Beschaffung aktuell 01-02.2024
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Ausgabe 1-2 | 2024<br />
www.beschaffung-<strong>aktuell</strong>.de<br />
Einkauf<br />
Materialwirtschaft<br />
Logistik<br />
Interview<br />
Einkaufspraxis<br />
Globale Lieferantensuche auf<br />
Knopfdruck<br />
» Seite 32<br />
Intelligenz<br />
Altana Empower vernetzt<br />
Einkaufswelten<br />
» Seite 14<br />
Kostenanalyse<br />
Die neue Ökonomie<br />
der <strong>Beschaffung</strong><br />
» Seite 21<br />
Jörg Hülsmann, CPO,<br />
Kaeser Kompressoren<br />
» Seite 24<br />
Erweitern der<br />
Fördertechnik<br />
in Spitzenzeiten<br />
» Seite 46<br />
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2 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
» EDITORIAL<br />
Mit den Aufgaben wachsen<br />
Zunächst hoffe ich, dass Sie gut in das neue Jahr gestartet sind. Wir von <strong>Beschaffung</strong><br />
<strong>aktuell</strong> wünschen Ihnen vor allem Gesundheit und viel Erfolg für die kommenden Aufgaben<br />
und Herausforderungen im Einkauf.<br />
In dieser Ausgabe erwarten Sie wieder spannende Themen. So werden beispielsweise<br />
im Jahr 2024 die Gesetzgebungen zur Sorgfaltspflicht in Lieferketten, zur Berichterstattung<br />
und Nachhaltigkeit weiter ausgebaut. Am 1. Januar 2024 ging das deutsche<br />
Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG) in die zweite Runde der Umsetzung. Ab<br />
sofort sind nicht mehr nur Unternehmen ab 3000, sondern schon ab 1000 Mitarbeiten -<br />
den verpflichtet, menschenrechtliche und umweltbezogene Sorgfaltspflichten in ihrer<br />
Lieferkette zu beachten. Außerdem wirft die EU-Richtlinie Corporate Sustainability<br />
Reporting Directive (CSRD) ihre Schatten voraus. Mehr dazu und wie ESG-Risiken digital<br />
zu managen sind, lesen Sie in unserem Beitrag auf Seite 18.<br />
Wenn wir schon bei den Lieferketten sind: Mit Sigreen stellt Siemens ein Softwaretool<br />
bereit, mit dem CO 2 -Emissionswerte entlang der Lieferkette managebar werden. Als<br />
Erfinder von Sigreen erläutert Dr. Gunter Beitinger im Interview mit <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong><br />
ab Seite 38, was das Softwaretool <strong>aktuell</strong> so „einzigartig“ macht und warum sich der<br />
Einsatz lohnt.<br />
Es vergeht kein Tag, an welchem einen das Thema Elektromobilität nicht begegnet. In<br />
unserem Beitrag ab Seite 42 beleuchten wir, wie es um die Versorgungssicherheit für<br />
Komponenten für die Elektromobilität bestellt ist und warum stabile Lieferketten eine<br />
wirkliche Herausforderung sind.<br />
Sie sehen, die Aufgaben und Herausforderungen im Einkauf werden nicht weniger<br />
beziehungsweise kleiner. Es braucht eine agile und vorausschauende Herangehensweise,<br />
um Risiken zu minimieren und gleichzeitig Chancen für Effizienzsteigerungen und langfristige<br />
Wettbewerbsfähigkeit zu nutzen. Ich wünsche Ihnen dabei für 2024 ein gutes<br />
Händchen und viel Erfolg. Wir werden Sie wie gewohnt mit den wichtigsten Informationen<br />
versorgen.<br />
Zu guter Letzt habe ich noch eine Ankündigung in eigener Sache: Im Laufe des<br />
Januars wird die erste Folge unseres Podcast „Einkaufssache“ an den Start gehen. Zu<br />
Beginn starten wir mit dem anspruchsvollen Thema<br />
Obsoleszenzmanagement im Einkauf. Sie finden<br />
„Einkaufssache “ auf allen gängigen Plattformen, wo es<br />
Podcasts gibt. Der Podcast soll künftig monatlich<br />
erscheinen . Hören Sie rein und geben mir gern Feedback<br />
per E-Mail.<br />
Alexander Gölz<br />
Chefredakteur <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong><br />
alexander.goelz@konradin.de<br />
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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 3
» INHALT 1-2 | 2024 70. JAHRGANG<br />
Erweitern der<br />
Fördertechnik<br />
in Spitzenzeiten<br />
Titelbild: Haro<br />
Mit der Möglichkeit zur flexiblen Erweiterung der Förderanlagen profitiert<br />
Caratgas vom Haro-Baukastensystem.<br />
» Seite 46<br />
MAGAZIN<br />
Silizium: Hohe Marktkonzentration in China 6<br />
Das Potenzial des PPA-Marktes 7<br />
Wirtschaftsindices 8<br />
Ersatzteilmanagement mit 3D-Druck auf Abruf 10<br />
Dienstleister planen Honorarerhöhungen 11<br />
Ausblick 2024<br />
„Nachfrage nach sauberem Schrott<br />
wird stark ansteigen“ 12<br />
MANAGEMENT<br />
Dezentrale Daten, zentrale Intelligenz<br />
Altana vernetzt Einkaufswelten 14<br />
Risiken als Chance erkennen<br />
ESG-Risiken digital managen und meistern 18<br />
Transformation des Einkaufs<br />
Die neue Ökonomie der <strong>Beschaffung</strong> 21<br />
Jörg Hülsmann, CPO, Kaeser Kompressoren<br />
„In der <strong>Beschaffung</strong> wurden Helden gemacht“ 24<br />
China als Wirtschaftspartner<br />
Strategien im Umgang mit China : Zukunftsaussichten 28<br />
Einkaufspraxis bei DMG Mori<br />
Globale Lieferantensuche auf Knopfdruck 32<br />
Die Zukunft beginnt 2024<br />
Einkauf 2030: Perspektiven und Impulse 35<br />
CO 2<br />
-Emissionswerte<br />
„Verantwortung für die eigene<br />
Lieferkette übernehmen“ 38<br />
Elektromobilität<br />
Warum stabile Lieferketten<br />
eine Herausforderung sind 42<br />
eRechnung für alle<br />
Elektronische Rechnung wird Pflicht 44<br />
INTRALOGISTIK<br />
TITEL<br />
Baukastensystem für die Fördertechnik<br />
In Spitzenzeiten flexibel erweitern 46<br />
Gesteigerte Effizienz in der Auftragsabwicklung<br />
Hunderte AMR transportieren Paletten und Behälter 49<br />
Forschungsprojekt<br />
Autonome Outdoor-Stapler<br />
setzen auf Schwarmintelligenz 50<br />
C-Teile-Versorgung<br />
Systeme lösen Bestellung selbst aus 52<br />
4 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Bild: Kaeser<br />
Jörg Hülsmann hat als CPO in den vergangenen Jahren die Einkaufs strategie<br />
bei Kaeser Kompressoren bestimmt.<br />
» Seite 24<br />
Um zu verstehen, was für das neue <strong>Beschaffung</strong>sjahr relevant sein wird,<br />
lohnt sich ein Blick auf die Entwicklungen im Energiemarkt seit 2020.<br />
» Seite 54<br />
Bild: amnaj/stock.adobe.com<br />
ENERGIE<br />
Energieeinkauf im Jahr 2024<br />
Der Energiemarkt nach der Krise 54<br />
Energieeffizienz-Index des EEP: Wintererhebung 2023<br />
Das Energieeffizienzgesetz pusht die Transformation 56<br />
BME<br />
1. Deutscher Lieferkettentag in Berlin<br />
Bürokratie abbauen – Digitalisierung vorantreiben 60<br />
(v.l.) Jörg Mahn, Chief Sourcing Officer, Stefan Franke, Head of Procurement<br />
Excellence, und Timo Scheller, Senior Project Manager Procurement Excellence,<br />
setzen bei Altana auf moderne Einkaufsentscheidungen mit Datenpower.<br />
» Seite 14<br />
Bild: Altana<br />
KARRIERE<br />
Buchrezension<br />
Elon Musk – Unternehmer<br />
zwischen Genie und Wahnsinn 61<br />
Buchempfehlungen 62<br />
Strategien und Taktiken für Fortgeschrittene<br />
Einkaufsverhandlungen in den BRICS-Staaten 63<br />
RUBRIKEN<br />
Editorial 3<br />
Partner des Einkaufs 58<br />
Inserentenverzeichnis, Vorschau, Impressum 62<br />
Meinung<br />
Deutschland 2024: Über die Fitness des Champions 66<br />
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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 5
» MAGAZIN<br />
Weltweite Produktionskapazitäten übersteigen die Nachfrage deutlich<br />
Silizium: Hohe Marktkonzentration in China<br />
Die Nachfrage nach Silizium und Polysilizium<br />
für die Solar- und Halbleiterindustrie<br />
steigt rasant. Allerdings wächst das Angebot<br />
vor allem aus China noch wesentlich<br />
schneller. Die Folge sind weiterhin niedrige<br />
Preise und eine steigende Marktmacht<br />
Chinas bei diesen Rohstoffen. Das ist das<br />
Ergebnis einer neuen Studie der Deutschen<br />
Rohstoffagentur (DERA) in der Bundesanstalt<br />
für Geowissenschaften und<br />
Rohstoffe (BGR). „China bereitet sich auf<br />
eine weiter stark wachsende weltweite<br />
Nachfrage nach Solarmodulen vor und investiert<br />
daher bereits Milliarden auch in<br />
die vorgelagerte Silizium- und Polysiliziumproduktion“,<br />
erläutert Dr. Harald Elsner,<br />
Hauptautor der Studie. Schon heute übersteigen<br />
die weltweiten Kapazitäten die<br />
Nachfrage nach Silizium deutlich – mit<br />
steigender Tendenz. Bis Ende 2027 nehmen<br />
die Produktionskapazitäten laut der<br />
Untersuchung um weitere 66 Prozent zu.<br />
Demgegenüber wächst die weltweite<br />
Nachfrage nur um 37 %. Noch gravierender<br />
sieht es bei Polysilizium aus: Kapazitätserweiterungen<br />
von 437 % stehen einer<br />
Nachfragesteigerung von 107 % gegenüber.<br />
Die Folgen werden weiterhin sehr<br />
niedrige Preise für Silizium und Polysilizi-<br />
82 % der weltweiten Solarmodule werden derzeit in China gefertigt.<br />
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um auf den globalen Märkten und damit<br />
auch für Solarzellen und -module sein.<br />
Am stärksten wachsen derzeit die Märkte<br />
für Halbleitersilizium und insbesondere<br />
für Solarsilizium, die beide Polysilizium<br />
als Ausgangsrohstoff benötigen. Polysilizium<br />
ist ein auf chemischem Wege hoch<br />
aufgereinigtes Silizium. Solarsilizium<br />
steht am Anfang der weiteren Wertschöpfungskette<br />
in der Photovoltaikindustrie,<br />
die über die Herstellung von Siliziumbarren<br />
(Ingots) über Siliziumwafer zu<br />
Solarzellen und letztlich zu Solarmodulen<br />
führt. Rund 97 % aller Barren und Wafer,<br />
78 % der Solarzellen und 82 % der Solarmodule<br />
weltweit werden derzeit in China<br />
gefertigt. Bei den benötigten Ausgangsrohstoffen<br />
Polysilizium bzw. Silizium liegen<br />
die chinesischen Marktanteile bei<br />
83 % bzw. 75 %. (ys)<br />
Bild: dusanpetkovic1/stock.adobe.com<br />
Ein Viertel misst seinen ökologischen Fußabdruck<br />
Kompensation und Vermeidung von CO 2 -Emissionen<br />
42 Prozent der Unternehmen in Deutschland<br />
kompensieren CO 2 -Emissionen, vor<br />
einem Jahr waren es 35 Prozent und 2020<br />
erst 28 Prozent. Das ist das Ergebnis einer<br />
Befragung, die im Auftrag des Bitkom<br />
durchgeführt wurde. Weitere 29 Prozent<br />
planen demnach, künftig CO 2 -Emissionen<br />
zu kompensieren. 20 Prozent können sich<br />
dies zumindest perspektivisch vorstellen.<br />
Lediglich 6 Prozent der Unternehmen<br />
schließen eine CO 2 -Kompensation <strong>aktuell</strong><br />
aus. Die CO 2 -Kompensation erfolgt in der<br />
Regel über den Onlinekauf von Ausgleichszertifikaten,<br />
die bestätigen, dass<br />
andernorts durch Klimaschutzprojekte eine<br />
entsprechende Menge CO 2 gebunden<br />
wird. Eine digitale Messung des eigenen<br />
ökologischen Fußabdrucks nimmt allerdings<br />
<strong>aktuell</strong> nur jedes vierte Unternehmen<br />
(26 %) vor. 41 Prozent planen dies<br />
jedoch konkret für die Zukunft.<br />
„Je besser die Unternehmen ihren eigenen<br />
CO 2 -Ausstoß kennen, desto besser können<br />
sie ihn senken und die verbliebenen Emissionen<br />
kompensieren. Mittlerweile gibt es<br />
viele digitale Lösungen auf dem Markt,<br />
mit denen Unternehmen ihre Emissionen<br />
ermitteln können“, sagt Bitkom-Hauptgeschäftsführer<br />
Dr. Bernhard Rohleder.<br />
Um CO 2 -Emissionen zu vermeiden und<br />
Ressourcen zu schonen, setzen die Unternehmen<br />
in Deutschland dem Digitalverband<br />
zufolge auf verschiedene Maßnahmen:<br />
62 Prozent ersetzen Dienstreisen<br />
ganz oder teilweise durch Videokonferenzen,<br />
56 Prozent verzichten weitestgehend<br />
auf Papierausdrucke. 51 Prozent der<br />
Unternehmen haben energieeffiziente<br />
Büro- Hardware angeschafft. Fast die<br />
Hälfte (45 %) beachtet Nachhaltigkeitskriterien<br />
beim Einkauf digitaler Produkte,<br />
Anwendungen und Leistungen. Ein Drittel<br />
(35 %) gestattet es den Mitarbeitenden,<br />
Dienstgeräte wie Laptops oder Smart -<br />
phones im Sinne der Nachhaltigkeit auch<br />
privat zu nutzen. 16 Prozent der befragten<br />
Unternehmen geben an, zu 100 Prozent<br />
zertifizierten Öko-Strom zu nutzen. (ys)<br />
6 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
DB-Tochter schließt Power Purchase Agreement mit MVV Trading ab<br />
PPA über 160-GWh-Solarstromlieferung abgeschlossen<br />
Blick auf den Solarpark Heudorf, einer der drei kürzlich in Betrieb genommenen Photovoltaik-Parks des MVV-Projektentwicklers Juwi.<br />
Bild: Juwi<br />
Das Mannheimer Energieunternehmen<br />
MVV und die Konzerntochter der Deutschen<br />
Bahn, die DB Energie GmbH, haben<br />
einen Bezugsvertrag zur Lieferung von<br />
rund 160 GWh Grünstrom vereinbart. Der<br />
Strom stammt aus drei Photovoltaik-Parks<br />
des MVV-konzerneigenen Projektentwicklers<br />
Juwi. Die drei Standorte in Bremelau<br />
und Heudorf (beide Baden-Württemberg)<br />
und in Röckingen (Bayern) verfügen über<br />
eine Gesamtleistung von 36,5 Megawatt-<br />
Peak. Seit dem 1. Januar 2024 liefert MVV<br />
Trading über einen Zeitraum von insgesamt<br />
vier Jahren jährlich rund 40 GWh<br />
Solarstrom aus diesen PV-Anlagen über<br />
ein Power Purchase Agreement (PPA) an<br />
die DB Energie GmbH. Power Purchase<br />
Agreements, also langfristige, individuell<br />
gestaltete Verträge über die Lieferung und<br />
Abnahme von Grünstrom, sind ein attraktives<br />
Betreibermodell für Erneuerbare-<br />
Energie-Anlagen. Die Produzenten erhalten<br />
dabei eine längerfristig festgelegte<br />
Vergütung und die Abnehmer sichern sich<br />
zertifizierten Grünstrom zu einem planbaren<br />
Preis. „PPAs werden in Zukunft eine<br />
zunehmend größere Rolle bei der langfristigen<br />
Versorgung von Unternehmen übernehmen“,<br />
sagt Dr. Thies Langmaack, Geschäftsführer<br />
der MVV Trading. (ys)<br />
Bis zu 25 Prozent des Strombedarfs 2030<br />
Das Potenzial des PPA-Marktes<br />
Rund ein Viertel des deutschen Strombedarfs<br />
im Jahr 2030 könnten über direkte<br />
Stromlieferverträge zwischen erneuerbaren<br />
Stromerzeugern und Abnehmern aus<br />
Industrie und Gewerbe realisiert werden.<br />
Zu diesem Ergebnis kommt eine Untersuchung<br />
der Deutschen Energie-Agentur<br />
Dena im Rahmen der „Marktoffensive Erneuerbare<br />
Energien“, ein Zusammenschluss<br />
von rund 40 Unternehmen.<br />
Die Analyse „Green PPAs für die Energiewendeziele<br />
2030“ zielt darauf ab, das Potenzial<br />
des PPA-Marktes und seinen möglichen<br />
Beitrag zur Beschleunigung der<br />
Energiewende innerhalb Deutschlands<br />
aufzuzeigen. Bis zum Jahr 2030 könnten<br />
demnach bis zu 192 Terrawattstunden<br />
(TWh) über PPAs finanziert werden. Das<br />
entspricht ca. 25 Prozent des gesamten<br />
prognostizierten Strombedarfs von<br />
750 TWh im Jahr 2030 in Deutschland.<br />
Insbesondere Wind Offshore sowie Photovoltaik<br />
bilden dabei die Eckpfeiler des<br />
zukünftigen PPA-Marktes. Die je nach<br />
Szenario stark variierenden Wachstumsraten<br />
weisen laut der Dena darauf hin,<br />
dass verlässliche und attraktive rechtliche<br />
sowie wirtschaftliche Marktbedingungen<br />
elementar für die weitere Entwicklung<br />
der Erneuerbaren und dieses Geschäftsmodells<br />
sind.<br />
„Die Analyse zeigt das große Potenzial des<br />
PPA-Marktes. Um es voll zu erschließen,<br />
müssen die richtigen Investitionsbedingungen<br />
geschaffen werden“, sagt Corinna<br />
Enders, Vorsitzende der Dena-Geschäftsführung.<br />
„Sinkende Gestehungskosten für<br />
erneuerbare Energien, eine steigende<br />
Nachfrage nach emissionsfreier Energieversorgung<br />
sowie die Notwendigkeit, sich<br />
gegen volatile Preise abzusichern haben<br />
einen wachsenden Markt geschaffen, der<br />
aber noch lange nicht entfaltet ist. Gerade<br />
in der <strong>aktuell</strong>en Haushaltslage kommt<br />
diesem Markt eine strategische Bedeutung<br />
zu. Auch die mittlerweile in Kraft<br />
getretene Richtlinie für den Ausbau Erneuerbarer<br />
Energien (REDIII) der EU stellt<br />
die Bedeutung des Geschäftsmodells für<br />
das Erreichen der nationalen sowie europäischen<br />
Klimaziele heraus und fordert<br />
Mitgliedsstaaten auf, entsprechende<br />
Maßnahmen zu dessen Stärkung zu unternehmen.“<br />
(ys)<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 7
» MAGAZIN<br />
Einkaufsmanagerindex für November 2023<br />
Abschwung der Industrie schwächt sich ab<br />
Der Abwärtstrend in der deutschen Industrie<br />
scheint sich abzuschwächen. Das signalisieren<br />
die von S&P Global durchgeführte<br />
Umfrage zum HCOB Einkaufsmanagerindex<br />
(EMI). Danach gingen im November<br />
sowohl die Produktion als auch<br />
die Auftragseingänge so geringfügig zurück<br />
wie seit sechs Monaten nicht mehr.<br />
Negativ schlägt allerdings zu Buche, dass<br />
die Geschäftsaussichten der Unternehmen<br />
trotz leichter Verbesserung insgesamt<br />
pessimistisch blieben. Einmal mehr<br />
spiegelte sich die vorherrschende Nachfrageflaute<br />
in rückläufigen Preisen wider,<br />
da der Wettbewerb um die wenigen Neuaufträge<br />
zu weiteren Nachlässen führte.<br />
Der EMI legte im Berichtsmonat zwar<br />
zum vierten Mal in Folge zu und notierte<br />
nach 40,8 im Oktober <strong>aktuell</strong> bei 42,6<br />
Punkten. Dennoch liegt er weiter deutlich<br />
unter der Referenzlinie von 50,0.<br />
„Der EMI wird zu einem echten Geduldsspiel.<br />
Schließlich verharrt er schon seit<br />
Juni 2022 unter der 50-Punkte-Wachstumsschwelle.<br />
Nach dem mittlerweile 18<br />
Monate anhaltenden Negativtrend stellt<br />
sich zunehmend die Frage, woher die Im-<br />
Quelle: S&P Global/BME<br />
pulse für den Aufschwung der deutschen<br />
Industrie kommen sollen“, betont BME-<br />
Hauptgeschäftsführerin Dr. Helena Melnikov.<br />
Denn auch die Weltwirtschaft<br />
schwächele weiter und belaste damit den<br />
deutschen Außenhandel. (ys)<br />
Geschäftsklimaindex Zulieferindustrie für November 2023<br />
Verbesserung auf niedrigem Niveau<br />
Das Geschäftsklima der deutschen Zulieferer verbessert sich der Arbeitsgemeinschaft Zulieferindustrie (ArGeZ) zufolge<br />
im November um 3,4 Saldenpunkten. Mit einem Wert von -12,2 Punkten bleibt die Stimmung jedoch nach wie vor<br />
schlecht. Zwar legen die saisonbereinigten Erwartungen für die kommenden sechs Monate ebenso wie die Beurteilung<br />
der <strong>aktuell</strong>en Geschäftslage zu. Dass dies jedoch ein entscheidender Impuls ist, um den Abschwung der vergangenen<br />
Monate zu durchbrechen, ist laut der ArGeZ zweifelhaft. Während die saisonbereinigte Beurteilung der Geschäftslage<br />
um 1,6 Saldenpunkte auf -2,4 zulegt, fällt das Plus bei den Erwartungen mit 5,0 Saldenpunkten höher aus. Allerdings bewegen<br />
sich letztere auf einem niedrigeren Niveau: Im November beträgt der saisonbereinigte Saldo -21,5 Punkte. (ys)<br />
Ifo-Preiserwartungen für November 2023<br />
Dienstleister und Großhandel erhöhen die Preise<br />
Etwas mehr Unternehmen in Deutschland<br />
wollen ihre Preise erhöhen. Das geht aus<br />
den Konjunkturumfragen des Ifo-Instituts<br />
hervor. Der Index der Preispläne stieg von<br />
15,4 Punkten im Oktober (saisonbereinigt<br />
korrigiert) auf 18,0 im November. Dies ist<br />
vor allem auf die unternehmensnahen<br />
Dienstleister und den Großhandel zurückzuführen.<br />
Dort stieg der Saldo von 21,5<br />
auf 28,3 Punkte. In den konsumnahen<br />
Branchen dagegen gingen die Preiserwar-<br />
tungen weiter zurück. „Damit ist die Inflation<br />
weiter auf dem Rückzug“, sagt ifo<br />
Konjunkturchef Timo Wollmershäuser.<br />
„Zwar dürfte die Inflationsrate im Dezember<br />
vorübergehend noch einmal auf etwa<br />
4 Prozent steigen. Hier kommt aber vor<br />
allem ein Basiseffekt zum Vorschein. Im<br />
Vorjahr sanken die Gaspreise im Verbraucherpreisindex<br />
kräftig, da der Staat die<br />
Kosten für den Dezember-Abschlag übernahm.<br />
Aber bereits zu Beginn des kommenden<br />
Jahres wird die Inflationsrate auf<br />
unter 3 Prozent sinken.“ Auch in der Industrie<br />
wollen weniger Unternehmen ihre<br />
Preise anheben. Dort sank der Saldo von<br />
5,8 auf 2,5 Punkte. Bei den Automobilherstellern<br />
gaben die Preiserwartungen<br />
kräftig nach: von 30,6 auf 10,2 Punkte. Im<br />
Baugewerbe hat sich der Abwärtstrend<br />
bei den Preisen etwas verlangsamt. Dort<br />
stiegen die Preiserwartungen von minus<br />
9,2 auf minus 4,8 Punkte. (ys)<br />
8 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Kiel Trade Indicator für November 2023<br />
Globaler Handel geht zurück<br />
Das jüngste Datenupdate des Kiel Trade<br />
Indicator weist für den weltweiten Handel<br />
auf einen eher durchwachsenen Handelsmonat<br />
November hin. Der Welthandel<br />
geht demnach im Vergleich zum Vormonat<br />
Oktober um 0,9 Prozent zurück (preisund<br />
saisonbereinigt). Für die EU sind die<br />
Handelszahlen sowohl bei den Exporten<br />
(+1,4 %) als auch bei den Importen<br />
(+1,1 %) leicht positiv. Für<br />
den Außenhandel Deutschlands<br />
stehen die Exporte<br />
(+0,7 %) im November leicht<br />
im Plus, die Importe (-1,1 %)<br />
im Minus. „Der deutsche Außenhandel<br />
wächst seit Ausbruch<br />
der Corona-Pandemie<br />
im Grunde nur noch, weil die<br />
Preise steigen. Inflationsbereinigt<br />
bewegen sich Exporte<br />
und Importe seit Jahren<br />
mehr oder weniger auf der<br />
Stelle“, sagt Vincent Stamer,<br />
Leiter Kiel Trade Indicator. In<br />
den USA dürften die Exporte<br />
(+0,1 %) auf Vormonats -<br />
niveau liegen, die Importe<br />
(+1,5 %) leicht ansteigen.<br />
Für China weisen die Werte<br />
des Kiel Trade Indicator ein<br />
leichtes Plus bei den Exporten<br />
(+0,6 %) und ein Minus<br />
bei Importen (-2,6 %) aus.<br />
Die wenig positiven Aussichten<br />
schlagen sich auch in der<br />
Menge an weltweit verschifften<br />
Standardcontainern<br />
nieder. Sie ist im<br />
November im Vergleich zum<br />
Oktober um über ein Prozent<br />
gefallen und liegt damit wieder<br />
unter der Marke von 14<br />
Millionen Stück, so das IfW<br />
Kiel. Speziell im Roten Meer<br />
sei die Menge gesunken. Im<br />
November sind dort gut<br />
500.000 Standardcontainer<br />
transportiert worden, aufgrund<br />
von Erfahrungswerten<br />
aus den Jahren 2<strong>01</strong>7 bis<br />
2<strong>01</strong>9 wären dem Institut zu-<br />
Bild: m.mphoto/stock.adobe.com<br />
folge knapp 600.000 Stück zu<br />
erwarten gewesen. „Es klafft<br />
immer wieder eine Lücke zwischen<br />
der tatsächlichen und<br />
der zu erwartenden Containermenge<br />
im Roten Meer, weil China unabhängiger<br />
vom Handel mit dem Westen<br />
und Deutschland wird. Der jüngste Rückgang<br />
der Frachtmenge dürfte in erster<br />
IHR PARTNER FÜR<br />
„Der deutsche Außenhandel wächst seit Ausbruch der Corona-<br />
Pandemie im Grunde nur noch, weil die Preise steigen“, so<br />
Vincent Stamer, Leiter Kiel Trade Indicator.<br />
Linie konjunkturelle Ursachen haben und<br />
noch keine Folge der jüngsten gezielten<br />
Angriffe auf Handelsschiffe im Roten<br />
Meer sein“, so Stamer. (ys)<br />
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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 9
» MAGAZIN<br />
Nutzfahrzeughersteller nutzt 3D-Druck-Plattform<br />
Ersatzteilmanagement mit 3D-Druck auf Abruf<br />
Durch die digitalen Produktionsinformationen können die 3D-gedruckten Bronzekrümmer<br />
jederzeit in gleichbleibender Qualität wiederbestellt werden.<br />
Der Nutzfahrzeughersteller MAN Truck &<br />
Bus stand vor der Herausforderung, kurzfristig<br />
zehn Bronzekrümmer (s. Bild) für<br />
die Kühlwasserversorgung eines Marinemotors<br />
zu beschaffen. Die Gussform für<br />
dieses kritische Bauteil war nicht mehr<br />
verfügbar. Die konventionellen <strong>Beschaffung</strong>smethoden,<br />
welche die Erstellung<br />
von Modellen, das Gießen und die mechanische<br />
Bearbeitung umfassen, wären so-<br />
Bild: Replique/MAN<br />
wohl zeit- als auch kostenaufwendig gewesen.<br />
MAN suchte daher nach einer alternativen<br />
Möglichkeit, um den kurzfristigen<br />
Bedarf zu decken.<br />
Die Kooperation mit 3D-Druck-Plattformbetreiber<br />
Replique ermöglichte es dem<br />
Unternehmen, die Krümmer mittels additiver<br />
Fertigung herzustellen – alles, was<br />
dazu benötigt wurde, war ein 3D-Modell,<br />
sowie eine Fertigungszeichnung. In Abstimmung<br />
mit seinen Materialpartnern<br />
wählte der Plattformbetreiber einen<br />
Werkstoff, der eigenen Angaben zufolge<br />
technisch gleichwertig zum Originalwerkstoff<br />
ist. Produziert wurde mit Selektivem<br />
Laserschmelzen (SLM) über ein lokales<br />
3D-Druckservicebüro aus dem Fertigungsnetzwerk.<br />
Von der ersten Anfrage<br />
seitens MAN bis zur Lieferung der einbaufertigen<br />
Teile vergingen knapp sieben<br />
Wochen. Zugversuche in der Zentralen<br />
Werkstofftechnik der MAN sollen ergeben<br />
haben, dass der ausgesuchte Werkstoff<br />
sogar technisch bessere Eigenschaften als<br />
das Original aufweist. Auch der praktische<br />
Einsatz war erfolgreich, sodass der<br />
Fahrzeughersteller eine weitere Bestellung<br />
über 10 Stück tätigte.<br />
Da das betreffende Bauteil bereits für den<br />
3D-Druck qualifiziert wurde und eine<br />
entsprechende Druckdatei erstellt und digital<br />
verfügbar ist, die zudem Informationen<br />
zu genutztem Material und Technologie<br />
enthält, können die Krümmer auch<br />
zukünftig jederzeit in gleichbleibender<br />
Qualität nachbestellt werden. Für MAN<br />
fallen dabei keine Fixkosten für Formen<br />
und Modelle, sowie Lagerhaltungskosten<br />
an. (ys)<br />
Einführung in mehreren Phasen<br />
Zulieferer entscheidet sich für Zusammenarbeit mit Jaggaer<br />
Continental setzt künftig die Source-to-<br />
Pay-Suite von Jaggaer ein. Diese soll soll<br />
den bisherigen Insellösungen entgegenwirken<br />
und die Bereiche Purchase-to-Pay,<br />
Source-to-Contract und Business Partner<br />
Management bündeln. Der Funktionsumfang<br />
von „Jaggaer One“ decke bereits viele<br />
bestehende Anforderungen des Automobilzulieferers<br />
ab. Besonders die Multi-<br />
ERP-Fähigkeit der Lösung überzeuge, da<br />
es in Summe mehr als 30 ERP-Systeme<br />
anzubinden gilt. Für die Implementierung<br />
ist ein mehrstufiger Rollout vorgesehen,<br />
der zunächst in Deutschland sowie den<br />
USA startet und anschließend schrittweise<br />
global ausgedehnt wird.<br />
Nach dem Startschuss des Projekts im<br />
letzten Jahr erfolgt die Einführung der<br />
Lösungen bei Continental in mehreren<br />
Phasen: Dabei legt das Unternehmen den<br />
Fokus im ersten Schritt auf die <strong>Beschaffung</strong><br />
von Nicht-Produktionsmaterial sowie<br />
Rohstoffen und beginnt mit der Optimierung<br />
des Source-to-Contract-Prozesses.<br />
Das umfasst zum einen die übergeordneten<br />
Bereiche Lieferantenmanagement,<br />
Performancemanagement, Sourcing,<br />
Vertragsmanagement und Reporting.<br />
Zum anderen zählen dazu die Erfüllung<br />
der ESG-Kriterien sowie die Grundlagenschaffung,<br />
um den Anforderungen an<br />
den CO 2 -Fußabdruck gerecht zu werden.<br />
In der anschließenden Projektphase fokussiert<br />
der Automobilzulieferer den Procure-to-Pay-Prozess:<br />
Dabei liegt das Ziel<br />
unter anderem darin, die Versorgungssicherheit<br />
der Mitarbeitenden weltweit<br />
über vordefinierte Kataloge weiterhin sicherzustellen<br />
sowie Folgeprozesse, wie<br />
die Rechnungsprüfung, durch Automatisierung<br />
zu verbessern. Zusätzlich zu den<br />
verschiedenen Ländern, in denen das Unternehmen<br />
aktiv ist, liegt die Herausforderung<br />
dabei insbesondere in der Verwaltung<br />
von mehreren 100 Katalogen. Neben<br />
dem globalen Rollout, ist zukünftig vorgesehen,<br />
den Softwareeinsatz auch auf<br />
den direkten Einkauf auszudehnen. (ys)<br />
10 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
B2B-Service-Unternehmen sind überwiegend optimistisch<br />
91 Prozent der Dienstleister planen Honorarerhöhungen<br />
Deutsche B2B-Service-Unternehmen blicken laut einer<br />
Blitzumfrage des Marktforschers Lünendonk &<br />
Hossenfelder trotz wirtschaftlicher Herausforderungen<br />
optimistisch auf das Jahr 2024. Führende<br />
Dienstleister der Segmente Managementberatung,<br />
Digitales und IT, Wirtschaftsprüfung und Steuerberatung,<br />
Personaldienstleistungen und Real Estate Services<br />
rechnen für das Jahr 2024 mit einem Umsatzplus<br />
von durchschnittlich 9,5 Prozent. Während Anbieter<br />
von Real Estate Services von einem Umsatzplus<br />
im Mittel von 3,7 Prozent ausgehen, liegt die<br />
Spanne bei Digital- und IT-Dienstleistern bei durchschnittlich<br />
14,4 Prozent. Consulting-Häuser erwarten<br />
im Mittel ein Wachstum von 10,5 Prozent, Wirtschaftsprüfer<br />
von 8,0 Prozent und Personaldienstleister<br />
von 6,0 Prozent.<br />
Die Inflation stellt für viele Unternehmen weiterhin<br />
eine Herausforderung dar. Für 2023 wurde eine<br />
durchschnittliche Preissteigerung in Deutschland von<br />
sechs Prozent erwartet, für 2024 von etwa drei Prozent.<br />
Dies spiegelt sich auch in den Preisen und Gehältern<br />
der Dienstleistungsunternehmen wider: 86<br />
Prozent haben 2023 ihre Preise erhöht – überwiegend<br />
zwischen 2 und 10 Prozent. Auch 2024 planen<br />
91 Prozent, ihre Preise zu erhöhen, jedoch in einem<br />
geringeren Umfang. „Zwar hat die Inflation einen<br />
signifikanten Einfluss auf die Entwicklung der Honorare<br />
und Gehälter der Dienstleister. Gleichzeitig besteht<br />
nahezu in allen B2B-Service-Märkten eine hohe<br />
Nachfrage im Markt, sodass höhere Preise durchsetzbar<br />
sind“, kommentiert Lünendonk-Geschäftsführer<br />
Jörg Hossenfelder die Ergebnisse. (ys)<br />
Authentifizierung ohne technische oder optische Eingriffe<br />
Digitaler Fingerabdruck für Produkte<br />
Bild: Bosch Origify<br />
Die Produktauthentizität kann, sofern das Erzeugnis mit Origify erfasst<br />
wurde, per App abgefragt werden.<br />
Weltweit wächst die Produktpiraterie extrem.<br />
Allein im vergangenen Jahr wurde<br />
laut Bundeszollverwaltung gefälschte<br />
Markenware im Gesamtwert von 435 Millionen<br />
Euro beschlagnahmt. „Hersteller<br />
und Marken- wie Produktschützer suchen<br />
nach Schutzmechanismen, die idealerweise<br />
keine Eingriffe am Produkt erfordern<br />
und dennoch eine klare Unterscheidung<br />
zwischen Plagiat und echtem Produkt<br />
ermöglichen“, sagt Oliver Steinbis,<br />
Inventor + Project<br />
Lead für Origify,<br />
eine Entwicklung<br />
aus dem Bosch-<br />
Konzern.<br />
Die Lösung wurde<br />
zunächst zur<br />
Nachverfolgung<br />
sowie zum Schutz<br />
konzerninterner<br />
Produkte wie<br />
bspw. Sensorik aus<br />
dem Automotive-<br />
Sektor entwickelt<br />
und steht mittlerweile<br />
auch anderen<br />
Unternehmen<br />
zur Verfügung.<br />
Dazu wird jedes einzelne Produkt während<br />
der Fertigung optisch erfasst, die<br />
Daten werden in eine binäre Datei umgewandelt<br />
und in einer Cloud gespeichert.<br />
Später kann die Authentizität durch einen<br />
Abgleich mit diesem Datensatz bestätigt<br />
werden. Dazu nötig sind ein Smartphone<br />
und die Origify-App oder eine herstellerbezogene<br />
White-Label-Lösung mit Zugang<br />
zur Cloud-Datenbank. Mit einer optischen<br />
Erfassung jedes einzelnen Produktes<br />
während der industriellen Fertigung<br />
dreht Origify bisherige Schutzkonzepte<br />
um: „Zum Schutz vor Fälschungen<br />
gehören auch die Eintragung des geistigen<br />
Eigentums über Urheberrecht, Designschutz<br />
