</strong> Scholastik, <strong>die</strong> dazu <strong>die</strong>nen sollteden Menschen zu bilden und zu befreien,ein Instrument <strong>der</strong> Kirche, um<strong>die</strong> Wissenschaft zu begrenzen o<strong>der</strong>gar zu unterdrücken.Zudem enthielt <strong>die</strong> Scholastik strukturelleSchwächen, <strong>die</strong> es nicht erlaubten,dass sie sich weiter entwickelnkonnte. Theologisch hatte sie dasProblem, dass nur eine bestimmteBetrachtungsweise <strong>des</strong> Wortes Gottes(hermeneutischer Ansatz) zugelassenbzw. vorgegeben war. Dieszu än<strong>der</strong>n, vermochte <strong>die</strong> Scholastiknicht. Die Begrenztheit <strong>der</strong> Scholastik<strong>auf</strong> <strong>die</strong> Kirche und <strong>der</strong>en Missbrauchführten letztendlich zum Zerfall <strong>der</strong>hohen Kathedrale <strong>der</strong> scholastischenWissenschaft im Abendland.Es waren Theologen wie John Wycliffin Oxford o<strong>der</strong> Jan Hus in Prag, <strong>die</strong>das Gefüge <strong>der</strong> Scholastik und <strong>die</strong>damit verbundene Kirchenmachtallmählich zu Fall brachten. Wycliffgriff <strong>die</strong> <strong>theologische</strong>n und unnötigenAusschweifungen <strong>der</strong> Kirche massivan, wie z. B. <strong>die</strong> Reliquienverehrungo<strong>der</strong> das Priesterzölibat, und lehrteeine Frömmigkeit, <strong>die</strong> direkt <strong>auf</strong> Gottbezogen ist, gemäß <strong>der</strong> Schrift. JanHus lehrte <strong>die</strong> Gewissensfreiheit, <strong>die</strong>über jeglicher irdischen Macht stehtund allein von Gott zur Rechenschaftgezogen werden darf.Der Ausgang <strong>die</strong>ses Zerfalls ist unsbekannt: Die Reformation fand statt,<strong>die</strong> Kirchengewalt zerbrach und <strong>die</strong>Wissenschaft in Europa ging ihren eigenenWeg <strong>der</strong> autonomen Vernunft.Erst im Zeitalter <strong>der</strong> Aufklärung erlebtedas Abendland eine ähnlicheEntfaltung <strong>der</strong> Wissenschaft, wie zurZeit <strong>der</strong> Scholastik. Diese Entfaltung<strong>des</strong> Wissens beruhte aber nicht zuletzt<strong>auf</strong> <strong>der</strong> Befreiung <strong>des</strong> Menschenvon <strong>der</strong> Kirchengewalt, was zu einerpersönlichen Gewissensfreiheit führte.Durch das „Evangelium“ von JesusChristus und <strong>der</strong> damit verbundenenErneuerung <strong>des</strong> Menschen von innenher, entstand eine Verantwortung <strong>des</strong>einzelnen Menschen gegenüber Gottund seinem Nächsten.UNTERSCHIEDLICHE OFFENBA RUNGENUND WELTBILDERSomit führte <strong>die</strong> biblische Revolution<strong>der</strong> Reformation nicht in eine fatalistischeOrthodoxie, wie im Islam, son<strong>der</strong>nin eine Freiheit <strong>des</strong> Menschen,in <strong>der</strong> sich <strong>der</strong> einzelne Mensch freientwickeln kann in <strong>der</strong> Selbstverantwortunggegenüber Gott. Hier kannman erkennen, wie <strong>die</strong> jeweilige Offenbarungsschrift<strong>die</strong> Gesellschaftunterschiedlich be<strong>einfluss</strong>en konnte.Das Evangelium führte <strong>die</strong> Begrenztheit<strong>der</strong> Scholastik in <strong>die</strong> Freiheit <strong>der</strong>Meinungsbildung, da <strong>der</strong> Mensch,nach <strong>der</strong> Schrift, selbstverantwort-88 Band/Vol. IV (2009) - STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN


