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Beschaffung aktuell 09.2023

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» MANAGEMENT Interview zu Nachhaltigkeits- und Menschenrechtsfragen Am Ende geht es um einen Interessen ausgleich Markus Löning war Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung und unterstützt Unternehmen beim Aufbau menschenrechtlicher Sorgfaltsprozesse. Das Lieferkettengesetz habe im Einkauf einen Schalter umgelegt, sagt er im Gespräch. Deutsche Firmen sieht er durch das frühe Gesetz im Vorteil. »Es geht ja nicht nur um Kontrolle, sondern auch darum, wie wir die Risiken verteilen.« Markus Löning Beschaffung aktuell: Herr Löning, seit neun Jahren beraten Sie Unternehmen beim Aufbau menschenrechtlicher Sorgfaltspflichten. Inwiefern hat sich der Blick auf die Lieferketten in dieser Zeit verändert? Markus Löning: Die ersten, die sich der Einhaltung der Menschenrechte in den Lieferketten angenommen haben, waren jene Unternehmen, die aufgrund schlechter Arbeitsbedingungen bei Lieferanten oder Vorlieferanten in der Presse standen. Das waren Markenunternehmen, die daraus ihre Lehren gezogen haben. Sie waren die ersten Treiber. Mit dem Beginn der Diskussion um das Lieferkettengesetz haben weitere Firmen begonnen sich mit Menschrechtsthemen zu beschäftigen. Die, die vorher schon etwas gemacht hatten, systematisierten ihre Maßnahmen. Anderen wurde bewusst, dass sie eine Steuerung, einen Verantwortlichen und Ressourcen brauchen. Mittlerweile steigt auch der Druck aus dem Finanzbereich . Löning: Exakt, aber das wird in der öffentlichen Wahrnehmung gar nicht im gleichen Umfang diskutiert. Seit zwei, drei Jahren kommen Nachfragen von Banken, von Anteilseignern, von Familienstiftungen. Das gibt dem Ganzen nochmal eine andere Dynamik, weil die Geschäftsführung, CEO und CFO involviert sind. Es geht um Geld, um Kreditkonditionen im Zusammenhang mit ESG. Spielt dem Einkauf die Aufmerksamkeit in die Hände? Löning: Der Einkauf wusste zunächst nicht, wie er das Thema umsetzen sollte. Es gab viele Bedenken, dass das Lieferkettengesetz die Arbeit im Einkauf schwieriger macht. Das ist auch zunächst einmal richtig. Denn es kommt eine weitere Schicht an Bedingungen im Verhältnis zu den Lieferanten dazu. Inzwischen ist der Einkauf ein gutes Stück weiter. Es hat viele Schulungen gegeben. Allen ist klar: Nachhaltigkeit ist für das Kerngeschäft, für die Geschäftsstrategie mitentscheidend. Der Einkauf betrachtete die Lieferketten stets von innen nach außen. Gab es ein Perspektivwechsel? Löning: Es gab einen Perspektiv- und einen Strategiewechsel. Der Perspektivwechsel ist, dass man nicht mehr an das Risiko für das Unternehmen, sondern an das Risiko für den Menschen in der Lieferkette denkt. Das ist für manchen herausfordernd. Letzten Endes ist es aber so, dass wenn es ein Risiko für die Menschen auf dem Schiff, die Fahrer in den Lkws oder die Arbeiter in den Fabriken gibt, dies auch ein Risiko fürs Geschäft ist. Diese Verknüpfung findet inzwischen statt. Was sich außerdem verändert, ist die Perspektive der Zusammenarbeit. Es geht ja nicht nur um Kontrolle, sondern auch darum, wie wir die Risiken verteilen. Wer hat welche Verantwortung? Wie bekomme ich den Lieferanten dazu, dass es für ihn attraktiv ist Nachhaltigkeitsstandards einzuhalten? Wie muss die Beziehung, müssen die Verträge aussehen? Wie wird das Einhalten sozialer Standards für die Vorstufen attraktiver? Löning: Durch verlässliche Beziehungen. Bei Einmalgeschäften ist der ökonomische Anreiz etwas zu verändern gering und der Anreiz sich irgendwo ein Zertifikat zu besorgen hoch. Habe ich eine feste, lukrative Beziehung, ist das anders. Genau an diesem Punkt werden gerade sehr viele Modelle ausprobiert. Es gibt noch keinen goldenen Weg. Aber das Denken verändert sich und die Frage, wie wir unsere Lieferbeziehungen künftig gestalten, damit sie erfolgreich sind. 14 Beschaffung aktuell » 09 | 2023

