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Bock E-Paper 2024 KW05

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12 FoKus Bock Bock auf Kirche. Auch per Livestream ...und die Fenster sind von Kunz. Kunz Fenster AG Fenster & Haustüren Telefon 052 645 03 03 www.kunzfenster.ch Themen-Vorschau Fasnacht Am Wochenende sind in Schaffhausen die Narren los. Auch auf dem Herrenacker. Eine Reise durch gewesene Zeiten Die Vergangenheit weiterleben lassen: Der «Bock» besuchte Monika Stahel im «Haus der Gewesenen Zeit» in Diessenhofen. Neben dem Verleih von Kostümen präsentiert sie ihr Zuhause als Museum, in dem alles angefasst und genutzt werden darf. GESCHICHTE DIESSENHOFEN Lara Gansser Direkt an der Ecke beim Bahnhof in Diessenhofen hat sich Monika Stahel ihr Lebenswerk aufgebaut. Seit 2013 lebt die 75-Jährige im «Haus der Gewesenen Zeit». In dem dreistöckigen Gebäude hat sie im Laufe der Zeit eine beeindruckende Sammlung zusammengetragen, welche die Jahre von 1900 bis 1970 repräsentiert. Jeweils am letzten Freitag des Monats öffnet die Sammlerin die Türen für die Öffentlichkeit. Vom Kostümverleih zum Haus mit Beizli Angefangen hat alles mit einem Kostümverleih, welchen die gelernte Dekorateurin an der Vordergasse in Schaffhausen betrieb. «Einkleiden ist für mich ein gestalterischer Akt», so Monika Stahel. «Mein Ziel war es immer, dass die Personen nicht verkleidet nach draussen gehen, sondern in der entsprechenden Zeit.» Von Beginn an war es die grosse Leidenschaft der engagierten Schaffhauserin, die Vergangenheit mittels Inszenierungen weiterleben zu lassen. Unter dem Namen «Gewesene Zeiten inszeniert» führte sie gemeinsam mit Gleichgesinnten in der Stadt regelmässig Aktivitäten durch. Beispielsweise spazierten zwei Mütter, von Monika Stahel eingekleidet, mit Kinderwägen aus dem frühen 20. Jahrhundert durch die Altstadtgassen. Oder man traf sich auf einen Kaffee im Vordergässli, wo man mit Geld von früher zahlte. «Wir haben dafür nie geprobt. Ich schrieb eine Geschichte und jede:r erhielt seine Rolle», so Monika Stahel. «Wichtig ist, dass man in der vorgegebenen Zeit bleibt und auch entsprechend mit den Menschen um einen herum umgeht.» Sie fasst zusammen: «Ich werfe die Leute von 1900 ins Heute – und sie tun, als wäre es 1900.» Bald machte sich Monika Stahel einen Namen im Bereich Theater und Film, weshalb sie ihre Kostüme bis heute für Produktionen verleiht. Vor einigen Wochen stellte sie eine Vielzahl an Kostümen für die Verfilmung von Max Frischs Roman «Stiller» zur Verfügung. Zudem trugen die Ensembles von «Schellen-Ursli» sowie der SRF-Produktion «Frieden» die Kleidung von Monika Stahel. Wohnen wie früher Heute ist der Kostümverleih nur ein Teil des «Haus der Gewesenen Zeit». «Ich wusste immer, dass ich mir eines Tages etwas Eigenes aufbauen will.» Eigentümerin des Grundstücks in Diessenhofen ist Ariane Trümpler, mit der Monika Stahel schon länger zuvor in Kontakt stand. Ursprünglich war die Planung eines Museums nicht vorgesehen, doch mit der Zeit nahm diese Vision Fahrt auf. Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich eine gemütliche Beiz mit Terrasse. Geöffnet ist diese «Ich werfe die Leute von 1900 ins heute» Monika Stahel über ihre Inszenierungen ebenfalls jeden letzten Freitag im Monat. Oder auf Anfrage: Regelmässig finden private Veranstaltungen – wie Geburtstage oder Klassentreffen – im Haus statt, bei denen Monika Stahel und ihr Bistroteam die Gäste mit Speisen von früher verwöhnen. Eine Führung durch ihr dreistöckiges Reich mit Keller und Estrich kann Teil des Anlasses sein. Alte Plattenspieler und Modejournale Zur Abrundung des Interviews erhält auch der «Bock» eine Führung durch die zwölf Zimmer: Mit viel Liebe zum Detail sind die verwinkelten Räume im «Haus der Gewesenen Zeit» gestaltet. Die gesamte Einrichtung stammt aus der Zeit zwischen 1900 und 