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FESTIVALZEITUNG

F ST VALZ OU A IV AL - Deutsch-französisches forum junger kunst

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1. Ausgabe | 1er numéro 24.05.2010<br />

<strong>FESTIVALZEITUNG</strong>JOURNAL DU FESTIVAL<br />

Choreographie | Chorégraphie : Karin Vyncke<br />

ZEITGENÖSSISCHER ZIRKUS<br />

NOUVEAU CIRQUE<br />

vier Sichtweisen | quatre points de vue<br />

MÖHRENNASEN<br />

STATT PAPPNASEN<br />

Text: | Texte: MARLENE RIEDEL<br />

AUTOCHTONE<br />

COLLECTIF AOC (F)<br />

In düsterer Atmosphäre betritt eine Mischung aus Dracula, Mafiosi und Magier die Bühne und lässt<br />

neben unheimlichen, leisen Liedern nur ein kaltes Lachen und geräuschvolles Möhrenknabbern<br />

erklingen. Eine sehr untypische Eröffnung, wenn man bedenkt, dass man in einem fröhlichen,<br />

knallorangenen Zirkuszelt sitzt und Zirkus erwartet! Ganz ohne buntbemalte Gesichter, rote<br />

Pappnasen oder schillernde Kostüme werden jedoch hier die Zuschauer auf eine atemberaubende<br />

Reise durch die Tanz-, Akrobatik-, Zirkuswelt mitgenommen.<br />

Das Collectif AOC zeigt in einer Choreographie von Karin Vyncke, was mit Trapez, Trampolin,<br />

Vertikalseil und Mast alles möglich ist: Menschen und Kegel werden mit Schnelligkeit und<br />

Eleganz durch die Luft gewirbelt; tänzerische, improvisiert wirkende Elemente in der Manege mit<br />

perfekt einstudierter Hochseilakrobatik verbunden.<br />

Dazwischen jedoch eine zusammenhängende Handlung auszumachen ist genauso unmöglich<br />

wie die Szenerie in ihrer Vollständigkeit zu erfassen, und besonders zu Beginn von Autochtone<br />

wird man von Eindrücken wahrlich überrollt.<br />

Möglicherweise wird die Evolution der Menschheit vom Eingeborenen (also Autochthonen)<br />

über den Aufstieg und Fall einer Monarchie bis hin zum totalitären Möhren-Nasen-Staat<br />

erzählt. Spätestens dann ist die unheimliche Stimmung vom Anfang wieder da und schließt<br />

den Kreis um 80 Minuten Zirkusspektakel.<br />

AUTOCHTONE<br />

MIT | AVEC<br />

Jules Beckman, Sylvain Decure<br />

Cloé Duvauchel, Gaëtan Levêque<br />

Fernando Melki, Marc Pareti<br />

Marlène Rubinelli Giordano<br />

Fanny Soriano, Fabian Wixe<br />

L’ETONNEMENT<br />

ABSOLU<br />

La première impression est celle d’un camp de réfugiés, peut-être à côté d’un port. Puis, un homme en costume de mafioso apparaît sur<br />

scène. Il pourrait bien être démagogue, dans un régime totalitaire. Il semble ameuter ses supporters contre des grappes de réfugiés.<br />

La pauvreté, l’oppression, la peur… Telles sont les associations d’idées qui surgissent dans les pensées du spectateur, tandis que le<br />

collectif AOC ouvre avec « Autochtone » le 33 ème festival Perspectives. Surprise et frayeur, peur et admiration se succèderont tout au long<br />

du spectacle, face à des artistes tourbillonnant à travers les airs.<br />

Fotos: | Photos: Stéphane Gaillochon<br />

Text: | Texte: ISABELLE DUPUIS<br />

Au départ, on se croirait dans un polar. Les lumières froides, la musique sombre et mélancolique,<br />

les hypnotiques jeux de rythmes et de bruitages du musicien Jules Beckman, évoquent l’univers<br />

de films noirs comme Blade Runner ou Dark City. Et puis peu à peu, les associations d’idées<br />

deviennent moins claires. Chaque fois que l’on pensera reconnaître une histoire ou un thème, on<br />

sera détrompé.<br />

Mais la logique importe peu face à cette fascinante production.<br />

Ce n’est pas un récit linéaire qui fait d’« Autochtone » un<br />

spectacle particulièrement impressionnant. C’est la façon<br />

dont tous les sens sont sollicités, submergés : chutes<br />

simulées et virtuosités acrobatiques de plus en plus rapides<br />

et intensives mènent le spectateur à bout de souffle. Ce qui<br />

reste est l’étonnement absolu !<br />

Dass hier allerdings als Thema „die Unterwerfung des Menschen in der Gesellschaft und<br />

die Spuren, die er in seiner Umgebung hinterlässt“ verhandelt wird, wie es im Programmheft<br />

steht, ist eine übertriebene philosophische Beschreibung und schränkt im Vorhinein das<br />

bloße Beobachten und Genießen des Spektakels erheblich ein. Bis zum Schluss versucht<br />

man vergeblich diese Metaebene zu erkennen, und die einzigen Spuren, die hinterlassen<br />

werden, sind ein Dutzend Möhren, die zum Ende vom Zirkushimmel herabgeschüttet werden.<br />

2<br />

DÜSTERER<br />

ZIRKUSZAUBER<br />

Text: | Texte: HANNA SCHÜ LER<br />

Nachdem von politischer Seite ausgiebig der deutsch-französischen Freundschaft gehuldigt worden ist, wird<br />

es still im Zirkuszelt am Saarufer und es ertönt… die US-amerikanische Nationalhymne in verschrobensatirischer<br />

