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Beschaffung aktuell 09.2022

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» MANAGEMENT Hedged Sourcing mittels additiver Fertigung Ansätze zur Begegnung steigender Versorgungsrisiken Durch den Zusammenbruch globaler Lieferketten wurden sonst gut verfügbare Güter zu versorgungskritischen Engpässen. Dabei zeigte sich, dass additive Fertigung diese Engpässe abmildern kann. Die Forscher der BW-Uni in München untersuchten, wie die Nutzung additiver Bezugsquellen das Beschaffungs risiko von Sachgütern verändern kann. Erfahren Sie mehr über die Untersuchung und deren Ergebnis, wie man das Verfügbarkeitsrisiko minimiert. Die Beschaffung von Gütern aus additiven Bezugsquellen weist eine gegenläufige Risiko ausprägung zum traditionellen Bezugsweg aufweist. Somit ließen sich Beschaffungs risiken minimieren, indem die gegenläufigen Risikoexpositionen „optimal“ kombiniert werden. Die Frequenz und Intensität von Lieferkettendisruptionen sind stetig angestiegen . Dies ist einerseits auf eine erhöhte Dynamik und Komplexität in den Liefer ketten zurückzuführen, andererseits auf die hohe Verwundbarkeit von im Zeitablauf immer ausdifferenzierteren, komplexeren und global weiter verteilten Lieferketten mit langen Lieferzeiten bei geringem Eigenfertigungsanteil. Dies konnte in jüngster Vergangenheit an mehreren Beispielen beobachtet werden. Nachdem eines der größten Containerschiffe der Welt im viel befahrenen Suezkanal stecken blieb und diesen für mehrere Tage blockierte, standen Frachtschiffe Schlange oder umfuhren den gesamten afrikanischen Kontinent. Die Corona-Pandemie hat in Teilen der Welt und besonders in China, wo eine „No Covid Strategie“ durchgesetzt wird, zu enormen Lieferausfällen durch Bild: nordroden/stock.adobe.com temporäre Schließung von Unternehmen, Fabriken und Logistikzentren geführt. Die geopolitischen Spannungen in europäischer Nachbarschaft führen zu einem Rückzug von Unternehmen aus dem russischen Markt und einer Neuausrichtung der Lieferkette. Zudem prognostiziert die World Meteorological Organization infolge des Klimawandels regelmäßigere und intensivere Disruptionen aufgrund ansteigender Extremwetterereignisse. Potenziale additiver Fertigung Versorgungssicherheit rückt damit immer stärker in den Fokus des Beschaffungsmanagements, das Engpassmanagement wird zum zentralen Faktor. Logistikdienstleister haben dies bereits erkannt, so bietet beispielsweise die DB Schenker AG nun ein digitales Warenlager an, das physische Bestände durch „digitale Bestände“ mit neuen, additiven Fertigungstechnologien substituiert. Hierbei wird zunächst geprüft, ob sich ein Bauteil (auch) mittels additiver Fertigung herstellen lässt (technische Machbarkeitsprüfung). Im Anschluss werden nur noch digitale Konstruktionsdaten „eingelagert“, Engpass- bzw. Fehlteile werden kurzfristig in lokalen Hubs mittels additiver Fertigung bereitgestellt. So können trotz Lieferengpässen im klassischen Lieferweg dringend benötigte Bedarfe rechtzeitig geliefert werden. Dieses Geschäftsmodell verdeutlicht das Potenzial additiver Fertigung (AM) für (funktionale) Bedarfe mit hohem Versorgungsrisiko als Risikobewältigungsstrategie der traditionellen Lieferkette (TM). Konzeption eines Portfoliomodells Dies führt zu einer Verschiebung der Versorgungsrisiken, wie die durchgeführte Delphi-Studie mit 30 Experten im Bereich AM und Beschaffung aufweist (s. Abb. 1). 18 Beschaffung aktuell » 09 | 2022

Bild: BW-Uni München Abb.1: Gegenüberstellung der Versorgungsrisiken Die Stückkosten der additiven Fertigung (AM) sind im Vergleich zu dem auf Effizienzpotenzialen ausgerichteten Lieferweg TM zwar teurer, besitzen jedoch aufgrund von geografischer Dezentralisierung und verminderter Vorlaufzeit eine erhöhte Reaktionsfähigkeit als Bezugsquelle – sie werden deshalb diese nicht grundsätzlich substituieren, sondern – zur Vermeidung von Lieferausfällen und den damit verbundenen Fehlmengenkosten – ergänzen. Abbildung 2 (linke Seite) verdeutlicht, dass insbesondere geringe Bedarfsmengen mit hohem Versorgungsrisiko sehr viel stärker über eine Lieferkette AM substituiert werden sollten. Hingegen eignet sich für mittlere bis hohe Bedarfsmengen bei gleichzeitig hoher Risikoposition eine Absicherungsstrategie der Lieferkette TM mittels AM („Hedging“). Dieser Fall soll nachfolgend betrachtet werden. Beide Lieferkettenstrategien besitzen gegenläufige Risikopositionen. AM besitzt eine kurze Vorlaufzeit, lange Zykluszeiten und daraus resultierend hohe Stückkosten. Außerdem wird ausschließlich Rohmaterial (i. d. R. Pulver) benötigt, um mit nur einer Universalmaschine ohne Werkzeuge eine Vielzahl unterschiedlicher Bedarfe herzustellen. Da verschiedene Bauteile in demselben Bauprozess gleichzeitig hergestellt werden können, treten Verbundeffekte auf. Hinzu kommt, dass durch die ausschließlich digitale Lagerhaltung die Kosten physischer Lagerhaltung minimiert werden, zumal sich Bedarfe anhand der digitalen Daten einfach modifizieren lassen. Eine dezentrale Fertigung erlaubt eine lokale Versorgungsstrategie in Endkundennähe. AM erlaubt zudem eine vereinfachte Eigenfertigung, wie es bspw. im Rahmen des Maker Movement praktiziert wird. Hierbei konstruieren und fertigen Endkunden Eigenbedarfe mithilfe AM. Im Gegensatz dazu sind traditionelle Versorgungswege durch lange Vorlaufzeiten, kurze Zykluszeiten und deutlich geringere Stückkosten gekennzeichnet, welche zumeist auf Spezialmaschinen und spezifi- Abb. 2: Konzeption des Portfoliomodells und Wirkungsweise eines „Hedged Sourcings“. Bild: BW-Uni München Beschaffung aktuell » 09 | 2022 19

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