Refitting Suburbia
ISBN 978-3-86859-344-0
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Johann Jessen / Frank Roost (Hrsg.)<br />
REFITTING SUBURBIA<br />
Erneuerung der Stadt des 20. Jahrhunderts<br />
in Deutschland und den USA<br />
3
Inhalt<br />
Seite<br />
Editorial: <strong>Refitting</strong> <strong>Suburbia</strong> – Umbau der<br />
Siedlungsstrukturen des 20. Jahrhunderts<br />
Johann Jessen und Frank Roost<br />
7<br />
Suburbane Räume unter Anpassungsdruck –<br />
Ein deutsch-amerikanischer Vergleich<br />
Stefan Siedentop<br />
23<br />
Neue Herausforderungen für Metropolregionen<br />
in den USA: Der suburbanen Armut begegnen<br />
Elizabeth Kneebone<br />
43<br />
Modernisierung der Moderne –<br />
Umbau der Wirtschaftswunderstadt<br />
Johann Jessen<br />
59<br />
<strong>Refitting</strong> Edge Cities – Suburbane<br />
Dienstleistungsstandorte in Deutschland<br />
und den USA im Wandel<br />
Frank Roost<br />
75<br />
4
Seite<br />
Umgestaltung von <strong>Suburbia</strong>: Ein amerikanischer<br />
oder ein globaler Trend?<br />
Ellen Dunham-Jones<br />
95<br />
Die Wiedererfindung der Stadt in der <strong>Suburbia</strong><br />
Oliver Bormann, Michael Koch und Maresa Schumacher<br />
113<br />
München: Strategien für Stadtquartiere der<br />
1950er- bis 70er-Jahre<br />
Stephan Reiß-Schmidt<br />
131<br />
„Erst reden, dann handeln“ – Die Greater Toronto<br />
Suburban Working Group und der (Um-)Bau der<br />
städtischen Peripherie in Kanadas boomender Metropole<br />
Roger Keil und Sean Hertel<br />
151<br />
Zuwendung zur Peripherie – Strategien der<br />
Innenentwicklung in einer wachsenden Stadt<br />
am Beispiel Frankfurt/Main<br />
Dieter von Lüpke<br />
173<br />
Bildnachweis<br />
Die Autoren<br />
190<br />
191<br />
5
6<br />
Kabelsketal, Saalekreis
Editorial: <strong>Refitting</strong> <strong>Suburbia</strong> –<br />
Umbau der Siedlungsstrukturen des 20. Jahrhunderts<br />
Johann Jessen und Frank Roost<br />
Insbesondere in Nordamerika und auch in<br />
Europa wenden sich Stadtplanung und Städtebau<br />
den ausgedehnten Stadtgebieten der<br />
Peripherie zu, die vor allem in der zweiten<br />
Hälfte des 20. Jahrhunderts im Zeichen des<br />
dynamischen Bevölkerungswachstums, steigenden<br />
gesellschaftlichen Wohlstands und<br />
nicht zuletzt der Vollmotorisierung entstanden<br />
sind. Hierzu gehören die Einfamilienhaus-<br />
und Gewerbegebiete an der Peripherie<br />
ebenso wie die sie erschließende und stützende<br />
Infrastruktur von der Stadtautobahn über<br />
das Kraftwerk bis zum Shoppingcenter. Ihnen<br />
gemeinsam ist, dass sie meist ohne gestalterischen<br />
Anspruch geplant und gebaut wurden<br />
und in den letzten Jahrzehnten von der<br />
Kommunalpolitik und Stadtplanung wenig<br />
beachtet blieben. Da diese peripheren Gebiete<br />
über 70 Jahre hinweg entstanden und weitergebaut<br />
worden sind, repräsentieren sie heute<br />
allein schon quantitativ sehr große Teile des<br />
Siedlungsbestands. Trotzdem befanden sie<br />
sich bisher gleichsam im Windschatten der<br />
Stadtentwicklung – selbst wenn dort in manchen<br />
Teilgebieten eine unbeachtete Dynamik<br />
virulent war.<br />
Diese Bestände an die heutigen Erfordernisse<br />
anzupassen gehört vor allem in den Großstadtregionen<br />
mittlerweile zu den wichtigsten städtebaulichen<br />
und planerischen Aufgaben überhaupt.<br />
Denn gerade sie sind mit den heutigen<br />
Vorstellungen einer nachhaltigen Siedlungsentwicklung,<br />
einer Stadt der kurzen Wege, der<br />
Nutzungsmischung, der Flächen- und Energieeffizienz<br />
nur wenig kompatibel. Für wachsende<br />
Stadtregionen bilden sie zudem die<br />
letzten noch nicht erschlossenen Reserven der<br />
Nachverdichtung und Innentwicklung. Allerdings<br />
haben Anpassung und Umbau dieser<br />
Strukturen gerade erst begonnen. Und noch<br />
ist nicht überall die Notwendigkeit erkannt,<br />
sich diesen Gebieten zuzuwenden.<br />
Dieser Band möchte mit den Analysen aus der<br />
Stadtforschung und Berichten über mögliche<br />
Strategien im Umgang mit <strong>Suburbia</strong> dazu<br />
beitragen, die Fachdiskussion zu diesem Themenfeld<br />
anzustoßen und zu qualifizieren. Es<br />
erschien uns wichtig, die nordamerikanische<br />
Perspektive einzubeziehen, da man sich dort<br />
schon seit einigen Jahren wissenschaftlich<br />
und planungspraktisch mit der städtebaulichen<br />
Qualifizierung von <strong>Suburbia</strong> befasst.<br />
Dabei ist klar: Wegen der offenkundigen Unterschiede<br />
der Siedlungsstrukturen und Planungssysteme<br />
in den USA und Deutschland<br />
können Konzepte selbstverständlich nicht<br />
umstandslos wechselseitig übertragen werden.<br />
Daher geht es hier weniger um einen<br />
direkten Vergleich zwischen den beiden Ländern,<br />
als vielmehr darum, der Entwicklung in<br />
Deutschland ein Beispiel gegenüberzustellen,<br />
in der die in <strong>Suburbia</strong> bestehenden Herausforderungen<br />
besonders groß, aber auch die<br />
Debatte über die Probleme und die entsprechende<br />
Suche nach Lösungsansätzen weiter<br />
fortgeschritten sind.<br />
Europäische Stadtplanung hat schon immer<br />
über den Atlantik geschaut, so dass der<br />
transatlantische Diskurs den Prozess der modernen<br />
Stadtentwicklung seit den Anfängen<br />
der Disziplin begleitet. Die Fragen, die ihn<br />
jeweils leiteten, ähnelten sich: Ist die Stadtentwicklung<br />
in den USA der europäischen<br />
voraus – im Guten wie im Schlechten? Erlaubt<br />
der Blick auf die urbane Gegenwart in<br />
Nordamerika einen Blick in die urbane Zukunft<br />
Europas? Bietet dieser Blick ein Hoffnungsbild<br />
oder eher Schreckensbild? Über<br />
die Jahrzehnte ist die Antwort darauf jeweils<br />
unterschiedlich ausgefallen. Mal wurde die<br />
Amerikanisierung der europäischen Stadt als<br />
Zukunftsversprechen gedeutet, in den letzten<br />
Jahrzehnten galt dies dagegen eher als Drohung.<br />
Dieser Diskurs hat sich stets auf beides<br />
7
America‘s suburbs are „… so inefficiently developed as<br />
to rob America of economic vitality. Six emerging trends<br />
will change this: rising energy costs, lagging employment,<br />
falling incomes, shifting wealth, tighter home financing,<br />
and changing housing, neighborhood and community<br />
preferences. …. In future American suburbs need<br />
to achieve a certain level of urbanity to be successful”<br />
(Nelson 2013: 393 f.).<br />
22<br />
Highway I-405, Los Angeles
Suburbane Räume unter Anpassungsdruck –<br />
