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Arbeitsdruck Nr. 43 - Der Paritätische NRW

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Editorial<br />

Neuer „Integrationsarbeitsmarkt“<br />

Endlich fällt das Tabu<br />

Integration ist ein positiver Begriff. Das gilt in Pädagogik und Psychologie ebenso wie in Gesellschaft<br />

und Politik. Gegenbegriffe sind Abgrenzung oder Ausgrenzung. <strong>Der</strong> Bielefelder Gewaltfor-<br />

scher Wilhelm Heitmeyer untersucht den Zusammenhang zwischen gesellschaftlicher Ausgrenzung<br />

und Gewaltbereitschaft. Er konstatierte unlängst eine seit 20 Jahren zunehmende Ausgrenzung<br />

am unteren Ende der sozialen Leiter. <strong>Der</strong> psychologische Ausgrenzungseffekt, der bis<br />

tief in die Mittelschicht hinein reiche, sei durch die Agenda 2010 immens verstärkt worden. In<br />

seiner „Desintegrationstheorie” spielt der Zugang zu Arbeit und Einkommen eine zentrale Rolle.<br />

Die Zahl der Menschen, die dauerhaft aus dem<br />

Arbeitsmarkt ausgegrenzt werden, nimmt selbst<br />

in Phasen abnehmender Arbeitslosigkeit zu.<br />

Die Bundesagentur für Arbeit hat in diesem Jahr<br />

die Diskussion um unbefristete Beschäftigung für<br />

langfristig nicht in reguläre Arbeit zu vermittelnde<br />

Menschen eröffnet – und so ein Tabu gebrochen,<br />

gegen das die freie Wohlfahrt seit vielen Jahren<br />

erfolglos vorging.<br />

Kurz vor Drucklegung dieser Ausgabe legte der<br />

<strong>Paritätische</strong> zusammen mit DGB, Diakonie und<br />

AWO in Berlin eine gemeinsame Erklärung vor, die<br />

einen Zugang zu sinnvollen Arbeiten im sozialen<br />

und ökologischen Bereich für diese Personengruppen<br />

fordert.<br />

Integrationsarbeitsmarkt, öffentlich geförderte Beschäftigung,<br />

3. Arbeitsmarkt – das sind die Schlagworte<br />

zum Schwerpunkt dieser Ausgabe.<br />

Karl-Heinz Theußen und Michael Seligmann haben<br />

ein Grundsatzpapier vorgelegt, das sie für<br />

den arbeitsdruck im Auftaktartikel zusammenfassen.<br />

Es folgen ein neues kleines (aus Dortmund)<br />

und ein altes großes Beispiel (aus Schweden)<br />

für Modelle praktischer Umsetzung, ein Blick aus<br />

der Perspektive der Integrationsfirmen und eine<br />

Analyse der tatsächlichen Kosten der Arbeits-<br />

losigkeit; ferner ein Beitrag contra Kombilohn und<br />

pro Mindestlohn auf Bundesebene und ein Artikel<br />

über eine umstrittene Utopie: das bedingungslose<br />

Grundeinkommen. Weitere Beiträge befassen sich<br />

mit Qualitätsentwicklung bei paritätischen Arbeitsmarktdienstleistern,<br />

dem Kombilohn-Programm in<br />

<strong>NRW</strong>, gefolgt von weiteren Meldungen über gute<br />

Praxis bei Mitgliedern.<br />

Wir hoffen, dass die gesellschaftliche Integration<br />

von eingeschränkt leistungsfähigen Langzeitarbeitslosen<br />

künftig besser gelingt. Es wird den Einzelnen<br />

und der Gesellschaft insgesamt<br />

nützen. Dass Sie in diesem Heft<br />

etwas finden, das Sie gerne in Ihr<br />

Denken und Handeln integrieren<br />

wollen, das wünscht sich und<br />

Ihnen<br />

Werner Lüttkenhorst<br />

20. Jahrgang / Nummer <strong>43</strong><br />

November 2006<br />

Inhalt<br />

Schwerpunkt<br />

Drei, zwei, eins – meins? 2<br />

Auktion Arbeitsmarkt<br />

K.H. Theußen / Dr. M. Seligmann<br />

AGH – Flex 3<br />

Andreas Koch<br />

Integrationsunternehmen 5<br />

Basis für einen 3. Arbeitsmarkt?!<br />

Thomas Tenambergen<br />

Samhall 6<br />

schützenswert oder altmodisch?<br />

Marie Eriksson<br />

Wahre Kosten der Arbeitslosigkeit 8<br />

Dr. Rudolf Martens / Tina Hofmann<br />

Mindestlohn statt Kombilohn? 9<br />

Dr. Claus Schäfer<br />

Bedingungsloses Grundeinkommen? 11<br />

Martin Debener<br />

Qualität<br />

Qualität durch Qualitätsgemeinschaft 12<br />

Doris Rix<br />

Zertifizierte Qualität 14<br />

Helga Schröder / Doris Rix<br />

Einführung eines QMS 15<br />

Katharina Dammer<br />

Kombilohn<br />

Kombilohn <strong>NRW</strong> – Aktueller Stand 16<br />

Andreas Langer<br />

Kombilohn im Alltagseinsatz 18<br />

Andreas Langer / Elke Leuchtenberg<br />

Meldungen<br />

Entwicklungspartnerschaft 19<br />

auf Bundesebene<br />

Reiner Mathes<br />

Integrationsunternehmen Dalke 22<br />

Thomas Tenambergen<br />

EinLaden Espelkamp gGmbH 23<br />

Thomas Tenambergen<br />

Letzte Seite 24<br />

w w w . a r b e i t s d r u c k . d e


Schwerpunkt<br />

Diskussion I<br />

Für die tabulose Schaffung eines<br />

„Integrationsarbeitsmarktes”<br />

<strong>Der</strong> dritte Arbeitsmarkt, die dauerhafte und subventionierte Beschäftigung von<br />

Menschen, die auf dem regulären Arbeitsmarkt chancenlos sind, wird salonfähig.<br />

Karl-Heinz Theußen und Michael Seligmann beschreiben die Anforderungen an einen<br />

nachhaltig wirkenden Sonderarbeitsmarkt aus der Sicht eines Beschäftigungsträgers.<br />

