DB_2016_12_Interview_Rolf_Bolwin
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<strong>Interview</strong><br />
Die Deutsche Bühne <strong>12</strong>/<strong>2016</strong><br />
Die Deutsche Bühne <strong>12</strong>/<strong>2016</strong> Bühnenwelt 43<br />
<strong>Interview</strong><br />
„Manchmal hilft<br />
nur noch die Kunst“<br />
25 Jahre im Dienst an der deutschen Theaterlandschaft: <strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>,<br />
scheidender Geschäftsführender Direktor des Bühnenvereins, zieht Bilanz<br />
<strong>Interview</strong>_Detlev Baur/Detlef Brandenburg<br />
Herr <strong>Bolwin</strong>, als wir dieses <strong>Interview</strong> anlässlich Ihres Abschieds<br />
vom Deutschen Bühnenverein vereinbart haben, ahnten wir<br />
nicht, dass in diesen Tagen ein sehr trauriges Thema uns alle beschäftigen<br />
würde: der Tod der Hamburger Kultursenatorin Barbara<br />
Kisseler, die erst im Mai vergangenen Jahres zur Präsidentin<br />
des Bühnenvereins gewählt wurde. Ein Schock für uns alle und<br />
ein großer Verlust für die Kulturszene.<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Ich kenne Barbara Kisseler schon aus einer Zeit, da<br />
war sie noch Kulturamtsleiterin in Düsseldorf. Auch als sie später<br />
in Niedersachsen tätig wurde und dann in Berlin, hatten wir immer<br />
wieder miteinander zu tun; sie hat ja diese Rechtsträger im<br />
Bühnenverein vertreten. Ich habe sie immer als eine Kulturpolitikerin<br />
geschätzt, die sich für Kunst und Kultur bedingungslos<br />
eingesetzt und dabei ihre Position sehr klar nach außen vertreten<br />
hat. Das war dann auch der Grund, warum sie der Bühnenverein<br />
im vergangenen Jahr zu seiner Präsidentin gewählt hat. Erstmals<br />
eine Frau und seit langer Zeit wieder eine Vertreterin aus der<br />
Politik! Aber eben eine, die sich immer ohne Wenn und Aber für<br />
die Theater eingesetzt hat. Ihr Tod ist ein sehr großer Verlust.<br />
Sie bleibt mit dieser Haltung ein Vorbild für andere Politiker,<br />
oder?<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Natürlich! Es ist die unverzichtbare Bedingung für<br />
einen Kulturpolitiker in einer Stadt, dass er die künstlerischen<br />
Betriebe, für die er verantwortlich ist, positiv begleitet und auch<br />
neue künstlerische Entwicklungen unterstützt, also nicht darauf<br />
setzt, dass alles beim Alten bleibt.<br />
Können Sie denn im Rückblick auf die jetzt fast 25 Jahre, in<br />
denen Sie Direktor und Geschäftsführer des Deutschen Bühnenvereins<br />
waren, in dieser Hinsicht eine Veränderung feststellen?<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Das hängt natürlich sehr stark an Personen. Will<br />
man als Kulturdezernet in der Stadt einen freien Diskurs, das<br />
Theater als Raum, in dem auch Neues und Provozierendes ge-<br />
schieht? Oder wird das als Routineamt empfunden, in dem es<br />
vor allem darum geht, dass das Theater gut im Mainstream mitschwimmt<br />
und mit seinem Budget auskommt?<br />
Generell muss man feststellen, dass der Kostendruck auf die<br />
Theater zugenommen hat und dass damit auch Strukturen und<br />
Ressourcen verloren gegangen sind. Die Ensembles wurden<br />
kleiner, Festengagements seltener, die Belastung der Theatermitarbeiter<br />
wurde größer.<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Da muss ich wirklich sagen: Als ich vor fast 25 Jahren<br />
dieses Amt angetreten habe, da habe ich mir in der Tat nicht<br />
