DdB_Themenheft_Bremen_Emigholz
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56 ZUKUNFTSLABOR<br />
Kulturförderung<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 2016<br />
DIE DEUTSCHE BÜHNE 2016<br />
ZUKUNFTSLABOR 57<br />
Kulturförderung<br />
Macht<br />
uns<br />
Carmen <strong>Emigholz</strong>, Staatsrätin für Kultur in<br />
<strong>Bremen</strong>: Es ist Aufgabe der Politik,<br />
der Kunst einen Rahmen für Innovation und<br />
Wagnisse zu schaffen<br />
staunen!<br />
Text_Carmen <strong>Emigholz</strong><br />
A<br />
Als ich in meiner Schulzeit das erste Mal Friedrich Schillers<br />
„Die Räuber“ las, wurde mir klar, dass sich herausragende Literatur<br />
immer auch kritisch mit Gesellschaft und Politik auseinandersetzt<br />
und dass das Sprechen über Texte zwangsläufig eine<br />
Reflexion über unsere Wirklichkeit mit einschließt. Schiller war<br />
ein sehr politischer Dramatiker, ein für die damalige Zeit revolutionärer<br />
Geist, der die Weitsicht besaß, in seinen Stücken keine<br />
Tagesaktualitäten abzuhandeln, sondern den Blick auf<br />
grundlegende Fragen zu richten. Das macht die Lektüre und<br />
Aufführung seiner Texte auch heute noch so anregend.<br />
Deshalb ist es durchaus hilfreich, sich mit Blick auf die<br />
Schiller’sche Gedankenwelt mit der zeitgenössischen Bühnenkunst<br />
der Stadttheater zu beschäftigen. In einer Zeit der vorherrschenden<br />
Ironie, hinter der sich oftmals doch nur Rat- und<br />
Mutlosigkeit verbergen, kann es nicht schaden, sich die Wertvorstellungen<br />
eines Idealisten zu vergegenwärtigen, ohne sie<br />
deshalb eins zu eins zu übernehmen. Schillers Vision von einer<br />
Schaubühne, die uns das Gute und Schöne lehrt und die eine<br />
zwingende gesellschaftsverändernde Wirkung besitzt, mag uns<br />
zu idealistisch erscheinen. Aber dies sollte uns nicht veranlas-<br />
Foto: Senator für Kultur <strong>Bremen</strong><br />
sen, grundsätzlich die Wirkung des Theaters zu bezweifeln. Das<br />
Theater muss weiterhin ein Ort sein, an dem über problematische<br />
Entwicklungen in unserer Gesellschaft nachgedacht und<br />
diskutiert wird, auch, um Alternativen zu entwickeln. Bühnenkunst<br />
ist mehr als Unterhaltung. Sonst könnte sich der Staat aus<br />
der Förderung zurückziehen und sie privaten Unternehmen<br />
überlassen. Gleichzeitig ist es legitim, dass das Publikum einfach<br />
einen kurzweiligen und dennoch niveauvollen Abend erleben<br />
will, der Abwechslung vom Alltag bietet, dass es mal über<br />
eine Komödie lachen oder die Musik einer Oper genießen<br />
möchte. Hier war Schiller Realist, er wusste, dass die Menschen<br />
nicht nur belehrt, sondern auch unterhalten werden wollen.<br />
Erfahrene Bühnenakteure kritisieren immer wieder, wie in den<br />
Feuilletons zu lesen ist, eine Verengung des ästhetisch-konzeptionellen<br />
Blickwinkels. Dies gilt für alle Theatersparten. Es darf<br />
sich nicht der Eindruck aufdrängen, dass künstlerische Produktionen<br />
nur für eine „Fachwelt“ und ein Fachpublikum gemacht<br />
werden. Sonst droht die Entfremdung zwischen den Machern<br />
und denen, für die das eigentlich gemacht wird. Nicht jeder<br />
Abend, der weder bei der Kritik noch beim Publikum ankommt,<br />
ist zwangsläufig künstlerisch wertvoll. Andersherum<br />
gilt selbstverständlich: Nicht alles, was bejubelt wird, hält einer<br />
kritischen Überprüfung stand. Die große Herausforderung für<br />
einen Intendanten besteht darin, dem Publikum schwierige<br />
und unbekannte Werke, auch experimentelle Regiehandschriften<br />
vorzustellen und ihm gleichzeitig Abende zu präsentieren,<br />
die einen leichteren Zugang ermöglichen, ohne anspruchslos<br />
zu sein.<br />
Schaut man sich einmal die Spielpläne aus der Ära des legendären<br />