lich gegenüber Gott handelt. Im Islamdagegen, führte <strong>die</strong> Scholastikzur Orthodoxie, da <strong>der</strong> Mensch nachdem Qur‘an nicht selbstverantwortlichhandeln „kann“, son<strong>der</strong>n sein Lebenvon Gott vorherbestimmt ist. Dassind zwei diametral entgegengesetzteBetrachtungsweisen <strong>der</strong> Beziehungzwischen Gott und Mensch, <strong>die</strong> <strong>auf</strong> <strong>die</strong>strukturellen Unterschiede <strong>der</strong> Erklärung<strong>des</strong> Daseins in den jeweiligenOffenbarungsschriften zurückzuführensind.Wenn man <strong>die</strong> Geschichte <strong>der</strong> Scholastikverfolgt, kann man erkennen,dass <strong>die</strong> unterschiedlichen Offenbarungsinhalte<strong>der</strong> jeweiligen heiligenSchrift <strong>die</strong> eigentliche Ursache für<strong>die</strong> Auseinan<strong>der</strong>setzungen in denunterschiedlichen Epochen und Kulturkreisenwaren und somit zu denunterschiedlichen Weltbil<strong>der</strong>n geführthaben, <strong>die</strong> wir heute haben. Denn <strong>die</strong>Philosophie, <strong>auf</strong> <strong>der</strong> einen Seite, versucht<strong>die</strong> Fragen <strong>des</strong> Daseins <strong>auf</strong> <strong>der</strong>Grundlage <strong>der</strong> Logik zu klären. DieReligionen dagegen müssen in <strong>die</strong>serFrage von <strong>der</strong> Offenbarung in ihrenjeweiligen Schriften ausgehen. DieseDiskrepanzen zwischen „Logik“ und„Offenbarung“ waren immer wie<strong>der</strong><strong>der</strong> Grund dafür, dass in <strong>der</strong> jeweiligenEpoche ein Bruch mit <strong>der</strong> Scholastikstattgefunden hat.Anhand einiger Grafiken sollen <strong>die</strong>unterschiedlichen Vorstellungen <strong>der</strong>jeweiligen Offenbarung im Verhältniszu den zu den klassischen Modellen<strong>der</strong> Philosophie verdeutlicht werden.Dabei wurden zwei Themen ausgewählt:a) Das Weltbild: <strong>die</strong> Beziehung zwischenSchöpfer und Geschöpfb) Das Menschenbild: das Verhältniszwischen Leib, Seele und ErlösungSTUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. IV (2009) 89


Weltbild <strong>des</strong> Platon (Bild S. 89):Bei Platon wird das Universum in dreiwesentliche Teile unterteilt (3er-Glie<strong>der</strong>ung):• Im Mittelpunkt alles Seins stehtGott selbst.• Ohne Gott gibt es we<strong>der</strong> dasWesen (Essenz) noch das Dasein(Existenz).• Darum ist Gott <strong>die</strong> notwendige Ursachefür alles Wesen und Dasein.• Wesen (Essenz) ist unsichtbar undunvergänglich (z.B. <strong>die</strong> Seele).• Dasein (Existenz) ist sichtbar undvergänglich (z.B. <strong>der</strong> Körper).• Als Urheber alles Seins, durchdringtGott alles (Immanenz).• Die Immanenz Gottes geschiehtdurch seinen Geist 8 (gr. Nous/ lat.Intellectus).• Da Gott Urheber alles Seins ist,muss alles bestrebt sein zu ihmzurückzukehren (daraus entstand<strong>die</strong> Gnostik und <strong>die</strong> Esoterik).Weltbild <strong>des</strong> Aristoteles (Bild S. 90):Aristoteles vereinfacht <strong>die</strong>ses Bild undunterscheidet nur noch zwischen zweiAspekten (2er-Glie<strong>der</strong>ung):• Zum einen gibt es <strong>die</strong> Metaphysik,<strong>die</strong> alles Unsichtbare umfasst, und• zum an<strong>der</strong>en gibt es <strong>die</strong> Physik,<strong>die</strong> alles Sichtbare definiert.• Metaphysik ist unsichtbar und dasWesen (Essenz) <strong>des</strong> Universums.• Alles Sichtbare ist Physik (Existenz)und hat seinen Ursprungdurch <strong>die</strong> Metaphysik.• Metaphysik ist unvergänglich, <strong>die</strong>Physik dagegen vergänglich.• Gott wird in <strong>der</strong> Metaphysik gesehenund ist <strong>der</strong> notwendige Ursprung(Prinzip) alles Seienden.• Der Mensch befindet sich im Bereich<strong>der</strong> Physik (Existenz).• Er besteht aus Seele (Form) undLeib (Materie). Leib und Seele sindvergänglich (Ausnahme: intellectivaTeil <strong>der</strong> Seele ist unvergänglich).90 Band/Vol. IV (2009) - STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN


