Arbeitsdruck Nr. 43 - Der Paritätische NRW
Arbeitsdruck Nr. 43 - Der Paritätische NRW
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Editorial<br />
Neuer „Integrationsarbeitsmarkt“<br />
Endlich fällt das Tabu<br />
Integration ist ein positiver Begriff. Das gilt in Pädagogik und Psychologie ebenso wie in Gesellschaft<br />
und Politik. Gegenbegriffe sind Abgrenzung oder Ausgrenzung. <strong>Der</strong> Bielefelder Gewaltfor-<br />
scher Wilhelm Heitmeyer untersucht den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Ausgrenzung<br />
und Gewaltbereitschaft. Er konstatierte unlängst eine seit 20 Jahren zunehmende Ausgrenzung<br />
am unteren Ende der sozialen Leiter. <strong>Der</strong> psychologische Ausgrenzungseffekt, der bis<br />
tief in die Mittelschicht hinein reiche, sei durch die Agenda 2010 immens verstärkt worden. In<br />
seiner „Desintegrationstheorie” spielt der Zugang zu Arbeit und Einkommen eine zentrale Rolle.<br />
Die Zahl der Menschen, die dauerhaft aus dem<br />
Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden, nimmt selbst<br />
in Phasen abnehmender Arbeitslosigkeit zu.<br />
Die Bundesagentur für Arbeit hat in diesem Jahr<br />
die Diskussion um unbefristete Beschäftigung für<br />
langfristig nicht in reguläre Arbeit zu vermittelnde<br />
Menschen eröffnet – und so ein Tabu gebrochen,<br />
gegen das die freie Wohlfahrt seit vielen Jahren<br />
erfolglos vorging.<br />
Kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe legte der<br />
<strong>Paritätische</strong> zusammen mit DGB, Diakonie und<br />
AWO in Berlin eine gemeinsame Erklärung vor, die<br />
einen Zugang zu sinnvollen Arbeiten im sozialen<br />
und ökologischen Bereich für diese Personengruppen<br />
fordert.<br />
Integrationsarbeitsmarkt, öffentlich geförderte Beschäftigung,<br />
3. Arbeitsmarkt – das sind die Schlagworte<br />
zum Schwerpunkt dieser Ausgabe.<br />
Karl-Heinz Theußen und Michael Seligmann haben<br />
ein Grundsatzpapier vorgelegt, das sie für<br />
den arbeitsdruck im Auftaktartikel zusammenfassen.<br />
Es folgen ein neues kleines (aus Dortmund)<br />
und ein altes großes Beispiel (aus Schweden)<br />
für Modelle praktischer Umsetzung, ein Blick aus<br />
der Perspektive der Integrationsfirmen und eine<br />
Analyse der tatsächlichen Kosten der Arbeits-<br />
losigkeit; ferner ein Beitrag contra Kombilohn und<br />
pro Mindestlohn auf Bundesebene und ein Artikel<br />
über eine umstrittene Utopie: das bedingungslose<br />
Grundeinkommen. Weitere Beiträge befassen sich<br />
mit Qualitätsentwicklung bei paritätischen Arbeitsmarktdienstleistern,<br />
dem Kombilohn-Programm in<br />
<strong>NRW</strong>, gefolgt von weiteren Meldungen über gute<br />
Praxis bei Mitgliedern.<br />
Wir hoffen, dass die gesellschaftliche Integration<br />
von eingeschränkt leistungsfähigen Langzeitarbeitslosen<br />
künftig besser gelingt. Es wird den Einzelnen<br />
und der Gesellschaft insgesamt<br />
nützen. Dass Sie in diesem Heft<br />
etwas finden, das Sie gerne in Ihr<br />
Denken und Handeln integrieren<br />
wollen, das wünscht sich und<br />
Ihnen<br />
Werner Lüttkenhorst<br />
20. Jahrgang / Nummer <strong>43</strong><br />
November 2006<br />
Inhalt<br />
Schwerpunkt<br />
Drei, zwei, eins – meins? 2<br />
Auktion Arbeitsmarkt<br />
K.H. Theußen / Dr. M. Seligmann<br />
AGH – Flex 3<br />
Andreas Koch<br />
Integrationsunternehmen 5<br />
Basis für einen 3. Arbeitsmarkt?!<br />
Thomas Tenambergen<br />
Samhall 6<br />
schützenswert oder altmodisch?<br />
Marie Eriksson<br />
Wahre Kosten der Arbeitslosigkeit 8<br />
Dr. Rudolf Martens / Tina Hofmann<br />
Mindestlohn statt Kombilohn? 9<br />
Dr. Claus Schäfer<br />
Bedingungsloses Grundeinkommen? 11<br />
Martin Debener<br />
Qualität<br />
Qualität durch Qualitätsgemeinschaft 12<br />
Doris Rix<br />
Zertifizierte Qualität 14<br />
Helga Schröder / Doris Rix<br />
Einführung eines QMS 15<br />
Katharina Dammer<br />
Kombilohn<br />
Kombilohn <strong>NRW</strong> – Aktueller Stand 16<br />
Andreas Langer<br />
Kombilohn im Alltagseinsatz 18<br />
Andreas Langer / Elke Leuchtenberg<br />
Meldungen<br />
Entwicklungspartnerschaft 19<br />
auf Bundesebene<br />
Reiner Mathes<br />
Integrationsunternehmen Dalke 22<br />
Thomas Tenambergen<br />
EinLaden Espelkamp gGmbH 23<br />
Thomas Tenambergen<br />
Letzte Seite 24<br />
w w w . a r b e i t s d r u c k . d e
Schwerpunkt<br />
Diskussion I<br />
Für die tabulose Schaffung eines<br />
„Integrationsarbeitsmarktes”<br />
<strong>Der</strong> dritte Arbeitsmarkt, die dauerhafte und subventionierte Beschäftigung von<br />
Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt chancenlos sind, wird salonfähig.<br />
Karl-Heinz Theußen und Michael Seligmann beschreiben die Anforderungen an einen<br />
nachhaltig wirkenden Sonderarbeitsmarkt aus der Sicht eines Beschäftigungsträgers.<br />
Lesen Sie hier die Kurzfassung ihres Diskussionspapiers.<br />
Wenn der bislang erste Arbeitsmarkt für Millionen<br />
Menschen keine Jobs und auch keine<br />
Chancen mehr auf einen solchen bietet, der<br />
bislang zweite Arbeitsmarkt zur Baustelle verkommt<br />
(Rück- und Umbau für den Bundesfinanzminister),<br />
dann kommt der Zahlenfolge<br />
nach der dritte auf die politische Auktionsplattform.<br />
In manchen Diskussionsbeiträgen<br />
scheint bereits ein vierter auf – als nächstes<br />
stigmatisierendes Angebot.<br />
Die Furcht und die Tatsachen<br />
Über Jahre wurde auf den „Beipackzetteln”<br />
arbeitsmarktpolitischer Programme gebetsmühlenartig<br />
hauptsächlich vor den „Risiken<br />
und Nebenwirkungen” gewarnt. Ein nachgewiesener<br />
Arbeitsplatzabbau am ersten Arbeitsmarkt<br />
durch Arbeitsmarktpolitik ist bisher<br />
aber nicht belegbar, also reine Glaubenssache.<br />
Wirkliche Arbeitsplatzvernichtung findet<br />
an anderer Stelle und aus anderen Gründen<br />
statt, siehe BenQ, Allianz oder Airbus und die<br />
anderen alltäglichen Massenentlassungen.<br />
In der Arbeitsmarktpolitik ist es bislang wichtiger,<br />
auf die schier unmögliche Einhaltung<br />
fast schon tabuisierter Vorgaben wie Zusätzlichkeit,<br />
Wettbewerbsneutralität, Gemeinnützigkeit<br />
und öffentliches Interesse zu achten,<br />
als auf das Erreichen der eigentlichen Zielsetzung,<br />
der Arbeitsmarktintegration und der gesellschaftlichen<br />
Teilhabe. Wir schlagen daher<br />
vor, die Tabus zu missachten und das Ziel<br />
„Gesellschaftliche Integration durch Arbeit für<br />
Alle” zu verfolgen.<br />
Vom Wettbewerbsarbeitsmarkt<br />
Ausgeschlossene<br />
Die deutsche Gesellschaft ist durch Erwerbsarbeit<br />
geprägt. Bevölkerungsgruppen, die nicht<br />
in der Lage sind einer Erwerbsarbeit nachzugehen<br />
– Kinder und Jugendliche, RentnerInnen,<br />
Frauen in Erziehungs- und Pflegezeiten,<br />
Arbeitslose – haben ein geringeres politisches<br />
Gewicht als Unternehmen und Arbeitnehmende.<br />
Das Selbstbewusstsein jedes Einzelnen<br />
wird wesentlich durch diese Positionen bestimmt.<br />
Wer Erwerbsarbeit „gibt” und wer<br />
sie „nimmt” hat einen definierten Platz und<br />
davon abgeleitet auch seine/ihre Familienangehörigen.<br />
Wer keine Erwerbsarbeit hat<br />
oder sich nicht im „wohlverdienten” Ruhestand<br />
befindet, dessen Selbstwert sinkt, mit<br />
den bekannten psychischen und körperlichen<br />
Folgen. Selbst das arbeitgebernahe Institut<br />
der deutschen Wirtschaft in Köln kommt zu<br />
dem Schluss: „Damit belastet Arbeitslosigkeit<br />
sogar etwas stärker als Geldmangel”.<br />
<strong>Der</strong> Mensch lebt nicht vom Brot allein<br />
Alimentierte Grundsicherung ist nicht alles.<br />
Tätigsein gehört zum Wesen des Menschen<br />
dazu. Immer wieder sagen uns Menschen in<br />
Arbeitsgelegenheiten, dass sie diese Arbeit<br />
gerne länger leisten würden, bis sie eine<br />
Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt finden.<br />
Ein anerkannter Integrationsarbeitsmarkt<br />
sollte eine solche selbst gewünschte Teilhabe<br />
ermöglichen. Ziel eines Integrationsarbeitsmarktes<br />
ist die nicht stigmatisierende<br />
Integration der vom heutigen ersten Arbeits-<br />
Karl-Heinz Theußen<br />
Drei, zwei, eins – meins?<br />
Auktion Arbeitsmarkt!<br />
Dr. Michael Seligmann<br />
markt mit mittel- und langfristiger Prognose<br />
ausgeschlossenen Langzeitarbeitslosen als<br />
vollwertige Mitglieder in die Gesellschaft.<br />
Dieser Arbeitsmarkt verfolgt primär sozialpolitische<br />
Ziele mit einer arbeitsmarktlichen<br />
Ausrichtung.<br />
Plädoyer für einen ungeteilten<br />
Gesamtarbeitsmarkt<br />
Zukünftig sollte statt weiterer Grenzziehungen<br />
von einem ungeteilten Gesamtarbeitsmarkt<br />
ausgegangen werden. Zu diesem gehören<br />
erkennbare Teil- oder Sonderarbeitsmärkte.<br />
Folgender Umriss wird vorgeschlagen:<br />
1) <strong>Der</strong> Wettbewerbsarbeitsmarkt, der zumeist<br />
einen existenzsichernden Lohn ermöglicht.<br />
Die Regeln sind durch Tarifpolitik,<br />
Arbeits- und Wirtschaftsgesetzgebung<br />
usw. bestimmt. Öffentliche Ressourcen<br />
werden aus wirtschaftspolitischen Überlegungen<br />
fördernd eingesetzt.<br />
2) <strong>Der</strong> Brückenarbeitsmarkt, der auf einen<br />
Arbeitsmarkt mit Existenz sichernden Löhnen<br />
zielt. Hier finden sich zeitlich begrenzt<br />
subventionierte sozialversicherungspflichtige<br />
Beschäftigungsinstrumente (§ 16 Abs.<br />
3 SGB II ABM / Entgeltvariante u.ä.), Mini<br />
Jobs, kleine Selbstständige u.ä. für diejenigen<br />
(Langzeit-) Arbeitslosen oder von<br />
(Langzeit-) Arbeitslosigkeit Bedrohten, die<br />
mittelfristig eine Chance auf den Übergang<br />
in den nicht alimentierten Arbeitsmarkt<br />
haben. Die politisch dafür zu setzenden<br />
2 arbeitsdruck 11/06
Rahmenbedingungen ermöglichen nur<br />
den Übergang. Davon leiten sich seine<br />
Grenzen wie „Wettbewerbsneutralität”<br />
und „Zusätzlichkeit” sowie seine strikte<br />
„arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeit” ab.<br />
<strong>Der</strong> Übergang soll effektiv erreicht werden.<br />
3) <strong>Der</strong> Integrationsarbeitsmarkt. Er bietet<br />
a) in gewinnorientierten sozialen Unternehmen<br />
sozialversicherungspflichtige (auch<br />
tariflich einordbare) Entlohnung.<br />
b) in nicht gewinnorientierten sozialen Organisationen<br />
eine Entlohnung auf Basis der<br />
Transferleistungen zuzüglich pauschalierter<br />
Arbeitsanreize.<br />
Das Ziel ist die dauerhafte individuelle Integration<br />
in die Arbeitsgesellschaft. Im Integrationsarbeitsmarkt<br />
werden diejenigen Langzeitarbeitslosen<br />
beschäftigt, die auch mittelfristig<br />
nicht in den Wettbewerbsarbeitsmarkt übergehen<br />
werden. Er schließt diesen Übergang<br />
nicht aus, zielt aber nicht systematisch auf<br />
ihn ab.<br />
Praxismodell<br />
AGH – Flex<br />
Verlässliche und flexible Beschäftigungsförderung<br />
in sozialen Unternehmen<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
Schwerpunkt<br />
In Dortmund arbeitet die Interessengemeinschaft sozialgewerblicher Beschäftigungsinitiativen (ISB e.V.)<br />
gemeinsam mit der JobCenter ARGE aktuell an einem Modell zur Umsetzung von längerfristigen bedarfsgerechten<br />
Beschäftigungs- und Qualifizierungsangeboten für ALG II-Empfängerinnen und Empfängern. Andreas Koch<br />
Hintergrund<br />
Bereits seit Beginn der Erprobung von Arbeitsgelegenheiten<br />
(AGH) mit Mehraufwandsentschädigung<br />
(den sog. „Euro Jobs”) hat der<br />
ISB e.V. sich dafür eingesetzt, dass sie nicht<br />
die einzige Variante der Beschäftigungsförderung<br />
sein dürfen und hat eingefordert, die<br />
gesetzlichen Möglichkeiten des § 16 SGB II<br />
zur Schaffung von Arbeitsgelegenheiten mit<br />
der Zahlung tariflichen Entgelts zu nutzen.<br />
So gelang es bereits Anfang 2005 im Beirat<br />
der ARGE das sogenannte „Dortmunder Modell”<br />
zu verankern, das vorsieht, 10% aller<br />
Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante<br />
durchzuführen. Von diesen werden 2/3 der<br />
Einsatzfelder in der Sozialwirtschaft umge-<br />
Die politisch zu setzenden Rahmenbedingungen<br />
ermöglichen eine dauerhafte Arbeitsperspektive<br />
für die vorgesehene Zielgruppe. Die<br />
dort geschaffenen Arbeitsplätze stehen unter<br />
dem Diktum der „Zusätzlichkeit” und des<br />
höchstmöglichen sozialpolitischen Nutzens.<br />
Kernpunkte des Diskussionspapiers „Drei,<br />
zwei, eins – meins? Auktion Arbeitsmarkt!”<br />
zu den Aufgaben, der Funktion und dem<br />
Wesen eines Integrationsarbeitsmarktes sind<br />
die im Vordergrund stehende unternehmerische<br />
Haltung und das Risiko, welche an<br />
sozialpolitischen Zielen ausgerichtete Beschäftigungsunternehmen<br />
aufweisen und<br />
eingehen. Um dauerhafte Arbeitsplätze auf<br />
dem Integrationsarbeitsmarkt zu schaffen ist<br />
die Förderung einer notwendigen Infrastruktur<br />
ebenso erforderlich wie der geregelte Marktzugang.<br />
Einnahmen am Markt und Kostendeckungsbeiträge<br />
der Träger der Grundsicherung<br />
sollen eine nachhaltige sozialpolitische<br />
Arbeitsmarktförderung sichern. Dazu bedarf<br />
es eines regulierten regionalisierten und<br />
regelmäßig überprüften Zugangsverfahrens<br />
für Beschäftigte und Unternehmen/Organi-<br />
setzt, 1/3 bei Handwerksbetrieben. Das Modell<br />
erwies sich als so erfolgreich (Evaluation<br />
des IAB: über 60% Integrationsquote), dass<br />
inzwischen das Landesprogramm „JobTrainer<br />
<strong>NRW</strong>” diesen Ansatz für KMU aufgegriffen<br />
hat. Mittlerweile ist der Anteil der Entgeltvariante<br />
an allen Arbeitsgelegenheiten in Dortmund<br />
deutlich erhöht worden und soll im<br />
Jahr 2007 bis auf 30% erhöht werden. Die<br />
Förderdauer von sozialversicherungspflichtigen<br />
AGH beträgt zurzeit maximal 11 Monate.<br />
Vom ISB e.V. aber auch von den Vertretern<br />
des Handwerks und der Gewerkschaften wurde<br />
immer wieder darauf hingewiesen, dass<br />
diese Förderungsdauer für einige Zielgruppen<br />
nicht ausreicht, um sie zu integrieren, bzw.<br />
sationen. Basis ist die an der Realität ausgerichtete<br />
individuelle Beschäftigungsprognose<br />
auf dem Wettbewerbsarbeitsmarkt<br />
durch ein beschäftigungsorientiertes Fallmanagement<br />
der Jobcenter bzw. Optionskommunen.<br />
Das ausführliche Diskussionspapier ist unter<br />
www.sci-moers.de herunterladbar.<br />
Karl-Heinz Teußen /<br />
Dr. Michael Seligmann<br />
Zu den Autoren<br />
Karl-Heinz Theußen ist Geschäftsführer,<br />
sci:moers gGmbH<br />
E-Mail:<br />
Karl-heinz-theussen@sci-moers.de<br />
Dr. Michael Seligmann ist Inhaber<br />
der Seligmann Consulting Münster<br />
E-Mail: info@seligmannconsulting.de<br />
dass einige Menschen dauerhafte Förderung<br />
benötigen, um ihre Minderleistung auszugleichen.<br />
Bereits im Jahr 2005 formulierte daher<br />
der ISB e.V. die Forderung nach einer bis zu<br />
5 jährigen Förderung für bestimmte Zielgruppen<br />
(z.B. 55+). Die ARGE folgte dieser Forderung<br />
nicht.<br />
Auf Bundesebene wurden die Bemühungen,<br />
die Möglichkeit zu schaffen, einen längerfristigen<br />
Minderleistungsausgleich zu ermöglichen<br />
weiter intensiviert. <strong>Der</strong> ISB e.V. nahm<br />
an mehrere Hearings in Berlin mit Bundestagsabgeordneten<br />
von SPD und Bündnis<br />
90/Die Grünen teil. Es wurden Berechnungen<br />
veröffentlicht, die nachwiesen, dass die<br />
3
Schwerpunkt<br />
„1-Euro-Jobs” mitnichten die volkswirtschaftlich<br />
preiswertere Alternative sind. Um ARGEnund<br />
Optionskommunen von diesem Modell<br />
zu überzeugen, die das in Bezug auf ihren<br />
Eingliederungstitel natürlich anders sehen,<br />
wurde der sogenannte Passiv-Aktiv-Transfer,<br />
die Aktivierung der passiven Mittel (Verwaltungskosten<br />
der ARGE, ALG II und KdU) für<br />
Beschäftigungsmaßnahmen gefordert, um<br />
künftig „Arbeit statt Arbeitslosigkeit” zu finanzieren.<br />
<strong>Der</strong> dauerhafte „X-te Arbeitsmarkt”<br />
Mit dem deutschen Fürsorgetag kam im Mai<br />
2006 durch einen Fachvortrag der Bundesagentur<br />
für Arbeit neue Dynamik in die Dortmunder<br />
Diskussionen um längerfristige Förderungsmöglichkeiten.<br />
Im Juni 2006 legte<br />
der ISB e.V. der Geschäftsführung der ARGE<br />
eine erste Projektskizze für einen möglichen<br />
Dortmunder Einstieg in das Thema vor. Das<br />
Konzept wurde durch eine Arbeitsgruppe aus<br />
ARGE und ISB in 3 gemeinsamen Sitzungen<br />
diskutiert und fortentwickelt. Dabei bestand<br />
