Wirtschaftszeitung 2018
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6 | UNTERNEHMEN<br />
RHEINISCHE POST | WIRTSCHAFT NR. 10<br />
JUNI <strong>2018</strong><br />
Wasserstoff<br />
marsch!<br />
Die Brennstoffzelle gilt als<br />
Antrieb der Zukunft. Warum<br />
setzen deutsche Hersteller dann<br />
voll auf das Elektroauto?<br />
Zum Wohl! Der Plastikstrohhalm ist<br />
vermutlich das umweltschädlichste<br />
Objekt auf diesem Bild: Bei Fahrzeugen<br />
mit Brennstoffzellenantrieb kommt<br />
Wasserdampf aus dem Auspuff.<br />
VON FLORIAN RINKE<br />
HOFFNUNGSTRÄGER H 2<br />
Der Toyota Mirai ist das erste in<br />
Großserie gefertigte Wasserstoffauto.<br />
Reichweite: 500 Kilometer.<br />
Den Mercedes GLC F-Cell baut<br />
Daimler seit dem vergangenen Jahr<br />
in kleiner Stückzahl.<br />
Klare Aussichten<br />
Weltweite Produktion von Fahrzeugen<br />
mit Wasserstoffantrieb, Prognose in tsd.<br />
80<br />
60<br />
40<br />
20<br />
0<br />
2019 2021 2023 2025 2027<br />
Quelle: IHS<br />
tisch unerschöpflich zur Verfügung<br />
steht. Trotzdem setzen mit<br />
Ausnahme von Toyota oder auch<br />
Hyundai die meisten Autobauer<br />
vor allem auf die Elektromobilität<br />
– auch in Deutschland.<br />
Verschläft die deutsche Automobilindustrie<br />
etwa gerade den<br />
neusten Megatrend?<br />
Nein, ist Autoexperte Ferdinand<br />
Dudenhöffer von der Uni<br />
Duisburg-Essen überzeugt:<br />
„Toyota setzt nur so stark auf<br />
die Brennstoffzelle, weil sie den<br />
Trend zum reinen Elektroauto<br />
verschlafen haben.“ Er bleibt<br />
skeptisch, was das Potenzial des<br />
Wasserstoffantriebs angeht. Aus<br />
demselben Grund wie viele andere<br />
Experten: Er sei zu teuer.<br />
In Deutschland gibt es 43<br />
Wasserstofftankstellen. Die<br />
Ausbauziele sind bescheiden<br />
Ins gleiche Horn stößt<br />
Andreas Pinkwart: „Ich<br />
hatte schon vor zehn<br />
Jahren als Wissenschaftsminister<br />
die<br />
Ehre, bei Ford in Köln<br />
ein Brennstoffzellenfahrzeug<br />
Probe zu fahren<br />
– das sollte damals<br />
allerdings 300.000 Euro<br />
kosten“, sagt der heutige<br />
NRW-Wirtschaftsminister.<br />
Für die Landesregierung ist<br />
die Brennstoffzelle eine Technologie,<br />
die grundsätzlich Sinn<br />
ergeben könnte. „Die Produkte<br />
müssen allerdings auch marktfähig<br />
sein“, sagt Pinkwart.<br />
Das Problem ist nicht nur,<br />
dass die Fahrzeuge mehr kosten<br />
als vergleichbare mit konventionellem<br />
Antrieb. Der Ausbau der<br />
Infrastruktur ist zudem deutlich<br />
teurer und aufwendiger als<br />
etwa der für Elektroautos. Auch<br />
deshalb gibt es deutschlandweit<br />
momentan nur 43 Wasserstofftankstellen,<br />
bis Ende 2019 sollen<br />
es 100 sein.<br />
Diese Argumente kennen sie<br />
natürlich auch in Japan, aber<br />
was ist ihre Alternative? Elektroautos?<br />
Und woraus soll deren<br />
Strom gewonnen werden? Japan<br />
hat kaum eigene Ressourcen,<br />
Rohöl und Kohle müssen importiert<br />
werden. Auch Atomenergie<br />
scheidet langfristig aus.<br />
Für Toyota ist Tokio 2020 daher<br />
eine perfekte Gelegenheit. Denn<br />
der Autohersteller setzt seit Jahren<br />
auf den Wasserstoffantrieb<br />
und will die Spiele nutzen, um<br />
dafür zu werben – als bessere Alternative<br />
zu E-Autos. Auf kurzen<br />
Strecken ergäben die zwar Sinn,<br />
sagte Toyotas Deutschlandchef<br />
Alain Uyttenhoven zuletzt bei<br />
einer Veranstaltung im japanischen<br />