Ein deutsch-amerikanischer Vergleich<br />
Stefan Siedentop<br />
In den USA mehren sich in jüngster Vergangenheit<br />
Stimmen, die eine umfassende baulich-räumliche<br />
Transformation suburbaner<br />
Räume als Reaktion auf bereits eingetretene<br />
oder in der Zukunft erwartete soziodemografische,<br />
ökonomische und klimatische Veränderungen<br />
anmahnen. <strong>Suburbia</strong> – so der Tenor<br />
diesbezüglicher Einschätzungen – bedarf einer<br />
nachholenden Urbanisierung, um wahrgenommene<br />
Defizite wie die Autoabhängigkeit<br />
der Mobilität, die geringe Energieeffizienz<br />
der Gebäudesubstanz, Monostrukturen der<br />
Wohnungs- und Immobilienmärkte oder infrastrukturelle<br />
Angebotsmängel zu überwinden<br />
(Nelson 2013; Ewing et al. 2008; Heiman<br />
2007). Mit dem Konzept des retrofitting verbindet<br />
sich ein solcher Gestaltungsanspruch<br />
(Dunham-Jones 2009; Dixon/Eames 2014,<br />
Tachieva 2010; Schönig 2014; siehe auch Dunham-Jones<br />
in diesem Band), der zweifelsohne<br />
nicht auf suburbane Gebiete verengt ist, dort<br />
aber besondere Herausforderungen für die<br />
Planung hervorhebt.<br />
Hier eröffnet sich eine interessante Parallele<br />
zu europäischen und deutschen Stadtentwicklungsdiskursen,<br />
denn auch in Deutschland<br />
wurde seit den 2000er-Jahren verstärkt<br />
über die baulich-räumlichen Perspektiven<br />
suburbaner Siedlungsbestände diskutiert.<br />
Angestoßen unter anderem durch Thomas<br />
Sieverts‘ „Zwischenstadt“ (Sieverts 1997)<br />
und die Arbeiten des Ladenburger Kollegs<br />
zur „Zwischenstadt“ (Bölling/Sieverts 2004)<br />
entzündete sich eine breite Debatte über die<br />
Möglichkeiten und Wege zur Qualifizierung<br />
suburbaner Siedlungs- und Landschaftsräume<br />
(siehe auch BMVBS 2013; Krisch 2014;<br />
Sieverts 2004; Hesse/Schmitz 1998). Angemahnt<br />
wurde eine intensivere, vor allem aber<br />
eine unbefangene und vorurteilsfreie Auseinandersetzung<br />
mit diesem, sich einer eindeutigen<br />
Einordnung in Kategorien wie Stadt,<br />
Vorstadt und Land entziehenden, Typus von<br />
Raum (Sieverts 2004: 14; siehe auch Kaltenbrunner<br />
2004).<br />
Die zunehmende Kritik an einer vermeintlich<br />
einseitigen Orientierung der Raum- und<br />
Stadtforschung am Ideal der Europäischen<br />
Stadt blieb nicht ohne Wirkung. In den letzten<br />
Jahren haben sich vermehrt wissenschaftliche<br />
Arbeiten mit Themen suburbaner<br />
Raumentwicklung auseinandergesetzt (ein<br />
Überblick über den Diskussionsstand findet<br />
sich in BMVBS 2013). Besondere Aufmerksamkeit<br />
galt dabei dem Umgang mit den<br />
für <strong>Suburbia</strong> typischen Formen von hybriden<br />
Kulturlandschaften (Schenk et al. 2012;<br />
BBSR/BfN 2011; Kühn/Danielzyk 2006), der<br />
suburbanen Mobilität (Hesse 2001; Geier et<br />
al. 2001; Siedentop et al. 2006) sowie wohnungswirtschaftlichen<br />
Themen, insbesondere<br />
in Bezug auf suburbane Ein- und Zweifamilienhausbestände<br />
(Berndgen-Kaiser et al.<br />
2014; Wüstenrot Stiftung 2012; Häußermann<br />
2007; Hesse/Scheiner 2007; Fina et al. 2009; de<br />
Temple 2006; Marique/Reiter 2014).<br />
Der auf beiden Seiten des Atlantiks geführte<br />
Diskurs über die Zukunft suburbaner Siedlungs-<br />
und Landschaftsräume hat bislang<br />
noch wenig wechselseitige Referenz erfahren.<br />
Ein diesbezüglicher Austausch erscheint aber<br />
angesichts der in den USA und Deutschland<br />
vergleichbaren Herausforderungen instruktiv.<br />
So werden ähnliche Symptome der baulichen<br />
Erneuerungsbedürftigkeit konstatiert<br />
und vergleichbare Veränderungen der Wohnpräferenzen<br />
und der Infrastrukturnachfrage<br />
infolge von demografischer Alterung und<br />
soziokultureller Pluralisierung vermutet.<br />
In beiden Ländern wird mit Recht darauf<br />
hingewiesen, dass mit Blick auf die kleinteiligen<br />
Eigentümerstrukturen und institutionell<br />
fragmentierten Planungskompetenzen<br />
23
Der engere suburbane Raum realisierte dagegen<br />
deutlich höhere Wachstumsraten. Insgesamt<br />
werden somit insbesondere seit den<br />
2000er-Jahren stark gegenläufige demografische<br />
Trends in den US-amerikanischen und<br />
deutschen Stadtregionen angetroffen. Während<br />
die US-Regionen durch eine nach außen<br />
ansteigende, vereinzelt auch durch eine U-<br />
förmige Bevölkerungsdynamik (mit höheren<br />
Wachstumsraten im Kern sowie in den äußeren<br />
suburbanen Räumen) geprägt ist, ist es in<br />
Deutschland genau andersherum. Wie oben<br />
erwähnt, spricht derzeit auf beiden Seiten des<br />
Atlantiks wenig für eine Veränderung dieser<br />
globalen Trends. Den enormen Wachstumserwartungen<br />
durch internationale Migration<br />
in den USA steht in Deutschland eine eher<br />
stagnierende oder gar rückläufige Bevölkerungsentwicklung<br />
gegenüber. Die aktuell hohen<br />
Außenwanderungsgewinne werden die<br />
steigenden Sterbeüberschüsse und die stabile<br />
Abwanderungsneigung jüngerer Bevölkerungsgruppen<br />
insbesondere im weiteren suburbanen<br />
Raum nicht kompensieren können.<br />
uAlterung und Internationalisierung<br />
Nicht nur in Bezug auf die Veränderung der<br />
Gesamtbevölkerung, auch bei altersdifferenzierter<br />
Betrachtung lassen sich gravierende<br />
Entwicklungsdivergenzen zwischen nordamerikanischen<br />
und deutschen Stadtregionen<br />
feststellen. Zwar ist die Alterung der Bevölkerung<br />
ein universeller Trend, aber Ausmaß<br />
und Intensität dieser Entwicklung sind deutlich<br />
unterscheidbar. Eine höhere Fertilität<br />
und ein hohes Maß an internationaler Zuwanderung<br />
lässt den Alterungsprozess der<br />
amerikanischen Bevölkerung weniger dyna-<br />
Altenquotienten in den US-amerikanischen Stadtregionen<br />
0-5 km 5-10 km 10-20 km 20-30 km 30-40 km 40-50 km Region<br />
Atlanta 0,08 0,16 0,13 0,13 0,13 0,13 0,13<br />
Denver 0,13 0,16 0,18 0,12 0,13 0,14 0,15<br />
Philadelphia 0,15 0,17 0,24 0,24 0,22 0,21 0,21<br />
Portland 0,14 0,17 0,18 0,18 0,20 0,20 0,17<br />
Boston 0,12 0,17 0,24 0,23 0,19 0,22 0,20<br />
Altenquotienten in den US-amerikanischen Stadtregionen im Jahr 2010 (eigene Berechnungen auf Grundlage von<br />
Daten von Geolytics)<br />
Altenquotienten in den deutschen Stadtregionen<br />
Altenquotienten in den deutschen Stadtregionen im Jahr 2010 (eigene Berechnungen auf Grundlage von Daten der<br />
Statistischen Landesämter)<br />
30<br />
0-5 km 5-10 km 10-20 km 20-30 km 30-40 km 40-50 km Region<br />
Dresden 0,34 0,40 0,41 0,39 0,41 0,43 0,38<br />
