114_Ausgabe Januar 2013
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ZITTAUER KABARETTTAGE<br />
Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau<br />
Freitag 04.01.<strong>2013</strong> | 19:30 Uhr | Große Bühne<br />
Uwe Steimle<br />
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Montag 07.01.<strong>2013</strong> | 19:30 Uhr | Große Bühne<br />
Pigor & Eichhorn<br />
Volume 7 - Cool Cabaret<br />
Dienstag 08.01.<strong>2013</strong> | 19:30 Uhr | Große Bühne<br />
Zärtlichkeiten mit Freunden<br />
Mitten ins Herts<br />
Mittwoch 09.01.<strong>2013</strong> | 19:30 Uhr | Große Bühne<br />
Herkuleskeule<br />
Radioballett oder: Opa twittert<br />
Donnerstag 10.01.<strong>2013</strong> | 19:30 Uhr | Große Bühne<br />
Academixer<br />
Erwischt<br />
Freitag 11.01.<strong>2013</strong> | 19:30 Uhr | Große Bühne<br />
Sündikat<br />
Endspurt für die Ritter der Merkelrunde<br />
Samstag 12.01.<strong>2013</strong> | 19:30 Uhr | Große Bühne<br />
Tatjana Meissner<br />
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Vorwort<br />
Liebe Leserinnen, liebe Leser,<br />
ein neues Jahr, und das mit einer 13 in der<br />
Jahreszahl. Die guten Vorsätze vom Jahreswechsel<br />
verblassen. Der Görlitzer Alltag hat<br />
uns wieder. Die Debatten darüber, was für<br />
die Stadt vorteilhaft oder überflüssig, machbar<br />
oder illusorisch ist, gehen weiter. In den<br />
wetterwendischen Beliebtheitsumfragen der<br />
Medien rutscht Görlitz ab, trotz der nach wie<br />
vor günstigen Bilanz des Tourismus. In überregionalen<br />
Presse- und Fernsehbeiträgen<br />
finden sich neben der bisher wohlwollenden<br />
Anerkennung nun zunehmend kritische<br />
Stimmen zum Geschehen in der Stadt. 1926<br />
verfaßte der in Görlitz geborene und aufgewachsene<br />
Werner Finck, der seine Heimatstadt<br />
gleichwohl ein Leben lang liebte, ein<br />
etwas boshaftes Gedicht „In Görlitz“. Darin<br />
hieß es: „Denn Fremdling, lasse dich nicht<br />
täuschen. Die Stadt ist halb so aufgeregt,<br />
als sie mit den Verkehrsgeräuschen den<br />
Eindruck zu erwecken pflegt.... Wie mir ein<br />
Eingeborener berichtet, kann man sich sogar<br />
Görlitz übersehn!“ (Mit seinem Bruder,<br />
der an der Berliner Straße wohnte, hatte ich<br />
vor 50 Jahren noch vergnügliche Gespräche<br />
über seine Familienerinnerungen, und 1902,<br />
am 100. Geburtstag des berühmten Kabarettisten<br />
und Schriftstellers Werner Finck,<br />
zog ich an der Spitze einer fröhlichen Schar<br />
von Liebhabern der „Finckenschläge“ von<br />
Station zu Station seiner Görlitzer Jahre.)<br />
Ein ferner Wink von Werner Finck (so eines<br />
seiner berühmten Wortspiele) mag zum<br />
Jahresbeginn gar nicht so fern von unserer<br />
Wirklichkeit sein. Er legte einst den Finger<br />
auf so manche schmerzhafte Wunde, auch<br />
in unserer Stadt, aber aus Liebe, nicht mit<br />
verletzender Häme. Auch wir werden heutzutage<br />
nicht umhin kommen, auch unangenehme<br />
Wahrheiten nüchtern zur Kenntnis zu<br />
nehmen, denn die gibt es überreichlich in<br />
aller Welt, in Europa und auch vor unserer<br />
Haustür. Soweit es geht, wollen wir mit Bürgersinn<br />
für Abhilfe sorgen. Ärgerliche Tatsachen<br />
lassen sich nicht mehr schönreden –<br />
Armut, Verwahrlosung, Hemmungslosigkeit,<br />
Hochmut, Amerikanisierung, Abwanderung,<br />
Mißmut. Notwendige Visionen sind nicht<br />
mit kostspieligen Illusionen zu verwechseln,<br />
Görlitz ist nicht der Nabel der Welt. Anläufe<br />
wie Kulturhauptstadt, Welterbe, Europastadt<br />
bescherten uns Aufmerksamkeit, aber<br />
auch Kritik wegen Selbstüberschätzung, Verschwendung<br />
oder gar Größenwahn. Neben<br />
sichtbaren baulichen Fortschritten mehren<br />
sich Negativposten wie Stadthalle, Warenhaus,<br />
Shopping-Center-Wahnwitz. Dennoch<br />
oder deshalb erinnere man sich an den<br />
Satz aus Fincks autobiographischem Buch<br />
„Alter Narr, was nun?“:“Das Tadeln meiner<br />
kleinen Stadt überlasse ich den Söhnen der<br />
Weltstädte. Wir aus den kleinbürgerlichen<br />
Städten müssen zusammenhalten.“ Konzentrieren<br />
wir uns auf Nötiges, Machbares,<br />
Begreifliches! Das ist der Wille vieler Bürger,<br />
darunter<br />
Ihr Ernst Kretzschmar.<br />
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3
Der ”alte”<br />
”alte”<br />
Junghans<br />
Junghans<br />
–<br />
Musikmeister in Görlitz 1910<br />
Nur noch ältere Görlitzer werden sich<br />
an einen Mann erinnern, der vom Anfang<br />
bis in die vierziger Jahre des vergangenen<br />
Jahrhunderts eine populäre<br />
Persönlichkeit in unserer Stadt war. Er<br />
war ein Mann, dessen Schicksal und<br />
das seine Familie sehr unmittelbar und<br />
zuletzt auch tragisch geprägt wurde<br />
von den Verwerfungen des 20. Jahrhunderts,<br />
denen er sich nicht entziehen<br />
konnte. Dem Aufstieg vom bettelarmen<br />
Sohn eines hessischen Kleinbauern zum<br />
stadtbekannten Stabsmusikmeister<br />
folgte im Alter der brutale Abstieg in ein<br />
Nichts, vom gefeierten Dirigenten das<br />
Ende als körperlich und seelisch gebrochener<br />
Greis. Der “alte” Junghans, richtiger<br />
Heinrich Junghans, war mit Leib<br />
und Seele Militärmusiker, ein Mann von<br />
hoher musikalischer Begabung, dem<br />
erst die preußische Armee Ausbildung<br />
und Studium ermöglicht hatte, wäre er<br />
doch sonst wie sein Vater ein mittelloser<br />
Dorfmusikus geblieben. Er diente<br />
den Armeen dreier deutscher Systeme,<br />
der des kaiserlichen Deutschland,<br />
der Weimarer Republik und schließlich<br />
der des nationalsozialistischen Regimes<br />
bis zu seiner Pensionierung 1941.<br />
Junghans liebte seine Musik über alles,<br />
sah sich aber auch als Soldat in treuer<br />
Pflichtfüllung seines Dienstes. Er war<br />
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Geschichte
Der<br />
ein Görlitzer<br />
”alte”<br />
Familienschicksal<br />
Junghans<br />
Mit Ehefrau und drei Kindern vor 1914<br />
Preuße “bis auf die Knochen”, parteipolitisch<br />
unabhängig und innerlich oft<br />