Lesen Sie hier die Kurzfassung ihres Diskussionspapiers.<br />

Wenn der bislang erste Arbeitsmarkt für Millionen<br />

Menschen keine Jobs und auch keine<br />

Chancen mehr auf einen solchen bietet, der<br />

bislang zweite Arbeitsmarkt zur Baustelle verkommt<br />

(Rück- und Umbau für den Bundesfinanzminister),<br />

dann kommt der Zahlenfolge<br />

nach der dritte auf die politische Auktionsplattform.<br />

In manchen Diskussionsbeiträgen<br />

scheint bereits ein vierter auf – als nächstes<br />

stigmatisierendes Angebot.<br />

Die Furcht und die Tatsachen<br />

Über Jahre wurde auf den „Beipackzetteln”<br />

arbeitsmarktpolitischer Programme gebetsmühlenartig<br />

hauptsächlich vor den „Risiken<br />

und Nebenwirkungen” gewarnt. Ein nachgewiesener<br />

Arbeitsplatzabbau am ersten Arbeitsmarkt<br />

durch Arbeitsmarktpolitik ist bisher<br />

aber nicht belegbar, also reine Glaubenssache.<br />

Wirkliche Arbeitsplatzvernichtung findet<br />

an anderer Stelle und aus anderen Gründen<br />

statt, siehe BenQ, Allianz oder Airbus und die<br />

anderen alltäglichen Massenentlassungen.<br />

In der Arbeitsmarktpolitik ist es bislang wichtiger,<br />

auf die schier unmögliche Einhaltung<br />

fast schon tabuisierter Vorgaben wie Zusätzlichkeit,<br />

Wettbewerbsneutralität, Gemeinnützigkeit<br />

und öffentliches Interesse zu achten,<br />

als auf das Erreichen der eigentlichen Zielsetzung,<br />

der Arbeitsmarktintegration und der gesellschaftlichen<br />

Teilhabe. Wir schlagen daher<br />

vor, die Tabus zu missachten und das Ziel<br />

„Gesellschaftliche Integration durch Arbeit für<br />

Alle” zu verfolgen.<br />

Vom Wettbewerbsarbeitsmarkt<br />

Ausgeschlossene<br />

Die deutsche Gesellschaft ist durch Erwerbsarbeit<br />

geprägt. Bevölkerungsgruppen, die nicht<br />

in der Lage sind einer Erwerbsarbeit nachzugehen<br />

– Kinder und Jugendliche, RentnerInnen,<br />

Frauen in Erziehungs- und Pflegezeiten,<br />

Arbeitslose – haben ein geringeres politisches<br />

Gewicht als Unternehmen und Arbeitnehmende.<br />

Das Selbstbewusstsein jedes Einzelnen<br />

wird wesentlich durch diese Positionen bestimmt.<br />

Wer Erwerbsarbeit „gibt” und wer<br />

sie „nimmt” hat einen definierten Platz und<br />

davon abgeleitet auch seine/ihre Familienangehörigen.<br />

Wer keine Erwerbsarbeit hat<br />

oder sich nicht im „wohlverdienten” Ruhestand<br />

befindet, dessen Selbstwert sinkt, mit<br />

den bekannten psychischen und körperlichen<br />

Folgen. Selbst das arbeitgebernahe Institut<br />

der deutschen Wirtschaft in Köln kommt zu<br />

dem Schluss: „Damit belastet Arbeitslosigkeit<br />

sogar etwas stärker als Geldmangel”.<br />

<strong>Der</strong> Mensch lebt nicht vom Brot allein<br />

Alimentierte Grundsicherung ist nicht alles.<br />

Tätigsein gehört zum Wesen des Menschen<br />

dazu. Immer wieder sagen uns Menschen in<br />

Arbeitsgelegenheiten, dass sie diese Arbeit<br />

gerne länger leisten würden, bis sie eine<br />

Anstellung auf dem ersten Arbeitsmarkt finden.<br />

Ein anerkannter Integrationsarbeitsmarkt<br />

sollte eine solche selbst gewünschte Teilhabe<br />

ermöglichen. Ziel eines Integrationsarbeitsmarktes<br />

ist die nicht stigmatisierende<br />

Integration der vom heutigen ersten Arbeits-<br />

Karl-Heinz Theußen<br />

Drei, zwei, eins – meins?<br />

Auktion Arbeitsmarkt!<br />

Dr. Michael Seligmann<br />

markt mit mittel- und langfristiger Prognose<br />

ausgeschlossenen Langzeitarbeitslosen als<br />

vollwertige Mitglieder in die Gesellschaft.<br />

Dieser Arbeitsmarkt verfolgt primär sozialpolitische<br />

Ziele mit einer arbeitsmarktlichen<br />

Ausrichtung.<br />

Plädoyer für einen ungeteilten<br />

Gesamtarbeitsmarkt<br />

Zukünftig sollte statt weiterer Grenzziehungen<br />

von einem ungeteilten Gesamtarbeitsmarkt<br />

ausgegangen werden. Zu diesem gehören<br />

erkennbare Teil- oder Sonderarbeitsmärkte.<br />

Folgender Umriss wird vorgeschlagen:<br />

1) <strong>Der</strong> Wettbewerbsarbeitsmarkt, der zumeist<br />

einen existenzsichernden Lohn ermöglicht.<br />

Die Regeln sind durch Tarifpolitik,<br />

Arbeits- und Wirtschaftsgesetzgebung<br />

usw. bestimmt. Öffentliche Ressourcen<br />

werden aus wirtschaftspolitischen Überlegungen<br />

fördernd eingesetzt.<br />

2) <strong>Der</strong> Brückenarbeitsmarkt, der auf einen<br />

Arbeitsmarkt mit Existenz sichernden Löhnen<br />

zielt. Hier finden sich zeitlich begrenzt<br />

subventionierte sozialversicherungspflichtige<br />

Beschäftigungsinstrumente (§ 16 Abs.<br />

3 SGB II ABM / Entgeltvariante u.ä.), Mini<br />

Jobs, kleine Selbstständige u.ä. für diejenigen<br />

(Langzeit-) Arbeitslosen oder von<br />

(Langzeit-) Arbeitslosigkeit Bedrohten, die<br />

mittelfristig eine Chance auf den Übergang<br />

in den nicht alimentierten Arbeitsmarkt<br />

haben. Die politisch dafür zu setzenden<br />

2 arbeitsdruck 11/06


Rahmenbedingungen ermöglichen nur<br />

den Übergang. Davon leiten sich seine<br />

Grenzen wie „Wettbewerbsneutralität”<br />

und „Zusätzlichkeit” sowie seine strikte<br />

„arbeitsmarktliche Zweckmäßigkeit” ab.<br />

<strong>Der</strong> Übergang soll effektiv erreicht werden.<br />

3) <strong>Der</strong> Integrationsarbeitsmarkt. Er bietet<br />

a) in gewinnorientierten sozialen Unternehmen<br />

sozialversicherungspflichtige (auch<br />

tariflich einordbare) Entlohnung.<br />

b) in nicht gewinnorientierten sozialen Organisationen<br />

eine Entlohnung auf Basis der<br />

Transferleistungen zuzüglich pauschalierter<br />

Arbeitsanreize.<br />

Das Ziel ist die dauerhafte individuelle Integration<br />

in die Arbeitsgesellschaft. Im Integrationsarbeitsmarkt<br />

werden diejenigen Langzeitarbeitslosen<br />

beschäftigt, die auch mittelfristig<br />

nicht in den Wettbewerbsarbeitsmarkt übergehen<br />

werden. Er schließt diesen Übergang<br />

nicht aus, zielt aber nicht systematisch auf<br />

ihn ab.<br />

Praxismodell<br />

AGH – Flex<br />

Verlässliche und flexible Beschäftigungsförderung<br />

in sozialen Unternehmen<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

Schwerpunkt<br />

In Dortmund arbeitet die Interessengemeinschaft sozialgewerblicher Beschäftigungsinitiativen (ISB e.V.)<br />

gemeinsam mit der JobCenter ARGE aktuell an einem Modell zur Umsetzung von längerfristigen bedarfsgerechten<br />

Beschäftigungs- und Qualifizierungsangeboten für ALG II-Empfängerinnen und Empfängern. Andreas Koch<br />