immer Konsens, dass nicht auf Weisungen<br />
aus Berlin oder Nürnberg gewartet werden<br />
sollte, sondern dass das Konzept unter den<br />
Bedingungen des SGB II mit den bisherigen<br />
Instrumenten umgesetzt werden kann, wenn<br />
alle Beteiligten sich auf einen inhaltlichen und<br />
finanziellen Rahmen verständigen. Vorgabe<br />
war dabei, dass eine Umsetzung die ARGE<br />
nicht teurer kommt, als die bisherigen Kosten<br />
der Arbeitslosigkeit. Über diese Begrifflichkeit<br />
lässt sich natürlich streiten. Die JobCenter<br />
ARGE beziffert die durchschnittlichen Kosten<br />
der Arbeitslosigkeit in Dortmund zwischen<br />
1.300 € und 1.500 €. In diesem Bereich<br />
liegt das Gros der Fälle und in diesem Bereich<br />
soll sich auch die Förderhöhe bewegen und<br />
zwar inklusive Minderleistungsausgleich,<br />
Qualifizierung und sozialpädagogischer Begleitung.<br />
Eine Einigung steht noch aus.<br />
Vorhandene Instrumente reichen aus<br />
<strong>Der</strong> ISB e.V. lehnt die Begrifflichkeit des<br />
„3. Arbeitsmarktes” ab, da er zu einer weiteren<br />
Aufspaltung des Arbeitsmarktes führt und<br />
die Gefahr der weiteren Ausgrenzung (bzw.<br />
Lock-in Effekten) und Stigmatisierung für die<br />
Betroffenen mit sich<br />
bringt. Ausgangspunkt<br />
der Dortmunder<br />
Überlegungen<br />
ist, dass die vorhandenen<br />
Instrumente<br />
ausreichen und<br />
lediglich in Bezug<br />
auf die Förderdauer<br />
flexibilisiert und<br />
den individuellen<br />
Erfordernissen des<br />
Langzeitarbeitslosen<br />
angepasst werden<br />
müssen. Das<br />
SGB II macht keine<br />
Vorgaben hinsichtlicht<br />
der Förderdauer.<br />
In regelmäßigen<br />
Abständen soll zwischen dem Integrationsbeschäftigten,<br />
dem persönlichen Ansprechpartner<br />
/Fallmanager und dem Träger der<br />
weitere Hilfebedarf und damit auch die Förderungsdauer<br />
geklärt werden. Für den Träger<br />
sollen Integrationsanreize aufgebaut (Vermittlungsprämien),<br />
beim Beschäftigten erhalten<br />
werden (armutsfester aber niedriger Tarif). All<br />
diese Maßnahmen dienen der Vermeidung<br />
der Schaffung eines geschlossenen abgekoppelten<br />
Arbeitsmarktes („Einmal Arbeitnehmer<br />
dritter Klasse, immer…”)<br />
AGH – Flex<br />
Die verlässliche, flexible am Einzelfall orientierte<br />
Beschäftigungsförderung soll folgenden<br />
Rahmenbedingungen entsprechen:<br />
• Erprobungsphase 2 Jahre, Fortführung<br />
geplant, bis zu 100 Arbeitsplätze beim<br />
ISB e.V.<br />
• Arbeitsfelder zwischen Markt und Staat<br />
(III. System), gemeinwohlorientiert<br />
• Projekt zielt auf notwendige Einnahmen<br />
und gleichberechtigte Teilhabe am Wettbewerb;<br />
Mitnahmeeffekte und Wettbewerbsverzerrung<br />
sind auszuschließen<br />
• Zielgruppe: Personen, die keine Chancen<br />
auf dem Arbeitsmarkt haben; Schwerpunkt:<br />
ältere LZA über 55 J.<br />
• Arbeitsplatzbezogene fachliche und persönliche<br />
Begleitung<br />
Die Dortmunder Interessengemeinschaft sozialgewerblicher Beschäftigungsinitiativen<br />
(ISB e.V.) ist der Zusammenschluss von freien Trägern, die berufliche Beratungsangebote<br />
für arbeitslose Menschen anbieten und Beschäftigungs- und Qualifizierungsangebote<br />
aller Art durchführen. Ihr gehören 17 Träger aus 5 Wohlfahrtsverbänden an<br />
(6 davon sind Paritäter). <strong>Der</strong> ISB e.V. vertritt 591 Beschäftigte im Regiebereich und<br />
9.800 Arbeitslose jährlich, die an ihren Angeboten teilnehmen (Stichtagserhebung<br />
zum 31.12.2005).<br />
Das Projekt JAWoLL (Jugend, Arbeit, Wohnen, Leben, Lernen) der GrünBau GmbH<br />
gewann den Dritten Platz beim Deichmann-Förderpreis gegen Jugendarbeitslosigkeit 2006.<br />
• Vergütung: sozialversicherungspflichtig<br />
und „armutsfest”<br />
• Teilnahme für ALG-II-Empfänger freiwillig<br />
• Regelmäßige Überprüfung der<br />
Integrationsfähigkeit<br />
• Bei erfolgreicher Integration Prämie von<br />
3 Monatsabschlägen<br />
• Projekte und Arbeitsverträge sind auf<br />
Dauerhaftigkeit angelegt<br />
• Vor Aufnahme Testphase zur Teilnehmer-<br />
auswahl; Vorschaltung von AGH mit<br />
Mehraufwand oder anderen Maßnahmen<br />
ist erwünscht<br />
• Träger haben die Möglichkeit,<br />
Teilnehmer abzuweisen<br />
• Kostenbeteiligung des Trägers linear<br />
ca. 25% (Modellrechnung, letztes<br />
Trägerangebot)<br />
Die Verhandlungen sollen bis zum Jahreswechsel<br />
abgeschlossen werden. Ziel ist der<br />
Start von AGH-Flex in den ersten Wochen<br />
2007.<br />
Weitere Informationen<br />
www.isb-dortmund.de<br />
www.diakonie.de ➥Passiv-Aktiv-Transfer<br />
Zum Autor<br />
Andreas Koch ist Geschäftsführer der<br />
GrünBau GmbH und Vorstandsmitglied<br />
im ISB e.V.<br />
Tel. 02 31/8 40 96-36<br />
akoch@gruenbau-dortmund.de<br />
4 arbeitsdruck 11/06
Diskussion II<br />
Integrationsunternehmen<br />
Basis für einen „3.” Arbeitsmarkt?!<br />
Die Integrationsunternehmen werden in der Fachdiskussion um einen 3. Arbeitsmarkt regelmäßig<br />
ins Gespräch gebracht. Das Instrument der beruflichen Integration behinderter Menschen ist eine erfolgreiche<br />
Möglichkeit Menschen dauerhaft in den Arbeitsmarkt zu integrieren.<br />
Vor 25 Jahren wurden – noch unter dem<br />
Titel Selbsthilfefirmen – die ersten Integrationsunternehmen<br />
in Deutschland gegründet.<br />
<strong>NRW</strong> war hier ein Vorreiter.<br />
Integrationsunternehmen<br />
gesetzlich verankert<br />
Es dauerte ca. 20 Jahre, bis der Gesetzgeber<br />
das Instrument des Integrationsprojektes<br />
in das Gesetzeswerk zur Rehabilitation<br />
und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX)<br />
aufgenommen hat und ihm dadurch einen<br />
offiziellen Status verlieh. Im § 132 SGB IX<br />
heißt es:<br />
§132 SGB IX<br />
„Integrationsprojekte sind rechtlich<br />
und wirtschaftlich selbständige Unternehmen<br />
(Integrationsunternehmen)<br />
oder unternehmensinterne oder von<br />
öffentlichen Arbeitgebern im Sinne<br />
des § 71 Abs. 3 geführte Betriebe<br />
(Integrationsbetriebe) oder Abteilungen<br />
(Integrationsabteilungen) zur<br />
Beschäftigung schwerbehinderter<br />
Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt,<br />
deren Teilhabe an einer<br />
sonstigen Beschäftigung auf dem<br />
allgemeinen Arbeitsmarkt auf Grund<br />
von Art und Schwere der Behinderung<br />
oder wegen sonstiger Umstände voraussichtlich<br />
trotz Ausschöpfens aller<br />
Fördermöglichkeiten und des Einsatzes<br />
von Integrationsfachdiensten auf<br />
besondere Schwierigkeiten stößt.”<br />
Gemeinwohlorientierte Arbeit<br />
Auf dem 3. Arbeitsmarkt sollen Arbeitsstellen<br />
akquiriert werden, die dem Gemeinwohl zu<br />
Gute kommen und nicht bereits am Markt bestehen<br />
oder dort bestehen können. Die Stellen<br />
leiten sich ab aus dem Gemeinwohlbedarf der<br />
Gesellschaft und den eingeschränkten bzw.<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
fehlenden Mitteln für diese Aufgabenbereiche.<br />
Die Begrenztheit der Mittel der Kommunen,<br />
Kreise oder weiterer öffentlicher Behörden öffnet<br />
einen eingeschränkten abzudeckenden<br />
Aufgabenbereich. Die gemeinwohlorientierten<br />
Tätigkeiten sollten finanziert werden durch die<br />
pragmatische Umwidmung von öffentlichen<br />
Transfer- und Eingliederungsleistungen zu<br />
Gehältern für gemeinwohlorientierte Arbeitsstellen.<br />
<strong>Der</strong> Ansatz des gemeinwohlorientierten dritten<br />
Arbeitsmarktes beinhaltet die Zusätzlichkeit<br />
und vollständige Dauersubventionierung der<br />
Arbeitsstellen und des Trägers. Dies steht<br />
im Widerspruch zum Ansatz des wirtschaftsnahen<br />
Integrationsunternehmens nach SGB<br />
IX. Die konzeptionelle wie auch organisatorische<br />
Struktur von Integrationsunternehmen,<br />
abgesehen vom wirtschaftsnahen Auftreten,<br />
ist aber für den dritten Arbeitsmarkt sehr wohl<br />
zu übernehmen.<br />
Arbeitsplätze auf Dauer<br />
Integrationsunternehmen sind gemeinnützig.<br />
Ihre Aufgabe ist die berufliche Integration<br />
und die soziale Integration behinderter Menschen.<br />
Integrationsunternehmen bieten ihren<br />
MitarbeiterInnen sozialversicherungspflichtige<br />
Arbeitsplätze und damit das allgemeine soziale<br />
Absicherungssystem der Gesellschaft.<br />
Die Arbeitsplätze sind auf Dauer angelegt<br />
und geben eine Perspektive, die über die<br />
Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung<br />
und befristeten Beschäftigung hinausgehen.<br />
Integrationsunternehmen stabilisieren die<br />
benachteiligten Menschen im täglichen Leben.<br />
Die klare Tagesstruktur, die fortlaufende<br />
Erfahrung, am Arbeitsplatz benötigt und gefordert<br />
zu werden und die Berücksichtigung<br />
der individuellen Defizite sind die Grundlage<br />
dafür, dass z.B. bei psychisch behinderten<br />
Menschen die Rückfallquote in eine akute<br />
Erkrankung und damit der Aufenthalt in stationären<br />
Einrichtungen erheblich verringert<br />
wird.<br />
Schwerpunkt<br />
Thomas Tenambergen<br />
Rechtliche Selbstständigkeit<br />
Ein weiterer Vorteil des Integrationsunternehmens<br />
ist die vom Gesetzgeber geforderte<br />
rechtliche Selbständigkeit. Sie verhindert,<br />
dass die Kommune als Auftraggeber gemeinwohlorientierter<br />
Tätigkeiten gleichzeitig<br />
Arbeitgeber der benachteiligten Menschen ist.<br />
Die kommunale Selbstverwaltung sollte über<br />
die Einbindung eines politischen Gremiums<br />
die Aufgabengebiete eines gemeinwohlorientierten<br />
Arbeitsmarktes Vorort definieren, die<br />
Behörde als Auftraggeber gegenüber dem<br />
Integrationsunternehmen auftreten und das<br />
Integrationsunternehmen als Arbeitgeber und<br />
Vertreter der benachteiligten Mitarbeiter eigenständig<br />
sein.<br />
Integrationsunternehmen für<br />
Nichtbehinderte<br />
Integrationsunternehmen könnten bereits heute<br />
als Anbieter eines 3. Arbeitsmarktes auftreten.<br />
Die Vorgabe des Gesetzgebers, dass in<br />
Integrationsunternehmen mindestens 25%<br />
und max. 50% schwerbehinderte Menschen<br />
zu beschäftigen sind, ist ein wichtiger Ansatz.<br />
Er fördert den Gedanken der sozialen Integration.<br />
In der Praxis werden bereits heute neben<br />
den behinderten Menschen große Gruppen<br />
nichtbehinderter und nicht benachteiligter<br />
Menschen, aber auch benachteiligte Personen<br />
eingestellt. Letztere werden hier oft nicht<br />
oder nur durch befristete arbeitsmarktpolitische<br />
Maßnahmen öffentlich gefördert. Eine<br />
Vermischung von verschiedenen Gruppen<br />
benachteiligter Personen ist also möglich,<br />
vorausgesetzt das Unternehmen hält eine<br />
Unterstützungsstruktur vor, oder arbeitet mit<br />
dieser eng zusammen. Diese kann die individuellen<br />
Defizite der beschäftigten Personen<br />
einschätzen und im Bedarfsfalle notwendige<br />
spezifische Unterstützung anbieten.<br />
Im Zuge eines gemeinwohlorientierten Ansatzes<br />
ist eine kontinuierliche finanzielle Unterstützung<br />
und Gleichstellung aller Mitarbeiter<br />
im Integrationsunternehmen notwendig.<br />
5
Schwerpunkt<br />
Dies schließt nicht die personenbezogene<br />
ergänzende Förderung z.B. zur Einrichtung<br />
eines behinderungsgerechten Arbeitsplatzes<br />
aus. Ein grundlegendes Vergütungssystem<br />
im Niedriglohnbereich mit kleinen anteiligen<br />
Anreizen bezogen auf die Leistung, kann hier<br />
Gleichstellung und Ansporn zugleich fördern.<br />
Eine Einstufung für den Zugang und die Feststellung<br />
der Minderleistung des Mitarbeiters<br />
zum Einstieg und deren Neufestsetzung im<br />
Bedarfsfalle kann über den Fallmanager erfolgen.<br />
Die im § 133 SGB IX ergänzend benannten<br />
Aufgaben eines Integrationsunternehmens<br />
haben eine besondere Bedeutung, da neben<br />
der Beschäftigung und arbeitsbegleitenden<br />
Betreuung auch weitergehende Maßnahmen<br />
und Unterstützungsformen angeboten werden<br />
sollen. Im Rahmen eines 3. Arbeitsmarktes<br />
sollten diese in enger Kooperation mit<br />
bestehenden Angeboten in der Region umgesetzt<br />
werden. Im Integrationsunternehmen<br />
steht hier, wie bereits heute in der Praxis, die<br />
Beschäftigung, arbeitsbegleitende Betreuung<br />
und die Umsetzung der betriebenen Gewerke<br />
im Mittelpunkt.<br />
Schwedisches Modell<br />
Samhall<br />
Samhall, das schwedische Modell eines dauerhaft öffentlich geförderten Arbeitsmarkts<br />
für Menschen mit Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, galt über lange Jahre in Deutschland<br />
als Vorbild. Marie Eriksson, die Fachjournalistin und Arbeitsmarktexpertin aus<br />
Stockholm, berichtet für den arbeitsdruck über aktuelle Untersuchungen und Diskussionen,<br />
die Jahrzehnte nach dem Aufbau eines dauer-subventionierten Integrations-<br />
Arbeitsmarktes in Schweden aktuell und für die hiesige Entwicklung interessant sind.<br />
„Hoffnungslos unzeitgemäß”. „Dem Betrieb<br />
ging es viel zu lange viel zu gut”. „Ist seine<br />
Existenz überhaupt gerechtfertigt? Nicht<br />
wirklich, nun ja, vielleicht, aber nur, wenn es<br />
stark verschlankt wird und ein ordentliches<br />
Facelifting bekommt.” Samhall, die staatseigene<br />
Firma, die geschützte Beschäftigung<br />
für Behinderte bietet, ist von vielen Seiten<br />
seit Jahren kritisiert worden. So zum Beispiel<br />
in einer aktuellen Erhebung der Regierung.<br />
„Wir sind offen gegenüber großen Veränderungen<br />
und auch Wettbewerb.” So Anna-Karin<br />
Hedlund, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit<br />
bei Samhall.<br />
Fazit<br />
Integrationsunternehmen<br />
bieten konzeptionelle<br />
Ansätze und<br />
eine Organisationsstruktur<br />
an, die gut für<br />
die Umsetzung eines<br />
3. Arbeitsmarktes genutzt<br />
werden können.<br />
Gleichzeitig sollten<br />
bestehende Integrationsunternehmen<br />
bei<br />
der Übernahme von<br />
gemeinwohlorientierten<br />
Aufgaben eine deutliche<br />
Trennung vom<br />
marktorientierten Teil des Trägers vornehmen.<br />
Dem Gesetzgeber muss klar sein, dass die<br />
Umsetzung von gemeinwohlorientierten Aufgaben<br />
in Integrationsunternehmen eine volle<br />
Übernahme der Kosten der Mitarbeiter inklusive<br />
des Anleitungs- und Betreuungspersonals<br />
voraussetzt, da für diese Stellen besonders<br />
benachteiligte Arbeitslose angesprochen<br />
werden und nicht Marktumsatz sondern<br />
gesellschaftlicher Mehrwert im Vordergrund<br />
steht.<br />
Thomas Tenambergen<br />
Schützenswert oder altmodisch?<br />
Seit den 1960er Jahren<br />
Geschützte Beschäftigung, also ein System,<br />
das Beschäftigung, Rehabilitation und Eingliederung<br />
beinhaltet, existiert in Schweden<br />
seit den 1960er Jahren. Es bietet Arbeit für<br />
Menschen mit Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit.<br />
Anfangs wurde geschützte Beschäftigung<br />
von verschiedenen Mitwirkenden angeboten,<br />
aber in den 80er Jahren wurde<br />
Samhall die Verantwortung hierfür von der<br />
Regierung übertragen. <strong>Der</strong> Staat trägt jedes<br />
Jahr 4 Milliarden Schwedische Kronen bei<br />
(ca. 414 Mio €, d. Red.); dies sind 50% des<br />
Gesamtumsatzes von Samhall.<br />
Zum Autor<br />
Thomas Tenambergen ist<br />
Projektentwickler/Fachberater im<br />
<strong>Paritätische</strong>n Landesverband.<br />
Tel.: 0 25 72/ 820 23<br />
E-Mail: tenambergen@paritaet-nrw.org<br />
Marie Eriksson<br />
Mit Stolz gegen die Konkurrenz<br />
Samhall beschäftigt ca. 21.000 arbeitsunfähige<br />
Menschen an 250 Stellen im ganzen<br />
Land. Diese verdienen durchschnittlich<br />
17.000 Schwedische Kronen im Monat (ca.<br />
1.759 €, d. Red.). Ursprünglich war Samhall<br />
ein weitestgehend industrieller Betrieb, doch<br />
den Schwerpunkt bilden nun Dienstleistungen.<br />
Die Mitarbeiter bieten von Autoteilen<br />
bis Büroreinigung alles zu Marktpreisen an.<br />
„Kunden zu beliefern ist der Kern der betrieblichen<br />
Tätigkeit” sagt Anna-Karin Hedlund.<br />
„Unsere Mitarbeiter können stolz sagen:<br />
‘Wir haben dies im Angesicht starker<br />
6 arbeitsdruck 11/06
Konkurrenz von anderen Firmen geschafft’<br />
und das fördert echte Berufszufriedenheit. Unsere<br />
Kunden merken häufig an, wie fröhlich<br />
und enthusiastisch unsere Mitarbeiter sind.<br />
Dies gibt dem Ganzen etwas Besonderes,<br />
eine weitere Dimension.”<br />
Defizitorientiert und stigmatisierend?<br />
Samhalls Auftrag ist es „sinnvolle und förderliche<br />
Jobs für Arbeitsunfähige zu schaffen”<br />
und dabei als kommerzieller Betrieb aufzutreten,<br />
