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CD-Rezension: "Postcard to Self" in Dresdner Neue Nachrichten vom 12. Oktober 2018.
CD-Rezension: "Postcard to Self" in Dresdner Neue Nachrichten vom 12. Oktober 2018.
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NR. 238 | FREITAG, <strong>12</strong>. OKTOBER 2018<br />
Entdeckung<br />
als<br />
Kür<br />
Lehramtsstudenten spielen<br />
Schwaens „Leonce und Lena“<br />
VON NICOLE CZERWINKA<br />
Die Werke des Komponisten Kurt Schwaen<br />
(1909–2007) stehen nur selten auf den<br />
Programmzetteln hiesiger Konzertveranstalter.<br />
Wie gut, dass die Lehramtsstudenten<br />
der Hochschule für Musik Carl Maria<br />
von Weber (HfM) mit Schwaens Kammeroper<br />
„Leonce und Lena“ nun eine kleine<br />
Rarität zum Leben (wieder)erwecken. Mit<br />
diesem Stück bringt der Fachbereich<br />
Lehramt Musik bereits zum fünften Mal<br />
eine eigene Inszenierung auf die Bühne<br />
im Dresdner Labortheater.<br />
Anders als die Produktionen der<br />
Opernklasse kam dieses kleine, feine Projekt<br />
einst auf Initiative der Studenten<br />
selbst ins Rollen, als diese 2014 mit Boris<br />
Blachers „Die Flut“ gar die allererste Premiere<br />
im Kraftwerk Mitte aufführten. Mit<br />
viel Engagement machen die Musiker,<br />
unterstützt von Studenten der Hochschule<br />
für Bildende Künste (HfBK) sowie der<br />
Palucca Hochschule für Tanz, dieses Jahr<br />
„Leonce und Lena“ zu einem Opernerlebnis,<br />
das sich sehen und hören lassen<br />
kann.<br />
Weiße Wände, Transportkisten, Zitronensträucher<br />
und das Orchester als vielsagendes<br />
Schattenspiel: Romy Rexheuser,<br />
die an der HfBK Bühnen- und Kostümbild<br />
studiert, hat für die Kammeroper<br />
eine spannungsvolle Kulisse in dem<br />
kleinen Raum geschaffen. Hier kann<br />
sich der melancholische Prinz Leonce<br />
nach Herzenslust langweilen und mit<br />
seiner öden Existenz hadern. Dass der<br />
Vater ihm eine aussichtsreiche Hochzeit<br />
arrangiert, macht es nicht besser. Aber<br />
wie das Leben so spielt, begegnet Leonce<br />
just auf der Flucht nach Italien der ihm<br />
zugedachten Braut Lena – und verliebt<br />
sich in sie.<br />
Musikstudentin Katharina Dickopf<br />
inszeniert die Oper nach dem Lustspiel<br />
von Georg Büchner als hintersinnige Burleske.<br />
Sie verzichtet auf allzu riskante<br />
Lehramtsstudenten der Musikhochschule<br />
bringen Kurt Schwaens Kammeroper<br />
„Leonce und Lena“ als humorvolle<br />
Burleske auf die Bühne im Labortheater.<br />
Foto: Katharina Quandt<br />
Aktualisierungen und lässt das Stück<br />
ganz für sich sprechen, bringt dafür<br />
jedoch mit umso mehr Humor den Dünkel<br />
der Adelswelt auf die Bühne. Es geht um<br />
Müßiggang in einer vom Überfluss gesättigten<br />
Welt, um das Verhältnis zu Kunst<br />
und Leben. Vielmehr braucht es auch<br />
nicht, um dem Stück Lebendigkeit zu verleihen.<br />
Die Kostüme von Katharina<br />
Quandt spiegeln die Alltagsferne der<br />
Figuren wider: Es sind Kunstfiguren, keine<br />
Charaktere.<br />
Allein der Chor erscheint als bodenständige<br />
Volksmeute, die den Allüren<br />