Generalkonsulat in Düsseldorf.<br />
„Auf langen Strecken<br />
und für schwere Lasten hat die<br />
Wasserstofftechnologie aber klare<br />
Vorteile.“<br />
Hinzu kommt: Die Batterietechnologie<br />
wird mittlerweile<br />
123fr (5), Montage: Malte Knaack; dpa (2)<br />
Wenn bei den Spielen<br />
2020 in Tokio die<br />
Olympiasieger auf<br />
dem Treppchen stehen,<br />
kann es gut sein, dass ihnen<br />
Teile alter Smartphones um den<br />
Hals baumeln. Denn Tokio will<br />
ein umweltfreundlicher Gastgeber<br />
sein, weshalb Bronze-,<br />
Silber- und Goldmedaillen aus<br />
recycelten Rohstoffen bestehen<br />
werden – gewonnen zum Beispiel<br />
aus Mobiltelefonen.<br />
Aber die Medaillen sind natürlich<br />
längst nicht alles. Auch die<br />
Energie soll bei Olympia aus sauberen<br />
Quellen kommen. Hierzulande<br />
würde man an Windräder<br />
und Solaranlagen denken. Doch<br />
die Japaner setzen auf eine andere<br />
Technologie: Brennstoffzellen,<br />
die Wasserstoff in Strom umwandeln.<br />
Sie werden nicht nur das<br />
olympische Dorf mit Energie versorgen,<br />
sondern auch mehr als<br />
100 Busse und Hunderte Autos<br />
antreiben. Auf diese Weise will<br />
Japan der Welt einen Weg in eine<br />
Zukunft ohne schmutzige Kohlekraftwerke<br />
oder Dieselabgase<br />
weisen.<br />
Der Traum vom sauberen Antrieb<br />
ist nicht neu. „Wasser ist die<br />
Kohle der Zukunft“, schrieb Jules<br />
Verne schon 1874. Brennstoffzellenbefürworter<br />
in aller Welt predigen<br />
fast mantraartig die Vorzüge<br />
dieser Technologie, deren<br />
wichtigster Rohstoff Wasser prakstark<br />
von chinesischen und koreanischen<br />
Unternehmen dominiert.<br />
Zwar gibt es mit Panasonic<br />
auch einen japanischen Hersteller,<br />
mit dem Toyota kooperiert.<br />
Doch schon jetzt ist absehbar,<br />
dass der Konkurrenzkampf um<br />
die für die Zellproduktion benötigten<br />
Rohstoffe zunehmen<br />
dürfte, wenn auch in Europa<br />
und Amerika die Nachfrage nach<br />
E-Autos steigt.<br />
Bei Kirchhoff im Sauerland ist<br />
man sicher: Der Wasserstoffantrieb<br />
wird sich durchsetzen<br />
„Die Batterie allein wird für die<br />
Abbildung der Massenmobilität<br />
schwierig sein. Ich bin überzeugt,<br />
dass wir 2030 nicht mehr<br />
über reine batteriebetriebene<br />
Fahrzeuge diskutieren werden“,<br />
sagt daher Johannes Kirchhoff,<br />
Chef der Umweltsparte der sauerländischen<br />
Kirchhoff-Gruppe.<br />
Die Nachteile von E-Autos sind<br />
aus seiner Sicht offensichtlich:<br />
begrenzte Reichweite, schwere<br />
und teure Batterien, endliche<br />
und teilweise nur schwer<br />
zu beschaffende Rohstoffe<br />
für die Produktion.<br />
Der Automobilzulieferer<br />
aus<br />
Iserlohn setzt<br />
daher auf den<br />
Wasserstoffantrieb<br />
– momentan<br />
speziell<br />
bei seiner<br />
Tochter Faun,<br />
dem führenden<br />
Hersteller von<br />
Müll- und Kehrfahrzeugen.<br />
Auf<br />
der Entsorgungsmesse<br />
Ifat stellte das<br />
Unternehmen zuletzt<br />
ein Konzept vor, bei dem<br />
ein Entsorgungsfahrzeug auf<br />
Basis eines Mercedes-Lkw mit<br />
Brennstoffzellentechnik ausgestattet<br />
ist. „Mit batteriebetriebenen<br />
Fahrzeugen können wir<br />
Tagestouren bestreiten, wenn<br />
die Sammelstellen in der Stadt<br />
sind“, sagt Kirchhoff: „Im Bayerischen<br />
Wald wären die Touren mit<br />
E-Fahrzeugen aber beispielsweise<br />