vorstellen können, was da an Krisenmanagement auf uns zukommen<br />
würde. Dabei spielte natürlich nach der Wiedervereinigung<br />
auch die besondere Situation in den neuen Bundesländern<br />
eine Rolle. Wir hatten aus der DDR eine Theater- und<br />
Orchesterstruktur geerbt, die sicher auch bei Fortbestehen der<br />
DDR so nicht weiter hätte erhalten werden können. Dann brach<br />
die DDR zusammen, und die Veränderungsprozesse blieben<br />
dem vereinten Deutschland, seinen Ländern und Kommunen,<br />
und damit eben auch dem Bühnenverein überlassen. Da mussten<br />
im Osten Dinge nachgeholt werden, schmerzhafte Dinge, die<br />
in den alten Bundesländern bereits stattgefunden hatten. Was<br />
mich aber überrascht hat, war die doch sehr kon tro verse Legitimationsdebatte,<br />
die infolgedessen ausgelöst wurde. Warum brauchen<br />
wir so viele Theater und Orchester? Sind Straßen und Kindergärten<br />
nicht wichtiger? Darf Kultur so viel kosten? …<br />
Wurden nicht manche dieser Debatten auch mit einer gewissen<br />
Unaufrichtigkeit geführt? Oft war es doch so, dass man erst mal<br />
Sparziele definiert hat, die weniger aus einer betriebswirtschaftlichen<br />
Analyse des betroffenen Theaters resultierten, sondern<br />
schlicht aus politischen Verteilungskämpfen oder Haushaltszwängen.<br />
Und damit ging man dann auf die Theater los und verkaufte<br />
ihnen das als „Strukturreform“.<br />
Fotos: Matthias Baus<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Das Wort „Strukturreform“ war meiner Ansicht<br />
nach schon immer ein Euphemismus. Letzten Endes ging es darum,<br />
Arbeitsplätze abzubauen oder – meist durch Haustarifverträge<br />
– die Gehälter zu kürzen. Und heute fragen diejenigen, die<br />
noch vor 20 Jahren heftig die Tarifverträge kritisiert haben, weil<br />
sie doch den künstlerischen Betrieb angeblich so schrecklich behindern,<br />
empört, was denn da in den 1990er-Jahren eigentlich<br />
schiefgegangen sei. Das wundert mich dann schon. Wir haben in<br />
der Tat die Tarifverträge weiterentwickelt und damit neue künstlerische<br />
Spielräume geschaffen. Unter dem Druck der Finanznot<br />
hat man dann aber die so geschaffenen Freiräume genutzt, um<br />
Rationalisierungspotenziale an den Theatern zu heben. Und darunter<br />
leiden heute vor allem die künstlerischen Mitarbeiter. Ich<br />
bin überzeugt, dass die Tarifverträge heute wohlausgewogen sind<br />
zwischen den sozialen Belangen der Mitarbeiter und den legitimen<br />
Bedürfnissen des Kunstbetriebes. Wenn man aber diese<br />
Spielräume nutzt, um damit Geld zu sparen, dann passiert etwas,<br />
was nie im Sinne der Tarifpartner war, weder im Sinne des Bühnenvereins<br />
noch erst recht der Künstlergewerkschaften.<br />
„Heute wird mancherorts<br />
völlig ungeschützt über die<br />
Theater, über Kultur in<br />
der Stadt geredet, und man<br />
stellt sich kaum noch die<br />
Frage, was diese Betriebe<br />
wirklich leisten für die<br />
Stadt und ihre Bürger.“<br />
Zeigen die Debatten, die jetzt von „art but fair“ oder vom<br />
„Ensemble-Netzwerk“ geführt werden, nicht auch, dass es in den<br />
Theatern eine Schieflage gibt: zwischen den Kollektiven und den<br />
mit Soloverträgen angestellten Künstlern?<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Es stimmt, dass die Kollektive oft besser bezahlt<br />
sind und bessere Absicherungen haben. Sie sind als Kollektive<br />