der Produkte und Dienstleistungen<br />
anbietet. Wurde dieses erreicht? Was sagen<br />
externe Experten? <strong>Der</strong> Wissenschaftler<br />
Mikael Holmqvist behauptet, dass Samhall<br />
Erwerbsunfähigkeit erzeugt, indem es Menschen<br />
beibringt, eine bestimmte soziale Rolle<br />
zu übernehmen. Diese Rolle ist stigmatisiert:<br />
Personen werden dabei aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit<br />
identifiziert, nicht aufgrund<br />
der Dinge, die sie eigentlich können.<br />
Sinn statt Gewinn<br />
Jan Rydh, der eine frühere Erhebung der<br />
Regierung durchführte, ist ebenfalls kritisch.<br />
„Menschen werden zu Samhall geschickt,<br />
wo der Focus darauf liegt, was diese Menschen<br />
nicht können, statt zu fragen: „Was<br />
möchtest Du aus Deinem Leben machen?”<br />
Samhall ist ein Betrieb, der kostendeckend<br />
oder gewinnbringend arbeiten muss. Dies hat<br />
Vorrang vor dem Aufwand zur Befriedigung<br />
der Bedürfnisse Einzelner.” Eine der vielen<br />
Anregungen in Jan Rydh's Erhebung „Inte<br />
bara Samhall” (Nicht nur Samhall), die 2003<br />
veröffentlicht wurde (www.regeringen.se/sb/<br />
d/108/a/1924), ist der Vorschlag, dass die<br />
Firma zunächst die Ziele, Bedürfnisse und<br />
Wünsche jedes einzelnen ihrer Mitarbeiter ermitteln<br />
und darauf ihre Aktivitäten abstimmen<br />
sollte. „In dieser Sache haben wir die gleiche<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
Ansicht wie Jan Rydh, dass wir unsere Arbeit<br />
auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Einzelnen<br />
abstimmen sollten” sagt Anna-Karin<br />
Hedlund.„Samhall hat in der Folge der Untersuchung<br />
die Kritik zur Kenntnis genommen<br />
und Fortschritte gemacht. Unser Erfolg dabei<br />
hängt zu einem großen Teil von unserer Kompetenz<br />
im Management ab. Die Mitarbeiter,<br />
die Arbeitsgruppen betreuen, wurden speziell<br />
ausgebildet sensibel mit individuellen Differenzen<br />
und Bedürfnissen umzugehen. Sie<br />
bieten Coaching und Unterstützung, wenn<br />
nötig und können Einzelnen andere Jobs<br />
geben, wenn sie dies wünschen.”<br />
Arbeit an der Basis<br />
<strong>Der</strong> Bildungsstand unter den Arbeitsunfähigen<br />
ist generell niedrig, obwohl es Ausnahmen<br />
gibt wie z.B. eine Gruppe von Lehrern<br />
in Härnösand. Das Durchschnittsalter<br />
bei Samhall ist hoch, Beschäftigte zwischen<br />
45 – 54 bilden die größte Gruppe. 46 Prozent<br />
der Mitarbeiter sind Frauen. Die Beschäftigten<br />
hier haben immer häufiger sowohl körperliche<br />
als auch geistige Behinderungen. „Es<br />
passiert dass Mitarbeiter wieder ganz von<br />
vorne anfangen müssen, wenn sie krank oder<br />
im Urlaub waren” sagt Anna-Karin Hedlund.<br />
„Zum Beispiel müssen sie sich wieder daran<br />
gewöhnen, morgens aufzustehen und den<br />
Bus zu Samhall zu erreichen; für einige Menschen<br />
ist das schwierig. In solchen Fällen<br />
können die Betreuer zu ihnen nach Hause<br />
kommen und helfen. Wenn sich jemand<br />
besonders schwach fühlt, können wir die<br />
Besetzung verdoppeln. Dies macht uns als<br />
Betrieb einzigartig.”<br />
Vermittlungsziel 5%<br />
Doch viele Personen bleiben bei Samhall<br />
hängen, meint Jan Rydh. Die meisten von<br />
Schwerpunkt<br />
ihnen brauchen viel zu lange, um auf den<br />
regulären Arbeitsmarkt zurückzukehren,<br />
wenn sie es überhaupt schaffen. Daher<br />
würde er die Einführung eines öffentlichen<br />
Programms für geschützte Beschäftigung<br />
(das ASA Programm) begrüßen, in dem<br />
neben Samhall viele andere Arbeitgeber<br />
geschützte Beschäftigung mit staatlicher Hilfe<br />
anbieten könnten. Dies würde es Samhall<br />
auch ermöglichen sich zu verkleinern und<br />
sich auf die Menschen zu konzentrieren,<br />
die wirklich dort sein müssen. So könnten<br />
diese dort wo nötig mehr Führung, berufliche<br />
Ausbildung und Bildung bekommen.<br />
„Als die Erhebung 2003 veröffentlicht wurde,<br />
waren alle Parteien voll des Lobes, aber danach<br />
ist nicht viel passiert” sagt Jan Rydh.<br />
„Die ganze Sache ist anscheinend in einer<br />
Diskussion über den Haushalt untergegangen.”<br />
Anna-Karin Hedlund bestätigt, dass<br />
die Eingliederungsquote der Mitarbeiter zu<br />
niedrig ist, dass viele Menschen nach wie vor<br />
zu lange dort bleiben. In den vergangenen<br />
Jahren hat Samhall versucht mehr Frauen in<br />
den regulären Arbeitsmarkt einzugliedern als<br />
früher, jedoch ohne nennenswerten Erfolg.<br />
Dennoch erreicht Samhall das von der vorherigen<br />
Regierung gesetzte Ziel, fünf Prozent der<br />
Beschäftigten in den regulären Arbeitsmarkt<br />
einzugliedern. Dies sind ca. 1.000 Leute<br />
pro Jahr. „Wenn aber die neue Regierung<br />
ein höheres Ziel setzt, sollten wir in der Lage<br />
sein, dieses ebenfalls zu erreichen. In einigen<br />
Arbeitsabläufen, z.B. in unseren Zeitarbeitsagenturen,<br />
erreichen wir bereits Zahlen von<br />
8 oder 9 Prozent. Wir sind offen gegenüber<br />
großen Veränderungen und auch Wettbewerb”<br />
sagt Anna-Karin Hedlund. Die neue<br />
Regierung wird nun die Frage beantworten,<br />
was in dieser Hinsicht geschehen wird.<br />
Marie Eriksson<br />
Wir danken Wendy <strong>Der</strong>wanz für die<br />
Übersetzung aus dem Englischen<br />
Zur Autorin<br />
Marie Eriksson arbeitet als Journalistin<br />
im „paraply projektet” in Stockholm,<br />
einem Projekt zur Bekämpfung von<br />
Ungleichheit und Diskriminierung<br />
im Arbeitsleben im Rahmen der<br />
EU-Gemeinschaftsinitiative Equal<br />
info@europaforum.se<br />
www.paraplyprojektet.se<br />
7
Schwerpunkt<br />
Diskussion III<br />
Wahre Kosten der<br />
Arbeitslosigkeit<br />
Ein staatlich finanzierter, sozialversicherungspflichtiger dritter Arbeitsmarkt scheint<br />
vielen zu teuer. Aber zu teuer sind vor Allem die offenen und die verdeckten Kosten<br />
der Arbeitslosigkeit. Dr. Rudolf Martens und Tina Hofmann vom Gesamtverband<br />
des <strong>Paritätische</strong>n befassen sich hier mit der Ermittlung und Darstellung derjenigen<br />
Kosten, für die sich Kämmerer und Finanzminister interessieren.<br />
Seit mehr als 30 Jahren verfestigt sich Arbeitslosigkeit<br />
in Deutschland, die Rückkehr<br />
zur Vollbeschäftigung ist auch nach der Jahrtausendwende<br />
eine Illusion. Mit dem großen<br />
Heer an Langzeitarbeitlosen steigt die Armut<br />
in Deutschland beständig an, dies war einer<br />
der wesentlichen Ergebnisse des zweiten regierungsamtlichen<br />
Armuts- und Reichtumsberichtes<br />
aus dem Jahre 2005. Die Hoffnungen,<br />
die sich mit der Einführung von Hartz<br />
IV verknüpften, haben sich nicht erfüllt. <strong>Der</strong><br />
Zuwachs an Langzeitarbeitslosigkeit ist nicht<br />
gestoppt, ein Rückgang nicht in Sicht.<br />
Arbeit gibt es genug<br />
Und gleichzeitig stehen die Bürger vor einer<br />
Paradoxie: Viele gesellschaftlich erwünschte<br />
Arbeiten im Sozial- und Bildungsbereich liegen<br />
brach, weil sie vorgeblich nicht finanzierbar<br />
sind. Durch die Kürzungspolitik der letzten<br />
Jahre wurde eine Situation geschaffen, in der<br />
Dienstleistungen für ältere Menschen, eine<br />
Verbesserung kommunaler Serviceleistungen<br />
oder die dringend notwendige vorschulische<br />
Förderung von Kindern unzureichend sind<br />
oder nicht mehr stattfinden.<br />
Bund, Länder und Kommunen werkeln mit<br />
diversen Programmen mehr nebeneinander<br />
als miteinander am Problem der Arbeitslosigkeit.<br />
Die Arbeitsagentur kümmert sich um<br />
jene, die Chancen haben, rasch wieder in<br />
den Arbeitsprozess eingegliedert zu werden<br />
und zahlt für die schwerer Vermittelbaren,<br />
anstatt sie besonders zu betreuen. Auch ausgabewirtschaftlich<br />
handeln die betroffenen<br />
Akteure weitgehend voneinander getrennt.<br />
Eine gesamtfiskalische Betrachtung aller<br />
finanziellen Folgen von Arbeitslosigkeit ist in<br />
der Öffentlichkeit bislang ausgeblieben. Bei<br />
Dr. Rudolf Martens<br />
Rechnet sich der dritte Arbeitsmarkt?<br />
der Diskussion um Kombilohnmodelle oder<br />
einen dritten Arbeitsmarkt sollten aber die<br />
gesamten Kosten der Arbeitslosigkeit und die<br />
Struktur dieser Kosten bekannt sein. Nur so<br />
können die Kosten neuer Arbeitsmarktinstrumente<br />
richtig bewertet werden.<br />
Berechnung der wahren Kosten<br />
Die Einführung von Hartz IV hat schon zweierlei<br />
deutlich gemacht: Das wahre Ausmaß<br />
der Langzeitarbeitslosigkeit und sozialen<br />
Ausgrenzung wurde plötzlich sichtbar, da<br />
– wie in der früheren Sozialhilfe – die Familien<br />
der Langzeitarbeitslosen jetzt in der Statistik<br />
der Bundesagentur für Arbeit erscheinen.<br />
In der bis 2004 geltenden Arbeitslosenhilfe<br />
wurden lediglich die Hilfebezieher ohne ihre<br />
Angehörigen gezählt. Des Weiteren erscheinen<br />
Teile der fiskalischen Kosten von Hartz IV<br />
im Bundeshaushalt, die im alten System auf<br />
Bund, Länder, Kommunen verteilt waren. Die<br />
<strong>43</strong> Mrd. Euro, die Bund und Kommunen<br />
2005 für Hartz IV zahlen mussten, wurden<br />
sogleich von der regierungsseitigen Politik<br />
als „Kostenexplosion” gebranntmarkt und in<br />
die Nähe des Missbrauchsverdachts gerückt.<br />
Doch die wahren Kosten der Arbeitslosigkeit<br />
sind weit höher als die Ausgaben für Arbeitslosengeld<br />
und Hartz IV. Die öffentlichen Haushalte<br />
werden nicht nur auf der Ausgabenseite<br />
belastet sondern auch auf der Einnahmenseite:<br />
Arbeitslose Menschen zahlen weniger oder<br />
keine Steuern und Sozialabgaben – darüber<br />
hinaus können sie weniger konsumieren. Es<br />
ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass es bei<br />
den Kosten der Arbeitslosigkeit nur um die<br />
direkten Ausgaben für die Unterstützungszahlungen<br />
an Arbeitslose und ihre Angehörigen<br />
geht.<br />
Tina Hofmann<br />
Ausgaben und Mindereinnahmen<br />
Nicht alle Kostenarten sind so genau bekannt,<br />
Ausgaben und Mindereinnahmen treten an<br />
sehr unterschiedlichen Stellen auf: Bundeshaushalt,<br />
Länderhaushalte, Gemeindefinanzen<br />
und bei den Sozialversicherungen. Die<br />
Bundesagentur für Arbeit zahlt Arbeitslosengeld<br />
und entsprechende Beiträge zur Renten-,<br />
Kranken- und Pflegeversicherung, zugleich<br />
entgehen ihr Beiträge der Arbeitslosen. <strong>Der</strong><br />
Bundeshaushalt muss für die wesentlichen<br />
Kosten von Hartz IV aufkommen, für einen<br />
kleineren Betrag die Kommunen (Wohnkosten).<br />
Durch Arbeitslosigkeit entstandene<br />
Wohngeldansprüche werden jeweils zur Hälfte<br />
vom Bund und den Ländern aufgebracht.<br />
Bund, Länder und Gemeinden sind allesamt<br />
von Steuerverlusten betroffen. Renten-, Kranken-<br />
und Pflegeversicherung erhalten von<br />
Arbeitslosen weniger Beiträge als im Falle<br />
ihrer Beschäftigung. Fast zwei Drittel der<br />
Kosten und Mindereinnahmen müssen Bundesagentur<br />
und Bund tragen, das restliche<br />
Drittel entfällt auf Länder, Gemeinden und<br />
Sozialversicherungen.<br />
Wahre Kosten doppelt so hoch<br />
Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung<br />
hat kürzlich detaillierte Berechnungen<br />
zu den gesamtfiskalischen Kosten der registrierten<br />
Arbeitslosigkeit vorgelegt. Die 4,4 Mio.<br />
registriert Arbeitslosen verursachten im Jahre<br />
2004 Kosten und Mindereinnahmen in Höhe<br />
von 86 Mrd. Euro. <strong>Der</strong> Ausgabenblock umfasst<br />
insgesamt 46 Mrd. Euro (54 Prozent),<br />
was der gleichen Größenordnung wie die<br />
Mindereinnahmen entspricht (46 Prozent).<br />
Anders ausgedrückt, bei dem ausschließlichen<br />
Blick auf die Ausgaben werden nur<br />
etwas mehr als die Hälfte der fiskalischen<br />
8 arbeitsdruck 11/06
Kosten erfasst. Die Mindereinnahmen sind fast<br />
so groß wie die Ausgaben und ergeben sich<br />
aus geringeren Sozialbeiträgen und einem<br />
niedrigeren Steueraufkommen. Die Arbeitslosen<br />
führten 24 Mrd. Euro weniger ab an die<br />
Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie<br />
an die Bundesagentur für Arbeit, dem Fiskus<br />
entstanden Steuerausfälle (Einkommensteuer,<br />
indirekte Steuern) von 16 Mrd. Euro.<br />
Rechnet man die Arbeitslosen auf die Ausgaben<br />
und Mindereinnahmen um, so schlug<br />
der durchschnittliche registriert Arbeitslose im<br />
Jahre 2004 mit 19.600 Euro pro Jahr zu<br />
Buche. Dabei betrugen die Transferzahlungen<br />
ca. 10.600 Euro und die Mindereinnahmen<br />
ca. 9.000 Euro.<br />
Ein dritter Arbeitsmarkt?<br />
Wenn die Bundesagentur für Arbeit und die<br />
Politik über einen dritten Arbeitsmarkt nachdenken,<br />
so werden sie darin vom <strong>Paritätische</strong>n<br />
im Grundsatz unterstützt. Zwei grundlegende<br />
Ziele sind zu beachten:<br />
Erstens, Langzeitarbeitslose dürfen nicht in<br />
den dritten Arbeitsmarkt abgeschoben wer-<br />
Diskussion IV<br />
Mindestlohn statt<br />
Kombilohn?<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
den. Ein dritter Arbeitsmarkt, mit dem sich die<br />
Bundesagentur durch Zahlungen von schwierigen<br />
Fällen befreien will (und der praktischerweise<br />
auch die Arbeitslosenstatistik entlastet),<br />
ist nichts weiter als sozialpolitischer<br />
Aktionismus und stigmatisiert die Betroffenen.<br />
Dagegen zeigen die Erfahrungen im <strong>Paritätische</strong>n,<br />
dass Menschen auch nach langen<br />
Jahren der Arbeitslosigkeit mit angepassten<br />
Hilfen eine Integration sogar in den ersten<br />
Arbeitsmarkt schaffen können. Nach jahrzehntelanger<br />
Massenarbeitslosigkeit braucht<br />
die Arbeitsmarktpolitik einen langen Atem.<br />
Zweitens, ist es unerlässlich, die Regelsätze<br />
für Hartz IV um 20 Prozent zu erhöhen. Nur<br />
so ist ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe<br />
möglich. Ein dritter Arbeitsmarkt, bei dem<br />
das Einkommen nicht wesentlich über das<br />
bisherige Hartz IV-Niveau hinausgeht, würde<br />
die Betroffenen faktisch zu staatlich gewollten<br />
„working poor” degradieren.<br />
Nicht zu vergessen: die wahren Kosten eines<br />
Arbeitslosen betragen durchschnittlich<br />
fast 20.000 Euro. Kostenvergleichsrech-<br />
Schwerpunkt<br />
nungen haben ergeben, dass man anstelle<br />
von Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Jobs”)<br />
genauso gut versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse<br />
mit einem deutlich<br />
höheren Einkommensniveau als bei Hartz IV<br />
schaffen kann. <strong>Der</strong> gesamtgesellschaftliche<br />
Nutzen wäre erheblich.<br />
Dr. Rudolf Martens /<br />
Tina Hofmann<br />
Zu den AutorInnen<br />
Dr. Rudolf Martens,<br />
<strong>Paritätische</strong>r Wohlfahrtsverband –<br />
Gesamtverband (Berlin), zuständig<br />
für sozialwissenschaftliche Analysen,<br />
Statistik und Modellrechnungen<br />
E-Mail: eu@paritaet.org<br />
Tina Hofmann, Dipl. Verw. wiss.,<br />
<strong>Paritätische</strong>r Wohlfahrtsverband –<br />
Gesamtverband (Berlin), zuständig<br />
für Jugendsozialarbeit und<br />
Arbeitsmarktpolitik<br />
E-Mail: jugendsozialarbeit@paritaet-nrw.org<br />
In der Diskussion um einen „dritten Arbeitsmarkt” spielen die Instrumente Kombilohn und<br />
Mindestlohn eine wichtige Rolle. In den letzten Ausgaben des arbeitsdruck haben wir einen<br />
Kombilohn, der auf wenige Zielgruppen und den gemeinnützigen Bereich begrenzt bleibt,<br />
verbunden mit der Forderung nach einem Mindestlohn. Dr. Claus Schäfer vom gewerkschafts-<br />
Dr. Claus Schäfer<br />
nahen Institut WSI kommt mit Blick auf die Diskussion auf Bundesebene in der folgenden<br />
Analyse zu einem anderen Schluss: Mindestlohn ja – Kombilohn nein.<br />
Hinter den Instrumenten Kombilohn und<br />
Mindestlohn stehen völlig unterschiedliche<br />
Instrumentenwege und -begründungen. Vor<br />
allem aber können nicht beide Instrumente<br />
gleichermaßen der ökonomischen Wirklichkeit<br />
gerecht werden und ihre Versprechen<br />
einlösen. Dies sollen die folgenden Thesen<br />
verdeutlichen.<br />
Kombilohn und Mindestlohn – Ein Ziel<br />
Gemeinsam sind beiden Instrumenten gerade<br />
noch die Zielsetzungen bzw. Versprechen,<br />
die materielle Existenz des einzelnen<br />
Lohnempfängers zu sichern und insgesamt<br />
mehr Beschäftigung zu schaffen. Gemein-<br />
9
Schwerpunkt<br />
sam ist auch noch der Niedriglohnsektor als<br />
Ausgangspunkt.<br />
Die Unterschiede<br />
<strong>Der</strong> Kombilohn setzt auf die Vergrößerung<br />
