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Rotary Magazin 04/2022

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Rotary Magazin 04/2022

SCHWERPUNKT – ROTARY

SCHWERPUNKT – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – APRIL 2022 ROTARISCHER KURZKRIMI DER KNAST-MAN 22 Als Schmelzer erwachte, wusste er im ersten Moment nicht, wo er sich befand. Er merkte nur, dass die Bettdecke unbequem steif war und irgendwie kratzte – ganz anders als die anschmiegsame Satin-Bettwäsche, die er normalerweise gewohnt war. Und das war auch nicht sein gewohnter Schlafanzug aus reiner indischer Seide. Sondern irgendein zu grosses, labberiges Ding aus Baumwolle, das zudem noch penetrant nach Wäscherei roch. Und sein 50-Quadratmeter-Schlafzimmer mit dem feuervergoldeten Bronzebett war das auch nicht. Sondern ein enger, weiss getünchter Raum mit einem einzigen kleinen Fenster, das zudem noch vergittert war. Allmählich erinnerte sich Schmelzer wieder: An den Sonntagmorgen, als seine langbeinige Lebensgefährtin aufgeregt im seidenen Morgenmantel an sein Bett getreten war und ihm mit vibrierender Stimme gesagt hatte, dass draussen zwei Herren von der Polizei seien, die ihn sofort sprechen wollten. An die langen Verhöre. Die schier endlose U-Haft. Den monatelangen Prozess mit riesiger Medien- Resonanz. Schliesslich an den Tag der Urteilsverkündung – acht Jahre wegen schweren Betrugs. Mehrere Milliarden, so wurde behauptet, habe er veruntreut und den Verlust durch Scheingeschäfte verschleiert, Banken und Tausende Kleinanleger geprellt. Schmelzer, der Bankrotteur. Der Lebemann, der es auf Pump so richtig krachen liess. Der Milliarden verjubelte, während viele Rentner im Vertrauen auf sein unternehmerisches Geschick ihr Erspartes verloren. Lächerlich! Alles nur üble Nachrede und Verleumdung. Eine Intrige einiger Fondsmanager. Ein Coup neidischer Konkurrenten. Schliesslich war er es doch, der in der strukturschwachen Region etliche Arbeitsplätze geschaffen hatte. Der praktisch aus dem Nichts eine Vorzeigefirma aufgebaut hatte. Der vom Wirtschaftsminister gern als Paradebeispiel eines erfolgreichen Finanzunternehmers gelobt wurde. Der mit Ehren überhäuft wurde. Honorarkonsul von Sambesi war er geworden, Professor h. c. einer ausländischen Wirtschaftshochschule, ein gern gesehener Gast auf Empfängen und Partys der örtlichen High Society. Und jetzt das. Einfach lächerlich! Diese ganze Aufregung wegen ein paar Unregelmässigkeiten in der Buchhaltung, wegen ein paar Scheingeschäften und Leerverkäufen, wegen ein paar Fehlspekulationen. Krämerseelen, alle miteinander. Keine Ahnung vom Geschäft im grossen Stil. Keine Kreativität. Kein Wunder, dass es nicht voran ging in diesem Land. Schmelzer beschloss, es allen einmal so richtig zu zeigen. Schliesslich war er doch Vollblut-Unternehmer. Wenn nur nicht diese