hausintern ein Machtfaktor und zugleich gewerkschaftlich<br />
meist viel besser aufgestellt als die Solisten. Aber ich glaube<br />
nicht, dass man bei diesen Kollektiven das Geld sparen kann<br />
oder sollte. Um mal das Orchester zu nehmen, das nun einmal<br />
der bestbezahlte Bereich am Theater ist: Ich finde, die Bezahlung<br />
dieser Künstler, die eine lange akademische Ausbildung<br />
hinter sich haben und hochqualifizierte Spezialisten sind,<br />
grundsätzlich angemessen. Wenn man die Schieflage, nach der<br />
Sie fragen, beheben will, dann müssen die Gehälter der Schauspieler<br />
und der anderen Solisten angehoben werden. Aber dazu<br />
ist mehr Geld nötig. Genau hier, in diesem Bereich, wo es ja nur<br />
eine Mindestgage gibt, genau hier sind die eben erwähnten Einsparungen<br />
realisiert worden, die das Gefälle noch dramatisch<br />
verstärkt haben. Es gibt inzwischen Ballettcompagnien, da werden<br />
die Tänzer als Solisten beschäftigt, mit der Folge, dass ihre<br />
Gage unter der Gruppenvergütung für Tänzer liegt. So wird der<br />
Solovertrag missbraucht, um Geld zu sparen.<br />
Hat vor diesem Hintergrund das Ensembletheater noch eine<br />
Zukunft?<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Ich persönlich glaube: Ja! Man muss sich klarmachen,<br />
was ein Ensemble für die Bürger einer Stadt bedeutet. Es<br />
bildet die Basis für das vielseitige Programm, das man heute<br />
von einem zeitgemäßen Stadttheater erwartet. Natürlich ist ein<br />
Ensemblebetrieb erst mal teurer als ein Stagione-Betrieb. Aber<br />
man muss doch auch gegenrechnen, was man damit erreicht.<br />
Es wird viel gespielt, es gibt ein breites Programm, meist ergänzt<br />
durch pädagogische Formate, man ist viel beweglicher, und
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<strong>Interview</strong><br />
Die Deutsche Bühne <strong>12</strong>/<strong>2016</strong><br />
Die Deutsche Bühne <strong>12</strong>/<strong>2016</strong> Bühnenwelt 45<br />
<strong>Interview</strong><br />
man kann im Ensemble künstlerische Entwicklungen besser<br />
steuern, kann Risiken abfedern. Vor diesem Hintergrund bin<br />
ich fest davon überzeugt, dass das Ensembletheater eine Zukunft<br />
hat. Wir müssen es aber auch mit aller Kraft verteidigen!<br />
Im Übrigen ist das alles auch eine soziale Frage. Immerhin bieten<br />
wir Künstlern im Ensemblebetrieb oft eine über mehrere<br />
Jahre andauernde Beschäftigung an.<br />
Sind denn die Theater in ihrer Binnenorganisation gut und zeitgemäß<br />
aufgestellt?<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Wir haben im Großen und Ganzen einen gut<br />
funktionierenden Repertoirebetrieb mit einem festen gesetzlichen<br />
und tariflichen Rahmen. Damit kann man ja erst einmal<br />
arbeiten. Allerdings: Bei den gesetzlichen Regelungen, beispielsweise<br />
beim Urheberrecht, beim Arbeitsrecht oder beim<br />
Sozialversicherungsrecht, da sind die gesetzlichen Regelungen<br />
keinesfalls ausreichend angepasst an die tatsächlichen Herausforderungen,<br />
vor denen die Betriebe stehen. Da gibt es in der<br />
Politik ein Wahrnehmungsdefizit in Bezug auf das, was die Theater<br />
brauchen, um vor allem wirtschaftlich erfolgreich tätig zu<br />
sein. Aber natürlich muss man auch fragen, wie die Betriebe in<br />
der Praxis funktionieren, wie sie mit der Organisation dieser ja<br />
doch sehr schwierigen Apparate und Abläufe zurechtkommen.<br />