von Prinzesschen und König stimmgewaltig<br />
Einhalt gebietet. Sandro Hähnel gibt<br />
den Leonce als herrlich neurotischen<br />
Jüngling, Christiane Thamm ist die dazu<br />
passende, immer etwas flattrig wirkende<br />
Lena. Überhaupt überzeugt das Ensemble<br />
der ersten Premiere mit Charme<br />
und großem Enthusiasmus: Richard Breitkopf<br />
bringt das Publikum als spleeniger<br />
König Peter zum Lachen, Sophia Hohenöcker<br />
ist ein energievoller Valerio, der<br />
Leonce gerade noch am Suizid hindern<br />
kann, und Sinah Seim-Olesch eine nicht<br />
minder extrovertierte Gouvernante für<br />
Lena.<br />
Stimmlich leisten die Sänger Beachtliches,<br />
ist doch die Partitur von Schwaen<br />
keinesfalls leichte Kost. Das kleine<br />
Orchester wogt unter der Leitung von<br />
Samira Nasser leichtfüßig und verleiht<br />
der Handlung den nötigen Drive. Hohe<br />
Bläser, warme Streicher – Kurt Schwaen<br />
konterkariert die Figuren in seiner Musik<br />
und bringt dabei allerhand Ironie ins<br />
Spiel. Dass intonatorisch nicht immer<br />
alles perfekt gelingt, verzeiht man in<br />
Anbetracht dieser Leidenschaft schnell –<br />
und wünscht dem Ensemble für die verbleibenden<br />
drei Vorstellungen des unterhaltsamen<br />
Spiels am Wochenende volle<br />
Publikumsreihen.<br />
nächste Aufführungen: heute,<br />
13. und 14. <strong>Oktober</strong>, jeweils 19.30 Uhr,<br />
Labortheater der HfBK<br />
Hannelore Teutsch, Nächtliche Ernte, Öl auf Holz<br />
VON UWE KOLBE<br />
Haltungen<br />
Bjarke Falgren (Geige) und Sönke Meinen (Gitarre)<br />
the Old Schoolhouse“ wiederum würden<br />
aufgrund des „folkigen“ Einschlags ihrer<br />
von der Violine getragenen Melodie beide<br />
wunderbar nach Irland oder Schottland<br />
passen.<br />
In besagtem „alten Schulhaus“, das sich<br />
nahe der Stadt Næstved befindet, sind die<br />
meisten Stücke auch tatsächlich entstanden<br />
und eingespielt worden. Bjarke Falgren<br />
lebt dort mit seiner Familie und hat<br />
Hans Scheib, Mephisto, Holz/Farbe<br />
Bilder von Hannelore Teutsch und Figuren von Hans Scheib in der Galerie Ines Schulz<br />
Die Reise der Bilder von Hannelore<br />
Teutsch, geboren im Zweiten Weltkrieg in<br />
Berlin, und der Skulpturen des nach dem<br />
Krieg in Potsdam gebürtigen Hans Scheib<br />
nach Sachsen ist temporärer Natur. Doch<br />
Zufall ist sie nicht. Der Bildhauer hat sein<br />
Handwerk in den 70er Jahren wesentlich<br />
an der Hochschule für Bildende Künste in<br />
Dresden erlernt. Seine heutige Meisterschaft<br />
hat offensichtlich auch damit zu tun,<br />
dass er Anatomie, freies Zeichnen und<br />
Auseinandersetzung mit der Tradition bis<br />
heute pflegt. Trotzdem er 1976 nach Ostund<br />
1985 nach Westberlin weiterzog und<br />
sich von dort aus seinen Platz in der Kunstwelt<br />
erarbeitete, hat er Ausstellungen in<br />
Sachsen, vor allem in Dresden, immer wieder<br />
mitgestaltet. Beleg dafür sind u.a. die<br />
legendäre, subversive Gruppenausstellung<br />
„Frühstück im Freien“ 1982 im Leonhardi-Museum,<br />
die Ausstellung „Der goldene<br />
Topf“ 1995, wofür E.T.A. Hoffmanns<br />