Hintergrund<br />

Bereits seit Beginn der Erprobung von Arbeitsgelegenheiten<br />

(AGH) mit Mehraufwandsentschädigung<br />

(den sog. „Euro Jobs”) hat der<br />

ISB e.V. sich dafür eingesetzt, dass sie nicht<br />

die einzige Variante der Beschäftigungsförderung<br />

sein dürfen und hat eingefordert, die<br />

gesetzlichen Möglichkeiten des § 16 SGB II<br />

zur Schaffung von Arbeitsgelegenheiten mit<br />

der Zahlung tariflichen Entgelts zu nutzen.<br />

So gelang es bereits Anfang 2005 im Beirat<br />

der ARGE das sogenannte „Dortmunder Modell”<br />

zu verankern, das vorsieht, 10% aller<br />

Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante<br />

durchzuführen. Von diesen werden 2/3 der<br />

Einsatzfelder in der Sozialwirtschaft umge-<br />

Die politisch zu setzenden Rahmenbedingungen<br />

ermöglichen eine dauerhafte Arbeitsperspektive<br />

für die vorgesehene Zielgruppe. Die<br />

dort geschaffenen Arbeitsplätze stehen unter<br />

dem Diktum der „Zusätzlichkeit” und des<br />

höchstmöglichen sozialpolitischen Nutzens.<br />

Kernpunkte des Diskussionspapiers „Drei,<br />

zwei, eins – meins? Auktion Arbeitsmarkt!”<br />

zu den Aufgaben, der Funktion und dem<br />

Wesen eines Integrationsarbeitsmarktes sind<br />

die im Vordergrund stehende unternehmerische<br />

Haltung und das Risiko, welche an<br />

sozialpolitischen Zielen ausgerichtete Beschäftigungsunternehmen<br />

aufweisen und<br />

eingehen. Um dauerhafte Arbeitsplätze auf<br />

dem Integrationsarbeitsmarkt zu schaffen ist<br />

die Förderung einer notwendigen Infrastruktur<br />

ebenso erforderlich wie der geregelte Marktzugang.<br />

Einnahmen am Markt und Kostendeckungsbeiträge<br />

der Träger der Grundsicherung<br />

sollen eine nachhaltige sozialpolitische<br />

Arbeitsmarktförderung sichern. Dazu bedarf<br />

es eines regulierten regionalisierten und<br />

regelmäßig überprüften Zugangsverfahrens<br />

für Beschäftigte und Unternehmen/Organi-<br />

setzt, 1/3 bei Handwerksbetrieben. Das Modell<br />

erwies sich als so erfolgreich (Evaluation<br />

des IAB: über 60% Integrationsquote), dass<br />

inzwischen das Landesprogramm „JobTrainer<br />

<strong>NRW</strong>” diesen Ansatz für KMU aufgegriffen<br />

hat. Mittlerweile ist der Anteil der Entgeltvariante<br />

an allen Arbeitsgelegenheiten in Dortmund<br />

deutlich erhöht worden und soll im<br />

Jahr 2007 bis auf 30% erhöht werden. Die<br />

Förderdauer von sozialversicherungspflichtigen<br />

AGH beträgt zurzeit maximal 11 Monate.<br />

Vom ISB e.V. aber auch von den Vertretern<br />

des Handwerks und der Gewerkschaften wurde<br />

immer wieder darauf hingewiesen, dass<br />

diese Förderungsdauer für einige Zielgruppen<br />

nicht ausreicht, um sie zu integrieren, bzw.<br />

sationen. Basis ist die an der Realität ausgerichtete<br />

individuelle Beschäftigungsprognose<br />

auf dem Wettbewerbsarbeitsmarkt<br />

durch ein beschäftigungsorientiertes Fallmanagement<br />

der Jobcenter bzw. Optionskommunen.<br />

Das ausführliche Diskussionspapier ist unter<br />

www.sci-moers.de herunterladbar.<br />

Karl-Heinz Teußen /<br />

Dr. Michael Seligmann<br />

Zu den Autoren<br />

Karl-Heinz Theußen ist Geschäftsführer,<br />

sci:moers gGmbH<br />

E-Mail:<br />

Karl-heinz-theussen@sci-moers.de<br />

Dr. Michael Seligmann ist Inhaber<br />

der Seligmann Consulting Münster<br />

E-Mail: info@seligmannconsulting.de<br />

dass einige Menschen dauerhafte Förderung<br />

benötigen, um ihre Minderleistung auszugleichen.<br />

Bereits im Jahr 2005 formulierte daher<br />

der ISB e.V. die Forderung nach einer bis zu<br />

5 jährigen Förderung für bestimmte Zielgruppen<br />

(z.B. 55+). Die ARGE folgte dieser Forderung<br />

nicht.<br />

Auf Bundesebene wurden die Bemühungen,<br />

die Möglichkeit zu schaffen, einen längerfristigen<br />

Minderleistungsausgleich zu ermöglichen<br />

weiter intensiviert. <strong>Der</strong> ISB e.V. nahm<br />

an mehrere Hearings in Berlin mit Bundestagsabgeordneten<br />

von SPD und Bündnis<br />

90/Die Grünen teil. Es wurden Berechnungen<br />

veröffentlicht, die nachwiesen, dass die<br />

3


Schwerpunkt<br />

„1-Euro-Jobs” mitnichten die volkswirtschaftlich<br />

preiswertere Alternative sind. Um ARGEnund<br />

Optionskommunen von diesem Modell<br />

zu überzeugen, die das in Bezug auf ihren<br />

Eingliederungstitel natürlich anders sehen,<br />

wurde der sogenannte Passiv-Aktiv-Transfer,<br />

die Aktivierung der passiven Mittel (Verwaltungskosten<br />

der ARGE, ALG II und KdU) für<br />

Beschäftigungsmaßnahmen gefordert, um<br />

künftig „Arbeit statt Arbeitslosigkeit” zu finanzieren.<br />

<strong>Der</strong> dauerhafte „X-te Arbeitsmarkt”<br />

Mit dem deutschen Fürsorgetag kam im Mai<br />

2006 durch einen Fachvortrag der Bundesagentur<br />

für Arbeit neue Dynamik in die Dortmunder<br />

Diskussionen um längerfristige Förderungsmöglichkeiten.<br />

Im Juni 2006 legte<br />

der ISB e.V. der Geschäftsführung der ARGE<br />

eine erste Projektskizze für einen möglichen<br />

Dortmunder Einstieg in das Thema vor. Das<br />

Konzept wurde durch eine Arbeitsgruppe aus<br />

ARGE und ISB in 3 gemeinsamen Sitzungen<br />

diskutiert und fortentwickelt. Dabei bestand<br />

immer Konsens, dass nicht auf Weisungen<br />

aus Berlin oder Nürnberg gewartet werden<br />

sollte, sondern dass das Konzept unter den<br />

Bedingungen des SGB II mit den bisherigen<br />

Instrumenten umgesetzt werden kann, wenn<br />

alle Beteiligten sich auf einen inhaltlichen und<br />

finanziellen Rahmen verständigen. Vorgabe<br />

war dabei, dass eine Umsetzung die ARGE<br />

nicht teurer kommt, als die bisherigen Kosten<br />

der Arbeitslosigkeit. Über diese Begrifflichkeit<br />

lässt sich natürlich streiten. Die JobCenter<br />

ARGE beziffert die durchschnittlichen Kosten<br />

der Arbeitslosigkeit in Dortmund zwischen<br />

1.300 € und 1.500 €. In diesem Bereich<br />

liegt das Gros der Fälle und in diesem Bereich<br />

soll sich auch die Förderhöhe bewegen und<br />

zwar inklusive Minderleistungsausgleich,<br />

Qualifizierung und sozialpädagogischer Begleitung.<br />

Eine Einigung steht noch aus.<br />

Vorhandene Instrumente reichen aus<br />

<strong>Der</strong> ISB e.V. lehnt die Begrifflichkeit des<br />

„3. Arbeitsmarktes” ab, da er zu einer weiteren<br />

Aufspaltung des Arbeitsmarktes führt und<br />

die Gefahr der weiteren Ausgrenzung (bzw.<br />

Lock-in Effekten) und Stigmatisierung für die<br />

Betroffenen mit sich<br />

bringt. Ausgangspunkt<br />

der Dortmunder<br />

Überlegungen<br />

ist, dass die vorhandenen<br />

Instrumente<br />

ausreichen und<br />

lediglich in Bezug<br />

auf die Förderdauer<br />

flexibilisiert und<br />

den individuellen<br />

Erfordernissen des<br />

Langzeitarbeitslosen<br />

angepasst werden<br />

müssen. Das<br />

SGB II macht keine<br />

Vorgaben hinsichtlicht<br />

der Förderdauer.<br />

In regelmäßigen<br />

Abständen soll zwischen dem Integrationsbeschäftigten,<br />

dem persönlichen Ansprechpartner<br />

/Fallmanager und dem Träger der<br />

weitere Hilfebedarf und damit auch die Förderungsdauer<br />

geklärt werden. Für den Träger<br />

sollen Integrationsanreize aufgebaut (Vermittlungsprämien),<br />

beim Beschäftigten erhalten<br />

werden (armutsfester aber niedriger Tarif). All<br />

diese Maßnahmen dienen der Vermeidung<br />

der Schaffung eines geschlossenen abgekoppelten<br />

Arbeitsmarktes („Einmal Arbeitnehmer<br />

dritter Klasse, immer…”)<br />

AGH – Flex<br />

Die verlässliche, flexible am Einzelfall orientierte<br />

Beschäftigungsförderung soll folgenden<br />

Rahmenbedingungen entsprechen:<br />

• Erprobungsphase 2 Jahre, Fortführung<br />

geplant, bis zu 100 Arbeitsplätze beim<br />

ISB e.V.<br />

• Arbeitsfelder zwischen Markt und Staat<br />

(III. System), gemeinwohlorientiert<br />

• Projekt zielt auf notwendige Einnahmen<br />

und gleichberechtigte Teilhabe am Wettbewerb;<br />

Mitnahmeeffekte und Wettbewerbsverzerrung<br />

sind auszuschließen<br />

• Zielgruppe: Personen, die keine Chancen<br />

auf dem Arbeitsmarkt haben; Schwerpunkt:<br />

ältere LZA über 55 J.<br />

• Arbeitsplatzbezogene fachliche und persönliche<br />

Begleitung<br />

Die Dortmunder Interessengemeinschaft sozialgewerblicher Beschäftigungsinitiativen<br />

(ISB e.V.) ist der Zusammenschluss von freien Trägern, die berufliche Beratungsangebote<br />

für arbeitslose Menschen anbieten und Beschäftigungs- und Qualifizierungsangebote<br />

aller Art durchführen. Ihr gehören 17 Träger aus 5 Wohlfahrtsverbänden an<br />

(6 davon sind Paritäter). <strong>Der</strong> ISB e.V. vertritt 591 Beschäftigte im Regiebereich und<br />

9.800 Arbeitslose jährlich, die an ihren Angeboten teilnehmen (Stichtagserhebung<br />

zum 31.12.2005).<br />

Das Projekt JAWoLL (Jugend, Arbeit, Wohnen, Leben, Lernen) der GrünBau GmbH<br />

gewann den Dritten Platz beim Deichmann-Förderpreis gegen Jugendarbeitslosigkeit 2006.<br />

• Vergütung: sozialversicherungspflichtig<br />

und „armutsfest”<br />

• Teilnahme für ALG-II-Empfänger freiwillig<br />

• Regelmäßige Überprüfung der<br />

Integrationsfähigkeit<br />

• Bei erfolgreicher Integration Prämie von<br />

3 Monatsabschlägen<br />

• Projekte und Arbeitsverträge sind auf<br />

Dauerhaftigkeit angelegt<br />

• Vor Aufnahme Testphase zur Teilnehmer-<br />

auswahl; Vorschaltung von AGH mit<br />

Mehraufwand oder anderen Maßnahmen<br />

ist erwünscht<br />

• Träger haben die Möglichkeit,<br />

Teilnehmer abzuweisen<br />

• Kostenbeteiligung des Trägers linear<br />

ca. 25% (Modellrechnung, letztes<br />

Trägerangebot)<br />

Die Verhandlungen sollen bis zum Jahreswechsel<br />

abgeschlossen werden. Ziel ist der<br />

Start von AGH-Flex in den ersten Wochen<br />

2007.<br />

Weitere Informationen<br />

www.isb-dortmund.de<br />

www.diakonie.de ➥Passiv-Aktiv-Transfer<br />

Zum Autor<br />

Andreas Koch ist Geschäftsführer der<br />

GrünBau GmbH und Vorstandsmitglied<br />

im ISB e.V.<br />

Tel. 02 31/8 40 96-36<br />

akoch@gruenbau-dortmund.de<br />

4 arbeitsdruck 11/06


Diskussion II<br />

Integrationsunternehmen<br />

Basis für einen „3.” Arbeitsmarkt?!<br />

Die Integrationsunternehmen werden in der Fachdiskussion um einen 3. Arbeitsmarkt regelmäßig<br />

ins Gespräch gebracht. Das Instrument der beruflichen Integration behinderter Menschen ist eine erfolgreiche<br />