Alttestamentliches Weltbild (Bild S. 91):Ähnlich dem Aristotelismus, teilt <strong>die</strong>Bibel das Universum in zwei Teileein:• Gott ist Schöpfer <strong>des</strong> Himmelsund <strong>der</strong> Erde und <strong>der</strong> Ursprungaller Geschöpfe.• Der Himmel ist <strong>die</strong> unsichtbare(Zebaoth) und <strong>die</strong> Erde <strong>die</strong> sichtbareSchöpfung.• Das Reich Gottes ist im Himmel.Es ist das ursprüngliche Bild <strong>der</strong>Schöpfung und unvergänglich.• Das Reich <strong>die</strong>ser Welt ist ursprünglichauch Gottes Reich, istaber durch den Sündenfall vergänglichgeworden.• Vor dem Sündenfall fand <strong>die</strong>Gemeinschaft zwischen Gott undMensch im Garten Eden statt.• Nach dem Sündenfall kann <strong>die</strong>Gemeinschaft zwischen Gott,dem heiligen (unvergänglichen),und dem Menschen, <strong>der</strong> unrein(vergänglich) ist, nur gemäß <strong>der</strong>Thora stattfinden.• Diese Gemeinschaft setzt voraus,dass <strong>der</strong> Mensch durch Opferblutentsühnt wird.• Der Ort <strong>die</strong>ser Entsühnung findetin <strong>der</strong> Stiftshütte (Tempel) statt,wo <strong>die</strong> Bun<strong>des</strong>lade <strong>auf</strong>bewahrtwird (alter Bund).• Auf <strong>der</strong> Bun<strong>des</strong>lade befindet sich<strong>der</strong> Gnadenthron.• Durch <strong>die</strong> Entsühnung am Gnadenthronkann Gott unter seinemVolk wohnen (Shekhina).• Diese Gemeinschaft mit Gott istjedoch begrenzt und kann nureinmal im Jahr und nur vom Hohepriesterbegangen werden.• Das Volk Israel bleibt außen vorund hat keinen direkten Zugangzu <strong>die</strong>ser heiligen Gemeinschaft.• Da auch <strong>der</strong> Akt <strong>der</strong> Entsühnungjährlich wei<strong>der</strong>holt werden muss,ist <strong>die</strong>se Gemeinschaft nicht <strong>auf</strong>Ewig angelegt.STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. IV (2009) 91


Weltbild <strong>der</strong> Reformation (Bild S. 92):Ähnlich dem AT (und dem Aristotelismus),teilt <strong>die</strong> Reformation dasUniversum in zwei Teile ein:• Das Himmelreich, das unvergänglichist und das Erdenreich, dasvergänglich ist.• Im Wesentlichen folgt <strong>die</strong> Reformationdem AT, was Sünde undTrennung <strong>des</strong> Menschen von Gottbetrifft.• Durch das NT gewinnt <strong>die</strong> Reformationjedoch ein neues Bild von<strong>der</strong> Gemeinschaft zwischen Gottund Mensch.• Diese Gemeinschaft wird auchdurch Opfer erwirkt (gemäß demAT), jedoch nicht durch das Bluteines Tieres son<strong>der</strong>n durch dasBlut Jesu von Nazareth (Kreuz).• Da Jesus von den Toten <strong>auf</strong>erstandenist, ist er unsterblich geworden.Folglich hat sein Blut ewigeWirkung.• Jesus hat sich zur Rechten Gottesgesetzt. Dadurch ist er <strong>der</strong> Verwalter<strong>des</strong> Gnadenthrons (neuerBund) im Himmel geworden. Somitist <strong>der</strong> neue Bund unvergänglich.• Die Gemeinschaft zwischen Gottund Mensch wird durch den Glauben(sola fide) an Jesus Christusgegeben, <strong>der</strong> <strong>die</strong> Gnade Gottes(sola gratia) erwirkt hat gemäß<strong>der</strong> Schrift (sola scriptura).• Durch <strong>die</strong>sen Glauben erhält <strong>der</strong>Mensch den Heiligen Geist, <strong>der</strong>von Gott, dem Vater, kommt.• Die Kraft <strong>des</strong> Heiligen Geistes gibtdem Menschen Anteil am ewigenLeben.• Sie führt den Menschen aus demReich <strong>die</strong>ser Welt (Tod) in dasReich <strong>des</strong> Himmels, das unvergänglichist.• Die Unvergänglichkeit ist jetztunsichtbar, wird aber offenbar bei<strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kunft <strong>des</strong> Christus.92 Band/Vol. IV (2009) - STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN


Welt- und Menschenbild im Islam (BildS. 93): Das Welt- und Menschenbild imIslam ist nicht eindeutig. Es gibt Aussagen<strong>des</strong> Qur’an und es gibt islamischeTraditionen, <strong>die</strong> unterschiedlicheBil<strong>der</strong> vermitteln:• Allah steht im Mittelpunkt allenDenkens und Seins. Es gibt nichts,was Allah nicht vorherbestimmthat. Er ist unnahbar (akbar) 9 .• Allah hat <strong>die</strong> Geister (al-Gin) undden Menschen (al-Uns) gleichberechtigtgeschaffen (Sure 51,56).Beide unterliegen seiner Herrschaft.• Nach dem Tod kehrt <strong>der</strong> Menschzu Allah zurück (Trauerformel: ’inalilaah, wa ’ina ’ileihi raaji’un). Obdamit auch <strong>die</strong> Geister gemeintsind, ist nicht eindeutig belegt.• Diese drei Grundsätze vermittelnein platonisches Weltbild, wo Allah<strong>der</strong> notwendige Urheber allesUnsichtbaren (Essenz = al-Gin) undSichtbaren (Existenz = al-Uns) ist.• Das ist vielleicht auch <strong>der</strong> Grunddafür, warum <strong>der</strong> Sufismus, trotzseiner esoterischen Struktur, imorthodoxen Islam akzeptiert wird.• Das Bild <strong>des</strong> Menschen folgt im Islameher dem alttestamentlichen:• Durch Ungehorsam ist <strong>der</strong> Mensch<strong>auf</strong> eine niedrigere Stufe gefallen.• Im Qur’an wurde jedoch keineindeutiges Gesetz offenbart, dasden Sündenfall <strong>auf</strong>heben kann.• Darum lehnt sich <strong>die</strong> islamischeGesetzgebung zum Teil an dasmosaische Gesetz an.• Das Gesetz zur Wie<strong>der</strong>herstellung<strong>der</strong> Sünde (Opferblut von reinenTieren) und das Einwohnen Gottesunter seinem Volk (Shekhina) sindjedoch nicht bekannt.• Somit bleibt das Problem <strong>der</strong> Erlösung<strong>des</strong> Menschen im Islam eineunbeantwortete Frage.• Sie bleibt <strong>der</strong> Willkür Allahs überlassen:„Er vergibt wem er will undstraft wen er will“ (Sure 48,14).STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. IV (2009) 93


Mensch und Erlösung in <strong>der</strong> Scholastik(Bild S. 94): Durch <strong>die</strong> Verbindung<strong>der</strong> biblischen Lehre mit <strong>der</strong> aristotelischenPhilosophie, hat <strong>die</strong> Scholastikein eigenartiges Bild vom Menschenund seiner Erlösung entwickelt.• Das Menschenbild in <strong>der</strong> Scholastikbesteht im Wesentlichen ausSeele (Form) und Leib (Materie).• Der Leib besteht aus verschiedenenTeile: Haut, Muskeln, Nervenund Organen.• Ähnlich dem Leib, besitzt <strong>die</strong> Seeleauch unterschiedliche Teile.• Bei <strong>der</strong> Bestimmung <strong>der</strong> Seele folgt<strong>die</strong> Scholastik dem Aristoteles (vgl.hierzu Thomas von Aquin) 10 :• Die Seele hat einen „wahrnehmenden“(intellectiva), einen „sinnlichen“(sensitiva) und einen „lebendigen“(vegetativa) Teil.• Der Heilige Geist erleuchtet denTeil <strong>der</strong> Seele, <strong>der</strong> den Geist wahrnehmenkann (intellectiva).• Die „erleuchtete“ (Teil-) Seele entwickeltsich durch <strong>die</strong> „Erkenntnisse“,<strong>die</strong> <strong>der</strong> Heilige Geist vermittelt,in Richtung Glauben.