in großer und spottender Distanz zu<br />
den Herrschenden seiner Zeit. In seiner<br />
schlichten und aufrechten Haltung<br />
verabscheute er alle Großmannssucht<br />
und lehnte alle Schaumschlägerei ab.<br />
Von den Musikern seiner Kapelle verlangte<br />
er, der über ein musikalisch absolutes<br />
Gehör verfügte, ein sauberes<br />
und einwandfreies Spiel, darin war er<br />
unerbittlich. Andererseits erwies er<br />
sich seinen Leuten gegenüber als ein<br />
väterlicher Vorgesetzter und Berater.<br />
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Geschichte<br />
5
Der ”alte”<br />
”alte”<br />
Junghans<br />
Junghans<br />
–<br />
-<br />
Konzert im Jägerwäldchen um 1933<br />
Davon kam auch seine allgemeine Bezeichnung<br />
„Papa Junghans“. Jahrzehntelang<br />
flogen ihm die Herzen der Görlitzer,<br />
nicht zuletzt der Frauen, zu, wenn<br />
er an der Spitze seiner 50 und mehr<br />
Mann umfassenden Kapelle durch die<br />
Stadt marschierte oder Militärkonzerte<br />
auf den Plätzen der Stadt, in Gartenrestaurants,<br />
auf Fabrikhöfen oder im<br />
unvergessenen Jägerwäldchen in der<br />
früheren Oststadt gab. Berühmt waren<br />
auch seine Konzerte in der Stadthalle.<br />
Dabei legte er großen Wert darauf,<br />
dass sein Musikkorps nicht nur Märsche<br />
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Geschichte
Der<br />
ein Görlitzer<br />
”alte”<br />
Familienschicksal<br />
Junghans<br />
spielte, sondern auch klassische Musik<br />
und die leichte Muse pflegte. Dabei ließ<br />
er sich in die Auswahl seiner dirigierten<br />
Musikstücke niemals hineinreden,<br />
auch nicht in der NS-Zeit, als jüdische<br />
Komponisten auf dem Index standen.<br />
Dann konnte er auf stur schalten und<br />
erklären: “Mich interessiert die Musik<br />
und nicht der Taufschein”. Und wann<br />
begann der Lebensweg dieses ungewöhnlichen<br />
Mannes? 1876, nicht in<br />
einem großbürgerlichen Offiziersmilieu,<br />
sondern in der Kate eines hessischen<br />
Kleinbauern, in Vockerode, Kreis<br />
Eschwege, am Fuße des Hohen Meißners.<br />
Sein Vater Johannes schlug sich<br />
mehr schlecht als recht als Kleinbauer<br />
und Schuhmacher durch, von seine<br />
zwölf Kindern fielen sechs der damals<br />
herrschenden Armut zum Opfer. Eines<br />
aber vererbte der auch als Gelegenheitsmusiker<br />
tätige Vater seinen überlebenden<br />
sechs Söhnen: Eine außergewöhnliche<br />
musikalische Begabung. Alle<br />
Jungen wurden Orchestermusiker oder<br />
Dirigenten, die fähigsten von ihnen<br />
waren Heinrich und sein Bruder Ernst.<br />
Programmzettel Pfingsten 1931<br />
Früh war der Berufsweg von Heinrich<br />
vorgezeichnet. Nach vierjähriger Ausbildung<br />
an der Musikschule in Eisenach<br />
trat er als Freiwilliger in das Musikkorps<br />
des sächsischen Infanterieregiments Nr.<br />
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Geschichte<br />
7
Der ”alte”<br />
”alte”<br />
Junghans<br />
Junghans<br />
–<br />
-<br />
Werkkonzert in der WUMAG, Abteilung Maschinenbau, 1935<br />
104 in Chemnitz ein, später führte ihn<br />
sein Weg nach Münster (Westfalen),<br />
wo der damalige Armeemusikinspizient<br />
Gawert, übrigens ein unehelicher Sohn<br />
Kaiser Friedrich III, seine außergewöhnlichen<br />
musikalischen Fähigkeiten<br />
erkannte und ihm den Weg zur Musikhochschule<br />
in Berlin ebnete. Nach dreijährigem<br />
erfolgreichem Studium wurde<br />
Junghans Militärmusikmeister in Kolberg,<br />
Hinterpommern, jetzt Kolobrzeg.<br />
Hier lernte er seine spätere Frau Anna,<br />
geborene Kriegshammer, kennen, mit<br />
der er 1909 nach Görlitz umzog, nach-<br />
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8<br />
Geschichte
Der<br />
ein Görlitzer<br />
”alte”<br />
Familienschicksal<br />
Junghans<br />
dem er zum dortigen Musikmeister des<br />
damaligen Infanterieregiments Nr. 19<br />
berufen worden war. Hier fand er ein<br />
zunächst schwieriges Betätigungsfeld<br />
vor, war doch der Personalbestand des<br />
Musikkorps stark dezimiert. Aufgrund<br />
seiner großen pädagogischen Fähigkeiten<br />
gelang es ihm jedoch bald, neue<br />
und junge Kräfte zu gewinnen und das<br />
Orchester auf sein hohes musikalisches<br />
Niveau zu führen, das die Begeisterung<br />
der Görlitzer Musikfreunde über<br />
lange Jahre hinweg fand. Den ersten<br />
Weltkrieg überlebte er nur durch einen<br />
wunderbaren Zufall: Wie seine Musiker<br />
in Frankreich nicht bei der kämpfenden<br />
Truppe, sondern als Sanitäter eingesetzt,<br />
infizierte er sich bei der Pflege<br />
typhuskranker Soldaten und wurde<br />
als vermeindlich Verstorbener schon<br />
in eine Leichenhalle gebracht, als eine<br />
Krankenschwester den langsam wieder<br />
Genesenden erkannte und ihn vor<br />
dem Tod im Massengrab bewahrte.<br />
Nach dem ersten Weltkrieg wurde das<br />
deutsche Heer aufgrund des Versailler<br />
Vertrages stark verkleinert. Junghans<br />
An der Spitze der Marschkolone auf der<br />
Promenade um 1938<br />
brauchte aber nicht das Schicksal vieler<br />
entlassener Berufssoldaten teilen, sondern<br />
konnte seine Arbeit als Stabsmusikmeister<br />
beim späteren Infanterieregiment<br />
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9
Der ”alte”<br />
”alte”<br />
Junghans<br />
Junghans<br />
–<br />
-<br />
Zeit kennen ihn doch manche der heutigen<br />
älteren Görlitzer, die Junghans als<br />
Kind erlebten. 1941 trat Junghans nach<br />
47-jähriger Dienstzeit, davon 32 Jahre<br />
in Görlitz, in den Ruhestand. Ein ruhiger<br />
Lebensabend war ihm aber nicht<br />
beschieden, seine letzten Jahre waren<br />
von großer Tragik überschattet. Als<br />
erster Görlitzer Kriegstoter des zweiten<br />
Weltkrieges fiel sein Sohn Heinz am 1.<br />
September 1939 in Polen, sein Sohn<br />
Karl blieb in Jugoslawien verschollen.<br />
Schließlich erlitt Heinrich Junghans<br />
das Schicksal von Millionen vertriebener<br />
Ostdeutscher. Seine Wohnung in<br />
der Ostgörlitzer Trotzendorfstraße 104<br />
(jetzt Zgorzelec) lag auf der “falschen”<br />