Möglichkeit Menschen dauerhaft in den Arbeitsmarkt zu integrieren.<br />

Vor 25 Jahren wurden – noch unter dem<br />

Titel Selbsthilfefirmen – die ersten Integrationsunternehmen<br />

in Deutschland gegründet.<br />

<strong>NRW</strong> war hier ein Vorreiter.<br />

Integrationsunternehmen<br />

gesetzlich verankert<br />

Es dauerte ca. 20 Jahre, bis der Gesetzgeber<br />

das Instrument des Integrationsprojektes<br />

in das Gesetzeswerk zur Rehabilitation<br />

und Teilhabe behinderter Menschen (SGB IX)<br />

aufgenommen hat und ihm dadurch einen<br />

offiziellen Status verlieh. Im § 132 SGB IX<br />

heißt es:<br />

§132 SGB IX<br />

„Integrationsprojekte sind rechtlich<br />

und wirtschaftlich selbständige Unternehmen<br />

(Integrationsunternehmen)<br />

oder unternehmensinterne oder von<br />

öffentlichen Arbeitgebern im Sinne<br />

des § 71 Abs. 3 geführte Betriebe<br />

(Integrationsbetriebe) oder Abteilungen<br />

(Integrationsabteilungen) zur<br />

Beschäftigung schwerbehinderter<br />

Menschen auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt,<br />

deren Teilhabe an einer<br />

sonstigen Beschäftigung auf dem<br />

allgemeinen Arbeitsmarkt auf Grund<br />

von Art und Schwere der Behinderung<br />

oder wegen sonstiger Umstände voraussichtlich<br />

trotz Ausschöpfens aller<br />

Fördermöglichkeiten und des Einsatzes<br />

von Integrationsfachdiensten auf<br />

besondere Schwierigkeiten stößt.”<br />

Gemeinwohlorientierte Arbeit<br />

Auf dem 3. Arbeitsmarkt sollen Arbeitsstellen<br />

akquiriert werden, die dem Gemeinwohl zu<br />

Gute kommen und nicht bereits am Markt bestehen<br />

oder dort bestehen können. Die Stellen<br />

leiten sich ab aus dem Gemeinwohlbedarf der<br />

Gesellschaft und den eingeschränkten bzw.<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

fehlenden Mitteln für diese Aufgabenbereiche.<br />

Die Begrenztheit der Mittel der Kommunen,<br />

Kreise oder weiterer öffentlicher Behörden öffnet<br />

einen eingeschränkten abzudeckenden<br />

Aufgabenbereich. Die gemeinwohlorientierten<br />

Tätigkeiten sollten finanziert werden durch die<br />

pragmatische Umwidmung von öffentlichen<br />

Transfer- und Eingliederungsleistungen zu<br />

Gehältern für gemeinwohlorientierte Arbeitsstellen.<br />

<strong>Der</strong> Ansatz des gemeinwohlorientierten dritten<br />

Arbeitsmarktes beinhaltet die Zusätzlichkeit<br />

und vollständige Dauersubventionierung der<br />

Arbeitsstellen und des Trägers. Dies steht<br />

im Widerspruch zum Ansatz des wirtschaftsnahen<br />

Integrationsunternehmens nach SGB<br />

IX. Die konzeptionelle wie auch organisatorische<br />

Struktur von Integrationsunternehmen,<br />

abgesehen vom wirtschaftsnahen Auftreten,<br />

ist aber für den dritten Arbeitsmarkt sehr wohl<br />

zu übernehmen.<br />

Arbeitsplätze auf Dauer<br />

Integrationsunternehmen sind gemeinnützig.<br />

Ihre Aufgabe ist die berufliche Integration<br />

und die soziale Integration behinderter Menschen.<br />

Integrationsunternehmen bieten ihren<br />

MitarbeiterInnen sozialversicherungspflichtige<br />

Arbeitsplätze und damit das allgemeine soziale<br />

Absicherungssystem der Gesellschaft.<br />

Die Arbeitsplätze sind auf Dauer angelegt<br />

und geben eine Perspektive, die über die<br />

Maßnahmen der beruflichen Qualifizierung<br />

und befristeten Beschäftigung hinausgehen.<br />

Integrationsunternehmen stabilisieren die<br />

benachteiligten Menschen im täglichen Leben.<br />

Die klare Tagesstruktur, die fortlaufende<br />

Erfahrung, am Arbeitsplatz benötigt und gefordert<br />

zu werden und die Berücksichtigung<br />

der individuellen Defizite sind die Grundlage<br />

dafür, dass z.B. bei psychisch behinderten<br />

Menschen die Rückfallquote in eine akute<br />

Erkrankung und damit der Aufenthalt in stationären<br />

Einrichtungen erheblich verringert<br />

wird.<br />

Schwerpunkt<br />

Thomas Tenambergen<br />

Rechtliche Selbstständigkeit<br />

Ein weiterer Vorteil des Integrationsunternehmens<br />

ist die vom Gesetzgeber geforderte<br />

rechtliche Selbständigkeit. Sie verhindert,<br />

dass die Kommune als Auftraggeber gemeinwohlorientierter<br />

Tätigkeiten gleichzeitig<br />

Arbeitgeber der benachteiligten Menschen ist.<br />

Die kommunale Selbstverwaltung sollte über<br />

die Einbindung eines politischen Gremiums<br />

die Aufgabengebiete eines gemeinwohlorientierten<br />

Arbeitsmarktes Vorort definieren, die<br />

Behörde als Auftraggeber gegenüber dem<br />

Integrationsunternehmen auftreten und das<br />

Integrationsunternehmen als Arbeitgeber und<br />

Vertreter der benachteiligten Mitarbeiter eigenständig<br />

sein.<br />

Integrationsunternehmen für<br />

Nichtbehinderte<br />

Integrationsunternehmen könnten bereits heute<br />

als Anbieter eines 3. Arbeitsmarktes auftreten.<br />

Die Vorgabe des Gesetzgebers, dass in<br />

Integrationsunternehmen mindestens 25%<br />

und max. 50% schwerbehinderte Menschen<br />

zu beschäftigen sind, ist ein wichtiger Ansatz.<br />

Er fördert den Gedanken der sozialen Integration.<br />

In der Praxis werden bereits heute neben<br />

den behinderten Menschen große Gruppen<br />

nichtbehinderter und nicht benachteiligter<br />

Menschen, aber auch benachteiligte Personen<br />

eingestellt. Letztere werden hier oft nicht<br />

oder nur durch befristete arbeitsmarktpolitische<br />

Maßnahmen öffentlich gefördert. Eine<br />

Vermischung von verschiedenen Gruppen<br />

benachteiligter Personen ist also möglich,<br />

vorausgesetzt das Unternehmen hält eine<br />

Unterstützungsstruktur vor, oder arbeitet mit<br />

dieser eng zusammen. Diese kann die individuellen<br />

Defizite der beschäftigten Personen<br />

einschätzen und im Bedarfsfalle notwendige<br />

spezifische Unterstützung anbieten.<br />

Im Zuge eines gemeinwohlorientierten Ansatzes<br />

ist eine kontinuierliche finanzielle Unterstützung<br />

und Gleichstellung aller Mitarbeiter<br />

im Integrationsunternehmen notwendig.<br />

5


Schwerpunkt<br />

Dies schließt nicht die personenbezogene<br />

ergänzende Förderung z.B. zur Einrichtung<br />

eines behinderungsgerechten Arbeitsplatzes<br />

aus. Ein grundlegendes Vergütungssystem<br />

im Niedriglohnbereich mit kleinen anteiligen<br />

Anreizen bezogen auf die Leistung, kann hier<br />

Gleichstellung und Ansporn zugleich fördern.<br />

Eine Einstufung für den Zugang und die Feststellung<br />

der Minderleistung des Mitarbeiters<br />

zum Einstieg und deren Neufestsetzung im<br />

Bedarfsfalle kann über den Fallmanager erfolgen.<br />

Die im § 133 SGB IX ergänzend benannten<br />

Aufgaben eines Integrationsunternehmens<br />

haben eine besondere Bedeutung, da neben<br />

der Beschäftigung und arbeitsbegleitenden<br />

Betreuung auch weitergehende Maßnahmen<br />

und Unterstützungsformen angeboten werden<br />

sollen. Im Rahmen eines 3. Arbeitsmarktes<br />

sollten diese in enger Kooperation mit<br />

bestehenden Angeboten in der Region umgesetzt<br />

werden. Im Integrationsunternehmen<br />

steht hier, wie bereits heute in der Praxis, die<br />

Beschäftigung, arbeitsbegleitende Betreuung<br />

und die Umsetzung der betriebenen Gewerke<br />

im Mittelpunkt.<br />

Schwedisches Modell<br />

Samhall<br />

Samhall, das schwedische Modell eines dauerhaft öffentlich geförderten Arbeitsmarkts<br />

für Menschen mit Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit, galt über lange Jahre in Deutschland<br />

als Vorbild. Marie Eriksson, die Fachjournalistin und Arbeitsmarktexpertin aus<br />