des Niedriglohnsektors mit (noch mal) abgesenkten<br />
betrieblichen Löhnen und will damit<br />
vor allem gering qualifizierte und deswegen<br />
nur gering zu entlohnende Arbeitslose durch<br />
eine zusätzliche individuelle und betriebliche<br />
Anreizwirkung in den Arbeitsmarkt integrieren.<br />
<strong>Der</strong> Mindestlohn setzt auf die Verringerung<br />
des schon vorhandenen Niedriglohnsektors<br />
durch Lohnerhöhung, um individuelle Lohnarmut,<br />
betriebsgefährdendes Sozialdumping<br />
und volkswirtschaftliche Destabilisierung zu<br />
vermeiden. <strong>Der</strong> Kombilohn wird zu einem beachtlichen<br />
Teil öffentlich durch einen staatlichen<br />
Zuschuss an Arbeitgeberseite und/oder<br />
Arbeitnehmerseite finanziert; der gesetzliche<br />
Mindestlohn ist allein vom Arbeitgeber zu<br />
zahlen.<br />
Kombilohn – erprobte Erfolglosigkeit<br />
Das Arbeitsangebot in Deutschland ist mehr<br />
als ausreichend, so dass die von der Kombilohnseite<br />
behauptete nötige Anreizwirkung<br />
zu mehr Arbeitsbereitschaft ins Leere stößt.<br />
Arbeitgeber können offene Stellen ohne Probleme<br />
mit arbeitswilligen Interessenten auch<br />
zu schlechten Bezahlungskonditionen besetzen<br />
– so eine Studie des Instituts Arbeit<br />
und Technik (IAT 2005) im Auftrag der Bundesregierung.<br />
Auch die Nachfrage deutscher<br />
Arbeitgeber nach gering Qualifizierten ist mit<br />
Kombilohn-Anreizen im Prinzip nicht zu stimulieren.<br />
Bisher erprobte Kombilohn-Modelle<br />
haben gezeigt, dass die beschäftigungspolitischen<br />
Effekte gering bleiben. Die Inanspruchnahme<br />
war häufig mager, ebenso der Klebeeffekt<br />
der Maßnahmen, d.h. der dauerhafte<br />
Verbleib von Eingestellten im Betrieb. Aber<br />
hoch waren die Mitnahmeeffekte (Subventionierung<br />
von ohnehin Eingestellten) wie auch<br />
die Substitutionseffekte (Ersatz von regulären<br />
durch subventionierte Arbeitsplätze).<br />
Gering Qualifizierte und Ältere chancenlos<br />
Die fehlende Arbeitsnachfrage nach gering<br />
qualifizierten Arbeitsuchenden wird geprägt<br />
vom geringen Wirtschaftswachstum bzw. einer<br />
unterentwickelten Binnennachfrage und<br />
verstärkt durch ein problematisches Selektionsverhalten<br />
der Arbeitgeber bei der Stellenbesetzung.<br />
Die Arbeitgeber können ihre<br />
wenigen freien Stellen aus den vielen Stellensuchenden<br />
besetzen – und wählen dafür<br />
qualifizierte und jüngere Arbeitskräfte. Deshalb<br />
haben gering Qualifizierte und Ältere auf<br />
dem Arbeitsmarkt keine echte Chance. Die<br />
generelle Arbeitsnachfrage würde durch die<br />
Einführung eines flächendeckenden Kombilohns<br />
sogar sinken, weil er die gesamtwirtschaftliche<br />
Nachfragelücke weiter vergrößert.<br />
Dabei sind die heutigen Niedriglöhne schon<br />
nicht mehr existenzsichernd, die häufig unter<br />
der Lohn-Armutsgrenze liegen.<br />
Öffentlich geförderter Arbeitsmarkt<br />
Die Stimulierung des Wirtschaftswachstums<br />
durch eine kräftigere Binnennachfrage ist also<br />
generell das beste Beschäftigungsprogramm<br />
auch für gering Qualifizierte. Doch allein<br />
ausreichend ist das nicht. Deshalb müssen<br />
vom ersten Arbeitsmarkt nicht abs orbier-<br />
bare gering Qualifizierte auf einem öffentlich<br />
geförderten Arbeitsmarkt eingesetzt werden,<br />
der in Deutschland nach wie vor unterentwickelt<br />
ist. Auf beiden Arbeitsmärkten sind für<br />
eng definierte Zielgruppen maßgeschneiderte<br />
und damit kontrollierbare Lohnsubventionen<br />
möglich.<br />
Arbeitende Arme brauchen Mindestlohn<br />
Die Re-Regulierung des Niedriglohnsektors<br />
muss auch an seinen institutionellen Ursachen<br />
ansetzen: zum Beispiel der fehlenden<br />
Regulierung von Praktikanten-Stellen, den<br />
Mini-/Midi-Jobs und den Schwächen der<br />
Tarifautonomie. Neben großen tariffreien Beschäftigungszonen<br />
gibt es zunehmend tarifschwache<br />
Zonen mit einer einseitigen Tarifmacht<br />
der Arbeitgeber. Beide Zonen erzeugen<br />
Niedriglöhne. Das vordringliche Lösungs-<br />
instrument für die Niedriglohnmisere ist<br />
deshalb ein flächendeckender gesetzlicher<br />
Brutto-Mindestlohn. Er wird die Tarifautonomie<br />
genauso flankieren wie die gesetzlichen<br />
Mindeststandards für Arbeitszeit, Urlaub,<br />
Lohnfortzahlung. Die meisten alten EU-<br />
Länder und alle neuen EU-Mitgliedsstaaten<br />
haben, teilweise schon seit Jahrzehnten, mit<br />
dem gesetzlichen Mindestlohn positive Erfahrungen<br />
gemacht.<br />
Höhe des Mindestlohns<br />
Die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns spiegelt<br />
immer den jeweiligen Lebens- und Leistungsstandard<br />
wieder. In Deutschland könnte<br />
er an zwei Normen festgemacht werden, die<br />
sein Niveau eigentlich schon vorgeben: der<br />
nationalen Pfändungsfreigrenze von aktuell<br />
netto 985 Euro und umgerechnet einem Brutto-Stundenlohn<br />
von gut 8,00 Euro (1.340<br />
Euro pro Monat) sowie der Mindestlohnnorm<br />
der Europäischen Sozialcharta (ESC) von<br />
60% netto des Durchschnittslohns bzw. von<br />
brutto 8,50 Euro die Stunde (1.420 Euro<br />
pro Monat). Zurzeit liegen allein rund drei<br />
Millionen Vollzeitbeschäftigte unter diesem<br />
Lohnniveau. Ihre Löhne würden durch den<br />
gesetzlichen Mindestlohn angehoben. <strong>Der</strong><br />
gesetzliche Mindestlohn kann aber tendenziell<br />
nur die Problematik von individueller<br />
Lohnarmut beseitigen. Prekäre Brutto-Löhne<br />
oberhalb des Armutslohns bedürfen deshalb<br />
einer zusätzlichen Stärkung der Tarifautonomie,<br />
wie sie insbesondere durch eine<br />
Ausdehnung des Entsendegesetzes auf alle<br />
Branchen gegeben wäre.<br />
Fazit – Mindestlohn statt Kombilohn<br />
Ein flächendeckender Kombilohn verspricht<br />
also – trotz des massiven Einsatzes öffentlicher<br />
Mittel – was er nicht halten kann. <strong>Der</strong><br />
gesetzliche Mindestlohn dagegen hat schon<br />
in vielen Ländern gehalten, was von ihm<br />
erwartet wurde. <strong>Der</strong> Mindestlohn ist ein Stabilisator,<br />
der flächendeckende Kombilohn ein<br />
Destabilisator. Trotzdem ist auch der gesetzliche<br />
Mindestlohn kein Allheilmittel für die<br />
Niedriglohnproblematik. <strong>Der</strong> Kombilohn ist<br />
aber auf jeden Fall nur ein Nischeninstrument<br />
für eng definierte Problemgruppen. Die breite<br />
Förderung von gering Qualifizierten muss<br />
vielmehr von ganz anderen Instrumenten erfüllt<br />
werden. An deren Spitze stehen vordringlich<br />
die Stärkung der Wachstumskräfte und<br />
die Belebung des ersten Arbeitsmarktes durch<br />
mehr private und öffentliche Nachfrage. Dafür<br />
sollten auf absehbare Zeit alle verfügbaren<br />
und noch erschließbaren öffentlichen Mittel<br />
reserviert bleiben.<br />
Dr. Claus Schäfer<br />
Weitere Informationen<br />
Dr. Claudia Weinkopf und<br />
Bettina Hieming, www.iat-ge.de<br />
DIW-Wochenbericht 4/06, www.diw.de<br />
IAB-Kurzbericht 3/05, www.iab.de<br />
Zum Autor<br />
Dr. Claus Schäfer ist wissenschaftlicher<br />
Referent für Verteilungsfragen im<br />
Wirtschafts- und Sozialwissen-<br />
schaftlichen Institut (WSI) in der<br />
Hans-Böckler-Stiftung<br />
E-Mail: claus-schaefer@boeckler.de<br />
www.wsi.de<br />
10 arbeitsdruck 11/06
Diskussion V<br />
Grundsicherung<br />
Als bedingungsloses Einkommen ?<br />
Seit vielen Jahren fordert der <strong>Paritätische</strong> eine Grundsicherung, die diesen Namen verdient – also eine<br />
existenzsichernde Grundsicherung. Nun gibt es eine politisch interessante Debatte um eine Grundsicherung<br />
in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens. Vor- und Nachteile dieses Gedankens erörtert<br />
Martin Debener, als zuständiger Sekretär des Facharbeitskreises Armut und Sozialhilfe im <strong>Paritätische</strong>n<br />
Landesverband.<br />
Unterschiedliche Vertreter der Theorie<br />
Die Idee, ein bedingungsloses Grundeinkommen<br />
(BGE) für alle Menschen in unserer<br />
Gesellschaft zu zahlen, ist für die Betroffenen<br />
auf den ersten Blick sicher sehr verlockend.<br />
Das Existenzminimum würde endlich klar<br />
definiert und der Druck auf Vermittlung in<br />
den „ersten” Arbeitsmarkt – auf Arbeitsplätze<br />
die es nicht gibt – hätte ein Ende. Besonders<br />
interessant ist, dass diese Forderung<br />
nicht nur von Betroffenenvertretern wie der<br />
Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen<br />
(BAG-SHI), sondern auch vom<br />
Chef der Drogeriemarktkette DM Götz Werner<br />
oder vom Direktor des Hamburger Welt-Wirtschafts-Instituts<br />
HWWI Thomas Straubhaar<br />
vertreten wird.<br />
Die Idee<br />
Mit der Einführung eines BGE würden nicht<br />
nur alle Erwerbslosen, sondern auch alle<br />
Erwerbstätigen, RentnerInnen, Kinder usw.<br />
also alle Mitglieder unserer Gesellschaft ein<br />
Grundeinkommen beziehen, – die Erwerbstätigen<br />
sogar zusätzlich zu ihrem Lohn. Hier<br />
fängt das Problem an, denn, so Rainer Roth<br />
von der FH Frankfurt,: „Dadurch wird das<br />
BGE zwangsläufig zur Lohnsubvention, zum<br />
Kombilohn (einer Kombination von Lohn und<br />
staatlichem Lohnzuschuss), der massive<br />
Lohnsenkungen möglich macht. Das ist das<br />
Hauptmotiv der Vertreter des Kapitals, die das<br />
BGE befürworten.” Unabhängig davon, ob<br />
man diese Einschätzung über das „Kapital”<br />
teilt oder nicht, scheint sicher, dass das BGE<br />
die Arbeitskosten senken würde und damit indirekt<br />
auch die Einkommen. Für die Beschäftigten<br />
hieße dies, dass sie von geringerem<br />
Lohn und zusätzlichem Grundeinkommen<br />
lebten, für die Erwerbslosen, dass ihnen nur<br />
noch das Grundeinkommen verbleibt.<br />
Die paritätische Forderung nach einer<br />
„existenzsichernden” Höhe des Grundein-<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
kommens kann so ebenfalls nicht erreicht<br />
werden, denn das BGE soll über erheblich<br />
höhere Verbrauchssteuern finanziert werden.<br />
Außerdem sollen in der Theorie einiger Vertreter<br />
der Grundsicherung auch alle anderen<br />
Sozialleistungen abgeschafft werden, wie die<br />
Sozialversicherung, Wohn-, Kindergeld usw.<br />
Hier besteht die Begründung nicht nur in der<br />
Kostenersparnis, sondern auch im Bürokratieabbau.<br />
In der Folge müssten sich aber alle<br />
Menschen selbst um ihre Kranken- Renten-<br />
und Pflegeversicherung kümmern. Die aktuell<br />
Erwerbslosen hätten so zwar ein unabhängiges<br />
bedingungsloses Einkommen, müssten<br />
davon allerdings erheblich mehr Ausgaben<br />
bestreiten. Das Modell ist also so sinnlos.<br />
Mit freundlicher Genehmigung von Dieko Müller<br />
Ein existenzsicherndes Grundeinkommen<br />
kann man so nicht definieren. Denn vor allem<br />
die geforderte parallele Abschaffung der Sozialversicherung<br />
hätte gravierende Auswirkungen.<br />
Rainer Roth schildert: „Es geht bei dieser<br />
Art Entkopplung darum, die Finanzierung der<br />
Leistungen für Arbeitslose, RentnerInnen und<br />
Kranke möglichst stark von Beiträgen auf<br />
Steuermittel zu verlagern. Mit jedem Prozentpunkt<br />
gesenkter Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung<br />
würde sich der Gesamtprofit<br />
des Kapitals um 7,5 Mrd. Euro erhöhen.<br />
Schwerpunkt<br />
Martin Debener<br />
Auch Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburger<br />
Welt-Wirtschafts-Instituts HWWI,<br />
hebt als Folge des von ihm befürworteten<br />
bedingungslosen Grundeinkommens hervor:<br />
„In meinem Modell würde ich völlig abschaffen<br />
alles, was heute mit dem Etikett soziale<br />
Sicherungssysteme bezeichnet wird. Die<br />
brauchen wir ja dann nicht mehr, weil wir<br />
dieses Grundeinkommen haben,…”<br />
Existenzsicherndes (nicht bedingungsloses)<br />
Grundeinkommen<br />
Diesem Modell stellt der <strong>Paritätische</strong> seit Jahren<br />
die Forderung nach einer Grundsicherung<br />
für Bedürftige entgegen. Zu allererst sollte<br />
man die Kinder aus dem Leistungsbezug<br />
von SGB II und XII holen, indem dem das<br />
Kindergeld in einer Höhe gezahlt wird, die einen<br />
Leistungsbezug überflüssig macht. Nach<br />
und nach könnte dann eine steuerfinanzierte<br />
Grundsicherung für Erwerbslose und weitere<br />
Gruppen von Bedürftigen eingeführt werden.<br />
Diese Grundsicherung müsste immer verbunden<br />
sein mit weiteren sozialen Leistungen,<br />
die nicht nur auf den Arbeitsmarkt orientieren,<br />
wie Schuldnerberatung, Suchtberatung usw.<br />
Rainer Roth geht noch einen Schritt weiter.<br />
Er konkretisiert sein Modell einer Grundsicherung<br />
folgendermaßen: „In der Tat müsste<br />
Arbeitslosengeld gezahlt werden, ohne<br />
Einkommen anzurechnen, die nicht aus<br />
Erwerbstätigkeit stammen, ohne eigenes Vermögen<br />
und das Einkommen und Vermögen<br />
von Haushaltsangehörigen anzurechnen<br />
bzw. Unterhaltspflichten von Verwandten<br />
oder angebliche Pflichten eheähnlicher Partner<br />
einzufordern. In diesem Sinne kennt das<br />
Arbeitslosengeld I ebenfalls keine Bedürftigkeitsprüfung.<br />
Ein solches Arbeitslosengeld<br />
müsste allen Erwerbslosen für die gesamte<br />
Dauer der Arbeitslosigkeit gezahlt werden,<br />
ohne Anwartschaftszeiten oder vorheriges<br />
Arbeitseinkommen vorauszusetzen.”<br />
11
Qualität<br />
<strong>Paritätische</strong> Grundsicherung<br />
Eine Grundsicherung, wie sie der <strong>Paritätische</strong><br />
seit Jahren fordert, ist überfällig. Dazu gehört<br />
eine Erhöhung der Regelsätze um 20%, ein<br />
Ausbau des Kindergeldes zu einer Kindergrundsicherung,<br />
eine Erstattung der Kosten<br />
der Unterkunft in vollem Umfang und eine<br />
Anpassung der Heizkosten und Nebenkosten<br />
an die tatsächlichen Bedarfe. <strong>Der</strong> viel<br />
geforderte Abbau der Bürokratie ist auch mit<br />
den gültigen Gesetzen schon möglich. Den<br />
Interessen der Erwerbslosen wird man mit<br />
anderen Formen von Grundsicherung nicht<br />
gerecht.<br />
Keine staatliche Lohnsubvention<br />
So resümiert auch Rainer Roth treffend:<br />
„<strong>Der</strong> offene Widerspruch scheint noch nicht<br />
Zertifizierung im <strong>Paritätische</strong>n<br />
Weitere Informationen<br />
www.paritaet.org<br />
www.bag-shi.de<br />
www.tacheles-sozialhilfe.de<br />
www.klartext-info.de<br />
Rainer Roth; Zur Kritik des<br />
bedingungslosen Grundeinkommens,<br />
DVS Frankfurt 2006.<br />
Qualität durch<br />
Qualitätsgemeinschaft<br />
Zum Autor<br />
Martin Debener ist Projektentwickler/<br />
Fachberater für Armut und Sozialhilfe<br />
im <strong>Paritätische</strong>n Landesverband und<br />
Projektleiter von „Kulturarbeit mit<br />
Kindern” (siehe AD 42, S. 23)<br />
Tel.: 02 11/9 46 00-14<br />
E-Mail: debener@paritaet-nrw.org<br />
Die Qualitätsgemeinschaft Dienstleister am Arbeitsmarkt wurde im März 2003 auf Anregung der Fachberatung Arbeit<br />
von 13 paritätischen Trägern gegründet. Seit Mai dieses Jahres haben die ersten Mitglieder der Qualitätsgemeinschaft<br />
die DIN EN ISO-Zertifizierung und AZWV-Zulassung. Weitere Träger sind auf dem Weg. Doris Rix, Projektentwicklerin<br />
und Geschäftsführerin der QG beschreibt die Ziele und Arbeitsweise, Hürden und Meilensteine.<br />
Geschäftspolitische Entscheidung<br />
Spätestens seit Anfang 2006 müssen Träger<br />
der beruflichen Weiterbildung, die weiterhin<br />
Mittel für Bildungsgutscheinmaßnahmen der<br />
Agentur für Arbeit erhalten wollen, über ein<br />
Qualitätsmanagementsystem (QMS) verfügen.<br />
Also war es für die meisten Mitglieder der<br />
Qualitätsgemeinschaft (QG) eine rein strategische<br />
Entscheidung, in Qualitätsentwicklung<br />
zu investieren um weiterhin FbW-Maßnahmen<br />
anbieten zu können. Aber es ging auch<br />
darum, bei künftigen Qualitätsanforderungen<br />
von Kostenträgern einen Wettbewerbsvorteil<br />
zu haben. Einige Mitglieder der QG verfolgten<br />
weitere, organisationsinterne Ziele.<br />
Wie LERNEN FÖRDERN e.V. im Kreis Steinfurt,<br />
der in der Umsetzung eines QMS gemäß<br />
DIN EN ISO die Chance sieht, alle bisherigen<br />
Organisationsentwicklungsmaßnahmen<br />
ins Bewusstsein gedrungen zu sein. Die berechtigte<br />
Forderung nach einem Grundeinkommen<br />
für alle Erwerbslosen darf nicht in<br />
die Forderung nach einem bedingungslosen<br />
Grundeinkommen und schon gar nicht in<br />
die nach einem bedingungslosen Grundein-<br />
innerhalb des Vereins zu einem einheitlichen<br />
Managementsystem zusammenzufassen.<br />