und Patente. Verletzungen<br />
müssen mit großem Aufwand identifiziert<br />
werden, Behörden wie der Zoll werden<br />
nur auf Antrag der Markenrechtsinhaber<br />
beispielsweise über einen Grenzbeschlagnahmeantrag<br />
aktiv. Wir setzen mit Origify<br />
direkt in der Produktion an und sind in der<br />
Lage, eine Authentizitätskette zwischen<br />
Hersteller und Endkunde aufzubauen“, erklärt<br />
Oliver Steinbis von Bosch.<br />
Während bei strittigen Fällen meist sofort<br />
teure Gutachter nötig sein können und<br />
häufig Aussage gegen Aussage steht, soll<br />
bei einem mit Origify erfasstem Produkt<br />
wesentlich schneller eine erste Analyse<br />
erstellt werden können. Ist ein Abgleich<br />
mit dem hinterlegten Datensatz erfolgreich,<br />
entspricht das Produkt seinem Auslieferungszustand<br />
beim originalen Hersteller.<br />
Erst bei einem negativen Resultat<br />
muss eine weitere Untersuchung angestrengt<br />
werden, an deren Ende möglicherweise<br />
die Enttarnung eines Plagiats<br />
steht. (ys)<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 11
» MAGAZIN<br />
Dr. Sebastian Kreft, Mitgründer von Metalshub<br />
„Nachfrage nach sauberem Schrott<br />
wird stark ansteigen“<br />
Beim Kauf und Verkauf von Rohstoffen in 130 Ländern ist Softwarespezialist<br />
Metalshub aktiv. Der Fokus liegt auf der globalen Metall- und Bergbauindustrie.<br />
Dr. Sebastian Kreft ist einer der Gründer der Plattform, er berichtet von<br />
Marktauffälligkeiten , Trends und dem Faktor KI.<br />
»Unsere Technologie<br />
bietet die Möglichkeit,<br />
mehr Wissen zu<br />
erlangen . Wissen ist<br />
vor allem in Krisen ein<br />
großer Vorteil.«<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>: Herr Kreft, welche Auffälligkeiten<br />
und Trends haben Sie in den vergangenen<br />
Monaten festgestellt?<br />
Dr. Sebastian Kreft: Ich beginne mal mit einem<br />
Rückgriff auf 2022: Das Jahr war geprägt von der<br />
Nickelkrise an der London Metal Exchange (LME), darüber<br />
wurde bereits viel berichtet. Auf unserem<br />
Metalshub Summit im September 2023 hat der CEO<br />
der LME, Matthew Chamberlain, über Maßnahmen<br />
gesprochen, die seitdem ergriffen wurden, etwa die<br />
Einführung eines Tageslimits, um wie viel der Preis<br />
an einem Tag maximal steigen oder fallen kann und<br />
die Pflicht, Positionen im<br />
Over-The-Counter-Markt täglich<br />
an die LME zu berichten.<br />
Im Jahr 2023 war der kometenhafte<br />
Anstieg und dann der<br />
Fall des Ferromolybdänpreises<br />
am spektakulärsten. Der Preis<br />
lag Anfang Dezember 2022 bei<br />
ca. 50 USD pro kg. Bis Februar<br />
2023 stieg er auf 98 USD an,<br />
um im April wieder auf unter<br />
50 USD zu fallen. Derzeit (November<br />
2023; die Red.) bewegt sich der Preis zwischen<br />
45 und 55 USD pro kg ohne zu große Ausschläge.<br />
Was Metalshub selbst betrifft: Trotz wirtschaftlichen<br />
Abschwungs konnten wir starke Wachstumsraten<br />
verzeichnen und als Technologieunternehmen<br />
auch gegen den negativen Trend der massenhaften<br />
Personalentlassungen in der Softwarebranche<br />
agieren. Wir haben neue Arbeitsplätze geschafft<br />
und wollen weiter aufstocken.<br />
Sind die wesentlichen Player als Verkäufer und<br />
Käufer dabei? Und wer ist das?<br />
Gestartet haben wir 2<strong>01</strong>6 mit der Procurement Solution<br />
für rohstoffeinkaufende Unternehmen, vor allem<br />
Stahlwerke und Stahlgießereien. Kunden sind u. a.<br />
Outokumpu, Saarstahl, die Georgsmarienhütte Gruppe,<br />
Benteler, Schmidt + Clemens, Friedrich Lohmann,<br />
Metso, MAT Foundry Group, Natsteel in Singapur und<br />
andere. Die Unternehmen laden dann ihr jeweiliges<br />
Lieferantennetzwerk auf Metalshub ein. Weitere<br />
Nutzer sind führende Rohstoffproduzenten wie Vale,<br />
Elkem, Finnfjord, CBMM, Rio Tinto und Molymet. Und<br />
als Rohstoffhändler sind u. a. L&M, Trafigura und TSR<br />
aktiv. 2022 haben wir die Sales Solution entwickelt,<br />
die von führenden Bergbauunternehmen genutzt<br />
wird, zum Beispiel von Anglo American. Bisher haben<br />
rund 1600 Unternehmen weltweit über 7700 Transaktionen<br />
im Wert von über 2,9 Mrd. Euro über unsere<br />
Plattform getätigt.<br />
Welche Prozesse decken Sie ab?<br />
Auf der Procurement-Seite decken wir den Sourceto-Contract-Prozess<br />
und das Lieferantenmanagement<br />
ab. Mit der Sales Solution bieten wir eine Kombination<br />
aus CRM und CPQ. Bei CPQ – also Produktkonfiguration,<br />
Preiskalkulation, Angebotserstellung –<br />
geht es um das systematische Erfassen aller Anfragen<br />
und die Unterstützung bei Preiskalkulation und<br />
Angebotserstellung. Der Metalshub Intelligence Service<br />
– Metis – stellt Preis-Indizes und Marktinformationen<br />
bereit. Unsere Preisindizes beruhen auf realen<br />
Transaktionen und Geld-/Briefkursen, die über die digitale<br />
Plattform abgeschlossen werden. Zudem lassen<br />
sich Geschäfte von A bis Z abwickeln, einschließlich<br />
Versicherung, Transport, Finanzierung etc. Zusammengefasst<br />
ermöglichen wir Kunden auf der Einkaufsseite,<br />
noch bessere Entscheidungen auf Basis<br />
zentraler Daten und eines transparenten Prozesses<br />
zu treffen. Bei den Kunden steigt die Wahrscheinlichkeit,<br />
trotz volatiler Marktpreise signifikante Einsparungen<br />
zu erzielen.<br />
Was wird KI in Zukunft können – und woran arbeiten<br />
Sie derzeit als Dienstleister?<br />
12 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Wir arbeiten derzeit an verschiedenen spannenden<br />
Use Cases für den Einsatz von KI. Ein Beispiel ist das<br />
automatische Strukturieren unstrukturierter Daten,<br />
wie sie oft in E-Mails vorkommen. Demnächst werden<br />
sich tausende E-Mails in Sekunden auswerten<br />
lassen. Einen sehr interessanten KI-Use-Case haben<br />
ArcelorMittal und unser Partnerunternehmen Foresight<br />
Data Machines auf unserem Metalshub Summit<br />
präsentiert. Dabei ging es um die Nutzung von KI in<br />
Sachen „Zutaten“, also darum, die Mischung verschiedener<br />
Schrottsorten für die Produktion einer<br />
bestimmten Stahlrezeptur zu optimieren.<br />
Kommen wir zum Risikomanagement: Welche Rolle<br />
spielt Metalshub dabei für die Marktteilnehmer?<br />
Plattformen können helfen, Risiken zu minimieren.<br />
Metalshub führt zum Beispiel kontinuierliche Knowyour-Counterparty-Checks<br />
durch. Dabei soll sichergestellt<br />
werden, dass sanktionierte oder insolvente<br />
Unternehmen nicht zum Handel zugelassen werden.<br />
In einem Fall konnten wir sogar einen Betrugsversuch<br />
aufdecken: Ein Unternehmen hat versucht, unter<br />
Angabe einer falschen Identität Metall zu ergaunern.<br />
Plattformen sollten zudem ermöglichen, dass<br />
der Prozess der Vertrauensbildung zwischen Käufern<br />
und Verkäufern beschleunigt wird. Für diesen Zweck<br />
haben wir ein transparentes Bewertungssystem, mit<br />
dem sich Käufer und Verkäufer nach einer abgewickelten<br />
Transaktion gegenseitig bewerten können.<br />
Kann man eine solche Plattform an Risk-Systeme<br />
in den Unternehmen anbinden? Welche Voraussetzung<br />
muss es an den Schnittstellen geben?<br />
Ja, das lässt sich anbinden. Die großen ERP-Anbieter<br />
möchten gerne immer alle Lösungen für alles verkaufen,<br />
das ist aber selten der beste Weg. IT-Experten<br />
wie Gartner sind sich heute einig, dass es ein führendes<br />
System geben muss. Daran werden dann via APIs<br />
Spezialsysteme für unterschiedliche Aufgaben und<br />
Prozesse angebunden. Gemeinsam mit unseren Kunden<br />
erarbeiten wir in einem vier- bis sechswöchigen<br />
Projekt eine API-Schnittstelle in das jeweils genutzte<br />
ERP-System. So wird sichergestellt, dass Daten nahtlos<br />
übergeben werden und keine lästige manuelle<br />
Datendoppeleingabe mehr erfolgen muss. Motto:<br />
„Clean data is the new gold“.<br />
Wie schnell machen sich Naturkatastrophen wie<br />
Hochwasser oder Brände bemerkbar auf Plattformen<br />
wie Metalshub?<br />
Das kommt darauf an. Ereignisse, die signifikante<br />
Auswirkungen auf Supply beziehungsweise Demand<br />
haben, wirken sich schon innerhalb von Stunden auf<br />
die physischen Märkte aus. Ein Beispiel ist der Beginn<br />
Bild: Jan Ladwig<br />
des Ukraine-Kriegs, der ja auch Auslöser für die LME-<br />
Nickelkrise war. Bei anderen Ereignissen ist oft nicht<br />
sofort klar, wie stark die Auswirkungen sein werden<br />
und wie lange sie anhalten. Beispiel hierfür sind der<br />
Putsch im Niger im August in Bezug auf Manganexporte<br />
und das Erdbeben in der Türkei hinsichtlich<br />
Chromerz und Ferrochromexporte. Für Händler bieten<br />
solche Ereignisse oft große Chancen, hohe Gewinne<br />
einzufahren, vorausgesetzt, sie handeln rasch und<br />
positionieren sich richtig. Unsere Technologie bietet<br />
die Möglichkeit, mehr Wissen zu erlangen. Wissen ist<br />
vor allem in Krisenzeiten ein großer Vorteil.<br />
Welche Prognosen können Sie für die nahe<br />
Zukunft ableiten? Was fragen Kunden ab?<br />
Unsere Prognose: Die Nachfrage nach sauberem<br />
Schrott wird stark ansteigen. Hier besteht für viele<br />
Unternehmen, die auf ausreichend sauberen Schrott<br />
angewiesen sind, rascher Handlungsbedarf. Das Thema<br />
KI ist <strong>aktuell</strong> ein absolutes Hype-Thema, mit dem<br />
sich vieler unserer Kunden auseinandersetzen. Auch<br />
Sustainability ist ganz oben auf der Agenda. Etwa:<br />
Wie schafft man es, ein sauberes und vertrauenswürdiges<br />
CO 2 -Reporting aufzubauen? Über alles gesehen:<br />
„Digitale Transformation“ ist nach „Kosten senken“<br />
an zweiter Stelle der Priorität auf der Agenda<br />
der Chief Procurement Officer.<br />
Für <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> führte die Journalistin<br />
Sabine Ursel das Interview.<br />
Mitgründer von<br />
Metalshub ,<br />
Dr. Sebastian Kreft<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 13
» MANAGEMENT<br />
Gewinner des ISM-Awards „Business Network“: Altana<br />
Dezentrale Daten, zentrale Intelligenz:<br />
Altana vernetzt Einkaufswelten<br />
Das Spezialchemieunternehmen Altana setzt auf moderne Einkaufsentscheidungen<br />
mit Datenpower. Mit Hilfe der Plattform Empower erreicht das Unternehmen Transparenz<br />
über Ausgaben und ermöglicht Einblicke durch smarte Datenanalysen . So hebt<br />
Altana seine Einkaufsstrategien auf ein neues Level von Effizienz und Optimierung .<br />
Wir sprachen vor Ort mit den Machern des Projekts im Einkauf.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>: Herzlichen<br />
Glückwunsch zum ISM-Award „Business<br />
Network“. Sie haben mit Empower eine<br />
hochmoderne Datenplattform entwickelt,<br />
heißt es in der Laudatio. Wie sind<br />
Sie darauf gekommen?<br />
Stefan Franke: Vielen Dank. Empower<br />
ist nicht nur ein Tool, es ist das Herzstück<br />
unserer Vision für einen digital transformierten<br />
Einkauf. Diese ruht im Wesentlichen<br />
auf drei Säulen: Kultur, Technologie<br />
und Agilität.<br />
Wir wollen eine Einkaufskultur fördern,<br />
die datenbasierte Einsichten als entscheidenden<br />
Wegweiser für unser Handeln<br />
sieht. Uns geht es darum, digitale Lösungen<br />
zu nutzen, die unsere Entscheidungen<br />
schärfen, fundierter und zukunftsorientierter<br />
machen. Technologie ist der<br />
Schlüssel zu dieser Transformation. Ganz<br />
wichtig ist dabei: Die Technologie muss<br />
klug eingesetzt werden. Deshalb streben<br />
wir an, unsere Datenprozesse so weit wie<br />
möglich zu automatisieren. Das minimiert<br />
Fehler und schafft neue Freiräume für unsere<br />
Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen,<br />
um die Wertschöpfung im Einkauf zu erhöhen.<br />
Im Gespräch mit<br />
Jörg Mahn, Chief Sourcing Officer, Altana<br />
Stefan Franke, Head of Procurement Excellence, Altana<br />
Timo Scheller, Senior Project Manager Procurement<br />
Excellence, Altana<br />
Die dritte Säule, Agilität, ist in unserer<br />
schnelllebigen Welt unverzichtbar. Wir<br />
haben gelernt, dass die Nutzung vielfältiger<br />
Tools hilfreich sein kann, aber teilweise<br />
zu einem Netz aus manuellen Prozessen<br />
und Systembrüchen führen kann. Mit<br />
Empower als zentralen Data-Hub wollen<br />
wir das ändern und alle unsere Datenströme<br />
vereinen. Das dahinter liegende Datenmodell<br />
ist agil und ermöglicht uns,<br />
schnell auf neue Datenanforderungen zu<br />
reagieren und eine harmonische Datenlandschaft<br />
zu schaffen.<br />
Was war die Ausgangslage für Ihr Projekt?<br />
Franke: Die Entwicklung von Empower<br />
entsprang einer Reihe spezifischer, unternehmensinterner<br />
Herausforderungen. Als<br />
dezentrales Unternehmen, das seine Daten<br />
über eine Vielzahl verschiedener ERP-<br />
Systeme verteilt hatte, standen wir vor der<br />
Herausforderung, dass es keine zentralen<br />
Stammdaten gab. Die benötigen wir aber<br />
im Einkauf, um Synergien zu erkennen und<br />
zu nutzen. Genau hier setzt Empower an:<br />
„Empower soll Altana zeigen, was Altana<br />
eigentlich weiß“. Empower ermöglicht es<br />
uns, nicht nur unsere Daten aufzurufen,<br />
sondern unser kollektives Wissen zu bündeln<br />
und zu nutzen. Zudem wurde das<br />
Projekt maßgeblich von Nachhaltigkeitsaspekten<br />
geprägt. Empower unterstützt<br />
uns durch ein effektives Datenmanagement<br />
und erweiterte Analysefähigkeiten,<br />
die Anforderungen des deutschen Lieferkettengesetzes<br />
zu erfüllen.<br />
Welche Daten können Sie für die Plattform<br />
nutzen?<br />
Franke: Zunächst einmal bilden die<br />
klassischen ERP-Einkaufsdaten wie Rohstoffe,<br />
Lieferanten, Kategorien sowie<br />
Preise und Mengen unser „Data-Backbone“.<br />
Auf diesem Fundament haben wir<br />
zentrale Stammdaten geschaffen. Sie ermöglichen<br />
uns eine solide Datenbasis für<br />
analytische und strategische Einkaufsentscheidungen.<br />
Doch wir gehen noch einen Schritt weiter.<br />
Wir können zusätzliche Daten mit unserem<br />
„Data-Backbone“ verlinken. Dazu<br />
zählen beispielsweise Länder- und Industrierisiken<br />
unserer Lieferanten, die für die<br />
Einhaltung des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes<br />
erforderlich sind.<br />
Die Möglichkeiten zur Integration und<br />
Analyse von Daten sind bei Empower nahezu<br />
unbegrenzt. Wir können praktisch<br />
jede Art von Daten einbeziehen, die für<br />
unsere Einkaufsaktivitäten und Geschäftsstrategien<br />
relevant sind. Die Plattform<br />
ist so konzipiert, dass sie flexibel<br />
und erweiterbar ist, um mit den sich ständig<br />
ändernden Anforderungen unseres<br />
Unternehmens Schritt zu halten.<br />
Timo Scheller: Von besonderer Bedeu-<br />
14 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Bild: Altana<br />
(v. l.) Jörg Mahn, Chief Sourcing Officer, Stefan Franke, Head of Procurement Excellence, und Timo Scheller, Senior Project Manager Procurement Excellence,<br />
setzen bei Altana auf moderne Einkaufsentscheidungen mit Datenpower.<br />
tung sind die Daten und Informationen,<br />
die aus externen Quellen integriert werden.<br />
Unsere Herausforderung besteht darin,<br />
diese externen Daten mit unseren internen<br />
Daten zu verlinken und dem Einkäufer<br />
oder der Einkäuferin in einem Tool<br />
eine übersichtliche Darstellung zu bieten.<br />
Empower – wie funktioniert das System?<br />
Franke: Empower dient als zentraler<br />
Data-Hub, der alle Datenströme bündelt.<br />
Dafür verbindet das System eine Graphdatenbank<br />
mit einer Data Factory. Die<br />
Graphdatenbank speichert Daten sowie<br />
deren Verbindungen, was die Analyse<br />
komplexer Beziehungen vereinfacht und<br />
uns die Möglichkeit bietet, unser Datenmodel<br />
schnell an unsere Anforderungen<br />
anzupassen. Die Data Factory hingegen<br />
kümmert sich um Datenimporte, -exporte<br />
und Transformationen, von Dashboards<br />
bis zu Predictive Analytics. Ein Beispiel ist<br />
unser neuronales Netz zur Preisvorhersage,<br />
das vielversprechende Ergebnisse liefert.<br />
Wir sind jedoch umsichtig und berücksichtigen<br />
die Grenzen maschineller<br />
Vorhersagen, da diese auf historischen<br />
Daten basieren und <strong>aktuell</strong>e Ereignisse<br />
nicht immer abbilden können. Momentan<br />
testen wir den Algorithmus intensiv.<br />
Können Sie uns etwas zur Graphdatenbank<br />
sagen? Wie sind Sie darauf gekommen?<br />
Franke: Die Entscheidung für eine<br />
Graphdatenbank war eine strategische,<br />
um den dynamischen und komplexen Anforderungen<br />
unserer Datenarchitektur<br />
gerecht zu werden. Sie eignen sich für<br />
Szenarien, in denen Daten und deren Beziehungen<br />
sich kontinuierlich ändern oder<br />
erweitern, ähnlich wie in sozialen Netzwerken.<br />
In solchen Umgebungen sind traditionelle<br />
tabellenbasierte Datenbanken<br />
oft nicht effizient.<br />
Vereinfacht kann man sich eine Graphdatenbank<br />
wie eine Mindmap vorstellen, in<br />
welcher verschiedene Datenpunkte, wie<br />
Lieferanten und ihre Rohstoffe, Bestellungen<br />
usw., miteinander verbunden sind.<br />
Das Arbeiten mit einer Graphdatenbank<br />
erlaubt uns, Abfragen von jedem Punkt im<br />
Netzwerk aus zu starten. Ein Klick auf den<br />
Knoten „Rohstoff“ kann beispielsweise<br />
sofort eine Baumstruktur mit allen zugehörigen<br />
Lieferanten und verknüpften Informationen<br />
aufzeigen. So können wir<br />
schnell und effizient Daten abrufen und<br />
analysieren, was für ein agiles und reaktionsfähiges<br />
Einkaufsmanagement unerlässlich<br />
ist.<br />
Verliert man bei so vielen Informationen<br />
nicht den Überblick?<br />
Franke: Die komplexe Graphstruktur<br />
unserer Datenbank bleibt für den Endnutzer<br />
im Frontend unsichtbar. Stattdessen<br />
haben wir eine benutzerfreundliche, explorative<br />
Web-Frontend-Oberfläche entwickelt,<br />
die an die intuitive Navigation<br />
von Plattformen wie Amazon erinnert.<br />
Diese ermöglicht es den Mitarbeitern und<br />
Mitarbeiterinnen, mit Leichtigkeit durch<br />
relevante Informationen zu surfen. Zur<br />
Aggregation dieser vielen Daten, setzen<br />
wir in einem nächsten Schritt ein Reportingsystem<br />
auf Empower auf, um unseren<br />
Usern maßgeschneiderte Dashboards für<br />
aggregierte Analysen anzubieten. Hier<br />
benutzen wir die SAP Analytics Cloud<br />
Technologie, die problemlos mit Empower<br />
zusammenarbeitet und Teil unserer Gesamtunternehmensstrategie<br />
ist.<br />
Wie hoch ist der Schulungsaufwand, um<br />
das Tool effektiv zu nutzen?<br />
Scheller: Die Benutzeroberfläche ist so<br />
intuitiv gestaltet, dass sie von jedem<br />
schnell verstanden wird. Unsere Erfahrungen<br />
haben gezeigt, dass eine einstündige<br />
Schulung ausreicht, um die grundlegenden<br />
Funktionen des Tools zu verstehen<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 15
» MANAGEMENT<br />
und zu erlernen, wie man es für den täglichen<br />
Gebrauch einsetzt.<br />
Allerdings bietet Empower schon jetzt eine<br />
beeindruckende Tiefe und Breite an<br />
Informationen , die durch die Integration<br />
von zahlreichen externen Datenquellen<br />
mit unseren internen Daten erst möglich<br />
wurde. Es ist daher verständlich,<br />
dass es etwas mehr Zeit<br />
in Anspruch nehmen wird, um<br />
das volle Potenzial, welches<br />
Empower bietet, vollständig<br />
zu erfassen und zu nutzen.<br />
Wie stellen Sie die Qualität<br />
Ihrer Daten sicher?<br />
Franke: Wir arbeiten <strong>aktuell</strong> daran, den<br />
Datenimport aus unserer vielfältigen Datenlandschaft<br />
vollständig zu automatisiert.<br />
Dabei nutzen wir alle technischen<br />
Möglichkeiten unseres neuen Systems,<br />
um die Datenqualität dauerhaft signifikant<br />
zu verbessern.<br />
Empower ist so konzipiert, dass es automatisch<br />
Inkonsistenzen beim Import neuer<br />
Daten erkennt. Wir haben zudem robuste<br />
Datenqualitätschecks implementiert,<br />
die nicht nur Abweichungen aufdecken,<br />
sondern uns auch ermöglichen, diese<br />
zeitnah zu korrigieren.<br />
Ein weiterer entscheidender Aspekt ist die<br />
von uns forcierte „Open-Data Culture“ im<br />
Einkauf. Da unsere Nutzer und Nutzerinnen<br />
vollen Zugriff auf unsere Daten haben,<br />
sind sie in der Lage, frühzeitig Fehler<br />
zu identifizieren, was enorm zur Datenintegrität<br />
beiträgt. Wir sind der Überzeugung,<br />
eine exzellente Datenqualität stellt<br />
eine gemeinschaftliche Aufgabe des gesamten<br />
Einkaufsnetzwerks dar. Oder kurz:<br />
Kultur schafft Datenqualität.<br />
»Man kann sich eine Graphdatenbank<br />
wie eine Mindmap vorstellen,<br />
in der verschiedene Datenpunkte<br />
miteinander verbunden sind.«<br />
Altana Empower<br />
Herr Scheller, Sie sind für die Rohstofftransformation<br />
bei Altana verantwortlich.<br />
Was bedeutet das?<br />
Scheller: Als Projektleiter für unsere<br />
Rohstofftransformation geht es um Themen<br />
wie den CO 2 -Ausstoß und andere<br />
Nachhaltigkeitsaspekte unserer Rohmaterialien.<br />
Dabei handelt es sich um Angelegenheiten,<br />
die nicht ausschließlich den<br />
Einkauf betreffen, sondern immer Schnittstellen<br />
zu anderen Bereichen haben.<br />
Wir integrieren CO 2 immer stärker in unsere<br />
Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten.<br />
Mit dem klaren Ziel, unsere Produkte<br />
umweltfreundlicher zu gestalten. In einem<br />
anderen Bereich sind auch soziale Aspekte<br />
der Nachhaltigkeit relevant, die mit dem<br />
Personalwesen und anderen Kollegen und<br />
Kolleginnen zusammenhängen. In allen<br />
Bereichen entstehen Daten, die wir handhaben<br />
müssen. Einerseits müssen wir den<br />
Einkäufern und Einkäuferinnen Informationen<br />
zur Verfügung stellen, wenn sie sich<br />
mit ihren Lieferanten treffen, beispielsweise<br />
in Bezug auf soziale Risikobewertungen<br />
oder Umweltthemen. Zum anderen müssen<br />
wir zunehmend externe Berichte erstellen,<br />
in denen wir einen Gesamtüberblick<br />
über unsere vier Divisionen<br />
benötigen. In diesem<br />
Zusammenhang bietet die Verwaltung<br />
aller Daten in einer<br />
einzigen Datenbank den Vorteil,<br />
dass Berichte einfacher erstellt<br />
werden können. Gleichzeitig<br />
ermöglicht sie, einen umfassenden Überblick<br />
über Lieferanten, ohne zwischen verschiedenen<br />
Systemen hin- und herwechseln<br />
zu müssen.<br />
Wie hoch ist die Akzeptanz der Nachhaltigkeitsthemen<br />
bei den Einkäufern<br />
und Einkäuferinnen?<br />
Scheller: Das Rollenverständnis strategischer<br />
Einkäufer und Einkäuferinnen hat<br />
sich verändert. Neben Preis, Qualität und<br />
Verfügbarkeit sind insbesondere auch<br />
Themen wie Nachhaltigkeit und Innovation,<br />
sowohl in ökologischer als auch sozialer<br />
Hinsicht, in der Lieferantenbewertung<br />
und damit auch in den Lieferantengesprächen<br />
maßgeblich. Besonders im Hinblick<br />
auf Umweltaspekte wie CO 2 beschäftigen<br />
sich viele Kollegen und Kolleginnen<br />
auch privat mit dem Thema. Und<br />
Sie sind stolz, wenn sie ihren Freunden<br />
sowie Freundinnen und der Familie erzählen<br />
können: „Ich arbeite in einem Chemieunternehmen<br />
im Einkauf, und wir setzen<br />
uns intensiv mit Nachhaltigkeitsaspekten<br />
auseinander.“<br />
Altana, ein weltweit führendes Unternehmen der Spezialchemie,<br />
hat über 35 Einkaufsabteilungen mit 100 Mitarbeitern<br />
und Mitarbeiterinnen in 15 Ländern. Um die<br />
<strong>Beschaffung</strong>s aktivitäten der einzelnen Rechtseinheiten zu<br />
konsolidieren und analysieren, entwickelte Altana eine<br />
(Meta-)Plattform für Knowledge Engineering. Die erste Version<br />
von „Empower“ wurde 2022 fertig. Ziel war nicht nur<br />
die hundertprozentige Transparenz über alle Unternehmensausgaben,<br />
sondern – durch die Analyse der verfügbaren<br />
Daten – auch die Möglichkeit detaillierte Einblicke zu<br />
erhalten. Die zweite Version soll KI-Algorithmen integrieren.<br />
Können Sie mehr über Ihre Bemühungen<br />
und Pläne im Bereich Nachhaltigkeit<br />
berichten?<br />
Jörg Mahn: Unser erster Fokus liegt darauf,<br />
Transparenz hinsichtlich des <strong>aktuell</strong>en<br />
Status zu schaffen, was bereits eine komplexe<br />
Aufgabe darstellt. Dabei müssen wir<br />
zahlreiche Kriterien berücksichtigen, die<br />
teilweise miteinander konkurrieren und<br />
uns vor die Herausforderung stellen, was<br />
Nachhaltigkeit genau bedeutet. Denn es<br />
geht nicht nur um die Reduktion von<br />
16 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
CO 2 -Emissionen. Wir müssen auch andere<br />
Aspekte der Nachhaltigkeit wie den Einsatz<br />
biobasierter Rohstoffe und deren Auswirkungen<br />
auf Umwelt und Biodiversität berücksichtigen.<br />
Dies erfordert eine sorgfältige<br />
Abwägung, um sicherzustellen, dass unsere<br />
Nachhaltigkeitsbemühungen nicht<br />
ungewollte negative Auswirkungen haben.<br />
Die Zusammenarbeit zwischen unserer<br />
Forschung und Entwicklung (R&D) und<br />
dem Einkauf wird entscheidend sein, um<br />
Wege zur Senkung des CO 2 -Gehalts in<br />
unseren Rohstoffen zu finden und gleichzeitig<br />
andere Nachhaltigkeitsaspekte zu<br />
berücksichtigen. Dies kann durch Materialsubstitution,<br />
innovative Ideen von unseren<br />
Lieferanten und die Nutzung erneuerbarer<br />
Energiequellen in deren Produktion<br />
erreicht werden.<br />
Um realistische und valide Reduktionsziele<br />
festzulegen, müssen wir unsere gesamte<br />
Rohstoffbasis gründlich analysieren<br />
und sicherstellen, dass unsere<br />
Ziele im Einklang mit den tatsächlichen<br />
Möglichkeiten stehen.<br />
Dies erfordert eine präzise<br />
Bottom-up-Kalkulation.<br />
Ist Alatana mit der Plattform<br />
resilienter geworden?<br />
Franke: Ja, mit Empower hat<br />
Altana definitiv an Resilienz gewonnen.<br />
Als dezentrales Unternehmen, in dem einzelne<br />
Standorte manchmal nicht mehr als<br />
200 Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen<br />
zählen, ist der direkte Zugriff auf unser<br />
Portfolio mit über 17.000 Lieferanten und<br />
mehr als 40.000 Rohstoffen entscheidend.<br />
Empower hat die Hürden des Datenzugangs<br />
eliminiert und dadurch die<br />
inhärente Resilienz von Altana maßgeblich<br />
gefestigt. Diesen Ansatz wollen wir<br />
besonders im Bereich der Nachhaltigkeit<br />
nutzen: Datentransparenz kann die<br />
schnelle und effiziente Integration nachhaltiger<br />
Rohstoffe in unsere Produkte<br />
deutlich steigern, was unsere Position in<br />
einem umweltbewussten Markt stärkt<br />
und unsere Anpassungsfähigkeit an künftige<br />
Herausforderungen erhöht.<br />
Scheller: Bisher funktioniert Empower<br />
unidirektional: Daten werden zentralisiert<br />
zur Verfügung gestellt und können von<br />
den Benutzern und Benutzerinnen abgerufen<br />
und in ihren Arbeitsalltag integrieren<br />
werden. Die wahre Stärke einer resilienten<br />
Organisation zeigt sich jedoch in<br />
der Fähigkeit, schnell auf Veränderungen<br />
zu reagieren und Kommunikation in alle<br />
Richtungen zu ermöglichen.<br />
In der nächsten Entwicklungsphase wird<br />
Empower zu einer bidirektionalen Plattform<br />
ausgebaut. Das bedeutet, Informationen<br />
fließen nicht nur von einer zentralen<br />
Quelle zu Nutzern und Nutzerinnen,<br />
sondern diese werden ebenfalls in der Lage<br />
sein, entscheidende Informationen<br />
zeitnah ins Netzwerk einzuspeisen. Dazu<br />
gehören zum Beispiel Force-Majeure-<br />
Meldungen oder Informationen über Lieferausfälle.<br />
Diese Art der Echtzeitkommunikation<br />
wird Altana einen weiteren großen<br />
Schritt nach vorne bringen, indem sie<br />
die Reaktionsfähigkeit des Unternehmens<br />
in einer dynamischen Marktumgebung<br />
erhöht.<br />
»Die wahre Stärke einer resilienten<br />
Organisation zeigt sich in der<br />
Fähigkeit , schnell auf Veränderungen<br />
zu reagieren und Kommunikation in<br />
alle Richtungen zu ermöglichen.«<br />
Was sind die nächsten Schritte?<br />
Mahn: Für die erfolgreiche digitale<br />
Transformation des Altana Einkaufsnetzwerks<br />
ist eine nahtlose Integration in unsere<br />
Organisationsstruktur entscheidend.<br />
Es geht dabei nicht nur darum, Informationen<br />
zur Verfügung zu stellen, sondern<br />
insbesondere darum, unsere Mitarbeiter<br />
und Mitarbeiterinnen aktiv in den Prozess<br />
zu integrieren. Wir streben danach, dass<br />
sie Mitgestalter und Mitgestalterinnen<br />
der digitalen Möglichkeiten sind. So gewährleisten<br />
wir, dass die Transformation<br />
von allen getragen und mit Leben gefüllt<br />
wird.<br />
Hilft diese Plattform beim entscheidenden<br />
Schritt vom reinen Einkauf zum<br />
Wertebringer?<br />
Franke: Absolut, diese Plattform ist weit<br />
mehr als nur ein Hilfsmittel für den Einkauf;<br />
sie ist ein entscheidender Faktor für<br />
die Transformation hin zu einem echten<br />
Wertebringer. Die Komplexität <strong>aktuell</strong>er<br />
Herausforderungen übersteigt oft die Kapazitäten<br />
einzelner Personen – hier ermöglicht<br />
die Plattform eine Kollaboration,<br />
die essenziell ist. Auch angesichts wachsender<br />
regulatorischer Anforderungen<br />
bietet die Plattform eine unverzichtbare<br />
zentrale Lösung. Zudem unterstützt sie<br />
eine integrierte Strategie, die Kostenoptimierung,<br />
Resilienz und Nachhaltigkeit<br />
nicht nur adressiert, sondern sie zu Kernzielen<br />
unseres Handelns macht.<br />
Mahn: Empower markiert einen entscheidenden<br />
Wendepunkt für unseren<br />
Einkauf – von einer reinen <strong>Beschaffung</strong>sfunktion<br />
hin zu einem echten Wertebringer.<br />
Früher waren es oft fehlende Informationen,<br />
die unsere Einkäufer und Einkäuferinnen<br />
daran hinderten, ihr volles<br />
Potenzial auszuschöpfen. Jetzt ist es unsere<br />
Priorität, sie zu befähigen, die Plattform<br />
effektiv zu nutzen. Viele der Daten,<br />
die jetzt leicht zugänglich<br />
sind, hätten schon früher genutzt<br />
werden können, um<br />
Mehrwert zu schaffen. Unsere<br />
Einkäufer und Einkäuferinnen<br />
wissen in vielen Fällen bereits,<br />
wie sie mit diesen Daten umgehen<br />
müssen. Für die neuen<br />
Möglichkeiten, die die Plattform<br />
und das erweiterte Wissen eröffnen,<br />
bieten wir jedoch zusätzliche Schulungen<br />
an. Dadurch wird sichergestellt, dass jeder<br />
im Team versteht, wie man die Daten für<br />
maximale Vorteile nutzt und wie wir gemeinsam<br />
durch diese neue Transparenz<br />
und das vertiefte Verständnis einen echten<br />
Wert für das Unternehmen generieren<br />
können.<br />
Franke: Im Einkauf müssen wir uns<br />
klarmachen, dass sich die Rolle des Einkäufers,<br />
der Einkäuferin zwar nicht<br />
grundlegend wandeln wird, sie jedoch<br />
durch neue regulatorische Bestimmungen<br />
und ein dynamisches Marktumfeld deutlich<br />
vielschichtiger gestaltet sein wird.<br />
Durch die digitale Transformation stellen<br />
wir das notwendige Werkzeug bereit, um<br />
den kommenden Herausforderungen erfolgreich<br />
begegnen zu können.<br />
Das Gespräch führte Sabine Schulz-<br />
Rohde, <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 17
Der bürokratische Aufwand für<br />
ein aussagekräftiges Reporting<br />
lässt sich mit den richtigen<br />
Hilfsmitteln meistern.<br />
Bild: lin/stock.adobe.com<br />
Risiken als Chance erkennen<br />
ESG-Risiken digital managen<br />
und meistern<br />