Stockholm, berichtet für den arbeitsdruck über aktuelle Untersuchungen und Diskussionen,<br />

die Jahrzehnte nach dem Aufbau eines dauer-subventionierten Integrations-<br />

Arbeitsmarktes in Schweden aktuell und für die hiesige Entwicklung interessant sind.<br />

„Hoffnungslos unzeitgemäß”. „Dem Betrieb<br />

ging es viel zu lange viel zu gut”. „Ist seine<br />

Existenz überhaupt gerechtfertigt? Nicht<br />

wirklich, nun ja, vielleicht, aber nur, wenn es<br />

stark verschlankt wird und ein ordentliches<br />

Facelifting bekommt.” Samhall, die staatseigene<br />

Firma, die geschützte Beschäftigung<br />

für Behinderte bietet, ist von vielen Seiten<br />

seit Jahren kritisiert worden. So zum Beispiel<br />

in einer aktuellen Erhebung der Regierung.<br />

„Wir sind offen gegenüber großen Veränderungen<br />

und auch Wettbewerb.” So Anna-Karin<br />

Hedlund, Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit<br />

bei Samhall.<br />

Fazit<br />

Integrationsunternehmen<br />

bieten konzeptionelle<br />

Ansätze und<br />

eine Organisationsstruktur<br />

an, die gut für<br />

die Umsetzung eines<br />

3. Arbeitsmarktes genutzt<br />

werden können.<br />

Gleichzeitig sollten<br />

bestehende Integrationsunternehmen<br />

bei<br />

der Übernahme von<br />

gemeinwohlorientierten<br />

Aufgaben eine deutliche<br />

Trennung vom<br />

marktorientierten Teil des Trägers vornehmen.<br />

Dem Gesetzgeber muss klar sein, dass die<br />

Umsetzung von gemeinwohlorientierten Aufgaben<br />

in Integrationsunternehmen eine volle<br />

Übernahme der Kosten der Mitarbeiter inklusive<br />

des Anleitungs- und Betreuungspersonals<br />

voraussetzt, da für diese Stellen besonders<br />

benachteiligte Arbeitslose angesprochen<br />

werden und nicht Marktumsatz sondern<br />

gesellschaftlicher Mehrwert im Vordergrund<br />

steht.<br />

Thomas Tenambergen<br />

Schützenswert oder altmodisch?<br />

Seit den 1960er Jahren<br />

Geschützte Beschäftigung, also ein System,<br />

das Beschäftigung, Rehabilitation und Eingliederung<br />

beinhaltet, existiert in Schweden<br />

seit den 1960er Jahren. Es bietet Arbeit für<br />

Menschen mit Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit.<br />

Anfangs wurde geschützte Beschäftigung<br />

von verschiedenen Mitwirkenden angeboten,<br />

aber in den 80er Jahren wurde<br />

Samhall die Verantwortung hierfür von der<br />

Regierung übertragen. <strong>Der</strong> Staat trägt jedes<br />

Jahr 4 Milliarden Schwedische Kronen bei<br />

(ca. 414 Mio €, d. Red.); dies sind 50% des<br />

Gesamtumsatzes von Samhall.<br />

Zum Autor<br />

Thomas Tenambergen ist<br />

Projektentwickler/Fachberater im<br />

<strong>Paritätische</strong>n Landesverband.<br />

Tel.: 0 25 72/ 820 23<br />

E-Mail: tenambergen@paritaet-nrw.org<br />

Marie Eriksson<br />

Mit Stolz gegen die Konkurrenz<br />

Samhall beschäftigt ca. 21.000 arbeitsunfähige<br />

Menschen an 250 Stellen im ganzen<br />

Land. Diese verdienen durchschnittlich<br />

17.000 Schwedische Kronen im Monat (ca.<br />

1.759 €, d. Red.). Ursprünglich war Samhall<br />

ein weitestgehend industrieller Betrieb, doch<br />

den Schwerpunkt bilden nun Dienstleistungen.<br />

Die Mitarbeiter bieten von Autoteilen<br />

bis Büroreinigung alles zu Marktpreisen an.<br />

„Kunden zu beliefern ist der Kern der betrieblichen<br />

Tätigkeit” sagt Anna-Karin Hedlund.<br />

„Unsere Mitarbeiter können stolz sagen:<br />

‘Wir haben dies im Angesicht starker<br />

6 arbeitsdruck 11/06


Konkurrenz von anderen Firmen geschafft’<br />

und das fördert echte Berufszufriedenheit. Unsere<br />

Kunden merken häufig an, wie fröhlich<br />

und enthusiastisch unsere Mitarbeiter sind.<br />

Dies gibt dem Ganzen etwas Besonderes,<br />

eine weitere Dimension.”<br />

Defizitorientiert und stigmatisierend?<br />

Samhalls Auftrag ist es „sinnvolle und förderliche<br />

Jobs für Arbeitsunfähige zu schaffen”<br />

und dabei als kommerzieller Betrieb aufzutreten,<br />

der Produkte und Dienstleistungen<br />

anbietet. Wurde dieses erreicht? Was sagen<br />

externe Experten? <strong>Der</strong> Wissenschaftler<br />

Mikael Holmqvist behauptet, dass Samhall<br />

Erwerbsunfähigkeit erzeugt, indem es Menschen<br />

beibringt, eine bestimmte soziale Rolle<br />

zu übernehmen. Diese Rolle ist stigmatisiert:<br />

Personen werden dabei aufgrund ihrer Arbeitsunfähigkeit<br />

identifiziert, nicht aufgrund<br />

der Dinge, die sie eigentlich können.<br />

Sinn statt Gewinn<br />

Jan Rydh, der eine frühere Erhebung der<br />

Regierung durchführte, ist ebenfalls kritisch.<br />

„Menschen werden zu Samhall geschickt,<br />

wo der Focus darauf liegt, was diese Menschen<br />

nicht können, statt zu fragen: „Was<br />

möchtest Du aus Deinem Leben machen?”<br />

Samhall ist ein Betrieb, der kostendeckend<br />

oder gewinnbringend arbeiten muss. Dies hat<br />

Vorrang vor dem Aufwand zur Befriedigung<br />

der Bedürfnisse Einzelner.” Eine der vielen<br />

Anregungen in Jan Rydh's Erhebung „Inte<br />

bara Samhall” (Nicht nur Samhall), die 2003<br />

veröffentlicht wurde (www.regeringen.se/sb/<br />

d/108/a/1924), ist der Vorschlag, dass die<br />

Firma zunächst die Ziele, Bedürfnisse und<br />

Wünsche jedes einzelnen ihrer Mitarbeiter ermitteln<br />

und darauf ihre Aktivitäten abstimmen<br />

sollte. „In dieser Sache haben wir die gleiche<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