Herzstück der Arbeit<br />
Das Herzstück der Qualitätsgemeinschaft<br />
Dienstleister am Arbeitsmarkt ist die Qualitätsarbeitsgruppe<br />
(QAG), in der sich die<br />
Qualitätsmanagementbeauftragten (QMB)<br />
der Unternehmen regelmäßig zu ganztägigen<br />
Workshops treffen. Zur Unterstützung beim<br />
Aufbau und der Entwicklung eines QMS gibt<br />
es hier die fachlich notwendigen Informationen<br />
entsprechend den Anforderungen der<br />
DIN EN ISO und der AZWV. So wurden z.B.<br />
als Grundlage für eine QM-Dokumentation<br />
eine einheitliche Handbuchstruktur sowie ein<br />
gemeinsames Raster für die Prozessdarstellung<br />
erarbeitet. Für eine Zertifizierung wurden<br />
die notwendigen Leistungs-, Führungs- und<br />
kommen für alle Beschäftigten umgewandelt<br />
werden. Es ist falsch, die Interessen von<br />
Erwerbslosen zu verteidigen, in dem man für<br />
die drastische Ausweitung von Kombilöhnen<br />
bzw. für massive steuerfinanzierte Lohnsubventionen<br />
eintritt.”<br />
Martin Debener<br />
Dienstleister am Arbeitsmarkt<br />
werden zertifiziert Doris Rix<br />
unterstützenden Prozesse ermittelt sowie<br />
arbeitsteilig Musterprozesse dazu erstellt, die<br />
für alle Mitglieder der QAG weitgehend nutzbar<br />
sind. Diese gemeinsame Vorgehensweise<br />
bietet die Möglichkeit einer Gruppenzertifizierung<br />
nach DIN EN ISO. Davon haben bisher<br />
vier Mitglieder der QG Gebrauch gemacht,<br />
vier weitere planen sie für das nächste Jahr.<br />
Hürden und Stolpersteine<br />
Arbeitsmarktdienstleister agieren in einem<br />
Marktsegment in dem sich die Rahmenbedingungen<br />
ständig ändern. Fortwährend<br />
müssen sich die Organisationen an<br />
neuen Förderprogrammen und Konditionen<br />
ausrichten. Original-Ton eines QMBs:<br />
„Ständig müssen wir neue Säue durch die<br />
Einrichtung treiben”. Übersetzt heißt das, neue<br />
Maßnahmen mit neuen Konzepten müssen<br />
12 arbeitsdruck 11/06
geplant und umgesetzt werden. Da fehlt oft<br />
die notwendige Zeit für die Qualitätsentwicklung.<br />
Wie schnell ein Unternehmen ein QMS<br />
aufbaut, liegt besonders daran, welche Priorität<br />
die Geschäftsführung dieser Aufgabe gibt.<br />
Dabei können Personalwechsel zu herben<br />
Rückschlägen führen. In Klartext heißt das:<br />
Qualitätsentwicklung ist viel Arbeit. Für diese<br />
Arbeit müssen auch die Ressourcen bei den<br />
MitarbeiterInnen zur Verfügung stehen.<br />
Meilensteine und Höhepunkte<br />
Für die Betriebe sind die herausragenden<br />
Ereignisse z.B. die Fertigstellung des Handbuchs<br />
oder die Einführung des QMS für alle<br />
MitarbeiterInnen, die internen Audits und die<br />
Zertifizierung. Auf diesem Weg sehe ich als<br />
Geschäftsführerin der QG oft Glanzlichter,<br />
wenn die QMBs von ihrer Arbeit berichten.<br />
Zum Beispiel, dass alle MitarbeiterInnen<br />
trotz anfänglicher Skepsis jetzt die Chancen<br />
von Qualitätsentwicklung sehen und auch<br />
die Geschäftsführung mit 100% hinter dem<br />
System steht. Oder wenn MitarbeiterInnen<br />
einer Mitgliedsorganisation, die beim externen<br />
Audit nicht befragt wurden, beim nächsten<br />
Mal unbedingt dabei sein wollen. Höhepunkte<br />
sind auch, wenn eine QMB erzählt,<br />
wie hilfreich und wichtig die Materialien sind,<br />
die im Intranet allen Mitgliedern zur Verfügung<br />
stehen. Oder wenn ein QMB darlegt,<br />
wie froh er ist, dass bald sein QMS eingeführt<br />
ist und er damit neue Maßnahmen über die<br />
festgelegten Prozesse viel besser lenken kann<br />
als bisher. Für mich bedeutet dies, der Weg<br />
von einer strategischen Entscheidung hin zu<br />
einem „gelebten” QMS ist geschafft.<br />
Basis des Erfolgs<br />
<strong>Der</strong> Erfolg der QG baut im Wesentlichen<br />
auf folgenden drei Punkten auf. Erster ist<br />
der fachliche Input von Johannes Massolle<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
(www.move-muenster.de) dem externen<br />
Qualitätsexperten. Von ihm erhalten die<br />
QMBs das Qualitäts-Know How und konkrete<br />
Werkzeuge und Methoden, die bei der<br />
Organisations- und Qualitätsentwicklung eingesetzt<br />
werden können. Und sie finden Unterstützung<br />
und Reflexionsmöglichkeiten für ihre<br />
nicht immer einfache Aufgabe der Qualitäts-<br />
entwicklung in ihren Betrieben.<br />
<strong>Der</strong> zweite Punkt ist die enge Zusammenarbeit<br />
in der Gemeinschaft. Beispielhaft sind<br />
das Vertrauen und die Offenheit, mit der die<br />
Qualitätsmanagementbeauftragten Themen<br />
diskutieren, Erfahrungen miteinander teilen<br />
und entwickelte Materialien austauschen.<br />
Dabei kommt es jenseits des Themas Qualität<br />
zu einem regen Informationsaustausch,<br />
beispielsweise zu aktuellen Fördermodali-<br />
täten. Das macht meines Erachtens die ganz<br />
besondere Qualität und den Wert dieser<br />
Arbeitsgruppe aus.<br />
<strong>Der</strong> dritte Pluspunkt ist die Struktur und der<br />
Rahmen, den die QG für ihre Mitglieder bietet.<br />
Durch die regelmäßigen Treffen der QAG bleiben<br />
die Qualitätsmanagementbeauftragten<br />
im Thema und können sich zeitnah Unterstützung<br />
holen. Darüber hinaus gibt es auf<br />
der Homepage www.qualitaet.paritaet-nrw.<br />
org einen passwortgeschützten Intranetbereich.<br />
Hier sind alle Schulungsmaterialien,<br />
Arbeitsgruppenprotokolle, Informationen zur<br />
Zertifizierung, erarbeitete Prozesse und Vorlagen<br />
für die Mitglieder jederzeit abrufbar.<br />
Als Sahnehäubchen konnten mit der<br />
DQS, der Deutschen Gesellschaft zur Zertifizierung<br />
von Managementsystemen,<br />
Sonderkonditionen ausgehandelt werden.<br />
So gibt es einen besonderen Rabatt bei der<br />
Zertifizierung.<br />
v.r.n.l.: Johannes Masolle, MOVE Organisationsberatung; Karin Hoffmann, VSB; Britta Schwecht, Die Kette;<br />
Jörg Marx, SCI Moers; Karin Dammer, ASH-Sprungbrett; Dirk Weimar, BZH; Silvia Heckmann, a.w.b.;<br />
Ludger Lünenborg, LERNEN FÖRDERN; Pia Tendeng, Stadtteil-Schule; Gaby Bremicker, RE/init;<br />
Doro Rengers, Werkstatt im Kreis Unna; Barbara Gast, Fach-Werk; Doris Rix, GF der QG Dienstleister am Arbeitsmarkt<br />
Weitere Informationen<br />
www.qualitaet.paritaet-nrw.org<br />
www.move-muenster.de<br />
Qualität<br />
Neue Arbeitsgruppe oder Einzelberatung<br />
Um weiteren Mitgliedsorganisationen des<br />
<strong>Paritätische</strong>n die Möglichkeit zu bieten,<br />
gemeinsam an der Einführung und Anwendung<br />
eines Qualitätsmanagementsystems zu<br />
arbeiten, richten wir eine neue Arbeitsgruppe<br />
für Anfänger ein, wenn es mindestens 10<br />
interessierte Mitgliedsorganisationen gibt.<br />
Sollte diese Zahl nicht erreicht werden, bieten<br />
wir für paritätische Mitgliedsorganisationen<br />
ein passgenaues Angebot zur Qualitätsentwicklung<br />
aus dem QMB- Pool an, einem Pool<br />
von ausgebildeten Qualitätsexperten beim<br />
<strong>Paritätische</strong>n <strong>NRW</strong>. In einem Vorgespräch<br />
wird geklärt, welchen Bedarf an Unterstützung<br />
Ihre Organisation bei der Qualitätsentwicklung<br />
hat. Entsprechend der Zielvorstellungen<br />
wird ein Angebot für einen Beratungsprozess<br />
erstellt, der genau auf die Voraussetzungen<br />
und die Notwendigkeiten der Einrichtung ausgerichtet<br />
ist.<br />
Doris Rix<br />
Zur Autorin<br />
Doris Rix ist Projektentwicklerin/<br />
Fachberaterin, TQM-Managerin und<br />
Geschäftsführerin der <strong>Paritätische</strong>n<br />
Qualitätsgemeinschaft Dienstleister<br />
am Arbeitsmarkt.<br />
Tel: 0 21 62/1 50 69<br />
Fax: 0 21 62/35 17 37<br />
E-Mail: doris.rix@paritaet-nrw.org<br />
Abkürzungen<br />
DQS – Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung<br />
von Managementsystemen<br />
www.dqs.de<br />
AZWV – Anerkennungs- und Zulassungsverordnung<br />
Weiterbildung<br />
www.bmas.de ➥ AZWV<br />
DIN EN ISO 9001 – Qualitätsmanagementnorm,<br />
www.wikipedia.de<br />
➥ DIN EN ISO 9001<br />
EOQ – European Organization for Quality,<br />
www.eoq.org<br />
QG – Qualitätsgemeinschaft<br />
QMS – Qualitätsmanagementsystem<br />
13
Qualität<br />
Zertifizierung in der Qualitätsgemeinschaft<br />
Zertifizierte Qualität<br />
<strong>Der</strong> Blick der Auditorin<br />
Helga Schröder arbeitet als Auditorin für die Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von<br />
Managementsystemen (DQS), eine der 25 von der Bundesagentur zugelassenen fachkundigen<br />
Stellen für die Träger- und Maßnahmezulassung nach AZWV. Seit Mai hat sie Mitglieder der<br />
<strong>Paritätische</strong>n Qualitätsgemeinschaft Dienstleiter am Arbeitsmarkt (QG), auditiert und begutachtet.<br />
ad: Frau Schröder, Menschen die keine<br />
Qualitätsexperten sind, verstehen die Unterschiede<br />
zwischen den verschiedenen<br />
„Qualitätsmarken” kaum. Worauf zielt<br />
die AZWV ab? Welchen Vorteil sehen Sie<br />
für Organisationen, die sich gleichzeitig<br />
nach DIN ISO zertifizieren lassen?<br />
Helga Schröder: Die AZWV ist der Versuch,<br />
über die Sozialgesetzgebung die Qualität für<br />
öffentlich finanzierte Dienstleitungen sicherzustellen.<br />
Was ich auch für richtig halte.<br />
Die AZWV ist eine Rechtsverordnung die<br />
festlegt, dass Anbieter, welche Maßnahmen<br />
für Bildungsgutscheine der Arbeitsagentur<br />
umsetzen wollen, bestimmte Voraussetzungen<br />
erfüllen müssen. Dazu gehört auch<br />
die Forderung nach Qualitätssicherung und<br />
Qualitätsentwicklung. <strong>Der</strong> Anbieter kann die<br />
Anforderungen der AZWV rein bürokratisch<br />
erfüllen, hat dann aber noch kein Qualitätsmanagementsystem<br />
(QMS), das die dafür<br />
notwendigen Unternehmensziele festlegt und<br />
Prozesse steuert. Arbeitet ein Unternehmen<br />
aber auf Basis der DIN EN ISO 9001, ist die<br />
Qualitätsmanagementsystematik gewährleistet,<br />
die beispielsweise eine kontinuierliche<br />
Marktbeobachtung und die Ausrichtung auf<br />
den Kunden garantiert.<br />
ad: Die KollegInnen aus der QG haben<br />
berichtet, dass Ihnen die gelebte Qualität<br />
des Unternehmens bei Ihren Audits wichtig<br />
war. Wie sieht gelebte Qualität aus<br />
dem Blickwinkel der Auditorin aus?<br />
Helga Schröder: Gelebte Qualität bedeutet<br />
für mich die Fähigkeit, dass sich das eigene<br />
Unternehmen mit seinen Kunden weiterentwickelt.<br />
Im Fall der Arbeitsmarktdienstleister<br />
also mit den Kostenträgern aber auch<br />
mit den TeilnehmerInnen der Maßnahmen.<br />
Gerade bei interaktiven personenbezogenen<br />
Dienstleistungen sind die Kunden eine Art<br />
Partner, mit denen kooperiert werden muss,<br />
um den Erfolg der Arbeit zu gewährleisten,<br />
was besonders bei schwierigen TeilnehmerInnen<br />
eine Herausforderung darstellt.<br />
Gerade die DIN ISO fordert aber das Einholen<br />
von Kundenrückmeldungen. Neben der<br />
unmittelbaren Kommunikation sind auch<br />
die Fähigkeiten der MitarbeiterInnen in den<br />
Unternehmen gefordert, den TeilnehmerInnen<br />
gegenüber Erwartungen wie zu Beispiel nach<br />
Pünktlichkeit so darzustellen, dass diese sich<br />
nicht gemaßregelt, sondern abgeholt und gefördert<br />
fühlen.<br />
ad: Wenn das externe Audit ansteht,<br />
bricht oft bei MitarbeiterInnen in den<br />
Unternehmen das große Zittern aus. Wie<br />
gehen Sie damit um und wie verstehen<br />
Sie dabei ihre Rolle als Auditorin?<br />
Helga Schröder: Niemand muss vor der Begutachtung<br />
bzw. dem Audittermin Angst haben.<br />
Ich versuche die Situation so zu gestalten,<br />
dass für die Beteiligten eine entspannte<br />
Atmosphäre entsteht. Dafür sind die Auditoren<br />
der DQS entsprechend geschult, sodass ein<br />
wertschöpfendes Audit im Rahmen von Dialogen<br />
entstehen kann. Bei der DQS gibt es<br />
außerdem nach dem ersten und zweiten Jahr<br />
eine „Förderbegutachtung”. Es geht dabei<br />
nicht um das Abarbeiten einer Checkliste mit<br />
Norm- oder AZWV-Anforderungen, sondern<br />
darum, dass das Werkzeug „Norm” optimal<br />
beim Erreichen der Organisationsziele nützt.<br />
Das gilt für das gesamte Audit einschließlich<br />
Abschlussgespräch, in dem die MitarbeiterInnen<br />
die konkreten Rückmeldungen zu Stärken<br />
und zu Verbesserungsbereichen ihrer Arbeit<br />
bekommen.<br />
ad: Wie sehen die beiden Bestandteile<br />
des Audits, Systemanalyse und Systembegutachtung,<br />
konkret aus?<br />
Helga Schröder: Bei der Systemanalyse<br />
werden die QM-Dokumente überprüft. Das<br />
QM-Handbuch wird unter dem Aspekt der<br />
Zertifizierungsfähigkeit an Hand der gesetzlichen<br />
Vorgaben und der Norm überprüft. Im<br />
Gegensatz zu anderen Zertifizierungsorganisationen<br />
prüft die DQS vor Ort im Unternehmen<br />
und lässt sich die Dokumente nicht nur<br />
Helga Schröder<br />
zuschicken. Das hat den großen Vorteil, dass<br />
wesentlich konkreter geprüft werden kann.<br />
Bei Unklarheiten kann nachgefragt werden<br />
und der oder die Qualitätsmanagementbeauftragte<br />
kann offene Fragen direkt beantworten.<br />
Sind die Antworten nicht ausreichend, kann<br />
ich als Auditorin konkrete Abstimmungen zu<br />
Korrekturen oder Verbesserung rechtzeitig<br />
vornehmen. Ggf. können notwendige Ergänzungen<br />
bis zur Systembegutachtung im Unternehmen<br />
umgesetzt werden.<br />
Die Systembegutachtung findet nach einem<br />
mit dem Unternehmen abgesprochen Zeitplan<br />
statt. Anhand von konkreten Projekten wird<br />
geklärt, wie eine Dienstleistung von Anfang<br />
bis Ende aussieht. Dazu werden die MitarbeiterInnen<br />
befragt, die in der Regel ihre eigene<br />
Arbeit gut darstellen können. Überprüft wird<br />
auch, ob die notwendigen Dokumente und<br />
Aufzeichnungen vorhanden sind. Dazu gehören<br />
auch die Bereiche Daten- und Arbeitsschutz<br />
als gesetzliche Verpflichtungen.<br />
ad: In der QG Dienstleister am Arbeitsmarkt<br />
haben sich Träger zur gemeinsamen<br />
Qualitätsentwicklung zusammengeschlossen.<br />
Worin liegen Ihrer Meinung<br />
nach die Vorteile für Organisationen, die<br />
sich gemeinsam auf eine Zertifizierung<br />
vorbereiten?<br />
Helga Schröder: Aus meiner Sicht ist eine<br />
Gruppe immer mehr als die Summe der Einzelnen.<br />
So kann ein fruchtbarer Austausch<br />
über Ziele, Leitbilder und Prozesse entstehen,<br />
oder darüber wie die Unternehmensbedürfnisse<br />
und die Norm in Einklang zu bringen sind.<br />
Beispielhafte Abläufe können entwickelt und<br />
übertragen werden. Probleme mit TeilnehmerInnen<br />
aber auch mit Auftraggebern können<br />
gemeinschaftlich behandelt und Lösungsansätze<br />
entwickelt werden. Außerdem besteht<br />
die Möglichkeit einer Gruppenzertifizierung<br />
von Unternehmen mit ähnlichen Systemen.<br />
Das ist kostengünstiger als eine Einzelzertifizierung.<br />
14 arbeitsdruck 11/06
ad: Einige Mitglieder der QG haben in<br />
diesem Jahr ihre Erstzertifizierung erhalten.<br />
Jedes Jahr steht erneut ein Audit<br />
an. Was muss eine Organisation aus<br />
Ihrer Sicht machen, um ihr QMS weiterzuentwickeln?<br />
Helga Schröder: Drei Dinge halte ich eine<br />
Weiterentwicklung für wichtig:<br />
1.) Die internen Audits müssen als Instrument<br />
der Wirksamkeitsüberprüfung des<br />
QMS genutzt werden. Das kann in einer<br />
Qualitätsgemeinschaft auch bedeuten,<br />
dass gegenseitige interne Audits stattfinden.<br />
2.) Um die Marktfähigkeit des Unternehmens<br />
zu erhalten, muss der Marktbeobachtung<br />
und dem Austausch mit den Kunden<br />
hohe Aufmerksamkeit gezollt werden.<br />
Eine grundlegende Intention der DIN ISO<br />
Zertifizierung – Umsetzung<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
ist es ja, das Vertrauen in die Dienstleistung<br />
zu fördern. Sie nehmen wahrscheinlich<br />
auch einen längeren Weg zu einem<br />
Zahnarzt in Kauf, bei dem Sie aufgrund<br />
ihres Vertrauens die besseren Dienstleistungen<br />
erwarten.<br />
3.) Wichtig finde ich auch ein Kooperieren in<br />
Netzwerken. Dadurch bleiben die Beteiligten<br />
nicht bei der Binnensicht ihres Unternehmens,<br />
sondern können auch von<br />
der Außenperspektive der anderen profitieren.<br />
Gerade bei der Frage der Marktbeobachtung<br />
ist es sehr interessant, die<br />
Erfahrungen anderer zu kennen und zu<br />
nutzen.<br />
ad: Frau Schröder, vielen Dank für das<br />
Interview!<br />
Von der guten zur zertifizierten Arbeit<br />
Qualität<br />
Zum Interview:<br />
Helga Schröder ist EOQ Quality Auditorin,<br />
Trainerin und Organisationsberaterin.<br />