Um Risiken in der Lieferkette managen zu können, müssen diese zunächst erkannt<br />
werden. Nicht alle Lieferanten können bis ins Detail betrachtet werden. Das ist auch<br />
gar nicht nötig. Allerdings ist für das geforderte Risikomanagement eine digitale Lösung<br />
unerlässlich, denn nur so kann eine große Anzahl an Lieferanten erfasst werden.<br />
Auch in 2024 werden die Gesetzgebungen<br />
zur Sorgfaltspflicht in Lieferketten,<br />
zur Berichterstattung und<br />
Nachhaltigkeit weiter ausgebaut. So ging<br />
beispielsweise am 1. Januar 2024 das<br />
deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz<br />
(LkSG) in die zweite Runde der<br />
Umsetzung. Ab sofort sind nicht mehr nur<br />
Unternehmen ab 3000, sondern schon ab<br />
1000 Mitarbeitenden verpflichtet, menschenrechtliche<br />
und umweltbezogene<br />
Sorgfaltspflichten in ihrer Lieferkette zu<br />
beachten. Außerdem wirft die EU-Richtlinie<br />
Corporate Sustainability Reporting<br />
Directive (CSRD) ihre Schatten voraus. In<br />
Kraft getreten ist diese bereits am 5. Januar<br />
2023, in nationales Recht umsetzen<br />
müssen die EU-Mitgliedstaaten die Direktive<br />
nun bis spätestens Juli 2024. Bis<br />
2028 werden schrittweise insgesamt circa<br />
49.000 Unternehmen über Nachhaltigkeit<br />
– auch in der Lieferkette – berichten<br />
müssen.<br />
Nach einer Umfrage von Statista sehen<br />
Unternehmen die größten Hürden zum einen<br />
im zeitlichen Aufwand, den die Datenerfassung,<br />
-auswertung und die Berichterstattung<br />
mit sich bringen, zum anderen<br />
in der nötigen Datenqualität, die<br />
für ein aussagekräftiges Reporting notwendig<br />
ist. Die gute Nachricht ist: Der<br />
bürokratische Aufwand lässt sich mit den<br />
richtigen Hilfsmitteln meistern. Denn es<br />
gibt eine Vielzahl von Wegen, wie Unternehmen<br />
die Einhaltung ihrer Sorgfaltspflichten<br />
umsetzen und im besten Fall<br />
dabei sogar unternehmerischen Mehrwert<br />
erzielen können.<br />
Software schafft<br />
Transparenz und Effizienz<br />
Unternehmen arbeiten oft mit Zehntausenden<br />
von direkten Lieferanten zusammen.<br />
Hinzu kommen mittelbare Zulieferer<br />
und die eigenen Geschäftspraktiken, die<br />
sie im Blick behalten müssen. Analog ist<br />
die Informationsmasse, die allein durch<br />
die Lieferantenstammdaten entsteht, für<br />
die betroffenen Unternehmen ohne externe<br />
Unterstützung oft nicht zu bewältigen.<br />
Viele Unternehmen greifen deshalb auf<br />
18 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
MANAGEMENT «<br />
spezialisierte Softwareanbieter zurück,<br />
die bei der Einhaltung von Sorgfaltspflichten<br />
kompetent unterstützen und einen<br />
übersichtlichen Risikomanagementprozess<br />
bieten.<br />
Eine systematische Erfassung relevanter<br />
Daten ist die Grundlage für eine automatisierte<br />
Datenanalyse und -auswertung.<br />
Damit verschaffen sich Unternehmen einen<br />
Überblick über die Gesamtheit ihrer<br />
Lieferantenbasis. Die Auswertung ist wiederum<br />
wichtig, um eine aussagekräftige<br />
Dokumentation zu gewährleisten, die für<br />
Reportings, wie sie beispielsweise im<br />
LkSG oder der CSRD gefordert sind, notwendig<br />
ist.<br />
Der Prozess des<br />
ESG-Risikomanagements<br />
Die Analyse und Dokumentation der Daten<br />
sind allerdings nur ein, wenn auch<br />
sehr wichtiger, Schritt. Um Risiken in der<br />
Lieferkette frühzeitig zu erkennen, reicht<br />
er allein, häufig einmal im Jahr durch eine<br />
Bestandsanalyse ausgeführt, nicht aus.<br />
Nur ein kontinuierliches Monitoring bietet<br />
die Möglichkeit, Risiken seriös und<br />
nachvollziehbar bewerten und sofort einschreiten<br />
zu können, wenn Veränderungen<br />
des Risikostatus erkennbar sind.<br />
Hierfür eigen sich Plattformlösungen besonders<br />
gut, auf denen alle Daten in einem<br />
Dashboard zusammenlaufen. Diese<br />
Art von Control Panel ermöglicht einen<br />
Überblick sowohl über verschiedene ESG-<br />
Kategorien als auch über die Lieferanten.<br />
Somit versetzt die Plattform Unternehmen<br />
in die Lage, Reporting- und Offenlegungspflichten<br />
im Einklang mit den relevanten<br />
Standards zu erfüllen.<br />
Eine dezidierte Software zur Überwachung<br />
der Lieferkette bietet zudem eine<br />
hohe Skalierbarkeit. Neue Lieferanten<br />
können leicht ergänzt, bestehende ohne<br />
großen Aufwand angepasst werden. Auf<br />
Basis der Daten, die auf der Plattform gesammelt<br />
werden, können Unternehmen<br />
zielgerichtete Handlungsweisen und<br />
Maßnahmen ableiten. Die gesammelten<br />
Daten tragen zur Transparenz im Unternehmen<br />
und entlang der Lieferkette bei.<br />
Unternehmen erhalten wichtige Einblicke,<br />
die sich wiederum auf andere Unternehmensbereiche,<br />
wie Forschung, Entwicklung<br />
oder die Produktion, auswirken. So<br />
können zum Beispiel schädliche oder risikobehaftete<br />
Rohstoffe und Materialien<br />
kritisch untersucht und gegebenenfalls<br />
durch nachhaltigere Alternativen ersetzt<br />
werden.<br />
Die Anforderungen aus dem LkSG und anderen<br />
Gesetzgebungen bieten eine gute<br />
Gelegenheit, bestehende Prozesse im unternehmensinternen<br />
Lieferkettenmanagement<br />
genau unter die Lupe zu nehmen.<br />
Im Grunde machen die Sorgfalts- und Berichtspflichten<br />
eine digitale Lösung unumgänglich.<br />
Die Einführung einer Monitoring-Software<br />
leistet somit einen großen<br />
Beitrag zur Digitalisierung im Unternehmen<br />
– ein willkommener Mehrwert<br />
für viele Unternehmen.<br />
Um den Sorgfalts- und Berichtspflichten<br />
nachzukommen, müssen Unternehmen<br />
Auskunft über die eigenen Geschäftspraktiken,<br />
direkte Zulieferer und in anlassbezogenen<br />
Fällen auch über ihre mittelbaren<br />
Lieferanten geben. Dazu bedarf es<br />
umfassender Analysen. Das LkSG schreibt<br />
jährliche Risikoanalysen für die eigenen<br />
Geschäftspraktiken und die direkte Lieferkette<br />
vor. Zudem sind auch anlassbezogene<br />
Analysen nötig, sobald sich die Geschäftstätigkeit<br />
ändert. Wertvoll zu wissen<br />
ist, dass beim LkSG mittelbare Zulieferer<br />
nur bei substanziellen Hinweisen<br />
auf mögliche Verletzungen analysiert<br />
werden müssen. Grundsätzlich gilt nämlich<br />
das Prinzip der Angemessenheit. Das<br />
bedeutet, dass Unternehmen nur das tun<br />
müssen, was ihnen angesichts ihres individuellen<br />
Kontextes möglich ist, sich also<br />
auf die wesentlichen Risiken konzentrieren<br />
können.<br />
Risiken in der Lieferkette<br />
zeitnah identifizieren<br />
Digitale Lösungen können maßgeblich bei<br />
der Umsetzung der Sorgfaltspflichten unterstützen<br />
und ermöglichen die Durchführung<br />
regelmäßiger Risikoanalysen sowie<br />
das Ableiten und Verwalten von erforderlichen<br />
Präventions- und Abhilfemaßnahmen.<br />
Außerdem erleichtern sie<br />
die Dokumentation und Berichterstattung.<br />
Unternehmen sollten sich daher<br />
frühzeitig auf die Suche nach einer geeigneten<br />
Lösung machen.<br />
ESG-Risikomanagement: Nachhaltigkeitsmonitoring über Plattformen.<br />
Bild: IntegrityNext<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 19
» MANAGEMENT<br />
Mit Hilfe eines mehrstufigen Modells<br />
lässt sich schnell identifizieren, wo sich<br />
Risikopotenzial verbirgt. Bei IntegrityNext<br />
beispielsweise, einer cloudbasierten<br />
Plattform für nachhaltige Lieferketten,<br />
erfolgt zunächst eine automatisierte Einstufung<br />
der Nachhaltigkeitsrisiken aller<br />
Lieferanten auf Basis von mehr als 45 Industrie-<br />
und Länder-KPIs zu Themen wie<br />
Kinderarbeit, Arbeitssicherheit und Umweltverschmutzung.<br />
Gleichzeitig durchforstet<br />
eine KI täglich Medien und soziale<br />
Netzwerke nach kritischen Lieferantenmeldungen.<br />
Stellen sich bei einem Lieferanten<br />
erhöhte Risiken heraus, kann dieser<br />
zu einem vertieften, themenbezogenen<br />
Assessment eingeladen werden. Der<br />
Lieferant muss dann über Zertifikate und<br />
die Beantwortung von Fragebögen nachweisen,<br />
dass er ESG-Risiken erkennen und<br />
minimieren kann. Ein Expertenteam hilft<br />
bei der Validierung der Ergebnisse, prüft<br />
eingehende Auskünfte wie Zertifikate und<br />
Belegdokumente und stellt bei Bedarf<br />
Korrekturanfragen an die Lieferanten.<br />
Nachfolgend kann der Kunde über die<br />
Plattform Präventiv- und Abhilfemaßnahmen<br />
einleiten und den Fortschritt kontinuierlich<br />
verfolgen. Abgerundet wird das<br />
Ganze durch einen automatisiert erstellten<br />
Nachhaltigkeitsbericht, der beispielsweise<br />
für gesetzliche Offenlegungspflichten,<br />
wie die des deutschen Lieferkettengesetzes<br />
oder der europäischen Corporate<br />
Sustainability Reporting Directive (CSRD),<br />
genutzt werden kann.<br />
Nick Heine, Integrity Next<br />
Wesentliche Aspekte bei der Auswahl geeigneter Tools<br />
Nick Heine, Co-Founder und COO bei<br />
Integrity Next<br />
Bild: IntegrityNext/Matthias Haslauer<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>: Warum ist<br />
kontinuierliches Monitoring<br />
entscheidend , um Risiken in der<br />
Lieferkette frühzeitig zu erkennen,<br />
im Vergleich zu einer jährlichen<br />
Bestands analyse?<br />
Nick Heine: Kontinuierliches, proaktives<br />
Monitoring in der Lieferkette<br />
ist entscheidend für ein erfolgreiches<br />
Risikomanagement, da man so Risiken<br />
in Echtzeit erkennen und schnell<br />
reagieren kann – im Gegensatz zur<br />
jährlichen Analyse, die Probleme<br />
möglicherweise erst spät erkennt. Es<br />
identifiziert Trends frühzeitig,<br />
reduziert potenzielle Auswirkungen<br />
von Störungen und ermöglicht<br />
kontinuierliche Verbesserungen im<br />
Risikomanagement .<br />
Welche Kriterien sollten Unternehmen<br />
bei der Auswahl einer geeigneten<br />
Softwarelösung für die Sorgfaltspflichten<br />
in Lieferketten beachten?<br />
Heine: Eine der größten Herausforderungen<br />
des LkSG liegt im administrativen<br />
Aufwand. Eine Software lösung<br />
muss daher große Mengen an Lieferantendaten<br />
verwalten und verarbeiten<br />
können und sollte effiziente Risikomanagementprozesse<br />
von Lieferantenmanagement,<br />
Datenerfassung und -analyse<br />
über Risikobewertung bis hin zur Berichterstattung<br />
abbilden können. Bestenfalls<br />
unterstützt eine solche Lösung<br />
automatisiert abstrakte Risiko- und<br />
Wesentlichkeitsanalysen, sodass Ressourcen<br />
durch eine intelligente Lieferantenpriorisierung<br />
optimal genutzt<br />
werden. Das Thema Dokumentation und<br />
Berichterstattung ist ein wesentlicher<br />
Aspekt. Hier sollte man darauf achten,<br />
dass ein Tool die Methodik und Maßnahmen<br />
dokumentiert und berichtsfähige<br />
KPIs zur Verfügung stellt, um die<br />
Effektivität der angewandten Maßnahmen<br />
zu messen und das Berichten zu<br />
erleichtern. Eine Softwarelösung sollte<br />
flexibel gestaltet sein, um sich den<br />
ständig ändernden gesetzlichen Anforderungen<br />
und spezifischen Prozessen<br />
des Unternehmens anzupassen. Außerdem<br />
sollte sie sich nahtlos in bestehende<br />
Systeme und Arbeitsabläufe integrieren<br />
lassen. Nicht zuletzt spielt für<br />
die Akzeptanz im Unternehmen sowie<br />
beim Lieferanten die Benutzerfreundlichkeit<br />
eine große Rolle.<br />
Welche konkreten Maßnahmen<br />
können Unternehmen ergreifen, um<br />
auf erhöhte Risiken in der Liefer -<br />
kette zu reagieren, und wie wird der<br />
Fortschritt überwacht?<br />
Heine: Das kann mit Kontrollmechanismen<br />
anfangen, beispielsweise über<br />
Selbstauskünfte oder Vor-Ort Audits,<br />
um tiefere Einblicke in die Praktiken<br />
der Lieferanten zu bekommen. Unternehmen<br />
können Schulungen und<br />
Trainings für ihre Lieferanten anbieten,<br />
um das Bewusstsein zu stärken und<br />
das notwendige Know-how aufzubauen.<br />
Die Kommunikation mit den Lieferanten<br />
ist besonders wichtig – tritt<br />
tatsächlich eine Verletzung ein, sollte<br />
man gemeinsam Maßnahmen zur Minimierung<br />
oder Beendigung entwickeln.<br />
Diese können über ein Tool wie<br />
IntegrityNext verwaltet, dokumentiert<br />
und nachverfolgt werden . Man kann<br />
aber auch früher ansetzen, um Risiken<br />
von vorneherein zu minimieren. Das<br />
kann zum Beispiel durch vertragliche<br />
Zusicherungen wie Code of Conducts<br />
geschehen oder indem bereits bei der<br />
Auswahl der Lieferanten ESG-Aspekte<br />
berücksichtigt werden.<br />
20 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Transformation des Einkaufs<br />
Die neue Ökonomie der <strong>Beschaffung</strong><br />
Klimaziele, Sorgfaltspflichten, Inflation und Materialkrisen haben ein Umfeld geschaffen,<br />
in dem der Einkauf viele Zielkonflikte verhandeln muss. Im Balanceakt von Versorgung,<br />
Innovation, Kosten, Qualität, Nachhaltigkeit und Resilienz hilft ein Deep-Dive in<br />
die Warengruppenstruktur.<br />
Multiple Krisen haben die Rahmenbedingungen<br />
für Unternehmen spürbar verändert. Aus der<br />
Pandemie und dem Ukrainekrieg entstanden Lieferengpässe<br />
und Preissteigerungen, die den Energieund<br />
Materialzukauf deutlich verteuert und erschwert<br />
haben. Hinzu kommen die Klimakrise und die umwelt-<br />
und menschenrechtlichen Sorgfaltspflichten.<br />
Auf Missstände in den Lieferketten wie moderne<br />
Sklaverei und Kinderarbeit hat der Gesetzgeber reagiert<br />
und die Lieferkettenverantwortung seit 2023<br />
gesetzlich festgeschrieben. Die EU legt mit einer eigenen<br />
Regelung jetzt nach.<br />
CO 2 hat ein Preisschild<br />
Aus dieser Komplexität ergeben sich Zielkonflikte: Es<br />
geht nicht mehr nur um die Balance eines Dreiecks<br />
aus Kosten, Qualität und Zeit. Es geht – in einem<br />
Sechseck – gleichzeitig um Nachhaltigkeit, Resilienz<br />
und Innovation.<br />
Diese neue Ökonomie der <strong>Beschaffung</strong> hat Auswirkungen<br />
auf Kostenprojekte, Kostenstrukturen und die<br />
Ausgestaltung der Liefernetzwerke. Gleichzeitig ist<br />
sie die adäquate Reaktion auf Klimakrise, Geopolitik<br />
und Gesetzgebung sowie auf die Notwendigkeit die<br />
Liefernetzwerke nachhaltig und resilient umzugestalten.<br />
Der Wandel wird durch die Regulatorik getrieben. In<br />
Deutschland gilt das Lieferkettengesetz als Auftakt<br />
für eine neue Art des Wirtschaftens, die die externalisierten<br />
Kosten in die Rechnung einbezieht. Die Verantwortung<br />
der Unternehmen wird mit der EU-Lieferkettenregulatorik<br />
deutlich ausgeweitet. Die Regelung<br />
gilt auch für die vorgelagerten Lieferketten und<br />
umfasst Klimaziele. Für die Umsetzung der Klimaziele<br />
spielt die EU-Taxonomie eine wichtige Rolle. Sie legt<br />
fest, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten als nachhaltig<br />
gelten und soll Kapitalströme entsprechend<br />
umlenken. Mit der ab 2025 geltenden Richtlinie zur<br />
nachhaltigen Berichterstattung (CSRD) kommen<br />
weitere Berichtspflichten. Die Nachhaltigkeitsberichterstattung<br />
wird der finanziellen Berichtspflicht<br />
gleichgestellt und unterliegt einer externen Prüfung.<br />
Ein Instrument, um in Europa die Klimaziele zu erreichen,<br />
ist der Emissionshandel (EU-ETS). Dabei bildet<br />
sich der CO 2 -Preis als Knappheitspreis am Markt.<br />
2022 wurde erstmals die 100 Euro-Marke für eine<br />
Tonne CO 2 -Äquivalent erreicht. Hinzu kommt die<br />
CO 2 -Steuer, die für fossile Brennstoffe bis 2025 in<br />
Deutschland auf 55 Euro je Tonne CO 2 -Äquivalent<br />
ansteigen soll. Das europäische CO 2 -Grenzausgleichssystem<br />
belegt seit Herbst 2023 auch die Emissionen<br />
importierter Rohstoffe und Vorprodukte mit<br />
einer CO 2 -Abgabe. Der Carbon Border Adjustment<br />
Mechanism (CBAM) betrifft Eisen, Stahl, Zement,<br />
Aluminium, Elektrizität, Düngemittel, Wasserstoff<br />
sowie bestimmte vor- und nachgelagerte Eisen- und<br />
Stahlprodukte. Ab 2026 sind die CBAM-Zertifikate<br />
für den Import verpflichtend. CO 2 ist also längst mit<br />
einem Preisschild versehen. Und der Preis wird weiter<br />
steigen.<br />
Unbestritten ist: Der moderne Einkauf ist sehr erfahren<br />
darin die Einkaufspreise mit der Materialqualität<br />
Das Zukunftswerkstatt Summit am 13. März 2024<br />
in Bonn setzt den Diskurs um die „Neue Ökonomie<br />
der <strong>Beschaffung</strong>“ in interaktiven Vortragsund<br />
Workshopformaten fort und begleitet Einkauf<br />
& SCM bei der Transformation.<br />
Anmeldung: zukunftswerkstatt-einkauf.de<br />
Bild: amc<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 21
» MANAGEMENT<br />
Die Hebel für die Transformation<br />
• Analyse: Im Warengruppenstrategieprozess werden<br />
<strong>Beschaffung</strong>smärkte, Länderrisiken, Technologietrends,<br />
Preisentwicklung und der Status der Transformation<br />
(Umsetzung der Klimaziele, Reduktionsmaßnahmen<br />
im Landes- und Wettbewerbsumfeld)<br />
intensiv beleuchtet. Aus den Erkenntnissen leitet<br />
sich die angepasste Warengruppenstrategie ab.<br />
• Gesprächsbasis: Mit einer ausgearbeiteten Warengruppenstrategie<br />
ist der Einkauf auf Transformationsgespräche<br />
optimal vorbereitet und kann Nachhaltigkeits-<br />
und Kostenziele gegenüber Lieferanten<br />
realistisch adressieren.<br />
• Optionen: Wer die <strong>Beschaffung</strong>smärkte, die Preisentwicklung<br />
und den Reifegrad der Unternehmen<br />
im Hinblick auf die Transformation (Klimaziele,<br />
Maßnahmen zur Reduktion) und die Länderrisiken<br />
von Warengruppen kennt, kann mit strategischen<br />
Lieferanten auf partnerschaftlicher Ebene die<br />
besten Handlungs- und Preisoptionen erarbeiten.<br />
• Relevanz: Der Strategieprozess erlaubt es Warengruppen,<br />
Untergruppen und relevante Artikel in<br />
einer Kraljic-Matrix nach Relevanz der Waren -<br />
gruppe und Komplexität des <strong>Beschaffung</strong>smarktes<br />
in Hebel- und Engpassmaterialien, strategische und<br />
kritische Materialien zu unterteilen und hieraus die<br />
entsprechenden Maßnahmen abzuleiten.<br />
• Nutzen: Die Erfahrungen zeigen : Das strategische<br />
Warengruppenmanagement hilft durch die Erkenntnisse<br />
auch bei der Sicher stellung der Versorgung<br />
und dem Aufbau resilienter Lieferketten.<br />
und Versorgung abzugleichen. Mit der ESG-Regulatorik<br />
und den Klimazielen versucht man nun einen<br />
Teil der externen Kosten zu internalisieren. Auch die<br />
Resilienz von Lieferketten erfordert eine neue Bewertung<br />
der Kosten und Risiken, die die ausgelagerte<br />
Wertschöpfung mit sich bringt. Damit werden Kostenprojekte<br />
im Einkauf mehrdimensional. Und sie<br />
brauchen, um optimale Entscheidungen daraus abzuleiten,<br />
einen crossfunktionalen und unternehmensübergreifenden<br />
Ansatz. Unbestritten ist auch:<br />
Für die Dekarbonisierung der Lieferketten spielt der<br />
Einkauf eine zentrale Rolle. Genauso wie für die Stabilität<br />
der Materialkosten. Wichtig ist es, die Abhängigkeiten<br />
zu verstehen. Dazu gehören Fragen wie:<br />
• Wo entsteht in den einzelnen Warengruppen der<br />
Großteil der Emissionen?<br />
• Welche dieser Emissionen lassen sich weitgehend<br />
kostenneutral reduzieren?<br />
• Welche Reduktionsmaßnahmen verursachen nur<br />
geringe Mehrkosten?<br />
• Für welche Hebel sind aufwändige Umstellungen,<br />
Innovationen im Produktdesign, bei der Materialauswahl,<br />
in den Fertigungsprozessen und weitere<br />
knappe grüne Energiequellen nötig? Und: Wie<br />
werden diese Mehrkosten entlang der Wertschöpfungskette<br />
verteilt?<br />
Woher kommen Ihre Ausgaben?<br />
Die Abhängigkeiten werden in kleinen, überschaubaren<br />
Pilotprojekten greifbar. Nachfolgend ist exemplarisch<br />
das Vorgehen für eine CO 2 -Initiative skizziert:<br />
1. Über eine zunächst spendbasierte Scope-3 Ermittlung<br />
und eine CO 2 -Hotspot-Analyse werden Pilotlieferanten<br />
ausgewählt.<br />
2. Der Projektbetrieb startet mit einer Brainstorming-<br />
Phase zur Sammlung von Ideen zur CO 2 -Reduzierung.<br />
Um die richtige Absprungbasis zu definieren, werden<br />
im Vorfeld Reifegrad der bisherigen Nachhaltigkeitsaktivitäten<br />
sowie die Klimaperformance ermittelt.<br />
3. Die Ideen werden im nächsten Schritt in quantifizierbare<br />
Initiativen überführt, deren Machbarkeit bewertet<br />
und ein Umsetzungszeitrahmen für die Maßnahmen<br />
festgelegt wird. Im besten Fall dient ein Product<br />
Carbon Footprint zur Dokumentation des Ist-<br />
Zustandes (vorher)<br />
4. Der Maßnahmenfortschritt wird dokumentiert, die<br />
Ergebnisse in einem Härtegradmodell festgehalten,<br />
die PCF-Kalkulation aktualisiert und die Einsparungen<br />
ermittelt (nachher).<br />
5. Das Wissen und die Erfahrungen werden festgehalten<br />
und auf Folgeprojekte übertragen.<br />
Woher die Emissionen?<br />
Je mehr Faktoren in <strong>Beschaffung</strong>sentscheidungen<br />
einfließen, desto wichtiger ist Transparenz, sowohl<br />
bezogen auf die Kosten, als auch – im Fall der Klimaziele<br />
– auf die Emissionen. Im Idealfall liegen wie<br />
oben beschrieben nicht nur unternehmensbezogene,<br />
sondern auch materialbezogene Emissionsdaten vor.<br />
Hierfür gibt es verschiedene Möglichkeiten:<br />
• Die Chemiebranche hat einen eigenen Standard<br />
zur Berechnung des Product Carbon Footprint<br />
(PCF) entwickelt.<br />
• Andere Branchen und Unternehmen nutzen die<br />
Metrik der ISO 14067.<br />
• Das Greenhouse Gas Protocol (GHG) für die<br />
CO 2 -Bilanzierung von Unternehmen wird ebenfalls<br />
zur Produktbilanzierung herangezogen.<br />
22 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Bild: Francesco Scatena/stock.adobe.com<br />
Doch längst sind nicht alle Lieferanten „reif“ genug,<br />
ihre Emissionen produktbezogen berechnen zu können.<br />
Viele insbesondere mittelständische Firmen<br />
steigen jetzt erst in die zunächst unternehmensbezogene<br />
Bilanzierung ein.<br />
Lässt sich beides senken?<br />
Der Druck auf die Unternehmen in der Transformation<br />
ist hoch. Hohe Energie- und Materialpreise lasten<br />
auf den Ergebnissen und wirken sich in vielen Branchen<br />
auf die Nachfrage aus. Angesichts steigender<br />
Kosten und Zukaufquoten von 70 Prozent und mehr<br />
wird der Einkauf auch künftig nicht nur als Nachhaltigkeits-,<br />
sondern weiterhin als zuverlässiger Kostengarant<br />
gebraucht. Damit das funktioniert, müssen<br />
Kosteninitiativen an die neuen Anforderungen angepasst<br />
werden. Der größte Unterschied ist, dass Unternehmen<br />
sich mit Lieferanten, im Idealfall mit<br />
mehreren Wettbewerbern, deutlich früher als bislang<br />
an einen Tisch setzen und die Potenziale gemeinsam<br />
erarbeiten müssen. Die Betrachtungen brauchen eine<br />
langfristige Perspektive, Lieferanten entsprechend<br />
langfristige Verträge. Der Grund: Die für die Transformation<br />
notwendigen Innovationssprünge – auch<br />
kostenseitig – entstehen vor allem aus dem gegenseitigen<br />
Verständnis der Geschäftsmodelle.<br />
Aus den Leuchtturmprojekten entstehen weitere<br />
Kosten- und Nachhaltigkeitsinitiativen. Der ganzheitliche<br />
Blick ist entscheidend. Die Lösungen stecken<br />
in Fertigungsprozessen, im Produktdesign, in<br />
der Logistik. Die Ideen entstehen im Austausch. Gleiches<br />
gilt für die Gestaltung resilienter Lieferketten<br />
und die mit Regionalisierung und Diversifizierung<br />
verbundenen Mehrkosten. Auch dieser Widerspruch<br />
lässt sich nur im Austausch und in einer gemeinsamen<br />
Strategie der kleinen Schritte auflösen.<br />
Grundlegend für die Strategieentwicklung sind Kostenstrukturanalysen<br />
in Kombination mit Risiko- und<br />
Nachhaltigkeitsbetrachtungen. Die Analysen zeigen,<br />
wo Kosten, Emissionen und Risiken entstehen und<br />
zeigen die Abhängigkeiten. Voraussetzung ist ein<br />
systematisches Warengruppenmanagement und ein<br />
unternehmensweit harmonisierter, detaillierter Warengruppenschlüssel.<br />
Der Strategieprozess schafft<br />
den notwendigen Überblick über die Ausgabenverteilung<br />
der Vergangenheit und die künftige Nachfrage<br />
in den Warengruppen. Materialkosten, Risiken und<br />
Emissionen werden in Warengruppendossiers systematisch<br />
zusammengefasst und bewertet.<br />
Sind die Kriterien und Ziele in der Warengruppenstrategie<br />
festgelegt, lassen sie sich in Initiativen und<br />
Vergabeprojekten gegeneinander abwägen: Starten<br />
Sie mit überschaubaren Piloten (siehe oben), sammeln<br />
Sie Erfahrungen und gehen Sie die Veränderungen<br />
schrittweise an.<br />
Wichtig: Kostenstrukturanalysen<br />
Die Ergebnisse der Warengruppenstrategie und aus<br />
den Kosten- und Nachhaltigkeitsprojekten münden in<br />
eine nachhaltige Lieferantenstrategie und Weiterentwicklung<br />
der Lieferantenbasis. Auch hierfür ist zum<br />
Start ein Deep Dive mit einzelnen Firmen sinnvoll:<br />
• Mit den Schlüssellieferanten alle Wertschöpfungsstufen<br />
anschauen.<br />
• Gemeinsame Analyse der Kosten- und Emissions -<br />
strukturen .<br />
• Risiken bewerten.<br />
• Handlungsoptionen, um Risiken, Emissionen und<br />
Kosten zu reduzieren, erarbeiten.<br />
Georg Rinkens<br />
amc Group<br />
Bild: amc<br />
In vielerlei Hinsicht<br />
hat die neue Ökonomie<br />
der <strong>Beschaffung</strong><br />
Auswirkungen auf<br />
Kostenprojekte,<br />
Kosten strukturen und<br />
die Ausgestaltung der<br />
Liefernetzwerke.<br />
Maximilian Droste<br />
amc Group<br />
Bild: amc<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 23
» MANAGEMENT<br />
Jörg Hülsmann, CPO, Kaeser Kompressoren<br />
„In der <strong>Beschaffung</strong> wurden Helden<br />
gemacht“<br />
Kaeser Kompressoren ist ein mittelständisches Familienunternehmen und einer der<br />
weltweit führenden Hersteller von Produkten und Dienstleistungen im Bereich<br />
Druckluft . Mit dem Leiter des Strategischen Einkaufs Jörg Hülsmann sprach <strong>Beschaffung</strong><br />
<strong>aktuell</strong> über den geänderten Stellenwert des Einkaufs in Krisenzeiten, Kommunikation<br />
als Game-Changer und das „Neue Normal“.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>: Herr Hülsmann, der Einkauf<br />
ist in den letzten drei Jahren in vielen Unternehmen<br />
zu einem der wichtigsten Player geworden …<br />
Jörg Hülsmann: Ja, das ist richtig. In „normalen“<br />
Zeiten liegt der Fokus im Unternehmen<br />
meist auf dem Vertrieb.<br />
In den letzten (Krisen-)<br />
Jahren bekamen Einkauf und<br />
Produktion deutlich mehr Gewicht.<br />
Für uns steht ganz klar<br />
die Produktionsversorgung im<br />
Vordergrund, und in den letzten<br />
drei Jahren kam es dabei<br />
vor allem auf gute Kommunikation<br />
und auf Schnelligkeit<br />
an. Wären wir nicht in der Lage gewesen, auf Zuruf<br />
sofort zu handeln, dann hätten wir mit der Versorgung<br />
sicher Schwierigkeiten gehabt.<br />
Wir sind ein Familienunternehmen, haben kurze Wege<br />
in der Kommunikation und Mitarbeiter, die einander<br />
zum größten Teil schon sehr lange und dementsprechend<br />
gut kennen. Das ist uns in den letzten Jahren<br />
sicherlich zu Gute gekommen, denn so waren wir<br />
in der Lage, schnell und flexibel zu reagieren. Und<br />
was man natürlich auf jeder Ebene braucht, sind be-<br />
Jörg Hülsmann<br />
... studierte Maschinenbau an der TU München. Er<br />
graduierte als Diplom-Ingenieur im Maschinenbau<br />
und absolvierte anschließend ein Aufbaustudium mit<br />
dem Abschluss Diplom-Wirtschaftsingenieur. Seit<br />
1999 ist er bei der Kaeser Kompressoren SE, Coburg<br />
tätig, erst als Assistent der Einkaufsleitung und seit<br />
2<strong>01</strong>4 als Leiter des Strategischen Einkaufs.<br />
»Wären wir nicht gut<br />
vernetzt gewesen, dann<br />
hätten wir die letzten<br />
Jahre nicht so gut<br />
überstanden.«<br />
wertete Informationen. Wenn mir drei Experten im<br />
Unternehmen sagen, bei den unkritischen Teilen ist<br />
alles gut, aber bei den kritischen Teilen wird es<br />
brenzlig, dann hilft mir das viel mehr als eine neutrale<br />
Zahl, die mir sagt, unsere<br />
Ausfallquote beträgt insgesamt<br />
vielleicht 20 Prozent. So<br />
etwas geht nur, wenn man<br />
schnell und unkompliziert<br />
miteinander spricht, und das<br />
ist in einem Familienunternehmen<br />
sicher leichter als in<br />
einem Konzern mit starren<br />
Strukturen. Ich persönlich<br />
glaube, dass die Unternehmen,<br />
die flexibel und agil und gut in der Zusammenarbeit<br />
waren, besser durch die Krise gekommen sind als Unternehmen,<br />
die an Strukturen und festen Kommunikationswegen<br />
festgehalten haben. Wir haben insbesondere<br />
am Anfang der Schwierigkeiten in der Supply<br />
Chain gemerkt: Schnelligkeit ist alles. Wer schnell<br />
ist, kann produzieren und hat keine Kurzarbeit. In der<br />
<strong>Beschaffung</strong> reden wir immer auch über Verteilungskämpfe.<br />
Hat das auch Auswirkungen auf die Zusammenarbeit<br />
mit Ihren Lieferanten?<br />
Wir arbeiten mit unseren Lieferanten partnerschaftlich<br />
zusammen, das ist ein Kernpunkt unserer Einkaufsstrategie.<br />
So etwas kann den Unterschied machen<br />
zwischen Erfolg und Insolvenz. Und wir haben in den<br />
letzten Jahren deutlich gesehen, dass der Abstand<br />
zwischen Erfolg und Insolvenz wesentlich kleiner<br />
geworden ist. Sprich: Fehlt ein wichtiges Teil und fehlt<br />
es über einen längeren Zeitraum, dann hat das Unternehmen<br />
ein riesiges Problem. Denn in den letzten<br />
Jahren war es nicht wirklich möglich zu wechseln, alle<br />
Ressourcen waren komplett ausgeschöpft.<br />
24 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Welches sind Ihre wichtigsten Einkaufsmärkte?<br />
Unsere Lieferanten sitzen hauptsächlich in Mitteleuropa,<br />
vor allem in Deutschland, Italien und Tschechien.<br />
Das hat uns in den letzten Jahren durchaus<br />
geholfen, wir waren beispielsweise von den Schließungen<br />
chinesischer Häfen kaum betroffen. Vorprodukte<br />
kommen aus Asien, keine Frage. Die Lieferketten<br />
wurden teilweise sehr transparent, und wenn irgendwo<br />
in Deutschland noch ein oder zwei Lieferanten<br />
Ware liegen hatten, konnte das schon den entscheidenden<br />
Unterschied machen. Wir haben in der<br />
Zeit auch unsere Lagerhaltung massiv ausgebaut.<br />
Bild: Kaeser<br />
Und wo liegt der Fokus nun?<br />
In den letzten Jahren ging es vor allem darum, die<br />
Produktion sicherzustellen. Die Jahre 2<strong>01</strong>8 und 2<strong>01</strong>9<br />
waren mehr oder weniger der Normalzustand. Dann<br />
kam Corona mit abgerissenen Supply Chains, Chaos,<br />
explodierten Preisen etc. Die große Frage ist nun, wie<br />
sich das Ganze entwickeln wird. Wie wird die „neue<br />
Normalität“ aussehen? So wirklich klar lässt sich das<br />
noch nicht sagen. Die Lieferketten werden langsam<br />
wieder stabiler, sind allerdings noch nicht wieder auf<br />
dem Niveau wie vor Corona. Preise sind ein großes<br />
Thema, Inflation und die Marktverschiebungen zwischen<br />
Europa, Asien und den USA. Diese volkswirtschaftlichen<br />
Parameter zeigen sich erst allmählich,<br />
und sie werden sicher anders aussehen als vor drei<br />
oder vier Jahren. Das „neue Normal“ wird also definitiv<br />
nicht wie das alte sein. Wie das Neue aussieht<br />
und wie man sich darauf einstellen kann, das ist jetzt<br />
die spannende Frage. Und je schneller man versteht,<br />