gleichnamiges Märchen Titel und Bildvorgaben<br />
lieferte, gemeinsam mit dem Maler<br />
Peter Herrmann. Zuletzt zeigte es die<br />
grandiose Werkschau beim „Skulpturensommer<br />
2018“ in Pirna.<br />
Hannelore Teutsch ist in vielen Jahren<br />
als Buchgestalterin, Illustratorin und Typographin<br />
bekannt geworden. Ihre Haltung<br />
als Malerin mag davon geprägt sein. Sie<br />
zeichnet sich aus durch Genauigkeit,<br />
Humor und diskreten Umgang mit Leidenschaft,<br />
etwa in der Darstellung von<br />
Frauen: Im Selbstporträt als dunkel<br />
gekleidete, aufrecht Stehende im „Denkmal<br />
für die Unsichtbaren“. In der fotografisch<br />
genau eingefangenen Geste des<br />
Nachdenkens der Frau vor dem „Postoffice“.<br />
Und Haltung zeigt jene Frau in der<br />
Szenerie des Bildes „Nächtliche Ernte“,<br />
dem die Ausstellung ihren Titel verdankt.<br />
Fotos (2): Galerie Ines Schulz<br />
Ein Teil der Ernte, der Orangen liegt auf<br />
dem grünen Grund, ein Teil schwebt oder<br />
kreist über ihr, wenige hält sie in Händen.<br />
Die Frau hat einen Coup gelandet. Die<br />
Früchte gehören ihr, stehen ihr zu, auch<br />
wenn da die Leiter zum Diebstahl an der<br />
Mauer lehnt. Vielleicht träumt sie, ist im<br />
braunen Kleid, mit lässigen Boots an den<br />
Füßen, süchtig nach dem Vollmond, der<br />
über die Mauer schaut. Von Georgia<br />
O’Keefe gibt es das Traumbild einer<br />
schwebenden „Leiter zum Mond“. Berückend<br />
ihre Antwort auf die Feststellung<br />
eines Freundes, wie blau der Himmel hinter<br />
den grünen Bäumen wäre: „Ich sehe<br />
blauen Himmel vor den grünen Bäumen.“<br />
Teutschs künstlerische Sicht ist ähnlich<br />
realistisch.<br />
Haltung drückt sich selbstverständlich<br />
auch in Farbe aus. Auf Teutschs „Ernte“,<br />
die nächtlich-blaue Mauer, hinter der sich<br />
eventuell ein Garten befindet. Auf anderen<br />
Gemälden kühles Timbre, Schlaglicht.<br />
Oder die erdige Stimmung einer Landschaft<br />
mit Feldern nach der Ernte. Da<br />
grundieren vielerlei helle Grüntöne eine<br />
skurrile Parade von Gegenständen als<br />
„Stillleben mit Kaleidoskop“. Das ist sehr<br />
heiter, ohne im Witz aufzugehen. Und<br />
obwohl alles klar und deutlich gemalt ist,<br />
oft wie mit dem Bleistift umrissen, obwohl<br />
Personage, Umstände, Stadtansichten<br />
überaus konkret sind, entsteht aus den<br />
Konstellationen ein Geheimnis.<br />
Skulpturen nun, an denen nicht Haltung<br />
abzulesen wäre, die sich nicht hielten<br />
als das, was sie eventuell darstellen, wozu<br />
wären die da? Hans Scheibs Figuren und<br />
Ensembles, ob tierisch oder menschlich,<br />
ob aus Sage, Mythos, Märchen herkommend,<br />
ob sehr groß oder sehr klein, aus<br />
Holz, Bronze, Gips, Stein... zeigen das mit<br />
Selbstverständlichkeit. Der zarte weibliche<br />
„Engel“, eine Bronze von einem halben<br />
Meter Höhe, schreitet dem Schwert<br />
hinterdrein, das er in Händen hält, sein<br />
Amt kein leichtes. Unter dem spielerischen<br />
Titel „Mood Indigo“ eine zarte<br />
Frauenfigur, klassisch-modern. Verblüffenderweise<br />
nicht aus Bronze, sondern aus<br />
metallhaft geglättetem und bemaltem<br />