• Die den Geist wahrnehmendeSeele (intellectiva) wirkt dann <strong>auf</strong><strong>die</strong> an<strong>der</strong>en beiden Teile <strong>der</strong> Seele(sensitiva und vegetativa).• Die beiden letzteren Teile <strong>der</strong> Seelewirken wie<strong>der</strong>um <strong>auf</strong> <strong>die</strong> körperlichenGlie<strong>der</strong>, damit sie guteWerke ausführen können.• Der Leib muss selbst Werke <strong>der</strong>Gerechtigkeit hervorbringen, <strong>die</strong>durch <strong>die</strong>se Erleuchtung hervorgerufenwerden.• Das Problem <strong>die</strong>ser Interpretation<strong>der</strong> Erlösung ist <strong>die</strong> Tatsache, dass<strong>der</strong> Heilige Geist keine Kraft ist,<strong>die</strong> den Menschen komplett erlöst,• son<strong>der</strong>n er ist nur ein Vermögen,das den Menschen „intellektuell“(indirekt) be<strong>einfluss</strong>t, damit er seineErlösung selbst erlangen kann(z.B. durch Kasteiung, gute Werke).94 Band/Vol. IV (2009) - STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN


Mensch und Erlösung in <strong>der</strong> Bibel (BildS. 95): Im Gegensatz zur Scholastik,gibt uns <strong>die</strong> Bibel ein an<strong>der</strong>es Bild vomMenschen, das in wesentlichen Teilenauch von <strong>der</strong> Reformation <strong>auf</strong>genommenwurde:• Nach dem biblischen Verständnisbesteht <strong>der</strong> Mensch aus zwei Teilen:• <strong>der</strong> Leib, <strong>der</strong> von <strong>der</strong> Erde entnommenist, und <strong>die</strong> Seele, <strong>die</strong> durchden Odem Gottes gegeben wurde.• Seele und Leib sind zwei gleichberechtigteGrößen <strong>des</strong> Menschen.• Der Leib ist <strong>die</strong> sichtbare Dimension<strong>des</strong> Menschen während <strong>die</strong>Seele unsichtbar im Blut existiert(vgl. 5.Mose 12,23).• Darum befindet sich <strong>der</strong> Sitz <strong>der</strong>Seele im Herzen <strong>des</strong> Menschen,dem Hauptorgan <strong>des</strong> Blutkreisl<strong>auf</strong>s.• Durch <strong>die</strong> Sünde ist <strong>der</strong> Menschaus <strong>der</strong> heiligen Gemeinschaft mitGott (rein) herausgefallen und istseither dem Tode geweiht (unrein).• Durch <strong>die</strong> Sünde sind sowohl <strong>der</strong>Leib wie auch <strong>die</strong> Seele dem Todgeweiht: <strong>der</strong> Leib beim irdischenSterben, <strong>die</strong> Seele bei <strong>der</strong> Auferstehung.• Durch den Glauben an JesusChristus erhält <strong>der</strong> Mensch Sühnefür seine Sünden, <strong>die</strong> sowohl denLeib wie auch <strong>die</strong> Seele verunreinigthaben.• Durch <strong>die</strong> Sühne wird <strong>der</strong> Menschrein (heilig) und Gott lässt seinenHeiligen Geist im Gläubigen einwohnen(neue Schöpfung).• Dieser neue Geist wirkt direkt <strong>auf</strong><strong>die</strong> Seele wie auch <strong>auf</strong> den Leib,weil er sich im immateriellen Sitz<strong>des</strong> Herz-Blut-Kreisl<strong>auf</strong>s befindet.• Darum werden sowohl <strong>die</strong> Seelewie auch <strong>der</strong> Leib <strong>auf</strong>erstehen:• Heute durch Gesinnungsän<strong>der</strong>ungund Heilung von Krankheit,• bei <strong>der</strong> Wie<strong>der</strong>kunft durch kompletteUmwandlung in ein unvergänglichesWesen.STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN - Band/Vol. IV (2009) 95


