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Beschaffung aktuell 01-02.2024

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» MANAGEMENT Purchasing Manager Index (PMI) für Chinas Industrie Bild: National Bureau of Statistics of China Haushalte leidet. In China basieren laut Financial Times nur 37 Prozent des Bruttoinlandsprodukts auf konsumtiver Nachfrage verglichen mit 68 Prozent in den USA. Beim erforderlichen Umbau des chinesischen Wirtschaftsmodells käme es zudem auch auf eine Stärkung der privaten betriebswirtschaftlich durchgerechneten Investitionen an. Diese müssen an die Stelle der zu oft wirtschaftlich nicht sinnvollen und unsolide finanzierten Bauprojekte der Lokalregierungen treten. In der Tat wurde Chinas Betonsucht zu einer schweren Krankheit für das Land. Die Lokalregierungen haben für ihre überdimensionierten Bauprojekte, die in zwischen zu erheblichen Leerständen geführt haben, Billionen an Schulden angehäuft, nur um die Zielsetzung der von Zentralregierung geforderten Wachstumszahlen zu erreichen. Derjenige, der die Gunst der Kommunistischen Partei erheischen konnte, erhielt auch Geld. Wirtschaftliche Kalküle spielten dabei – wenn überhaupt – nur eine nachgeordnete Rolle, und vor allem fehlte bei den Entscheidungsträgern die Einsicht, dass Kapital in jeder Wirtschaft auch in der chinesischen ein knappes Gut ist und effizient eingesetzt werden muss. Im Herbst 2023 ist zudem deutlich geworden, dass auch viele chinesische Immobilienkonzerne und Projektentwickler mit unvorstellbar hohen Schulden belastet sind. Dies bringt die chinesischen Banken und vor allem die in die Projektfinanzierung involvierten Schattenbanken in die Bredouille. Der Schattenbanksektor ist ein wichtiger Bestandteil der chinesischen Finanzbranche und wird auf insgesamt rund drei Billionen US$ taxiert. Bei nicht wenigen Schattenbanken so etwa Zhongzhi überschreiten die Verbindlichkeiten die immer weiter schrumpfenden Vermögenswerte sehr deutlich. Hier liegt Insolvenz wegen Überschuldung vor. Chinas Bevölkerung altert und schrumpft Neben der Immobilienkrise ist Chinas schrumpfende und alternde Bevölkerung ein großes Problem, das zum strukturellen Nachfragedefizit beiträgt. Das Ausmaß des Problems wird in jüngster Zeit immer deutlicher. Im Jahr 2017 lag die Fertilitätsrate bei etwa 1,6 und damit deutlich unter der Rate 2,1, die für die Erhaltung einer stabilen Bevölkerung erforderlich wäre. Nachdem Peking seine Ein-Kind- Politik abgeschafft hatte, prognostizierte die Regierung, dass die Fertilitätsrate zwischen 2020 und 2030 auf etwa 1,8 ansteigen würde. Stattdessen fiel sie im vergangenen Jahr auf 1,1 – eine der niedrigsten der Welt. Die Gründe hierfür sind nicht abschließend bekannt. Es gibt jedoch Indikationen dafür, dass die pessimistischen Zukunftserwartungen der Frauen im gebärfähigen Alter hierfür ver- antwortlich sind. Infolgedessen sank Chinas Bevölkerung im vergangenen Jahr zum ersten Mal seit den 1960er Jahren. Dieser Prozess geht weiter in den kommenden Jahren und wird das Wirtschaftswachstum belasten. In Anbetracht der hier nur kurz skizzierten Schwächen der chinesischen Wirtschaft ist abzusehen, dass die chinesische Regierung offenbar viel weniger haushaltspolitischen Spielraum für eine massive Stimulierung der Wirtschaft hat als allgemein angenommen wird. Es dürfte ihr daher ohne grundlegende strukturelle Reformen, die aber nicht kompatibel sind mit ihrer Ideologie, kaum gelingen, ihre sehr ambitionierten Vorhaben in der Industriepolitik, in der militärischen Aufrüstung und auch in der Belt-and-Road-Initiative zu finanzieren. Xi-Lingpin müsste auch ein klares Bekenntnis zur regelbasierten Globalisierung geben. Vor diesem Hintergrund sind die Wirtschaftsaussichten für die Volksrepublik China verhalten. Sollten sich unsere Unternehmen daher von China abwenden? Sicherlich nicht, denn der Markt ist zu groß, auch wenn er nicht mehr boomt. Sicher ist jedoch, dass sich die westlichen Unternehmen der zunehmenden nicht zuletzt politisch bedingten Risiken einer überproportional hohen Abhängigkeit von China auf der Absatz- und Beschaffungsseite bewusst sein müssen und ihre in der 30 Beschaffung aktuell » 1-2 | 2024