was das neue Normal ist, desto besser steht das Unternehmen<br />
natürlich wirtschaftlich da.<br />
Das hieße, man muss so flexibel und gleichzeitig so<br />
vorbereitet sein wie nur möglich …<br />
Das ist schwer zu sagen, denn vorbereitet zu sein kostet<br />
immer Geld, und die Frage ist doch, ob sich der Investitionsaufwand<br />
im Verhältnis zum Erfolg lohnt<br />
oder nicht. Die Lagerbestände, die wir in den letzten<br />
Jahren aufgebaut haben, werden wir sicher nicht auf<br />
dem gleichen Niveau weiterführen können, das wäre<br />
viel zu teuer. Also müssen wir uns die Preise ansehen<br />
und vor allem mit unseren Lieferanten reden. Trotzdem<br />
kann jederzeit etwas Unvorhergesehenes passieren<br />
und viele Fragen lassen sich derzeit einfach nicht<br />
beantworten: Was macht China, wie entwickelt sich<br />
die Versorgung mit Vormaterial von dort, was passiert<br />
im Bereich Elektronik und bei Seltenen Erden? Und in<br />
Deutschland: Wie geht es mit den Energiepreisen<br />
weiter? Das sind viele spannende Fragen, auf die man<br />
sich nur bedingt vorbereiten kann. Was wir tun, ist,<br />
unsere Lieferantenbasis zu diversifizieren. Wir haben<br />
zum Beispiel unsere Gießereien bisher alle in Mitteleuropa<br />
gehabt, da werden jetzt der Energiepreis und<br />
vor allem die Versorgungssicherheit zum Thema. Deshalb<br />
suchen wir nach Alternativen, nicht in China,<br />
sondern in der Türkei, in Spanien und auch in Indien.<br />
So verbreitern wir unsere Lieferantenbasis, nicht global,<br />
sondern sehr bewusst mit Blick auf die Risiken,<br />
die wir <strong>aktuell</strong> erkennen können.<br />
Binden Sie Ihre Lieferanten auch in die Entwicklung<br />
neuer Produkte mit ein?<br />
Ja, wir binden sie sogar sehr intensiv mit ein. Die<br />
meisten unserer Lieferanten kennen wir seit vielen<br />
Jahren und sie kennen uns und unsere Anforderungen<br />
sehr genau. Vielleicht ist das nicht immer die<br />
Jörg Hülsmann hat als<br />
CPO in den vergangenen<br />
Jahren die<br />
Einkaufs strategie bei<br />
Kaeser Kompressoren<br />
bestimmt.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 25
» MANAGEMENT<br />
Jörg Hülsmann ist seit<br />
2<strong>01</strong>4 CPO bei Kaeser<br />
Kompressoren.<br />
kostengünstigste Lösung, aber wenn wir mit Partnern<br />
arbeiten, die uns kennen, dann sind wir in der Entwicklung<br />
viel schneller und das Qualitätsniveau liegt<br />
meist deutlich höher. Time to market lässt sich durch<br />
langjährige Partnerschaften, gegenseitiges Verständnis<br />
und eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit<br />
mit den Lieferanten einfach enorm beschleunigen.<br />
Außerdem haben wir einen Innovationsvorteil,<br />
wenn zum Beispiel ein Unternehmen für uns forscht<br />
und entwickelt. Savings sind ja nicht alles; wir legen<br />
den Fokus lieber auf Qualität, Innovation und Kundenorientierung.<br />
Wir können preislich nicht mit einem<br />
Unternehmen mithalten, das seine Kompressoren<br />
in der chinesischen Provinz herstellt, denn dort<br />
gibt es ganz andere Kostenfaktoren. Dafür laufen unsere<br />
Maschinen länger, sind energieeffizienter und<br />
unsere Kunden erhalten einen exzellenten Service.<br />
Wo sehen Sie die größten Herausforderungen für<br />
Ihr Unternehmen, Ihre Organisation und sich selbst<br />
als Einkaufsverantwortlichen in den kommenden<br />
Jahren?<br />
Ich sehe, dass der Einkauf und vor allem seine gute<br />
Vernetzung, sowohl intern als auch extern, immer<br />
Bild: Kaeser<br />
wichtiger werden. Wären wir nicht gut vernetzt gewesen,<br />
dann hätten wir die letzten Jahre nicht so gut<br />
überstanden. Das Digitalisierung wichtig ist, muss<br />
man, glaube ich, gar nicht extra erwähnen – wer hier<br />
den Anschluss verpasst, der hat verloren. Ein großes<br />
Thema für uns sind auch neue gesetzliche Regelungen<br />
wie beispielsweise das LkSG und der richtige<br />
Umgang damit. Es gibt eine ganze Reihe für uns relevanter<br />
Vorschriften, zum Beispiel die EU-Verordnung<br />
über fluorierte Treibhausgase, die uns stark tangiert,<br />
da wir mit Kältemitteln arbeiten. Generell gibt es viele<br />
gesetzliche Regelungen, mit denen sich Unternehmen<br />
extrem schwer tun. Es kostet nicht nur jede<br />
Menge Geld, sondern schwächt auch das eigene Unternehmen<br />
im Vergleich zur Konkurrenz aus Asien,<br />
Indien oder den USA, die das viel entspannter sieht.<br />
Und, wie ich schon sagte: Die neue Normalität fängt<br />
gerade erst an, sich zu zeigen. Man kann sehen, dass<br />
in der jetzigen Zeit mit all den Problemen in der Supply<br />
Chain in der <strong>Beschaffung</strong> Helden gemacht wurden.<br />
Hier zeigen sich die Leute, die wirklich Biss haben,<br />
die schnell denken können, kreative Lösungen<br />
suchen und finden und die niemals aufgeben. In den<br />
letzten drei Jahren haben mich viele Mitarbeiter sehr<br />
überrascht, indem sie den Stab aufgenommen und<br />
nicht aufgegeben haben. Das waren dann letztendlich<br />
die Kollegen, die dafür gesorgt haben, dass wir<br />
ohne Kurzarbeit durch die Krise gekommen sind.<br />
Für <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> führte die Journalistin<br />
Ulrike Dautzenberg das Interview.<br />
Kaeser Kompressoren<br />
Das Familienunternehmen Kaeser<br />
Kompressoren ist einer der weltweit<br />
führenden Hersteller und Anbieter von<br />
Produkten und Dienstleistungen im<br />
Bereich Druckluft. Im Jahr 1919 als<br />
Maschinen bauwerkstatt gegründet,<br />
produziert Kaeser heute an zwei<br />
Produktions standorten in Deutschland.<br />
Auf der ganzen Welt beschäftigt das<br />
Unternehmen rund 7500 Mitarbeiter.<br />
Kaeser stellt seine Produkte in Coburg<br />
(Nordbayern) und Gera (Thüringen)<br />
her und vertreibt seine Kompressoren<br />
mittlerweile in über 140 Ländern mittels<br />
Niederlassungen und exklusiven<br />
Partnerfirmen.<br />
26 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
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Bild: scrioo<br />
Effektiv LkSG-Risiken managen<br />
Zu den Sorgfaltspflichten nach dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz (LkSG)<br />
gehört die Durchführung regelmäßiger Risikoanalysen, was viele Unternehmen vor<br />
Herausforderungen stellt. Mit scrioo gibt es eine kostengünstige und vor allem<br />
wirksame Lösung.<br />
Der Ansatz, bei Lieferanten mittels Fragebogen eine<br />
Selbstauskunft einzuholen, ist nicht nur prozessual<br />
heraufordernd – z.B., wenn ein Zulieferer aus<br />
Indien befragt werden soll. Befragungen sind<br />
schlichtweg nicht effektiv. Denn neben den Sprachhürden<br />
gibt es Interpretationsspielräume und der<br />
Prozess ist langatmig und bürokratisch.<br />
Ein wirksamer Ansatz vereint vorhandene interne Daten<br />
(z.B. eigene Risikometriken), externe Datenquellen<br />
(z.B. Sanktionslisten) und eine effektive Medienbeobachtung<br />
in Echtzeit. All dies findet sich in der<br />
scrioo-Plattform (www.scrioo.com).<br />
Via Online Media Monitoring werden verschiedenste<br />
Quellen und Medien systematisch beobachtet: Mitarbeiter,<br />
Kunden und Partner des Zulieferers sowie<br />
auch Journalisten, NGOs, Sanktionslisten. Insgesamt<br />
werden über 150 Millionen Online-Quellen via KI gefiltert,<br />
kategorisiert und bewertet. Und es lassen sich<br />
über die Erfordernisse des LkSG hinaus weitere Daten<br />
in die Plattform integrieren, etwa Credit Scores,<br />
Standortdaten oder branchenspezifische Aspekte.<br />
Das Setup geht schnell: in fünf Werktagen ist scrioo<br />
für Ihr Unternehmen eingerichtet. Alles, was es dazu<br />
braucht, ist eine Liste der zu beobachtenden Lieferanten<br />
sowie ggf. Themen (z.B. kritische Rohstoffe,<br />
Fachbegriffe). Dazu ist scrioo äußerst preiswert und<br />
Sie bleiben flexibel, da die Vertragsbindung bei nur<br />
einem Monat liegt.<br />
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scrioo – eine Marke der CURE S.A<br />
Ansprechpartner: Marco Feiten<br />
Managing Director<br />
Telefon: 0651 561 52 334<br />
Mobil: 0049 174 38 41 336<br />
E-Mail: m.feiten@scrioo.com<br />
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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 27
» MANAGEMENT<br />
China als Wirtschaftspartner<br />
Strategien im Umgang mit<br />
China : Zukunftsaussichten<br />
Über viele Jahre hinweg war auf China als Wachstumsmotor der Weltwirtschaft<br />
Verlass . Die deutsche Wirtschaft profitierte hiervon in erheblichem Maße, und der<br />
deutsch-chinesische Handel wuchs in 2022 auf stolze 299,6 Mrd. Euro. Die Volks -<br />
republik China war im Jahr 2022 zum siebten Mal in Folge Deutschlands wichtigster<br />
Handelspartner. Außerdem zog das Reich der Mitte deutsche Direktinvestitionen in<br />
erheblichem Umfang an. In jüngster Zeit ziehen dunkle Wolken auf, die ein<br />
Überdenken der China-Strategien erfordern.<br />
Wie ist der Aufstieg Chinas zur<br />
zweitgrößten Volkswirtschaft zu<br />
erklären? Nach der Stagnation in den<br />
1960er und 1970er Jahren unter Mao<br />
Tse-tung öffnete sich China der Welt in<br />
den 1980er Jahren, und Chinas Wirtschaft<br />
startete von einem sehr niedrigen<br />
Niveau aus in einer nicht für möglich gehaltenen<br />
Weise durch. Chinas Anteil an<br />
der globalen Wirtschaftsleistung stieg in<br />
dreißig Jahren um das Zehnfache von ur<br />
zwei Prozent im Jahre 1990 auf 18,4 Prozent<br />
im Jahr 2021. Keine andere Volkswirtschaft<br />
in der Welt erreichte ein derartiges<br />
Wachstum. China wurde so zur<br />
zweitgrößten Volkswirtschaft der Welt.<br />
Einerseits entwickelte sich China zur bedeutendsten<br />
Werkbank der westlichen Industrieländer;<br />
China-Sourcing war die<br />
unbestrittene Devise auch bei deutschen<br />
Einkäufern. Andererseits wurde das Reich<br />
der Mitte für die westlichen Industrieunternehmen<br />
immer wichtiger als Absatzmarkt<br />
und in den letzten Jahren auch als<br />
Produktionsstandort.<br />
Auch die globale Finanzkrise von 2007 bis<br />
2009 konnte Chinas Aufstieg nicht aufhalten.<br />
Die chinesische Regierung legte<br />
ein in der ganzen Welt höchst willkommenes<br />
massives Konjunkturprogramm<br />
auf, das die Infrastruktur, den Wohnungsbau<br />
und später auch Technologie in den<br />
Fokus nahm. China konnte dank der Anstrengungen<br />
der Regierung die Finanzkrise<br />
schnell hinter sich lassen. Die Zentral-<br />
regierung in Peking wollte mit einer beispiellosen<br />
Investitionsoffensive den großen<br />
Sprung nach vorne machen. Den lokalen<br />
Regierungen in China wurden von<br />
der Zentralregierung in Peking ambitionierte<br />
Wachstumsziele vorgegeben. Die<br />
lokalen Regierungen gingen vor diesem<br />
Hintergrund vor allem große Infrastruktur-<br />
und Bauinvestitionen an und finanzierten<br />
zusammen mit Schattenbanken<br />
die anstehenden Projekte, indem sie in<br />
gewaltigem Umfang Kredite bei den chinesischen<br />
Banken und der chinesischen<br />
Öffentlichkeit (reichen Chinesen) aufnahmen<br />
und dabei auch im Sinne einer kreativen<br />
Buchführung neue Finanzierungsinstrumente<br />
nutzten, um die von der Zentralregierung<br />
in Peking auferlegten Kreditbeschränkungen<br />
zu umgehen. Dies<br />
ging lange Zeit gut. Doch in 2023 ist<br />
deutlich geworden, dass das von staatlichen<br />
Investitionen getriebene chinesische<br />
Wirtschaftsmodell an seine Grenzen gestoßen<br />
ist.<br />
Die Erholung der chinesischen Wirtschaft<br />
nach dem brutalen Corona-Lockdown<br />
erwies sich als unerwartet zäh,<br />
und China bekam auch die weltweite<br />
Wachstumsschwäche der letzten beiden<br />
Jahre sowie die geopolitisch induzierten<br />
Handelsbeschränkungen schmerzhaft zu<br />
spüren. Im Ergebnis schrumpft der Anteil<br />
Chinas an der Weltwirtschaftsleistung in<br />
2023 deutlich auf rund 17 Prozent. Chinas<br />
Wirtschaft läuft nicht mehr rund!<br />
Nicht zuletzt haben Chinas Wettbewerber<br />
aus Südostasien kräftig aufgeholt<br />
und können China auf der Kostenseite<br />
unterbieten.<br />
Chinas Wirtschaft vor<br />
einem Berg von Problemen<br />
Chinas Wirtschaft steht 2023 vor großen<br />
Problemen: eine Immobilienblase, gigantische<br />
Schuldenberge der lokalen Regierungen,<br />
ein fragiles Finanzsystem und<br />
sinkendes Vertrauen der Verbraucher und<br />
Unternehmer in die weitere Wirtschaftsentwicklung<br />
mit der Konsequenz eines<br />
eklatanten Nachfragedefizits. Im Juli<br />
2023 ist China in die Deflation gerutscht.<br />
Deflation ist ein Zeichen von Kaufzurückhaltung<br />
von privaten Verbrauchern und<br />
Unternehmen. Chinas Importe gaben bis<br />
Mitte des Jahres im Jahresvergleich um<br />
mehr als 12 Prozent nach, die Exporte um<br />
15 Prozent. Auch die ausländischen Direktinvestitionen<br />
in China sind in jüngster<br />
Zeit stark rückläufig, und die Großinvestoren<br />
zeigen der Börse in Shanghai die<br />
kalte Schulter.<br />
Chinas Wirtschaft wird ausgebremst<br />
durch das langsame globale Wachstum<br />
und nicht zuletzt durch die geopolitischen<br />
Spannungen, die beide die chinesischen<br />
Exporte belasten. So kann es kaum<br />
verwundern, dass der staatliche chinesische<br />
Einkaufsmanagerindex für die Industrie<br />
seit Monaten unter der kritischen<br />
50er Marke bleibt.<br />
28 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Bild: pixfly/stock.adobe.com<br />
In 2023 ist deutlich geworden, dass das von staatlichen Investitionen getriebene chinesische Wirtschaftsmodell an seine Grenzen gestoßen ist.<br />
Chinas Bruttoinlandsprodukt (BIP), das im<br />
Jahr 2021 noch 75 Prozent des BIP der<br />
USA ausmachte, ist im dritten Quartal<br />
2023 auf 64 Prozent gesunken auf ein Niveau<br />
wie bereits im Jahr 2<strong>01</strong>7.<br />
Weltweit nicht zuletzt in Deutschland<br />
stellen sich die Konzernchefs, die zu einem<br />
großen Teil in den Boomjahren die<br />
China-Karte gespielt haben, bange Fragen:<br />
Wohin steuert Chinas Wirtschaft?<br />
Platzt die Immobilienblase mit einem lauten<br />
Knall? Oder gelingt es der Regierung,<br />
ohne heftige Turbulenzen langsam die<br />
Luft herauszulassen? Wie fragil ist das<br />
chinesische Finanzsystem? Wann fassen<br />
die chinesischen Konsumenten aber auch<br />
die Unternehmer, die von der rigorosen<br />
Pandemiepolitik der Regierung schwer<br />
gebeutelt wurden, wieder Vertrauen, um<br />
zu konsumieren und zu investieren, sodass<br />
die viel zu schwache Binnennachfrage<br />
wieder in Gang kommt? Oder bleibt<br />
vor lauter Zukunftsangst der chinesischen<br />
Wirtschaftsakteure die Sparquote weiterhin<br />
auf einem viel zu hohen Niveau bei<br />
mehr als 30 Prozent des verfügbaren Einkommens?<br />
Wann kehren die internationalen<br />
Investoren, die in den vergangenen<br />
Jahren viel Kapital nach China brachten,<br />
zurück? Wie wirkt sich die demografische<br />
Entwicklung insbesondere die Folgen der<br />
Ein-Kind-Politik auf die Wirtschaftsentwicklung<br />
im Reich der Mitte aus?<br />
Eindeutige Antworten auf diese Fragen<br />
gibt es nicht. Klar ist heute: Die hohen<br />
Wachstumsraten der „goldenen“ Jahre<br />
sind (endgültig?) vorbei. Statt der sieben<br />
bis acht Prozent Wachstum im Jahr, die<br />
für China in der letzten Dekade normal<br />
waren, halten viele Experten nun rund<br />
vier Prozent für realistisch. Die Weltbank<br />
erwartet, dass Chinas jährliches Wachs-<br />
tum in den nächsten zwei Jahren durchschnittlich<br />
4,5 Prozent betragen wird. Der<br />
Internationale Währungsfonds sieht ein<br />
Wachstum von durchschnittlich nur 3,9<br />
Prozent in den nächsten fünf Jahren.<br />
China muss sein Wirtschaftsmodell<br />
umbauen<br />
Für die Experten steht fest, dass China<br />
sein auf massiven staatlichen Investitionen<br />
basierendes Wirtschaftsmodell völlig<br />
umbauen muss, und dass in diesem Zusammenhang<br />
die massive Kontrolle und<br />
Bevormundung der Wirtschaft durch die<br />
Kommunistische Partei überdacht werden<br />
muss. Stattdessen müssten die Marktkräfte<br />
ein stärkeres Gewicht finden. Doch<br />
danach sieht es zurzeit nicht aus.<br />
Tatsache ist, dass die chinesische Wirtschaft<br />
massiv an einem Nachfragedefizit wegen<br />
fehlender Konsumneigung der chinesischen<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 29
» MANAGEMENT<br />
Purchasing Manager Index (PMI) für<br />
Chinas Industrie<br />
Bild: National Bureau of Statistics of China<br />
Haushalte leidet. In China basieren laut<br />
Financial Times nur 37 Prozent des Bruttoinlandsprodukts<br />
auf konsumtiver Nachfrage<br />
verglichen mit 68 Prozent in den USA.<br />
Beim erforderlichen Umbau des chinesischen<br />
Wirtschaftsmodells käme es zudem<br />
auch auf eine Stärkung der privaten betriebswirtschaftlich<br />
durchgerechneten Investitionen<br />
an. Diese müssen an die Stelle<br />
der zu oft wirtschaftlich nicht sinnvollen<br />
und unsolide finanzierten Bauprojekte der<br />
Lokalregierungen treten. In der Tat wurde<br />
Chinas Betonsucht zu einer schweren<br />
Krankheit für das Land. Die Lokalregierungen<br />
haben für ihre überdimensionierten<br />
Bauprojekte, die in zwischen zu erheblichen<br />
Leerständen geführt haben,<br />
Billionen an Schulden angehäuft, nur um<br />
die Zielsetzung der von Zentralregierung<br />
geforderten Wachstumszahlen zu erreichen.<br />
Derjenige, der die Gunst der Kommunistischen<br />
Partei erheischen konnte,<br />
erhielt auch Geld. Wirtschaftliche Kalküle<br />
spielten dabei – wenn überhaupt – nur<br />
eine nachgeordnete Rolle, und vor allem<br />
fehlte bei den Entscheidungsträgern die<br />
Einsicht, dass Kapital in jeder Wirtschaft<br />
auch in der chinesischen ein knappes Gut<br />
ist und effizient eingesetzt werden muss.<br />
Im Herbst 2023 ist zudem deutlich geworden,<br />
dass auch viele chinesische Immobilienkonzerne<br />
und Projektentwickler<br />
mit unvorstellbar hohen Schulden belastet<br />
sind. Dies bringt die chinesischen Banken<br />
und vor allem die in die Projektfinanzierung<br />
involvierten Schattenbanken in<br />
die Bredouille. Der Schattenbanksektor ist<br />
ein wichtiger Bestandteil der chinesischen<br />
Finanzbranche und wird auf insgesamt<br />
rund drei Billionen US$ taxiert. Bei<br />
nicht wenigen Schattenbanken so etwa<br />
Zhongzhi überschreiten die Verbindlichkeiten<br />
die immer weiter schrumpfenden<br />
Vermögenswerte sehr deutlich. Hier liegt<br />
Insolvenz wegen Überschuldung vor.<br />
Chinas Bevölkerung altert<br />
und schrumpft<br />
Neben der Immobilienkrise ist Chinas<br />
schrumpfende und alternde Bevölkerung<br />
ein großes Problem, das zum strukturellen<br />
Nachfragedefizit beiträgt. Das Ausmaß<br />
des Problems wird in jüngster Zeit immer<br />
deutlicher. Im Jahr 2<strong>01</strong>7 lag die Fertilitätsrate<br />
bei etwa 1,6 und damit deutlich<br />
unter der Rate 2,1, die für die Erhaltung<br />
einer stabilen Bevölkerung erforderlich<br />
wäre. Nachdem Peking seine Ein-Kind-<br />
Politik abgeschafft hatte, prognostizierte<br />
die Regierung, dass die Fertilitätsrate<br />
zwischen 2020 und 2030 auf etwa 1,8<br />
ansteigen würde. Stattdessen fiel sie im<br />
vergangenen Jahr auf 1,1 – eine der niedrigsten<br />
der Welt. Die Gründe hierfür sind<br />
nicht abschließend bekannt. Es gibt jedoch<br />
Indikationen dafür, dass die pessimistischen<br />
Zukunftserwartungen der<br />
Frauen im gebärfähigen Alter hierfür ver-<br />
antwortlich sind. Infolgedessen sank Chinas<br />
Bevölkerung im vergangenen Jahr<br />
zum ersten Mal seit den 1960er Jahren.<br />
Dieser Prozess geht weiter in den kommenden<br />
Jahren und wird das Wirtschaftswachstum<br />
belasten.<br />
In Anbetracht der hier nur kurz skizzierten<br />
Schwächen der chinesischen Wirtschaft<br />
ist abzusehen, dass die chinesische<br />
Regierung offenbar viel weniger haushaltspolitischen<br />
Spielraum für eine massive<br />
Stimulierung der Wirtschaft hat als<br />
allgemein angenommen wird. Es dürfte<br />
ihr daher ohne grundlegende strukturelle<br />
Reformen, die aber nicht kompatibel sind<br />
mit ihrer Ideologie, kaum gelingen, ihre<br />
sehr ambitionierten Vorhaben in der Industriepolitik,<br />
in der militärischen Aufrüstung<br />
und auch in der Belt-and-Road-Initiative<br />
zu finanzieren. Xi-Lingpin müsste<br />
auch ein klares Bekenntnis zur regelbasierten<br />
Globalisierung geben.<br />
Vor diesem Hintergrund sind die Wirtschaftsaussichten<br />
für die Volksrepublik<br />
China verhalten. Sollten sich unsere Unternehmen<br />
daher von China abwenden?<br />
Sicherlich nicht, denn der Markt ist zu<br />
groß, auch wenn er nicht mehr boomt. Sicher<br />
ist jedoch, dass sich die westlichen<br />
Unternehmen der zunehmenden nicht zuletzt<br />
politisch bedingten Risiken einer<br />
überproportional hohen Abhängigkeit von<br />
China auf der Absatz- und <strong>Beschaffung</strong>sseite<br />
bewusst sein müssen und ihre in der<br />
30 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Im Jahr 2022 waren rund 17,2<br />
Prozent der Bevölkerung Chinas<br />
zwischen 0 und 14 Jahre alt, rund<br />
69 Prozent zwischen 15 und 64<br />
Jahre und rund 13,7 Prozent 65<br />
Jahre und älter.<br />
Quelle: Statista 2023<br />
Vergangenheit erfolgreichen China-Strategien<br />
überdenken müssen. China bleibt<br />
ein unverzichtbarer aber tendenziell<br />
schwierigerer Wirtschaftspartner.<br />
De-Coupling von China<br />
oder eher De-Risking?<br />
In ihrem Monatsbericht Oktober 2023<br />
sieht die deutsche Bundesbank die Abhängigkeit<br />
der deutschen Industrie von<br />
Vorleistungsgütern aus China Sorge. „Angesichts<br />
steigender geopolitischer Spannungen<br />
und damit verbundener Risiken<br />
ist es für Unternehmen und Politik geboten,<br />
die gewachsene Struktur der Lieferketten<br />
und die weitere Ausweitung des<br />
Direktinvestitionsengagements in China<br />
zu überdenken“, heißt es. Nach einer Umfrage<br />
der Notenbank sind fast die Hälfte<br />
aller Industriefirmen bei der Produktion<br />
auf Vorprodukte aus China angewiesen.<br />
Dies gilt insbesondere für die umsatzstärkeren<br />
Unternehmen. Ein plötzliches De-<br />
Coupling (Entflechtung) von China wäre<br />
zumindest kurz- und mittelfristig mit<br />
weitreichenden Disruptionen der Lieferketten<br />
und der Produktion in Deutschland<br />
verbunden. Dies kommt für unsere Industrieunternehmen<br />
daher nicht infrage.<br />
Laut Bundesbank haben rund zwei Fünftel<br />
der Industriefirmen, die 2022 oder 2023<br />
wichtige Importe aus China bezogen, bereits<br />
Schritte eingeleitet, um den Bezug<br />
von chinesischen Vorprodukten oder Vorleistungen<br />
zu verringern. Bei sehr schwierig<br />
zu ersetzenden Vorprodukten z. B. seltenen<br />
Erden stehe aber ein Abbau der Abhängigkeiten<br />
noch aus.<br />
Rund achtzig Prozent der von der Bundesbank<br />
befragten Industriekonzerne, die<br />
unverzichtbare Vorprodukte aus China<br />
bezogen, halten einen Ersatz durch Produkte<br />
aus anderen Ländern für schwierig<br />
bis sehr schwierig. Industrieunternehmen,<br />
die die Ausweichmöglichkeiten als<br />
sehr gering einstufen, stehen für knapp<br />
ein Viertel des Umsatzes in der deutschen<br />
Industrie.<br />
In der deutschen Wirtschaft wird vor diesem<br />
Hintergrund ein De-Coupling von<br />
chinesischen Lieferquellen als unrealistisch<br />
angesehen, stattdessen kann es nur<br />
um ein De-Risking durch stärkere Diversifizierung<br />
der Lieferketten gehen. Hieran<br />
wird von den Einkaufsstrategen intensiv<br />
gearbeitet. Indien und die südostasiatischen<br />
Staaten werden in diesem Zusammenhang<br />
zu immer wichtigeren Lieferquellen.<br />
De-Risking kann aber in der derzeitigen<br />
Gemengelage geopolitischer und wirtschaftlicher<br />
Strategien nicht ohne die Politik<br />
gelingen, die dabei aber auch berücksichtigen<br />
sollte, das China in Anbetracht<br />
des strukturellen Nachfragedefizits auch<br />
ohne massive Exporte in den Westen<br />
nicht auskommt. Die Politik muss regionale<br />
Freihandelsabkommen vereinbaren,<br />
um die Abhängigkeit von einzelnen Ländern<br />
zu verringern. Diese würden es für<br />
Einkaufsstrategen in den Unternehmen<br />
leichter machen, ihre Bezugsquellen breiter<br />
aufzustellen. „So können die Unternehmen<br />
Abhängigkeiten von der Politik<br />
einzelner Staaten und das Risiko großflächiger<br />
Störungen von Lieferketten verringern“,<br />
schreibt die Bundesbank.<br />
Im heutigen Umfeld ist die Politik mehr<br />
denn je gefordert, die <strong>aktuell</strong>en geopolitischen<br />
Risiken besser zu managen und den<br />
Unternehmen dadurch eine hinreichende<br />
Planungssicherheit zu geben. Mit der Diversifizierung<br />
der Lieferketten geht es<br />
nicht um eine Deglobalisierung, sondern<br />
um eine resilientere Globalisierung. Und<br />
darauf kommt es heute mehr denn je an.<br />
Prof. Dr. Robert Fieten<br />
wissenschaftlicher<br />
Berater der<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>,<br />
Köln<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 31
» MANAGEMENT<br />
Reduzierter Aufwand und einheitliche Prozesse<br />
Globale Lieferantensuche auf<br />
Knopfdruck<br />
Verlorene Potenziale und ineffiziente Recherchen sind Folgen des manuellen<br />
Sourcings. Die <strong>Beschaffung</strong>sabteilung von DMG Mori wandte sich deshalb an<br />
das Start-up Matchory, um ihre globale Lieferantensuche zu verbessern. Der<br />
Anspruch des Werkzeugmaschinenherstellers: Lieferanten sollen auch außerhalb<br />
der bekannten und bestehenden Netzwerke gefunden werden.<br />
Die Matchory-Datenbank<br />
bietet umfangreiche<br />
Informationen<br />
zu rund 10,5 Millionen<br />
Lieferanten.<br />
Als ein weltweit führender Hersteller von Werkzeugmaschinen<br />
hat DMG Mori sein Kerngeschäft<br />
mehr und mehr um Automations- und Digitalisierungslösungen<br />
erweitert. Aber auch abseits der<br />
eigenen Produkte setzt das Unternehmen verstärkt<br />
auf die Digitalisierung – zum Beispiel in der <strong>Beschaffung</strong>.<br />
2<strong>01</strong>7 hat das Unternehmen eine Initiative gestartet,<br />
um alle wesentlichen Prozesse im Einkauf zu<br />
digitalisieren. Diese sei inzwischen weitestgehend<br />
abgeschlossen. Und das zahlt sich aus: „Wir haben<br />
seit 2<strong>01</strong>6 ein um 40 Prozent gesteigertes Einkaufs -<br />
volumen abgewickelt, ohne Personal aufzubauen“,<br />
betont Timo Rickermann, Chief Purchasing Officer<br />
des Maschinenbauers.<br />
Der Einkauf von DMG Mori für Europa ist in einer<br />
Matrix organisiert. Das jährliche Einkaufsvolumen<br />
liegt bei bis zu 1,2 Milliarden Euro. Rickermann: „Wir<br />
haben circa 100 Mitarbeiter, etwa 20 davon im zentralen<br />
Bereich. Diese kümmern sich um klassische<br />
Aufgabengebiete, wie Lieferanten- und Materialgruppenmanagement,<br />
aber auch um Themen wie<br />
Value Engineering, Digitalisierung, Nachhaltigkeit,<br />
Dekarbonisierung.“ Grundsätzlich sei es die Aufgabe<br />
des Einkaufs, optimale Kostenstrukturen durch eine<br />
frühzeitige Lieferanteneinbindung in den Entwicklungsprozess<br />
sicherzustellen. Aber auch der Aufbau<br />
widerstandsfähiger, agiler Lieferketten wird immer<br />
wichtiger. Im Zuge dessen arbeitet DMG Mori daran,<br />
Kernkomponenten verstärkt intern herzustellen bzw.<br />
strategische Produktgruppen abzusichern, indem<br />
man sich an Partnern beteiligt.<br />
„Um die Resilienz darüber hinaus weiter zu stärken,<br />
arbeiten wir seit mehreren Jahren mit Matchory zusammen<br />
und pflegen eine intensive Entwicklungs-<br />
Bild: Matchory<br />
32 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Bild: DMG Mori<br />
Timo Rickermann ist Chief Purchasing Officer der<br />
DMG Mori AG.<br />
partnerschaft. Das hat uns auch in der Coronakrise<br />
dabei geholfen, ad hoc neue Lieferanten zu finden,<br />
wenn es mal eng wurde“, betont Rickermann.<br />
Das junge Software-Unternehmen Matchory möchte<br />
Transparenz in globale Lieferketten bringen und bietet<br />
dem strategischen Einkauf eine automatisierte,<br />
KI-basierte Lieferantensuche. Mithilfe von Big Data<br />
werden Lieferantendaten aggregiert, aufbereitet und<br />
in einer Datenbank zusammengestellt. Durch intelligente<br />
Suchalgorithmen soll die Suche permanent<br />
verbessert und auf den Nutzer angepasst werden.<br />
Lieferantensuche um bis zu<br />
85 Prozent beschleunigen<br />
Bei der Digitalisierung der strategischen Einkaufsprozesse<br />
von DMG Mori, haben Rickermann und sein<br />
Team festgestellt, dass das Lieferanten-Scouting als<br />
Prozess bisher nicht einheitlich definiert war. „Bevor<br />
wir mit Matchory zusammengearbeitet haben, gab es<br />
insbesondere für unsere strategischen Einkäufer<br />
keine einheitlichen, strukturierten Mittel für die Lieferantensuche.<br />
So hat jeder Einkäufer individuelle<br />
Lösungen entwickelt – zum Beispiel Internetrecherchen,<br />
Messebesuche oder Branchenbücher. Der<br />
Bedarf nach einer effizienteren, standardisierten<br />
Lösung mit einheitlichen Vorgaben war daher groß“,<br />
beschreibt der Chief Puchasing Officer.<br />
Das konnte mit der Einführung von Matchory behoben<br />
werden. Der Werkzeugmaschinenhersteller verfügt<br />
nun über eine globale Lieferantenrecherche –<br />
auf einen Klick in Echtzeit. „Wir bekommen hundertmal<br />
mehr Lieferanten weltweit pro Anfrage und<br />
konnten den Prozessaufwand um 85 Prozent reduzieren“,<br />
erzählt Rickermann. Ist die Longlist potenzieller<br />
Lieferanten erstellt, kann über Filterfunktionen<br />
eine Auswahl der interessantesten Lieferanten<br />
zu einer Shortlist zusammengestellt werden. Aktuell<br />
arbeite man mit Matchory daran, die Shortlist ohne<br />
weiteren manuellen Aufwand an SAP Ariba zu übergeben,<br />
um dort die Ausschreibungen abzuschließen<br />
und die Lieferantenqualifizierung sowie -registrierung<br />
machen zu können. Ein Schwerpunkt der Lieferantensuche<br />
mit Matchory bei DMG Mori liegt auf<br />
dem Produktionsmaterial. Anfangs stand besonders<br />
die Suche nach geeigneten Gusslieferanten für<br />
Maschinen teile in globalen Märkten, wie Indien,<br />
China und Osteuropa im Fokus. Die Datenbank wird<br />
inzwischen aber auch für Nicht-Produktionsmaterial<br />
genutzt.<br />
Rickermann und sein Team haben das Tool in den<br />
Materialgruppenstrategie-Findungsprozess eingebaut:<br />
Einmal jährlich erstellt der Materialgruppenmanager<br />
für seine Warengruppe ein Strategie-<br />
Update und eine globale Lieferantenrecherche. Dadurch<br />
kann er immer wieder aufzeigen, wie sich der<br />
Markt entwickelt und baut für jeden Artikel in seiner<br />
Warengruppe eine globale Suche auf. Diese kann<br />
dann von den betroffenen Einkäufern genutzt werden,<br />
wenn ein entsprechendes Projekt ansteht. Der<br />
Standorteinkäufer ergänzt seine spezifischen Anforderungen<br />
und hat in relativ kurzer Zeit ein valides<br />
Suchprojekt. Der Zentraleinkauf kann so sicherstellen,<br />
dass die im Konzern definierten Suchkriterien<br />
Anwendung finden.<br />
Eine Matchory-Funktion die im DMG-Mori-Einkauf<br />
auf großen Zuspruch stößt, ist die sogenannte Ähnlichkeitssuche.<br />
Dabei handelt es sich um ein KI-Modell,<br />
welches das Start-up selbst entwickelt hat.<br />