ENDNOTEN1Die Begriffe „geistig“ und „geistlich“in <strong>der</strong> deutschen Sprache könnenleicht miteinan<strong>der</strong> verwechselt werden.„Geistig“ ist in Anlehnung zu„Anima Intellectus“, nach Aristoteles,<strong>der</strong> intellektuelle Teil <strong>der</strong> Seele, <strong>der</strong>„begreifen“ und „verstehen“ kann.„Geistlich“ dagegen ist biblisch zuverstehen, im Sinne einer Erkenntnis,<strong>die</strong> durch den hl. Geist wahrgenommenwird, <strong>der</strong> im Glauben durch JesusChristus im Menschen wohnt.2Im Orient wird eine sinnlose Diskussionoftmals als „ByzantinischeDisputation“ abgetan in Analogie zuendlosen und haarspalterischen Auseinan<strong>der</strong>setzungenin <strong>der</strong> Scholastik,<strong>die</strong> sich oftmals nur um ein terminologischesVerständnis drehen, nichtaber um einen weiterführenden Sachverhalt.3Das "Haus <strong>der</strong> Weisheit" warb einigeLehrer von <strong>der</strong> legendären Akademievon Gundishapur ab, <strong>die</strong> überwiegendChristen waren. Dadurch wurde <strong>die</strong>Unterrichtsmethodik <strong>der</strong> Akadamiemitübernommen, um sich danach in<strong>der</strong> islamischen Welt zu etablieren.4Al Farabi wird als <strong>der</strong> „zweite“ großeLehrer <strong>der</strong> dialektischen Philosophienach Aristoteles bezeichnet.5Al Ghazali ist <strong>der</strong> Begrün<strong>der</strong> einer<strong>der</strong> vier wichtigsten Schulen <strong>der</strong> islamischenSchari‘a (Gesetzgebung),da er ein Grundlagenwerk für <strong>die</strong>qur‘anische Auslegung und <strong>der</strong>en Bedeutungfür das Gesetz anfertigte, <strong>die</strong>sich <strong>der</strong> Argumentations-Methodik <strong>der</strong>Scholastik be<strong>die</strong>nte, nicht aber <strong>der</strong>enLogik.6Zwei wesentliche Werke von Maimoni<strong>des</strong>(RaMBaM) sind:a) Mischne Tora („Wi<strong>der</strong>holung <strong>des</strong>Gesetzes“): sie ist <strong>die</strong> Auslegung <strong>der</strong>mosaischen Gesetze nach strenglogisch organisierten Gesichtspunkten(Aristotelismus). Sie hat in <strong>der</strong> jüdischenHalacha („religionsgesetzlicheLiteratur“), <strong>die</strong> den Lebenswandel einesJuden nach dem Gesetz <strong>des</strong> Moseregelt, bis heute ihre Gültigkeit.b) Dalalat al-Hairin („Lehrer <strong>der</strong> Unschlüssigen“),in dem <strong>der</strong> Versuchunternommen wird, <strong>die</strong> Philosophie inEinklang mit <strong>der</strong> Offenabrung Gottesim AT zu bringen.7Der Islam verfiel seither quasi <strong>der</strong>platonischen Theologie, <strong>die</strong> allesausschließlich von Gott ausgehendsieht und <strong>die</strong> sich „wörtlich“ im Qur‘anmanifestiert hat (Immanenz).8Mit „Geist“ ist hier <strong>der</strong> Verstand gemeint(Intellekt) und nicht <strong>der</strong> „heilige“Geist, wie wir ihn von <strong>der</strong> Bibel herverstehen.9Vergleiche hierzu den Artikel vonMartin Goldsmith im STT Band1(2006): Die Bedeutung <strong>der</strong> Dreieinigkeitim nicht-trinitarischen Kontextvon Islam und Judaismus, S. 15 (Abschnitt:Im nicht-trinitarischen Monotheismusist es nicht so, wie im Islam).Hier behandelt er <strong>die</strong> Frage <strong>der</strong> „Akbarkeit“Gottes im Islam im Vergleichzu unserem trinitarischen Glauben.10Thomas von Aquin: (Unitate Intellectus)Abschnitt 215. - 221.PETER WASSERMANN, Stuttgart,ist Missionsleiter <strong>der</strong> EUSEBIA-Missions<strong>die</strong>nste, Grün<strong>der</strong> <strong>der</strong>EUSEBIA School of Theology (EST)und Mit-Herausgeber <strong>der</strong> STT.Internationale Vortragstätigkeitim Bereich Biblische Theologie,Islam und Mission.96 Band/Vol. IV (2009) - STUTTGARTER THEOLOGISCHE THEMEN

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