Ansicht wie Jan Rydh, dass wir unsere Arbeit<br />

auf die Fähigkeiten und Fertigkeiten der Einzelnen<br />

abstimmen sollten” sagt Anna-Karin<br />

Hedlund.„Samhall hat in der Folge der Untersuchung<br />

die Kritik zur Kenntnis genommen<br />

und Fortschritte gemacht. Unser Erfolg dabei<br />

hängt zu einem großen Teil von unserer Kompetenz<br />

im Management ab. Die Mitarbeiter,<br />

die Arbeitsgruppen betreuen, wurden speziell<br />

ausgebildet sensibel mit individuellen Differenzen<br />

und Bedürfnissen umzugehen. Sie<br />

bieten Coaching und Unterstützung, wenn<br />

nötig und können Einzelnen andere Jobs<br />

geben, wenn sie dies wünschen.”<br />

Arbeit an der Basis<br />

<strong>Der</strong> Bildungsstand unter den Arbeitsunfähigen<br />

ist generell niedrig, obwohl es Ausnahmen<br />

gibt wie z.B. eine Gruppe von Lehrern<br />

in Härnösand. Das Durchschnittsalter<br />

bei Samhall ist hoch, Beschäftigte zwischen<br />

45 – 54 bilden die größte Gruppe. 46 Prozent<br />

der Mitarbeiter sind Frauen. Die Beschäftigten<br />

hier haben immer häufiger sowohl körperliche<br />

als auch geistige Behinderungen. „Es<br />

passiert dass Mitarbeiter wieder ganz von<br />

vorne anfangen müssen, wenn sie krank oder<br />

im Urlaub waren” sagt Anna-Karin Hedlund.<br />

„Zum Beispiel müssen sie sich wieder daran<br />

gewöhnen, morgens aufzustehen und den<br />

Bus zu Samhall zu erreichen; für einige Menschen<br />

ist das schwierig. In solchen Fällen<br />

können die Betreuer zu ihnen nach Hause<br />

kommen und helfen. Wenn sich jemand<br />

besonders schwach fühlt, können wir die<br />

Besetzung verdoppeln. Dies macht uns als<br />

Betrieb einzigartig.”<br />

Vermittlungsziel 5%<br />

Doch viele Personen bleiben bei Samhall<br />

hängen, meint Jan Rydh. Die meisten von<br />

Schwerpunkt<br />

ihnen brauchen viel zu lange, um auf den<br />

regulären Arbeitsmarkt zurückzukehren,<br />

wenn sie es überhaupt schaffen. Daher<br />

würde er die Einführung eines öffentlichen<br />

Programms für geschützte Beschäftigung<br />

(das ASA Programm) begrüßen, in dem<br />

neben Samhall viele andere Arbeitgeber<br />

geschützte Beschäftigung mit staatlicher Hilfe<br />

anbieten könnten. Dies würde es Samhall<br />

auch ermöglichen sich zu verkleinern und<br />

sich auf die Menschen zu konzentrieren,<br />

die wirklich dort sein müssen. So könnten<br />

diese dort wo nötig mehr Führung, berufliche<br />

Ausbildung und Bildung bekommen.<br />

„Als die Erhebung 2003 veröffentlicht wurde,<br />

waren alle Parteien voll des Lobes, aber danach<br />

ist nicht viel passiert” sagt Jan Rydh.<br />

„Die ganze Sache ist anscheinend in einer<br />

Diskussion über den Haushalt untergegangen.”<br />

Anna-Karin Hedlund bestätigt, dass<br />

die Eingliederungsquote der Mitarbeiter zu<br />

niedrig ist, dass viele Menschen nach wie vor<br />

zu lange dort bleiben. In den vergangenen<br />

Jahren hat Samhall versucht mehr Frauen in<br />

den regulären Arbeitsmarkt einzugliedern als<br />

früher, jedoch ohne nennenswerten Erfolg.<br />

Dennoch erreicht Samhall das von der vorherigen<br />

Regierung gesetzte Ziel, fünf Prozent der<br />

Beschäftigten in den regulären Arbeitsmarkt<br />

einzugliedern. Dies sind ca. 1.000 Leute<br />

pro Jahr. „Wenn aber die neue Regierung<br />

ein höheres Ziel setzt, sollten wir in der Lage<br />

sein, dieses ebenfalls zu erreichen. In einigen<br />

Arbeitsabläufen, z.B. in unseren Zeitarbeitsagenturen,<br />

erreichen wir bereits Zahlen von<br />

8 oder 9 Prozent. Wir sind offen gegenüber<br />

großen Veränderungen und auch Wettbewerb”<br />

sagt Anna-Karin Hedlund. Die neue<br />

Regierung wird nun die Frage beantworten,<br />

was in dieser Hinsicht geschehen wird.<br />

Marie Eriksson<br />

Wir danken Wendy <strong>Der</strong>wanz für die<br />

Übersetzung aus dem Englischen<br />

Zur Autorin<br />

Marie Eriksson arbeitet als Journalistin<br />

im „paraply projektet” in Stockholm,<br />

einem Projekt zur Bekämpfung von<br />

Ungleichheit und Diskriminierung<br />

im Arbeitsleben im Rahmen der<br />

EU-Gemeinschaftsinitiative Equal<br />

info@europaforum.se<br />

www.paraplyprojektet.se<br />

7


Schwerpunkt<br />

Diskussion III<br />

Wahre Kosten der<br />

Arbeitslosigkeit<br />

Ein staatlich finanzierter, sozialversicherungspflichtiger dritter Arbeitsmarkt scheint<br />

vielen zu teuer. Aber zu teuer sind vor Allem die offenen und die verdeckten Kosten<br />

der Arbeitslosigkeit. Dr. Rudolf Martens und Tina Hofmann vom Gesamtverband<br />

des <strong>Paritätische</strong>n befassen sich hier mit der Ermittlung und Darstellung derjenigen<br />