Frankfurt 0,25 0,31 0,32 0,30 0,31 0,31 0,30<br />
Hamburg 0,29 0,41 0,38 0,34 0,31 0,31 0,31<br />
München 0,23 0,30 0,33 0,28 0,28 0,31 0,29<br />
Stuttgart 0,26 0,31 0,32 0,30 0,31 0,31 0,31
misch erscheinen als in Deutschland (siehe<br />
für Deutschland: Münter 2014). Hinzu kommt<br />
die in Deutschland etwas höhere Lebenserwartung<br />
der Bevölkerung. In den USA wird<br />
zudem bereits seit Langem auf eine dynamische<br />
soziale Diversifizierung und Pluralisierung<br />
der suburbanen Bevölkerung hingewiesen<br />
(Brookings Institution 2010; Schönig 2014:<br />
98 f.), eine Entwicklung, die grundsätzlich<br />
auch in Deutschland nachweisbar ist (Menzl<br />
2014), hier aber deutlich weniger intensiv<br />
verläuft. Mit eigenen Daten kann an dieser<br />
Stelle nur die Entwicklung der altersbezogenen<br />
Komposition der Bevölkerung in den<br />
Stadtregionen nachgezeichnet werden. Dabei<br />
fallen erwartungsgemäß gravierende Unterschiede<br />
im Ausmaß der Alterung ins Auge.<br />
So fällt der Altenquotient (Quotient aus den<br />
über 65-jährigen und der 18- bis 64-jährigen<br />
Bevölkerung) der amerikanischen Regionen<br />
um teilweise deutlich mehr als 0,1 Punkte<br />
geringer aus als für die deutschen Regionen.<br />
Veränderungen der Altenquotienten in den US-amerikanischen und deutschen Stadtregionen<br />
Atlanta<br />
Dresden<br />
Boston<br />
Frankfurt<br />
Denver<br />
Hamburg<br />
Philadelphia<br />
München<br />
Portland<br />
Stuttgart<br />
Veränderungen der Altenquotienten in den US-amerikanischen und deutschen Stadtregionen zwischen 2000 und<br />
2010; Werte von über 0 zeigen Alterung an, Werte von unter 0 Verjüngung; auf der X-Achse ist die Entfernung vom<br />
Zentrum dargestellt (eigene Berechnung auf Grundlage von Daten der Statistischen Landesämter sowie von<br />
Geolytics)<br />
31
Dortmund-Kley<br />
74
<strong>Refitting</strong> Edge Cities – Suburbane Dienstleistungsstandorte<br />
in Deutschland und den USA im Wandel<br />
Frank Roost<br />
Der größte Teil der Arbeitsplätze und Einkaufsmöglichkeiten<br />
im suburbanen Raum befindet<br />
sich – sowohl in Deutschland als auch in<br />
den USA – in Gewerbegebieten, die räumlich<br />
sowohl von den älteren Ortskernen als auch<br />
von den Wohnstandorten getrennt liegen. Anders<br />
als in älteren urbanen Strukturen ist die<br />
städtebauliche Form dieser Gewerbegebiete<br />
aber einseitig von der Erschließung für den<br />
Automobilverkehr geprägt, und die einzelnen<br />
Bauten sind meist architektonisch anspruchslos<br />
und kaum aufeinander bezogen. Das gilt<br />
auch für Standorte mit einer herausragenden<br />
Bedeutung für den Lebensalltag der Bewohner<br />
wie Einzelhandelseinrichtungen und Freizeitangebote<br />
sowie für hochwertigere Funktionen<br />
wie Büro- oder Technologieparks. In der <strong>Suburbia</strong><br />
weisen daher auch dienstleistungsgeprägte<br />
Standorte, die vom Umfang oder der<br />
Bandbreite ihrer kommerziellen Angebote<br />
durchaus einem städtischen (Neben-)Zentrum<br />
entsprechen, nur wenig Orientierungsmöglichkeiten<br />
für Fußgänger und kaum Aufenthaltsqualitäten<br />
im öffentlichen Raum auf.<br />
In jüngster Zeit gibt es aber sowohl in Deutschland<br />
als auch in den USA Projekte, die darauf<br />
abzielen, bisher reine Büro- oder Gewerbestandorte<br />
nachzuverdichten und zu multifunktionalen<br />
Quartieren mit verbesserten Aufenthaltsqualitäten<br />
weiterzuentwickeln. So wird<br />
in Frankfurt am Main die in den 1960er-Jahren<br />
entwickelte Bürostadt Niederrad – die zwar<br />
im Stadtgebiet liegt, mit ihrer Lage auf halbem<br />
Wege zwischen Stadtzentrum und Flughafen<br />
aber durchaus suburbanen Charakter aufweist<br />
– derzeit massiv umgebaut. Der ehemals monofunktionale<br />
Dienstleistungsstandort soll<br />
zu einem multifunktionalen Stadtteil weiter<br />
entwickelt werden, was auch durch die programmatische<br />
Umbenennung in Lyoner Quartier<br />
unterstrichen wird. Die Restrukturierung<br />
umfasst Maßnahmen wie den Umbau einzelner<br />
Bürogebäude zu Wohnhäusern und den<br />
Abriss älterer freistehender Bürobauten zugunsten<br />
neuer Strukturen, die eine Blockrandbebauung<br />
bilden (Stadt Frankfurt am Main<br />
2008). Eine besondere Aufmerksamkeit erfährt<br />
zudem die bauliche Weiterentwicklung der<br />
Erdgeschosszonen, die gemeinsam mit einer<br />
Umgestaltung des öffentlichen Raums darauf<br />
abzielt, die Aufenthaltsqualitäten in dem ehemals<br />
überwiegend auf den Automobilverkehr<br />
ausgerichteten Gebiet deutlich zu erhöhen<br />
(siehe dazu auch den Beitrag von Dieter von<br />
Lüpke in diesem Band).<br />
Doch während solche Projekte in Deutschland<br />
bisher noch Vorreitercharakter haben, gibt es<br />
in den USA bereits zahlreiche Beispiele für<br />
eine systematische Weiterentwicklung von<br />
Büroparks und Einkaufszentren im Kontext<br />
von umfassenden <strong>Refitting</strong>-Strategien für die<br />
Vororte. Im Folgenden sollen daher solche<br />
amerikanischen Konzepte zur stadträumlichen<br />
Qualifizierung von suburbanen Dienstleistungsstandorten<br />
und deutsche Beispiele<br />
für den planerischen Umgang mit ähnlichen<br />
Standorten einander gegenübergestellt werden.<br />
Dabei wird zunächst dargelegt, welche<br />
grundsätzlichen Aufgaben sich bei der stadträumlichen<br />
Qualifizierung von suburbanen<br />
Dienstleistungszentren in Deutschland und in<br />
den USA gleichermaßen stellen. Im zweiten<br />
Schritt wird dann am Beispiel der Metropolregionen<br />
Rhein-Ruhr und Los Angeles herausgearbeitet,<br />
welche Unterschiede die suburbanen<br />
Siedlungsstrukturen in Deutschland und den<br />
USA kennzeichnen und was diese Differenzen<br />
für die jeweiligen Möglichkeiten, suburbane<br />
Dienstleistungszentren stadträumlich zu qualifizieren,<br />
bedeuten. Schließlich soll anhand<br />
von Umbaumaßnahmen im Washingtoner<br />
Vorort Tysons Corner und in der südkalifornischen<br />
Stadt Irvine verdeutlicht werden, welche<br />
Potenziale zur Nachverdichtung solche<br />
75
Irvine, Kalifonien<br />
94
Umgestaltung von <strong>Suburbia</strong>: Ein amerikanischer oder<br />
ein globaler Trend?<br />
Ellen Dunham-Jones<br />
Zu einem Zeitpunkt, da auf der ganzen Welt<br />
Zuwanderung in die Städte die Vororte anwachsen<br />
lässt, sieht sich ein Großteil der nordamerikanischen<br />
suburbs – der Vororte – mit<br />
Niedergang und Leerstand konfrontiert. Die<br />
Landschaft ist überzogen mit leer stehenden<br />
