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2018-3 REISE und PREISE

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NEPAL DIE REPORTAGE adri

NEPAL DIE REPORTAGE adri Sitaula steht vor einem Opferaltar auf dem Durbar Square in Kathmandu und zündet eine Butterkerze an. Der Nepalese mit dem roten Tikaauf der Stirn, dem hinduistischen Segenspunkt, trägt vier dicke Goldringe an den Fingern, acht Armbänder um jedes Handgelenk, um den Hals 20 Perlenketten. »Das sind die Tränen unseres Gottes Shiva«, sagt der 42-Jährige. Die Perlen, so groß wie eine Erbse oder eine Walnuss, sind aus den trockenen Samenkapseln des Perlenbaums gemacht. »Auf jede Kette fädeln wir 108 Rudrakshas, das ist unsere heilige Zahl. Sie schützen ihren Träger und befreien ihn von Sünden.« Seit 25 Jahren verkauft Badri seine Armbänder und Ketten. 600 Rupien, knapp fünf Euro, verdient er damit am Tag. »Ein guter Lohn«, sagt er und geht auf den schwarzen Bhairava zu. An dem gewaltigen Steinbildnis, das Shiva als Zerstörer zeigt, beten Pilger. Auch die Gottesdarstellung trägt eine Kette, allerdings aus zwei Dutzend Schädeln. Sechs Arme ragen aus ihrem Rumpf, die Hände greifen 84 REISE & PREISE 3-2018

Einzigartiges Himalaya- Panorama: Ruderboot auf dem Phewa-See bei Pokhara. Im Hintergrund die Annapurna-Bergkette einen abgeschlagenen Kopf, Schwert und Dreizack. Früher wurden hier Gerichtsverhandlungen abgehalten, heute legen Frauen in bunten Saris und Männer mit dem Dhaka Topi, der nepalesischen Nationalkappe, Tagetesblüten ab – damit ihre Wünsche in Erfüllung gehen. Der Durbar Square im Herzen der Altstadt Kathmandus ist ein Tempel- und Schreinkomplex für Hindus und Buddhisten. Kunstvolle Pagodenbauten aus dem 12. bis 18. Jh. locken scharenweise Menschen zur ehemaligen Königsstätte. Zum Beten und zum Staunen. Am Jagannath-Tempel, einem der ältesten Gebäude am Platz, schmücken Dutzende erotischer Darstellungen die Dachstreben. Am Shiva-Parvati-Tempel beschützen tausend handgroße Götterstatuen das Schöpferpaar. Als Holzfiguren verfolgt es aus einem Fenster im Obergeschoss das Treiben auf dem Platz. Überall staubt es, liegen Steinstapel und Holzbohlen herum. Das Erdbeben von 2015 hat so manches Gebäude in Mitleidenschaft gezogen, doch der besonderen Atmosphäre tut das keinen Abbruch. Im Innenhof des Hauses der Kumari drängeln sich die Besucher. Sie hoffen, einen Blick auf Trishna Shakya zu erhaschen. Die 3-Jährige wurde Ende 2017 als neue lebende Göttin auserkoren – nach einem drei Wochen dauernden Prozedere, bei dem das furchtlose Kind auch eine Nacht zwischen Köpfen geschlachteter Ziegen und Büffel verbrachte. Keine der drei anderen Kandidatinnen habe den 32 Götterkriterien besser entsprochen als die Auserwählte, befand die Priester-Jury: Ihr Körper gleiche dem eines Banyanbaumes, ihre Wimpern denen einer Kuh, ihre Stimme, sanft und klar, der einer Ente. Bis zur Menstruation genießt das Mädchen den Göttinnenstatus, lebt abgeschirmt im Kumari Ghar und wird den Palast nur zu feierlichen Anlässen auf einer Sänfte verlassen, denn ihre heiligen Füße dürfen den Boden nicht berühren. Der gilt als unrein. Um Reinheit geht es auch in Pashupatinath. In dem hinduistischen Pilgerzentrum, eine Autostunde von der Altstadt entfernt, säumen hausgroße Schreine den Fluss Bagmati. In deren Nischen kauern Sadhus. Die Asketen mit dem Rauschebart, die sich als Fotomotiv für Touristen etwas Geld verdienen, sind tagtäglich Zeuge ritueller Waschungen: Auf der Treppe am südlichen Flussufer reinigen Männergrüppchen die Körper Verstorbener, wickeln die Leichen in gelbe Tücher und bahren sie auf einem Scheiterhaufen auf. Eine Frau weint lautstark vor dem Leichnam ihres Mannes. Ein Mann mit Mundschutz legt Stroh auf dessen Gesicht und Körper und entzündet das Feuer – eine beklemmende Stimmung. Da Asche und Kleidungsreste den Fluss verschmutzen, hat der Pashupathi Area Development Trust vor einem Jahr ein elektrisches Krematorium eingeweiht. Rund die Hälfte aller Bestattungen findet seitdem dort statt, 1.300 allein in den ersten drei Monaten. Für die Hinterbliebenen ‘ Fotos: Martina Katz, Günter Gräfenhain/HUBER IMAGES Schmuckhändler Badri Sitaula (links) beim Entzünden einer Opferkerze auf dem Durbar Square, dem von mehr als 50 Pagoden, Tempeln und Palästen umgebenen zentralen Platz von Kathmandu. Abendstimmung vor dem Bhairava-Tempel auf Bhaktapurs Taumadhi-Platz (rechts) REISE & PREISE 3-2018 85

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