Im Jahr 2022 waren rund 17,2 Prozent der Bevölkerung Chinas zwischen 0 und 14 Jahre alt, rund 69 Prozent zwischen 15 und 64 Jahre und rund 13,7 Prozent 65 Jahre und älter. Quelle: Statista 2023 Vergangenheit erfolgreichen China-Strategien überdenken müssen. China bleibt ein unverzichtbarer aber tendenziell schwierigerer Wirtschaftspartner. De-Coupling von China oder eher De-Risking? In ihrem Monatsbericht Oktober 2023 sieht die deutsche Bundesbank die Abhängigkeit der deutschen Industrie von Vorleistungsgütern aus China Sorge. „Angesichts steigender geopolitischer Spannungen und damit verbundener Risiken ist es für Unternehmen und Politik geboten, die gewachsene Struktur der Lieferketten und die weitere Ausweitung des Direktinvestitionsengagements in China zu überdenken“, heißt es. Nach einer Umfrage der Notenbank sind fast die Hälfte aller Industriefirmen bei der Produktion auf Vorprodukte aus China angewiesen. Dies gilt insbesondere für die umsatzstärkeren Unternehmen. Ein plötzliches De- Coupling (Entflechtung) von China wäre zumindest kurz- und mittelfristig mit weitreichenden Disruptionen der Lieferketten und der Produktion in Deutschland verbunden. Dies kommt für unsere Industrieunternehmen daher nicht infrage. Laut Bundesbank haben rund zwei Fünftel der Industriefirmen, die 2022 oder 2023 wichtige Importe aus China bezogen, bereits Schritte eingeleitet, um den Bezug von chinesischen Vorprodukten oder Vorleistungen zu verringern. Bei sehr schwierig zu ersetzenden Vorprodukten z. B. seltenen Erden stehe aber ein Abbau der Abhängigkeiten noch aus. Rund achtzig Prozent der von der Bundesbank befragten Industriekonzerne, die unverzichtbare Vorprodukte aus China bezogen, halten einen Ersatz durch Produkte aus anderen Ländern für schwierig bis sehr schwierig. Industrieunternehmen, die die Ausweichmöglichkeiten als sehr gering einstufen, stehen für knapp ein Viertel des Umsatzes in der deutschen Industrie. In der deutschen Wirtschaft wird vor diesem Hintergrund ein De-Coupling von chinesischen Lieferquellen als unrealistisch angesehen, stattdessen kann es nur um ein De-Risking durch stärkere Diversifizierung der Lieferketten gehen. Hieran wird von den Einkaufsstrategen intensiv gearbeitet. Indien und die südostasiatischen Staaten werden in diesem Zusammenhang zu immer wichtigeren Lieferquellen. De-Risking kann aber in der derzeitigen Gemengelage geopolitischer und wirtschaftlicher Strategien nicht ohne die Politik gelingen, die dabei aber auch berücksichtigen sollte, das China in Anbetracht des strukturellen Nachfragedefizits auch ohne massive Exporte in den Westen nicht auskommt. Die Politik muss regionale Freihandelsabkommen vereinbaren, um die Abhängigkeit von einzelnen Ländern zu verringern. Diese würden es für Einkaufsstrategen in den Unternehmen leichter machen, ihre Bezugsquellen breiter aufzustellen. „So können die Unternehmen Abhängigkeiten von der Politik einzelner Staaten und das Risiko großflächiger Störungen von Lieferketten verringern“, schreibt die Bundesbank. Im heutigen Umfeld ist die Politik mehr denn je gefordert, die aktuellen geopolitischen Risiken besser zu managen und den Unternehmen dadurch eine hinreichende Planungssicherheit zu geben. Mit der Diversifizierung der Lieferketten geht es nicht um eine Deglobalisierung, sondern um eine resilientere Globalisierung. Und darauf kommt es heute mehr denn je an. Prof. Dr. Robert Fieten wissenschaftlicher Berater der Beschaffung aktuell, Köln Beschaffung aktuell » 1-2 | 2024 31

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