Seite der Neiße, nur ca. 800 Meter vom<br />
Fluss entfernt. Nach der Rückkehr von<br />
der Flucht in seine Wohnung Ende Mai<br />
1945 fand er diese komplett ausgeräumt,<br />
die für ihn besonders wertvollen<br />
Dinge, darunter sein geliebtes Klavier<br />
und seine große Notensammlung, darunter<br />
viele eigene Kompositionen, fand<br />
er im Innenhof seines Hauses zerstört.<br />
Völlig mittellos konnte der gebrochene<br />
Mann erst im Juni dieses Jahres in die<br />
Görlitzer Weststadt gelangen, wo er mit<br />
seiner Frau und sieben anderen Personen<br />
Aufnahme in der kleinen Vierzimmerwohnung<br />
seiner Tochter Annelise in<br />
der Konsulstraße 40 fand. Gezeichnet<br />
von der großen Not der Nachkriegsjahre<br />
starb der einst gefeierte Heinrich<br />
Junghans 1948. Seine letzte Ruhestätte<br />
fand er auf dem Görlitzer Friedhof.<br />
Das musikalische Genie von Heinrich<br />
Junghans hat sich in seinen Nachkommen<br />
leider nicht fortgesetzt. Seine Be-<br />
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10<br />
Geschichte
Der<br />
ein Görlitzer<br />
”alte”<br />
Familienschicksal<br />
Junghans<br />
Als Komparse in einem Fridericus-Film der UFA<br />
Stabsmusikmeister Heinrich Junghans 1940<br />
geisterung für klassische Musik hat der<br />
Verfasser dieses Artikels, einer seiner<br />
Enkelsöhne, jedoch geerbt.<br />
Hanno Vogt, Willstätt,<br />
Mittelbaden<br />
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Geschichte<br />
11
Ratsarchiv<br />
Görlitzer Volkszählung im Jahre 1735 –<br />
Der nasse wie sehr kühle Sommer des<br />
Jahres 1735, welcher mit zahlreichen<br />
Unwettern, Überschwemmungen und<br />
Mißernten die Görlitzer fürchterlich geplagt<br />
hatte, neigte sich endlich dem<br />
Ende zu. Das ganze Jahr herrschte zudem<br />
Angst wegen eines möglichen Krieges.<br />
Der polnische Gegenkönig Stanislaus<br />
Leszynski werde mit 18.000 Mann in<br />
Sachsen und die Oberlausitz einfallen, so<br />
hieß es. Auch in Görlitz verstärkte man<br />
deshalb die Mauern, beschaffte man<br />
Waffen und Pulver, füllte die Getreidespeicher.<br />
Ständige Geldforderungen des<br />
Dresdner Hofes wurden trotz exorbitanter<br />
Verschuldung zähneknirschend, aber<br />
„gutwillig“, wie man elegant schrieb,<br />
immer wieder bewilligt. Die Landesherrschaft,<br />
der sich entwickelnde sächsische<br />
Staat, hatte besonders wegen der Steuererhebungen<br />
und der Einschätzung der<br />
Finanzkraft der Untertanen großes Interesse<br />
an exakten statistischen Angaben<br />
über die Einwohner und Viehbestände.<br />
Dies forderte sie also nachdrücklich vom<br />
Görlitzer Rat. Bürgermeister Schäffer<br />
und die Ratsherren setzten dann auch<br />
beflissen alles daran, dieser Anordnung<br />
pflichtgemäß Folge zu leisten. Schließlich<br />
stand man ja immer noch unter der<br />
demütigenden Kontrolle der gestrengen<br />
kurfürstlich-sächsischen Lokalkommission.<br />
Die Viertelsmeister, wesentlich zuständig<br />
für die Verteidigungsorganisation<br />
in den Stadtvierteln, wurden deshalb<br />
auf das Rathaus beordert und ihnen die<br />
Zählung anbefohlen. Dabei sollten sie<br />
sich der Hilfe der Corporale bedienen.<br />
Die Stadtviertel und die anliegenden<br />
Vorstädte außerhalb der Stadtmauern,<br />
die ihren Namen von den Toren erhalten<br />
hatten (Frauen,- Reichenbacher,- Neiß-,<br />
Nikolaiviertel), unterteilten sich wiederum<br />
in 43 Corporalschaften. So gingen<br />
die Corporale, meist Handwerker, im<br />
September an das Werk. Im Ergebnis<br />
entstand die bis dahin genaueste Statistik<br />
nicht nur über die Einwohnerzahl,<br />
sondern auch den sozialen Stand und<br />
die Berufe der Bürgerschaft.<br />
So zählte man 1102 Hausbesitzer (Wirthe)<br />
und 1469 Mieter. Dazu kamen 1656<br />
Eheweiber und 1761 Kinder. Die Kinder<br />
wurden erst ab dem siebenten Lebens-<br />
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12<br />
Geschichte
Ratsarchiv<br />
aufschlußreiche Statistik<br />
Zahlung 1735<br />
jahr erfasst. Denn die Kleinkindersterblichkeit<br />
war zu jener Zeit überall sehr<br />
hoch. Pro Jahr wurden etwa 320 Kinder<br />
getauft, so dass man hypothetisch noch<br />
einmal 1800 Kleinkinder dazurechnen<br />
könnte. Im Schnitt gehörten 2 Kinder<br />
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Geschichte<br />
13
Ratsarchiv<br />
Görlitzer Volkszählung im Jahre 1735 –<br />
zu einer Familie. Insgesamt 1302 Personen<br />
zählten zum Gesinde, Knechte<br />
und Mägde. Verehelicht und mit Kindern<br />
gesegnet waren freilich nur die Hausbesitzer<br />
und ein Gutteil der Mieter, Handwerker<br />
zumeist. Eine „Wirtschaft zu bestellen“,<br />
worunter man sehr zutreffend<br />
die Ehe und folgende Familiengründung<br />
verstand, war nur möglich, wenn der<br />
Ehemann über die nötigen finanziellen<br />
Mittel verfügte, diese auch zu ernähren.<br />
Insgesamt lebten 7290 Einwohner von<br />
über sechs Jahren in Görlitz. Von 3873<br />
Bewohnern mit eigenem Broterwerb<br />
zahlten allerdings nur etwa 1400 Personen<br />
Steuern. Und nur die Steuerzahler<br />
verfügten über die finanziellen Mittel, die<br />
es ermöglichten, nicht nur von der Hand<br />
in den Mund zu leben. Die Masse der<br />
Einwohner des frühneuzeitlichen Görlitz<br />
hatte weder Ersparnisse noch die Möglichkeit,<br />
sich mehr als eine eher dürftige<br />
Nahrung, Miete, Heizung, alle Jahre<br />
Schuhe und Kleidung zu beschaffen.<br />
Jeder noch so kleine Schicksalsschlag<br />
wie Krankheit, Arbeitslosigkeit oder Verteuerungen<br />
des Brotes infolge Missernten<br />
und Kriegen bedeutete schlicht und<br />
ergreifend Hunger und bittere Not. Das<br />
Gesinde wurde bezeichnenderweise nur<br />
erfasst, die Namen aber nicht notiert.<br />
Bedingt durch den Dreissigjährigen<br />
Krieg, Seuchen und Hungersnöte war<br />
die Bevölkerungszahl seit dem 16. Jahrhundert<br />
deutlich gesunken. Dazu kam<br />
aus verschieden Gründen auch ein Niedergang<br />
der wichtigsten Säule des Görlitzer<br />