Einkaufszentren und Fachmärkten, veralteten<br />
Büroparks, aufgegebenen Industriekomplexen,<br />
kränkelnden Einkaufsstraßen, öden<br />
Reihenhaussiedlungen, Schneisen von verwahrlosten<br />
Grundstücken und vielen Hektar<br />
ungenutzter Parkplätze. Für den größten Teil<br />
der letzten 60 Jahre waren diese Grundstücksarten<br />
Ausdruck eines modernen, konsumorientierten<br />
Lebensstils – eines Lebensstils, den<br />
eine wachsende globale Mittelschicht weiterhin<br />
anstrebt. Obwohl die unbeabsichtigten<br />
Wirkungen dieser Landschaft und dieses<br />
Lebensstils zu ihrem Niedergang in den<br />
USA und Kanada beigetragen haben, bieten<br />
diese gescheiterten Grundstücke zunehmend<br />
Chancen für eine radikale Umgestaltung<br />
von <strong>Suburbia</strong>. Meine Untersuchung mit June<br />
Williamson zeigt, dass zunehmend vielfältige<br />
neue Ansätze zur Umgestaltung der autoabhängigen<br />
und sozial segregierten suburbanen<br />
Landschaften in gesündere, nachhaltigere<br />
Orte verfolgt werden. Können die amerikanischen<br />
Erfahrungen lehrreich für die Suburbanisierung<br />
in anderen Ländern sein?<br />
Obgleich Vororte in aller Welt sehr unterschiedlich<br />
aussehen, stehen viele doch vor<br />
der gleichen Herausforderung, nämlich die<br />
verfallenden Gebäude und Infrastrukturen<br />
aus den Nachkriegs-Boomjahren zu sanieren.<br />
Andere dagegen befinden sich mitten in einem<br />
neuen Bauboom, und informelle Siedlungen,<br />
cyber suburbs und neue Villenviertel<br />
werden an der Peripherie aus dem Boden gestampft.<br />
Selbst innerhalb Nordamerikas weisen<br />
die meisten Großstadtregionen sowohl<br />
boomende als auch absteigende Gegenden<br />
auf. Kanadische Städte und Vororte sind dabei<br />
deutlich dichter bebaut und verfügen über<br />
mehr Mischnutzung und öffentliche Verkehrsmittel<br />
als ihre amerikanischen Entsprechungen.<br />
Dennoch werden in den Vororten<br />
beider Länder ältere Bestandsgrundstücke<br />
wieder neu genutzt, umgebaut und zu Grünflächen<br />
umgewidmet. Ist diese Umgestaltung<br />
von <strong>Suburbia</strong> ein amerikanischer oder ein<br />
globaler Trend?<br />
Umfassende Untersuchungen wären zur<br />
Beantwortung dieser Frage nötig. Wie verbreitet<br />
und wirksam sind die kleinräumigen<br />
Interventionen in den südamerikanischen<br />
Favelas? Wie sehr orientieren sich die neuen<br />
Vororte in Asien an dem amerikanischen Stereotyp,<br />
was wird angepasst, was verbessert?<br />
Und wie erfolgreich sind die amerikanischen<br />
Vertreter des New Urbanism darin, den chinesischen<br />
Superblock umzugestalten? Wie<br />
wird in osteuropäischen Vororten mit den<br />
bröckelnden Wohngebäuden der Sowjet-Ära<br />
umgegangen? All diese Fragen können hier<br />
nicht beantwortet werden; es werden im Folgenden<br />
Trends und Strategien des Umbaus<br />
in Amerika vorgestellt, in der Hoffnung, dass<br />
einige der Lektionen übertragbar sind.<br />
uUnbeabsichtigte Folgen der<br />
Suburbanisierung<br />
Zu Beginn ist es wichtig zu betonen, dass<br />
das Modell suburbaner Entwicklung nicht<br />
in allen Teilen Nordamerikas zu Problemen<br />
führt. Es gibt immer noch jede Menge<br />
vielgeliebter durchgrünter Vororte, die gut<br />
gepflegt werden und wo die Grundstückswerte<br />
ansteigen. Dies sind eher die streetcar<br />
suburbs, die kernstadtnahen, mit Straßenbahn<br />
oder Hauptstrecken-Zügen leicht<br />
erreichbaren Vororte aus dem späten 19. und<br />
frühen 20. Jahrhundert. Dort findet man häufig<br />
eine Mischung aus großzügigen viktori-<br />
95
te der schon häufiger verwendete Begriff der<br />
Transformation beim Verständnis der Veränderungen<br />
der Städte weiterhelfen. „Trans“<br />
bedeutet „durch“, setzt also den Fokus nicht<br />
auf das Ziel (Bild) sondern auf den Prozess:<br />
auf das Durchlaufen von sich wandelnden<br />
Zuständen, auf ein stetiges Neuformieren.<br />
u<br />
Fit?<br />
It fits like a glove – es passt wie ein Handschuh!?<br />
Fitting als perfekte Stadt-Konfektionierung?<br />
Für wen denn? Gäbe es eine Idealstadt,<br />
eine konfektionierte Stadt, müsste es<br />
auch einen idealen Stadtbewohner geben, um<br />
gültige Standards ableiten zu können. Jedem<br />
Bewohnerstandard seine Standardstadt? Angesichts<br />
sich ausdifferenzierender Lebensstile<br />
und Lebensentwürfe in unseren pluralistischen<br />
Gesellschaften ist dieser Gedanke wohl<br />
absurder denn je. Natürlich erleichtert jede<br />
urbane Standardisierung und Regelhaftigkeit<br />
die konzeptionelle Arbeit. Honorarordnungen<br />
müssen ein Stückweit davon ausgehen,<br />
tun es aber mehr als es heute noch planerisch<br />
produktiv ist. Aber Gesellschaft lässt sich<br />
nicht standardisieren, sie wandelt sich stetig.<br />
So auch die Stadt. Und zwar gewollt oder ungewollt,<br />
gestaltet oder ungestaltet, gesteuert<br />
oder ungesteuert. Die Frage ist nicht, ob Wandel<br />
stattfindet, sondern wie. Soll der Prozess<br />
begleitet werden, soll die Stadt gestaltet werden,<br />
so ist situative, prozessuale und konzeptionelle<br />
Maßarbeit notwendig.<br />
u<br />
Sub!<br />
Der Präfix „sub“ steht in der Regel für „unter“.<br />
<strong>Suburbia</strong> also: die Unter-Stadt, die darunter<br />
liegende Stadt oder gar niedrige Stadt?<br />
Oder: gar nicht Stadt, sondern suboptimales<br />
Siedlungskonglomerat im Dunstkreis der<br />
Städte? Woher speist sich Kritik an <strong>Suburbia</strong>?<br />
Aus dem Unbehagen bildungsbürgerlicher<br />
Stadtästheten gegenüber den Zumutungen<br />
räumlich-visueller Erfahrungen in <strong>Suburbia</strong>:<br />
hässlich, gleichförmig, antiurban scheint sie<br />
das geschulte Auge zu beleidigen. <strong>Suburbia</strong>:<br />
ein veritables Leid-Bild also?<br />
Natürlich stellt die Demografie der riesigen<br />
Einfamilienhausgebiete die Planenden und<br />
die Politik in den Kommunen vor große Herausforderungen.<br />
<strong>Suburbia</strong> ist das Abbild<br />
einer Gesellschaft der freien Wahl und individuellen<br />
Verwirklichung. Gleichwohl sind<br />
hier Orte entstanden, die ihre gemeinschaftlichen<br />
und gesellschaftlichen Meriten haben.<br />
Also ist und bleibt es ein richtiges Leben im<br />
falschen?<br />
Jedenfalls ist die häufig einseitige und generelle<br />
Ablehnung dieser – komplementären<br />
– urbanen Wirklichkeiten unserer Städte wenig<br />
zielführend. Damit werden die dahinter<br />
stehenden Lebensentwürfe vorschnell diffamiert.<br />