Was mich vor diesem Hintergrund besorgt macht, ist die Frage:<br />
Wo bekommen wir den Nachwuchs her, der in der Lage ist, mit<br />
diesen immer komplizierter werdenden Betrieben sinnvoll<br />
und sachgerecht umzugehen? Ich bemerke schon, dass wir<br />
durch die vielen Debatten über die angeblichen Strukturmängel<br />
und finanziellen Gefährdungen des deutschen Stadttheaters<br />
dieses System ein bisschen schlechtgeredet haben. Und damit<br />
treffen wir gerade jetzt auf einen angespannten Arbeitsmarkt,<br />
auf dem selbst Betriebe, die deutlich besser zahlen als die deutschen<br />
Theater, ihre liebe Not damit haben, qualifizierte Fachund<br />
Führungskräfte zu finden. Vor diesem Hintergrund habe<br />
ich schon das Gefühl, dass es im einen oder anderen Betrieb<br />
durchaus an qualifiziertem Personal fehlt. Das wird eine der<br />
großen Herausforderungen der nächsten 20 Jahre sein. Deswegen<br />
haben wir uns etwa in der Weiterbildungsveranstaltung<br />
mit der Ludwig-Maximilians-Universität und der Bayerischen<br />
Theaterakademie in München bemüht, in dieser Hinsicht<br />
selbst etwas zu tun.<br />
Wenn Sie jetzt noch mal auf Ihre fast fünfundzwanzigjährige<br />
Tätigkeit zurückschauen: Was waren die einschneidendsten<br />
Veränderungen?<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Als ich anfing, da hatten die Politiker geradezu<br />
eine Ehrfurcht gegenüber dem, was in unseren Kulturbetrieben<br />
geleistet wurde. Das ist vorbei. Heute wird mancherorts völlig<br />
ungeschützt – und ich muss schon auch sagen: manchmal mit<br />
schlicht falschen Behauptungen – über die Theater, über Kultur<br />
in der Stadt geredet, und man stellt sich kaum noch die Frage,<br />
„Die Zukunft des<br />
Theaters wird auf der<br />
Bühne entschieden<br />
und nicht in der Politik<br />
oder im Deutschen<br />
Bühnenverein.“<br />
was diese Betriebe wirklich leisten für die Stadt und ihre Bürger.<br />
Ich frage mich dann oft: Welche Perspektive haben solche Politiker<br />
für ihre Stadt? Eine Stadt ist mehr als ein Ballungsraum.<br />
Sie ist ein kompliziertes soziales Gefüge. Das machen sich viele<br />
nicht mehr klar. Erst wenn bemerkbar wird, dass Kulturabbau<br />
dem Image der Stadt schadet, dass es die Bürger gegen die Politiker<br />
aufbringt, dann rudert man zurück. Aber weniger aus Respekt<br />
vor der Kunst als vielmehr aus Angst vor negativen Meldungen<br />
in der überregionalen Presse. Das ist für mich eine der<br />
gravierendsten Veränderungen.<br />
In Ihrer Amtszeit hat der Deutsche Bühnenverein ja auch die<br />
Wiedervereinigung der deutschen Theaterszene gemanagt, sie<br />
sprachen es schon an.<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Als ich 1992 kam, waren die tarifvertraglichen und<br />
juristischen Rahmenbedingungen bereits auf die neuen Bundesländer<br />
übertragen. Damit war ein entscheidender Schritt getan.<br />
Aber das war eine riesige Herausforderung für die Häuser. Die<br />
waren schlagartig mit einem westlichen System konfrontiert, mit<br />
all den individualrechtlichen Grundbedingungen, die es in einer<br />
westlichen Gesellschaft gibt. Das zu vermitteln war eine große<br />
Aufgabe für uns. Und natürlich hatten wir es auch mit überdimensionierten<br />
Betrieben zu tun, zumal angesichts des Bevölkerungsschwundes<br />
in den neuen Bundesländern. Die vor diesem<br />
Hintergrund nötigen Anpassungsprozesse, mit der einen oder<br />