enge, stickige Zelle wäre, in der er jetzt gerade die erste von vielen, vielen elenden Nächten verbracht hatte. Dieses kratzende Bettzeug. Und dieses miese Essen aus der Gefängniskantine. Aber Schmelzers Hirn hatte bereits eine kleine, feine Idee … Es kostete ihn einige Überredungskunst, aber wenn es darauf ankam, hatte sein Charme ihn noch nie im Stich gelassen. Auch der Gefängnisdirektor konnte sich Schmelzers Argumenten irgendwann nicht mehr entziehen. Schliesslich war die Idee auch so simpel wie genial – die traurige Gefängniskost aufzupeppen und als Caterer draussen zu vermarkten. Gesund, vitaminreich, nahrhaft, mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis, eben «basic» – Schmelzers Idee schlug sofort ein, denn sie traf genau den Zeitgeist. Firmen wie Privatleute standen Schlange, um sich mit originalen Gefängnis-Gerichten beliefern zu lassen. Vor allem die Erbsensuppe «Alt Moabit» und das Hacksteak «Kannibale von Rotenburg» waren der Renner. Unnötig zu erwähnen, dass Schmelzer selbstverständlich persönlich für Logistik und Management verantwortlich zeichnete. Dass in seiner Zelle fortan der Nachschub an Champagner-Flaschen nicht mehr abriss, darüber sah man angesichts des Erfolges geflissentlich hinweg. Nach diesem geschäftlichen Paukenschlag hatte Schmelzer leichtes Spiel mit einer weiteren Idee: alte Knast-Anzüge aus Drillich als authentisches Mode-Label zu vermarkten. Dank seiner nach wie vor guten Verbindungen in die internationale Modewelt war dies ein leichtes Unterfangen. Und so wurde auch dieser Vorschlag ein Erfolg, der alle Erwartungen übertraf – erst recht, da ein wenig zur Schau gestellte Bescheidenheit gerade wieder angesagt war. Bis in die USA exportierte man die Kreationen, bei New Yorker Rappern war die «Jailwear» auf einmal ebenso angesagt wie bei den Schönen und Reichen von Monte Carlo bis zu den Malediven. Klar, dass Schmelzer jetzt selbst um die Welt jetten musste, um den Absatz weiter anzukurbeln. Aber der Freigang stellte kein Problem mehr für ihn dar, schliesslich diente seine Idee ja der Resozialisierung von ihm wie von seinen Mitgefangenen. Dass die meisten Kleidungsstücke nie das Gefängnis von innen gesehen hatten, sondern billig in China zusammengenäht wurden, brauchte ja niemand so genau zu wissen … Privat trug Schmelzer seine Kreationen übrigens nie. Von Gefängnis-Kleidung hatte er nun wirklich genug. Dank seiner Kontakte deckte er sich längst wieder mit den feinen Kaschmir-Anzügen aus Rom ein, die er vor seiner Verurteilung so geschätzt hatte. Schmelzer verfiel jetzt in einen wahren Ideen-Rausch: Management-Seminare zum Thema «Durchstarten nach der Krise», gegeben von abgestürzten ehemaligen Finanz-Managern, und authentisch garniert mit den Erlebnisberichten echter «Knackis». Einwöchige Selbsterfahrungskurse in den Arrestzellen – natürlich zu