Sie arbeitet als Auditorin für die DQS<br />
www.consilea.de<br />
Das Interview führte Doris Rix, Projektentwicklerin<br />
und Geschäftsführerin der<br />
QG Dienstleiser am Arbeitsmarkt.<br />
E-Mail: rix@paritaet-nrw.org<br />
www.qualitaet.paritaet-nrw.org �<br />
➥Dienstleister am Arbeitsmarkt<br />
Einführung eines Qualitäts-<br />
managementsystems<br />
ASH-Sprungbrett e.V., ist Mitglied der Qualitätsgemeinschaft Dienstleister am<br />
Arbeitsmarkt. <strong>Der</strong> Verein ist seit über 20 Jahren im Rhein – Erftkreis erfolgreich für<br />
die Integration von Benachteiligten tätig. Die QMB Katharina Dammer berichtet<br />
über den Weg bis zur Zertifizierung.<br />
Für die Beschäftigten des ASH-Sprungbrett<br />
war es schon immer selbstverständlich sich<br />
fachlich auf dem Laufenden zu halten, um<br />
die Teilnehmer bestens unterstützen, beraten,<br />
qualifizieren und vermitteln zu können. Das<br />
bedeutete zum Beispiel, dass man sich über<br />
gesetzliche Neuerungen und aktuelle Methoden<br />
informierte, Kooperationsbeziehungen<br />
pflegte, die Dokumentation pflegte oder Projekte<br />
zielorientiert konzipierte und ausstattete.<br />
Als klar wurde, dass nur noch zertifizierte<br />
Träger eine Chance auf öffentliche Aufträge<br />
haben, war schnell entschieden: „Wir wollen<br />
die Zertifizierung.” Daher beteiligten wir<br />
uns an der Q-Check Gruppe und der Qualitätsarbeitsgemeinschaft<br />
im <strong>Paritätische</strong>n.<br />
Ich wurde QM-Beauftragte und absolvierte<br />
eine Fortbildung zur Auditorin. Seit August<br />
2006 ist der ASH-Sprungbrett zertifiziert und<br />
ein nach AZWV zugelassener Träger.<br />
Kernaussage<br />
Wir, der Geschäftsführer mit den Leitungskräften,<br />
machten allen Mitarbeiter/innen deutlich,<br />
warum die Zertifizierung angestrebt wurde.<br />
Dabei war die Kernaussage, die bisher<br />
„selbstverständliche” gute Arbeit soll messbar<br />
und überprüfbar werden. Es ging nicht um<br />
großartige Neuerungen, die Arbeit blieb im<br />
Wesentlichen gleich, aber sie sollte transparenter<br />
werden und noch systematischer<br />
dokumentiert.<br />
Katharina Dammer<br />
Probleme und Ängste<br />
Mit den Veränderungen tauchten auch<br />
Schwierigkeiten auf. So bestand die Sorge,<br />
dass festgestellte Fehler einzelnen Personen<br />
angelastet werden könnten, oder dass mehr<br />
Transparenz zu mehr Formularen führt. Außerdem<br />
könnten festgelegte Verfahren den Bewegungsspielraum<br />
und die Individualität der<br />
Mitarbeiter/innen einschränken. Eine weitere<br />
Befürchtung war, der Veränderungsprozess<br />
könnte nur ein abstraktes, formales Gebilde<br />
sein und gar nichts mit der tatsächlichen<br />
Arbeit zu tun haben. Neben den Engpässen<br />
15
Kombilohn<br />
durch Umstrukturierungen und neue Aufträge<br />
waren es wohl diese Ängste, die gelegentlich<br />
zu Verschleppungen von Terminen führten.<br />
Ausräumen der Widerstände<br />
Die Sorgen und Widerstände wurden bei Betriebsversammlungen,<br />
Mitarbeitergesprächen<br />
und in der Runde der internen Auditoren ausführlich<br />
besprochen. Ausgeräumt wurden die<br />
Bedenken aber erst mit der Einführung und<br />
Anwendung des Systems. Die Kolleg/innen<br />
machten die Erfahrung, dass der kontinuierliche<br />
Verbesserungsprozess ernst gemeint ist:<br />
Fehlermeldungen oder Korrekturvorschläge<br />
werden konstruktiv aufgenommen, als Anlass<br />
zum Nachdenken und Handeln verstanden<br />
und nicht als Indiz für Fehler Einzelner<br />
gewertet. Die Prozessbeschreibungen und<br />
Dokumente sind brauchbar, oder sie werden<br />
angepasst. Die verbesserte Systematik hilft<br />
wirklich bei der Arbeit, bringt nicht nur Formulare,<br />
sondern auch tatsächliche Entlastung.<br />
Arbeitsmarktpolitik <strong>NRW</strong><br />
O-Töne<br />
Kurz vor dem Besuch der Auditorin besuchte<br />
ich noch mal alle Projekte und konnte dabei<br />
schon etwas über positive Auswirkungen<br />
hören:<br />
„Wir haben die Sicherheit, alles Nötige tatsächlich<br />
getan zu haben.”<br />
„Die Verbindlichkeit in der Dokumentation<br />
macht es einfacher, die Dokumente zu ergänzen<br />
und Neues einzuarbeiten.”<br />
„Die Übergabe von Projekten und das Einarbeiten<br />
neuer Mitarbeiter ist durch mehr Übersichtlichkeit<br />
und Systematik einfacher”.<br />
„Ich finde - endlich - alle Unterlagen sofort.”<br />
Auch mit QMS: Nach wie vor ist gute Arbeit<br />
gefragt – selbstverständlich!<br />
Katharina Dammer<br />
Kombilohn <strong>NRW</strong><br />
Aktueller Stand der Umsetzung<br />
<strong>Der</strong> Kombilohn <strong>NRW</strong> gewinnt an Format und Fahrt. Zahlreiche Regionen des Landes<br />
haben bereits mit der Umsetzung konkreter Projekte begonnen, weitere werden bis<br />
zum Jahresende folgen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die die Gesellschaft für<br />
innovative Beschäftigungsförderung (G.I.B.) im Auftrag des Ministeriums für Arbeit,<br />
Gesundheit und Soziales des Landes <strong>NRW</strong> durchgeführt hat.<br />
Im März 2006 veröffentlichte Karl-Josef<br />
Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und<br />
Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen,<br />
Eckpunkte zum Kombilohn <strong>NRW</strong>. Mit diesem<br />
Instrument sollen für die Zielgruppe der<br />
Langzeitarbeitslosen mit besonderen Vermittlungshemmnissen<br />
zusätzliche Arbeitsplätze<br />
geschaffen werden. Im Hinblick auf die Förderkonditionen<br />
sehen die Empfehlungen des<br />
Landes wie folgt aus: Mit Fördermitteln der<br />
Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) und Optionskommunen<br />
(OK) können den Arbeitgebern<br />
die Sozialversicherungsbeiträge in Höhe<br />
von 21% des Arbeitnehmerbruttos erstattet<br />
werden. Außerdem können 21% des Arbeitnehmerbruttos<br />
als Einkommenszuschuss an<br />
den Arbeitnehmer weitergereicht werden. Und<br />
zusätzlich kann bei Personen mit erhebli-<br />
chen Vermittlungshemmnissen ein degressiv<br />
gestalteter Minderleistungsausgleich in Höhe<br />
von max. 30% gezahlt werden. Die bisherige<br />
Umsetzungspraxis hat jedoch gezeigt,<br />
dass die ARGEn/OK in vielen Regionen die<br />
Förderkonditionen den jeweiligen regionalen<br />
Gegebenheiten anpassen und sogar über die<br />
vorgeschlagenen Förderkonditionen hinausgehen.<br />
Auf der Grundlage der Landesempfehlungen<br />
ist so eine Bandbreite unterschiedlicher<br />
Fördermodelle mit verschiedenen Förderschwerpunkten<br />
entstanden.<br />
Alle machen mit<br />
Die ARGEn und OK, Regionalagenturen,<br />
Wohlfahrtsverbände und Unternehmen der<br />
freien Wirtschaft wurden in den vergangenen<br />
Monaten umfassend zum Kombilohn <strong>NRW</strong><br />
Qualifikation ergänzt die praktische Arbeit<br />
Zur Autorin<br />
Katharina Dammer ist Qualitätsmanagementbeauftragte<br />
und Fachbereichsleiterin<br />
bei ASH Sprungbrett e.V..<br />
Tel.: 0 22 71/ 9 83 30<br />
E-Mail: k.dammer@ash-sprungbrett.de<br />
Andreas Langer<br />
informiert. Die Regionalagenturen wie auch<br />
die G.I.B. unterstützen im Auftrag des MAGS<br />
die Umsetzung des Kombilohn <strong>NRW</strong> durch<br />
ein Begleitangebot. Hierzu gehören u.a. Informationsveranstaltungen,<br />
ein Beratungsservice,<br />
ein permanentes Monitoring sowie<br />
die Bereitstellung von Dokumenten (siehe<br />
www.gib.nrw.de � Kombilohn).<br />
Bereits im Juli 2006 erreichten die G.I.B.<br />
in einer vom MAGS in Auftrag gegebenen<br />
Umfrage bei ARGEn, OK und Wohlfahrtsverbänden<br />
aus nahezu allen Regionen positive<br />
Rückmeldungen über die Teilnahme am Programm.<br />
Inzwischen sind die Strukturen fast<br />
überall installiert und in zahlreichen Regionen<br />
wird Kombilohn bereits erfolgreich in unterschiedlichen<br />
Varianten umgesetzt.<br />
16 arbeitsdruck 11/06
Große Vielfalt<br />
Um die Zusätzlichkeit und Gemeinnützigkeit<br />
der Kombilohnarbeitsplätze zu gewährleisten<br />
und reguläre Arbeitsplätze nicht zu gefährden,<br />
lagen zu Beginn der Planung folgende<br />
Arbeitsfelder im Zentrum der Überlegungen:<br />
Zivildienstplätze, Wäschehol- und -bringdienste,<br />
Dienstleistungen für Unternehmen<br />
der Wohnungswirtschaft, Fair-Kaufhäuser.<br />
Außerdem wurden laut Umfrage innerhalb<br />
des sozialen Bereiches Tätigkeitsfelder wie<br />
haushaltsnahe Dienstleistungen, ambulante<br />
Pflege, Fahrdienste, Integrationshilfen,<br />
Lagerarbeiten, Garten- und Landschaftsarbeiten<br />
genannt.<br />
Möglich ist aber auch der Einsatz jenseits<br />
der Sozialwirtschaft in der freien Wirtschaft,<br />
allerdings wie im sozialen Bereich auch hier<br />
unter der Bedingung, dass die eingerichteten<br />
Arbeitsplätze das Kriterium der Zusätzlichkeit<br />
erfüllen, um Verdrängungseffekten entgegenzuwirken.<br />
Im Folgenden werden drei Beispiele genauer<br />
dargestellt. Es handelt sich dabei um die<br />
Regionen Düsseldorf, Gelsenkirchen und Ostwestfalen<br />
Lippe (OWL).<br />
Düsseldorfer Kombilohnmodell –<br />
Zivildienst wird Kombilohn<br />
Das Düsseldorfer Modell konzentriert sich auf<br />
die klar umrissene Gruppe der ehemaligen<br />
Zivildienstplätze. Diese sind per se zusätzlich.<br />
Sie erfüllen auch die Vorgabe, dass<br />
sie Düsseldorfer BürgerInnen zu Gute kommen.<br />
Von den ehemals 1639 Düsseldorfer<br />
Zivildienststellen waren im April 2006 nur<br />
379 belegt. Aus diesem Potenzial von 1260<br />
unbesetzten Stellen werden nun 200 Kombilohnarbeitsplätze<br />
entwickelt und durch die<br />
Fallmanager der ARGE mit Hilfeempfängern<br />
nach §16 SGB II besetzt. Über die praktische<br />
Umsetzung des Modells beim Pflegeservice<br />
Care24, Mitglied des <strong>Paritätische</strong>n, berichten<br />
wir in diesem Heft.<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
Kombilohn OWL –<br />
Förderung für den Freien Markt<br />
Das Modell aus OWL fördert die Beschäftigung<br />
von ALG II-Beziehern, die seit mindestens<br />
3 Jahren arbeitslos sind. Hier können<br />
zusätzlich von Unternehmen des regulären<br />
Arbeitsmarktes eingerichtete sozialversicherungspflichtige<br />
Arbeitsplätze für maximal zwei<br />
Jahre mit 42% des Arbeitgeberbruttos gefördert<br />
werden. Im Falle eines erheblichen Mehraufwandes<br />
kann für die Arbeitsaufnahme ein<br />
Einstiegsgeld beantragt werden. Dieses steht<br />
z.B. für höhere Fahrtkosten, die Anschaffung<br />
eines Fahrzeuges oder Kinderbetreuungskosten<br />
zur Verfügung. Bereits bei der Mindestver-<br />
gütung von 6,33 € beträgt die Förder-<br />
summe 5.107 € pro Jahr. Diesem steht ein<br />
Arbeitgeberanteil von 9.600 € gegenüber. Die<br />
Förderung kann in begründeten Fällen auf bis<br />
zu 70% angehoben werden, um die Minderleistung<br />
auszugleichen.<br />
Gelsenkirchener Modell –<br />
Progressive Förderung<br />
Die Zielgruppe des Gelsenkirchener Modells<br />
ist anders gelagert. Hier liegen die folgende<br />
Gruppen im Fokus: Zum einen Mini-Jobber,<br />
die ihre Hilfebedürftigkeit trotz der Nebeneinkünfte<br />
aus dieser Tätigkeit nicht beenden<br />
konnten und zum anderen erfolgreiche Absolventen<br />
beruflicher Qualifikationen. Voraussetzung<br />
der Förderung ist damit die Aktivität der<br />
Arbeitsuchenden. Abweichend von der üblichen<br />
Praxis der degressiven Förderung wird<br />
in Gelsenkirchen der Weg der progressiven<br />
Förderung beschritten. <strong>Der</strong> Arbeitgeberanteil<br />
der Sozialversicherung wird dabei im ersten<br />
Jahr mit 50%, im zweiten mit 75% und im<br />
dritten mit 100% bezuschusst. Ziel ist die<br />
nachhaltige Beschäftigung. Denn das dritte<br />
Jahr überschreitet den Zwei-Jahresrahmen<br />
des Teilzeit- und Befristungsgesetzes und<br />
unterstützt dadurch die arbeitsrechtliche Bindung.<br />
Die Kostenseite des Arbeitgebers wird<br />
bei einem Monatsverdienst von 1500,– € in<br />
den drei Jahren um 8100,– € entlastet. Ins-<br />
Kombilohn<br />
gesamt sollen in Gelsenkirchen durch dieses<br />
Modell 1000 neue Arbeitsplätze entstehen.<br />
Die Begleitstruktur<br />
Für die Entwicklung und Flankierung des<br />
Kombilohnmodells können mit Mitteln des<br />
Europäischen Sozialfonds Fachkraftstellen<br />
geschaffen werden. Mit dieser Förderung des<br />
Landes sollen erstens neue Tätigkeitsfelder<br />
generiert, zweitens Umsetzungsstrategien<br />
und -Strukturen entwickelt und implementiert<br />
und drittens die Startphase und die Vermarktung<br />
unterstützt werden. Grundlage der<br />
Zuwendung sind folgende Punkte:<br />
• Konkrete Projektbeschreibung<br />
• Nennung quantitativer und<br />
qualitativer Ziele<br />
• Positives Votum der Region<br />
• Schlüssiges Finanzierungskonzept<br />
• Letter of Intent der ARGE bzw.<br />
Optionskommune<br />
• Bereitschaft zur Mitwirkung im Rahmen<br />
von Controlling und Evaluation<br />
Es stehen gemäß der die Fördermodalitäten<br />
regelnden GDR (Gemeinsame Durchführungsregelung)<br />
jährlich je Fachkraft<br />
51.518,– € (80% der Bemessungsgrundlage)<br />
zur Verfügung. Aktuell (Mitte November<br />
2006) gilt noch immer ein Bewilligungsstop<br />
des MAGS für dieses Programm – wie<br />
für viele andere ESF-geförderte Programme.<br />
Ob Anträge für die Begleitstruktur des Kombilohns<br />
künftig wieder bewilligt werden ist fraglich;<br />
das Programm steht wohl nicht auf der<br />
Prioritätenliste des MAGS.<br />
Andreas Langer<br />
Zum Autor<br />
Andreas Langer ist Projektentwickler/<br />
Fachberater in der Fachgruppe,<br />
soziale Hilfen, Europa im <strong>Paritätische</strong>n<br />
Landesverband <strong>NRW</strong> in Düsseldorf<br />
Tel.: 02 11/9 46 00-22<br />
E-Mail: langer@paritaet-nrw.org<br />
17
Kombilohn<br />
Arbeitsmarktinstrument in der Praxis<br />
Kombilohn<br />
Beschäftigungsförderung<br />
im Alltagseinsatz<br />
Care24 – der Düsseldorfer Krankenpflegedienst bietet die gesamte Bandbreite der Pflege<br />
und Versorgung von Menschen mit schwersten körperlichen und psychischen Krankheiten an –<br />
vom Einkaufen bis zur Sterbebegleitung. Er ist einer der ersten Arbeitgeber in <strong>NRW</strong> die Kombilohnarbeitsplätze<br />
eingerichtet haben. Die Geschäftsführerin Elke Leuchtenberg berichtet<br />
in einem Gespräch mit dem Fachberater Andreas Langer über ihre Erfahrungen.<br />
Care24 betreut und pflegt in Düsseldorf seit<br />
vielen Jahren Schwerstkranke, HIV-Patienten,<br />
psychisch Erkrankte, Drogenabhängige und<br />
Wohnungslose. <strong>Der</strong> Arbeitszeiteinsatz bei<br />
den intensiven Eins zu Eins Situationen kann<br />
sich von einem kurzen Besuch bis hin zu<br />
16 oder gar 24 Stunden pro Tag erstrecken.<br />
Die Aufgaben reichen dabei von reiner Präsenz,<br />
über Einkaufen und Reinigen der Wohnung,<br />
bis hin zu künstlicher Beatmung und<br />
Sterbebegleitung. Für die Abdeckung dieser<br />
großen Bandbreite beschäftigt Care24 Sozialarbeiter,<br />
examinierte Kranken- und Altenpfleger<br />
mit unterschiedlichen Schwerpunkten,<br />
Familienpfleger sowie angelernte Hauswirtschafterinnen<br />
und seit August auch Kombilohnkräfte.<br />
Ersatz für Zivis<br />
Mitte Mai wendete sich die Düsseldorfer<br />
ARGE mit dem Vorschlag an Care24, Kombilohnarbeitsplätze<br />
anstelle von unbesetzten<br />
Zivildienststellen einzurichten. Da der Verein<br />
schon seit mehreren Jahren nicht mehr genü-<br />
Fachgruppe intern I<br />
gend Bewerbungen von Zivildienstleistenden<br />
bekommt, traf das Angebot auf offene Ohren.<br />
Die Möglichkeit, lebenserfahrene Menschen<br />
für 24 Monate anstatt für 9 Monate in der Versorgung<br />
der Patienten einsetzen zu können,<br />
machte neugierig.<br />
10 neue Stellen<br />
Nach Vorgabe der ARGE Düsseldorf kann<br />
pro 10 Mitarbeiter eine Kombilohnstelle geschaffen<br />
werden. Mit dem Betriebsrat war<br />
sich die Geschäftsführung schnell einig.<br />
So wurden bei insgesamt 68 Mitarbeitern<br />
sechs Kombilohnarbeitsplätze beantragt.<br />
Weitere vier Stellen sollen in den kommenden<br />
Monaten sukzessive im Zuge des Aufbaus<br />
des neuen Geschäftsbereiches der Alltagsbegleitung<br />
eingestellt werden. Als Stundenlohn<br />
wurden 7,50€ bei einer Wochenarbeitszeit von<br />
38,5 Stunden vereinbart. Damit liegen trotz<br />
760,– € Förderung die Kosten zwar deutlich<br />
über denen für Zivildienststellen, insgesamt<br />
wiegen aber die Vorteile die Nachteile<br />
deutlich auf.<br />
Die Fachgruppe Arbeit, soziale Hilfen, Europa des Partätischen beim Teamtraining im Hochseilgarten<br />