»Allen ist klar: Nachhaltigkeit ist für das Kerngeschäft, für die Geschäftsstrategie mitentscheidend .« Markus Löning Werden die Lieferketten kürzer? Löning: Es wird der ein oder andere Agent wegfallen, wenn Unternehmen eine direkte Beziehung zur letzten Fertigungsstufe wollen. Auf jeden Fall wird es aufgrund der vielen Daten, die jetzt aggregiert werden, deutlich mehr Transparenz geben. Und eine Tendenz sich auf weniger Lieferanten zu konzentrieren und die Beziehung für beide Seiten verlässlicher zu machen. Der Einkauf versucht Lieferbeziehungen durch Selbstauskünfte und Audits fairer und umweltfreundlicher zu gestalten. Funktioniert das? Löning: Es ist ein wichtiger erster Schritt. Der Einkauf weiß, wie diese Instrumentarien funktionieren, deshalb sollte man sie nutzen. Kontrolle alleine reicht aber nicht aus. Es muss immer auch ein Interessenausgleich stattfinden. Wenn das Grundgerüst der Sorgfaltsprozesse steht, kommt die Frage, was das für die Einkaufsstrategie bedeutet. Die Einkaufs - praktiken in verschiedenen Industrien sind sehr unterschiedlich. Am Ende des Tages muss der Lieferant einen Vorteil davon haben, dass er soziale Arbeitsstandards verlässlich einhält. Er braucht eine intrinsische Motivation, weil er mein Lieferant bleiben will und weiß, dass dies eine der Bedingungen ist. Dann geht es also doch um höhere Einkaufspreise? Löning: Man muss von der reinen Preisdiskussion weg. Es gibt viele andere ökonomische Faktoren wie die Garantie einer Grundauslastung. Oder Zahlungsziele. Oder eine Anzahlung. Wenn ich einer Kooperative oder einem Zwischenhändler einfach nur höhere Preise zahle, weiß ich ja nicht, wo das Geld ankommt. Man muss andere Hebel in Bewegung setzen. Natürlich kann auch der Rohstoffpreis eine Rolle spielen. Etwa in Westafrika, wo Ghana und die Elfenbeinküste für Kakao Mindestpreise festsetzen wollen, um eine faire Bezahlung für die Bauern zu gewährleisten. Am Ende kommt es auf das Zusammenspiel an, auch mit staatlichen Stellen, damit nicht alleine Sie höhere Preise zahlen, Ihre Wettbewerber die Preise aber wieder drücken und sich am Ende nichts verändert. Der Mittelstand empfindet seinen Einfluss auf die Lieferketten als gering. Welche Möglichkeiten sehen Sie? Löning: Im globalen Kontext kauft auch ein DAX- Unternehmen manchmal nur geringe Mengen. Da ist das Lieferkettengesetze ganz klar: Es ist eine Frage der Verhältnismäßigkeit. Man sollte sich also von der Diskussion nicht verrückt machen lassen. Schauen Sie, wo Sie einen Unterschied machen können. Der Markus Löning, früherer Menschenrechtsbeauftragter der Bundesregierung, zur Umsetzung der im LkSG geforderten Sorgfaltspflicht der Praxis. Bild: Caroline-Pitzke Beschaffung aktuell » 09 | 2023 15

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