Kosten, für die sich Kämmerer und Finanzminister interessieren.<br />

Seit mehr als 30 Jahren verfestigt sich Arbeitslosigkeit<br />

in Deutschland, die Rückkehr<br />

zur Vollbeschäftigung ist auch nach der Jahrtausendwende<br />

eine Illusion. Mit dem großen<br />

Heer an Langzeitarbeitlosen steigt die Armut<br />

in Deutschland beständig an, dies war einer<br />

der wesentlichen Ergebnisse des zweiten regierungsamtlichen<br />

Armuts- und Reichtumsberichtes<br />

aus dem Jahre 2005. Die Hoffnungen,<br />

die sich mit der Einführung von Hartz<br />

IV verknüpften, haben sich nicht erfüllt. <strong>Der</strong><br />

Zuwachs an Langzeitarbeitslosigkeit ist nicht<br />

gestoppt, ein Rückgang nicht in Sicht.<br />

Arbeit gibt es genug<br />

Und gleichzeitig stehen die Bürger vor einer<br />

Paradoxie: Viele gesellschaftlich erwünschte<br />

Arbeiten im Sozial- und Bildungsbereich liegen<br />

brach, weil sie vorgeblich nicht finanzierbar<br />

sind. Durch die Kürzungspolitik der letzten<br />

Jahre wurde eine Situation geschaffen, in der<br />

Dienstleistungen für ältere Menschen, eine<br />

Verbesserung kommunaler Serviceleistungen<br />

oder die dringend notwendige vorschulische<br />

Förderung von Kindern unzureichend sind<br />

oder nicht mehr stattfinden.<br />

Bund, Länder und Kommunen werkeln mit<br />

diversen Programmen mehr nebeneinander<br />

als miteinander am Problem der Arbeitslosigkeit.<br />

Die Arbeitsagentur kümmert sich um<br />

jene, die Chancen haben, rasch wieder in<br />

den Arbeitsprozess eingegliedert zu werden<br />

und zahlt für die schwerer Vermittelbaren,<br />

anstatt sie besonders zu betreuen. Auch ausgabewirtschaftlich<br />

handeln die betroffenen<br />

Akteure weitgehend voneinander getrennt.<br />

Eine gesamtfiskalische Betrachtung aller<br />

finanziellen Folgen von Arbeitslosigkeit ist in<br />

der Öffentlichkeit bislang ausgeblieben. Bei<br />

Dr. Rudolf Martens<br />

Rechnet sich der dritte Arbeitsmarkt?<br />

der Diskussion um Kombilohnmodelle oder<br />

einen dritten Arbeitsmarkt sollten aber die<br />

gesamten Kosten der Arbeitslosigkeit und die<br />

Struktur dieser Kosten bekannt sein. Nur so<br />

können die Kosten neuer Arbeitsmarktinstrumente<br />

richtig bewertet werden.<br />

Berechnung der wahren Kosten<br />

Die Einführung von Hartz IV hat schon zweierlei<br />

deutlich gemacht: Das wahre Ausmaß<br />

der Langzeitarbeitslosigkeit und sozialen<br />

Ausgrenzung wurde plötzlich sichtbar, da<br />

– wie in der früheren Sozialhilfe – die Familien<br />

der Langzeitarbeitslosen jetzt in der Statistik<br />

der Bundesagentur für Arbeit erscheinen.<br />

In der bis 2004 geltenden Arbeitslosenhilfe<br />

wurden lediglich die Hilfebezieher ohne ihre<br />

Angehörigen gezählt. Des Weiteren erscheinen<br />

Teile der fiskalischen Kosten von Hartz IV<br />

im Bundeshaushalt, die im alten System auf<br />

Bund, Länder, Kommunen verteilt waren. Die<br />

<strong>43</strong> Mrd. Euro, die Bund und Kommunen<br />

2005 für Hartz IV zahlen mussten, wurden<br />

sogleich von der regierungsseitigen Politik<br />

als „Kostenexplosion” gebranntmarkt und in<br />

die Nähe des Missbrauchsverdachts gerückt.<br />

Doch die wahren Kosten der Arbeitslosigkeit<br />

sind weit höher als die Ausgaben für Arbeitslosengeld<br />

und Hartz IV. Die öffentlichen Haushalte<br />

werden nicht nur auf der Ausgabenseite<br />

belastet sondern auch auf der Einnahmenseite:<br />

Arbeitslose Menschen zahlen weniger oder<br />

keine Steuern und Sozialabgaben – darüber<br />

hinaus können sie weniger konsumieren. Es<br />

ist ein weit verbreiteter Irrtum, dass es bei<br />

den Kosten der Arbeitslosigkeit nur um die<br />

direkten Ausgaben für die Unterstützungszahlungen<br />

an Arbeitslose und ihre Angehörigen<br />

geht.<br />

Tina Hofmann<br />

Ausgaben und Mindereinnahmen<br />

Nicht alle Kostenarten sind so genau bekannt,<br />

Ausgaben und Mindereinnahmen treten an<br />

sehr unterschiedlichen Stellen auf: Bundeshaushalt,<br />

Länderhaushalte, Gemeindefinanzen<br />

und bei den Sozialversicherungen. Die<br />

Bundesagentur für Arbeit zahlt Arbeitslosengeld<br />

und entsprechende Beiträge zur Renten-,<br />

Kranken- und Pflegeversicherung, zugleich<br />

entgehen ihr Beiträge der Arbeitslosen. <strong>Der</strong><br />

Bundeshaushalt muss für die wesentlichen<br />

Kosten von Hartz IV aufkommen, für einen<br />

kleineren Betrag die Kommunen (Wohnkosten).<br />

Durch Arbeitslosigkeit entstandene<br />

Wohngeldansprüche werden jeweils zur Hälfte<br />

vom Bund und den Ländern aufgebracht.<br />

Bund, Länder und Gemeinden sind allesamt<br />

von Steuerverlusten betroffen. Renten-, Kranken-<br />

und Pflegeversicherung erhalten von<br />

Arbeitslosen weniger Beiträge als im Falle<br />

ihrer Beschäftigung. Fast zwei Drittel der<br />

Kosten und Mindereinnahmen müssen Bundesagentur<br />

und Bund tragen, das restliche<br />

Drittel entfällt auf Länder, Gemeinden und<br />

Sozialversicherungen.<br />

Wahre Kosten doppelt so hoch<br />

Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung<br />

hat kürzlich detaillierte Berechnungen<br />

zu den gesamtfiskalischen Kosten der registrierten<br />

Arbeitslosigkeit vorgelegt. Die 4,4 Mio.<br />

registriert Arbeitslosen verursachten im Jahre<br />

2004 Kosten und Mindereinnahmen in Höhe<br />

von 86 Mrd. Euro. <strong>Der</strong> Ausgabenblock umfasst<br />

insgesamt 46 Mrd. Euro (54 Prozent),<br />

was der gleichen Größenordnung wie die<br />

Mindereinnahmen entspricht (46 Prozent).<br />

Anders ausgedrückt, bei dem ausschließlichen<br />

Blick auf die Ausgaben werden nur<br />

etwas mehr als die Hälfte der fiskalischen<br />

8 arbeitsdruck 11/06


Kosten erfasst. Die Mindereinnahmen sind fast<br />

so groß wie die Ausgaben und ergeben sich<br />

aus geringeren Sozialbeiträgen und einem<br />

niedrigeren Steueraufkommen. Die Arbeitslosen<br />

führten 24 Mrd. Euro weniger ab an die<br />

Renten-, Kranken- und Pflegeversicherung sowie<br />

an die Bundesagentur für Arbeit, dem Fiskus<br />

entstanden Steuerausfälle (Einkommensteuer,<br />

indirekte Steuern) von 16 Mrd. Euro.<br />

Rechnet man die Arbeitslosen auf die Ausgaben<br />

und Mindereinnahmen um, so schlug<br />

der durchschnittliche registriert Arbeitslose im<br />

Jahre 2004 mit 19.600 Euro pro Jahr zu<br />

Buche. Dabei betrugen die Transferzahlungen<br />

ca. 10.600 Euro und die Mindereinnahmen<br />

ca. 9.000 Euro.<br />

Ein dritter Arbeitsmarkt?<br />

Wenn die Bundesagentur für Arbeit und die<br />

Politik über einen dritten Arbeitsmarkt nachdenken,<br />

so werden sie darin vom <strong>Paritätische</strong>n<br />

im Grundsatz unterstützt. Zwei grundlegende<br />

Ziele sind zu beachten:<br />

Erstens, Langzeitarbeitslose dürfen nicht in<br />

den dritten Arbeitsmarkt abgeschoben wer-<br />

Diskussion IV<br />

Mindestlohn statt<br />

Kombilohn?<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

den. Ein dritter Arbeitsmarkt, mit dem sich die<br />

Bundesagentur durch Zahlungen von schwierigen<br />

Fällen befreien will (und der praktischerweise<br />

auch die Arbeitslosenstatistik entlastet),<br />

ist nichts weiter als sozialpolitischer<br />

Aktionismus und stigmatisiert die Betroffenen.<br />

Dagegen zeigen die Erfahrungen im <strong>Paritätische</strong>n,<br />

dass Menschen auch nach langen<br />

Jahren der Arbeitslosigkeit mit angepassten<br />

Hilfen eine Integration sogar in den ersten<br />

Arbeitsmarkt schaffen können. Nach jahrzehntelanger<br />

Massenarbeitslosigkeit braucht<br />

die Arbeitsmarktpolitik einen langen Atem.<br />

Zweitens, ist es unerlässlich, die Regelsätze<br />

für Hartz IV um 20 Prozent zu erhöhen. Nur<br />

so ist ein Mindestmaß an sozialer Teilhabe<br />

möglich. Ein dritter Arbeitsmarkt, bei dem<br />

das Einkommen nicht wesentlich über das<br />

bisherige Hartz IV-Niveau hinausgeht, würde<br />

die Betroffenen faktisch zu staatlich gewollten<br />

„working poor” degradieren.<br />

Nicht zu vergessen: die wahren Kosten eines<br />

Arbeitslosen betragen durchschnittlich<br />

fast 20.000 Euro. Kostenvergleichsrech-<br />

Schwerpunkt<br />

nungen haben ergeben, dass man anstelle<br />

von Arbeitsgelegenheiten („Ein-Euro-Jobs”)<br />

genauso gut versicherungspflichtige Beschäftigungsverhältnisse<br />

mit einem deutlich<br />

höheren Einkommensniveau als bei Hartz IV<br />

schaffen kann. <strong>Der</strong> gesamtgesellschaftliche<br />

Nutzen wäre erheblich.<br />

Dr. Rudolf Martens /<br />

Tina Hofmann<br />

Zu den AutorInnen<br />

Dr. Rudolf Martens,<br />

<strong>Paritätische</strong>r Wohlfahrtsverband –<br />

Gesamtverband (Berlin), zuständig<br />

für sozialwissenschaftliche Analysen,<br />

Statistik und Modellrechnungen<br />

E-Mail: eu@paritaet.org<br />

Tina Hofmann, Dipl. Verw. wiss.,<br />

<strong>Paritätische</strong>r Wohlfahrtsverband –<br />

Gesamtverband (Berlin), zuständig<br />

für Jugendsozialarbeit und<br />

Arbeitsmarktpolitik<br />

E-Mail: jugendsozialarbeit@paritaet-nrw.org<br />

In der Diskussion um einen „dritten Arbeitsmarkt” spielen die Instrumente Kombilohn und<br />

Mindestlohn eine wichtige Rolle. In den letzten Ausgaben des arbeitsdruck haben wir einen<br />

Kombilohn, der auf wenige Zielgruppen und den gemeinnützigen Bereich begrenzt bleibt,<br />

verbunden mit der Forderung nach einem Mindestlohn. Dr. Claus Schäfer vom gewerkschafts-<br />

Dr. Claus Schäfer<br />

nahen Institut WSI kommt mit Blick auf die Diskussion auf Bundesebene in der folgenden<br />