Bremer Intendanten Kurt Hübner an, sieht man, dass<br />
dieser so mutige Theatermacher die sensible Gratwanderung<br />
beherrscht hat. Neben den Inszenierungen seiner Bühnenstars<br />
Peter Zadek und Peter Stein, die den Ruf des Hauses begründet<br />
haben, gab es zahlreiche weniger provokativ wirkende Aufführungen<br />
zu sehen. Politisch Verantwortliche müssen in ihrer<br />
Förderstrategie bedenken: Gerade Stadttheater, die vom Steuerzahler<br />
hoch subventioniert sind, können es sich nicht erlauben,<br />
nur einen kleinen Kreis von Eingeweihten zu bedienen, und<br />
sind gefordert, möglichst viele Menschen anzusprechen. Und<br />
zwar nicht nur, um die öffentliche Förderung zu rechtfertigen,<br />
sondern vor allem, um andere mit ihrer Begeisterung für die<br />
Bühnenkunst anzustecken und damit ihrem Auftrag, kulturelle<br />
Bildung zu vermitteln, nachzukommen.<br />
Das Theater hat heute viele Konkurrenten im Kampf um die<br />
Aufmerksamkeit: das Kino, Fernsehen und das Internet. Aber<br />
das Live-Erlebnis, das bietet nur die Bühnenkunst. Schauspiel,<br />
Musik und Tanz von Angesicht zu Angesicht zu sehen kann<br />
eine beglückende Erfahrung sein. Auf dieses sinnliche Erleben<br />
AUFGABE DER POLITIK<br />
IST ES, KÜNSTLERISCHER<br />
ARBEIT EINEN RAHMEN<br />
ZU SCHAFFEN, DER<br />
ES ERMÖGLICHT, NEUE<br />
FORMEN AUSZU-<br />
PROBIEREN UND ETWAS<br />
ZU WAGEN<br />
sollten die Theater setzen, mit<br />
Bühnenbildern, Kostümen<br />
und Lichteffekten, die uns<br />
staunen machen, die uns etwas<br />
sehen lassen, das wir nirgendwo<br />
anders in dieser Form<br />
sehen können. Dabei sind<br />
nicht immer opulente Bühnenbilder,<br />
sondern kreative<br />
Ideen gefordert. Theater soll den Kopf ansprechen, aber eben<br />
auch die Sinne und das Gefühl. Für ein solches Erlebnis haben<br />
Menschen in den harten Jahren der Nachkriegszeit Briketts für<br />
das Theater gesammelt …<br />
Seit den 1960er- und 70er-Jahren haben die Stadttheater eine<br />
enorme Offenheit bewiesen und sich als Keimzellen neuer Bühnenformen<br />
bewährt. Das Tanztheater wurde an städtischen<br />
Häusern entwickelt, in Wuppertal unter Pina Bausch, in <strong>Bremen</strong><br />
unter Johann Kresnik und seinen Nachfolgerinnen und<br />
Nachfolgern. Es zeigt sich hier, dass die innovativen Impulse<br />
nicht nur aus der Freien Szene kommen, ganz im Gegenteil.<br />
Die Grenzen sind fließend geworden. Gerade das Bremer Theater<br />
steht gegenwärtig in vorbildlicher Weise für eine „Erneuerung<br />
im Bestand“. Am Theater <strong>Bremen</strong> treten beispielsweise<br />
freie Gruppen wie Gintersdorfer/Klaßen und das steptext dance<br />
project auf. Diese Offenheit unseres Bremer Intendanten Michael<br />
Börgerding steht für eine Modernisierung des Theaters, die<br />
jüngere Menschen an das Haus binden soll und auch bindet.<br />
Aufgabe der Politik ist es, künstlerischer Arbeit einen Rahmen<br />
zu schaffen, der es ermöglicht, neue Formen auszuprobieren und<br />
etwas zu wagen. Das heißt auch, dass gelegentlich ein Abend<br />
schiefgehen kann. Die Politik befindet sich in dem Spannungsverhältnis,<br />
den Akteuren Freiräume zu eröffnen und gleichzeitig<br />
das Interesse des Publikums im Blick zu behalten. Immer wieder<br />
eine Herausforderung: Denn am Ende gilt die Schutzfunktion<br />
für die Freiheit der Kunst. Sie beschreibt nicht nur die rechtliche<br />
Dimension, sondern vor allem die demokratische Verfasstheit<br />
eines Gemeinwesens. Alle an diesem Prozess Beteiligten sind gut<br />
beraten, im Gespräch zu bleiben und sich eine Offenheit für<br />
unterschiedliche Standpunkte zu bewahren.<br />
DIE AUTORIN<br />
Carmen <strong>Emigholz</strong> ist seit 2007 Staatsrätin für Kultur der<br />
Freien Hansestadt <strong>Bremen</strong>.