Wohlstandes, der Tuchmacherei.<br />
So ergibt sich aus den Geschoßbüchern<br />
(Geschoß, städtische Vermögenssteuer)<br />
für das Jahr 1533, in der Blütezeit der<br />
Handels und Exportgewerbestadt also,<br />
eine Zahl von etwa 10600 Einwohnern<br />
in der ummauerten Stadt und den Vorstädten.<br />
Zugleich ist das Bevölkerungsregister<br />
ein fast perfektes Adressbuch.<br />
Wir erfahren, in welchen Straßen und<br />
Häusern Kaufleute, Krämer, Handwerker<br />
oder Tagelöhner lebten. So wird<br />
man in die Lage versetzt, eine Sozialtopographie<br />
der Stadt zu zeichnen. Nur<br />
ein Beispiel sei genannt. Das prächtige<br />
Hallenhaus, der Brauhof Untermarkt<br />
2, gehörte dem Braubürger Christian<br />
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14<br />
Geschichte
Ratsarchiv<br />
aufschlußreiche Statistik<br />
Gottlob Hagendorn. Zur Miete lebten<br />
darin ein Advokat, der Wagemeister,<br />
ein Wageknecht, ein Studiosus, ein Maler<br />
und eine Schneiderin. Dazu kamen<br />
noch 4 Ehefrauen und 2 Kinder. Zudem<br />
beschäftigten der Brauherr, der Wagemeister,<br />
der Studiosus sowie die Schneiderin<br />
6 Mägde und Knechte. Im Hause<br />
lebten also insgesamt etwa 20 recht<br />
unterschiedlich situierte, aber durchaus<br />
wohlhabende Personen.<br />
Wir sind mit Recht stolz auf die einzigartige<br />
Görlitzer Altstadt, die fraglos tatsächlich<br />
Welterbe darstellt. Verstehen<br />
können wir sie aber erst, wenn wir etwas<br />
über ihre Schöpfer, ihre Bewohner<br />
und deren Schicksale erfahren. Dann<br />
plötzlich beginnen die Mauern zu sprechen<br />
und bekommen eine Seele.<br />
Siegfried Hoche<br />
Ratsarchivar<br />
Görlitzer Rathaus 1792 (Zeichnung von Johann Gottfried Schultz)<br />
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Geschichte<br />
15
Sandmann und seine Freunde –<br />
„Mit einer Kindheit voller Liebe kann man<br />
ein halbes Leben hindurch<br />
die kalte Welt aushalten“ J. Paul<br />
Viele Rothenburger wunderten sich über<br />
den etwas ungewöhnlichen Termin für<br />
eine Ausstellungseröffnung. Die Vernissage<br />
war als ein verspäteter Geburtstagsgruß<br />
an eine Kultfigur des Fernsehens<br />
des Ostens gedacht. Ein kleiner Mann<br />
mit weißem Bärtchen, einer überdimensionierten<br />
Mütze und einem Umhang<br />
geleitet seit 53 Jahren Kinder mit Geschichten<br />
und Traumsand zur Nachtruhe.<br />
Am 22. November 1959 ging „Unser<br />
Sandmännchen“ im Osten des geteilten<br />
Deutschlands auf Sendung, 10 Tage vor<br />
dem geplanten Start des „Sandmännchens<br />
Gruß für Kinder“ des Westens. Als<br />
die Planungen für einen Abendgruß des<br />
Westens die Fernsehmacher in Adlershof<br />
erreichten, ordnete der damalige Fernsehchef<br />
eine analoge Sendung an.<br />
Der Vater des Ostsandmännchens, Gerhard<br />
Behrend, erschuf in nur 14 Tagen<br />
die erste Folge dieser Sendung. Eigentlich<br />
ein Ideenklau – aber auf beiden Seiten.<br />
Aus der Feder von Hans Christian Andersen<br />
stammt eine Figur Ole Lukøje, dem<br />
Augenschließer. Andersens Märchenfigur<br />
erzählte Kindern Gute-Nacht-Geschichten,<br />
und braven Kindern schenkte er gute<br />
Träume.<br />
Der Besuch dieser Ausstellung im Rothenburger<br />
Stadtmuseum ist für die ganze<br />
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16<br />
Ausblick
Sandmann<br />
zu Besuch im Stadtmuseum Rothenburg<br />
beliebten Puppen ihre Stimmen gaben.<br />
Oder wissen Sie noch, wer Meister Briefmarke<br />
oder Tadeus Punkt war?<br />
Stadtmuseum Rothenburg<br />
Das Museum der Stadt Rothenburg ist<br />
Mo + Di + Fr von 9.00 bis 15.00 Uhr<br />
Do von 10.00 bis 17.00 Uhr und nach telefonischer<br />
Vereinbarung geöffnet.<br />
Familie ein reizvolles und lohnenswertes<br />
Ereignis. Für Kinder ist es eine erste persönliche<br />
Begegnung mit Figuren, die sie<br />
nur aus den Kindersendungen und den<br />
Abendgrüßen des Fernsehens kennen.<br />
Bei älteren Besuchern hingegen werden<br />
viele Erinnerungen an die eigene Kindheit<br />
geweckt. Nebenbei erhält der Besucher<br />
Wissenswertes über die Künstler, die den<br />
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Ausblick<br />
17
Mehr als 200<br />
als<br />
Jahre<br />
200<br />
Tradition<br />
Jahre<br />
–<br />
In den beiden vergangen Jahren konnte<br />
die Naturforschende Gesellschaft der<br />
Oberlausitz zwei Jubiläen feiern: Im<br />
Jahre 2010 waren 20 Jahre nach Wiedergründung<br />
der Gesellschaft am 22.<br />
September 1990 vergangen, und 2011<br />
konnte der 200. Geburtstag seit Gründung<br />
der Ornithologischen Gesellschaft<br />
zu Görlitz gefeiert werden. Da die Geschichte<br />
der Gesellschaft auch die Geschichte<br />
des Görlitzer Naturkundemuseums<br />
ist, wurde das Jubiläum natürlich<br />
gemeinsam gefeiert.<br />
Am 10. April 1811 war die Ornithologische<br />
Gesellschaft auf Initiative des<br />
Tuchkaufmanns Johann Gottlieb Krezschmar<br />
gegründet worden. Nachdem<br />
sich anfangs v.a. Liebhaber und Besitzer<br />
von Stubenvögeln zusammentaten, war<br />
das Interesse bald auch auf andere Gebiete<br />
der Naturwissenschaften gerichtet,<br />
so dass sich die Gesellschaft am 9. April<br />
1823 in Naturforschende Gesellschaft<br />
zu Görlitz umbenannte. Es wurden verschiedene<br />
Sektionen gegründet, so die<br />
der gesamten Zoologie, der Botanik und<br />
später auch der Ökonomie (gemeint war<br />
damals die Land- und Forstwirtschaft).<br />
Von der Gründung an war geplant, eine<br />
eigene Zeitschrift herauszugeben. Durch<br />
verschiedene Schwierigkeiten verzögerte<br />
sich die die Veröffentlichung des 1.<br />
Bandes der „Abhandlungen der Naturforschenden<br />
Gesellschaft zu Görlitz“ bis<br />
zum Jahr 1827.<br />
Da die Sammlungsobjekte der Gesellschaft<br />
kontinuierlich zunahmen, wurden<br />
schon bald Pläne für einen eigenen<br />
Museumsbau geschmiedet. Es dauerte<br />
dann aber, aus finanziellen Gründen,<br />
bis zum Jahre 1860, als am 26. Oktober<br />
das Museumsgebäude am heutigen Marienplatz<br />