Wenn Nutzer ein Produkt suchen und hierfür ihre Referenzlieferanten<br />
eingeben, analysiert das System<br />
das Datenprofil der Lieferanten und macht einen Ab-<br />
Bild: Matchory<br />
Aiko Wiegand ist CEO<br />
und Co-Gründer der<br />
KI-basierten Lieferantensuche<br />
Matchory.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 33
» MANAGEMENT<br />
Von der Anfrage zur<br />
Lieferanten-Longlist<br />
Sourcing-Anfrage: Im ersten Schritt definiert der Werkzeugmaschinenhersteller<br />
ein Anforderungsprofil für seinen<br />
spezifischen Sourcing-Fall, wobei mehr als 50 verschiedene<br />
Datenpunkte ausgewertet werden können. Dazu gehören<br />
neben relevanten Keywords z. B. auch relevante Wettbewerber<br />
und HS-Codes.<br />
Datenanalyse und Vergleich: Durch das Echtzeit-Screening<br />
von mehr als 10 Milliarden Datenpunkten werden die Lieferanten<br />
mit der größten Schnittmenge entsprechend der<br />
Nachfrage ermittelt. Als Ergebnis der Datenanalyse erhält<br />
das Unternehmen innerhalb von Minuten eine Liste potenzieller<br />
Lieferanten, die zu den Anforderungen passen.<br />
Bewerten und Anpassen der Longlist: Auf Basis der Longlist<br />
kann DMG Mori analysieren und bewerten, welche Lieferanten<br />
am besten zu den Projektanforderungen passten und<br />
die Liste verfeinern. Die Ergebnisse erweiterten die bestehende<br />
Lieferantenliste um neue und bisher unbekannte<br />
Lieferanten.<br />
gleich über die gesamte Datenbank um ähnliche Firmen<br />
zu identifizieren.<br />
Um relevante Lieferanten zu identifizieren, die zu den<br />
Anforderungen des Kunden passen, greift Matchory<br />
fast ausschließlich auf öffentliche Daten zurück. „Wir<br />
gehen systematisch durch das gesamte Web und<br />
sammeln öffentlich verfügbare Lieferanteninformationen“,<br />
erklärt Aiko Wiegand, CEO und Mitgründer<br />
von Matchory. „Wir suchen also gezielt nach dem digitalen<br />
Fußabdruck eines Lieferanten und erstellen<br />
daraus ein digitales Lieferantenprofil. Diese Datenprofile<br />
werden dann mit zusätzlichen Informationen<br />
angereichert.“<br />
Mehr als 10 Millionen Lieferanten<br />
in der Datenbank<br />
Aber welche Informationen erhalten Anwender über<br />
die einzelnen Zulieferer? In den Lieferantenprofilen<br />
finden sich allgemeine Daten wie Firmenname,<br />
Standort und Website, sowie spezifische Informationen<br />
zu Produkten, Zertifikaten oder Nachhaltigkeitskriterien.<br />
Insgesamt sind 10,5 Millionen Lieferanten in<br />
der Datenbank hinterlegt. Damit habe man eine sehr<br />
hohe Abdeckung in der Breite. „Wir arbeiten jetzt daran,<br />
dass wir für die einzelnen Lieferanten noch mehr<br />
in die in die Tiefe kommen. Da sprechen wir mit verschiedenen<br />
Partnern um deren Datenpunkte für eine<br />
bessere Entscheidungsfindung miteinzubinden. Wir<br />
wollen nicht selbst in jede Kategorie so tief eintauchen“,<br />
betont der CEO. Konkret gehe es dabei um<br />
Finanz- , Risiko- und ESG-Daten sowie Kontaktinformationen,<br />
die integriert werden sollen.<br />
Weitere Informationen liefern Zolldaten, mit denen<br />
Matchory intensiv arbeitet. Wenn ein Container von<br />
Europa in die USA verschifft wird, gibt es dazu ein<br />
entsprechendes Frachtdokument (Bill of Lading).<br />
„Wir haben mehrere 100 Millionen dieser Fracht -<br />
dokumente gesammelt und in die Datenbank eingebunden.<br />
Dadurch bekommen wir sehr viel Transparenz<br />
über die Lieferanten und die Lieferketten“, sagt<br />
Wiegand. So könne Matchory nachvollziehen, welche<br />
Lieferanten in welchen Kategorien bzw. Produkten<br />
weltweit führend oder entsprechend spezialisiert<br />
sind. Wie haben sie sich im Zeitverlauf entwickelt?<br />
Welche Kunden werden beliefert? Wie oft haben diese<br />
Kunden nachbestellt? All das sind laut Wiegand<br />
sehr wertvolle Informationen aus den Frachtdokumenten<br />
für die Algorithmen, die das Matching übernehmen.<br />
Das Ganze soll weiter angereichert werden,<br />
zum Beispiel mit einer Risikoeinschätzung oder ausgewerteten<br />
Finanzkennzahlen.<br />
Das bringt dem Maschinenbauer<br />
die Zusammenarbeit<br />
Oberste Priorität hat dem Gründer zufolge die Unabhängigkeit.<br />
Man werde keine Sichtbarkeit verkaufen.<br />
So soll ein neutrales Ergebnis gewährleistet werden.<br />
„Perspektivisch planen wir, dass Lieferanten weitere<br />
Informationen für ihr Profil bereitstellen, die wir<br />
dann bei Bedarf verwenden können“, so Wiegand.<br />
Aber was bringt Matchory nun konkret? Aiko Wiegand:<br />
„Unsere Anwender haben deutliche Kosteneinsparungen<br />
bis zu 35 Prozent, allein dadurch, dass sie<br />
mit uns den gesamten, globalen Markt anschauen.<br />
Wir können bis zu hundertmal mehr Firmen in die<br />
Analyse miteinbeziehen und so letztendlich auch Lieferanten<br />
finden, die bessere Konditionen anbieten.<br />
Diese Ergebnisse können aber auch in der Preisverhandlung<br />
mit bestehenden Lieferanten eingesetzt<br />
werden. Damit sind erhebliche Einsparungen erzielt<br />
worden.“<br />
Timo Rickermann von DMG Mori sieht den großen<br />
Vorteil vor allem in der Geschwindigkeit und dem<br />
Umfang der Suche: „Mit Matchory bringen wir Informationstransparenz<br />
in den Lieferantenmarkt. Ich<br />
weiß heute viel schneller, welche Anbieter es überhaupt<br />
gibt und kann sie direkt vergleichen und besser<br />
bewerten. Das ist mittlerweile ein absoluter<br />
Mehrwert.“<br />
Yannick Schwab, <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong><br />
34 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Die Zukunft beginnt 2024<br />
Einkauf 2030: Perspektiven<br />
und Impulse<br />
Die Herausforderungen der letzten Jahre haben den Einkauf präsenter und<br />
selbstbewusster werden lassen. Um jedoch wahre strategische Relevanz zu erlangen,<br />
ist eine kontinuierliche Weiterentwicklung entscheidend. Die gezielte Analyse von<br />
Wettbewerbspotenzialen spielt dabei eine Schlüsselrolle, erfordert aber einen<br />
vorausschauenden Blick. Die Hochschule München präsentiert Prognosen für den<br />
„Einkauf 2030“ und gibt konkrete Handlungsempfehlungen für 2024.<br />
Das Zitat „Prognosen sind schwierig, vor allem,<br />
wenn sie die Zukunft betreffen“ unterstreicht<br />
die Schwierigkeit von Zukunftsvorhersagen und impliziert,<br />
dass es möglicherweise besser ist, sich erst<br />
gar nicht auf solche Vorhersagen einzulassen. Doch<br />
um die vom Einkauf angestrebte strategische Anerkennung<br />
zu erzielen, reicht es nicht, auf das steigende<br />
externe <strong>Beschaffung</strong>svolumen zu verweisen. Es ist<br />
vielmehr entscheidend, sich frühzeitig mit den Entwicklungen<br />
der Zukunft auseinanderzusetzen, um<br />
diese bewerten, nutzen und gestalten zu können. Der<br />
Anspruch besteht nicht zwangsläufig darin, eine<br />
vollkommen präzise Prognose abzugeben. Selbst<br />
kleine Schritte in die richtige Richtung können langfristig<br />
zu Wettbewerbsvorteilen führen, insbesondere<br />
wenn man sie früher geht als andere.<br />
Vor diesem Hintergrund befragte ein Team der Hochschule<br />
München im Jahresverlauf 2022 über 50 Führungskräfte<br />
aus dem Einkaufsumfeld zu deren Einschätzung<br />
über die Eintrittswahrscheinlichkeit wesentlicher<br />
Zukunftstrends. Aus diesen Befragungen<br />
konnten vier zentrale Schwerpunkte herausgearbeitet<br />
werden, die sich zu einem facettenreichen Bild<br />
der zukünftigen Entwicklungen im „Einkauf 2030“<br />
zusammenfügen.<br />
Die Studie Einkauf 2030<br />
Erstes Schwerpunktfeld sind die Strategie und Ziele,<br />
wobei hier besonders zusätzliche Ziele wie Nachhaltigkeit<br />
und Innovation sowie die zukünftige Rolle<br />
des Einkaufs als Wertschöpfungspartner erwartet<br />
werden. Wichtiger Baustein hierfür ist die Entlastung<br />
Bild: HS München/Prof. Kleemann<br />
Vier Schwerpunkte konnten bei der Befragung „Einkauf 2030“ herausgearbeitet werden und fügen sich zu einem vielschichtigen Zukunftsbild.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 35
Bild: MarutStudio/stock.adobe.com<br />
Basierend auf einer<br />
Studie der Hochschule<br />
München prognostiziert<br />
dieser Artikel die<br />
Entwicklungen im<br />
„Einkauf 2030“ und<br />
gibt gleichzeitig<br />
präzise Handlungsempfehlungen<br />
für das<br />
Jahr 2024.<br />
durch Digitalisierung von Prozessen, primär im Bereich<br />
der operativen und taktischen <strong>Beschaffung</strong>.<br />
Hier werden sogar vollständig eigenständig, also autonom<br />
ablaufende Prozesse erwartet.<br />
Zentrales Element für den Erfolg<br />
Zentrales Element des Einkaufs bleibt dabei die Zusammenarbeit<br />
mit Lieferanten, die verstärkt in Partnerschaften<br />
und mehr innovationsorientiert gestaltet<br />
werden dürfte. Regionale Lieferketten sind zudem<br />
ein wichtiger Baustein für mehr Nachhaltigkeit, welches<br />
mit hoher Priorität erwartet wird.<br />
Getragen werden diese Veränderungen auch zukünftig<br />
von einer professionellen, agilen Einkaufsorganisation,<br />
die über spezialisiertere Mitarbeitenden,<br />
dynamischere Führung einerseits sowie eine gezieltere<br />
Personalgewinnung und -entwicklung andererseits<br />
verfügt.<br />
Im Gesamtblick zeigen sich hier eine Vielzahl von<br />
wichtigen Themen, die den Einkauf (auch) zukünftig<br />
prägen werden. Kritisch betrachtet fehlen jedoch –<br />
trotz des zeitlichen Horizonts von knapp zehn Jahren<br />
– „echte“ Neuerungen und Innovationen. Mehr Kreativität<br />
und unternehmerisches Denken für den Einkauf<br />
sind gefragt. Außerdem sollte auch gezielt „über<br />
den Tellerrand“ geblickt werden.<br />
Dazu gehören zum Beispiel bewusst erweiterte Analysen<br />
zu Megatrends im Unternehmensumfeld, die<br />
nicht in erster Linie den Einkauf betreffen. Daneben<br />
kann der Blick in andere Managementfunktionen<br />
(wie IT oder Vertrieb) und dortige Entwicklungen<br />
wertvolle Impulse geben.<br />
Des Weiteren spiegeln sich in dem dargestellten Zukunftsbild<br />
auch zeitgebundene Einflüsse der während<br />
der Befragungszeiträume herrschenden Situationen<br />
wider. Insbesondere lässt sich eine klare Verbindung<br />
zwischen der wahrgenommenen Wichtigkeit<br />
von Versorgungsengpässen und Risikomanagement<br />
herstellen, die auf den zu diesem Zeitpunkt gerade<br />
begonnenen Russland-Ukraine-Krieg und die<br />
noch spürbaren Auswirkungen der Corona-Pandemie<br />
zurückzuführen ist. Die im späteren Jahresverlauf<br />
2022 extrem starke öffentliche Fokussierung auf<br />
Nachhaltigkeit oder das in 2023 aufkommende Thema<br />
„Künstliche Intelligenz“ (KI) sind demnach (noch)<br />
nicht enthalten.<br />
Natürlich werden auch für 2024 schon Voraussagen<br />
zu den wesentlichen Einkaufstrends getroffen. Fol-<br />
36 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
MANAGEMENT «<br />
gende Entwicklungen werden dabei am häufigsten<br />
als „Top-Themen“ genannt:<br />
• Ausbau der Nutzung von KI, z. B. für Preis- und<br />
Kostenanalysen sowie intelligente Prozessautomatisierung,<br />
zudem prozessunterstützender Einsatz<br />
von generativer KI wie ChatGPT, z. B. beim<br />
Entwerfen von Verträgen oder der Entwicklung<br />
von Verhandlungsstrategien. Ebenso kann diese<br />
Technologie im operativen Bereich bei Bestellungen<br />
in elektronischen Katalogen assistieren.<br />
• Professionalisierung des Lieferantenmanagements<br />
für stabile Versorgung, gemeinsame<br />
Bestands optimierung sowie mehr Innovationen<br />
auch in der digitalen Vernetzung.<br />
• Ausbau von Nachhaltigkeitsansätzen und erhöhter<br />
Lieferkettentransparenz, unter anderem getrieben<br />
durch immer mehr regulative Vorgaben zur<br />
Reduzierung von Emissionen sowie Verbesserung<br />
der Arbeitsbedingungen bei Zulieferern.<br />
• Fachkräftemangel im Einkaufsbereich wegen des<br />
demografischen Wandels, aber ebenfalls durch<br />
Zunahme der zu berücksichtigenden Umfeldeinflüsse<br />
(wie Nachhaltigkeit und Risikomanagement).<br />
Diese überblicksartige Auswahl unterstreicht noch<br />
einmal, wie vielfältig die Herausforderungen für den<br />
Einkauf in absehbarer Zeit sein werden. Welche Themen<br />
genau den Einkauf prägen, bleibt dabei allein<br />
schon deswegen mit Unsicherheit behaftet, weil<br />
starke Einflüsse aus Umfeld und Märkten bestehen.<br />
Mit Herausforderungen rechnen<br />
Daraus zu schließen, der Einkauf sollte sich doch lieber<br />
auf die Gegenwart konzentrieren, würde allerdings<br />
die bereits erwähnten Differenzierungspotenziale<br />
für den Einkauf außer Acht lassen. Um als strategisch<br />
relevant angesehen zu werden, muss der Einkauf<br />
andere Dinge tun. Es geht nicht nur darum, die<br />
<strong>aktuell</strong>en (Versorgungs-)Probleme zu lösen, sondern<br />
auch einen Beitrag zur Bewältigung zukünftiger Herausforderungen<br />
zu leisten.<br />
Für die konkrete Umsetzung ergibt sich die Empfehlung,<br />
sich über Netzwerke, Publikationen, Webinare,<br />
Gespräche und weitere Instrumente regelmäßig<br />
(aber nicht zwingend häufig!) über Trendentwicklungen<br />
zu informieren. Als relevant erachtete Einflüsse<br />
sind anschließend gezielter zu beobachten bzw. zu<br />
begleiten und sukzessive in konkrete Maßnahmen zu<br />
überführen. Damit steigen die erforderlichen Investitionen<br />
auch erst mit zunehmender Umsetzungswahrscheinlichkeit.<br />
Genau hier ist das verstärkte unternehmerische<br />
Denken des Einkaufs gefragt: Investitionen<br />
bedeuten Aufwand, aber auch Chancen auf<br />
Mehrwerte. Nur durch eine dynamischere und zukunftsorientierte<br />
Vorgehensweise lassen sich diese<br />
Potenziale optimal ausschöpfen. Dies ermöglicht<br />
dem Einkauf, möglicherweise nicht erst im Jahr<br />
2030, eine tatsächlich anerkannte strategische Bedeutung<br />
zu erlangen und somit seinen Beitrag zum<br />
Gesamterfolg des Unternehmens weiter zu stärken.<br />
Um als strategisch<br />
relevant angesehen zu<br />
werden, muss der<br />
Einkauf einen Beitrag<br />
zur Bewältigung<br />
zukünftiger<br />
Herausforderungen<br />
leisten.<br />
Bild: HS München<br />
Bild: privat<br />
Bild: privat<br />
Bild: HS München/Prof. Kleemann<br />
Prof. Dr. Florian C. Kleemann<br />
lehrt an der HS München Einkauf<br />
& <strong>Beschaffung</strong>, berät zudem<br />
Unternehm en bei deren Einkaufs -<br />
transformation.<br />
Ramona Niederschweiberer<br />
Absolventin der HS München,<br />
Einkäuferin in der Automobilindustrie.<br />
Florian Diermeier<br />
Master-Student im Programm<br />
„Digital Sustainable Procurement<br />
& Supply Management“ an der<br />
HS München.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 37
» MANAGEMENT<br />
CO 2 -Emissionswerte entlang der Lieferkette managen<br />
„Verantwortung für die<br />
eigene Lieferkette übernehmen“<br />
Mit Sigreen stellt Siemens ein Softwaretool bereit, mit dem CO 2 -Emissionswerte<br />
entlang der Lieferkette managebar werden – einschließlich vertrauenswürdiger<br />
Abfrage, Berechnung und Weitergabe realer CO 2 -Fußabdrucksdaten eines Produktes.<br />
Als Erfinder von Sigreen erläutert Dr. Gunter Beitinger, was das Softwaretool <strong>aktuell</strong><br />
so „einzigartig“ macht und warum sich der Einsatz lohnt.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>: Herr Dr. Beitinger, Sie<br />
sagen: „Bis zu 90 % aller CO 2 -Emissionen der<br />
Industrie entstehen nicht bei der Produktion,<br />
sondern entlang der Lieferketten.“ Ist das der<br />
Impuls und die Ausgangslage<br />
gewesen, die Sigreen-Software<br />
zu entwickeln?<br />
Dr. Gunter Beitinger: Je<br />
nach Wertschöpfungstiefe<br />
und Position des Unternehmens<br />
in der Lieferkette können<br />
mehr als 90 % der<br />
CO 2 -Emissionen außerhalb des<br />
eigenen Betriebes entstehen.<br />
Das sehen wir beispielsweise<br />
hier bei Siemens an unserem<br />
Simatic-Portfolio. Natürlich kann der Prozentsatz<br />
auch bei 70 % oder 60 % liegen. Wir wollen jedenfalls<br />
auf ein entscheidendes Thema hinweisen – und<br />
zwar: Verantwortung für die eigene Lieferkette zu<br />
übernehmen.<br />
Woran liegt es, dass bis zu 90 % aller industrieller<br />
CO 2 -Emissionen in der Wertschöpfungskette liegen?<br />
Und was folgt daraus?<br />
Das liegt an den Zukaufteilen, also an den Modulen<br />
und Komponenten, die außerhalb des eigenen Einflussbereiches<br />
gefertigt werden. Durch die Kaufentscheidung<br />
ist man aber durchaus für diese Emissionen<br />
verantwortlich. Insofern werden vom Gesetzgeber<br />
und der Gesellschaft immer mehr Forderungen<br />
laut, dieser Verantwortung bei den Produkten<br />
gerecht zu werden.<br />
Auf welche Hürden stoßen Unternehmen bei der<br />
Ermittlung des Gros an Emissionswerten?<br />
Zum einen müssen die Informationen vom Lieferan-<br />
»Wir wollen auf ein<br />
entscheidendes Thema<br />
hinweisen – und zwar:<br />
Verantwortung für die<br />
eigene Lieferkette zu<br />
übernehmen.«<br />
Dr. Gunter Beitinger<br />
ten bereitgestellt werden. Der steht dann meistens<br />
vor der gleichen Herausforderung wie man selbst.<br />
Die erste Hürde besteht also darin, ob er überhaupt<br />
entsprechende Informationen zu den Emissionen liefern<br />
kann. Sollte der Lieferant<br />
dies lösen können, eventuell<br />
durch auf sogenannte<br />
Lifecycle- Assessment (LCA)-<br />
Daten basierende Berechnungen,<br />
kann er eine Abschätzung<br />
liefern. Diesen Werten<br />
muss man am Ende allerdings<br />
vertrauen können. Das wäre<br />
gegeben, wenn der Lieferant<br />
ergänzend zu den berechneten<br />
Werten auch Hintergrundinformationen<br />
zu Prozessen, Datenquellen<br />
oder Ermittlungsverfahren, also zu seiner Lieferantenstruktur,<br />
preisgeben würde oder preisgibt. In der<br />
Regel wird er das allerdings nicht tun, da dies seine<br />
eigene Wettbewerbsfähigkeit einschränken könnte.<br />
Somit steckt man schon im zweiten Dilemma. Sollte<br />
das trotzdem gelöst werden – möglicherweise aufgrund<br />
von Machtverhältnissen oder Abhängigkeiten<br />
– muss man immer noch sicherstellen, dass die Daten,<br />
die der Zulieferer dann bereithält, aggregierbar<br />
sind. Dahinter steht folgende Frage: Hat der Lieferant<br />
wirklich die gleichen Regeln und Methoden angewandt,<br />
sodass man die Daten entlang der Lieferkette<br />
aufsummieren kann? Das wäre die dritte Hürde,<br />
die man nehmen muss.<br />
Sehen Sie weitere Herausforderungen?<br />
Es ist sehr aufwendig und die Verfügbarkeit von<br />
Expertenwissen spielt eine Rolle. Das ist aber lösbar.<br />
Nur diese drei Aufgaben, die mit den erwähnten Hürden<br />
verbunden sind, sind essenziell.<br />
38 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Bild: Siemens<br />
Aus dieser Einsicht heraus haben Sie eine Lösung<br />
erarbeitet, die nun unter dem Namen Sigreen am<br />
Markt verfügbar ist – eben aus dem eigenen<br />
Wunsch heraus, die Produkte, die Sie in den Werken<br />
fertigen, CO 2 -neutral anbieten zu können. Wie<br />
also schaffen Sie die notwendige Transparenz?<br />
Hier gilt die Regel: Nur, was man misst, was man<br />
transparent macht, kann man aktiv beeinflussen.<br />
Und nur so lassen sich gezielt Maßnahmen ableiten.<br />
Ansonsten ist man im Blindflug. In der Regel werden<br />
heute produktbezogene Emissionswerte mithilfe<br />
der erwähnten Lifecycle-Assessment-Daten ermittelt.<br />
Es handelt sich dabei um in Datenbanken<br />
verfügbare Durchschnittswerte. Über einen Dreisatz<br />
kann man damit bereits den eigenen CO 2 -Wert abschätzen.<br />
Das ist ein guter Startpunkt – vor allem,<br />
wenn das Produkt physisch noch gar nicht existiert<br />
und man dies in der Design- beziehungsweise in der<br />
Konstruktionsphase machen will, aber keine realen<br />
Daten hat. Wenn mein Lieferant noch nicht in der<br />
Lage ist, mir Werte zu nennen, kann das ein sehr<br />
guter Start sein, weil man damit einen Anker gesetzt<br />
hat.<br />
Inwieweit lassen sich mit Sigreen denn wirklich<br />
Emissionen reduzieren?<br />
Von Durchschnittswerten müssen wir zu realen<br />
Daten kommen, um Maßnahmen ergreifen zu können,<br />
die nachhaltig wirken. Der CO 2 -Fußabdruck soll<br />
nachhaltig gesenkt werden. Entgegnen könnte man,<br />
dass in einem Produkt nun so viele Module und Komponenten<br />
existieren würden, dass man nicht alle<br />
berücksichtigen könne. Hier verweise ich auf das<br />
Pareto-Prinzip: 80–20 oder 70–30. Wenn man<br />
anfängt, kann man bei 20 bis 30 % der Komponenten<br />
70 bis 80 % der Emissionswerte erfassen und abdecken,<br />
wenn man diese Werte beim Lieferanten<br />
anfragt. Über die Zeit kann man überlegen, wie weit<br />
man das vorantreibt. Man kann zumindest schnell<br />
für über 20 bis 30 % seiner Komponenten 70 bis<br />
80 % des CO 2 -Fußabdrucks entlang der Lieferkette<br />
mit Realdaten abdecken und sich durch die gewonnene<br />
Transparenz Ziele setzen. Aus den Zielen heraus<br />
können Maßnahmen eingeleitet werden, deren Wirksamkeit<br />
überprüfbar wird. Diese Wirksamkeit kann<br />
durch Sigreen verifiziert werden, da Realdaten verifiziert<br />
von Lieferanten übermittelt werden können.<br />
Dr. Gunter Beitinger<br />
hat das CO 2 -Management-Tool<br />
namens<br />
Sigreen entwickelt.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 39
» MANAGEMENT<br />
Liegt die Besonderheit von Sigreen gerade in den<br />
gelösten Fragen zur Verifizierbarkeit?<br />
Das ist es, was Sigreen an sich so einzigartig macht.<br />
Also um vertrauenswürdige CO 2 -Emissionswerte entlang<br />
der gesamten Lieferkette zu verfolgen, brauche<br />
ich bestimmte Mechanismen. Dabei geht es um Folgendes:<br />
Lieferanten wollen die Datenfreiheit nicht<br />
aufgeben und aus Wettbewerbsgründen keine vertraulichen<br />
Informationen austauschen. Gleichzeitig<br />
muss man diesen Informationen aber vertrauen können,<br />
also müssen sie verifiziert sein. Zusätzlich<br />
bedarf es der Möglichkeit, anzugeben, nach welchen<br />
Methoden diese Informationen zur Verfügung<br />
gestellt werden sollen, da Unternehmen beispielsweise<br />
nicht allein die Chemieindustrie, sondern auch<br />
die Automobilindustrie beliefern. Noch gibt es hier<br />
keine universellen Standards, weswegen Informationen<br />
entsprechend industriespezifisch weitergeben<br />
werden, um aggregierbar zu sein.<br />
Welche Rolle spielen Zertifikate und Zertifizierungen<br />
bei all dem?<br />
Zertifikate sind für uns so wichtig, weil sie zum einen<br />
ermöglichen, dass Informationen weitergegeben<br />
werden, die vertrauenswürdig sind, ohne dass Details<br />
bekannt werden, ohne dass vertrauliche Informationen<br />
weitergegeben werden. Zum anderen können<br />
die verifizierbaren Zertifikate, die Verifiable Credentials,<br />
wieder zurückgezogen werden, sollte sich<br />
im Prozess etwas geändert haben. Die verifizierbaren<br />
Zertifikate werden von einer unabhängigen dritten<br />
Partei, von Akkreditierern, ausgestellt. Und das passiert<br />
über ein sogenanntes dezentrales Netzwerk.<br />
Hat ein Zertifikat seine Gültigkeit verloren, kann es<br />
mit neuem und verlässlichem Wert ausgestellt und<br />
versendet werden. Dem kann man wieder vertrauen<br />
– und hat eben die Sicherheit, seinen CO 2 -Fußabdruck<br />
immer <strong>aktuell</strong> halten zu können. Die Information<br />
des CO 2 -Wertes wird entlang bereits bestehender<br />
Geschäftsbeziehungen ausgetauscht, das Zertifikat<br />
aber über eine dezentrale Infrastruktur, wo man<br />
die Informationen mit Private Keys verschlüsselt und<br />
mit Public Keys verifizieren kann, die eben in dieser<br />
dezentralen Infrastruktur liegen. Wir nutzen das IDunion-Netzwerk<br />
beziehungsweise nennen wir es<br />
auch das Estainium-Netzwerk, weil wir dort einen<br />
sogenannten TSX, also einen Connector, eine Anbindung<br />
entwickelt und zum Patent gebracht haben.<br />
Dieser ermöglicht die Verbindung zwischen Sigreen<br />
und dem dezentralen Netzwerk, damit die Verifizierungszertifikate<br />
ausgestellt werden können. Der TSX<br />
– wir nennen ihn Trustworthy Supply Chain Exchange<br />
Connector – bildet ein wesentliches Differenzierungsmerkmal<br />
zu Lösungen, die wir bisher gesehen<br />
haben.<br />
Was ist daten- und workflowmäßig erforderlich,<br />
um den CO 2 -Produktfußabdruck beeinflussen zu<br />
können?<br />
Eingangs nutzen Sie eine Materialliste, in der die<br />
entsprechenden Detailinformationen zu Gewicht,<br />
Dimensionen und weiteren Details vermerkt sind.<br />
Die Siemens-Software<br />
Sigreen bietet<br />
Mechanismen , um<br />
vertrauenswürdige<br />
CO 2 -Emissionswerte<br />
entlang der gesamten<br />
Lieferkette zu managen.<br />
Bild: Siemens<br />
40 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Auch die Lieferanten sind hinterlegt. Diese Materialliste,<br />
die aus unserer Teamcenteranwendung – unserem<br />
Backbone für das Engineering – bereitgestellt<br />
wird, wird über Sigreen abgegriffen. Anschließend<br />
kann man seine Anfrage direkt an die Lieferanten<br />
rausschicken, mit der Bitte, den CO 2 -Fußabdruck zu<br />
einem bestimmten Produkt, zu einer gelieferten<br />
Komponente zu bekommen. Was man im Vorfeld tun<br />
kann, sind erste Lebenszyklus-, kurz: LCA-Berechnungen<br />
des CO 2 -Fußabdrucks, um eine Vorabschätzung<br />
und klare Indikation zu haben, auf welche Baugruppen<br />
man sich fokussieren sollte, weil sie<br />
„CO 2 -auffällig“ sind. So kann die Reise gezielt beginnen,<br />
um ein Produkt umweltfreundlicher zu bekommen.<br />
Deswegen sagen wir, es handelt sich um ein<br />
Product-Carbon-Footprint-Management-Tool, weil<br />
es eben Transparenz sowie Fokussierung und letztlich<br />
die Beeinflussung des CO 2 -Fußabdrucks ermöglicht.<br />
Bild: Siemens<br />
Es wird nicht gang und gäbe sein, dass Lieferanten<br />
diese Daten bereithalten.<br />
So ist es. Was wir allerdings sehen, ist ein wachsender<br />
Druck seitens Regulierungsbehörden, Interessensgruppen<br />
und unserer Gesellschaft allgemein,<br />
sodass die Awareness, die Bereitschaft bei den Industrieunternehmen<br />
da ist und viele vorbereitet sind. Es<br />
hängt aber auch von der Größe eines Unternehmens<br />
und davon ab, welche Produkte mit welchen Materialien<br />
ausgeliefert werden. Und zusammenfassend:<br />
Die Emissionen, die unter der direkten Kontrolle der<br />
Unternehmen stehen, also die Scope-1-Emissionen<br />
sowie die Emissionen aus der außerhalb des Unternehmens<br />
erzeugten gekauften Energie, also Scope 2,<br />
sind bekannt. Sie sind erfasst und können offengelegt<br />
werden. Damit werden die gesamten Fehler über<br />
die Kette bereits geringer und der Anteil an Real -<br />
daten erhöht sich. Das ist schon ein Mehrwert, wenn<br />
man in die Reise einsteigt. Darüber hinaus werden<br />
zunehmend die sogenannten Scope-3-Emissionen<br />
erfasst – die Emissionen entlang der Wertschöpfungskette.<br />
Vielleicht hat ein Unternehmen auch<br />
schon ein Umweltziel kommuniziert. Falls ja, findet<br />
man in den Unternehmen bereits Strukturen vor, die<br />
eine systematische Ermittlung und Bereitstellung der<br />
Daten eben ermöglichen.<br />
Und wenn dem nicht so ist?<br />
Dann sollten die Unternehmen Tools wie Sigreen zur<br />
Unterstützung in Erwägung ziehen, da die Erfassung<br />
und Analysen dieser Daten und des Energieverbrauchs<br />
einschließlich der Endanwendung den Rahmen<br />
der manuellen Techniken immer sprengen.<br />
Durch den Einsatz geeigneter Softwarewerkzeuge<br />
kann sich ein Unternehmen viel Wiederholungsarbeit<br />
ersparen, weil Daten systematisch erfasst werden.<br />
Welche Unternehmen können Sigreen einsetzen?<br />
Die industriellen Lieferketten kreuzen sich, teilen<br />
sich, drehen Schleifen. Daher ist Sigreen an sich erstmal<br />
industrieagnostisch. Auf der anderen Seite können<br />
wir als Start-up innerhalb von Siemens, das seit<br />
etwa zwei Jahren auf dem Markt ist, nicht alle Industrien<br />
gleichzeitig und gleich intensiv bedienen sowie<br />
deren spezifische Anforderungen sofort im Detail<br />
erfüllen. Aktuell fokussieren wir uns sehr stark auf<br />
die Prozessindustrie, die Chemieindustrie, die Automobilindustrie<br />
und die Lebensmittelindustrie. Vor<br />
allem deren Regelwerke bilden wir heute bereits in<br />
Sigreen ab.<br />
Wer sind die Anwender der Sigreen-Software in<br />
den Unternehmen?<br />
Einkäufer, Produktmanager, Werkleiter, das General<br />
Management sowie das Sustainability Management.<br />
Wir stellen diesen Anwendern mit ihren unterschiedlichen<br />
Anforderungen bei der Informationsaufbereitung<br />
und Darstellung spezifische Bedienermasken<br />
zur Verfügung.<br />
Das Interview führte Nico Schröder,<br />
Korrespondent <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>, Augsburg.<br />
Dr. Gunter Beitinger ist<br />
seit 2<strong>01</strong>5 für die Werke<br />
der Geschäftseinheit<br />
Factory Automation bei<br />
Siemens Digital Industries<br />
verantwortlich –<br />
unter anderem auch für<br />
das Siemens-Werk in<br />
Amberg.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 41
» MANAGEMENT<br />
Versorgungssicherheit in der Elektromobilität<br />
Warum stabile Lieferketten<br />
eine Herausforderung sind<br />
Mit Standorten in China, den USA und Deutschland sowie einem Joint Venture in<br />
der Türkei hat Farasis Energy eine internationale Präsenz aufgebaut. Dennoch<br />
sind stabile Lieferketten eine Herausforderung. Die Elektromobilitätsbranche<br />
wächst, doch die Lieferanten müssen sich weiterentwickeln, um mit dem Tempo<br />
der Elektrifizierung Schritt zu halten.<br />
Bild: Farasis Energy Europe<br />
Beispiele verschiedener Schäume.<br />
Die Einkaufsorganisation von Farasis<br />
Energy am Hauptsitz in Ganzhou<br />
(China) ist in das „Supply Chain Management<br />
Center“ integriert, das übergreifend<br />
agiert und sich auch um Bereiche wie<br />
Qualität, Logistik und Ressourcenentwicklung<br />
kümmert. Hier wird die <strong>Beschaffung</strong><br />
von Zellrohstoffen, Batteriemodul-<br />
und Packkomponenten sowie Maschinen<br />
und Ausrüstungen für die Standorte<br />
in China verwaltet. Die Standorte in<br />
den USA und Europa fokussieren sich – im<br />
Gegensatz zu China – nur auf einen bestimmten<br />
Teilbereich der Produktpalette<br />
des Unternehmens.<br />
In Zusammenarbeit mit dem türkischen<br />
Automobilunternehmen Togg gründete<br />
Farasis Energy 2021 das Joint Venture Siro,<br />
das sich auf die Entwicklung von Energiespeicherlösungen<br />
konzentriert. Siro<br />
begann im März 2023 mit der Massenproduktion<br />
von Batteriemodulen und<br />
-packs im Batteriewerk in Gemlik (Türkei),<br />
ab 2026 ist die Zellproduktion geplant.<br />
Das europäische Einkaufsteam arbeitet<br />
eng mit dem Siro-Team zusammen und<br />
konzentriert sich hauptsächlich auf die<br />
<strong>Beschaffung</strong> von Batteriemodul- und<br />
Packkomponenten, einschließlich Aluminium-<br />
und Kupferteilen, die durch Stanzen,<br />
Gießen, Bearbeitung, Extrusion und<br />
diverse Fügeverfahren hergestellt werden,<br />
sowie auf elektronische Komponenten,<br />
Kunststoffteile, verschiedene Baugruppen,<br />
wie z. B. Kabelbäume und mehr. Zu<br />
den großen strategischen Partnern zählen<br />
neben Togg ebenfalls Unternehmen wie<br />
Mercedes-Benz und Geely.<br />
Die Produktion in der Türkei bringt verschiedene<br />