schon nicht mehr möglich.“<br />
Gleichzeitig wünschten sich<br />
Kunden wie Kommunen und<br />
private Entsorger emissionsfreie<br />
Fahrzeuge für den urbanen Bereich.<br />
„Wenn wir als Anbieter<br />
überleben wollen, müssen wir<br />
uns also frühzeitig Gedanken<br />
machen, wie wir die Zukunft gestalten“,<br />
sagt Kirchhoff. Seit 2005<br />
diskutiert man daher bereits<br />
über den Einsatz von Brennstoffzellen<br />
– und schafft nun Fakten.<br />
Denn die großen deutschen Hersteller<br />
sind weiterhin sehr zurückhaltend.<br />
BMW will nicht vor Anfang des<br />
nächsten Jahrzehnts eine Kleinserie<br />
mit Brennstoffzellenantrieb<br />
auf den Markt bringen, voraussichtlich<br />
nur in zweistelliger<br />
Stückzahl. Erst nach 2025 könnte<br />
der Antrieb in Serie gehen, heißt<br />
es im Unternehmen. „Was wir im<br />
Augenblick sehen, ist, dass sich<br />
der Anwendungsfall für Brennstoffzellen<br />
zu immer größeren<br />
Fahrzeugen verschiebt“, sagte<br />
zuletzt Entwicklungsvorstand<br />
Klaus Fröhlich. Grund sei die<br />
steigende Energiedichte von Batterien.<br />
„Wenn diese Entwicklung<br />
fortschreitet, liegt der Haupteinsatzzweck<br />
der Brennstoffzelle<br />
nur noch bei Nutzfahrzeugen,<br />
die wir nicht herstellen.“<br />
Beim Rivalen Daimler sieht das<br />
anders aus. Er baut sehr wohl<br />
Lkw – doch auch in Stuttgart liegt<br />
der Fokus aktuell auf dem Elektroantrieb.<br />
Daimler stellte zwar<br />
bereits 1994 einen Mercedes-Lieferwagen<br />
mit Wasserstofftanks<br />
vor, Serienfahrzeuge mit Brennstoffzelle<br />
gibt es jedoch bis heute<br />
nicht. In diesem Jahr soll es immerhin<br />
eine Kleinserie des Mittelklasse-SUV<br />
GLC geben.<br />
Kirchhoff hat dafür sogar Verständnis:<br />
„Natürlich haben wir<br />
mit den großen Herstellern gesprochen,<br />
aber für die werden<br />
manche Konzepte erst ab einer<br />
gewissen Größenordnung interessant.<br />
Wir gehen deswegen<br />
voran und versuchen, sie zu begeistern,<br />
in die Produktion einzusteigen.“<br />
Die Infrastruktur ist teuer. Doch<br />
ab einer gewissen Größenordnung<br />
rechnet sich der Ausbau<br />
Die Konkurrenz in Fernost<br />
scheint den Deutschen daher davonzuziehen.<br />
Toyota hat mit dem<br />
Mirai inzwischen ein eigenes<br />
Serienfahrzeug auf dem Markt<br />
und dabei erhebliches Wissen<br />
aufgebaut. „Der Konzern ist bei<br />
der Brennstoffzellentechnologie<br />
führend“, müssen selbst Mitarbeiter<br />
deutscher Konkurrenten<br />
zugeben.<br />
Doch was ist, wenn sich die<br />
Strategen in den Chefetagen der<br />
deutschen Autobauer irren? Wissenschaftler<br />
des Forschungszentrums<br />
Jülich warnten zuletzt, es<br />
sei ein Fehler, sich allein auf die<br />
Elektromobilität und nicht zusätzlich<br />
auf die Brennstoffzelle<br />
zu konzentrieren: „Setzen wir<br />
alles auf nur eine Karte, dürfte<br />
es schwierig werden, das System<br />
umzustellen, wenn sich die Rahmenbedingungen<br />
verändern“,<br />
sagte Martin Robinius vom Forschungszentrum.<br />
In einer Studie fanden die Wissenschaftler<br />
heraus, dass der Aufbau<br />
einer Ladeinfrastruktur für<br />
E-Autos kurzfristig günstiger ist<br />
– ab einer gewissen Marktdurchdringung<br />
jedoch die Brennstoffzelle<br />
vorn liege. Das wissen auch<br />
die deutschen Hersteller. Deswegen<br />
gehen die Experimente auch<br />
weiter. Zum Beispiel bei BMW<br />
– die Technologie kommt dafür<br />
von Toyota.