Elke Leuchtenberg<br />
Ein Lob an die ARGE<br />
Mit einer Arbeitsplatzbeschreibung und dem<br />
Profil für die neuen Mitarbeiter in der Hand<br />
trat Care24 an die ARGE heran und präsentierte<br />
das Konzept. Für den Beginn waren<br />
drei Einstellungen geplant, um die Integration<br />
der neuen Mitarbeiter in das Team zu gewährleisten.<br />
Ausgerichtet an der Auftragslage<br />
für diesen Bereich werden in den nächsten<br />
Monaten weitere Eintellungen folgen, sodass<br />
voraussichtlich im ersten Quartal 2007 alle<br />
Stellen besetzt sind. Binnen weniger Tage<br />
war der Antrag genehmigt. Die Fallmanager<br />
der ARGE agierten dann schnell und gezielt.<br />
Sie sorgten mit ihrer Vorauswahl dafür, dass<br />
die Bewerber in hohem Ausmaß den Anforderungen<br />
entsprachen. Das war nach den<br />
zurückliegenden Erfahrungen mit der Agentur<br />
für Arbeit eine sehr positive Überraschung.<br />
Die neuen Mitarbeiter durchliefen das übliche<br />
gestaffelte Einstellungsverfahren. Nach der<br />
Durchsicht der Unterlagen und den Vorstellungsgesprächen<br />
bekam eine Auswahl der<br />
Kandidaten die Möglichkeit zu zwei oder drei<br />
Hospitationstagen. Gerade für Quereinsteiger<br />
liegt darin auch die Chance sich gegen das<br />
Angebot zu entscheiden, was der Philosophie<br />
entspricht: Mitarbeiter sollen ihre Grenzen erkennen<br />
und äußern.<br />
Einarbeitung<br />
Wenn die Entscheidung füreinander gefallen<br />
ist, schließt sich die Phase der Einarbeitung<br />
an. Die ersten zwei bis drei Wochen gehen<br />
die Neuen mit erfahrenen Kollegen zu den<br />
Patienten. Fragen und Unsicherheiten zur Ansteckungsgefahr<br />
bei AIDS, oder zum Umgang<br />
mit Messies und Junkies können dabei beantwortet<br />
werden. Darüber hinaus sichert das<br />
Patensystem, die ständige Erreichbarkeit der<br />
pflegerischen und der hauswirtschaftlichen<br />
Pflegedienstleitungen sowie Weiterbildung<br />
und Supervision die Eingliederung ins Team.<br />
18 arbeitsdruck 11/06
Personalentwicklung<br />
Regelmäßig werden die Mitarbeiter zu Themen<br />
wie Dokumentation, Pflege und Lagern,<br />
Drogen oder Gewalt in der Pflege weitergebildet.<br />
Das gilt selbstverständlich auch für die<br />
neuen Mitarbeitern im Kombilohnmodell. Es<br />
werden gute Chancen gesehen sie durch die<br />
Personalentwicklung über die zweijährige Befristung<br />
hinaus an die Einrichtung zu binden.<br />
Die Rekrutierung neuer Mitarbeiter über das<br />
Kombilohnmodell entwickelt sich dadurch<br />
zur neuen Alternative.<br />
Alltagsbegleitung und Kombilohn<br />
Wie bereits erwähnt arbeitet Care24 an vier<br />
weiteren Kombilohnarbeitsplätzen. Sie sind<br />
im Bereich der Alltagsbegleitung geplant.<br />
Hintergrund dieser Planung ist das Modellprojekt<br />
„Mobile Dienstleistungen für Alltag<br />
und Haushalt” des Ministeriums für Arbeit,<br />
Gesundheit und Soziales des Landes <strong>NRW</strong>.<br />
Care24 ist hier eine von 15 Organisationen,<br />
die in <strong>NRW</strong> haushaltsnahe Dienstleistungen<br />
wie z.B. Hausmeisterservice, handwerkliche<br />
Hilfen sowie Familien- und Haushaltsdienste<br />
anbieten. Ziel des Projektes ist, den Arbeitsbereich<br />
der Alltagsbegleitung zu beschreiben<br />
und von Einsatzbereichen des SGB XI<br />
abzugrenzen. Beispielhaft wird dazu u.a.<br />
die Zielgruppe, die Lohnstruktur und die<br />
Kundenakquise erarbeitet.<br />
<strong>Paritätische</strong>r Gesamtverband<br />
Entwicklungs-<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
Alle gewinnen<br />
Care24 ist zuversichtlich dieses Beschäftigungsfeld<br />
nachhaltig aufzubauen und den<br />
Kombilohnarbeitern dadurch eine Zukunft<br />
bieten zu können. Denn viele Menschen<br />
wünschen sich von einem Pflegedienst Unterstützungen,<br />
die bei der Pflegekasse nicht<br />
abzurechnen sind. Die Kalkulation bei üblichen<br />
Lohnkosten bedeuten aber für die meisten<br />
Menschen, dass sie sich diese Dienste<br />
nicht leisten können. Die Subvention der Arbeitskraft<br />
in Form des Kombilohns hilft dabei<br />
allen Beteiligten. Die Kunden bekommen die<br />
erhoffte Zuwendung von der Alltagsbegleitung<br />
und die Kombilohnmitarbeiter haben<br />
eine langfristige Aufgabe und finanzielle Absicherung.<br />
Und auch die Stadt gewinnt. Statt<br />
der durchschnittlichen Transferleistung ALG-II<br />
für einen 1-Personenhaushalt von monatlich<br />
897,50 €, spart die Kommune 137,50 €,<br />
wenn sie die neue Arbeitstelle mit den maximal<br />
möglichen 760,– € fördert. Das sind für<br />
Düsseldorf bei 200 geplanten Kombilohnarbeitsplätzen<br />
in 2 Jahren 660.000 €.<br />
Kombilohn – finden wir gut<br />
Für die Erfordernisse von Care24 bietet das<br />
Kombilohnmodell sehr gute Möglichkeiten,<br />
unbesetzte Zivildienststellen langfristig zu besetzen.<br />
Gerade in der Dauerhaftigkeit liegt für<br />
die Patienten, das Unternehmen und auch die<br />
partnerschaft auf<br />
Bundesebene<br />
GemeinwohlArbeit wird Jobchance<br />
Meldungen<br />
Weitere Informationen<br />
www.arbeitsmarkt.nrw.de/aktuelles/<br />
material/mobile-dienstleistungen.pdf<br />
Zu den Autoren<br />
Andreas Langer ist Projektentwickler<br />
in der Fachgruppe Arbeit, soziale Hilfen,<br />
Europa im <strong>Paritätische</strong>n Landesverband<br />
<strong>NRW</strong><br />
Tel.: 02 11/9 46 00-22<br />
E-Mail: langer@paritaet-nrw.org<br />
Elke Leuchtenberg ist Geschäftsführerin<br />
der Care24 PflegeService gGmbH in<br />
Düsseldorf<br />
Tel.: 02 11/72 01 86<br />
E-Mail: elke.leuchtenberg@care24pflegeservice.de<br />
Reiner Mathes<br />
Ende 2004 legte der <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband ein Konzept zur „GemeinwohlArbeit ” vor. Aufbauend auf diesem Papier<br />
wurde im Januar 2005 vom Gesamtverband in den Landesverbänden des <strong>Paritätische</strong>n ein Konzeptwettbewerb ausgelobt.<br />
Die Träger wurden aufgerufen, im Rahmen eines Equalprojektes den Gemeinwohl-Ansatz für unter 25 Jährige zu erproben und<br />
diesen gemeinsam unter Projektleitung des Landesverbandes <strong>NRW</strong> weiter zu entwickeln.<br />
<strong>Der</strong> Gesamtverband beauftragte den Landesverband<br />
mit der Federführung dieses Vorhabens,<br />
das in das insgesamt 11 Träger umfassende<br />
Equal-Projekt „GemeinwohlArbeit wird<br />
Jobchance ” des <strong>Paritätische</strong>n in Thüringen<br />
eingebunden ist und seit Mitte 2005 umgesetzt<br />
wird. Fünf Träger aus vier Bundesländern<br />
arbeiten hier zusammen. Es sind<br />
der <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband LV-<strong>NRW</strong><br />
und der sci:moers gGmbH aus Nordrhein-<br />
Kombilohn Mitarbeiter die Qualität dieses Modells.<br />
Die schnelle und unbürokratische Bearbeitung<br />
des Antrages sowie die passgenaue<br />
Vermittlung der Bewerber durch die ARGE und<br />
ihre Fallmanager rundeten das Modell ab und<br />
machen Lust auf mehr.<br />
Andreas Langer<br />
Elke Leuchtenberg<br />
Westfalen, der Starthilfe Sondershausen e.V.<br />
aus Thüringen, die Integrationsgesellschaft<br />
Sachsen gGmbH aus Freital und der Bürgerservice<br />
Trier gGmbH aus Rheinland-Pfalz.<br />
Anders als beim Modellprojekt Gemeinwohl-<br />
19
Meldungen<br />
Arbeit <strong>NRW</strong> (wir berichteten ad 42), bei dem<br />
sich nordrhein-westfälische Träger aller Verbände<br />
beteiligen, liegt hier die Zielgruppe bei<br />
den unter 25 Jährigen. Mit ihnen arbeiten<br />
4 der 5 Projekte direkt zusammen. Das fünfte<br />
Teilprojekt ist für die Praxisbegleitung und<br />
Qualitätsentwicklung verantwortlich.<br />
Die fünf Teilprojekte arbeiten gemeinsam<br />
daran im Rahmen, der Umsetzung ihrer<br />
Arbeitsgelegenheiten für unter 25 Jährige eine<br />
Definition von Mindeststandards zu erarbeiten,<br />
um den Begriff der GemeinwohlArbeit<br />
zu einem Standard zu entwickeln. Ziel ist es,<br />
die GemeinwohlArbeit als sinn- und wertschöpfendes<br />
Arbeitsmarktangebot zu etablieren.<br />
Dabei finden die regionalen und trägereigenen<br />
Bedingungen Berücksichtigung.<br />
Ziele und Inhalte der Projekte sind<br />
• Mit GemeinwohlArbeit sollen Arbeitsgelegenheiten<br />
zur Erledigung zusätzlicher,<br />
öffentlicher Aufgaben im Interesse des<br />
Gemeinwohls und zur beruflichen Integration<br />
erwerbsfähiger junger Erwachsenen<br />
geschaffen werden.<br />
• GemeinwohlArbeit soll in einem regionalen<br />
System der beruflichen Integration verankert<br />
werden, mit dem Arbeitslose und<br />
Arbeit suchende junge Erwachsene, die<br />
mit den regulären Instrumenten des SGB<br />
III noch nicht integriert oder gefördert werden<br />
können, auf dem Weg ins Erwerbsleben<br />
unterstützt werden können.<br />
• Aufbauend auf einem gemeinsamen Rahmenkonzept<br />
sollen standortspezifische<br />
Ansätze, Methoden und Organisationsformen<br />
von GemeinwohlArbeit erprobt und<br />
für den Transfer aufbereitet werden.<br />
• Es soll erprobt werden, wie Wahlmöglichkeiten<br />
des Einzelnen und passgenaue<br />
Vermittlung und Besetzung der Einsatzstellen<br />
im Rahmen der GemeinwohlArbeit<br />
in Übereinstimmung zu bringen sind.<br />
• Es sollen Qualitätsstandards entwickelt<br />
und erprobt werden, durch die die besonderen<br />
Merkmale von GemeinwohlArbeit<br />
als eine Umsetzungsform für Arbeitsgelegenheiten<br />
deutlich wird.<br />
• Die entwickelten und erprobten Standards<br />
für GemeinwohlArbeit sollen in Transferveranstaltungen<br />
innerhalb der Entwicklungspartnerschaft,<br />
beim Gesamtverband<br />
und weiteren Landesverbänden, aber auch<br />
den für das SGB II zuständigen Ministerien<br />
sowie der Bundespolitik vor- und zur Diskussion<br />
gestellt werden.<br />
• Damit sollen die entwickelten und erprobten<br />
Grundlagen, dem Instrument Arbeits-<br />
gelegenheiten ein Profil und positives<br />
Image als gesellschaftlich nützliche, dem<br />
Gemeinwohl dienende Arbeit geben.<br />
Erste Ergebnisse aus der<br />
Qualitätsentwicklung<br />
Zur Entwicklung der Qualitätsstandards in<br />
der Gemeinwohlarbeit für unter 25 Jährige<br />
fanden in den vergangenen Monaten zwei<br />
mehrtägige Workshops statt. In ihnen haben<br />
die Beteiligten eine erste Definition von GemeinwohlArbeit<br />
„U 25” entwickelt und erste<br />
Kriterien und Durchführungsanforderungen<br />
für Mindest-Qualitätsstandards verabredet.<br />
Diese Standards sollen im nächsten Schritt<br />
überprüfbar gemacht werden.<br />
Die Mitglieder der Entwicklungsgemeinschaft<br />
haben für die GemeinwohlArbeit folgende Definition<br />
erarbeitet:<br />
Gemeinwohlarbeit ist ein mit Mindeststandards<br />
ausgestattetes, definiertes,<br />
Sinn und Wert schöpfendes<br />
Arbeitsmarktangebot<br />
• zur dauerhaften Stärkung und Erhaltung<br />
sozialer und persönlicher<br />
Stabilität der Teilnehmenden,<br />
• zur Förderung und Erhaltung der<br />
Beschäftigungsfähigkeit,<br />
• zur Förderung und Erhaltung<br />
der Gesundheit sowie<br />
• zur Stärkung der lokalen<br />
Ökonomie.<br />
GemeinwohlArbeit ist eine Dienstleistung<br />
für Job Center, Kommunen<br />
und soziale Einrichtungen. Sie setzt<br />
lokale Netzwerkarbeit mit regionalen<br />
Bündnispartnern voraus. GemeinwohlArbeit<br />
übernimmt brachliegende<br />
soziale, kulturelle und andere gesellschaftliche<br />
Aufgaben, die über<br />
Erwerbsarbeit nicht erfüllt werden<br />
können. Damit verhilft Gemeinwohl-<br />
Arbeit den Teilnehmenden zur gesellschaftlichen<br />
Anerkennung und trägt<br />
zur sozialen und beruflichen Integration<br />
bei. Gleichzeitig bewirkt GemeinwohlArbeit<br />
eine lokale Angebotsverbesserung<br />
sozialer, kultureller und<br />
gesellschaftlicher Dienstleistungen”.<br />
Die beteiligten Träger einigten sich des Weiteren<br />
darauf, dass nicht alle Arbeitsgelegenheiten<br />
GemeinwohlArbeit sein können. Bedarfe<br />
und Rahmenbedingungen des Auftraggebers<br />
sind genauso zu berücksichtigen, wie die Zie-<br />
le, die mit den Arbeitsgelegenheiten verfolgt<br />
werden. Nur Angebote, welche die durch die<br />
Träger entwickelten Mindeststandards erfüllen,<br />
können demnach GemeinwohlArbeit sein. Die<br />
Qualitätsanforderungen an GemeinwohlArbeit<br />
wurden unter Berücksichtigung der zum Teil<br />
unterschiedlichen zusammengetragenen An-<br />
forderungen beteiligter Anspruchsgruppen<br />
(Teilnehmende, ARGEn, Einsatzstellen und<br />
Auftraggeber) entwickelt.<br />
Drei Kernbereiche untersuchten die Projektpartner<br />
gemeinsam und formulierten daraus<br />
ihre Mindeststandards: Integrationsbegleitung,<br />
Qualifizierung, Anleitung und Begleitung<br />
beim Einsatz.<br />
Integrationsbegleitung<br />
• Einladungsschreiben für alle Interessenten<br />
mit Wegbeschreibung, Ansprechpartner,<br />
Beschreibung des Trägers und der möglichen<br />
Tätigkeiten<br />
• Schriftlicher Leitfaden „Erstgespräch” für<br />
die Berater<br />
• Mindestens 30-minütiges Erstgespräch<br />
mit jedem zugewiesenen Teilnehmer<br />
über Einsatzmöglichkeiten, Erfassung der<br />
Grunddaten, grundsätzliche und rechtliche<br />
Informationen zu Arbeitsgelegenheiten,<br />
Vereinbarung der nächsten Schritte<br />
• Transparenz gegenüber Teilnehmern über<br />
das Verhältnis von Träger und Berater zum<br />
Grundsicherungsträger<br />
• schriftliche Vereinbarung über Rechte und<br />
Pflichten zwischen Teilnehmer und Träger<br />
sowie Teilnehmer und Stelle<br />
• Für den Teilnehmer transparente Übergabe<br />
der Grundinformationen an die Einsatzstelle<br />
• Informationen über Fragen der Arbeitssicherheit<br />
• Transparente Befragung zu relevanten<br />
Informationen (persönlicher Hintergrund,<br />
berufliche Vorgeschichte, individuelle Ressourcen)<br />
und Dokumentation der Erkenntnisse)<br />
Kompetenzen, Ressourcen und<br />
Motivation erkennen<br />
• Einsatz eines beim Träger erprobten und<br />
einheitlich eingesetzten Kompetenzfeststellungsverfahrens<br />
• Ermittlung persönlicher und sozialer Handlungsmöglichkeiten<br />
sowie arbeitsmarkt-<br />
relevanter Fähigkeiten und Kompetenzen<br />
Förderbedarf feststellen –<br />
Förderung vereinbaren<br />
• Ermittlung des Förderbedarfs mittels<br />
Selbstwahrnehmung des Teilnehmers und<br />
20 arbeitsdruck 11/06
Abstimmung mit Fremdwahrnehmung aus<br />
Integrationsbegleitung und Einsatz<br />
• Schriftliche Fixierung der Förderziele, Vereinbarung<br />
verbindlicher Maßnahmen zur<br />
Umsetzung, Planung der Qualifizierungsanteile<br />
• Dokumentation der Vereinbarung mit<br />
Unterschrift von Teilnehmer und Integrationsbegleitung<br />
Überprüfung und Fortschreibung<br />
der Förderung<br />
• aktuelle Stand des Förderverlaufs ist jederzeit<br />
abrufbar<br />
• Zwischenauswertung während der Maßnahme<br />
durch mindestens ein persönliches<br />
Gespräch mit Teilnehmer (Überprüfung,<br />
ggf. Fortschreibung der Förderung)<br />
Abstimmung zwischen den beteiligten<br />
Prozessverantwortlichen<br />
• beteiligte Prozessverantwortliche (Integrationsbegleiter,<br />
Anleiter bzw. Begleiter<br />
beim Einsatz und Qualifizierer stimmen<br />
Einschätzung der Kompetenzen des Teilnehmers<br />
ab<br />
• Dokumentation der Einschätzung durch<br />
Anleitung und Qualifizierung wird durch<br />
Integrationsbegleiter dokumentiert, Rückmeldung<br />
darüber an den Teilnehmer<br />
Abschlussbericht und<br />
Perspektivvorschlag<br />
• Auswertung der Maßnahme in persönlichem<br />
Abschlussgespräch und Erarbeitung<br />
eines Perspektivvorschlages<br />
• Abstimmung mit Grundsicherungsträger<br />
über Perspektivvorschlag<br />
• Dokumentation des Perspektivvorschlags<br />
für Grundsicherungsträger<br />
• Qualifizierte Abschluss-Bescheinigung<br />
für Teilnehmer<br />
Qualifizierung<br />
• Teilnehmer erhält ein über die Einarbeitung<br />
hinaus gehendes Angebot zur Förderung<br />
der Fähigkeiten für das Einsatzfeld.<br />
Vermittlung durch einen festen Ansprechpartner<br />
• Aktualisierung der Bewerbungsunterlagen<br />
des Teilnehmers<br />
• Qualifizierung orientiert sich am<br />
Förderplan<br />
• Rückmeldung über Verlauf und Ergebnisse<br />
an die Integrationsbegleitung<br />
• Berücksichtigung der Ergebnisse in der<br />
Abschlussauswertung und dem Perspektivvorschlag<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
Anleitung / Begleitung beim Einsatz<br />
• Anleitung und Einsatzbegleitung durch<br />
fachpraktisch erfahrene Personen mit<br />
Kompetenz in der Anleitung<br />
