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Merano Magazine 01 2014

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„Früher“, sagt<br />

Alois Zöschg,<br />

„früher war<br />

die Arbeit<br />

viel strenger.“<br />

„Früher“, sagt Alois Zöschg, „früher war<br />

die Arbeit viel strenger.“ „Heute ist es<br />

viel besser!“ Der dies behauptet, muss es<br />

wissen: Alois Zöschg ist 1926 geboren,<br />

„hier auf dem Hof in der Kammer“, wie er<br />

sagt. Wenn er von früher erzählt, bekommen<br />

seine lebhaften Augen im wettergegerbten<br />

Gesicht ein eigentümliches<br />

Leuchten. Damals gab es keinen Strom,<br />

kein fließendes Wasser und im Winter einen<br />

einzigen geheizten Raum: die Stube.<br />

Drei Generationen sitzen jetzt hier in der<br />

Stube am großen Holztisch im Herrgottswinkel.<br />

Alois, der alte Bauer, seine Frau<br />

Elisabeth, Sohn Josef und der zwölfjährige<br />

Enkel Tobias. Das Gespräch geht um den<br />

Alltag auf einem Bauernhof. Zwanglos<br />

gleitet es hin und her zwischen einst und<br />

jetzt.<br />

Innergrub liegt auf 1600 Höhenmetern<br />

in St. Nikolaus im hinteren Ultental, achtzig<br />

Hektar Grund gehören dazu mit dem<br />

Hochwald und den Almweiden. Ein stattliches<br />

Anwesen, das seine Bewohner gut<br />

ernähren konnte. „Hunger haben wir nie<br />

gelitten!“, betont der alte Bauer. Heute<br />

kann man einigermaßen vom Hof leben,<br />

„ohne große Sprünge zu machen, aber es<br />

geht.“, sagt Sohn Josef. Mit den 18 Stück<br />

Großvieheinheiten komme man halbwegs<br />

durch und wenn man die Wiesen<br />

naturnah und ohne chemische Düngung<br />

bewirtschafte, seien auch die Milcherträge<br />

und die EU-Beiträge entsprechend einträglicher.<br />

Längst hat die große Welt Einzug<br />

gehalten in diesen kleinen Kosmos,<br />

wo man einmal bis auf ganz wenige Dinge<br />

alles Lebensnotwendige selbst herzustellen<br />

imstande war. Und doch schwingt<br />

etwas Archaisches, Atavisches, das wie<br />

ein mythisches Fluidum den Raum beherrscht.<br />

Der Blick schweift durch den Raum,<br />

bleibt hängen an einer alten Standuhr im<br />

Holzgehäuse, deren leises Ticken wie<br />

Sand in die Gesprächspausen rinnt. Die<br />

Zeit fließt anders hier. Ausgetreten die<br />

Bodenbretter des Stubenbodens, auf<br />

dem mit Enkel Tobias die fünfte Generation<br />

darüber geht. Der Blick bleibt hängen an<br />

der Wand mit den vielen Bildern. Bilder<br />

von Abschied und Wiederkehr, Bilder, die<br />

den anderen, eigenen Rhythmus der Zeit<br />

erahnen lassen. Hochzeitsbilder, wenige;<br />

Sterbebilder, viele. Bilder als Lehrstück<br />

vom mahlenden Räderwerk der Geschichte,<br />

das die Menschen aus diesem<br />

entlegenen Winkel mitriss hinaus in die<br />

große Welt. Ein Großonkel ist da in Kaiserjägeruniform.<br />

„Der ist 1915 nach seinem<br />

Fronturlaub nach dem Abschied unten<br />

am Wald umgekehrt und noch einmal<br />

heraufgekommen!“, weiß Altbauer Alois,<br />

„er hat den Eltern noch einmal die Hand<br />

geschüttelt und gesagt: ’I kimm niamer!’“<br />

Er hatte seinen Tod vorausgeahnt: Seit<br />

Mai 1915 ist er in Galizien, der großen<br />

Schlachtbank Altösterreichs, vermisst. Da<br />

sind Bilder des Weggehens vor allem.<br />

Das Sterbebild von „Bruder Alois“, dem<br />

Benediktinerbruder, der nach dem Krieg<br />

ins Kloster Marienberg eintrat – sein leiblicher<br />

Bruder Nikolaus lebt über neunzigjährig<br />

immer noch dort – und einmal im<br />

Jahr im Sommer seinen Bruder auf dem<br />

Hof für zwei Wochen besuchte. Er tat dies<br />

bis zur Jahrtausendwende, wie es die<br />

Menschen in den Bergen immer taten: zu<br />

Fuß über alte Übergänge, von Latsch im<br />

Vinschgau über St. Medardus hinauf aufs<br />

Niederjöchl und herüber ins Ultental.<br />

Einen Tag war er dafür unterwegs. „Man<br />

braucht heute nicht mehr soviel zu Fuß zu<br />

gehen“, mischt sich Großmutter Elisabeth<br />

ein, „wir mussten anderthalb Stunden<br />

zur Kirche und zur Schule!“ Das ist<br />

vorbei. Enkel Tobias wird um 6:45 Uhr<br />

vom Schulbus abgeholt, „ist schon fein“,<br />

meint er. Übrigens hängt irgendwo an<br />

der Bilderwand ein Autoschlüssel und in<br />

der „Labe“, dem Mittelgang, prangt das<br />

gerahmte Bild eines grasgrünen VW-Käfers.<br />

Man ist mobil, seit es die asphaltierte<br />

Straße gibt. Man kommt hinaus in die<br />

Welt, und das nicht mehr, weil man zum<br />

Militärdienst muss wie Josef, den es ins<br />

20 www.meranomagazine.com

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