Zudem kann das derzeitige Wachstum<br />
zahlreicher Kernstädte als Renaissance der<br />
Städte gefeiert werden, aber eine flächendeckende<br />
Landflucht aus <strong>Suburbia</strong> ist kaum zu<br />
belegen.<br />
u<br />
(Sub)Urbia_nität?!<br />
Urbanität ist gebunden an Dichte und Intensität<br />
von (Be-)Nutzungen und Begegnungen,<br />
spürbare Parallelität von unterschiedlichen<br />
Lebensweisen und Kommunikationsangeboten.<br />
Diese erlebbare Dichte und Intensität ist<br />
auf physischen und inzwischen auch auf virtuellen<br />
Erreichbarkeiten gegründet.<br />
Qualifizierungsstrategien müssen die infrastrukturellen<br />
und physischen Erreichbarkeitsverhältnisse<br />
mitbedenken und die Bedeutung<br />
der virtuellen mitreflektieren. Auf die automobilgestützte<br />
Stadtflucht folgt eine internetgestützte<br />
und in Ansätzen auch ÖPNV-gestützte<br />
Reurbanisierung. Die Stadt-Landschaft<br />
befindet sich in permanenter Transformation.<br />
Inwieweit es eine Metamorphose ist,<br />
die in jeweils abgrenzbare Entwicklungszustände<br />
mündet, wäre noch zu erforschen.<br />
Urbanität als Lebensform hat sich von den<br />
Städten emanzipiert und hat sich längst auch<br />
in das städtische Hinterland eingenistet, also<br />
auch in sogenannten ländlichen Gebieten.<br />
114
Netze Schollen Themen<br />
Empathischer Zutritt: Die suburbane Gemengelage Winterthur-Teuchelweiher wird bezüglich ihrer Eigenart befragt,<br />
nicht im Sinne einer „Mängelliste“, sondern als Fundus lokaler Potenziale.<br />
Auch hat das steigende ökologische Bewusstsein<br />
unter anderem zu einer verstärkten Orientierung<br />
am Regionalen und Lokalen geführt.<br />
Sinkende oder gefährdete Kaufkraft<br />
und die steigende Auswahl an Share-Angeboten<br />
fördern einen Sinneswandel in Bezug<br />
auf Besitz und Eigentum.<br />
Zur heutigen Vorstellung von Urbanität gehört<br />
gerade auch vor dem Hintergrund dieser<br />
Entwicklungen die Nähe zur Landschaft.<br />
Deshalb muss die Landschaft heute als integrativer<br />
Teil unserer Siedlungsrealität verstanden<br />
werden – nicht nur der kulturell und<br />
öko-romantisierte Aspekt der Landschaft (als<br />
heile Welt der bäuerlichen Landwirtschaft),<br />
sondern auch die gesellschaftlichen, sozioökonomischen<br />
und ökologischen Aspekte<br />
der (Stadt-)Landschaft. Dies sollte geschehen,<br />
ohne ihre ästhetischen Qualitäten darüber zu<br />
vergessen oder zu vernachlässigen, aber vielleicht<br />
mit einer wachsenden Fähigkeit, die<br />
Landschaft urbanistisch neu zu codieren und<br />
aktuellere Referenzbilder dafür zu finden beziehungsweise<br />
zu entwickeln.<br />
uAnnäherung 2: Die Zukunft der Stadt liegt<br />
in <strong>Suburbia</strong><br />
Die folgende Positionierung erfolgt seit etwa<br />
15 Jahren vor dem Hintergrund zahlreicher<br />
theoretischer wie praktischer Auseinandersetzungen<br />
unseres Teams mit den Fragen,<br />
115
SAUM<br />
Verhältnis S–L<br />
S L<br />
Kontaktbereiche<br />
Aussen Landschaft<br />
Innen Siedlung<br />
Infrastruktur<br />
MIV/ÖV Radialverkehr<br />
LV radial + tangential<br />
Nutzungen, zoniert<br />
S Öffentliche Einrichtungen,<br />
spezifische Wohnformen,<br />
Sport, Gewerbe, Ver-/Entsorgung<br />
L intensive Nutzungen:<br />
Gemeinschaftsgärten,<br />
Naherholung, Energie<br />
Versorgungskapazität<br />
Energie Selbstversorgung (Neubau),<br />
zentralisiere Lokalversorgung<br />
Saum/Kern (Bestand,<br />
anteilig)<br />
Nahrung Anteilige Grundversorgung<br />
Obst-/Gemüse für Saum<br />
und Kern<br />
KERN –<br />
Siedlung<br />
Verhältnis S–L<br />
S L<br />
Kontaktbereiche<br />
Aussen Mix (Saum)<br />
Infrastruktur<br />
Radial-/Netzverkehr<br />
Nutzungen, zoniert<br />
Versorgungskapazität<br />
S Alle<br />
Energie Wärmenetz, Solarthermie<br />
L intensive Nutzungen: urbane<br />
Plätze, Parks, Gär-<br />
Nahrung Kaum. Bezug aus Saum und<br />
oder anderes<br />
ten, Solarenergie<br />
Region<br />
BAND –<br />
offen/<br />
geschlossen<br />
Verhältnis S–L<br />
S<br />
L<br />
Kontaktbereiche<br />
Aussen Landschaft<br />
Innen Landschaft<br />
Infrastruktur<br />
MIV/ÖV Linearer Verkehr<br />
LV Lineare, separate<br />
Routen<br />
Nutzungen, zoniert<br />
S Alle<br />
L intensive Nutzungen:<br />
Gemeinschaftsgärten,<br />
Naherholung, Energie,<br />
Obstwiesen, Landwirtschaft<br />
Versorgungskapazität<br />
Energie Selbstversorgung (Neubau),<br />
organisierte Lokalversorgung<br />
(Bestand, anteilig)<br />
Nahrung Selbstversorgung Grundbedarf<br />
Obst-/Gemüse, anteilige<br />
Grundversorgung Region<br />
KERN –<br />
Landschaft<br />
Verhältnis S–L<br />
S<br />
L<br />
Kontaktbereiche<br />
Aussen Mix (Band)<br />
Infrastruktur<br />
Minimierter Radialverkehr<br />
Nutzungen, zoniert<br />
S Einrichtungen in Bezug zu<br />
Landschaftsnutzung<br />
L intensive Nutzungen:<br />
Energie, Landwirtschaft,<br />
Viehhaltung, Naherholung<br />
Versorgungskapazität<br />
Energie Selbstversorgung, Versorgung<br />
Rand<br />
Nahrung Selbstversorgung, anteilige<br />
Versorgung Rand (evtl.<br />
Region)<br />
SOLITÄRE<br />
in der<br />
Landschaft<br />
Verhältnis S–L<br />
S<br />
L<br />
Kontaktbereiche<br />
Aussen Landschaft<br />
Infrastruktur<br />
Minimierte netzartige<br />
Erschliessung, Sharing-/<br />
Clusterkonzepte<br />
Nutzungen, zoniert<br />
S Sondernutzungen: Wohnen/Arbeiten/Naherholung/Einrichtungen<br />
mit<br />
Bezug zu Landschaftsnutzung<br />
L Intensiv/Extensiv, alle<br />
Versorgungskapazität<br />
Energie Selbstversorgung<br />
Nahrung Versorgung Region, Selbstversorgung<br />
Metropolitanraum Zürich als Metro Garden City<br />
Programme. Sie begründen eher experimentelle<br />
Förderungspolitiken als gesamthafte<br />
Förderprogramme. Und für Fachleute geht es<br />
vermehrt um die Kompetenz, sich im Netzwerk<br />
der Akteure situativ produktiv und<br />
kreativ zu verhalten. Die Fähigkeit zu strategischem<br />
muddling through ist gefragt, dessen<br />
Ergebnis als strategisches Flickwerk im<br />
besten Sinne räumliche Qualifizierungsprozesse<br />
voranbringt. Theorie ist Theorie und<br />
Praxis ist Praxis. Beides beeinflusst sich: deduktiv,<br />
induktiv, abduktiv – und manchmal<br />
126
Szenario Saum<br />
Szenario Band<br />
Szenario Solitär<br />
leider auch gar nicht. Aktuelle Forschungen<br />
versuchen wissenschaftliche Erkenntnisse zu<br />
räumlichen Qualifizierungsstrategien im Reflex<br />
auf das Beziehungsgeflecht vor Ort Einfluss<br />
nehmender Akteure zu erarbeiten.<br />