Vorteile. So ist es das einzige<br />
Land in Europa, das über vier wichtige<br />
Rohstoffe verfügt, die für die Zellchemie<br />
benötigt werden: Lithium, Nickel, Kobalt<br />
und Grafit. Die von vielen Kunden, besonders<br />
im Automobilbereich, geforderte europäische<br />
Produktion reduziert zudem<br />
Abhängigkeiten, Volatilität sowie Kosten<br />
wie zum Beispiel Zölle. Ausschlaggebend<br />
hierfür sind unter anderem die stabileren<br />
Lieferketten, die kürzeren Lieferwege, damit<br />
verbunden weniger CO 2 -Ausstoß und<br />
geringere Logistikkosten, sowie der Seezugang<br />
für die Verfrachtung per Schiff.<br />
Nachhaltigkeit als Standard<br />
Die Zusammenarbeit, besonders mit<br />
OEMs, bringt mit sich, dass Farasis Energy<br />
als Zulieferer für die Automobilindustrie<br />
die vom Kunden gesetzten ESG-Standards<br />
übernimmt. Weitere Maßnahmen wie die<br />
Verwendung von „grünem“ Strom, die Reduzierung<br />
von Verpackungsmaterial, die<br />
Auswahl möglichst lokaler Lieferanten,<br />
um Transportwege kurzzuhalten, ergänzen<br />
das Nachhaltigkeitskonzept.<br />
Die Gewinnung von Rohstoffen ist ein<br />
wichtiger Faktor, wenn es um die ethischen<br />
Auswirkungen von Batterietechnologie<br />
geht. Farasis Energy ist Mitglied in<br />
der Responsible Cobalt Initiative (RCI), einer<br />
Organisation, die sich für die Einhaltung<br />
ethischer Standards beim Kobaltabbau<br />
engagiert und der Initiative for Responsible<br />
Mining Assurance (IRMA) für<br />
Lithium- und Kobaltminen. Durch das eigene<br />
Direct-Recycling-Verfahren für die<br />
Zurückgewinnung von Rohstoffen wird<br />
42 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
der Kreislauf dem Unternehmen zufolge<br />
geschlossen.<br />
Lieferkette hält noch nicht<br />
mit dem Wandel Schritt<br />
In den letzten Jahren hat die Elektrifizierung<br />
des Automotive-Sektors deutlich an<br />
Geschwindigkeit aufgenommen, doch die<br />
Automobilzulieferkette in Europa ist in<br />
vielen Bereichen noch verstärkt auf die<br />
Herstellung von „Verbrennern“ ausgerichtet.<br />
Die Lieferkette für E-Fahrzeuge ist<br />
noch nicht so weit entwickelt, wie die für<br />
Verbrennungsmotoren. Das macht es zu<br />
einer Herausforderung, Lieferanten zu<br />
finden, die zum einen Elektrofahrzeuge<br />
verstehen und zum anderen die Anforderungen<br />
an Rohmaterialien, Zellen, Module<br />
und Packs. Ebenso müssen die Lieferanten<br />
definierten Anforderungen und Standards<br />
entsprechen und im Vergleich zum Verbrennungsmotor<br />
sind die Liefertermine<br />
oft kürzer, sodass auch die Entwicklung<br />
von Komponenten deutlich schneller erfolgen<br />
muss, wie im Bereich der Verbrennungsmotoren.<br />
Die <strong>Beschaffung</strong> von<br />
Komponenten für Lithium-Ionen-Batterien<br />
ist ein komplexer Prozess. Die Branche<br />
verzeichnet eine starke Nachfrage,<br />
die hauptsächlich durch die Elektrofahrzeug-Revolution<br />
getrieben ist. Diese<br />
Nachfrage hat die Lieferkette beeinflusst<br />
und sich auf Preise und Lieferzeiten ausgewirkt.<br />
Vor diesem Hintergrund spielt die<br />
Forschung mit alternativen Rohstoffen<br />
und Entwicklung neuer Zellchemien eine<br />
wichtige Rolle, um sich breiter aufzustellen<br />
und eine stabile Lieferkette zu gewährleisten.<br />
Die Batterie-Modul- und<br />
Packproduktion von Siro<br />
in Gemlik (Türkei).<br />
So soll sichergestellt werden,<br />
dass die Batterien einen ausreichenden<br />
Druck erfahren,<br />
um vorzeitige Alterung zu vermeiden,<br />
Dickenänderungen<br />
während des Ladens und Entladens<br />
der Zellen zu kompensieren, sowie<br />
die Wärmeisolation von Zelle zu Zelle zu<br />
gewährleisten.<br />
Der Produktionsprozess von Schaumstoff<br />
selbst ist nicht besonders komplex, aber<br />
<strong>Beschaffung</strong> von hochwertigem Material,<br />
um die Anforderungen zu erfüllen, ist ein<br />
fordernder Prozess. Die Qualität des endgültigen<br />
Schaumstoffprodukts wird von<br />
mehreren Faktoren bestimmt, darunter<br />
die Auswahl der Rohstoffe, die Stabilität<br />
der Formulierung, Mischverhältnisse und<br />
der Prozess des Schäumens. Die Vielfalt<br />
der Schaumstoffprodukte und Barrierematerialien<br />
auf dem Markt und ihre unterschiedliche<br />
Eignung für verschiedene<br />
Anwendungen hat die <strong>Beschaffung</strong>sprozesse<br />
komplexer gemacht. Diese Komplexitäten<br />
können wie folgt kategorisiert<br />
werden:<br />
• Unzureichende Schaumstoffdichte, die<br />
zu unzureichender Druckfestigkeit<br />
führt<br />
• Technische Reinheit der Bauteiloberflächen,<br />
was zum Teil die Verwendung<br />
zusätzlicher Einkapselungen erforderlich<br />
macht, wodurch wiederum die<br />
Kosten erhöht werden<br />
Bild: Siro<br />
• Toleranzen in den Abmessungen, insbesondere<br />
in der Dicke, die das Verhalten<br />
unter Druckbelastung beeinflussen<br />
• Hohe Transportkosten bedingt durch<br />
anspruchsvolles Handling von Schaumstoffen<br />
und Barrierematerialien, bedingt<br />
durch deren Eigenschaften<br />
• Geforderte Lebensdauer der verwendeten<br />
Materialien<br />
Fazit<br />
Die <strong>Beschaffung</strong> von Batteriekomponenten<br />
ist eine anspruchsvolle Aufgabe. Farasis<br />
Energy hat über Jahre ein Netzwerk an<br />
Lieferanten aufgebaut, um die benötigten<br />
Materialien aus mehreren Quellen beziehen<br />
zu können und so Lieferengpässe zu<br />
vermeiden. Die Präsenz auf den internationalen<br />
Branchenmessen hat sich als<br />
hilfreich bei der Suche nach Partnern erwiesen.<br />
So konnten starke Lieferantenbeziehungen<br />
aufgebaut werden, um eine<br />
stabile Versorgung sicherzustellen. Die<br />
kontinuierliche Überwachung von Markttrends,<br />
bildet die Grundlage, um fundierte<br />
Entscheidungen zu treffen. Das Vorgehen<br />
wird auch für Geschäftsfelder wie den<br />
Non-Automotive-Bereich angewendet.<br />
<strong>Beschaffung</strong>sbeispiel<br />
Schaumstoff<br />
Farasis bietet Pouch-Zellen an, die durch<br />
ihre flexible äußere Form charakterisiert<br />
sind und aufgrund ihrer Fähigkeit zur<br />
thermischen Ausdehnung, häufig in Batterien<br />
für Elektrofahrzeuge verwendet<br />
werden. Beim Einbau von Zellen in Module<br />
sind zusätzliche Schutz- und Sicherungsmaßnahmen<br />
erforderlich. Typischerweise<br />
werden Schaumstoffmatten und<br />
Barrierematerialien ausgewählt, um die<br />
Zwischenräume zwischen den einzelnen<br />
Zellen in einem Batteriemodul zu füllen.<br />
Farasis Energy<br />
... ist ein Entwickler und Produzent von Lithium-Ionen-<br />
Batterietechnologie sowie Pouch-Zellen für die Elektromobilität<br />
und weiteren Energiespeicherlösungen. Das 2002 von<br />
Dr. Keith Kepler und Dr. Yu Wang in Kalifornien gegründete<br />
Unternehmen betreibt heute Forschungs- und Entwicklungszentren<br />
in China, Deutschland und den USA. Derzeit gibt es<br />
zwei Produktionsstätten in Ganzhou und Zhenjiang (China).<br />
Weitere sind bis 2025 in der Entstehung mit einer geplanten<br />
Gesamtkapazität von 145 GWh/a.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 43
» MANAGEMENT<br />
Elektronische Rechnung wird verpflichtend<br />
eRechnung für alle<br />
Die öffentliche Verwaltung sowie viele Großunternehmen digitalisieren ihre<br />
Zahlungsprozesse seit Jahren. Jetzt kommt die gesetzliche Verpflichtung zur<br />
elektronischen Rechnung für alle Unternehmen. Übergangsfristen erleichtern<br />
die Umstellung, von der auch der Einkauf profitiert.<br />
Auch wenn der Bundesrat das<br />
Wachstumschancengesetz Ende<br />
vergangenen Jahres statt zur Verkündung<br />
zunächst in den Vermittlungsausschuss<br />
schickte: Die Pflicht zur elektronischen<br />
Rechnung wird kommen. Geplant war der<br />
1.1.2025, aber der Länderkammer schienen<br />
die Zumutungen für die deutsche<br />
Wirtschaft zu groß, die Umsetzungsfrist<br />
zu kurz; nun kommt sie vielleicht erst<br />
2027. Dabei ist das Thema eRechnung bereits<br />
seit rund einer Dekade existent und<br />
weicht nicht mehr aus den Köpfen.<br />
Denn die Zahlen sprechen für sich:<br />
„Schätzungen gehen von Kosteneinsparungspotenzialen<br />
in Höhe von 60 bis 80<br />
Prozent aus“, sagt Dr. Axel T. Schulte, Abteilungsleiter<br />
„Einkauf & Finanzen im<br />
SCM“ beim Fraunhofer-Institut für Materialfluss<br />
und Logistik (IML) in Dortmund.<br />
Laut dem Verband elektronische Rechnung<br />
(VeR) wiederum kann ein durchschnittliches<br />
Unternehmen zwischen 9,50<br />
und 15 Euro pro verarbeiteter Rechnung<br />
sparen, die Bearbeitungsdauer soll sich<br />
auf ein Drittel reduzieren lassen. Doch das<br />
ist noch nicht alles.<br />
Serie Einkaufsrecht<br />
RA Anja Falkenstein stellt<br />
<strong>aktuell</strong>e und einkaufs -<br />
relevante Rechtsthemen vor.<br />
http://hier.pro/<br />
5hmjZ<br />
Dr. Axel T. Schulte, Abteilungsleiter<br />
„Einkauf & Finanzen im SCM“ beim<br />
Fraunhofer-Institut für Materialfluss<br />
und Logistik (IML) in Dortmund.<br />
Neben der Zeit- und Kostenersparnis ist<br />
der schnelle und bedienungsfreundliche<br />
Verarbeitungsprozess ein enormer Vorteil.<br />
Er ermöglicht größtmögliche Transparenz.<br />
Fehler beim Verarbeiten und Abgleichen<br />
der Belege werden vermieden, Compliance-Anforderungen<br />
sind durch die transparenten<br />
Prozesse leichter zu erfüllen,<br />
und die Rechnungsdaten sind durch die<br />
Automatisierung besser und strenger geschützt.<br />
Transparenz und Sicherheit<br />
Dabei spielt die E-Rechnung ihr wahres<br />
Potenzial erst dann aus, wenn sie zentraler<br />
Bestandteil einer durchgängig digitalen<br />
Kette vom Lieferanten bis zum Kunden<br />
ist – ja sogar „von der Auftragserteilung<br />
über die Auftragsbestätigung, den<br />
Lieferschein, den Wareneingang bis zur<br />
Rechnung und Bezahlung“, wie IML-<br />
Fachmann Schulte sagt, „denn alle<br />
Schritte betreffen dieselbe Einkaufstransaktion<br />
und müssen gegeneinander abgeglichen<br />
werden können.“<br />
Bild: IML<br />
Tim Roßky, Geschäftsführer von<br />
Cegedim eBusiness, einem Dienstleister<br />
für den digitalen Belegaustausch<br />
mit Sitz in München.<br />
Voraussetzung dafür sind strukturierte<br />
elektronische Daten, die eine durchgängige<br />
Verarbeitung ohne Medienbrüche ermöglichen.<br />
Dabei helfen soll die europäische<br />
CEN-Norm EN 16931, die festlegt,<br />
wie das Datenformat aussehen soll. „Durch<br />
diese Standardisierung kommunizieren<br />
dann alle Unternehmen nach den gleichen<br />
Spielregeln“, hofft Tim Roßky, Geschäftsführer<br />
von Cegedim eBusiness, einem<br />
Dienstleister für den digitalen Belegaustausch<br />
mit Sitz in München. „So lässt sich<br />
die gesamte <strong>Beschaffung</strong>s- und Lieferkette<br />
in Zukunft ganz einfach digitalisieren.“<br />
Den Standard der CEN-Norm erfüllen<br />
gängige Formate wie xRechnung oder<br />
ZUGFeRD (für „Zentraler User Guide des<br />
Forums elektronische Rechnung Deutschland“).<br />
Sie werden von spezialisierten<br />
Dienstleistern zur Verfügung gestellt, die<br />
eingangs- und ausgangsseitig alle Rechnungsformate<br />
– ob Papier, PDF oder ein<br />
anderes Datenformat – digitalisieren, vereinheitlichen<br />
und innerhalb von Sekunden<br />
wieder direkt in die betrieblichen<br />
Bild: Cegedim<br />
44 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Wie der Einkauf von der eRechnung profitiert<br />
Dr. Axel T. Schulte, Abteilungsleiter<br />
„Einkauf & Finanzen im SCM“<br />
beim Fraunhofer-Institut für Materialfluss<br />
und Logistik, benennt<br />
die Potenziale der eRechnung<br />
für den Einkauf:<br />
• Ganzheitlich digitalisierter<br />
Purchase-to-Pay- oder<br />
Procurement- Prozess<br />
• Chance, frühzeitig Rechnungsdaten<br />
in strukturierter Form zu<br />
erhalten, somit effiziente<br />
Daten verarbeitung und weitergehende<br />
Analyse möglich<br />
• Automatischer Abgleich von<br />
Bestellung, Auftrags -<br />
Prozesse einspeisen. Experte Roßky ist<br />
sich sicher: „Wenn alle Systeme richtig<br />
konfiguriert und die Prozesse sauber ausgeführt<br />
werden, ist eine hohe Dunkelverbuchungsquote<br />
zu erzielen, die das<br />
Hauptziel eines jeden Unternehmens ist:<br />
Vorfälle zu verbuchen, ohne manuell eingreifen<br />
zu müssen.“<br />
Der rechtliche Zeitrahmen<br />
Die EU hat mit „ViDA“ (für „VAT in the Digital<br />
Age“) eine große Initiative gestartet, die<br />
europaweit das Mehrwertsteuerrecht harmonisieren<br />
und<br />
modernisieren<br />
will und dafür<br />
als zentralen Bestandteil<br />
eine<br />
standardisierte<br />
eRechnung benötigt.<br />
Im Vorgriff<br />
darauf will<br />
der deutsche Gesetzgeber<br />
die<br />
Pflicht zur elektronischen Rechnung bereits<br />
jetzt im Umsatzsteuergesetz festschreiben.<br />
Laut Gesetzentwurf gilt diese ab<br />
1.1.2025, allerdings soll es Übergangsfristen<br />
geben, die bis 2027 gestaffelt sind. Bis<br />
Ende 2026 bleiben Papierrechnungen zulässig,<br />
ebenso elektronische Rechnungen in<br />
bestätigung, Lieferschein und<br />
Rechnung möglich<br />
• Durch Abgleich von Rechnung<br />
und Stammdaten Minimierung<br />
von Betrugsrisiken möglich<br />
• Nutzung der strukturierten<br />
Daten für Tax-Reporting<br />
möglich<br />
• Durch schnellere Bearbeitung<br />
der Eingangsrechnungen<br />
Skontoabzug möglich<br />
• Nutzung der Rechnungsdaten<br />
für Finanzierung von Lieferanten:<br />
Supply Chain Finance, insbesondere<br />
Reverse Factoring<br />
und Dynamic Discounting<br />
»Durch diese<br />
Standardisierung<br />
kommunizieren dann alle<br />
Unternehmen nach den<br />
gleichen Spielregeln .«<br />
Tim Roßky, Cegedim<br />
„alten“ Formaten. Diese Frist verlängert<br />
sich für Rechnungsaussteller mit einem<br />
Vorjahresumsatz von nicht mehr als<br />
800.000 Euro auf Ende 2027. Ab 2028 wird<br />
es endgültig Ernst, die Pflicht trifft dann<br />
alle Unternehmen mit Sitz im Inland. Der<br />
Zeitplan könnte sich allerdings aufgrund<br />
der Intervention des Bundesrates noch verschieben.<br />
Doch Zurücklehnen ist trotz der großzügig<br />
bemessenen Umsetzungsfristen nicht angesagt:<br />
Weil der Rechnungsaussteller die<br />
oben genannten Übergangsfristen nicht in<br />
Anspruch nehmen<br />
muss, sondern<br />
sofort auf<br />
die eRechnung<br />
umstellen kann,<br />
muss jeder<br />
Rechnungsempfänger<br />
bereits<br />
ab 1.1.2025 in<br />
der Lage sein,<br />
die Daten empfangen<br />
und verarbeiten zu können.<br />
Tim Roßky empfiehlt, die Umstellung in<br />
kleinere Häppchen zu zerteilen, etwa zunächst<br />
überall da, wo noch einfache PDF-<br />
Rechnungen versandt werden, auf das<br />
ZUGFeRD-Format umzusteigen. „Der Empfänger<br />
behält sein Sichtdokument und ihm<br />
geht nichts verloren“, erläutert der Experte.<br />
„Im Idealfall kann er die mitgelieferten<br />
strukturierten Daten schon nutzen und<br />
seine Prozesse beschleunigen.“<br />
Wertvolle Daten<br />
Stellt sich die E-Rechnung auf den ersten<br />
Blick vor allem für Buchhaltung und<br />
Rechnungsabteilung als Vereinfachung<br />
dar, so ergeben sich doch auch für den<br />
vorgeschalteten Einkauf ungeahnte Möglichkeiten.<br />
Insbesondere das Einkaufscontrolling<br />
erhält Zugriff auf einen Datenschatz<br />
von bisher unbekannter Quantität,<br />
Qualität und Aktualität. „Diese Daten sind<br />
die Basis für eine Vielzahl von Analysen<br />
zur Unterstützung des Einkaufsprozesses“,<br />
erläutert Fraunhofer-Forscher<br />
Schulte, „von der Einkaufsplanung über<br />
Budgetierungen bis hin zu Logistikplanungen<br />
und Finanzierungen.“<br />
Idealerweise gelingt es, sich mit seinen<br />
Lieferanten auf einen durchgängig digitalen<br />
Prozess zu einigen – und auf ein Datenformat.<br />
Auch nach der Neuregelung<br />
im Umsatzsteuergesetz bleibt es zulässig,<br />
das Format für den Belegaustausch zwischen<br />
Rechnungsaussteller und Rechnungsempfänger<br />
individuell zu vereinbaren,<br />
solange die umsatzsteuerrechtlichen<br />
Anforderungen erfüllt werden. Die gesetzlichen<br />
Vorgaben sind in dieser Hinsicht<br />
technologieoffen gestaltet. So kann<br />
auch auf Lieferantenseite die elektronische<br />
Rechnung die Abwicklung vereinfachen<br />
und manuelle Prozesse ablösen.<br />
Wer als Lieferant immer noch zögert, den<br />
überzeugt vielleicht die simple Formel<br />
„Schnelle Prüfung – schnelle Zahlung!“<br />
von der smarten Rechnung.<br />
Anja Falkenstein,<br />
Rechtsanwältin,<br />
Karlsruhe<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 45
TITEL » Intralogistik<br />
Bild: Haro<br />
Mit der Möglichkeit zur flexiblen Erweiterung der<br />
Förderanlagen profitiert Caratgas von einem<br />
wesentlichen Vorteil des Haro-Baukastensystems.<br />
Baukastensystem für die Fördertechnik<br />
In Spitzenzeiten<br />
flexibel erweitern<br />
In kaum einer Branche dürfte die Forderung nach einem flexibel<br />
erweiterbaren Materialfluss in den vergangenen Monaten größer<br />
gewesen sein als in der Energiewirtschaft: Die Sorge um Versorgungsengpässe<br />
ließ die Nachfrage in die Höhe steigen. Dank des Bau -<br />
kastensystems des Fördertechnikherstellers Haro konnte, die bei<br />
Caratgas in Krefeld installierte Förderanlage zur Abfüllung von Gas -<br />
flaschen mit den gestiegenen Kapazitätsauslastungen mitwachsen.<br />
46 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
»Die Anforderungen in Industriebetrieben verändern sich rasant.<br />
Umso wichtiger ist es, den innerbetrieblichen Materialfluss flexibel<br />
und unkompliziert den Veränderungen angleichen zu können.«<br />
Christoph Hackländer, Geschäftsführer der Haro-Gruppe<br />
Die Westfalen Gruppe ist in den Bereichen Technische<br />
Gase, Kälte und Wärme, Tankstellen und<br />
Mobilität sowie respiratorische Heimtherapie aktiv.<br />
Mit ihren Produkten und Dienstleistungen bietet sie<br />
zunehmend Lösungen an, die Kundinnen und Kunden<br />
dabei helfen, nachhaltiger zu werden. Das 1923 in<br />
Münster gegründete Familienunternehmen ist heute<br />
mit zahlreichen Tochter- und Beteiligungsgesellschaften<br />
an über 20 Produktionsstandorten in<br />
Deutschland, den Niederlanden, Belgien, Frankreich,<br />
der Schweiz und Österreich vertreten – so auch in<br />
Krefeld.<br />
Dort fokussiert sich die Tochtergesellschaft Caratgas<br />
GmbH primär auf die Lagerung, Abfüllung und den<br />
Umschlag von Flüssiggas (Propan). Bereits 2020<br />
wandte sich das Unternehmen mit einer Anfrage<br />
über die Installation zweier Förderanlagen an die Rüthener<br />
Haro-Gruppe. Benötigt wurde zum einen eine<br />
angetriebene Fördertechnik für leere und volle Stahlpaletten<br />
mit einem automatischen Ausschubsystem<br />
zur De-Palettierung von leeren Gasflaschen und einem<br />
automatischen Einschubsystem zur Palettierung<br />
befüllter Gasflaschen. Die zweite, ebenfalls angetriebene<br />
Fördertechnik dient zum Transport leerer und<br />
voller Stahlpaletten mit einem automatischen Ausschubsystem,<br />
allerdings ausschließlich für leere TÜVfällige<br />
Gasflaschen.<br />
Die Haro-Gruppe konzipierte für die beiden Anforderungen<br />
jeweils ein intelligentes Konzept, bestehend<br />
aus den beiden Hauptkomponenten angetriebener<br />
Rollenbahnen und Kettenförderer, welche die Gasflaschen<br />
jeweils vor und nach ihrer Befüllung vollautomatisiert<br />
depalettieren und palettieren.<br />
Der Materialfluss im Detail<br />
Die Details des Materialflusses an der ersten Anlage:<br />
Die Aufgabe der entweder einzelnen oder gedoppelten<br />
Stahlpaletten erfolgt zunächst manuell mithilfe<br />
eines Gabelstaplers. Nachdem der Mitarbeiter die<br />
Aufgabe des Fördergutes mittels Schalter quittiert<br />
hat, verfährt die einzelne Palette mithilfe der angetriebenen<br />
Rollenbahnen unmittelbar zur Ausschiebeeinheit,<br />
während die gedoppelte Palette nach einer<br />
automatischen Höhenprüfung zunächst zur Entdoppelungseinheit<br />
befördert wird. „Eine Vertikalhubeinheit,<br />
die mit Gabelstaplerzinken bestückt ist, vereinzelt<br />
die Paletten anschließend und verfährt die untere<br />
Stahlpalette unmittelbar zur Ausschiebeeinheit“,<br />
erklärt der Konstruktionsleiter der Haro-Gruppe,<br />
Markus Löseke, die technischen Details des Vorgangs.<br />
Währenddessen wird die obere Palette angehoben<br />
und nach dem Abtransport der unteren Palette abgesenkt<br />
und ebenfalls in Richtung Ausschiebeeinheit<br />
zur De-Palettierung der Gasflaschen befördert.<br />
An der Ausschiebeeinheit angekommen, wird die<br />
Transportsicherung der Stahlpaletten zunächst nach<br />
oben gehoben, anschließend werden die Flaschen<br />
automatisch von der Stahlpalette auf den Kettentransportstrang<br />
abgeschoben und zur Befüllungsanlage<br />
transportiert. Die leere Palette wird auf die<br />
nächsten freien Rollenbahnplätze verfahren.<br />
Zur Palettierung der befüllten Gasflaschen werden<br />
die leeren Stahlpaletten an der Vollflaschen-Einschiebeeinheit<br />
zuerst mittels einer Stopper-Puscher-<br />
Kombination positioniert und fixiert. Danach wird die<br />
Transportsicherung erneut nach oben gehoben, sodass<br />
die vollen Flaschen vom Kettenfördererstrang in<br />
die Palette eingeschoben werden. Nach dem erfolgreichen<br />
Palettiervorgang senkt sich die Sicherheitsvorrichtung<br />
wieder ab und die befüllten Paletten<br />
werden über die angetriebenen Rollenbahnen zur Lagerung<br />
transportiert.<br />
Zur Separierung und Palettierung der TÜV-fälligen-<br />
Propangasflaschen installierte die Caratgas GmbH<br />
Bild: Haro<br />
Blockabnahme von vier<br />
Gitterboxen mit dem<br />
Gabelstapler.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 47
TITEL » Intralogistik<br />
Bereits 2020 wandte<br />
sich das Unternehmen<br />
Caratgas mit einer<br />
Anfrage über die<br />
Installation zweier<br />
Förderanlagen an<br />
Haro .<br />
eine zweite Förderanlage, die in ihrer Funktionsweise<br />
der ersten Anlage ähnelt: „An dieser Anlage werden<br />
die unbestückten Stahlpaletten zunächst mithilfe eines<br />
Gabelstaplers aufgegeben und entlang der Rollenbahnen<br />
zur Position der TÜV-fälligen-Leerflaschen-Einschiebeeinheit<br />
befördert“, heißt es aus der<br />
Haro-Konstruktion. Nach dem automatischen Öffnen<br />
der Sicherheitsvorrichtung an der Palette werden die<br />
leeren Flaschen vom Kettenförderer in die Palette<br />
eingeschoben. Nachdem der Palettiervorgang abgeschlossen<br />
ist, senkt sich die Sicherheitsvorrichtung<br />
und die mit den TÜV-fälligen Flaschen befüllte Stahlpalette<br />
wird über die Rollenbahnen automatisiert<br />
zum Abnahmeplatz befördert.<br />
Bild: Haro<br />
Bestehende Förderanlagen flexibel<br />
erweitern<br />
Mit wachsenden Kapazitätsauslastungen wandte<br />
sich Caratgas zwei Jahre nach der Installation der<br />
beschriebenen Förderanlagen erneut an die Haro-<br />
Gruppe mit dem Ziel, die Puffermöglichkeiten an den<br />
Anlagen zu vergrößern und die Abhängigkeit der<br />
Auf- und Abnahme durch den manuellen Stapler zu<br />
entkoppeln. „Durch die Implementierung zusätzlicher<br />
Kettenförderer und damit Pufferplätze an den Aufund<br />
Abnahmestellen der Anlage konnten wir diesen<br />
Anforderungen gerecht werden, zusätzlich weist die<br />
Anlage damit einen hohen Grad an Automatisierung<br />
auf. Die Depalettierung und Palettierung der Gasflaschen<br />
läuft komplett automatisch, es sind keine manuellen<br />
Eingriffe erforderlich“, so Markus Löseke.<br />
Mit der Möglichkeit zur flexiblen Anpassung und Erweiterung<br />
der Förderanlagen, die insbesondere in<br />
den energieversorgenden Unternehmen wichtiger<br />
denn je geworden ist, bedient sich die Caratgas einem<br />
elementaren Vorteil des Haro-Konzeptes: „Die<br />
Anforderungen in heutigen Industriebetrieben verändern<br />
sich rasant, umso wichtiger ist es, den innerbetrieblichen<br />
Materialfluss flexibel und unkompliziert<br />
den Veränderungen angleichen zu können“, weiß<br />
auch der Geschäftsführer der Haro-Gruppe, Christoph<br />
Hackländer. „Deshalb bieten wir unseren Kunden<br />
stets die Möglichkeit, bereits bestehende Förderanlagen<br />
mithilfe unseres Baukastensystems zu erweitern<br />
– und zwar ohne, dass dabei große Eingriffe<br />
in die laufende Produktion notwendig sind“.<br />
Platzsparendes Anlagenlayout für den Kreislauf der Einschleusung,<br />
Entladung, Befüllung, Beladung und abschließender Ausschleusung.<br />
Bild: Haro<br />
48 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
INTRALOGISTIK «<br />
Gesteigerte Effizienz in der Auftragsabwicklung<br />
Hunderte AMR transportieren<br />
Paletten und Behälter<br />
Dematic hat die Implementierung von 299 autonomen mobilen Robotern (AMR) für den Omnichannel-Einzelhändler<br />
Radial Europe in dessen Logistikzentrum in Groningen abgeschlossen.<br />
Das Unternehmen erwartet damit eine erheblich höhere Effizienz bei der Auftragsabwicklung<br />
als bislang. Für Dematic stellt dieser AMR-Auftrag den bisher größten seiner Art dar.<br />
Radial setzt die mobilen Roboter<br />
hauptsächlich für die Abwicklung<br />
von E-Commerce-Bestellungen im Textilbereich<br />
ein. „Unsere maßgeschneiderte<br />
End-to-End-Lösung wird Radial dabei<br />
unterstützen, die Effizienz zu steigern, die<br />
Flexibilität zu erhöhen und die zukünftige<br />
Skalierbarkeit zu gewährleisten“, erklärt<br />
Kevin Heath, Globaler Vertriebsingenieur<br />
für Robotik bei Dematic.<br />
Die Lösung ist in drei Schlüsselanwendungsbereiche<br />
unterteilt und umfasst drei<br />
Arten von AMR: Zunächst transportieren<br />
Pallet-to-Picker-Roboter die Paletten<br />
vom Eingang zu einem großen Lagerfeld.<br />
Von dort werden sie zu den Umfüllstationen<br />
und den Regalen der Kommissionierplätze<br />
an den Packstationen befördert.<br />
Anschließend läuft derselbe Vorgang umgekehrt<br />
ab. Zusätzlich übernehmen<br />
Bin-to- Picker-Roboter die Lagerung von<br />
Paletten in einem automatisierten Hochregallager<br />
und den Transport zu den Kommissionierplätzen<br />
für die Ausführung von<br />
Split-Case-Aufträgen, also Bestellungen,<br />
die aus einer Vielzahl von Einzelprodukten<br />
oder Artikelvarianten bestehen. Hierfür<br />
verfügt die Regalanlage über eine<br />
Kapazität von rund 65.000 Stellplätzen.<br />
Zuletzt übernehmen Order-Shelf-Transport-Roboter<br />
die Beförderung von Aufträgen<br />
auf einem Regal mit mehreren Ebenen,<br />
die schließlich an die Packstationen<br />
geliefert werden.<br />
Mitarbeitende und Kunden<br />
profitieren<br />
„Das ist ein doppelter Gewinn für Radial“,<br />
betont Dries De Love, Executive Vice<br />
President bei Radial Europe. „Die Lösung<br />
Bild: Dematic<br />
Die Dematic-Lösung in Groningen umfasst drei Arten von AMR: Pallet-to-Picker-Roboter,<br />
Bin-to-Picker- AMR und Order-Shelf-Transport-Roboter.<br />
erhöht die Effizienz, was zu verbesserten<br />
Dienstleistungen und niedrigeren Kosten<br />
für unsere Kunden führt. Darüber hinaus<br />
sehen wir ergonomische Verbesserungen<br />
und Sicherheitsvorteile für unsere Mitarbeiterinnen<br />
und Mitarbeiter. Das führt zu<br />
einer höheren Gesamtleistung.“<br />
Das Projekt bei Radial in Groningen markiert<br />
für Dematic einen Meilenstein, auch<br />
mit Blick auf den Kion-Partner Quicktron,<br />
der von Dematic mit der Bereitstellung<br />
der AMR sowie der Projektdurchführung<br />
beauftragt wurde. Kevin Heath resümiert:<br />
„Durch diesen Großauftrag haben wir bewährte<br />
Sicherheitspraktiken für diese<br />
innovativ e Technologie etablieret sowie<br />
eine Strategie für den Kundenservice und<br />
die Ersatzteilbereitstellung in der EMEA-<br />
Region entwickelt.“ Darüber hinaus habe<br />
das Projekt dem Anbieter von intelligenter<br />
Automatisierungstechnik wertvolle<br />
Einblicke in die Anwendung, das Design<br />
und die Implementierung von AMR-Systemen<br />
ermöglicht. „Wir haben unsere<br />
Expertise erheblich erweitert, auch dahingehend<br />
wie man AMR-Auftragsabwicklungssysteme<br />
anwendet, gestaltet und<br />
implementiert. Nun beabsichtigen wir,<br />
diese Sparte weltweit weiter auszubauen“,<br />
so Heath abschließend. (ys)<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 49
» INTRALOGISTIK<br />
Forschungsprojekt der TH Aschaffenburg und Linde Material Handling<br />
Autonome Outdoor-Stapler<br />
setzen auf Schwarmintelligenz<br />
Im Forschungsprojekt KAnIS haben der Warenumschlagspezialist Linde Material<br />
Handling und die TH Aschaffenburg Lösungen für den Einsatz autonomer Gegengewichtsstapler<br />
im Innen- und Außenbereich entwickelt. Die Ergebnisse wurden<br />
Anfang Dezember auf dem Testgelände im Werk Aschaffenburg präsentiert.<br />
Autonome Fahrzeuge werden nach<br />
und nach immer mehr Transportaufgaben<br />
übernehmen. Davon ist Stefan<br />
Prokosch, Initiator des Projektes „KAnIS –<br />
Kooperative Autonome Intralogistik Systeme“<br />
bei Linde Material Handling (MH),<br />
überzeugt. Daher will das Unternehmen<br />
die Vorteile autonomer Fahrzeuge in Zukunft<br />
auch denjenigen Kunden zugänglich<br />
machen, die Gegengewichtsstapler<br />
zum Warentransport oder zum Be- und<br />
Entladen von Lkw im Einsatz haben.<br />
„Die Anforderungen an Stapler im Außenbereich<br />
sind jedoch weitaus höher, als<br />
dies bei reinen Indoor-Geräten der Fall ist.<br />
Dazu gehören Gefälle und Steigungen, ein<br />
deutlich höheres Personen- und Verkehrsaufkommen,<br />
aber auch Wettereinflüsse<br />
und Temperaturgegebenheiten“, erläutert<br />
Prokosch. „Durch die gemeinsame Forschungsarbeit<br />
mit der TH AB konnten wir<br />
tragfähige Lösungen für diese komplexen<br />
Anforderungen erarbeiten. Die Erkenntnisse<br />
bilden nach dem Abschluss des Projekts<br />
eine wesentliche Grundlage für weitere<br />
Entwicklungsprojekte.“<br />
In mehreren Teilprojekten haben Linde<br />
MH und die TH Aschaffenburg im Projekt<br />
KAnIS daher Lösungen für die anspruchsvollen<br />
Einsätze autonomer Gegengewichtsstapler<br />
entwickelt, die sowohl im<br />
Innen- als auch im Außenbereich Lasten<br />
bewegen. Ein Schwerpunkt lag auf deren<br />
kooperativem Verhalten: Über ein<br />
5G-Netz und einen Edge-Server tauschen<br />
die Fahrzeuge Informationen in Echtzeit<br />
aus und können sich gegenseitig vor Hindernissen<br />
warnen. Das über knapp vier<br />
Jahre laufende Vorhaben wurde im Rahmen<br />
des FuE-Programms Informations-<br />
und Kommunikationstechnik des Freistaates<br />
Bayern mit rund 2,8 Mio. Euro gefördert.<br />
Übergeordnetes Projektziel war es, herauszufinden,<br />
wie sich betriebliche Zuverlässigkeit<br />
und Umschlagsleistung<br />
durch ein kooperatives Verhalten vernetzter,<br />
autonomer Fahrzeuge verbessern<br />
lassen. Zur Lösung dieser umfassenden<br />
Aufgabenstellung wurden mehrere<br />
Teilprojekte gebildet, die sich mit der Lokalisierung<br />
sowie Steuerung und Regelung<br />
der Fahrzeuge, der Kooperation der<br />
Stapler untereinander, dem Erkennen der<br />
Ladungsträger, dem Umgang mit Witterungseinflüssen,<br />
der vorausschauenden<br />
Wartung, der Routenoptimierung sowie<br />
dem automatischen Lademanagement<br />
beschäftigten.<br />
Betriebsnahe Testszenarien<br />
unter Realbedingungen<br />
Automatisiert wurden vier Elektro-Gegengewichtsstapler<br />
Linde E20, E25 und<br />
E30 mit 2,0 bis 3,0 Tonnen Tragfähigkeit,<br />