Holz die ekstatische „CC Rider“ aus dem<br />
Rock’n’Roll-Song. Ein stiller, aber gestisch<br />
verwandter „Jonni“ gesellt sich dazu. Was<br />
für eine reich gefüllte Galerie! Schon verschlägt<br />
es einen mit der dunklen, 1,30<br />
Meter langen, liegenden „Löwin“ auf die<br />
Prachtstraße von Babylon, vor das Portal<br />
eines Palasts des Pharaos, der Cleopatra...<br />
Die Haltung hoheitsvoll und gelassen.<br />
Hier ließe sich ein unverkrampftes<br />
Gegenbild sehen zu den Anstrengungen<br />
mancher Zeitgenossen. Die einen türmen<br />
Busse zur Frage auf, die anderen antworten<br />
mit einem dicken Pferd unter antikem<br />
Namen. Warum bemühen Meinungsäußerungen<br />
oder Kommentare zum Zeitgeschehen<br />
so gern den Begriff Kunst? Weder<br />
Hans Scheib selbst noch seine Löwin müssen<br />
„sich positionieren“. Dieses repräsentative<br />
Raubtier könnte Macht flankieren<br />
wie eh und je. Als Kreatur wie als Metapher<br />
strahlt es Verachtung aus für alles,<br />
was seine Schönheit in Frage stellt.<br />
Die unübersehbare Gruppe der mehr<br />
oder minder bekleideten Frauenfiguren<br />
kann hier nicht annähernd kritisch gewürdigt<br />
werden. Ihre Sinnlichkeit nach<br />
Rubens, ihr ironisch geschminkter Auftritt<br />
unterm roten Käppchen, jugendliche<br />
Exaltiertheit oder sichtbare Scham eines<br />
Mädchens aus Holz und Farbe stößt hier<br />
und da auf Entrüstung. Damen tuscheln,<br />
schütteln Köpfe. Klimt, Schiele, Dix haben<br />
die Lampe gehalten. Die Aufregung über<br />
den Maler Balthus geht eben in Basel weiter.<br />
Die Darstellung des menschlichen<br />
Körpers in der Kunst geht sowieso weiter.<br />
Foto: Ard Jongsma / Still Words<br />
sich ein Studio eingerichtet. „Das war sehr<br />
inspirierend, weil es nicht nur ein ausgesprochen<br />
schönes Haus ist, sondern zudem<br />
jede Menge Geschichten erzählt“,<br />
schwärmt Sönke Meinen. „Allein wenn<br />
man darüber nachdenkt, dass der Baum im<br />
Garten gepflanzt worden ist, als dort vor<br />
knapp 100 Jahren noch Schulkinder<br />
gespielt haben, oder das Buch sieht, in dem<br />
die Lehrer seit Mitte des 19. Jahrhunderts<br />
Phidias, Michelangelo, Rodin, Degas,<br />
Lehmbruck, Kirchner haben uns ihre<br />
Skulpturen hinterlassen. Was machen wir<br />
mit den barocken und neobarocken Brunnen,<br />
was wird aus dem Nymphenbad im<br />
Zwinger?<br />
Einer der Blickfänge der Ausstellung ist<br />
Scheibs „Mephisto“. Zum schwarzen<br />
Dress mit Kappe trägt er rote Socken und<br />
ein rotes Kleidchen. Hände und Gesicht<br />
weiß. Unter steilen Augenbrauen stechendes<br />
Blau der Augen, der rote Bogen des<br />
Munds. Die rechte Hand hält ein Bouquet<br />
roter Rosen. Der Schauspieler, der das sein<br />
könnte, sitzt auf einem Hocker. Die Vorstellung<br />
mag vorbei sein. Eine Variante<br />
von Gründgens als Mephisto, mit allem,<br />
wonach das ab 1932 aussieht.<br />
Obendrein tragen die Rosen je drei<br />
schwarze Tupfen und einen Strich auf sich,<br />
sind allesamt kleine Totenköpfe. Dieses<br />
grandiose Stück Holz stellt wohl doch keinen<br />
Darsteller von irgendwem dar. Der da<br />