Eine zentrale Botschaft ist: Nicht allgemeine<br />
normative konzeptionelle Vorgaben, sondern<br />
die spezifische Problemlage, die entsprechenden<br />
subjektiven Deutungen von Chancen<br />
und Potenzialen und besondere Verständigungs-<br />
und Aushandlungsprozesse bestimmen<br />
maßgeblich die strukturellen Lösungen<br />
(Nationales Forschungsprogramm 65: 2014).<br />
Das Instrument der Testplanungen erhält für<br />
diese situative Lösungssuche immer mehr<br />
Bedeutung. Damit sind die Verbände herausgefordert,<br />
in den Honorarordnungen diese<br />
informellen Planungsleistungen gegenüber<br />
den formellen besser zu stellen. Das trifft insbesondere<br />
auch für <strong>Suburbia</strong> zu, wenn hier<br />
neue, grenzüberschreitende Kooperationen<br />
konzeptionell unterstützt werden sollen.<br />
u<br />
Future Landscapes<br />
Und es sind interdisziplinäre Kooperationen<br />
gefragt, die, wenn es um die Zukunft von <strong>Suburbia</strong><br />
gehen soll, besonders auch die Perspektiven<br />
der Landwirtschaft miteinbeziehen<br />
müssen. Flächenmäßig machen die ruralen<br />
und die semiurbanen Räume den allergrößten<br />
Teil der Fläche der Bundesrepublik Deutschland<br />
aus. Eine leider zu wenig beachtete<br />
Studie im Auftrag des Bundesinstituts für<br />
Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) beschäftigte<br />
sich unter dem Titel „Future Landscapes“<br />
mit der Zukunft der Kulturlandschaft.<br />
Vor dem Hintergrund absehbarer technologischer<br />
Entwicklungen und der Herausforderung<br />
ressourcensparender Entwicklungen<br />
wurde darin szenarienhaft im Hinblick auf<br />
verschiedene konzeptionelle Zutritte ein sehr<br />
anregendes Spektrum unterschiedlicher thematischer<br />
Landschaften ausgebreitet: Unter<br />
anderem die Regionslandschaft, Energieproduktionslandschaft,<br />
Zwischenlandschaft, Umbaulandschaft,<br />
Ersatzlandschaft, Clusterlandschaft,<br />
Patchworklandschaft und Transitlandschaft<br />
(Bundesministerium für Bauwesen und<br />
Raumordnung 2005).<br />
uSituative Bürokratie: Laborräume<br />
Die Projekte, die die IBA Hamburg unter dem<br />
thematischen Dach der Metrozone anschob<br />
und realisierte, sind ganz unterschiedliche<br />
architektonische und städtebauliche Versuche,<br />
diesen Randlagen und Übergangsräumen<br />
neues städtisches Leben einzuhauchen<br />
oder es dort weiter zu qualifizieren, indem sie<br />
neue Möglichkeitsräume anbieten. Durchaus<br />
auch mitgetragen von Investoren, die es als<br />
127
Rathaus von Mississauga, Ontario<br />
sissauga westlich des Flughafens auf. Dieses<br />
sichtbarste unter den neuen Retortenzentren<br />
im Regionalgefüge Torontos überragt den seit<br />
Jahrzehnten ausufernden Einfamilienhaussiedlungsbrei,<br />
der inzwischen alleine in Mississauga<br />
für 750.000 Menschen ein Zuhause<br />
geworden ist. Allerdings handelt es sich bei<br />
152<br />
Supermarkt in Toronto, Ontario<br />
dieser Vorstadtbevölkerung<br />
von einer Dreiviertelmillion<br />
keineswegs um die stereotype<br />
weiße Mittelklasse,<br />
die man laut traditioneller<br />
Geschichtsschreibung und<br />
üblicher Darstellung in der<br />
Populärkultur hinter den<br />
schmucken Hecken und Zäunen<br />
von <strong>Suburbia</strong> vermutet.<br />
Etwa die Hälfte der Bewohner<br />
von Mississauga gehören<br />
einer visible minority an,<br />
sind also nach kanadischer<br />
Volkszählungsterminologie<br />
Menschen dunkler Hautfarbe.<br />
Etwa die Hälfte der Menschen<br />
in der Stadt sprechen<br />
andere Muttersprachen als<br />
Englisch. Dies sind natürlich<br />
nicht notwendigerweise dieselben<br />
wie die der sichtbaren<br />
Minderheiten, auch wenn es<br />
da zweifelsohne statistische<br />
Überschneidungen gibt. Auch entspricht<br />
Mississauga nicht dem suburbanen Bild der<br />
reinen Schlafstadt. Vielmehr gibt es dort weit<br />
mehr als 400.000 Arbeitsplätze. Die kulturelle<br />
Vielfalt Mississaugas ist vielschichtig und widersprüchlich,<br />
entzieht sich einfachem Verständnis.<br />
So leben beispielsweise in der Stadt<br />
hunderte, vielleicht sogar tausende, zumeist<br />
pakistanische Frauen mit ihren Kindern in sogenannten<br />
begumpura. Mit diesem Ausdruck in<br />
Urdu (wörtlich: wo die Frauen wohnen) werden<br />
„Ehefrauenkolonien“ bezeichnet, etwa<br />
insgesamt ein halbes Dutzend Quartiere in<br />
der Stadt. Die Ehemänner und Väter dieser<br />
Familien arbeiten zumeist im Mittleren Osten<br />
und sind selten anwesend (Aulakh 2011).<br />
uDie globale Vorstadt<br />
Wir können hier von einer Ausweitung globaler<br />
suburbaner Lebensformen sprechen, in<br />
der sich die explodierende Metropole neue,<br />
oft hybride Formen städtischen Alltags schafft.<br />
Es handelt sich allerdings nicht nur um eine
demografische Diversifizierung. Sicherlich<br />
trägt die massenhafte Vervorstädterung weiterhin<br />
zu einer Normierung einiger Lebensformen<br />
bei, doch lassen sich insgesamt vielfältige<br />
kulturelle, ökonomische und soziale<br />
Parzellierungen feststellen. Die Auffächerung<br />
des vorstädtischen Lebens wirft auch neue<br />
Fragen der Governance auf. Während in den<br />
vorhergegangenen Jahrzehnten großflächige<br />
Gebietsreformen und institutionelle Vereinheitlichungen<br />
stattgefunden haben, um die<br />
kommunalen und regionalen Regelungsprozesse<br />
zu rationalisieren, so ergeben sich<br />
jetzt zunehmend neue Problemlagen, die<br />
die herkömmlichen Gegebenheiten<br />
herausfordern.<br />
Wenn wir gemeinhin annehmen,<br />
dass das 21. Jahrhundert<br />
von einer urbanen Revolution<br />
gekennzeichnet ist, so lässt<br />
sich konstatieren, dass unter<br />
den Bedingungen gegenwärtiger<br />
Trends in Technologie,<br />
Kapitalakkumulation, Bodenentwicklung<br />
und Governance<br />
der erwartete Urbanisierungsschub<br />
vor allem ein Suburbanisierungsschub<br />
sein wird.<br />
Das schließt die Postsuburbanisierung<br />
von bestehenden<br />
Vorstädten ein, also auch den<br />
Umbau der bisherigen suburbanen<br />
Gebilde. Es gibt inzwischen zahllose,<br />
jedoch typifizierbare globale Formen der<br />
Suburbanisierung, die insgesamt zu einem<br />
weltweiten Phänomen beitragen (Keil 2013).<br />
Die kanadische Suburbanisierung stellt dabei<br />
einen Sonderfall dar, insofern sie Eigenheiten<br />
der nordamerikanischen oder besser<br />
angloamerikanischen Traditionen mit denen<br />
verknüpft, die wir aus Europa kennen. Kurz<br />
und vereinfacht gesagt, sind hier sowohl die<br />