ausgestattet mit elektrohydraulischer<br />
Lenkung (Linde Steer Control), dem Assistenzsystem<br />
Linde Safety Pilot mit elektronischem<br />
Lastdiagramm sowie einem integrierten<br />
Zinkenverstellgerät. „Die praktische<br />
Umsetzung der Forschungserkenntnisse<br />
war für Linde MH und die TH<br />
Aschaffenburg ein wichtiger Aspekt“, betonte<br />
Mark Hanke, Abteilungsleiter im<br />
Bereich Vorentwicklung bei Linde MH. Ab<br />
dem kommenden Jahr sollen die Fahrzeuge<br />
weiterentwickelt und getestet werden,<br />
um zukünftig vier konkrete Materialfluss-<br />
Aufgaben im Werk zu übernehmen: den<br />
Transport von Gitterboxen sowie den<br />
Transport von Paletten mit Batterien, außerdem<br />
die Transporte von Fahrzeugrahmen<br />
und Fahrerschutzdächern, die auf<br />
speziellen Ladungsträgern von den Vormontage-<br />
an die Hauptmontagelinien gebracht<br />
werden. Die beiden ersten Anwendungsfälle<br />
sind reine Outdoor-Einsätze.<br />
Bei den beiden anderen fahren die Stapler<br />
sowohl in als auch zwischen den Hallen.<br />
Zu überwinden sind Steigungen von acht<br />
Prozent, außerdem fahren in den Hallen<br />
weitere AGVs und manuell bediente Fahrzeuge.<br />
Damit die vier Stapler Paletten, Gitter -<br />
boxen und Metallgestelle mit ihren Gabelzinken<br />
auch dann aufnehmen können,<br />
wenn diese nicht exakt am Boden ausgerichtet<br />
sind, verfügen die Fahrzeuge über<br />
eine verfahrbare Kamera, die zwischen<br />
den Gabelzinken montiert ist. Sie vermisst<br />
die Taschen des Lastträgers, damit die<br />
Zinken korrekt über den Seitenschieber<br />
positioniert werden können. Konstruktiv<br />
angepasst wurden außerdem der Fahrzeugrahmen,<br />
die Batterietür und das<br />
Gegengewicht . „Unser Anspruch war,<br />
Sicherheits scanner, Kameras und Sensoren<br />
weitestgehend in die Fahrzeugkontur zu<br />
integrieren, damit die Abmessungen<br />
möglichst nah am Standardstapler bleiben“,<br />
so Hanke.<br />
In den Hallen lokalisieren sich die Fahrzeuge<br />
über Laserscanner, im Außenbereich<br />
über Differential-GPS (Global Positioning<br />
System), ein Verfahren zur Genauigkeitssteigerung<br />
bei GPS, sowie zusätzliche<br />
lokale Sensoren beim Übergang vom<br />
Innen- zum Außenbereich. Anders als die<br />
manuellen Stapler fahren die automatisierten<br />
Fahrzeuge auf den fest definierten<br />
50 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Bild: Linde MH<br />
Ein Schwerpunkt des Forschungsprojekts lag auf dem kooperativen Verhalten der autonomen Stapler: Über ein 5G-Netz und einen Edge-Server tauschen die<br />
Fahrzeuge Informationen aus und können sich bei kritischen Situationen warnen.<br />
Strecken immer rückwärts, damit die Last<br />
im Fall einer Notbremsung nicht von den<br />
Zinken rutschen kann.<br />
Echtzeitkommunikation mit<br />
Staplern und Infrastruktur<br />
raussetzung dafür ist eine echtzeitfähige<br />
Übermittlung der Perzeptionsdaten. Um<br />
diese geringen Latenzen zu erreichen,<br />
wurde im Aschaffenburger Werk ein<br />
5G-Netzwerk aufgebaut. Die Perzeptionsdaten<br />
werden von den Staplern an einen<br />
Edge-Server übertragen, der aus den lokal<br />
erkannten Objekten eine globale Liste aller<br />
erkannten Objekte erstellt und diese<br />
zurück an die Stapler sendet.<br />
Getestet wurde mit einem Crashtest-<br />
Dummy, der plötzlich hinter einer Wand<br />
hervorkommt und in den Fahrweg läuft.<br />
Ohne kooperatives Verhalten kann der<br />
automatisierte Stapler nicht rechtzeitig<br />
stoppen und fährt gegen die Puppe. Erhält<br />
er die Echtzeitinformation eines in der<br />
Nähe befindlichen Staplers, ist das Fahrzeug<br />
in der Lage, die Gefahrensituation<br />
im Voraus zu erkennen, und kann rechtzeitig<br />
abbremsen.<br />
Funknetze als<br />
Voraussetzung<br />
Da aber nicht immer davon ausgegangen<br />
werden kann, dass ein zweiter Stapler in<br />
der Nähe ist, wurden entlang der Wege,<br />
welche die Stapler zukünftig fahren sollen,<br />
acht stationäre 3D-Laserscanner an<br />
Kreuzungen und Tordurchfahrten installiert.<br />
Auch die lokalen Objektlisten der<br />
Ein besonderer Fokus des Forschungsprojektes<br />
lag auf der Umgebungswahrnehmung<br />
der automatisierten Stapler, um deren<br />
zuverlässiges Agieren mit anderen<br />
Verkehrsteilnehmern zu gewährleisten.<br />
Dazu verfügen die Fahrzeuge zusätzlich<br />
zu den Sensoren der Personenschutzeinrichtung<br />
über weitere 3D-Scanner und<br />
HD-Kameras. Die Kameradaten bilden die<br />
Basis, um Objekte mithilfe von KI-Algorithmen<br />
zu erkennen und zu klassifizieren<br />
sowie anschließend zu lokalisieren, um<br />
die Fahrgeschwindigkeit des Staplers anzupassen<br />
und ihn bis zum Stillstand abbremsen<br />
zu können. Eine weitergehende<br />
Fragestellung befasste sich mit kritischen<br />
Situationen, die entstehen, wenn sich<br />
Verkehrsteilnehmer in verdeckten Bereichen<br />
aufhalten, die von den Sensoren des<br />
Staplers nicht einzusehen sind und sich<br />
auf den Fahrweg des Staplers zubewegen.<br />
Hier kommt die Kommunikation zwischen<br />
den Staplern ins Spiel, denn wenn ein anderer<br />
Stapler in der Nähe ist, könnte er<br />
entsprechende Informationen liefern. Vostationären<br />
Laserscanner werden auf dem<br />
Edge-Server fusioniert und die Informationen<br />
allen Fahrzeugen zur Verfügung<br />
gestellt. „Schnelle Funknetze sind die Voraussetzung,<br />
damit autonome Stapler im<br />
Außenbereich kooperativ agieren und in<br />
Echtzeit auf unvorhergesehene Verkehrssituationen<br />
reagieren können“, betonte<br />
Prof. Dr. Klaus Zindler, Vizepräsident Forschung<br />
und Transfer an der TH Aschaffenburg,<br />
auf der Veranstaltung. „Unser Ziel<br />
ist, allgemeine Standards und Algorithmen<br />
unter Verwendung von KI-Methoden<br />
zu entwickeln, die dann flexibel auf unterschiedliche<br />
Fahrzeuge oder Applikationen<br />
angewendet werden können und<br />
weiterlernen.“<br />
In einem weiteren Arbeitspaket wurde<br />
untersucht, wie die bodennahen, optischen<br />
Sensoren gesäubert werden können,<br />
wenn sie durch Spritzwasser bei Regen<br />
oder nasser Fahrbahn verschmutzt<br />
wurden. Denn ist eine zuverlässige Objekterkennung<br />
nicht mehr möglich, bringt<br />
die Personenschutzanlage den Stapler automatisch<br />
in den sicheren Zustand und er<br />
hält an. Um dies zu verhindern, entwickelte<br />
das Projektteam ein Reinigungssystem,<br />
das die auf den Laserscannern<br />
angesammelten Schmutzwassertropfen<br />
einfach mittels Druckluft wegbläst. (ys)<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 51
» INTRALOGISTIK<br />
Neuheiten in der C-Teile-Versorgung<br />
Systeme lösen Bestellung selbst aus<br />
Der Spezialist für die industrielle Versorgung mit C-Teilen, Keller & Kalmbach, präsentiert zwei<br />
neue, sich selbst steuernde Systeme, die Nachbestellungen automatisch auslösen: „takeLOG<br />
compact“ und „distanceLOG“. Diese sollen für eine effizientere, transparentere und nachhaltigere<br />
<strong>Beschaffung</strong> sowie Lagerung und Bereitstellung sorgen.<br />
Die Warenausgabesysteme der „take-<br />
LOG compact-Serie“ beinhalten eine<br />
intelligente Lagerverwaltungssoftware.<br />
Diese ermöglicht Keller & Kalmbach zufolge<br />
die präzise Überwachung und<br />
Steuerung der Bestell- und Lagerprozesse.<br />
Die modulare Gestaltung erlaubt Anpassungen<br />
an spezifische Anforderungen und<br />
die Lagerung verschiedener MRO-Artikel.<br />
Die Boxen sind laut dem Unternehmen für<br />
95 Prozent der Standardverpackungseinheiten<br />
verwendbar und sind selbst einteilbar.<br />
Ein nachträglicher Artikelaustausch<br />
ist einfach möglich.<br />
Die verringerten Suchzeiten und der<br />
schnelle Zugriff sollen die Prozesskosten<br />
um bis zu 40 Prozent reduzieren – bei<br />
einer 24/7-Verfügbarkeit der MRO-Artikel.<br />
Gleichzeitig führen Zugriffskontrolle und<br />
Bestellmanagement zu einer Reduzierung<br />
des Werkzeugverbrauchs um bis zu 28<br />
Prozent, so das Unternehmen. Die Lean-<br />
Software bietet eine intuitive Menüführung,<br />
wodurch Mitarbeitende ohne Einlernphase<br />
mit dem Automaten arbeiten<br />
können.<br />
Bestellauslösung nach<br />
Entnahme<br />
Eine neue Möglichkeit zum automatischen<br />
Auslösen einer Bestellung bietet<br />
„distanceLOG“. Bei der Entnahme von<br />
Behältern wird die Distanzveränderung<br />
mittels Abstandsmessung per Infrarotsensor<br />
in Echtzeit erfasst. Es erfolgt eine<br />
automatische Bestellauslösung, ohne<br />
manuelles Eingreifen. Der neu gelieferte,<br />
befüllte Behälter wird im Anschluss von<br />
hinten wieder bereitgestellt. Das System<br />
ist geeignet für mobile und feststehende<br />
Infrastrukturen sowie verschiedene Anwendungen<br />
in der Lagerlogistik – unabhängig<br />
von der Art des Behälters. Es kann<br />
mit anderen Logistiksystemen kombiniert<br />
werden, um eine effiziente Gesamtlösung<br />
zu gewährleisten. LED-Anzeigen sorgen<br />
für visuelle Hinweise.<br />
Fazit<br />
Die neuen Lösungen „takeLOG compact“<br />
und „distanceLOG“ bieten Keller & Kalmbach<br />
zufolge nicht nur<br />
operative Vorteile, sondern<br />
tragen auch zur Umsetzung<br />
nachhaltiger Geschäftspraktiken<br />
bei.<br />
Unternehmen , die auf der<br />
Suche nach innovativen<br />
Ansätzen für ihr Logistikmanagement<br />
sind, finden<br />
in diesen Systemen eine<br />
zukunftsweisende Lösung,<br />
heißt es vonseiten des<br />
C-Teile-Spezialisten.<br />
Interessierte können beide<br />
Systeme vom 19.-21. März<br />
auf der Messe Logimat live<br />
erleben. (ys)<br />
Bild: Keller & Kalmbach<br />
Die Kompaktheit des Warenausgabesystems<br />
„takeLOG compact“ erhöht den Raumnutzen.<br />
Bild: Keller & Kalmbach<br />
Das „distanceLOG“-System<br />
bietet Keller & Kalmbach<br />
zufolge eine autonome<br />
Energieversorgung über<br />
zehn Jahre.<br />
52 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
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Um zu verstehen, was für das neue<br />
<strong>Beschaffung</strong>sjahr relevant sein wird,<br />
lohnt sich ein Blick auf die Entwicklungen<br />
im Energiemarkt seit 2020.<br />
Bild: amnaj/stock.adobe.com<br />
Herausforderungen und Chancen für den Energieeinkauf im Jahr 2024<br />
Der Energiemarkt nach der Krise<br />
Der Blick auf die letzten vier Jahre zeigt, dass sich beim Strom- und Gaseinkauf viel<br />
verändert hat – mit einer Dynamik wie kaum zuvor. Der Gastbeitrag von enPortal erläutert<br />
diese Entwicklungen im Energiemarkt. Zudem beantwortet der IT-Dienstleister<br />
die Fragen: Was ist das Erbe der Energiekrise und welche Maßnahmen empfehlen sich<br />
bei der Energiebeschaffung, um mehr Effizienz, Sicherheit und Erfolg zu generieren?<br />
Die Corona-Jahre 2020 und 2021 waren geprägt<br />
durch niedrige Energiepreise und einen großen<br />
Wettbewerb unter den Energieversorgern. Die reinen<br />
Arbeitspreise sanken im ersten Lockdown auf 3,7<br />
Cent je Kilowattstunde an der Börse für das Folgejahr.<br />
Die Anzahl der gelaufenen Ausschreibungen<br />
über die Energieplattform „enPortal connect“ erreichte<br />
im Jahr 2020 ein Rekordhoch von 3000. Viele<br />
Unternehmen deckten sich für mehrere Jahre mit<br />
Strom und Gas ein. Es lag ein klassischer Käufermarkt<br />
vor, d. h. die Energieversorger gingen auf viele Anforderungen<br />
vonseiten der Einkaufsabteilungen ein.<br />
Günstige Energiepreise sorgten für ausreichend Liquidität<br />
im Markt. Die Risiken wurden auf die Lieferanten<br />
übertragen, die Aufschläge waren gering und<br />
Festpreis-Lieferverträge für kleinere und mittlere Unternehmen<br />
typische Produkte, die gehandelt wurden.<br />
Ukraine-Krieg sorgt für<br />
Energiekrise im Jahr 2022<br />
Mit dem Ukraine-Krieg im Jahr 2022 änderte sich<br />
nahezu alles im Energiemarkt. Es herrschten explodierende<br />
Preise am Markt: Statt 3,7 ct/kWh waren in<br />
der absoluten Spitze rund 100 ct/kWh fällig. Das<br />
stellte unzählige Unternehmen vor den finanziellen<br />
Abgrund. Der Markt switchte in einen Verkäufermarkt,<br />
die Bedingungen wurden von den Lieferanten<br />
bestimmt, die ebenfalls von den politischen Entwicklungen<br />
betroffen waren. Angebotsstopp-Wochen, eine<br />
neu eingeführte Gasspeicherumlage und gesetzlich<br />
neue Energiepreisbremsen sorgten für Unsicherheit<br />
und Unruhe auf Versorger- und Kundenseite.<br />
Viele Unternehmen hatten Schwierigkeiten, geeignete<br />
Lieferanten zu finden, vor allem, wenn die Bonität<br />
nicht passabel war. Zudem waren kleinere Unternehmen<br />
mitunter aufgefordert, von Festpreis-Lieferungen<br />
auf Tranchen- oder Spotmarkt-Lieferungen zu<br />
wechseln, was wiederum zu internen Prozessanpassungen<br />
und Unsicherheit führte. Der Energieeinkauf<br />
war längst kein Thema der Einkaufsabteilungen<br />
mehr, sondern rückte in den Fokus von Geschäftsführungen<br />
und Vorständen.<br />
Energiemarkt 2023: Beruhigung<br />
und Kleinteiligkeit<br />
Im Jahr 2023 entspannte sich die Lage. Es zeigten<br />
sich Energiepreise auf höherem Niveau, aber Anfang<br />
Dezember 2023 für 2024 mit rund 10 ct/kWh an der<br />
Börse deutlich niedriger als in den Krisenjahren zuvor.<br />
Die Fixierung von Börsenprodukten für die Zu-<br />
54 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
ENERGIE «<br />
kunft ist hingegen mit einem größeren Risiko, mehr<br />
finanziellem Aufwand und gestiegenen Finanzierungskosten<br />
behaftet. Daraus folgen erheblich gestiegene<br />
Aufschläge der Energieversorger, die sich<br />
beim Endverbraucher deutlich bemerkbar machten.<br />
Die gesetzlich geregelte Energiepreisbremse, die Unternehmen<br />
entlasten sollte, führte auf Seiten der<br />
Energieversorger dazu, dass weniger Personalkapazität<br />
im Vertrieb spürbar war. Der Wettbewerb bei Ausschreibungen<br />
flaute dementsprechend ab, was sich<br />
auf die Energiepreise zusätzlich auswirkte. Die Bonität<br />
spielte eine große Rolle und bei größeren Energiemengen<br />
war eine Zurückhaltung auf Seiten der<br />
Versorger zu verzeichnen. Zum Jahresende 2023<br />
zeigte sich, dass der Markt mit wesentlich kleinteiligeren<br />
Produkten (Spotmarktkomponenten und vertikale<br />
Tranchen) agierte und sich Kunden sowie Versorger<br />
auf diese neue Situation einstimmen mussten.<br />
Wechsel der <strong>Beschaffung</strong>smodelle<br />
und notwendige Marktkenntnis<br />
Wer sich im Jahr 2024 mit der <strong>Beschaffung</strong> von Strom<br />
und Gas für die Folgejahre beschäftigt, sollte folgendes<br />
Erbe der letzten Marktjahre berücksichtigen:<br />
• Die Situation erfordert weiterhin schnelles und<br />
flexibles Handeln. Wer seine Energiedaten nicht<br />
jederzeit vollständig vorliegen hat, kann die am<br />
Markt auftauchenden Chancen schwer nutzen.<br />
• Das Handeln kleinteiliger Produkte und der häufige<br />
Wegfall von Toleranzbändern wird alle weiterhin<br />
begleiten. Auch für Unternehmen, die weniger<br />
als 5 Gigawattstunden pro Jahr verbrauchen, werden<br />
verschiedene <strong>Beschaffung</strong>smodelle von Energieversorgern<br />
angeboten. Daher ist die Kenntnis<br />
dieser (z. B. Festpreis, Tranche horizontal, Tranche<br />
vertikal, Spotmarkt, anteilig Spotmarkt oder reine<br />
Spotmarktbeschaffung) vonnöten. Wer dieses Wissen<br />
nicht besitzt, kann auf Plattformen mit Energieexperten<br />
zurückgreifen, die bei der Strategiefindung<br />
unterstützen.<br />
• Energieversorger werden sich ihre Kunden weiterhin<br />
akribisch aussuchen. Vollständige Energieverbrauchsdaten<br />
mit historischer Entwicklung sind<br />
hier klar im Vorteil. Gut aufgestellt ist dasjenige<br />
Unternehmen, das alle Energiedaten digitalisiert<br />
und die Verbräuche aller Abnahmestellen stets <strong>aktuell</strong><br />
vorliegen hat – idealerweise verknüpft mit<br />
öffentlichen Netzentgelten, Steuern , Umlagen oder<br />
Abgaben. Der Wandel von Excel-Tabellen zu digitalen,<br />
sich selbst automatisierbaren Daten ist heutzutage<br />
in wenigen Stunden vollzogen. Über digitale<br />
Marktplätze sind Ausschreibungen bei günstigen<br />
Börsenkursen jederzeit möglich.<br />
• Die letzten Jahre haben gezeigt, wie schnelllebig<br />
Tipps für den Energieeinkauf<br />
1. Bündeln und digitalisieren Sie Ihre Energiedaten aller<br />
Abnahmestellen auf einer Plattform und sorgen Sie ggf.<br />
dafür, dass sich die Energiedaten automatisch updaten.<br />
2. Verknüpfen Sie Ihre Energiedaten automatisch mit<br />
veröffentlichten Netzentgelten, Steuern, Umlagen und<br />
Abgaben. Über digitale Plattformen können Sie diese<br />
Daten verknüpfen, was schnelle Wirtschaftsprognosen<br />
und ein effizienteres Controlling ermöglicht.<br />
3. Lassen Sie täglich die Energiebörsenkurse beobachten<br />
und nutzen Sie günstige Einkaufszeitpunkte. Mit<br />
Plattformbetreibern lassen sich Börsenpreise auf Ihr<br />
Abnahme verhalten übertragen. Damit Sie informiert<br />
werden , wann Ihre Zielpreise erreicht werden.<br />
4. Nutzen Sie den Wettbewerb im Energiemarkt mit<br />
digitalen Energiemarktplätzen, um möglichst viele<br />
Energie preise miteinander vergleichen zu können.<br />
Wichtig : Für jedes Unternehmen erstellt ein Energieversorger<br />
einen individuellen Energiepreis, der abhängig ist<br />
von Größe, Renommee, Bonität und Verbrauchsprofil.<br />
5. Profitieren Sie von KI-gestützten Energiepreis -<br />
prognosen für Ihr individuelles Abnahmeverhalten, um<br />
Forecasts vornehmen und Kaufentscheidungen besser<br />
treffen zu können.<br />
6. Prüfen Sie Ihr Einkaufsmodell und passen Ihre<br />
<strong>Beschaffung</strong>s strategie an den Markt an. Mit dem kurz -<br />
fristigen Switchen des <strong>Beschaffung</strong>smodells können Sie<br />
auf die Anforderungen im Energiemarkt reagieren und<br />
Ihre Energiekosten optimieren.<br />
der Markt ist. Wer nicht permanent informiert ist,<br />
kann Chancen nicht ergreifen und Energiekosten<br />
nicht senken. Hier empfiehlt sich die Zusammenarbeit<br />
mit Netzwerken oder Dienstleistern, die den<br />
Energiemarkt und die Bedürfnisse von Unternehmen<br />
als auch von Energieversorgern gut kennen.<br />
Wenn die Entwicklungen des Energiemarktes eines<br />
gezeigt haben, dann: Mit umfassender Marktkenntnis<br />
oder der Zusammenarbeit mit Energieexperten<br />
sowie digitalen Energiedaten lassen sich die Herausforderungen<br />
gut meistern. Es liegt an den Einkaufsabteilungen,<br />
das Know-how auf Unternehmensseite<br />
so zu gewährleisten, dass sie den Marktanforderungen<br />
gerecht werden. Wer das verstanden hat, kann<br />
von Marktchancen profitieren und Erfolg in seine<br />
Energiebeschaffung bringen.<br />
Jan-Philipp Eckhoff, Justine Neumann und<br />
Wilfried Rademaker, enPortal GmbH<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 55
» ENERGIE<br />
Energieeffizienz-Index des EEP – Wintererhebung 2023<br />
Das Energieeffizienzgesetz<br />
pusht die Transformation<br />
Das Institut für Energieeffizienz in der Produktion EEP der Universität Stuttgart<br />
erhebt halbjährlich <strong>aktuell</strong>e und geplante Aktivitäten der deutschen Industrie<br />
zur Energieeffizienz. Der Index wird in Zusammenarbeit mit der Deutschen<br />
Energie- Agentur, dem BDI, dem Fraunhofer IPA und dem TÜV Rheinland sowie<br />
weiteren Partnern erstellt. Im Fokus der <strong>aktuell</strong>en Erhebung standen das neue<br />
Energieeffizienzgesetz sowie der Brückenstrompreis in Deutschland.<br />
Das neue Energieeffizienzgesetz verpflichtet bestimmte Unternehmen ein Energie- oder Umweltmanagementsystem einzuführen.<br />
Bild: winyu/stock.adobe.com<br />
Die Relevanz von Energieeffizienz<br />
wächst stetig und der Bedeutungsindex<br />
übertrifft die bisherige Höchstwerte.<br />
Parallel dazu steigt der Investitionsindex<br />
um 0,75 Punkten auf einen Indexwert<br />
von 1,61. In der letzten Erhebung hatte<br />
dieser Teilindex mit 0,86 einen historischen<br />
Tiefstand. Aufgrund der <strong>aktuell</strong> unsicheren<br />
Rahmenbedingungen für Investitionen<br />
rechnen Unternehmen mit kürzeren<br />
Amortisationszeiten für Energieeffizienzmaßnahmen.<br />
Etwa 70 Prozent der<br />
Unternehmen gehen davon aus, dass sich<br />
solche Maßnahmen innerhalb von fünf<br />
Jahren amortisieren sollten.<br />
Das neue Energieeffizienzgesetz (EnEfG)<br />
verpflichtet Unternehmen mit einem Energieverbrauch<br />
von mehr als durchschnittlich<br />
7,5 Gigawattstunden (GWh) in den<br />
letzten drei Jahren, ein Energie- oder Umweltmanagementsystem<br />
einzuführen. Etwa<br />
27 Prozent der teilnehmenden Unternehmen<br />
der <strong>aktuell</strong>en Indexerhebung sind<br />
damit angehalten zu handeln. Zusammen<br />
mit den Unternehmen, die einen jährlichen<br />
durchschnittlichen Energieverbrauch von<br />
über 2,5 GWh im gleichen Zeitraum haben,<br />
müssen sie innerhalb von drei Jahren konkrete<br />
Umsetzungspläne von als wirtschaftlich<br />
identifizierten Endenergieeinspar-<br />
maßnahmen erstellen und veröffentlichen.<br />
Aus der Erhebung geht hervor, dass dies<br />
auf insgesamt etwa die Hälfte der befragten<br />
Unternehmen zutrifft.<br />
Jetzt ist konkretes Handeln<br />
gefragt<br />
Ebenfalls etwa die Hälfte der teilnehmenden<br />
Unternehmen gibt an, über ausreichende<br />
interne Kompetenzen für die Umsetzung<br />
eines Energiemanagementsystems<br />
(EnMS) zu verfügen. Etwa ein Drittel<br />
zieht externe Unterstützung heran oder<br />
baut eigene Kapazitäten für die Implementierung<br />
auf. Drei Viertel der Befrag-<br />
56 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
ten befürchten zu hohe Umsetzungs -<br />
kosten, während nahezu ein Drittel der<br />
Unternehmen angab, durch die Einführung<br />
von Energiemanagementsystemen<br />
Vorteile in der erhöhten Transparenz bezüglich<br />
dem Energieverbrauch trotz der<br />
damit verbundenen Kosten zu sehen.<br />
Das Gesetz fordert weiterhin Unternehmen<br />
auf, Abwärme zu vermeiden oder zu<br />
nutzen. Etwa 36 Prozent der befragten<br />
Unternehmen geben an, solche Maßnahmen<br />
bereits anzuwenden oder sich in der<br />
Umsetzungsphase zu befinden. Zusätzlich<br />
haben 11 Prozent der Unternehmen angegeben,<br />
das Potenzial zur Nutzung von Abwärme<br />
zwar ermittelt, aber noch nicht erschlossen<br />
zu haben. Wärmeübertragung,<br />
Wärmespeicherung oder Wärmepumpen<br />
werden häufig als geeignete Technologien<br />
genannt, wobei die Eigennutzung oft<br />
im Vordergrund steht.<br />
Anreiz für nachhaltige<br />
Transformationsvorhaben<br />
Die Mehrheit der Unternehmen erkennt in<br />
einem gedeckelten Strompreis die Möglichkeit,<br />
ihre Wettbewerbsfähigkeit zu<br />
steigern. Ungefähr ein Drittel schätzt,<br />
dass sie damit ihre Produktionskapazitäten<br />
aufrechterhalten könnten. Besonders<br />
hervorzuheben ist, dass viele Unternehmen<br />
in einem gedeckelten Industriestrompreis<br />
einen zusätzlichen Anreiz für<br />
nachhaltige Transformationsvorhaben<br />
sehen . Zum Beispiel müssten geplante<br />
Investitionen zur Steigerung von Energieeffizienz<br />
nicht aufgeschoben werden,<br />
Dekar bonisierungsmaßnahmen könnten<br />
intensiviert und Strategien zur Energieautarkie<br />
beschleunigt werden.<br />
„Im Verlauf der letzten Erhebungen sehen<br />
wir eine immer differenziertere Auseinandersetzung<br />
der Unternehmen mit dem<br />
Thema Energieeffizienz. Das ist eine sehr<br />
positive Entwicklung. Der regulatorische<br />
und bürokratische Bogen darf aber auch<br />
nicht überspannt werden. Die Pflicht zur<br />
Einführung von Energiesystemen ist hier<br />
meines Erachtens an der Grenze“, so Professor<br />
Alexander Sauer, Leiter des Instituts<br />
für Energieeffizienz in der Produktion<br />
(EEP). Über 820 Teilnehmer haben sich im<br />
<strong>aktuell</strong>en Erhebungszeitraum zu den drei<br />
Teilindizes geäußert. (ys)<br />
Dreiviertel der befragten Unternehmen haben bei der Einführung eines Energiemanagementsystems<br />
Bedenken hinsichtlich der Umsetzungskosten.<br />
Für die Befragten kommen verschiedene Formen der Abwärmenutzung in Frage.<br />
Knapp zwei Drittel der Befragten sehen in einem „Brückenstrompreis“ eine Steigerung der eigenen<br />
Wettbewerbsfähigkeit.<br />
Bild: EEP/Uni Stuttgart<br />
Bild: EEP/Uni Stuttgart<br />
Bild: EEP/Uni Stuttgart<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 57
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58 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
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DOKUMENTENMANAGEMENT<br />
Lederer GmbH<br />
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Wenn es um C-Teile-Management geht, Kanban, Konsignation<br />
& Co., ist Lederer Ihr Partner: Norm- und Standardteile,<br />
Sonder- und Zeichnungsteile, Verbindungselemente<br />
u.v.m. auf Basis aller logistischen Lösungen<br />
und Systeme (eBusiness, RFID, Ein- und Mehr-Behälter-<br />
Kanban etc.). Lederer übernimmt für Sie die Lieferantensuche,<br />
Bestellung und <strong>Beschaffung</strong>, Bevorratung<br />
und Bereitstellung, Lagerbewirtschaftung und Qualitäts<br />
sicherung, Systempflege und Prozessverbesserung.<br />
– Verbindungselemente<br />
– Norm- und Standardartikel<br />
– Sonder- und Zeichnungsteile<br />
– C-Teile-Management<br />
OTTO ROTH GmbH & Co KG<br />
www.ottoroth.de<br />
OTTO ROTH ist sowohl traditionsreiches Handelshaus<br />
für mechanische Verbindungselemente als<br />
auch zertifizierter Hersteller hochpräziser Drehund<br />
Feinbearbeitungsteile.<br />
Das Portfolio von OTTO ROTH umfasst:<br />
- Großhandel mit Verbindungselementen<br />
- Komplettlösungen für Zeichnungsteile<br />
- C-Teile-Management<br />
- Fertigung von Präzisionsdrehteilen<br />
Mit einem umfassenden Sortiment von 100.000<br />
ständig verfügbaren Artikeln, Niederlassungen<br />
in ganz Deutschland sowie einem eigenen Fertigungsstandort<br />
ist OTTO ROTH für sämtliche Anforderungen<br />
rund um die Verbindungstechnik der<br />
ideale Partner.<br />
xSuite Group GmbH<br />
www.xsuite.com<br />
Procure-to-Pay-Software<br />
xSuite ist Softwarehersteller von standardisierten,<br />
digitalen und durchgängigen Lösungen für dokumentenbasierte<br />
Prozesse. Kernkompetenz ist die SAPintegrierte<br />
Rechnungsverarbeitung für den Mittelstand,<br />
Konzerne u. öffentliche Auftraggeber. Anwendungen<br />
für Einkaufs- u. Auftragsprozesse sowie<br />
Archivierung ergänzen das Portfolio. Die Software wird<br />
in der Cloud, on-premises oder hybrid betrieben.<br />
Regelmäßige SAP-Zertifizierungen bestätigen den<br />
Qualitätsstandard und gelten für die verschiedenen<br />
SAP-Deployment-Modelle. 300.000 User verarbeiten<br />
mit xSuite pro Jahr mehr als 80 Mio. Dokumente.<br />
EINKAUFSCONTROLLING<br />
EINKAUFSSOFTWARE<br />
HEBEMITTEL<br />
SoftconCIS GmbH<br />
www.softconcis.de, www.Einkaufscontrolling.de<br />
SoftconCIS ist mit über 400 Kunden weltweit und mehr<br />
als 25 Jahren Erfahrung der führende Anbieter von<br />
Informationssystemen für Einkaufscontrolling und<br />
strategischen Einkauf.<br />
Dabei ist SoftconCIS der einzige Anbieter, der intelligente<br />
Software mit mehr als 450 Kennzahlen und Dashboards,<br />
fertigen Schnittstellen, Fachwissen/Consulting,<br />
Hosting im eigenen zertifizierten, deutschen Rechenzentrum<br />
und Weiterbildung zu folgenden Themen<br />
vereint:<br />
– Einkaufscontrolling & Einkaufsplanung<br />
– Erfolgsmessung & Dashboarding<br />
– SRM, Lieferantenbewertung & RM<br />
– Maßnahmenmanagement u. v. m.<br />
veenion GmbH<br />
www.veenion.de<br />
Die veenion GmbH hat sich auf Lösungen rund um das<br />
elektronische <strong>Beschaffung</strong>s- und Handelswesen spezialisiert.<br />
Durch den individuellen Einsatz der multifunktionalen<br />
Softwarelösungen impact ordering und<br />
open ordering werden sämtliche operative <strong>Beschaffung</strong>s-,<br />
Rechnungs- und Handelsprozesse optimiert<br />
und an Ihre Bedürfnisse und Anforderungen angepasst.<br />
Neben privaten Unternehmen gehören auch<br />
zahlreiche Non-Profit-Organisationen und öffentliche<br />
Auftraggeber zu den Kunden von veenion-Anwendungen.<br />
Mitari Hebetechnik GmbH<br />
http://www.anschlagmittel-shop.de/<br />
Anschlagmittel-Shop zählt zu den führenden Online-<br />
Anbietern von hochwertigen Hub- und Hebezeugen.<br />
Unser inhabergeführtes Unternehmen liefert alle Produkte,<br />
die für sicheres Heben erforderlich sind. Dabei<br />
bieten wir eine große Auswahl an Produkten an, die<br />
durch ihre Qualität und ihren Preis überzeugen. Unsere<br />
Kunden können auf umfassende Beratung und Lösungen<br />
nach Maß vertrauen, unser Motto lautet: „Was wir<br />
nicht haben, können wir machen!“ Sollten wir für<br />
besondere Hebeaufgaben keine vorgefertigte Lösung<br />
im Sortiment haben, entwickeln wir sie gemeinsam<br />
mit Ihnen.<br />
KOMPONENTEN + SYSTEME<br />
SUPPLY CHAIN-SOFTWARE<br />
www.industrie.de<br />
RCT® Reichelt Chemietechnik GmbH + Co.<br />
www.rct-online.de<br />
Reichelt Chemietechnik steht für das Prinzip<br />
„Angebot und Vertrieb der kleinen Quantität“ gepaart<br />
mit einer viele Bereiche umfassenden Produktvielfalt<br />
und einem hohen technischen Beratungsservice.<br />
Das Angebot von Reichelt Chemietechnik umfasst<br />
ca. 80 000 Artikel, die aus den Bereichen Schlauchtechnik,<br />
Verbindungselemente, Durchflusstechnik,<br />
Labor technik, Halbzeuge, Befestigungselemente,<br />
Filtration und Antriebstechnik stammen.<br />
Reichelt Chemietechnik GmbH + Co.<br />
Englerstraße 18, 69126 Heidelberg<br />
Tel. 0 62 21/3 12 50, info@rct-online.de<br />
EURO-LOG AG<br />
www.eurolog.com<br />
Integration, Collaboration und Realtime Visibility kennzeichnen<br />
die DNA der plattformbasierten Software für<br />
Supply Chain Management von EUROLOG. Der IT-<br />
Dienstleister und Spezialist für Datenintegration<br />
vernetzt alle Partner einer Lieferkette auf seiner<br />
eigenen Logistik-Plattform. Auf Basis dieses gemeinsamen<br />
Datenpools optimieren und steuern die digitalen<br />
Lösungen von EUROLOG über verschiedenste<br />
Geschäftsbereiche, Regionen und Verkehrsträger hinweg<br />
die logistischen Prozesse weltweiter Lieferketten –<br />
End-to-End in Echtzeit!<br />
EUROLOG Software-Lösungen sind schnell und flexibel<br />
einsetzbar und mit allen ERP-Systemen kompatibel.<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 59
» BME AKTUELL<br />
1. Deutscher Lieferkettentag in Berlin<br />
Bürokratie abbauen – Digitalisierung vorantreiben<br />
Bild: Kamil Janus<br />
„Wir müssen besonders den Mittelstand<br />
von Bürokratie entlasten und dafür dringend<br />
die Digitalisierung technologieoffen<br />
vorantreiben.“ So lautete die einhellige<br />
Forderung der Veranstalter des 1. Deutschen<br />
Lieferkettentages am 18. Oktober<br />
in Berlin. Zur Veranstaltung mit etwa 150<br />
Teilnehmern hatten der Bundesverband<br />
Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen<br />
(BGA), der Bundesverband E-Commerce<br />
und Versandhandel Deutschland<br />
(bevh), der Bundesverband Materialwirtschaft,<br />
Einkauf und Logistik (BME) und<br />
DER MITTELSTANDSVERBUND eingeladen,<br />
um über Regulierung und Digitalisierung<br />
des globalen Handels zu diskutieren.<br />
„Die bürokratischen Herausforderungen<br />