SCHWERPUNKT – ROTARY SUISSE LIECHTENSTEIN – APRIL 2022 AGER Dr. Karsten Eichner (RC Frankfurt Airport) ist Mitglied im Syndikat (w das-syndikat.com), der Vereinigung deutschsprachiger Krimiautoren. Neben Krimis schreibt er historische Sachbücher – zuletzt etwa über die Kulturgeschichte der Kreuzfahrt («Traumschiff Ahoi»). Im Hauptberuf arbeitet der Journalist und promovierte Historiker als Mediensprecher eines grossen deutschen Versicherungskonzerns. Er lebt mit seiner Familie in Wiesbaden. Schöpfer der «Mordskarrieren»: Rot. Karsten Eichner horrenden Preisen. Streetball-Trainings mit echten Profis in der Sporthalle des Gefängnisses … Was auch immer er anpack- seiner Seite. Und die üppige Provision, die ihm für den Immobilien-Deal auf einem eigens eingerichteten Privatkonto winkte, der in vollen Zügen geniessen konnte. Er war ein gefragter Manager, schwelgte in First-Class-Weltreisen und bewohnte eine 23 te, es wurde zum Erfolg. Seine Euphorie stärkte dem Direktor so weit den Rücken, luxuriöse Villa mit Pool, Sauna, Bibliothek stieg mit dem Umfang seines Bankkontos, dass er auch den zuständigen Landes- und einem riesigen Schlafzimmer. Der Sta- das er derweil heimlich auf den Cayman minister zu überzeugen bereit war. cheldraht weit draussen vor der Gefäng- Islands hatte anlegen lassen. Er war wie- Selbst die letzte Hürde räumte nis-Siedlung störte da kaum, im Gegenteil. der dick im Geschäft. Und auch seine ge- Schmelzer höchst elegant aus dem Weg – Als erfolgreicher Unternehmer fühlte sich sellschaftliche Stellung stieg weiter rapide. schliesslich benötigte ein ausgedehnter Schmelzer hier im Luxus-Quartier gerade- Schon hielten der Rotary – und der Lions Villen- Komplex im Grünen trotz eines Sta- zu optimal beschützt, erst recht in unsiche- Club seiner Heimatstadt gelegentliche cheldrahtzaunes aussen herum weitaus ren Zeiten wie diesen. Und auch eine jun- Meetings im Gefängnis ab, und als Vor- mehr Wachpersonal als ein kompakter ge, langbeinige Lebensgefährtin hatte er tragsredner wie auch als Talkshow-Gast Betonklotz. Aber mit der Idee, auch seine jetzt wieder – er hatte sie in der Marke- war Schmelzer ein gefragter Mann. Mitgefangenen zu Wachleuten auszubil- ting-Abteilung seines Knast-Mode-Labels Er hätte also durchaus zufrieden sein den, rannte Schmelzer gewissermassen kennengelernt. können. Wenn nicht nur diese elende, offene Türen ein. Schliesslich diente auch «Mein Leben ist eigentlich wie ein enge Zelle gewesen wäre. Aber auch dafür dies der Resozialisierung, denn gut ausge- schöner Traum», dachte sich Schmelzer hatte Schmelzer schon die passende Idee. bildete Security-Leute wurden auch häufig. Bis zu diesem einen Sonntagmor- Stand dieser verrottete, alte Gefäng- «draussen» später einmal gesucht. Und gen, als seine hübsche Freundin aufgeregt nis-Klotz nicht in bester City-Lage? Und billiger als die bisherige Bewachung war und atemlos im seidenen Morgenrock an gab es nicht draussen im Grünen, weit vor das auch noch. Dass so mancher Gefan- sein Himmelbett trat und ihm mit vibrie- den Toren der Stadt, diese Luxus-Muster- gene die neue Freiheit nutzte, um in aller render Stimme eröffnete, dass draussen haus-Siedlung, die dank der Insolvenz des Ruhe das eine oder andere krumme Ding zwei Herren von der Polizei seien, die ihn Bauträgers relativ preiswert zum Verkauf stand? zu drehen, fiel zunächst nicht weiter auf. Denn der Betrieb lief, und alle waren gern sprechen wollten … K Rot. Karsten Eichner | A R+V Es kostete Schmelzer erneut einige zufrieden: Der Minister und der Direktor, Überzeugungsarbeit und etliche Gesprä- deren Muster-Knast gern als internationa- > Dieser Wirtschafts-Kurzkrimi ist ein che mit den Banken, aber der Direktor – les Vorzeigemodell gelobt wurde. Die Mit- überarbeiteter Auszug aus Karsten der seit kurzem übrigens dank Schmelzers gefangenen, denen es noch nie so gut Eichners Buch «Mordskarriere» (Frank- Hilfe den Titel «Gefängnisdirektor des gegangen war wie jetzt. Und nicht zuletzt furter Allgemeine Buch). Es ist aktuell Jahres» trug – war sowieso schon halb auf Schmelzer selbst, der sein Leben nun wie- als E-Book erhältlich.

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