ist Mephisto selbst, ein Mann der ganz,<br />
ganz großen Bühne. Ein unschuldig dreinblickender<br />
Zyniker, einer, dessen Spiel die<br />
Welt verwirrt und entsetzt, wie es im Song<br />
der Rolling Stones heißt, der um Verständnis<br />
für den Teufel bittet: „Pleased to meet<br />
you Hope you guess my name But what’s<br />
puzzling you Is the nature of my game.“<br />
Folgerichtig trifft man jenseits der Straße,<br />
im zweiten Showroom der Galerie, auf<br />
Christus am Kreuz. Bronze, Holz, Stahl,<br />
die Dornenkrone vergoldet. Ein klassisches<br />
Stück. Man wünscht sich ein solches<br />
Bild des Schmerzensmannes und Versöhners<br />
in größerem Maßstab im öffentlichen<br />
Raum, vielleicht in einer Kirche in Dresden.<br />
Andernorts mag auch „Nacht der<br />
Narren“ von Hannelore Teutsch passen.<br />
bis 20. <strong>Oktober</strong>, Ines Schulz Contemporary Art,<br />
Obergraben 21, Mo-Fr 10-18.30, Sa <strong>11</strong>-16 Uhr<br />
➦ www.galerie-ines-schulz.de<br />
Postkartengrüße per Geige und Gitarre<br />
Ein<br />
schwäbischer<br />
Sommer<br />
Rikas lassen das Publikum im<br />
Ostpol vom Strand träumen<br />
VON JUNES SEMMOUDI<br />
Wer sich am Mittwochabend nach einem<br />
tristen Tag entkräftet im Ostpol einfand,<br />
der verlebte mit Gewissheit sehr unterhaltsame<br />
Stunden. Denn diejenigen,<br />
deren Abfluss seit Tagen verstopft und<br />
deren Bus morgens vor der Nase weggefahren<br />
ist, sind erfahrungsgemäß am<br />
empfänglichsten für die Botschaft der<br />
Stuttgarter Band namens Rikas: Mit ihren<br />
Hawaiihemden und den sommerlichen<br />
Klängen ließen die vier Jungs das Dresdner<br />
Publikum vom wohlverdienten<br />
Strandurlaub träumen.<br />
Nachdem Yusuf Sahilli & Band das<br />
musikalische Aufwärmprogramm beendet<br />
hatten, wurden Rikas lautstark vom<br />
Publikum auf der Ostpol-Bühne begrüßt.<br />
Das Indie-Pop-Quartett sorgte mit lockerlässiger<br />
Bühnenperformance und einprägsamen<br />
Gesangsmelodien von Beginn<br />
an für ausgelassene Stimmung. Die Bandmitglieder,<br />
die mit ihren langen Mähnen<br />
problemlos als Profisurfer durchgehen<br />
könnten, vermischten britische Beatmusik<br />
der 1960er Jahre mit New Yorker Rock<br />
und Jangle Pop. Zum wilden Mix gesellte<br />
sich an dem Abend auch noch Strandmusik<br />
hinzu, wie man sie aus dem warmen<br />
US-Bundesstaat Kalifornien kennt.<br />
Wenn man die Songs von Rikas so hört,<br />
will man eigentlich die Koffer packen, ein<br />
Interrail-Ticket kaufen und losfahren. Zu<br />
diesem wunderbaren Ort, an dem die<br />
Band allem Anschein nach lebt. Denn<br />
dort dreht sich alles nur um Beachpartys,<br />
türkises Wasser und die richtige Sonnenbräune.<br />
Dort sind die Tortellini immer al<br />
dente – und der Caipirinha schmeckt<br />
zuckersüß.<br />
Rikas versprühen so viel Lebenslust<br />
und Sorglosigkeit, dass ihnen sogar miserable<br />
Dates nichts anhaben können. Stattdessen<br />
schreiben sie lieber einen<br />
beschwingten Song über unangenehme<br />
Rendezvous („We had a Date“) – und zerbrechen<br />
sich nicht weiter den Kopf darüber.<br />
Bringt ja auch nichts.<br />