für die Unternehmen sind groß und die<br />
Entlastung für kleine und mittelständische<br />
Unternehmen wirkt de facto nicht,<br />
weil Berichtspflichten weitergegeben<br />
werden. Digitale Lösungen wie <strong>Beschaffung</strong>splattformen<br />
und KI-basierte Risikoanalysen<br />
für Lieferketten schaffen auf der<br />
anderen Seite Transparenz in den Wertschöpfungsketten<br />
und helfen, die richtigen<br />
Prioritäten zu setzen“, sagte Gero<br />
Furchheim, Präsident des bevh, zur Eröffnung.<br />
Marius Müller-Böge, Leiter Mittelstandspolitik<br />
DER MITTELSTANDSVER-<br />
BUND, sprach in seinem Panel mit Vertre-<br />
Brachte ihre Expertise<br />
in das Podium „Lieferketten<br />
und Zeiten -<br />
wende – wie gelingt<br />
die Neujustierung“ auf<br />
dem 1. Deutschen<br />
Lieferkettentag in<br />
Berlin ein: BME-<br />
Vorstandsvorsitzende<br />
Gundula Ullah (3.v.l.).<br />
ter:innen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft<br />
über Auswirkungen des Lieferkettensorgfaltspflichtengesetzes<br />
(LkSG)<br />
sowie die Bedeutung eines umfassenden<br />
Lieferkettenmonitorings.<br />
„Uns ist bewusst, was das für einen Umsetzungsumfang<br />
für die Unternehmen bedeutet.<br />
Gerade bei den Berichtspflichten<br />
gibt es Sorgen und Nöte. Wir wollen<br />
handhabbare Regelungen schaffen, die<br />
umsetzbar und zumutbar sind. Wir treten<br />
dabei für eine europäische Regelung ein”,<br />
so Lilian Tschan, Beamtete Staatssekretärin<br />
im Bundesministerium für Arbeit<br />
und Soziales (BMAS). Dr. Michael Eßig,<br />
Professor für Allgemeine Betriebswirtschaftslehre<br />
an der Universität der Bundeswehr<br />
München, dazu: „Es ist nicht nur<br />
eine normative Frage, sondern vor allem<br />
auch wirtschaftliche Frage, wie man Lieferketten<br />
organisiert. Der Handel spielt<br />
dabei eine wichtige Rolle.“<br />
Torsten Safarik, Präsident des Bundesamtes<br />
für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle<br />
(BAFA), warnte im Rahmen der Fachveranstaltung<br />
Unternehmen eindringlich<br />
davor, ihre Sorgfaltspflichten auf ihre Zulieferer<br />
und Intermediäre abzuwenden.<br />
Das LkSG lege ausdrücklich eine Bemühenspflicht<br />
für jedes Unternehmen fest,<br />
die Lieferkettenüberwachung zu einer<br />
Kernkompetenz im eigenen Haus zu machen.<br />
„Die bestehenden Herausforderungen<br />
lassen sich nur im engen Schulterschluss<br />
von Politik und Wirtschaft meistern.<br />
Der Mittelstand steht hier besonders<br />
im Fokus, denn die oft kleinen und mittleren<br />
Unternehmen sind essenziell auf lieferkettenfreundliche<br />
Rahmenbedingungen<br />
angewiesen.“<br />
BME-Messekalender 2024<br />
Kostenfreier Zugang zu Messen mit<br />
BME-Fachvorträgen<br />
Der BME informiert auch 2024 auf Fachmessen unterschiedlicher Größen<br />
und Ausrichtungen über <strong>aktuell</strong>e Trends und Innovationen in der <strong>Beschaffung</strong>.<br />
Im Rahmen der Messen können Verbandsmitglieder an den BME-Einkäufertagen<br />
kostenlos teilnehmen. Freuen Sie sich auf hochinformative<br />
Fachvorträge und Podiumsdiskussionen:<br />
• Nortec – 25.<strong>01</strong>.2024, Hamburg<br />
• Eisenwarenmesse – 05.03.2024, Köln<br />
• wire & Tube – 15.04.2024, Düsseldorf<br />
• Hannover Messe – 24.04.2024, Hannover<br />
• CastForge – 05.06.2024, Stuttgart<br />
Ausführliche Informationen: frithjof.kilp@bme.de<br />
Impressum: Bundesverband Materialwirtschaft, Einkauf und Logistik e. V. (BME)<br />
Frankfurter Straße 27, 65760 Eschborn, Tel. 06196 5828-0, Fax –399,<br />
E-Mail: info@bme.de, Internet: www.bme.de<br />
60 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
BÜCHER «<br />
Die Biografie des Selfmade-Milliardärs und Tesla-Gründers<br />
Elon Musk – Unternehmer zwischen<br />
Genie und Wahnsinn<br />
Walter Isaacson, der vor Jahren schon eine viel beachtete Biografie des legendären Apple-<br />
Gründers Steve Jobs vorlegte, hat nun eine neue Biografie des Selfmade-Milliardärs und Tesla-<br />
Gründers Elon Musk herausgebracht. Er legt offen, wie Elon Musk tickt, und auch wie er sein<br />
Imperium führt.<br />
Elon Musk – Die Biografie.<br />
Walter Isaacson,<br />
C. Bertelsmann Verlag, München 2023,<br />
832 Seiten, 38,00 Euro<br />
ISBN: 978–3–570–10484–2<br />
Bild: Bertelsmann<br />
„Der Umgang mit seinem Leben ist wie<br />
der Versuch, Notizen zu machen, während<br />
man aus einem Feuerwehrschlauch<br />
trinkt“, so beschrieb Walter Isaacson, der<br />
auf eine lange journalistische aber auch<br />
wissenschaftliche Karriere zurückblicken<br />
kann, seine Arbeit an der vorliegenden<br />
Biografie. Diese ist nach Ansicht des Verlages<br />
„die erstaunlich intime Geschichte<br />
des faszinierendsten und umstrittensten<br />
Innovators der Welt, eines Visionärs, der<br />
alle Grenzen gesprengt und die Welt in<br />
das Zeitalter der Elektrofahrzeuge, der<br />
privaten Weltraumforschung und der<br />
künstlichen Intelligenz geführt hat“.<br />
Besessenheit als Triebfaktor<br />
ne Fabriken und führte Interviews mit ihm,<br />
seiner Familie, seinen Freunden, Kollegen<br />
und auch mit seinen Gegnern. Herausgekommen<br />
ist ein aufschlussreiches Buch<br />
voller bemerkenswerter<br />
Erfolgsgeschichten<br />
aber<br />
auch Flops, das die<br />
Frage aufwirft: Ist<br />
die offenkundige<br />
Besessenheit (im<br />
Amerikanischen der<br />
Demon Mood), die Musk antreibt, auch<br />
das, was man braucht, um Innovation und<br />
Fortschritt voranzubringen? Die Antwort<br />
des Biografen lautet ja.<br />
Er ist für seine Mitarbeiter sicherlich ein<br />
sehr fordernder, wenig empathischer<br />
Chef. Jenseits der Einblicke in die Persönlichkeit<br />
gibt die Schrift Einblicke in die Erfolgsprinzipien<br />
von Musk. Im Mittelpunkt<br />
steht der von ihm geprägte sogenannte Algorithmus<br />
der Produktentwicklung, der allen<br />
Mitarbeitern eingeimpft wird und einen<br />
erheblichen Beitrag dazu leistet, dass Tesla<br />
eine unfassbar hohe Gewinnmarge erzielt,<br />
und dass SpaceX-Raketen wesentlich kostengünstiger<br />
als Konkurrenzprodukte gebaut<br />
werden. Der „Algorithmus“ ist ein<br />
neuer Lean -Manage ment-Ansatz. Er beinhaltet<br />
einen Fünf-Punkte-Plan, mit dem<br />
Musk jedes Problem angeht, sei es in der<br />
Produktion oder in der Produktentwicklung.<br />
Ganz oben steht das Prinzip: Vorgaben<br />
jeder Art hinterfragen. Für Elon Musk<br />
gilt nur das „First Principle“. Dementsprechend<br />
sind etwa bei der Konstruktion nur<br />
die grundlegenden Gesetze der Physik zu<br />
befolgen. Jede regulatorische oder organisationsintern<br />
kreierte Vorschrift wird ange-<br />
»Gnadenlos feuert er<br />
Mitarbeiter, schreit sie<br />
an und ist allgemein<br />
gefürchtet.«<br />
Zwei Jahre lang begleitete der Biograf Elon<br />
Musk, besichtigte gemeinsam mit ihm seizweifelt<br />
und auf ihre Logik und Richtigkeit<br />
überprüft. Das nächste Prinzip lautet:<br />
möglichst viel weglassen, seien es Teile<br />
oder Fertigungsprozesse. Es soll alles so<br />
einfach und schnell<br />
wie möglich sein.<br />
Dies wiederum ist<br />
Voraussetzung für<br />
das dritte Prinzip:<br />
die Produktion optimieren<br />
allerdings<br />
stets unter Beachtung<br />
der Prinzipien 1 und 2. Nach Musks<br />
Meinung werden zu oft Produktionsprozesse<br />
verbessert, die später wegfallen. Die<br />
letzten beiden Prinzipien sind die Beschleunigung<br />
und die Automatisierung<br />
der einzelnen Produktionsabschnitte. Auch<br />
hier gilt: Zuerst sind die vorhergehenden<br />
Prinzipien zu beachten. Diesen Fünf-Punkte-Plan<br />
setzt Musk überall konsequent um.<br />
Hinzu kommt seine Designversessenheit.<br />
Musk lässt mit großem Erfolg Designer und<br />
Ingenieure Hand in Hand arbeiten, wie<br />
man dies auch von Apple kennt.<br />
Der Fünf-Punkte-Plan<br />
Abgesehen von diesen Erfolgsprinzipien<br />
geht die Biografie intensiv auf Musks<br />
ruppigen Führungsstil ein. Musk erzeugt<br />
eine „irrsinnige Dringlichkeit“, wie er es<br />
ausdrückt. Er zeigt in der Führung Härte:<br />
Gnadenlos feuert er Mitarbeiter, schreit<br />
sie an und ist allgemein gefürchtet.<br />
Die Lektüre – auch kursorisch – lohnt sich<br />
und bietet Firmenchefs Anschauungsmaterial.<br />
Sie sollten dann aber sorgfältig abwägen,<br />
was sie davon umsetzen.<br />
Prof. Dr. Robert Fieten<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 61
INSERENTENVERZEICHNIS<br />
IMPRESSUM<br />
Böllhoff GmbH, Bielefeld 67<br />
CURE S.A., LU-Grevenmacher 27<br />
Euro-Log AG, Hallbergmoos 59<br />
Ferdinand Gross GmbH & Co KG,<br />
Leinfelden-Echterdingen 9, 58<br />
Keller & Kalmbach GmbH,<br />
Unterschleißheim 2, 58<br />
Lederer GmbH, Ennepetal 6, 59<br />
Mitari Hebetechnik GmbH, Kleve 59<br />
NB Ventures, US-Clark 68<br />
Otto Roth GmbH & Co. KG, Stuttgart 59<br />
VORSCHAU<br />
CONTROLLING<br />
Bild: Körber<br />
Um den Einkaufserfolg zu jedem Zeitpunkt<br />
darstellen zu können, ist ein<br />
kontinuierliches Tracking jeder Einkaufsinitiative<br />
an festgelegten Meilensteinen<br />
erforderlich. Das Tracking des Einkaufs -<br />
erfolgs setzt sich dabei aus zwei<br />
Bestandteilen zusammen: der Planung<br />
der Einkaufsinitiativen und dem Nachverfolgen<br />
des Erfolgs.<br />
RCT Reichelt Chemietechnik GmbH + Co.,<br />
Heidelberg 59<br />
SoftconCIS GmbH, Oberhaching 59<br />
veenion GmbH, Kaiserslautern 59<br />
xSuite Group GmbH, Ahrensburg 59<br />
WISSENSTRANSFER<br />
Wenn jemand wie Michael<br />
Stietz innerhalb eines Unternehmens<br />
vom Einkauf (CPO)<br />
in die Produktion (COO) wechselt,<br />
kann er interessante Einblicke<br />
teilen , darunter auch,<br />
was die Operations-Abteilung<br />
vom Einkauf lernen kann.<br />
INTRALOGISTIK<br />
Mobile Robotik gewinnt für effiziente<br />
Materialflüsse in der Intralogistik<br />
zunehmend an Bedeutung. Gleichwohl<br />
stellen Wirtschaftlichkeitsanalyse,<br />
Systemauswahl , Implementierung und<br />
Flottenmanagement potenzielle<br />
Anwender und Interessenten oft vor<br />
einige Herausforderungen.<br />
Das Magazin für Einkauf, Material wirtschaft und Logistik<br />
ISSN 0341–4507<br />
Herausgeberin: Katja Kohlhammer<br />
Verlag: Konradin-Verlag Robert Kohlhammer GmbH<br />
Ernst-Mey-Straße 8,<br />
70771 Leinfelden-Echterdingen, Germany<br />
Geschäftsführer: Peter Dilger<br />
Verlagsleiter: Peter Dilger<br />
Chefredakteur:<br />
B. A. Alexander Gölz (ag), Phone +49 711 7594–438<br />
Ernst-Mey-Straße 8, 70771 Leinfelden-Echterdingen, Germany<br />
Redaktion:<br />
Dipl.-Ing. (FH) Sabine Schulz-Rohde (sas),<br />
Phone +49 711 7594–252;<br />
Yannick Schwab (ys), Phone +49 711 7594–537<br />
Korrespondent:<br />
M.A. Nico Schröder (sc), Phone +49 170 64<strong>01</strong>879<br />
Freie Mitarbeit:<br />
Ass. Jur. Ulrike Dautzenberg, RA Anja Falkenstein,<br />
Dipl. Ing. (FH) Michael Grupp, M.A. Annette Mühlberger,<br />
M.A. Sabine Ursel<br />
Fachliche Beratung: Prof. Dr. Robert Fieten<br />
Redaktionsassistenz:<br />
Daniela Engel, Phone +49 711 7594–452,<br />
Fax –1452, E-Mail: daniela.engel@konradin.de<br />
Layout: Jennifer Martins, Phone +49 711 7594–262<br />
Gesamtanzeigenleitung:<br />
(Verantwortlich für den Anzeigenteil)<br />
Joachim Linckh, Phone +49 711 7594–565<br />
Auftragsmanagement:<br />
Katja Mayr, Phone +49 711 7594–5843<br />
Leserservice: <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>, Postfach 810580 70522<br />
Stuttgart, Phone +49 711 7252-254, Fax –399,<br />
E-Mail: leserservice@konradin.de<br />
Erscheinungsweise: 9 x jährlich<br />
Bezugspreis jährlich: Inland 178,20 € inkl. MwSt. und<br />
Versandkosten; Ausland 183,60 € inkl. Versandkosten;<br />
Einzelheft Inland: 19,90 € inkl. MwSt. und Versandkosten.<br />
Einzelheft Ausland: 20,55 € inkl. Versandkosten.<br />
Für Schüler, Studenten und Auszubildende gegen Nachweis:<br />
Inland 89,10 € inkl. MwSt. und Versandkosten,<br />
Ausland 94,50 € inkl. Versandkosten.<br />
Bestellungen beim Verlag oder beim Buchhandel. Sofern das<br />
Abon nement nicht für einen bestimmten Zeitraum ausdrücklich<br />
bestellt war, läuft das Abonnement bis auf Widerruf.<br />
Bezugszeit: Das Abonnement kann erstmals vier Wochen<br />
zum Ende des ersten Bezugsjahres gekündigt werden. Nach<br />
Ablauf des ersten Jahres gilt eine Kündigungsfrist von jeweils<br />
vier Wochen zum Quartalsende. Bei Nichterscheinen<br />
aus technischen Gründen oder höherer Gewalt entsteht kein<br />
Anspruch auf Ersatz.<br />
Die Mitglieder des Bundesverbandes Materialwirtschaft, Einkauf<br />
und Logistik e.V. ( BME ) und des ÖPWZ erhalten die Zeitschrift<br />
„<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>“ im Rahmen einer Kooperation.<br />
Auslandsvertretungen: Großbritannien: Jens Smith Partner -<br />
ship, The Court, Long Sutton, Hook, Hamp shire, RG29 1TA,<br />
GB, Phone <strong>01</strong>256 862589, Fax <strong>01</strong>256 862182, E-Mail:<br />
jsp@trademedia.info; USA, Kanada: D.A. Fox Advertising<br />
Sales, Inc., Detlef Fox, 5 Penn Plaza, 19th Floor, New York, NY<br />
100<strong>01</strong>, Phone +1 212 89 63 881, Fax +1 212 62 93 988,<br />
E-Mail: detleffox@comcast.net<br />
Druck:<br />
Konradin Druck, Kohlhammerstraße 1–15,<br />
70771 Leinfelden-Echterdingen, Printed in Germany<br />
© 2024 by Konradin-Verlag Robert Kohlhammer GmbH,<br />
Leinfelden-Echterdingen<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> 03/2024 erscheint am 22.<strong>02.2024</strong><br />
Anzeigenschluss ist am 29.<strong>01</strong>.2024<br />
62 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
BÜCHER «<br />
Bild: Verlag Dr. Kovac<br />
Bild: BusinessVillage<br />
Bild: Schmidt Veralg<br />
E-Procurement-Lösungen<br />
Diese Dissertation gewährt umfassende<br />
Einblicke in die Einführung von E-Procurement-Lösungen<br />
in einem multinationalen<br />
Unternehmen. Sie besteht aus vier Studien:<br />
Literaturanalyse: Die Charakteristika der<br />
bisherigen E-Procurement-Forschung<br />
werden deskriptiv analysiert.<br />
Top-Manager-Einfluss: Die zweite Studie<br />
erforscht den Einfluss von Top-Managern<br />
auf die E-Procurement-Implementierung.<br />
Projektteam-Dynamik: In der dritten Studie<br />
werden 16 Einflussfaktoren auf strategischer,<br />
struktureller, soziokultureller und<br />
kontextueller Ebene identifiziert, die die<br />
Umsetzung des Projektteams beeinflussen.<br />
Nutzungsfaktoren: Die vierte Studie analysiert<br />
mithilfe von IT-Akzeptanzforschungstheorien<br />
16 determinierende Elemente, die<br />
die Nutzung von E-Procurement-Lösungen<br />
beeinflussen.<br />
Die Dissertation erörtert abschließend Implementierungshürden<br />
unter Anwendung<br />
von Organisationstheorien und diskutiert<br />
Lösungsansätze für eine effizientere Umsetzung.<br />
Die Ergebnisse erweitern das Wissen<br />
über E-Procurement und bieten wertvolle<br />
Einblicke in den multinationalen Implementierungskontext.<br />
(sas)<br />
KI im Unternehmen<br />
In den kommenden Jahren wird künstliche<br />
Intelligenz Unternehmen und deren<br />
Beschäftigte sämtlicher Branchen radikal<br />
verändern. Doch welche Technologien erwarten<br />
uns in naher Zukunft? Wie lässt<br />
sich KI in die Unternehmensprozesse integrieren?<br />
Und welche neuen Chancen entstehen<br />
durch den Einsatz von KI?<br />
Antworten liefert Dr. Jens-Uwe Meyers<br />
Buch. Es illustriert, wie Unternehmen Anwendungsfälle<br />
für künstliche Intelligenz<br />
finden, die Machbarkeit evaluieren und<br />
die wirtschaftlichen Vorteile berechnen.<br />
Das kann nur gelingen, wenn die Organisation<br />
fit für die Zukunft ist und Beschäftigte<br />
und Führungskräfte in diese Prozesse<br />
eingebunden werden.<br />
Die KI-Roadmap ist ein praxisorientiertes<br />
Planungstool, das dabei hilft, die richtigen<br />
Fragen zu stellen, um die erfolgversprechenden<br />
Antworten auf den Wandel<br />
zu finden. Dr. Jens-Uwe Meyer zählt zu<br />
den bekanntesten und einflussreichsten<br />
Vordenkern für Innovation, Digitalisierung<br />
und künstliche Intelligenz. Im Verlag<br />
Business Village sind unter anderem seine<br />
Bücher „Digitale Disruption, Digitale Gewinner“<br />
und „reset – Wie sich Unternehmen<br />
und Organisationen neu erfinden“<br />
erschienen. (sas)<br />
Neue Normalität<br />
„Polykrise“ war ein Schlüsselwort des Jahres<br />
2023. Damit wurde deutlich gemacht,<br />
dass Krisen, die die Kontinuität des Geschäftsbetriebs<br />
ernsthaft bedrohen, im<br />
heutigen von Klimawandel, Pandemien und<br />
geopolitischen Machtproben geprägten<br />
Umfeld an der Tagesordnung sind. Darauf<br />
müssen Organisationen vorbereitet sein.<br />
Wie auf stürmischer See bedarf es in den<br />
Organisationen kompetenter Krisennavigatoren,<br />
die die Konzepte des Business Continuity<br />
Managements anwenden. Dafür<br />
wirbt das vorliegende lesenswerte Sammelwerk.<br />
Unter der Ägide von Frank Roselieb<br />
(geschäftsführender Direktor des Krisennavigator-Instituts<br />
in Kiel) haben sich<br />
15 Experten aus unterschiedlichen Organisationen<br />
zusammengefunden, um konkrete,<br />
in der Praxis erprobte Strategien des<br />
Notfall- und Krisenmanagements inklusive<br />
Krisenkommunikation aufzuzeigen. Roselieb<br />
erläutert am Anfang ausführlich sein<br />
Konzept des Business Continuity Managements.<br />
Für die Leserinnen und Leser in der<br />
Praxis dürfte die Lektüre der Fallbeispiele<br />
anregend sein. Einige Autoren zeigen anschaulich,<br />
wie ihre Organisationen mit den<br />
Disruptionen umgingen, die die Corona-<br />
Pandemie auslöste. Robert Fieten<br />
Exploring Multinational Cross-Site<br />
Implementation and Usage of<br />
E-Procurement Solutions<br />
Results of Current Studies<br />
Oliver Sommer<br />
Verlag Dr. Kovac, Hamburg, 2023.<br />
Softcover, 354 Seiten, 99,80 €<br />
ISBN 978-3-339-13766-1<br />
Die KI-Roadmap: Künstliche<br />
Intelligenz im Unternehmen<br />
erfolgrei ch einsetzen<br />
Dr. Jens-Uwe Meyer<br />
BusinessVillage Verlag, Göttingen, 2023<br />
240 Seiten, 34,95 €<br />
ISBN 978–3–86980–725–6<br />
Business Continuity Management in<br />
der Praxis. Mit Krisen erfolgreich<br />
umgehen – erfolgreiche Konzepte<br />
und Fallbeispiele<br />
Frank Roselieb (Hrsg.)<br />
Erich Schmidt Verlag, Berlin, 2022,<br />
Softcover , 266 Seiten, 54,95 €<br />
ISBN 978–3–503–20960–6<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 63
» KARRIERE<br />
Strategien und Taktiken für Fortgeschrittene<br />
Einkaufsverhandlungen in den<br />
BRICS-Staaten<br />
Die BRICS-Staaten gewinnen immer mehr an Gewicht. Dadurch wird auch die<br />
Zusammen arbeit mit Unternehmen aus diesen Regionen immer wichtiger. Aufgrund<br />
der verschieden kulturellen Hintergründe müssen nun die traditionellen, westlich<br />
ausgerichteten , Verhandlungsansätze infrage gestellt werden.<br />
nutzt auf dem Verhandlungstisch liegenzulassen<br />
oder – noch schlimmer –<br />
schlechtere Verhandlungsergebnisse bis<br />
hin zum Verhandlungsabbruch zu riskieren,<br />
wenn sie ihre Verhandlungsstrategien<br />
und Einkaufspraktiken nicht auf die<br />
spezifischen Gegebenheiten ihrer Zielregionen<br />
ausrichten.<br />
Praxistipps für Verhandlungen in Brasilien und Südafrika vom Negotiation-Experten Raphael<br />
Schoen helfen, auch erfahrenen Einkäufern zu guten Ergebnissen.<br />
Zulieferer in den BRICS-Staaten verhandeln<br />
bedingt durch die unterschiedlichen<br />
Geschäftspraktiken und<br />
Mentalitäten anders. Dies wird durch die<br />
sich immer mehr zugunsten der Zulieferer<br />
verschiebende Verhandlungsmacht – bedingt<br />
durch die zunehmende wirtschaftliche<br />
und technologische Stärke der Unternehmen<br />
– noch potenziert. Dabei sind die<br />
Verhandlungstechniken, wie sie immer<br />
noch von vielen Trainern und Dozenten für<br />
Verhandlungen in den BRICS-Nationen<br />
Bild: HockleyMedia/peopleimages.com/stock.adobe.com<br />
empfohlen werden, sehr oft westzentriert<br />
und dadurch deutlich weniger wirksam.<br />
Ein Paradebeispiel dafür ist das berühmte<br />
Harvard-Konzept. Dieses besitzt zweifellos<br />
Stärken in der westlichen Geschäftswelt,<br />
jedoch ist es, wie eine neue in den<br />
USA erschienene Studie zeigt – in der<br />
Nicht-Westlichen Welt – und dazu zählen<br />
alle BRICS-Nationen – nur schwer<br />
anwendbar. Multinationale Einkaufsabteilungen<br />
laufen daher Gefahr, entweder<br />
viel Potenzial in Verhandlungen unge-<br />
Harvard-Konzept überdenken<br />
Daher ist es für Einkäufer heute unabdingbar,<br />
nicht nur ihren strategischen<br />
Ansatz zu überdenken, sondern sich auch<br />
weiter zu perfektionieren und sich mit<br />
neuesten Best Practices für das internationale<br />
Geschäft vertraut zu machen. Dazu<br />
gehört, die Verhandlungsstile an die<br />
Regionen anzupassen. Was sich auf den<br />
ersten Blick kompliziert anhört, lässt sich<br />
jedoch sehr gut kategorisieren und<br />
anwenden . Nur so können wir unseren<br />
Einkauf auch in diesen Regionen der Welt<br />
effizient aufstellen.<br />
Fallbeispiel Brasilien<br />
Ein mittelständisches Unternehmen aus<br />
dem Technologie-Sektor erlebte dies beim<br />
Versuch, über den strategischen Einkauf<br />
in Brasilien Kosten zu sparen, stieß jedoch<br />
bei den Verhandlungen auf unerwartete<br />
Probleme.<br />
In der ersten Angebotsrunde legte der<br />
favorisierte brasilianische Lieferant und<br />
die beiden gewählten lokalen Alternativen<br />
Angebote vor, die weit über der<br />
markt üblichen Preisspanne lagen. Dies<br />
kam für das deutsche Unternehmen unerwartet,<br />
da man übliche, an den globalen<br />
Marktpreisen entsprechend ausgerichtete<br />
Angebote erwartet hatte. Ernüchtert dis-<br />
64 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
Der Autor<br />
Der langjährige Praktiker und zertifizierte Harvard Negotiator<br />
Raphael Schoen trainiert Manager im Führen von Verhandlungen.<br />
Er arbeitet mit Kunden wie Verbänden, DAX-Konzernen,<br />
KMUs und dem Bundesministerium für Wirtschaft und<br />
Klimaschutz zusammen. Schoen ist bekannt für einen neuen<br />
Ansatz zur Maximierung von Verhandlungsergebnissen,<br />
der die strategische Analyse und Positionierung von Unternehmen<br />
mit der taktischen Verhandlung verzahnt.<br />
und am ehesten mit dem indischen Stil<br />
vergleichbar ist. Hier werden Information<br />
seltener direkt am Verhandlungstisch<br />
offen geteilt. Zudem ist hier das Konzept<br />
der „Gesichtswahrung“ stark verwurzelt.<br />
Beides bestimmt die Art und Weise des<br />
Informationsaustausches sehr stark. Das<br />
führt dazu, dass über besonders heikle,<br />
wichtige Themen oder strittige Punkte<br />
meist nicht auf offener Bühne verhandelt<br />
wird, sondern hinter verschlossenen Türen<br />
in vertrauter Umgebung.<br />
kutierten die Einkäufer die Optionen und<br />
erwogen, die Verhandlungen abzubrechen.<br />
Letztendlich konnte die deutsche<br />
Firma die gesteckten Einsparziele nicht<br />
erreichen und nur durch erhebliche Zugeständnisse<br />
bei Menge, Liefer- und<br />
Zahlungs bedingungen überhaupt einen<br />
Abschluss erreichen.<br />
Hintergrund: hohe Anker<br />
Das erste Angebot – d. h. mehr zu fordern,<br />
um sein Ziel zu erreichen – wissenschaftlich<br />
Ankern genannt – bestimmt zu einem<br />
erheblichen Teil das Verhandlungsergebnis.<br />
In den BRICS-Ländern gibt es hierbei<br />
jedoch deutliche Unterschiede: Verglichen<br />
mit Deutschland wird dort oft deutlich<br />
höher geankert, was dann zu systematisch<br />
höheren Erstangeboten und zu<br />
längeren Verhandlungen führt und daher<br />
die Gefahr besteht, dass sich dies in<br />
höheren Einkaufspreisen niederschlägt.<br />
Selbst das Einholen von Alternativangeboten<br />
führt hier nicht weiter, da diese mit<br />
hoher Wahrscheinlichkeit ebenfalls überhöht<br />
sind. Brasilianische Einkäufer wissen<br />
das und lassen sich selbst von beträchtlichen<br />
Nachlässen nicht beeinflussen und<br />
behalten Ihr Ziel im Auge.<br />
Praxistipps Beispiel Brasilien<br />
(1) Bereiten Sie sich auf hohe Erstangebote<br />
vor und ankern Sie in den Verhandlungen<br />
direkt gegen.<br />
(2) Bereiten Sie über das Cost-Engineering<br />
eine Analyse der Preisstruktur vor Ort<br />
vor und definieren Sie so Ihr Verhandlungsziel.<br />
(3) Vergleichen Sie Ihre Berechnungen<br />
mit dem Cost-Breakdown der Lieferanten<br />
(Vorsicht: Auf übertriebene Overheadkosten<br />
achten!).<br />
(4) Die Unterschiede (Deltawerte) zwischen<br />
Cost-Engineering und Cost-Breakdown<br />
geben Ihnen genug Argumente für<br />
die Verhandlung in die Hand.<br />
(5) Lassen Sie sich selbst von größeren<br />
Nachlässen nicht beeindrucken. Behalten<br />
Sie immer Ihr Ziel im Auge. Nicht die<br />
Höhe der Rabatte, sondern das Erreichen<br />
Ihres Ziels ist maßgeblich.<br />
Fallbeispiel Südafrika<br />
Ein Automobilzulieferer stand in Südafrika<br />
bei Verhandlungen vor ähnlichen Herausforderungen.<br />
Vorausschauend wurde<br />
vor der Verhandlung noch das Verhandlungsteam<br />
in der Harvard-Methode trainiert,<br />
das sich daran machte, mit den<br />
südafrikanischen Partnern die Einsparziele<br />
zu realisieren. Die Firma stand jedoch<br />
vor dem Problem, dass der Lieferant bei<br />
den Gesprächen am Verhandlungstisch<br />
zwar überaus freundlich war, jedoch<br />
kaum Informationen teilte und auch offensichtlich<br />
taktierte. Daher war es gar<br />
nicht möglich, das Win-Win-Potenzial<br />
überhaupt zu adressieren, so, wie es<br />
eigentlich die Harvard Methode vorsieht.<br />
Der Hintergrund<br />
Wer in Südafrika verhandelt, muss genau<br />
genommen zwischen zwei Südafrikas<br />
unterscheiden. Dem Afrikaans Südafrika –<br />
Nachfahren europäischer Einwanderer –<br />
deren Verhandlungsstil sehr an den europäischen<br />
angelehnt ist und den Südafrikanern,<br />
die kulturell den Stämmen zuzuordnen<br />
sind, deren Verhandlungsstil sich<br />
sehr von dem deutschen unterscheidet<br />
Tipps Beispiel Südafrika<br />
(1) Suchen Sie den informellen Austausch<br />
mit ihrem Verhandlungspartner parallel<br />
zu den eigentlichen Verhandlungen:<br />
Backchannel.<br />
(2) Diskutieren Sie dort die wirklich wichtigen<br />
und strittigen Punkte.<br />
(3) Hier können Sie Informationen sammeln,<br />
Kompromisslinien ausloten und<br />
Win-Win-Potenziale adressieren.<br />
(4) Bauen Sie Vertrauen auf! Je mehr Vertrauen<br />
zwischen Ihnen und Ihrem Verhandlungspartner<br />
besteht, desto besser<br />
wird Ihnen die Umsetzung gelingen.<br />
In einer Welt, in der die BRICS-Staaten<br />
zunehmend an wirtschaftlichem und<br />
technologischem Einfluss gewinnen, ist es<br />
für Unternehmen unabdingbar, sich auf<br />
diese ändernden Rahmenbedingungen<br />
einzustellen. Das bedeutet, traditionell –<br />
westlich ausgerichtete – Verhandlungsansätze<br />
kritisch zu hinterfragen und<br />
durch praxisnahe, an die Zielregion angepasste<br />
Methoden zu ersetzen, die sowohl<br />
die lokalen Mentalitäten und Geschäftspraktiken<br />
berücksichtigen. So können wir<br />
die anstehenden Veränderungen strategisch<br />
zu unserem Vorteil nutzen.<br />
Bild: HHL – Daniel Reiche<br />
Raphael Schoen<br />
Verhandlungsexperte<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 65
» MEINUNG<br />
Deutschland 2024: Fitness für<br />
den Champion<br />
Die deutsche Konjunktur war in der zweiten Jahreshälfte 2023 nicht Fisch nicht<br />
Fleisch. In das neue Jahr starten wir aus einer technischen Rezession (Bruttoinlandsprodukt<br />
in zwei aufeinander folgenden Quartalen rückläufig im Vergleich zu den jeweiligen<br />
Vorjahresquartalen) heraus. Ein kräftiger Aufschwung ist für das erste Halbjahr<br />
2024 kaum zu erwarten. Unsere exportorientierte Industrie leidet unter der schwachen<br />
Auslandsnachfrage, die nicht zuletzt auch auf die in dieser Ausgabe analysierte Abkühlung<br />
der chinesischen Wirtschaft zurückzuführen ist. Die zu Beginn 2023<br />
noch beachtlichen Auftragspolster sind inzwischen abgearbeitet. Schon<br />
seit Monaten stagniert der Auftragseingang. Belastend für die Industrie<br />
wirken auch die nach den kräftigen Zinssteigerungen hohen Finanzierungskosten,<br />
die die privaten Investitionen und damit auch die Nachfrage<br />
nach Industriegütern und besonders nach Bauleistungen dämpfen.<br />
Von der Geldpolitik wird es 2024 kaum Rückenwind für die Konjunktur<br />
geben. Die erhofften Zinssenkungen dürften bescheiden ausfallen, da die<br />
EZB ein Wiederauflodern der Inflation (berechtigterweise) nicht ausschließt.<br />
Die volkswirtschaftliche Nachfrage in unserem Lande dürfte durch das<br />
jüngste Karlsruher Urteil deutlich beeinträchtig werden. Es wird weniger<br />
öffentliche Aufträge geben; das Wegfallen von Subventionen für die<br />
»Der exportorientierte<br />
Champion Deutschland<br />
mit seiner starken industriellen<br />
Basis war sich zu<br />
lange zu siegessicher.«<br />
Prof. Dr. Robert Fieten,<br />
grüne Transformation wird die Investitionsneigung der Unternehmen<br />
bremsen, und nicht zuletzt werden weniger konsumtive Staatsausgaben<br />
die Kaufkraft vieler privater Haushalte schwächen. Immerhin stabilisiert<br />
der bisher noch sehr robuste Arbeitsmarkt das Wirtschaftsgeschehen in<br />
Deutschland. Der Personalmangel geht einher mit kräftigen Lohnkostensteigerungen<br />
in Verbindung mit Arbeitszeitverkürzungen. Nach dem Abklingen der Lieferkettenprobleme<br />
der letzten Jahre treten wir ein in eine für die Wettbewerbsfähigkeit<br />
des Standortes gefährliche Lohn-Preis-Spirale, der man<br />
nur durch nachhaltige Produktivitätssteigerungen beikommen<br />
könnte. Doch danach sieht es nicht aus.<br />
In dem auch in 2024 konjunkturell schwierigen Umfeld werden<br />
die strukturellen Probleme der deutschen Wirtschaft<br />
mehr als deutlich. Viele davon z. B. Bürokratie sind hausgemacht.<br />
Recht treffend hieß es hierzu in der Wirtschaftswoche<br />
vom 6. November 2023: „We were the champions.“ In der Tat<br />
sind wir lahm geworden und laufen in eine strukturelle<br />
Wachstumsschwäche hinein. Der exportorientierte Champion<br />
Deutschland mit seiner starken industriellen Basis war sich zu lange zu siegessicher; er<br />
verfrühstückte die Dividenden der Globalisierung und vergaß darüber, seine Fitness zu<br />
trainieren. Nicht überraschend hat er nun Schwierigkeiten, mit der ökonomischen<br />
Weltspitze mitzuhalten. Wenn man dies näher analysiert, kommt man zu dem Ergebnis,<br />
dass die Fehlentwicklungen nicht nur ein Problem der Unternehmen und der Wirtschaftspolitik,<br />
sondern auch des Mindsets in unserer Gesellschaft sind. Es muss ein<br />
Ruck durch Land und Leute gehen: Weniger Verlass auf den All-Problemlöser Staat und<br />
mehr Privatinitiative – von jedem Einzelnen. Die anhaltend schwache Konjunktur bietet<br />
die Chance, das deutsche Wirtschaftsmodell einer Runderneuerung zu unterziehen.<br />
Dies ist Priorität 1 für 2024.<br />
wissenschaftlicher Berater der<br />
<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong>, Köln<br />
66 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024
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<strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024 67
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68 <strong>Beschaffung</strong> <strong>aktuell</strong> » 1-2 | 2024