klassischen Einfamilienhaussiedlungen als<br />
auch die Großwohnsiedlungen am Stadtrand<br />
anzutreffen. Hinzu kommt eben die anderswo<br />
unerreichte Diversität der vorstädtischen<br />
Trends, die vor allem von einer massiven Immigration<br />
aus nichteuropäischen Herkunftsländern<br />
geprägt ist.<br />
uStädte im Wartezustand<br />
Aus dieser Melange entstehen „Städte im<br />
Wartezustand“ im gesamten metropolitanen<br />
Gebiet Torontos. Damit lassen sich jene Gebiete<br />
beschreiben, die auf den ersten Blick als<br />
suburban erscheinen, jedoch bei genauerem<br />
Hinsehen alle Anzeichen einer umfassenden<br />
Verstädterung tragen. Dort entstehen ständig<br />
neue Formen, und Bestehendes wird umgebaut<br />
und mit neuen Inhalten gefüllt. Diese<br />
Shoppingcenter und Wohnhochhäuser<br />
in Mississauga, Ontario<br />
neuen und sich dynamisch wandelnden sozialräumlichen<br />
Gebilde lassen sich entlang<br />
der Hauptverkehrsadern Highway 427 und<br />
Highway 7 im Nordwesten und Norden<br />
Torontos beobachten: Insbesondere Mississauga,<br />
Brampton, Vaughan und Markham<br />
sind stark diversifizierte, rasch wachsende<br />
Kommunen. Es gibt diese Vielfalt auch in<br />
anderen kanadischen Metropolen, vor allem<br />
in Richmond, Surrey und Burnaby, südlich<br />
von Vancouver und in Longueuil jenseits des<br />
St. Lorenzstroms in Montreal. Doch die sogenannten<br />
ethnoburbs von Toronto stellen in<br />
Bezug auf Masse und Vielfalt etwas Besonde-<br />
153
Frankfurt-Niederrad<br />
172
Zuwendung zur Peripherie – Strategien der<br />
Innenentwicklung in einer wachsenden Stadt am Beispiel<br />
Frankfurt / Main<br />
Dieter von Lüpke<br />
Stadtplanerisches Engagement der Peripherie,<br />
den Vororten, den Stadtteilen oder der<br />
„Zwischenstadt“ zu widmen, ist auch in früheren<br />
Jahren schon in Einzelfällen gefordert<br />
worden, wurde aber bisher eher als Nebentätigkeit<br />
bewertet. Weite Teile dieser städtischen<br />
Randgebiete galten als intakt und<br />
schienen keiner stadtplanerischen Intervention<br />
zu bedürfen.<br />
In Frankfurt am Main wurde die stadtplanerische<br />
Agenda in den letzten 25 Jahren wesentlich<br />
durch die städtebauliche Neuordnung<br />
zentraler Standorte, wie an den Ufern<br />
des Mains (Deutschherrnviertel, Westhafen,<br />
Theodor-Stern-Kai, südliches Ostend) oder<br />
im Bankenviertel, in Bockenheim Süd, auf einem<br />
ehemaligen Eisenbahngelände (Europaviertel)<br />
sowie im Bereich des Rebstockparks,<br />
bestimmt. Daneben wurden große Neubaugebiete<br />
auf der grünen Wiese vorbereitet.<br />
Dazu zählten der Stadtteil Am Riedberg, das<br />
Gewerbegebiet Am Martinszehnten oder die<br />
Erweiterung des Stadtteils Preungesheim<br />
nach Osten. Eine Auseinandersetzung mit<br />
peripheren Standorten konzentrierte sich<br />
wesentlich auf die Konversion ehemals militärisch<br />
genutzter Areale, die überwiegend in<br />
den 1990er-Jahren des letzten Jahrhunderts<br />
frei und in einem dynamischen Prozess neuen<br />
Nutzungen – vor allem der Wohnnutzung –<br />
zugeführt wurden.<br />
Darüber hinaus ging es punktuell auch um<br />
Großsiedlungen, die in der Nachkriegszeit bis<br />
zur Mitte der 1970er-Jahre des letzten Jahrhunderts<br />
realisiert wurden. Der Schwund an<br />
Wertschätzung, die Veränderung ihrer Bevölkerungsstruktur<br />
sowie ihre hochbauliche und<br />
städtebauliche Beschaffenheit, die eine gute<br />
Nachbarschaft und den Aufbau gewerblicher<br />
Existenzen erschweren, machten dort partielle<br />
Interventionen unter anderem im Stadterneuerungsprogramm<br />
Soziale Stadt erforderlich.<br />
Dieser Beitrag will die Hinwendung zur Peripherie<br />
als eine Aufgabe darstellen, die wesentlich<br />
von den Ansprüchen einer wachsenden<br />
Stadt getrieben wird. Sie unterscheidet<br />
sich in ihrer Dimension von früheren Aktivitäten<br />
in der Peripherie, insofern sie die Stadtteile<br />
nicht nur unter dem Ziel betrachtet, sozialen<br />
Frieden in schwierigen Nachbarschaften<br />
herzustellen.<br />
uFrankfurt am Main wächst – und diskutiert<br />
Wanderungsgewinne und ein natürliches Bevölkerungswachstum<br />
verhelfen der Stadt seit<br />
mehreren Jahren zu einem überraschenden<br />
und dynamischen Wachstum der Einwohnerzahlen.<br />
Auch nach Korrektur der Einwohnerzahlen<br />
auf Grund der letzten Volkszählung<br />
waren Ende 2013 bereits circa 721.000<br />
Einwohner mit Haupt- und Nebenwohnsitz<br />
in Frankfurt am Main gemeldet – und damit<br />
etwa 56.000 Einwohner mehr als sechs Jahre<br />
zuvor (Stadt Frankfurt am Main o.J.a). Die<br />
im Jahr 2010 von der Stadt erarbeitete Prognose,<br />
wonach die Einwohnerzahl bis 2030 auf<br />
etwa 724.000 steigen könne (Stadt Frankfurt<br />
am Main – Bürgeramt, Statistik und Wahlen<br />
2010), erwies sich somit als zu vorsichtig.<br />
Obwohl die Quote der durchschnittlichen<br />
Wohnfläche pro Kopf in Frankfurt am Main<br />
im Vergleich zu anderen deutschen Wohnflächen<br />
bereits niedrig ist, schrumpft diese, trotz<br />
Rekordzahlen bei der Genehmigung und bei<br />
der Fertigstellung neuer Wohnungen, weiter.<br />
Nach Angaben des Magistrats der Stadt<br />
im „Wohnbauland-Entwicklungsprogramm<br />
2015“ sank die Wohnfläche pro Kopf im Jahre<br />
2013 auf 36 Quadratmeter, während dagegen<br />
die Zahl der Personen pro Wohnung 2013 auf<br />
173
1990er-Jahren forcierte Bearbeitung von Bebauungsplänen<br />
wesentlich Einfluss, indem in<br />
der Folge die genannten Quoten sinken. Man<br />
könnte geneigt sein, den Schluss zu ziehen,<br />
dass mit Fortdauer der Wohnungsbautätigkeit<br />
im Bestand die Aufnahmefähigkeit dieser<br />
Bereiche sinkt und die Quote des Wohnungsbaus<br />
dort tendenziell gegen Null geht.<br />
Eine solche Entwicklung ist dennoch unwahrscheinlich,<br />
weil mit der Realisierung von<br />
Nachverdichtungsvorhaben langfristig auch<br />
die Akzeptanz höherer Baudichten größer<br />
wird: Gewöhnungsprozesse verändern Wertmaßstäbe.<br />
Umgekehrt setzen aber die mangelnde<br />
Wertschätzung peripherer Stadtquartiere<br />
und die in den gründerzeitlich geprägten<br />
Stadtquartieren vorhandene Baudichte einer<br />
dynamischen Nachverdichtung Grenzen.<br />
Unter Berücksichtigung der empirischen Untersuchung<br />
und der skizzierten Einflussfaktoren<br />
wurde im Frankfurter Stadtplanungsamt<br />
für eine Vorausschau die vorsichtige Annahme<br />
getroffen, dass in Zukunft circa 25 Prozent<br />
aller Wohneinheiten im Bestand realisiert<br />
