VDP-BV Leseproben

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Vernehmungen - Leseprobe

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In der Praxis der Strafverfolgung führen Polizeibeamte regelmäßig eigenverantwortlich Vernehmungen von Zeugen und Beschuldigten im Ermittlungsverfahren durch. Die Vernehmung selbst ist ein höchst vielschichtiger Vorgang, der beim Vernehmenden psychologische, kriminalistische und juristische Fachkenntnisse erfordert. Wie man polizeiliche Vernehmungen professionell und erfolgreich meistert, zeigt dieses Buch in verständlicher Weise auf. Jedes Kapitel ist in sich eigenständig gehalten und informiert umfassend zum jeweiligen Themenkomplex.

Nullhypothese BEWERTUNG

Nullhypothese BEWERTUNG VON ZEUGENAUSSAGEN Zuverlässig 50 % 75 % Irrtum Lüge gutgläubig bösgläubig 25 % Übersicht: Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen Die „Lügenquote“ bei Beschuldigtenvernehmungen dürfte demgegenüber allerdings deutlich höher liegen. 1.5 Unglaubhaftigkeits- bzw. Nullhypothese, Realkennzeichen und Warnhinweise Die Bewertung einer Aussage und die Beurteilung ihres Wahrheitsgehaltes bereitet regelmäßig Schwierigkeiten, die ihre Grundlage auch darin haben, dass gedanklich ein falscher Ansatz gewählt wird. 15 Beispiele: Die Äußerung, es gebe keine Anhaltspunkte dafür, an der Aussage zu zweifeln, verdeutlicht den unzutreffenden Gedankengang ebenso wie die Frage, wie man die Lüge enttarnen kann. Aus der jüngeren Rechtsprechung sei der Haftrichter im sog. Kachelmannverfahren zitiert, der – so eine Veröffentlichung 16 – im Hinblick auf die Angaben der geschädigten Zeugin gesagt haben soll, dass er davon ausgehe, „dass jemand der einen anderen einer Straftat bezichtigt, wahrheitsgemäße Angaben macht.“ 41 42 1.5.1 Nullhypothese Die höchstrichterliche Rechtsprechung vertritt entgegen den gerade genannten Beispielen die sog. Nullhypothese. 43 15 Strafrechtliche Rechtsprechung und Literatur zur Vertiefung der Nullhypothese/Realkennzeichen: LG Neuruppin, Urt. v. 16.10.2019 – 12 KLs 2/19; BGH, Beschl. v. 10.04.2019 – 2 StR 338/18; LG Halle, Urt. v. 25.01.2019 – 14 KLs 472 Js 24725/16 (15/17); LG Neuruppin, Urt. v. 10.01.2020 – 13 KLs 7/19; LG Schwerin, Urt. v. 08.04.2019 – 126 Js 14643/18; OLG Brandenburg, Beschl. v. 25.11.2019 – (1) 53 Ss 104–19 (72-19); LG Darmstadt, Urt. v. 12.09.2019 – 2 KLs 200 Js 34910/18; BGH, Urt. v. 22.05.2019 – 5 StR 36/19; LG Potsdam, Urt. v. 05.04.2019 – 23 KLs 20/18; BGH, Beschl. v. 03.05.2019 – 3 StR 462/18; BGH, Urt. v. 08.01.2020 – 5 StR 535/19; Miebach, NStZ-RR 2018, 36 ff.; ders., NStZ 2020, 72 ff.; Kloke, NStZ 2019, 374 ff. 16 Die Zeit vom 24.2.2011, Wochenschau, 18: Zwei blaue Flecke und ein Nullbefund. 41

Vernehmungen im Kontext von menschlicher Erinnerung, Irrtum und Lüge 44 45 Praxistipp: Der BGH hat in seiner grundlegenden Entscheidung zur Beurteilung der Glaubhaftigkeit einer Aussage aus dem Jahre 1999 eindeutig und überzeugend dargelegt, dass bei jeder Aussage davon ausgegangen werden muss, dass sie falsch ist und ausgehend von dieser Prämisse positive Realkennzeichen vorliegen müssen. 17 Zustimmung verdient daher im Grundsatz eine Entscheidung des OLG Nürnberg: „Dabei musste die Kammer davon ausgehen, dass nach der so genannten Nullhypothese des BGH ... jede Aussage so lange als unwahr gilt, bis diese Vermutung sich angesichts der Zahl und der Qualität der Realitätskriterien in der Aussage nicht mehr aufrecht erhalten lässt. Auch wenn sie – ebenso vertretbar – als gleich wahrscheinlich unterstellt haben sollte, dass die Zeugin lügt oder die Wahrheit sagt ..., brauchte sie eindeutige und qualitativ belastbare Realitätskriterien, um diese Hypothese der neutralen Anfangswahrscheinlichkeit zu widerlegen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des BVerfG zur „Aussage-gegen-Aussage-Konstellation“ hat das Tatgericht die Gründe, die für und gegen eine mögliche Täterschaft sprechen, aufzuklären, wahrzunehmen und zu erwägen, damit die Entscheidung einen rationalen Charakter und eine tragfähige Grundlage für den Schuldspruch vorweisen kann ... .“ 18 Inhalt gedanklicher Ansatz richtig „landläufiger Ansatz“ (100 %) Aussage falsch REALKENNZEICHEN ... „neutrale Anfangswahrscheinlichkeit“ (50 % zu 50 %) Nullhypothese des BGH (0 %) Übersicht: Bewertung von Aussagen 17 BGHSt 45, 164 ff. 18 NJW 2010, 3793 ff. 42