durch den Präsidenten Georg<br />
von Möllendorf feierlich eröffnet werden<br />
konnte.<br />
Nach guten und auch schlechten Jahren<br />
– nicht nur für die Naturforschende<br />
Gesellschaft, sondern für Deutschland<br />
insgesamt – gab es nach dem 2.<br />
Weltkrieg maßgebliche Veränderungen,<br />
deren Folgen sich bis heute auswirken.<br />
Die Gesellschaft wurde, wie alle privaten<br />
Organisationen, verboten und das<br />
Museum verstaatlicht. Es entwickelte<br />
anzeige<br />
18<br />
Geschichte
Mehr<br />
Naturforschende<br />
als<br />
Gesellschaft<br />
200 Jahre<br />
der Oberlausitz<br />
Jubiläumsfeier 2011 (Professor Dr. Wolfram Dunger)<br />
sich immer mehr zur wissenschaftlichen<br />
Forschungsstätte. Als 1959 Dr. Wolfram<br />
Dunger Direktor des Museums wurde,<br />
schlug er ab ca. 1960 eine neue Forschungsrichtung<br />
ein, nämlich die Bodenzoologie.<br />
Die Erforschung der Bodentiere<br />
am Görlitzer Museum erlangte<br />
unter seiner Leitung internationale Bedeutung,<br />
und das Museum ist heute<br />
eine weltweit anerkannte Forschungs-<br />
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Geschichte<br />
19
Mehr als 200<br />
als<br />
Jahre<br />
200<br />
Tradition<br />
Jahre<br />
–<br />
Neuer Vorstand 2011<br />
einrichtung auf diesem Gebiet.<br />
Wegen des Verbots der Gesellschaft<br />
wurden nach dem Ende des 2. Weltkrieges<br />
andere Wege gegangen, um die Gesellschaftsarbeit<br />
quasi weiterzuführen.<br />
Zunächst entstand 1957 der „Naturwissenschaftliche<br />
Arbeitskreis Bautzen“,<br />
von 1961 bis 1990 wurden im Museum<br />
Görlitz die „Symposien über die naturwissenschaftliche<br />
Forschung“ durchge-<br />
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20<br />
Geschichte
Mehr<br />
Naturforschende<br />
als<br />
Gesellschaft<br />
200 Jahre<br />
der Oberlausitz<br />
führt. Ein weiteres Beispiel ist der 1968<br />
von G. Creutz gegründete „Avifaunistische<br />
Arbeitskreis der Oberlausitz“. In<br />
gut 30 Jahren entstanden mehr als 90<br />
Beiträge zur Vogelwelt, die in der Zeitschrift<br />
des Museums veröffentlicht wurden.<br />
Aufgrund der politischen Veränderungen<br />
konnte 1990 die Naturforschende<br />
Gesellschaft der Oberlausitz e.V. unter<br />
der Federführung von Professor Dr.<br />
Wolfram Dunger neu gegründet werden.<br />
Die Gründung steht in der Tradition<br />
der alten, bis 1945 existierenden, Gesellschaft.<br />
Seiner Aussage zufolge sollte<br />
die Gesellschaft Naturkenner vereinen,<br />
die sich auf ein Fachgebiet spezialisiert<br />
haben, um miteinander in Kontakt zu<br />
treten, ihre Funde und Erkenntnisse<br />
austauschen und sich gegenseitig die<br />
„Arbeiten (und wenn nötig, die Leviten)<br />
lesen.“<br />
Die Ziele der Gesellschaft waren und<br />
sind u.a. Erforschung und Schutz der<br />
Pflanzen- und Tierwelt, von Lebensräumen<br />
und geologischen Formationen, die<br />
Publikation von Forschungsergebnissen,<br />
Bewahrung und Dokumentation von Daten<br />
zur Natur der Oberlausitz und Unterstützung<br />
der naturwissenschaftlichen<br />
Forschung.<br />
Über all die Jahre bestand und besteht<br />
ein enger Kontakt zum Görlitzer Naturkundemuseum.<br />
Es werden Forschungsprojekte<br />
gemeinsam bearbeitet, Veranstaltungen<br />
(Vorträge und Exkursionen)<br />
gemeinsam organisiert.<br />
Zu den Forschungsprojekten gehören<br />
u.a. die Muskauer Heide, das Biosphärenreservat<br />
Oberlausitzer Heide- und<br />
Teichlandschaft und neu das Gebiet des<br />
Berzdorfer Sees bei Görlitz.<br />
Auch bieten die lokal bestehenden Arbeitskreise<br />
in Bautzen, Görlitz und Zittau<br />
Vorträge und Exkursionen an und<br />
versuchen darüber hinaus, zur aktiven<br />
Mitarbeit bei einem der vielen Projekte<br />
anzuregen.<br />
Die naturwissenschaftliche Bildung der<br />
Jugend hat sich die Gesellschaft von<br />
Beginn an auf ihre Fahnen geschrieben.<br />
In Zusammenarbeit mit den zuständigen<br />
Biologielehrern und der Schulverwaltung<br />
wurden und werden Projekte<br />
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Geschichte<br />
21
Mehr als 200<br />
als<br />
Jahre<br />
200<br />
Tradition<br />
Jahre<br />
–<br />
Nordböhmenexkursion 2008<br />
für die Schüler, u.a. Spezialistenlager,<br />
angeboten, die sehr gut angenommen<br />
werden.<br />
Um die wichtigsten Forschungsergebnisse<br />
aus der Natur der Oberlausitz der<br />
Öffentlichkeit bekannt zu machen und<br />
für die Nachwelt zu erhalten, erscheint<br />
seit 1990 jährlich ein Band der „Berichte<br />
der Naturforschenden Gesellschaft<br />
der Oberlausitz“, zusätzlich wurden zu<br />
Spezialthemen Supplemente herausgegeben.<br />
Seit 1990 wird in jedem Jahr eine Tagung<br />
organisiert, abwechselnd mit dem<br />
Naturkundemuseum Görlitz oder einer<br />
anderen Institution in der Oberlausitz,<br />
wie der Hochschule Zittau/Görlitz, dem<br />
Museum der Westlausitz in Kamenz<br />
und 2012 mit dem „Biosphärenreservat<br />
Oberlausitzer Heide- und Teichlandschaft“.<br />
Diese Tagungen bieten hauptund<br />
ehrenamtlichen Forschern aus der<br />
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22<br />
Geschichte
Mehr<br />
Naturforschende<br />
als<br />
Gesellschaft<br />
200 Jahre<br />
der Oberlausitz<br />
Exkursion 2011 zum Hutberg (Schönau-Berzdorf)<br />
Region eine Plattform für ihren wissenschaftlichen<br />
Austausch.<br />
Dieser kurze und notgedrungen knappe<br />
Abriss zeigt, wie vielfältig die Arbeit<br />
der Naturforschenden Gesellschaft der<br />
Oberlausitz ist. Kurz vor dem 200. Jubiläum<br />
konnte das 200. Mitglied begrüßt<br />
werden. Es sollen noch mehr werden,<br />
um die – ausschließlich ehrenamtliche<br />
– Arbeit auf viele Schultern zu verteilen<br />
und weitere 200 Jahre Gesellschaftsle-<br />
ben zu ermöglichen.<br />
Brigitte Westphal<br />
Presse, Redaktion, Vorstandsmitglied<br />
Viele weitere Informationen sind auf der Internetseite<br />
www.Naturforschende-Gesellschaft-der-<br />