1970. So liegen im WC gestrickte Binden und WC-Papier aus Zeitungen auf. Auch wertvolle Gegenstände zieren die Zimmer, so beispielsweise der Schellack- Jazz-Platten-Nachlass im Wohnraum. «Schellack ist der Vorgänger von Vinyl», erklärt die Dame des Hauses. Im Raum nebenan, der Bibliothek, reiht sich in den Regalen Buch an Buch. Von Zeitungen über Mode-Journale bis zum Magazin Annabelle aus den 50er-Jahren. Alte Schul-sachen besitzt sie ebenfalls en masse. «Ich kann eine ganze Schulklasse mit gefüllten Theks ausstatten.» Anfassen darf man im Haus von Monika Stahel alles. «Deshalb läutet es bei mir auch immer, wenn ich in klassischen Museen bin», gibt sie lachend zu. Die ganze Garderobe Im ersten Stock ist der Kostümverleih zu finden. Vom Taufkleid bis zum schicken Herrenanzug – hier fehlt es an nichts. Bedeutend sind zudem die Accessoires: «Nur das Kleid selbst bringt einen nicht in die 20er Jahre zurück», erklärt Monika Stahel. «Es braucht den richtigen Schuh, den richtigen Strumpf und dazu oft Handschuhe und Schirm.» Vom Mitbewohner Hansjakob Einen Stock höher befindet sich der aktuell liebste Raum der Sammlerin: Der 2018 isolierte Estrich, wo die Schlafbereiche eingerichtet sind. Alte Bügeleisen, Nabelbinden für Neugeborene, Stubenwagen, Gampi- Im Keller des «Haus der Gewesenen Zeit» befindet sich die Sportabteilung, wie Monika Stahel den nostalgischen Skiraum liebevoll nennt. Bilder: Lara Gansser rösser und Puppenstuben – dem Schwelgen in der Vergangenheit sind keine Grenzen gesetzt. Und ganz alleine lebt Monika Stahel doch nicht in dem grossen Haus: «Das ist Hansjakobs Zimmer», sagt sie mit einem Schmunzeln und öffnet die Tür zu einem kleinen Raum mit Schreibtisch, auf dem ein alter Bauernkalender liegt. Die Führung setzt sich im Untergeschoss fort. Dort, im Keller, befindet sich neben antiken Stühlen die Sportabteilung. Die ganze Palette an Skiern und Wintersportgeräten ist hier zu betrachten. «Einmal haben wir auch eine Skifahrt in Arosa inszeniert», berichtet sie begeistert. Eine Galerie sowie Materialien, welche die Menschen einst im Wald entsorgt haben, sind im Garten um das Haus herum zu bestaunen. «Mein Lebenswerk» «Es vergeht keine Woche, in der nicht ein bis drei Personen etwas vorbeibrin- gen», berichtet die 75-Jährige und gibt zu: «Ich meide Brockenhäuser.» Zu den wertvollsten Antiquitäten in ihrem Besitz zählt sie die immense Schuhsammlung, darunter die «Holzbödeli» (Kinderschuhe mit Holzsohle). «Momentan fasziniert mich jedoch Lars auf der Titanic am meisten», sagt sie schmunzelnd. Damit meint sie eine kleine Spielpuppe, die an einem Drahtseil turnt. Nahezu jeden Tag durchstreift Monika Stahel das Haus und taucht dabei in das Leben vergangener Zeiten ein. «Privat habe ich zwei kleine Zimmer – in einem die Küche, im anderen das Bett.» Doch es kam auch schon vor, dass sie in einem der Betten im Estrich eingeschlafen ist. Trotz der Grösse und den vielen alten Materialien fühlt sie sich nämlich sehr wohl in dem Haus. Deshalb denkt sie auch noch nicht ans Aufhören: «Dieses Haus ist mein Leben und zugleich mein Lebenswerk.» Mit viel Liebe zum Detail: Im Badezimmer, das von Besucher:innen benutzt wird, sind Medikamente und Kosmetika aus früheren Zeiten zu bestaunen. Alles Originale im «Haus der Gewesenen Zeit»: Ein Schreibtisch, eingerichtet wie ihn einst die Bauern nutzten. Anfassen und Durchblättern erlaubt: Auch eine ehemalige Bauern-Agenda liegt im Diessenhofer Museum aus. Alte Kinderwägen und Schuhe mit Holzsohle (Holzbödeli) – die Antiquitäten im «Haus der Gewesenen Zeit» sind teils von hohem Wert. Frieren wollte man auch vor 100 Jahren nicht: Monika Stahel demonstriert eine alte Bettflasche. Direkt neben dem Beizli befindet sich die Bibliothek des Hauses. Bücher, Zeitungen und Zeitschriften hat die 75-Jährigen en masse.

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