• Für Anleitung/Begleitung Einsatz feste<br />
Ansprechpartner mit fest angestelltem<br />
bzw. ehrenamtlichem Personal<br />
• Vertragliche Vereinbarung über Anleitung/<br />
Begleitung beim Einsatz zwischen Träger<br />
und Einsatzstelle<br />
• Rückmeldung über Verlauf und Ergebnisse<br />
des Einsatzes an die Integrationsbegleitung,<br />
fließt Abschlussbewertung und Perspektivvorschlag<br />
ein<br />
Die hier aufgeführten Zwischenergebnisse<br />
sind ein Ausschnitt des bisherigen Projektverlaufs<br />
zwischen den beteiligten Trägern<br />
und bilden den gegenwärtigen Projektstand<br />
(Oktober 2006) ab. In einem nächsten Schritt<br />
wird ein Fragebogen zur Selbstbewertung erstellt,<br />
in einem Testlauf an den beteiligten<br />
Standorten die Ist-Situation dokumentiert und<br />
bei Praxisbesuchen vor Ort das Ergebnis<br />
der Selbstbewertung analysiert werden. Die<br />
Erkenntnisse und die Erfahrungen mit dem<br />
Instrument werden in einem dritten Workshop<br />
im Februar diskutiert und ausgewertet.<br />
Reiner Mathes<br />
<strong>Der</strong> <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband<br />
LV-<strong>NRW</strong><br />
Reiner Mathes<br />
Tel.: 02 01/8 95 33-22<br />
E-Mail: reiner.mathes@paritaet-nrw.org<br />
Fachgruppe intern II<br />
Wie weiter? Strategiediskussion in mittlerer Höhe.<br />
sci:moers gGmbH,<br />
Jörg Marx<br />
Tel.: 0 28 41/97 29 12<br />
E-Mail: joerg-marx@sci-moers.de<br />
Starthilfe Sondershausen e.V.<br />
Jürgen Rauschenbach, Babett Daume<br />
Tel.: 0 36 32/5 42 99 71<br />
E-Mail: starthilfe-sondershausen@t-online.de<br />
Integrationsgesellschaft Sachsen gGmbH<br />
Karoline Emmerlich<br />
Tel.: 03 51/6 51 00 42<br />
E-Mail: karoline.emmerlich@igssachsen.de<br />
Bürgerservice Trier gGmbH<br />
Klaus Ritter, Gudrun Meyer<br />
Tel.: 06 51/82 50-0<br />
E-Mail: klaus.ritter@bues-trier.de<br />
Meldungen<br />
Integrationsgesellschaft Sachsen gGmbH<br />
Zum Autor<br />
Reiner Mathes ist Fachberater<br />
Arbeit/Bundesjugendkoordinator im<br />
<strong>Paritätische</strong>n Landesverband <strong>NRW</strong> und<br />
Geschäftsführer der Freien Trägergruppe<br />
in der LAG Jugendsozialarbeit <strong>NRW</strong><br />
Tel.: 02 01/8 95 33-22<br />
E-Mail.: mathes@paritaet-nrw.org<br />
21
Meldungen<br />
Zum Geburtstag<br />
25 Jahre Dalke gGmbH<br />
Integrationsunternehmen der ersten<br />
Stunde feiert Jubiläum<br />
Im September 1981 wurde mit der Gründung der Firma Dalke gGmbH in Gütersloh ein Meilenstein<br />
für die Entwicklung eines erfolgreichen und passgenauen Integrationsinstrumentes für behinderte<br />
Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt gelegt. Mit einem Festakt und einer Podiumsdiskussion<br />
mit Fachleuten wurde in diesem Jahr das Jubiläum gefeiert.<br />
Auf Initiative und den Privatmitteln der beiden<br />
heutigen Geschäftsführer Rolf Simon<br />
und Helmut Landwehr sowie des damaligen<br />
ärztlichen Direktors der Westfälischen<br />
Klinik für Psychiatrie in Gütersloh, Professor<br />
Dr. Dr. Klaus Dörner wurden 1981 die ersten<br />
sechs Mitarbeiter eingestellt und ein LKW<br />
als Betriebsmittelgrundlage angeschafft. <strong>Der</strong><br />
Umsatz im Gründungsjahr betrug 58.000<br />
DM. Heute arbeiten insgesamt 52 behinderte<br />
und nichtbehinderte MitarbeiterInnen bei<br />
Dalke und erwirtschaften einem Jahresumsatz<br />
von 2,95 Mio. Euro. Dies ist unter anderem<br />
durch eine aktive Betriebsführung möglich<br />
geworden, die das Ziel hat, Arbeitsplätze für<br />
behinderte Menschen zu schaffen. Im Jahre<br />
1992 eröffnete das Unternehmen mit dem<br />
Neubau an der Carl-Zeiss-Straße einen zweiten<br />
Standort in Gütersloh.<br />
Starke Partner<br />
Von Beginn an gibt es eine enge Zusammenarbeit<br />
mit der Firma Miele in Gütersloh.<br />
Ausgehend von einfachen Montage- und Verpackungsarbeiten<br />
ist Dalke inzwischen seit<br />
vielen Jahren aktiv in komplette Produktionsketten<br />
für die Firma Miele eingebunden und<br />
im Zuge des firmeninternen Qualitätsmanagements<br />
von Miele zertifiziert.<br />
Integrationsfirmen im Jahr 2031<br />
Wie arbeiten Integrationsfirmen im Jahr 2031<br />
und wie sieht der Arbeitsmarkt für behinderte<br />
Menschen aus, war die Frage an die Experten<br />
der Podiumsdiskussion. Die aktuelle<br />
Diskussion um einen dritten Arbeitsmarkt und<br />
die bisherigen Erfahrungen in der beruflichen<br />
Integration behinderter Menschen wurden bei<br />
den Beiträgen berücksichtigt.<br />
Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner hält Integrationsunternehmen<br />
auch im Jahr 2031 für wichtig.<br />
Er könnte sich allerdings vorstellen, dass<br />
v.r.n.l.: Dr. Markus Miele Geschäftsführender Gesellschafter der Fa. Miele & Cie KG;<br />
Helmut Landwehr und Rolf Simon Geschäftsführer DALKE gGmbH;<br />
MdB Klaus Brandner Arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion;<br />
Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner Gesellschafter der DALKE gGmbH und ehem. ärztl. Direktor der Westf. Klinik;<br />
Ulrich Adlhoch Leiter des Integrationsamtes Münster beim LWL;<br />
Arndt Schwendy Vorsitzender der BAG Integrationsfirmen Fotograf Jörg Sänger<br />
die behinderten Mitarbeiter, unterstützt durch<br />
Minderleistungsausgleich und Beratung des<br />
Arbeitgebers und Arbeitnehmers, nicht mehr<br />
in Sonderformen sondern, direkt in Unternehmen<br />
des allgemeinen Arbeitsmarktes<br />
eingegliedert sind. Für die Unternehmen ist<br />
in dieser Zukunft die Beschäftigung von behinderten<br />
Mitarbeitern eine Selbstverständlichkeit<br />
geworden, die auch gesellschaftliche<br />
Anerkennung bringt.<br />
Klaus Brandner, Mitglied des Bundestages<br />
und aktueller Verfechter eines dritten Arbeitsmarktes,<br />
sieht als Organisationsstruktur für<br />
einen bis dahin entstanden gemeinwohlorientierten<br />
Arbeitsmarkt auch die Integrationsunternehmen.<br />
Ulrich Adlhoch, Leiter des Integrationsamtes<br />
beim Landschaftsverband Westfalen-<br />
Lippe sieht die Weiterentwicklung für Inte-<br />
grationsunternehmen auch im Rahmen der<br />
Globalisierung. Seine Vision wäre ein weiterer<br />
Firmenstandort der Dalke gGmbH im Jahre<br />
2031 in China.<br />
Die guten Erfahrungen in der Zusammenarbeit,<br />
allerdings auch die Notwendigkeit für<br />
ein Integrationsunternehmen im Produktionsablauf<br />
einer großen Firma wie Miele als<br />
Zulieferer immer aktuell am Ball zu sein,<br />
hob Dr. Markus Miele als geschäftsführender<br />
Gesellschafter der Miele & Cie. KG hervor.<br />
Auch im Jahre 2031 wünscht sich Miele eine<br />
engagierte Zusammenarbeit mit der Firma<br />
Dalke.<br />
Das Jubiläum und die Diskussion zeigen auf<br />
beeindruckende Art und Weise, dass Integrationsunternehmen<br />
ein wichtiger Baustein<br />
zur Integration besonderer Zielgruppen in den<br />
Arbeitsmarkt sind und auch bleiben werden.<br />
Thomas Tenambergen<br />
Zum Autor<br />
Thomas Tenambergen ist<br />
Projektentwickler/Fachberater im<br />
<strong>Paritätische</strong>n Landesverband.<br />
Tel.: 0 25 72/ 820 23<br />
E-Mail: tenambergen@paritaet-nrw.org<br />
22 arbeitsdruck 11/06
Willkommen beim <strong>Paritätische</strong>n<br />
arbeitsdruck 11/06<br />
Meldungen<br />
EinLaden Espelkamp gGmbH<br />
Neues „Soziales Kaufhaus” im <strong>Paritätische</strong>n<br />
Im Zentrum der Stadt Espelkamp entstand im Rahmen eines Kooperationsprojektes der beiden<br />
paritätischen Träger Hexenhaus e.V. und Zentrallager gGmbH im Jahre 2006 ein „Soziales Kaufhaus”.<br />
Im Juni 2006 konnte der <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband die EinLaden Espelkamp gGmbH<br />
als neues Mitglied begrüßen.<br />
Das soziale Kaufhaus ist zurzeit an zwei<br />
Standorten untergebracht und teilt sich in<br />
zwei zentrale Bereiche auf:<br />
• Kleinteile (Kleidung, Spielzeug,<br />
Kleingeräte, Haushaltsartikel u.ä.)<br />
• Möbel<br />
Es wird durch laufende Spenden bzw. Auflösungen<br />
/ Entrümpelungen von Privathaushalten<br />
ausgestattet.<br />
Nachfrage groß – Angebot groß<br />
Spezialgebiet – Förderung von Frauen<br />
Neben dem Angebot an preiswerter Kleidung<br />
und Möbeln für benachteiligte Menschen verfolgt<br />
das Projekt insbesondere die berufliche<br />
Qualifizierung und Beschäftigung von Frauen.<br />
Für diese ist die Arbeitsmarktsituation in Espelkamp<br />
besonders schlecht. Im Mittelpunkt<br />
des Arbeitsprojektes steht die individuelle und<br />
ganzheitlich orientierte berufliche Förderung<br />
der Teilnehmerinnen, die in der Regel Arbeitslosengeld<br />
II beziehen. Aktuell führt der Träger<br />
eine Bildungsmaßnahme durch, die sich primär<br />
an Frauen unter 25 Jahren (U 25) mit<br />
und ohne Ausbildung sowie langzeitarbeitslose<br />
Bezieherinnen von Grundsicherung.<br />
Soziale und fachliche Qualifizierung<br />
Das Projekt dient der Stabilisierung der Persönlichkeit<br />
der TeilnehmerInnen. Dazu werden<br />
sie (wieder) an arbeitsweltbezogene Bedingungen<br />
und an (fremd-) strukturierte Betriebsabläufe<br />
gewöhnt. Ergänzt werden diese<br />
Schritte durch die berufsbezogene Qualifizierung<br />
und im optimalen Fall findet der Einsatz<br />
im EinLaden nach einer Vermittlung seine<br />
Fortsetzung auf dem ersten Arbeitsmarkt.<br />
In folgenden Aufgabengebieten stehen fachliche<br />
Qualifizierungen zur Auswahl:<br />
• Abholung<br />
(Spenden, Haushaltsauflösungen)<br />
• Sortierung<br />
(Entsorgung, Verarbeitung, Verkauf,<br />
Lagerung)<br />
• Aufarbeitung<br />
(Recycling, Waschen, Nähen, Reparatur)<br />
• Verwaltung<br />
(Büro, EDV, Internet, Logistik)<br />
• Verkauf<br />
(Kundenorientierung, -akquise,<br />
Dekoration, Kasse)<br />
• Hauswirtschaft<br />
(Cafeteria, Hygiene, Reinigung)<br />
Probleme und Lösungen<br />
Aber Arbeitslosigkeit ist nicht das einzige<br />
Problem der Frauen. Weitere sind beispielsweise<br />
soziale Schwierigkeiten, familiäre Konflikte,<br />
problematische Scheidungen, Gewalterfahrungen,<br />
Migrationshintergrund mit Sprachschwierigkeiten,<br />
Straffälligkeit, Langzeit-<br />
arbeitslosigkeit.<br />
Durch ein integriertes psychosoziales Informations-<br />
und Beratungsangebot erhalten die<br />
Frauen Unterstützung bei der Bewältigung<br />
dieser Schwierigkeiten. Hier arbeitet das Projekt<br />
eng mit dem Hexenhaus e.V. zusammen,<br />
denn mit der Bewältigung der dringendsten<br />
Probleme wie einer fehlenden Kinderbetreuung,<br />
einer schwierigen Wohn- sowie finanziellen<br />
Situation oder Überschuldung wird<br />
der Schritt in eine dauerhafte Erwerbstätigkeit<br />
vorbereitet.<br />
Nachfrage groß – Angebot groß<br />
Bereits im ersten Jahr des Bestehens ist<br />
feststellbar, dass ein derartiges Angebot in<br />
Espelkamp fehlte. Sowohl die Angebote des<br />
sozialen Kaufhauses werden intensiv genutzt<br />
als auch die Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten<br />
intensiv nachgefragt,<br />
erläutert die Geschäftsführerin Julia Fontana.<br />
Und einen Wunsch gibt es für das neue Projekt<br />
auch. Gerne würde man im Jahr 2007<br />
die zwei Standorte zusammenlegen und die<br />
breite Palette an Waren und Dienstleistungen<br />
in Espelkamp unter einem Dach anbieten.<br />
Thomas Tenambergen<br />
Zum Autor<br />
Thomas Tenambergen ist<br />
Projektentwickler/Fachberater im<br />
<strong>Paritätische</strong>n Landesverband.<br />
Tel.: 0 25 72/ 820 23<br />
E-Mail: tenambergen@paritaet-nrw.org<br />
Fachgruppe intern III<br />
<strong>Paritätische</strong> Projektentwickler mit Kollegen angrenzender<br />
Fachgebiete bei der gemeinsamen Lösung ganz praktischer<br />
Probleme.<br />
23
Meldungen<br />
Fachgruppe Arbeit, soziale Hilfen, Europa<br />
Die Leute in der<br />
Fachgruppe<br />
Guido Severin<br />
Seit Januar 2003 arbeitet er als Fachberater<br />
im Bereich Organisation und Finanzen<br />
mit Dienstsitz in der Landesgeschäftsstelle<br />
in Wuppertal. Er ist 31 Jahre alt<br />
und verheiratet, kommt aus Hamm in<br />
Westfalen und wohnt in Leverkusen.<br />
Sein Studium zum Diplomkaufmann im<br />
Fachbereich Gesundheitswesen absol-<br />
vierte er nach seiner Ausbildung zum Bürokaufmann<br />
an der Fachhochschule Osnabrück. Im Anschluss begann er beim<br />
<strong>Paritätische</strong>n Wohlfahrtsverband. Er ist zuständig für die finanzielle<br />
Abwicklung von Projekten der Fachgruppe, zurzeit schwerpunktmäßig<br />
für das Modellprojekt „Gemeinwohlarbeit <strong>NRW</strong>”.<br />
Hobbies<br />
Laufen, Reisen, Schwimmen<br />
Lebensphilosophie<br />
Wenn man die Welt verändern will, muss man<br />
bei sich selbst anfangen<br />
Broschüre Verbundausbildung in <strong>NRW</strong><br />
Bitte beachten Sie die Broschüre „Verbundausbildung in <strong>NRW</strong>”,<br />
die einem Teil der Auflage beiliegt. Fragen oder Bestellungen an<br />
andreas.langer@paritaet-nrw.org, 02 11/94 600-22.<br />
Herausgeber: <strong>Der</strong> <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband<br />
Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.<br />
Loher Str. 7, 42283 Wuppertal<br />
Tel.: 0202/28 22-0, Fax: 0202/28 22-110<br />
www.paritaet-nrw.org<br />
Redaktion: Werner Lüttkenhorst (verantwortlich),<br />
Andreas Langer<br />
Redaktionsadresse:<br />
<strong>Der</strong> <strong>Paritätische</strong><br />
Ernst-Abbe-Weg 50, 40589 Düsseldorf<br />
Tel.: 0211/94 600-22, Fax: 0211/94 600-10<br />
E-Mail: langer@paritaet-nrw.org<br />
Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht<br />
unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.<br />
Satz: Bianca Wittmann, E-Mail: bw@designfee.com<br />
Druck: Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach<br />
COMPLIMENT<br />
Schulung älterer Arbeitnehmer<br />
im Sozialbereich<br />
COMPLIMENT – Competence Development and Age-Diversity –<br />
Selbstgesteuertes Lernen und Kompetenzentwicklung mit älteren<br />
und jüngeren Beschäftigten des Sozialen Sektors<br />
Im Oktober 2006 – startete die <strong>Paritätische</strong><br />
Akademie vor dem Hintergrund<br />
des demographischen Wandels ein<br />
zweijähriges europäisches Projekt<br />
zur Entwicklung eines Leitfadens, mit<br />
dem lernfördernde Strukturen für ältere<br />
Mitarbeiter in Sozialbetrieben entwickelt werden. <strong>Der</strong> <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband<br />
begleitet das Projekt u.a. durch die Fachgruppe Arbeit. <strong>Der</strong><br />
geplante Leitfaden enthält eine Anleitung und methodische Grundlagen,<br />
mit denen sowohl jüngere als auch ältere Beschäftigte innerhalb der Freien<br />
Wohlfahrtspflege auf ihre Arbeitssituation im fortgeschrittenen Lebensalter<br />
vorbereitet werden.<br />
Durch die Zusammenarbeit mit Organisationen aus 6 EU-Ländern<br />
(Deutschland, Italien, Schweden, Niederlande, Polen und Spanien)<br />
ermöglicht das Projekt einen europäischen Vergleich und prüft die Übertragbarkeit<br />
in den Sozialen Sektor der verschiedenen Länder.<br />
Ausgehend von der Notwendigkeit des lebenslangen und selbstgesteuerten<br />
Lernens wird sowohl mit Arbeitnehmern als auch mit Arbeitgebern<br />
zusammengearbeitet. In 5 ausgewählten Piloteinrichtungen vorrangig aus<br />
dem Bereich der Behinderten- und Altenhilfe (2 in <strong>NRW</strong>) wird gemeinsam<br />
ein Kompetenz- und Anforderungsprofil für die MitarbeiterInnen erarbeitet<br />
und im Rahmen eines Schulungskonzeptes modellhaft umgesetzt.<br />
Das entwickelte Konzept wird anschließend an die Politik und interessierte<br />
sozialen Unternehmen weitergegeben.<br />
Rückfragen an<br />
Thomas Tenambergen, Projektentwickler/Fachberater im<br />
<strong>Paritätische</strong>n Landesverband. Tel.: 0 25 72/ 820 23<br />
E-Mail: tenambergen@paritaet-nrw.org<br />
Das Letzte<br />
Arbeitslose sterben früher<br />
Elmar Brähler, Leiter des Instituts für medizinische Psychologie sagt, dass<br />
Arbeitslose eine kürzere Lebenserwartung als Erwerbstätige haben. Laut<br />
der Studie der Universität Leipzig kommen bei Erwerbslosen insbesondere<br />
Depressionen, Suchtkrankheiten, Erschöpfungssymptome, Bluthochdruck<br />
und Herzinfarkt viel häufiger vor als bei Menschen die einer Arbeit nachgehen.<br />
Dadurch steigt ihre Sterblichkeit zwei Jahre nach dem Jobverlust<br />
auf das vierfache. Bereits die Angst vor einer drohenden Arbeitslosigkeit<br />
schädigt die Gesundheit.<br />
Die Redaktion wünscht ein gutes und gesundes neues Jahr 2007!<br />
24 arbeitsdruck 11/06