Oberlausitz.de zu finden, persönlicher Kontakt<br />
kann telefonisch über die Geschäftsstelle (03581<br />
47605800) oder per E-Mail (info@naturforschende-gesellschaft-der-oberlausitz.de)<br />
aufgenommen<br />
werden.<br />
Geschichte<br />
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23
Königliche Baugewerkschule –<br />
Das zu Ende gehende 19. Jahrhundert<br />
war geprägt von einem enormen Aufschwung<br />
der Industrie, des Handels,<br />
Gewerbes und der Wissenschaft. Dies<br />
erforderte eine Vielzahl von gut ausgebildeten<br />
Fachkräften. Das Bedürfnis der<br />
aufstrebenden jungen Techniker nach<br />
gründlicher und schneller theoretischer<br />
Ausbildung machte die Errichtung von<br />
Fachschulen gerade für diesen Stand<br />
dringend notwendig. So entstanden unter<br />
dem fördernden Einfluss des Innungsverbandes<br />
deutscher Baugwerkmeister,<br />
vor allem unter der zielbewussten Führung<br />
des Preußischen Staates, bis zum<br />
Jahre 1914 67 Bauschulen, die zum Teil<br />
von den Städten, aber zum größten Teil<br />
von den Staaten gegründet und eingerichtet<br />
worden sind.<br />
Im Königreich Preußen gab es 24 staatliche<br />
Baugewerkschulen. Die Aufgabe dieser<br />
Schulen bestand darin, den Schülern<br />
nach einer vorangegangenen praktischen<br />
Betätigung im Bauhandwerk die theoretischen<br />
und fachlichen Vorkenntnisse zu<br />
vermitteln, die sie später in ihrem Beruf<br />
benötigten, um als selbständiger Baugewerbetreibender,<br />
als selbständiger Bauleiter,<br />
als technische Hilfskräfte im Büro<br />
und auf dem Bauplatz oder als mittlere<br />
Beamte im Staats- oder Kommunaldienst<br />
tätig zu werden.<br />
Die staatliche Königliche Baugewerkschule<br />
zu Görlitz wurde am 23. Oktober 1894<br />
gegründet. Sie war eine der Staatsanstalten,<br />
die zur Verwaltung des preußischen<br />
Ministeriums für Handel und Gewerbe in<br />
Berlin gehörten und dem preußischen<br />
Regierungspräsidenten in Liegnitz unterstellt<br />
wurden. Der Unterricht fand zunächst<br />
in der Gemeindeschule Reichenberger<br />
Straße (Pilsudskiego) statt.<br />
(Bild oben rechts: In dieser Einrichtung<br />
fand von 1894 bis 1898 der Unterricht<br />
der Baugwerkschule statt. Jetzt polnisches<br />
Gymnasium Nr. 3. Die Schule wurde<br />
von dem Direktor Herrn Landbauinspektor<br />
a.D. Dr. phil. Richard Bohn mit<br />
7 Lehrern und 84 Schülern eröffnet. Der<br />
Lehrplan war wie an allen preußischen<br />
Baugewerkschulen viersemestrig.)<br />
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24<br />
Geschichte
Baugewerk<br />
und Königliche Maschinenbauschule Görlitz<br />
Gemeindschule Reichenberger (Pilsudskiego) Straße<br />
Die Stadt Görlitz erklärte sich bereit, ein<br />
neues Schulgebäude am Friedrichplatz<br />
(Partyzantów) zu errichten. Selbiges<br />
konnte am 1.4.1898 eingeweiht werden.<br />
Es ist an dieser Stelle besonders hervorzuheben,<br />
dass es in diesem Hause zwei<br />
Fachschulen gab:<br />
1. die staatliche Königliche Baugewerkschule<br />
und<br />
2 die staatliche Königliche Maschinenbauschule<br />
3. auf Bestreben des preußischen Bergamtes<br />
Görlitz gab es in dieser Einrichtung<br />
von 1900/1901 bis 1904 eine Bergvorschule.<br />
Die Anforderungen an Fachleute in den<br />
Braunkohlenbetrieben insbesondere der<br />
Grube Stadt Görlitz, des Bergwerkes<br />
„Glückauf „Aktiengesellschaft Lichtenau<br />
und der Grube Friedrich Anna Görlitz<br />
Moys bewogen den damaligen Bergrat<br />
Laske des Bergamtes Görlitz mit Zustim-<br />
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Geschichte<br />
25
Königliche Baugewerkschule –<br />
mung der Bergakademie Freiberg, eine<br />
Bergvorschule zu errichten. Die Stadt<br />
Görlitz stellte dazu kostenfrei einen Klassenraum<br />
in der Baugewerk- und Maschinenbauschule<br />
am Friedrichsplatz zur<br />
Verfügung. Die Schule wurde von einem<br />
Vorstand geleitet, dessen Geschäftsführung<br />
der Geschäftsführer der Aktiengesellschaft<br />
der Grube „Glückauf“ Lichtenau<br />
inne hatte. Der ehemalige Oberbürgermeister<br />
Hugo Sattig (OB von 1857 bis<br />
1866) war Aufsichtsratsvorsitzender der<br />
Aktiengesellschaft „Glückauf“. An dieser<br />
Einrichtung wurde bis zum Steiger ausgebildet.<br />
Warum diese Bergvorschule 1904<br />
geschlossen wurde, ist aus den Akten<br />
des Archivs der Bergakademie Freiberg<br />
nicht ersichtlich. Eigentümlicherweise befinden<br />
sich in den Adressbüchern dieser<br />
Zeit keine Verweise weder bei staatlichen<br />
noch bei privaten Bildungseinrichtungen<br />
im Gegensatz zur kgl. staatlichen Baugewerk-<br />
und Maschinenbauschule.<br />
Nun zurück zur Baugewerkschule.<br />
Als beratendes Organ für diese Einrichtung<br />
wurde ein Kuratorium ins Leben<br />
gerufen.<br />
Mitglieder des Kuratoriums waren:<br />
1. Der Oberbürgermeister als Vorsitzender<br />
2. Der Direktor der Einrichtung als Stellvertreter<br />
3. 3 Mitglieder wurden ernannt durch<br />
den preußischen Minister für Handel und<br />
Gewerbe<br />
4. 2 Mitglieder des Magistrates der Stadt<br />
5. 2 Mitglieder, die von der Stadtverordnetenversammlung<br />
gewählt wurden.<br />
Die Lehrpläne waren für alle preußischen<br />
Baugewerkschulen einheitlich!!<br />
(Normal Lehrplan von 1898 – damit ergaben<br />
sich keine Probleme bei einem Anstaltwechsel<br />
innerhalb des Königreiches<br />
Preußen, welch ein Fortschritt gegenüber<br />
heute!). Es ist anzunehmen, dass dies<br />
auch für die staatliche Maschinenbauschule<br />
zutraf.<br />
Die nachfolgenden Bilder zeigen die neu<br />
errichtete staatliche Baugewerk- und<br />
Maschinenbauschule am Friedrichsplatz,<br />
eröffnet im April 1898. Mit Fertigstellung<br />
dieses Objektes wurde auch in diese<br />
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26<br />
Geschichte
Baugewerk<br />
und Königliche Maschinenbauschule Görlitz<br />
Baugewerk- und Maschinenbauschule ab April 1898. Jetzt polnisches Lyzeum<br />
Baugewerk- und Maschinenbauschule ab April 1898. Jetzt polnisches Lyzeum<br />