anderen Theaterschließung oder Orchesterfusion, die waren<br />
schmerzhaft. Aber ich bin überzeugt, dass diese Theaterlandschaft<br />
dennoch einen entscheidenden Beitrag zur Wiedervereinigung<br />
geleistet hat. Denn in den Theaterensembles herrscht ja<br />
eine große Fluktuation. Und das hat dazu geführt, dass zunehmend<br />
Künstler zwischen den beiden Teilen Deutschlands hinund<br />
herwanderten und so über die Theater auch Eindrücke vom<br />
jeweils anderen Teil vermitteln konnten. Unterschiedliche Mentalitäten<br />
und Traditionen wurden an den Bühnen sichtbar und<br />
konnten dadurch aufgearbeitet werden. Was aber in den neuen<br />
Ländern noch fehlt, sind die vielen sehr gute Arbeit leistenden<br />
Privattheater, die es in den alten Ländern mit ihrer großen Tradition<br />
gibt. Man denke nur an das wunderbare Theater am Kurfürstendamm,<br />
das man gerade in Berlin alles andere als gut behandelt.<br />
Ein Ergebnis dieses Prozesses war auch das „Weimarer Modell“,<br />
das im Bühnenverein einige Turbulenzen ausgelöst hat.<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Das Problematische am „Weimarer Modell“ war,<br />
dass das nur als Schlagwort gebraucht wurde und keiner nachgeschaut<br />
hat, was wirklich dahintersteckt. Denn dieses Modell<br />
war letztlich kaum mehr als ein Haustarifvertrag, in dem ein<br />
Lohnverzicht für die Mitarbeiter verabredet wurde. Und so wurde<br />
durch das Weimarer Modell der Haustarifvertrag mit Gehaltsverzicht<br />
als „Strukturreform“ hoffähig. Der Bühnenverein<br />
hatte damals natürlich schon einige Haustarifverträge abschließen<br />
müssen, um Theater und Orchester zu erhalten. Aber die<br />
Tatsache, dass dahinter auch ein Gehaltsverzicht stand, haben<br />
wir nie an die große Glocke gehängt. Dann wurde vor dem Hintergrund<br />
einer Fusionsdebatte über die Theater in Erfurt und<br />
Weimar dort das Weimarer Modell ausgerufen, und die Politiker<br />
erwarteten von uns, dieses „Modell“ auch anderswo zu realisieren.<br />
Damit war dem Lohnverzicht in den Theatern und<br />
Orchestern der neuen Länder Tür und Tor geöffnet.<br />
Ist nicht auch eine Lehre daraus, dass man über Theaterfusionen<br />
nicht nur ökonomisch nachdenken darf? Dafür gibt es ja auch<br />
andere Beispiele – so das Scheitern des Schillertheaters NRW.<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Wobei sich die Fusion beim Schillertheater NRW<br />
auch auf die künstlerischen Mitarbeiter erstreckte, während die<br />
Ensembles in Weimar und Erfurt teilweise erhalten bleiben sollten.<br />
Es ging damals um wirtschaftliche Synergieeffekte, aber<br />
nicht um ein gemeinsames künstlerisches Programm für Erfurt<br />
und Weimar. Das war aber dann der große Fehler beim Schillertheater<br />
NRW in Wuppertal und Gelsenkirchen. Dazu sind beide<br />
Städte viel zu unterschiedlich, und deswegen hat die Wuppertaler<br />
Politik den Fusionsvertrag gekündigt – ohne das Wuppertaler<br />
Theater danach finanziell in den Stand zu versetzen, wieder<br />
selbstständig zu arbeiten. Deshalb gibt es dort bis heute krisenhafte<br />
Entwicklungen, erst in der Oper und nun, nachdem die<br />
Oper gerade hoffnungsvoll durchstartet, im Schauspiel.<br />
Wo sehen Sie das Theater in 25 Jahren?<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong>: Schwer zu sagen. Sicher ist nur: Das Theater wird<br />
sich weiter verändern. Und wir müssen das Theater immer wieder<br />