werden können.<br />
uImmobilienwirtschaftliche Einflussfaktoren<br />
Gebäude zeichnen sich unmittelbar nach ihrer<br />
Fertigstellung durch hohe Mieten und Kaufpreise<br />
aus. In einem Alterungsprozess verlieren<br />
sie zunächst im Vergleich zu Neubauten<br />
an Wert, weil sie mit dem sich verändernden<br />
Neubaustandard nicht Schritt halten können,<br />
da sie einem „moralischen Verschleiß“ unterliegen,<br />
beziehungsweise weil ihr Erscheinungsbild<br />
dem Wandel der gestalterischen<br />
Ansprüche und der Architekturmoden nicht<br />
standhält. Hinzu kommt häufig, dass die Bestände<br />
nicht laufend instandgesetzt und modernisiert<br />
werden. Nach Ablauf von 40 bis 50<br />
Jahren wird in der Folge oft eine grundlegende<br />
Sanierung innen und außen notwendig.<br />
Dies löst dann die Frage aus, ob anstelle einer<br />
tiefgreifenden Sanierung Abbruch und Ersatz<br />
durch Neubauten das Mittel der Wahl sind,<br />
um Betriebskosten zu sparen, Vorteile im Betriebsablauf<br />
zu erreichen, die Ausnutzung<br />
176
des Baugrundstücks zu verbessern, oder aber<br />
um eine wirtschaftlichere Nutzungsart einfacher<br />
realisieren zu können. Erfolgt die Entscheidung<br />
zugunsten einer durchgreifenden<br />
Sanierung des Bestandsgebäudes, steigt die<br />
Werthaltigkeit sprunghaft.<br />
Eine Auswertung des Frankfurter Mietspiegels<br />
2012 belegt diese Zyklen für Wohngebäude.<br />
Betrachtet man die Basis-Nettomieten<br />
(ohne Betriebskosten) für Wohnungen unter<br />
Ausklammerung des Einflusses unterschiedlicher<br />
Ausstattungsmerkmale, so zeigt sich<br />
für alle Wohnungsgrößen, dass die in den<br />
Jahren 1958 bis 1968 fertiggestellten Wohnungen<br />
immer die niedrigsten Mietpreise<br />
aufweisen und dass sowohl jüngere als auch<br />
ältere Wohnungsjahrgänge höhere Mieten<br />
verlangen. Wie die Tabelle<br />
„Abhängigkeit der Nettowohnungsmieten<br />
vom Baualter<br />
der Gebäude“ verdeutlicht,<br />
wurde eine in diesem<br />
Zeitraum (1958 bis 1968)<br />
fertiggestellte Wohnung mit<br />
100 Quadratmetern Wohnfläche<br />
im Durchschnitt für<br />
5,41 Euro pro Quadratmeter<br />
vermietet. Eine gleich große<br />
Neubauwohnung, die in den<br />
Jahren 2002 bis 2009 fertiggestellt<br />
wurde, besaß im Durch-<br />
schnitt einen um 52,9 Prozent höheren Nettomietpreis.<br />
Eine vor 1918 fertiggestellte Altbauwohnung<br />
wurde dagegen ebenfalls teurer<br />
vermietet: Sie war um 9,2 Prozent, oder aber<br />
um sogar 34,4 Prozent teurer, wenn es sich um<br />
eine Wohnung in einem renovierten Altbau<br />
mit Stilfassade, historischen Ausstattungselementen<br />
und Echtholzparkett handelte.<br />
Die vor circa 45 bis 55 Jahren realisierte Wohnungsbausubstanz<br />
steht so in vielen Fällen<br />
vor der grundlegenden Entscheidung zwischen<br />
Sanierung und Ersatz durch Neubau;<br />
dies auch deshalb, weil die asketische Architekturhaltung<br />
der Ära des Bauhauses und<br />
der Aufbauzeit nach dem Zweiten Weltkrieg<br />
noch auf ihre Entdeckung und die Zuwendung<br />
einkommensstarker Schichten wartet.<br />
Zugleich liegt auf der Hand, dass Entscheidungen<br />
zum Umgang mit der in die Jahre<br />
gekommenen Wohnungsbausubstanz gravierende<br />
soziale Folgen haben können: Das<br />
relativ niedrige Mietpreisniveau dieser<br />
Altersjahrgänge des Wohnbestands verbindet<br />
sich naturgemäß oft mit einer Bewohnerschaft,<br />
die aufgrund ihrer Einkommensverhältnisse<br />
auf eben dieses Mietpreisniveau<br />
angewiesen ist.<br />
Abhängigkeit der Netto-Wohnungsmieten vom Baualter der Gebäude<br />
Wohnfläche<br />
pro Wohnung<br />
in qm<br />
Baualter<br />
1958 bis 1968<br />
(€ pro qm<br />
Wohnfläche)<br />
Netto-Wohnungsmieten<br />
Baualter<br />
2002 bis 2009<br />
(in % der<br />
Netto-Miete)<br />
Baualter bis 1918<br />
(in % der Netto-Miete)<br />
allgemein<br />
„Stilaltbau“<br />
50 7,80 + 35,3 % + 6,4 % + 23,8 %<br />
75 6,21 + 45,9 % + 8,0 % + 29,9 %<br />
100 5,41 + 52,9 % + 9,2 % + 34,4 %<br />
125 4,93 + 58,2 % + 10,1 % + 37,7 %<br />
Wohnungsbau zwischen 1958 und 1968 sowie<br />
in den unmittelbar davor und danach liegenden<br />
Perioden liegt zu einem erheblichen Teil<br />
in der Peripherie – außerhalb der gründerzeitlich<br />
geprägten, dicht bebauten Innenstadtrandgebiete<br />
mit Altbauten und eklektizistisch<br />
anmutenden Neubauten. Stadtplanerische<br />
Überlegungen für die Stadtrandgebiete müssen<br />
daher die erwähnten Chancen, aber auch<br />
die Risiken in sozialer Hinsicht, verantwortungsvoll<br />
berücksichtigen.<br />
uAlternative Strategien der Wohnbaulandentwicklung<br />
Veränderungen werden in allen Politikbereichen<br />
kritisch gesehen. Die Bewahrung des<br />
vertrauten Status quo gilt im Allgemeinen als<br />
erstrebenswert. Anders als in den langen Jahren<br />
des Aufbaus eines kriegszerstörten Lan-<br />
177
Die Autoren<br />
Oliver Bormann<br />
Architekt, Partner des Planungsbüros yellow z,<br />
Berlin/Zürich<br />
Ellen Dunham-Jones<br />
Professor of Architecture and Urban Design am<br />
Georgia Institute of Technology, Atlanta<br />
Sean Hertel<br />
Urban Planning Consultant, Toronto<br />
Johann Jessen<br />
Professor am Fachgebiet Grundlagen der Ortsund<br />
Regionalplanung der Universität Stuttgart<br />
Roger Keil<br />
Professor, York Chair in Global Sub/Urban<br />
Studies an der York University, Toronto<br />
Elizabeth Kneebone<br />
Fellow im Brookings Institution Metropolitan<br />
Policy Program, Washington D.C.<br />
Michael Koch<br />
Professor für Städtebau und Quartiersentwicklung<br />
an der HafenCity Universität Hamburg,<br />
Partner des Planungsbüros yellow z, Berlin/<br />
Zürich<br />
Dieter von Lüpke<br />
2003 bis 2014 Leiter des Stadtplanungsamts der<br />
Stadt Frankfurt am Main<br />
Stephan Reiß-Schmidt<br />
Stadtdirektor, Leiter der Hauptabteilung<br />
Stadtentwicklungsplanung im Referat für<br />
Stadtplanung und Bauordnung der Landeshauptstadt<br />
München<br />
Frank Roost<br />
Leiter der Forschungsgruppe Metropolitane<br />
Räume am ILS – Institut für Landes- und<br />
Stadtentwicklungsforschung in Dortmund, ab<br />
Herbst 2015 Professor für Stadt- und Regionalplanung<br />
an der Universität Kassel<br />
Stefan Siedentop<br />
Wissenschaftlicher Direktor des ILS – Institut<br />
für Landes- und Stadtentwicklungsforschung<br />
in Dortmund und Professor für Stadtentwicklung<br />
an der TU Dortmund<br />
Maresa Schumacher<br />
Architektin, Partnerin des Planungsbüros<br />
yellow z, Berlin/Zürich<br />
191