“Und zum Feste werden Sie bei uns verwöhnt auf’s Beste!”<br />
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Geschichte<br />
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27
Königliche Baugewerkschule –<br />
Einrichtung die kgl.<br />
staatliche Maschinenbauschule<br />
integriert.<br />
Damit gab es zwei<br />
verschiedene Gründungsdaten:<br />
1. Gründung der<br />
staatlichen Baugewerkschule<br />
(SBS)<br />
23.10.1884<br />
2. Gründung der<br />
staatlichen Maschinenbauschule<br />
(SMS)<br />
3.10.1888<br />
Das Foto (auf Seite<br />
27 unten) zeigt den<br />
Standort, wo sich<br />
die Werkstätten und<br />
Laboreinrichtungen<br />
der Baugewerk- und Maschinenbauschule<br />
befanden. Jetzt wahrscheinlich Turnhalle<br />
des Lyzeums.<br />
Die Schülerzahl wuchs von Jahr zu Jahr<br />
und damit auch die Zahl der Klassen und<br />
Mitteilung aus dem Adressbuch der Stadt Görlitz 1906/07<br />
Abteilung öffentliche Bildungsanstalten<br />
der Lehrer. Alsdann wurde als Direktor<br />
Herr Prof. Gerns und dann für 4 Jahre Direktor<br />
Kunz berufen. Im Jahre 1902 wurde<br />
Direktor Gewerbeschulrat Theobald<br />
Müller aus Magdeburg. Selbiger führte<br />
eine Ausbildung für Steinmetze und eine<br />
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28<br />
Geschichte
Baugewerk<br />
und Königliche Maschinenbauschule Görlitz<br />
Ausbildung in Tiefbau aus. Der Ausbildungszweig<br />
Steinmetze wurde wegen<br />
mangelnden Besuchs 1908 eingestellt.<br />
Der Tiefbauunterricht lehrte Grundlagen<br />
des Eisenbahn-, Brücken-, und Wasserbaus<br />
sowie des Städtischen Tiefbaus und<br />
des Erd- und Straßenbaus.<br />
Hierbei wurde in den beiden unteren<br />
Klassen ein gemeinsamer Unterbau geschaffen<br />
(Grundstudium) und in den<br />
beiden oberen Klassen nach Hoch- und<br />
Tiefbau getrennt unterrichtet.<br />
Wegen den gestiegenen Anforderungen<br />
aus der Praxis genügte die viersemestri-<br />
Wappen der Maschinenbauschule<br />
Wappen der Bauwerkschule<br />
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Geschichte<br />
29
Königliche Baugewerkschule –<br />
ge Ausbildung nicht mehr, darum wurde<br />
1908 in allen preußischen Baugwerkschulen<br />
zu einer fünfsemestrigen Ausbildung<br />
übergegangen. Man löste sich auch<br />
von der althergebrachten abstrakten,<br />
wissenschaftlichen Behandlung der einzelnen<br />
Unterrichtszweige, wie sie an den<br />
Hochschulen üblich war, um einer mehr<br />
praktischen, dem Auffassungsvermögen<br />
der Schüler entsprechenden Unterrichtsweise<br />
Raum zu geben. Diese Form wirkte<br />
sich auch im Nachhinein vorbildlich auf<br />
die technischen Hochschulen aus.<br />
Ein erheblicher Einschnitt in der Entwicklung<br />
der Schule ergab sich mit Ausbruch<br />
des 1. Weltkrieges am 2. August 1914.<br />
Die meisten Lehrer und Schüler wurden<br />
einberufen. Ein Unterricht fand zunächst<br />
nicht mehr statt. Das Schulgebäude<br />
selbst wurde vom Militär für Einquartierungszwecke<br />
in Anspruch genommen.<br />
Erst in den späteren Halbjahren wurde in<br />
einigen Räumen notdürftig der Unterricht<br />
wieder aufgenommen. Den Schülern der<br />
1. Klassen der Hoch- und Tiefbauabteilung<br />
wurde jedoch das Reifezeugnis ohne<br />
Prüfung erteilt und den übrigen Schülern<br />
das Versetzungszeugnis.<br />
12 Lehrer wurden im Krieg eingezogen,<br />
davon 3 schwer verwundet.<br />
61 Schüler sind im Krieg gefallen. Aus<br />
diesem Anlass wurden im Eingang der<br />
Schule am 17.3.1922 2 Gedenktafeln angebracht.<br />
Nach dem Krieg gab es im Unterrichtsgeschehen<br />
wiederum einige Neuerungen.<br />
1919 wurde ein staatsbürgerlicher Unterricht<br />
(Es war also keine Erfindung der<br />
DDR) mit 2 Wochenstunden eingeführt.<br />
In diesem Unterrichtsfach sollten die<br />
Schüler auf ihre Pflichten als Staatsbürger<br />
vorbereitet und zu „echter deutscher<br />
Gesinnung und zum Bewusstsein der<br />
Volksgemeinschaft“ erzogen werden.<br />
Mündliche Prüfungen kamen in Fortfall.<br />
Grundlagen der Prüfung waren die<br />
Klassenleistung sowie schriftliche und<br />
zeichnerische Prüfungsarbeiten. (Welch<br />
ein Fortschritt zum jetzigen Bildungssystem).<br />
Einführung des Pflichtfaches Leibesübungen.<br />
Am 3. Juli 1920 wurde das Fach<br />
Sport und Jugendpflege eingeführt. Ihr<br />
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30<br />
Geschichte
Baugewerk<br />
und Königliche Maschinenbauschule Görlitz<br />
Inhalt waren: Turnen, Turnspiele, Wandern<br />
mit wöchentlich 2 Stunden.<br />
Am 1. April 1921 wurde der verdienstvolle<br />
Direktor Gewerberat Müller in den Ruhestand<br />
versetzt, der diese Einrichtung<br />
über 18 Jahre leitete. Ihm folgte der vom<br />
Minister für Handel und Gewerbe berufene<br />
Oberstudiendirektor Prof. Knöll.<br />
Den neuen Anforderungen der Baupraxis<br />
gerecht zu werden, wurden Normen<br />
und Typen im Bauwesen eingeführt,<br />
Grundsätze des Städtebaus und Siedlungswesens,<br />
der sparsamen Bauweise,<br />
der Wärmewirtschaft am Bau (man legte<br />
also schon damals 1921 entsprechend<br />
der wissenschaftlichen Erkenntnisse großen<br />
Wert auf energetische Bauweisen),<br />
sowie der neuen Konstruktionsmethoden<br />
in Eisenbeton und Holz in den Unterricht<br />
aufgenommen. Es gab auch ethnische<br />
Vorträge und eine Schülerbibliothek mit<br />
über 500 Bänden. Besonders beachtenswert<br />
waren die Sammlungen in dieser<br />
Schule. Dazu gehörten unter anderem:<br />
1. der neu eingerichtete Baustoffprüfungsraum<br />
mit den wichtigsten neuzeitlichen<br />
Prüfungsapparaten<br />
2. die Sammlung für neuzeitliche Baustoffe<br />
und Bauweisen<br />
3. die Sammlung von Aufnahmen alter<br />
Bauweisen<br />
4. die Sammlung für Wärmewirtschaft<br />
und Hausinstallation<br />
5. die Sammlung von Zeichnungen und<br />
Heften aller Klassen, verbunden mit einer<br />
Dauerausstellung, die jederzeit einen<br />
Überblick über die Leistungen der Schule<br />
gibt.<br />
Um den Unterricht in der Baugewerk- als<br />