neu verteidigen. Aber sicher ist auch: Die Zukunft des Theaters<br />
wird auf der Bühne entschieden und nicht in der Politik<br />
oder im Deutschen Bühnenverein. Solange es den Künstlern<br />
gelingt, auf der Bühne etwas zu zeigen, das die Menschen bewegt,<br />
das sie beschäftigt, das sie vielleicht ärgert, das sie aber jedenfalls<br />
erreicht und interessiert – solange ist mir um das Theater<br />
nicht bange. Und ich bin überzeugt, dass das Theater, um die<br />
Menschen zu erreichen, eine Botschaft braucht. Inszenierungen<br />
können gelingen oder scheitern, das liegt in der Natur der Kunst.<br />
Aber die Zuschauer müssen eine Entschiedenheit spüren, sie<br />
müssen spüren, dass das Theater Impulse gibt, Denkprozesse<br />
auslöst. Was der Bühnenverein dazu beitragen kann, ist, die Rahmenbedingungen<br />
mit den Anforderungen der Zeit immer weiter<br />
zu entwickeln und damit die Kunst zu ermöglichen. Dabei<br />
ist es auch unsere Aufgabe, für die Theaterkunst, für das Musikleben<br />
politisch zu argumentieren. Und – das möchte ich an<br />
dieser Stelle sagen: Mit der Herausgabe der DEUTSCHEN BÜH-<br />
NE leistet der Bühnenverein auch einen Beitrag zur öffentlichen<br />
Wahrnehmung der Kunst, zur Auseinandersetzung mit der<br />
künstlerischen Seite des Theaters. Und das finde ich extrem<br />
wichtig. Wir dürfen uns nicht auf die Fragen der Rahmenbedingungen<br />
und auf die politische Diskussion zurückziehen, weil wir<br />
sonst an der Kunst vorbeileben. Und das kann sich ein Theaterund<br />
Orchesterverband nicht leisten. Persönlich darf ich ergänzen,<br />
dass mir diese Auseinandersetzung mit der Kunst die entscheidenden<br />
Impulse gegeben hat. Wenn einem der bürokratische<br />
Alltag des Bühnenvereins mal so richtig zum Halse<br />
heraushängt, dann hilft nur noch die Kunst. Sie hat mich immer<br />
motiviert, das zu tun, was unsere Aufgabe ist: bedingungslos für<br />
die Theater und Orchester weiterzukämpfen. So soll es bleiben.<br />
Denn ohne Theater, ohne Musik, ohne die Künste wäre unser<br />
Leben doch nur schwer zu ertragen.<br />
Unser <strong>Interview</strong>Partner<br />
<strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong> wird am 31. Dezember <strong>2016</strong> nach 25-jähriger<br />
Tätigkeit als Geschäftsführender Direktor des Deutschen<br />
Bühnenvereins in den Ruhestand gehen.<br />
- Geboren am 5. Juli 1950 in Gelsenkirchen<br />
- Studierte an der Universität Bonn Jura, Politische Wissen<br />
schaften und Geschichte und arbeitete zunächst als<br />
Rechtsanwalt in Bonn<br />
- 1982 bis 1991 im Justiziariat des Deutschlandfunks in Köln<br />
tätig, zuletzt als Leiter der Rechtsabteilung<br />
- Seit dem 1. Januar 1992 Geschäftsführender Direktor des<br />
Deutschen Bühnenvereins<br />
- In dieser Funktion ist <strong>Rolf</strong> <strong>Bolwin</strong> Mitherausgeber des im<br />
Decker-Verlag erschienenen Kommentars zum Bühnen- und<br />
Orchesterrecht<br />
- Zahlreiche Publikationen zur Struktur der Staats- und<br />
Stadttheater<br />
- Vorsitz des Beirates der Künstlersozialkasse<br />
- Mitglied des Kammerrates der Bayerischen<br />
Versorgungskammer<br />
- Mitglied in Ausschüssen der Bundesvereinigung der<br />
Arbeitgeberverbände<br />
- Präsident der Performing Arts Employers Associations<br />
League Europe (Pearle*), Dachverband der europäischen<br />
Arbeitgeberverbände für Theater und Orchester