Derzeit touren Rikas durch die Republik,<br />
ihre aktuelle Platte „Swabian Samba“<br />
im Gepäck. Die Bühnen, auf denen die<br />
entspannten Musiker in den kommenden<br />
Wochen spielen werden, sind zwar noch<br />
recht beschaulich. Gleichwohl sind Rikas<br />
kein unbeschriebenes Blatt mehr: So<br />
durften sie bereits die Konzerte namhafter<br />
deutscher Bands wie Bilderbuch, Von<br />
Wegen Lisbeth, Milky Chance oder<br />
AnnenMayKantereit eröffnen.<br />
Warum besagte Künstler die Stuttgarter<br />
seit Längerem auf ihrer Liste haben,<br />
liegt auf der Hand. Ihren unbekümmerten<br />
Lebensstil vermittelten die abgebrühten<br />
Schwaben direkt an die Konzertbesucher,<br />
ohne dabei aufdringlich zu werden oder<br />
ins gefährliche Kitsch-Fettnäpfchen zu<br />
treten. Und obwohl die Botschaft eigentlich<br />
schon nach dem ersten Riff bis in die<br />
hintersten Reihen des Saals vorgedrungen<br />
war, hielten die mehrstimmigen,<br />
facettenreichen Arrangements die Spannung<br />
bis zum Ende des Konzerts konstant<br />
hoch.<br />
Nach etwas mehr als einer Stunde war<br />
das sommerliche Tanzvergnügen im Ostpol<br />
auch schon wieder vorbei und die<br />
Menge strömte hinaus in eine kalte <strong>Oktober</strong>nacht.<br />
Vielen Konzertbesuchern aber<br />
schien der kurzweilige Auftritt von Rikas<br />
die Augen geöffnet zu haben. Sie verließen<br />
das Konzert mit einem breiten, zufriedenen<br />
Lächeln im Gesicht – als hätten<br />
sich der verstopfte Abfluss soeben wie<br />
durch ein Wunder von selbst repariert.<br />
Sönke Meinen aus Dresden und der Däne Bjarke Falgren haben ihr erstes gemeinsames Album eingespielt / Live-Konzert in der Tonne<br />
VON WERNER JÜRGENS<br />
Schreibe eine Postkarte an dich selber, versiegle<br />
sie, und erst in zehn Jahren darfst du<br />
sie dir wieder angucken. Das ist die Idee<br />
hinter der „Postcard to self“, wie das Titelstück<br />
der neuen CD von Sönke Meinen<br />
und Bjarke Falgren heißt. Der Dresdner<br />
Gitarrist und der dänische Geigenvirtuose<br />
haben für ihr erstes gemeinsames Album<br />
insgesamt vierzehn Instrumental-Nummern<br />
aufgenommen und sich dafür auf ihre<br />
eigene musikalische Zeitreise begeben.<br />
Die offizielle Release-Party findet am 13.<br />
<strong>Oktober</strong> im Jazzclub Tonne statt.<br />
Die reguläre Rollenverteilung, wonach<br />
die Gitarre vorrangig als Begleit- und die<br />
Geige als Solo-Instrument fungiert, wird<br />
auf „Postcard to self“ allein schon deswegen<br />
ständig unterlaufen, weil Bjarke Falgren<br />
zwischendrin regelmäßig seinen<br />
Bogen zur Seite schiebt, um pizzcato zu<br />
spielen. Das klingt dann bisweilen beinahe<br />
so, als würde er und nicht Sönke Meinen<br />
Gitarrensaiten zupfen. Im Kontrast dazu<br />
arbeitet er an anderer Stelle mit einem<br />
buchstäblich butterweichen Bogenstrich,<br />
der Töne fabriziert, die glatt von einer Flöte<br />
stammen könnten. Speziell in „The Breeze<br />
and the Curtain“ hört und spürt man förmlich,<br />
wie aus den Lautsprechern eine leichte<br />
Sommerbrise langsam hinter einem Vorhang<br />
hervorkriecht. Die melancholische<br />