auch in der Maschinenbauschule so praxisnah<br />
wie möglich zu gestalten, gab es<br />
eine Vielzahl vorbildlich ausgestatteter<br />
Labore und Werkstätten. Auch dafür gab<br />
es u.a. vom Waggonbau und dem Eisenhandel<br />
Ephraim Spenden.<br />
Für die Ausstattung der Baugewerkschule<br />
gab der preußische Staat erhebliche<br />
Mittel aus, und die Stadt Görlitz selbst<br />
beteiligte sich an der Unterhaltung der<br />
Schule mit jährlich 12.000,-RM. Ebenso<br />
trugen viele Firmen und Fachverbände<br />
mit Spenden für die Schule bei. Dies betraf<br />
insbesondere Modelle, Musterstücke,<br />
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Geschichte<br />
31
Königliche Baugewerkschule –<br />
Material für den Modellierunterricht<br />
und<br />
anderes.<br />
Die Technische Nothilfe<br />
(TENO)<br />
An dieser Schule<br />
wurde die Arbeitsgemeinschaft<br />
Technische<br />
Nothilfe gegründet.<br />
Die Schüler<br />
verpflichteten sich,<br />
freiwillig bei Notfällen<br />
zur Verfügung zu<br />
stehen. Diese ist dem Landesunterbezirk<br />
Görlitz angegliedert und dem Reichsministerium<br />
unterstellt. Diese Einrichtung<br />
kann durchaus als Vorgänger des heutigen<br />
Technischen Hilfswerkes betrachtet<br />
werden.<br />
Die Schule hatte zuletzt im Herbst 1927<br />
bei einem großen Streik in der Grube<br />
Stadt Görlitz in Kohlfurt Gelegenheit, ihre<br />
Tatbereitschaft zum Wohle der Allgemeinheit<br />
zu bezeugen.<br />
In der Görlitzer Volkszeitung vom<br />
21.10.1927 befindet sich ein Artikel mit<br />
dem Titel „Bergarbeiterstreik und „Teno“<br />
Ausschnitt aus Vereinigte Görlitzer Nachrichten und Niederschlesische<br />
Zeitung vom 7.7.1929 aus Anlass 35 Jahre Baugewerkschule Görlitz<br />
in der Grube Stadt Görlitz“. Nach dem<br />
Bericht wurde das „Teno“ (Technische<br />
Nothilfe) in der Baugewerkschule beim<br />
Streik in der Grube Stadt Görlitz eingesetzt.<br />
Auch Schüler des Gymnasiums<br />
wurden während des Streiks in der Grube<br />
Stadt Görlitz eingesetzt und dazu umgehend<br />
vom Unterricht freigestellt. Sie<br />
waren also im Auftrage der Stadt Görlitz<br />
und mit Zustimmung des Regierungspräsidenten<br />
Streikbrecher. Im obigen Artikel<br />
der Volkszeitung steht unter anderem:<br />
„Jetzt gibt es für die Schüler der Baugewerkschule<br />
und die Gymnasiasten Ar-<br />
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32<br />
Geschichte
Baugewerk<br />
und Königliche Maschinenbauschule Görlitz<br />
beitsbekleidung, neue Stiefel, gute Verpflegung<br />
und anständigen Lohn, und dies<br />
für mangelhafte und geringe Arbeitsleistung<br />
und angerichtete Betriebsschäden.<br />
Warum? Nur um den Bergarbeitern ein<br />
paar Pfennige Lohnerhöhung nicht zu<br />
gewähren. Stattdessen kommen zu den<br />
doppelt und dreifach erhöhten <strong>Ausgabe</strong>n<br />
Schäden an den Betriebseinrichtungen,<br />
die unter Umständen die Stadt Tausende<br />
von Reichsmark kosten können.“<br />
Das Verwerfliche daran war, dass die<br />
Gymnasiasten und die Schüler der Baugewerkschule<br />
mehr Lohn als die gut ausgebildeten<br />
Bergleute erhielten. Der Bergarbeiterstreik<br />
in Mitteldeutschland, an dem<br />
sich 70.000 Bergarbeiter beteiligten, endete<br />
mit Schiedsspruch vom 21.10.1927<br />
positiv für die Beschäftigten (Volkszeitung<br />
vom 23.10. und 27.10.1927).<br />
Bis 1924 besuchten 8085 Schüler die<br />
Schule. Das Schulgeld betrug pro Semester<br />
40,- bis 80,- RM.<br />
Im Jahre 1923 wurde ein „Verein ehemaliger<br />
Schüler und Fachfreunde“ der<br />
Baugewerk- und Maschinenbauschule<br />
gegründet. Diesem Verein ist es auch zu<br />
danken, dass durch Spenden und Stiftungen<br />
bedürftigen Schülern das Schulgeld<br />
erlassen und bei der Stellenvermittlung<br />
nach erfolgreichem Schulbesuch geholfen<br />
werden konnte. Hatte doch ein nicht<br />
geringer Teil ehemaliger Absolventen leitende<br />
Stellen in Wirtschaft und Verwaltung<br />
einnehmen können.<br />
Leider gibt es über den weiteren Verlauf<br />
der Schule weder in der Oberlausitzischen<br />
Bibliothek noch im Ratsarchiv weiterführende<br />
Unterlagen.<br />
Das letzte Dokument ist die 40jährige Jubelfeier<br />
aus dem Jahre 1934, und dann<br />
gibt es eine Festschrift, in der alle Studenten<br />
von 1900 bis 1937 namentlich<br />
angeführt sind und wo sie nach dem<br />
Studium tätig wurden.<br />
Der bekannte Görlitzer Architekt Professor<br />
und Oberlehrer Hugo Behr war<br />
ebenfalls vom 1.4.1890 bis 1.4.1908 als<br />
Lehrer an dieser Einrichtung tätig. Von<br />
ihm stammen unter anderen solche hervorragende<br />
Bauwerke wie die Oberlausitzer<br />
Gedenkhalle und die Rothenburger<br />
Versicherung (jetzt Hochschule Zittau/<br />
Görlitz).<br />
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Geschichte<br />
33
Königliche Baugewerkschule<br />
Über das einzige Dokument, was die<br />
Gründung der Staatlichen Maschinenbauschule<br />
im Jahre 1898 benennt, las man<br />
im Neuen Lausitzischen Magazin, Heft<br />
11/2011: Schenkung an das kulturhistorische<br />
Museum Görlitz unter der Inv. Nr.<br />
1523-2011 aus Dokumente des Görlitzer<br />
Gesangvereins, des Görlitzer Volkschores<br />
und der staatlichen Maschinenbauschule<br />
Görlitz.<br />
Da der Stadt Görlitz durch die Grenzfestlegung<br />
nach dem 2. Weltkrieg diese<br />
Bildungseinrichtung nicht mehr zur Verfügung<br />
stand, wurde im Jahre 1952 im<br />
Gebäude der ehemaligen Rothenburger<br />
Versicherung an der Brückenstraße die<br />
Ingenieurschule für Bauwesen neu eingerichtet.<br />
Diese Einrichtung bestand bis<br />
1956. Die Baufachschüler wurden danach<br />
auf andere Schulen umverteilt. Alsdann<br />
wurde in dieser Einrichtung die Ingenieurschule<br />
für Maschinenbau etabliert.<br />
(Fortsetzung folgt)<br />
Wolfgang Stiller<br />
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Redaktionsschluss: 20. <strong>Januar</strong> <strong>2013</strong><br />
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