Manier. Auf diese Weise eröffnen die Artisten des Collectif AOC das deutsch-französische<br />

Theaterfestival. Autochtone heißt die von Perspectives koproduzierte Aufführung, deren erste Szenen etwas<br />

ganz Neues, eine Art politischen Zirkus, verheißen. Doch bald entwickelt sich, was wie eine Geschichte über<br />

Macht und Unterdrückung begann, zu einem fulminanten Spektakel.<br />

Eine Bühne ist den Artisten von AOC dabei nicht genug. Das Geschehen spielt sich an allen<br />

Seiten zugleich ab, und immer neue Einfälle und Auftritte lassen keine Langeweile aufkommen.<br />

Jedoch hat die buchstäbliche Vielseitigkeit auch ihre Nebeneffekte. Wenn jongliert wird und die<br />

Trampolinsprünge immer waghalsiger werden, Karotten durchs Zelt fliegen und am anderen Ende<br />

der Manege schon wieder das nächste Bild vorbereitet wird, weiß man bisweilen kaum noch,<br />

wohin man schauen soll. Eine erkennbare Struktur wird man bei Autochtone vergeblich suchen,<br />

und auch die im Festivalprogramm so wortreich angekündigte Gesellschaftskritik verliert sich sehr<br />

rasch zwischen Zirkus und Musik. Viele dunkle, hermetische Szenen lassen sie nur noch erahnen.<br />

Die Solonummern sind schließlich die eigentlichen Höhepunkte. Denn auch wenn AOC mehr<br />

bieten will als klassischen Zirkuszauber – die neun Artisten sind eben in erster Linie Akrobaten,<br />

und an Seil, Trapez und Trampolin brillieren sie und begeistern ihr Publikum. Begleitet werden sie<br />

von ihrem Musiker-Kollegen Jules Beckman, der dem Abend mit seiner perfekten Komposition<br />

aus Einspielungen vom Band und Live-Musik, die von Rockgitarre bis Salatschüssel-Percussion<br />

reicht, eine ganz besondere Note verleiht. Seinen Part mussten jedoch nach der Premiere am<br />

Tbilisser Platz Andy Caspar vom Jazz-Trio The happy three und die Stereoanlage übernehmen.<br />

Vom enthusiastischen Applaus überwältigt rutschte Beckman aus und brach sich ein Bein. Sein<br />

Ausfall war für Autochtone ein wahrer Verlust – but the show must go on.<br />

VON POLITIKERN<br />

& ANDEREN SCHAUSTELLERN<br />

Text: | Texte: EDDA REIMANN<br />

Im Nouveau Cirque ist es längst nicht mehr der Zirkusdirektor, der in seiner schrillen Kostümierung durch den Abend führt und in breitem<br />

Pomp die verschiedenen Nummern ankündigt. Gekleidet im eleganten Zweiteiler und die amerikanische Nationalhymne trällernd wird der<br />

zeitlosen Zirkusfigur seine moderne Variante gegenübergestellt: es ist der ewige Entertainer aus dem Land der schnellen Millionen. An einem<br />

Pult angekommen, stimmt er seine sinnbefreite, aber dafür umso hochtrabendere Rede an und klärt in einem kurzen Zwiegespräche letzte<br />

Ungereimtheiten seiner Wortwahl mit dem Mann in seinem Ohr - der ewige Entertainer ist also hauptberuflich Politiker!<br />

Eine Bestandsaufnahme der verwendeten Requisiten wäre im Hinblick auf die Akrobatik-Show Autochtone<br />

im Zelt am Tbilisser Platz ein ebenso mühseliges Unterfangen wie ein Register über die hybriden<br />

Elemente, aus denen sich die Choreographie speist. Es ist eine Welt aus profanen Gegenständen von fast<br />

industrieller Kälte, die sich vor dem Zuschauer ausbreitet - Stahlrampen, Planen, Reifen, leere Kartons und<br />

Eisenstangen finden hier ihren Einsatz und werden in eine Choreographie eingebunden, die szenische,<br />

tänzerische und akrobatische Elemente zu einem beeindruckenden Ganzen webt.<br />

Von Anbeginn der Show rhythmisiert Jules Beckman als virtuoser Universalmusiker die einzelnen<br />

choreographischen Teile. Mal schlägt er orientalische Klänge an, die er durch Rotation eines blechernen<br />

Gegenstandes untermalt, mal scharrt, kratzt, trommelt oder stampft er auf verschiedensten Objekten, um<br />

im nächsten Augenblick als One-Man-Orchestra Gitarre, Schlagzeug und Gesang zu kombinieren. Hier<br />

ist er Cowboy, dort ein allürenhafter Rockmusiker, aber immer gelingt es ihm, die Brücke zwischen den<br />

einzelnen Teilen der Inszenierung zu bauen und bettet sie dabei in ein abwechslungsreiches Klanggerüst.<br />

Die Akrobaten verausgaben sich ihrerseits in breakdanceähnlichen Windungen am Mast, treten mit einem<br />

Vertikalseil in ein körperliches Duett und üben sich in minutiös inszenierten Fallmanövern am Trapez. Dort wo<br />

man rasante Geschwindigkeit erwartet, wird das Tempo wie in einer Zeitglocke unter Verschluss gehalten<br />

und im nächsten Augenblick brechen die Artisten die poetischen Figuren durch wildes Gerangel, in dem<br />

Körper aneinanderstoßen, Impulse zu immer neuen tänzerischen Sequenzen geben und menschliche<br />

Rampen Auftrieb für Salti und Drehungen schaffen.<br />

Ein solider Auftakt des 33. Bühnenfestivals, vom Publikum gefeiert, doch in der Welt des Nouveau Cirque<br />

nichts wesentlich Neues.<br />

3

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