Schlussnummer „Message from Home“<br />
und das eher leichtfüßig-tänzerische „By<br />
BÜHNE DRESDEN | <strong>11</strong><br />
handschriftlich die Historie der Schule festgehalten<br />
haben.“ Diese Geschichte(n)<br />
schreiben die beiden Musiker nun mit<br />
ihren Mitteln quasi weiter fort, wenn sie<br />
z.B. in „Misty Morning Sunrise“ den goldenen<br />
Sonnenaufgang über den Nebelfeldern<br />
vor dem Haus atmosphärisch einfangen.<br />
Das mystische „Nostalgia“ oder das<br />
gespenstische „On A Cold Winters Night“<br />
entfalten eine eigenwillige Stimmung, die<br />
sich perfekt als Soundtrack für einen Film<br />
eignen würde. Gleiches gilt für das orientalisch<br />
angehauchte „Fata Morgana“. Bei<br />
Dizzy Gillespies „A Night in Tunesia“ und<br />
dem ursprünglich aus einer spontanen<br />
Jam-Session hervorgegangenen „Watch<br />
Your Step“ demonstrieren Sönke Meinen<br />
und Bjarke Falgren indes eindrucksvoll,<br />
dass sie durchaus genauso in der Lage<br />
sind, ordentlich zu „swingen“.<br />
In „The Drifter“ schafft es das Duo gar,<br />
die genannten Stilelemente und noch einiges<br />
andere mehr in ein einziges Stück<br />
hineinzupacken. Selbst wenn den beiden<br />
darin an einigen Stellen scheinbar der<br />
Faden verloren zu gehen droht, finden sie<br />
doch immer irgendwie zurück in die Spur.<br />
Und das ist bezeichnend für das gesamte<br />
Album. „Während Bjarke eher ein intuitiver<br />
Spieler ist, der ein Stück nie zweimal<br />
gleich interpretiert, feile ich oft ewig an den<br />
kleinsten Details einer Komposition<br />
herum“, gesteht Sönke Meinen. „Ich glaube,<br />
dass sich das in diesem Duo hervorragend<br />
ergänzt. Unsere Stücke sind mit Liebe<br />
zum Detail komponiert und immer wieder<br />
überarbeitet worden, wobei sie trotzdem<br />
nach wie vor eine gewisse Frische<br />
ausstrahlen und Raum für Spontanität<br />
haben.“<br />
Die Entscheidung, ihre Album in der<br />
alten Schule aufzunehmen, habe die zwei<br />
bis heute nicht bereut. Eher im Gegenteil.<br />
„Sicherlich hätten wir in ein Studio mit<br />
Techniker gehen können“, räumt Sönke<br />
Meinen ein. „Nur fanden wir es besser, die<br />
Stücke dort aufzunehmen, wo sie auch<br />
‚hingehören’, wo man nicht durch eine<br />
Glasscheibe voneinander getrennt musiziert<br />
und wo man sich Zeit nehmen kann.<br />
Natürlich lassen sich die Titeln wesentlich<br />
schwieriger schneiden oder editieren,<br />
wenn man zusammen in einem Raum aufnimmt.<br />
Aber dafür konnten wir ganz ‚im<br />
Moment’ sein und bewusst miteinander<br />
musizieren. Manchmal haben wir von<br />
‚Take’ zu ‚Take’ stetig leiser gespielt und<br />
sind irgendwann völlig in der Musik versunken,<br />
weshalb die Aufnahmen sehr<br />
intim und fast zerbrechlich wurden, was<br />
wiederum eine enorme Tiefe und Emotionalität<br />
erzeugt hat. Das hätte ohne die richtige<br />
Umgebung so nicht funktioniert.“<br />
„Postcard to Self“ von Bjarke Falgren und<br />
Sönke Meinen ist erschienen auf dem dänischen<br />
Gateway Music Label.<br />
Release-Konzert am Sonnabend, 20 Uhr,<br />
Jazzclub Tonne<br />
➦ www.soenkemeinen.com