Analyse zu einem anderen Schluss: Mindestlohn ja – Kombilohn nein.<br />

Hinter den Instrumenten Kombilohn und<br />

Mindestlohn stehen völlig unterschiedliche<br />

Instrumentenwege und -begründungen. Vor<br />

allem aber können nicht beide Instrumente<br />

gleichermaßen der ökonomischen Wirklichkeit<br />

gerecht werden und ihre Versprechen<br />

einlösen. Dies sollen die folgenden Thesen<br />

verdeutlichen.<br />

Kombilohn und Mindestlohn – Ein Ziel<br />

Gemeinsam sind beiden Instrumenten gerade<br />

noch die Zielsetzungen bzw. Versprechen,<br />

die materielle Existenz des einzelnen<br />

Lohnempfängers zu sichern und insgesamt<br />

mehr Beschäftigung zu schaffen. Gemein-<br />

9


Schwerpunkt<br />

sam ist auch noch der Niedriglohnsektor als<br />

Ausgangspunkt.<br />

Die Unterschiede<br />

<strong>Der</strong> Kombilohn setzt auf die Vergrößerung<br />

des Niedriglohnsektors mit (noch mal) abgesenkten<br />

betrieblichen Löhnen und will damit<br />

vor allem gering qualifizierte und deswegen<br />

nur gering zu entlohnende Arbeitslose durch<br />

eine zusätzliche individuelle und betriebliche<br />

Anreizwirkung in den Arbeitsmarkt integrieren.<br />

<strong>Der</strong> Mindestlohn setzt auf die Verringerung<br />

des schon vorhandenen Niedriglohnsektors<br />

durch Lohnerhöhung, um individuelle Lohnarmut,<br />

betriebsgefährdendes Sozialdumping<br />

und volkswirtschaftliche Destabilisierung zu<br />

vermeiden. <strong>Der</strong> Kombilohn wird zu einem beachtlichen<br />

Teil öffentlich durch einen staatlichen<br />

Zuschuss an Arbeitgeberseite und/oder<br />

Arbeitnehmerseite finanziert; der gesetzliche<br />

Mindestlohn ist allein vom Arbeitgeber zu<br />

zahlen.<br />

Kombilohn – erprobte Erfolglosigkeit<br />

Das Arbeitsangebot in Deutschland ist mehr<br />

als ausreichend, so dass die von der Kombilohnseite<br />

behauptete nötige Anreizwirkung<br />

zu mehr Arbeitsbereitschaft ins Leere stößt.<br />

Arbeitgeber können offene Stellen ohne Probleme<br />

mit arbeitswilligen Interessenten auch<br />

zu schlechten Bezahlungskonditionen besetzen<br />

– so eine Studie des Instituts Arbeit<br />

und Technik (IAT 2005) im Auftrag der Bundesregierung.<br />

Auch die Nachfrage deutscher<br />

Arbeitgeber nach gering Qualifizierten ist mit<br />

Kombilohn-Anreizen im Prinzip nicht zu stimulieren.<br />

Bisher erprobte Kombilohn-Modelle<br />

haben gezeigt, dass die beschäftigungspolitischen<br />

Effekte gering bleiben. Die Inanspruchnahme<br />

war häufig mager, ebenso der Klebeeffekt<br />

der Maßnahmen, d.h. der dauerhafte<br />

Verbleib von Eingestellten im Betrieb. Aber<br />

hoch waren die Mitnahmeeffekte (Subventionierung<br />

von ohnehin Eingestellten) wie auch<br />

die Substitutionseffekte (Ersatz von regulären<br />

durch subventionierte Arbeitsplätze).<br />

Gering Qualifizierte und Ältere chancenlos<br />

Die fehlende Arbeitsnachfrage nach gering<br />

qualifizierten Arbeitsuchenden wird geprägt<br />

vom geringen Wirtschaftswachstum bzw. einer<br />

unterentwickelten Binnennachfrage und<br />

verstärkt durch ein problematisches Selektionsverhalten<br />

der Arbeitgeber bei der Stellenbesetzung.<br />

Die Arbeitgeber können ihre<br />

wenigen freien Stellen aus den vielen Stellensuchenden<br />

besetzen – und wählen dafür<br />

qualifizierte und jüngere Arbeitskräfte. Deshalb<br />

haben gering Qualifizierte und Ältere auf<br />

dem Arbeitsmarkt keine echte Chance. Die<br />

generelle Arbeitsnachfrage würde durch die<br />

Einführung eines flächendeckenden Kombilohns<br />

sogar sinken, weil er die gesamtwirtschaftliche<br />

Nachfragelücke weiter vergrößert.<br />

Dabei sind die heutigen Niedriglöhne schon<br />

nicht mehr existenzsichernd, die häufig unter<br />

der Lohn-Armutsgrenze liegen.<br />

Öffentlich geförderter Arbeitsmarkt<br />

Die Stimulierung des Wirtschaftswachstums<br />

durch eine kräftigere Binnennachfrage ist also<br />

generell das beste Beschäftigungsprogramm<br />

auch für gering Qualifizierte. Doch allein<br />

ausreichend ist das nicht. Deshalb müssen<br />

vom ersten Arbeitsmarkt nicht abs orbier-<br />

bare gering Qualifizierte auf einem öffentlich<br />

geförderten Arbeitsmarkt eingesetzt werden,<br />

der in Deutschland nach wie vor unterentwickelt<br />

ist. Auf beiden Arbeitsmärkten sind für<br />

eng definierte Zielgruppen maßgeschneiderte<br />

und damit kontrollierbare Lohnsubventionen<br />

möglich.<br />

Arbeitende Arme brauchen Mindestlohn<br />

Die Re-Regulierung des Niedriglohnsektors<br />

muss auch an seinen institutionellen Ursachen<br />

ansetzen: zum Beispiel der fehlenden<br />

Regulierung von Praktikanten-Stellen, den<br />

Mini-/Midi-Jobs und den Schwächen der<br />

Tarifautonomie. Neben großen tariffreien Beschäftigungszonen<br />

gibt es zunehmend tarifschwache<br />

Zonen mit einer einseitigen Tarifmacht<br />

der Arbeitgeber. Beide Zonen erzeugen<br />

Niedriglöhne. Das vordringliche Lösungs-<br />

instrument für die Niedriglohnmisere ist<br />

deshalb ein flächendeckender gesetzlicher<br />

Brutto-Mindestlohn. Er wird die Tarifautonomie<br />

genauso flankieren wie die gesetzlichen<br />

Mindeststandards für Arbeitszeit, Urlaub,<br />

Lohnfortzahlung. Die meisten alten EU-<br />

Länder und alle neuen EU-Mitgliedsstaaten<br />

haben, teilweise schon seit Jahrzehnten, mit<br />

dem gesetzlichen Mindestlohn positive Erfahrungen<br />

gemacht.<br />

Höhe des Mindestlohns<br />

Die Höhe des gesetzlichen Mindestlohns spiegelt<br />

immer den jeweiligen Lebens- und Leistungsstandard<br />

wieder. In Deutschland könnte<br />

er an zwei Normen festgemacht werden, die<br />

sein Niveau eigentlich schon vorgeben: der<br />

nationalen Pfändungsfreigrenze von aktuell<br />

netto 985 Euro und umgerechnet einem Brutto-Stundenlohn<br />

von gut 8,00 Euro (1.340<br />

Euro pro Monat) sowie der Mindestlohnnorm<br />

der Europäischen Sozialcharta (ESC) von<br />

60% netto des Durchschnittslohns bzw. von<br />

brutto 8,50 Euro die Stunde (1.420 Euro<br />

pro Monat). Zurzeit liegen allein rund drei<br />

Millionen Vollzeitbeschäftigte unter diesem<br />

Lohnniveau. Ihre Löhne würden durch den<br />

gesetzlichen Mindestlohn angehoben. <strong>Der</strong><br />

gesetzliche Mindestlohn kann aber tendenziell<br />

nur die Problematik von individueller<br />

Lohnarmut beseitigen. Prekäre Brutto-Löhne<br />

oberhalb des Armutslohns bedürfen deshalb<br />

einer zusätzlichen Stärkung der Tarifautonomie,<br />

wie sie insbesondere durch eine<br />

Ausdehnung des Entsendegesetzes auf alle<br />

Branchen gegeben wäre.<br />

Fazit – Mindestlohn statt Kombilohn<br />

Ein flächendeckender Kombilohn verspricht<br />

also – trotz des massiven Einsatzes öffentlicher<br />

Mittel – was er nicht halten kann. <strong>Der</strong><br />

gesetzliche Mindestlohn dagegen hat schon<br />

in vielen Ländern gehalten, was von ihm<br />

erwartet wurde. <strong>Der</strong> Mindestlohn ist ein Stabilisator,<br />

der flächendeckende Kombilohn ein<br />

Destabilisator. Trotzdem ist auch der gesetzliche<br />

Mindestlohn kein Allheilmittel für die<br />

Niedriglohnproblematik. <strong>Der</strong> Kombilohn ist<br />

aber auf jeden Fall nur ein Nischeninstrument<br />

für eng definierte Problemgruppen. Die breite<br />

Förderung von gering Qualifizierten muss<br />

vielmehr von ganz anderen Instrumenten erfüllt<br />

werden. An deren Spitze stehen vordringlich<br />

die Stärkung der Wachstumskräfte und<br />

die Belebung des ersten Arbeitsmarktes durch<br />

mehr private und öffentliche Nachfrage. Dafür<br />

sollten auf absehbare Zeit alle verfügbaren<br />

und noch erschließbaren öffentlichen Mittel<br />

reserviert bleiben.<br />

Dr. Claus Schäfer<br />

Weitere Informationen<br />

Dr. Claudia Weinkopf und<br />

Bettina Hieming, www.iat-ge.de<br />

DIW-Wochenbericht 4/06, www.diw.de<br />

IAB-Kurzbericht 3/05, www.iab.de<br />

Zum Autor<br />

Dr. Claus Schäfer ist wissenschaftlicher<br />

Referent für Verteilungsfragen im<br />

Wirtschafts- und Sozialwissen-<br />

schaftlichen Institut (WSI) in der<br />

Hans-Böckler-Stiftung<br />

E-Mail: claus-schaefer@boeckler.de<br />

www.wsi.de<br />

10 arbeitsdruck 11/06


Diskussion V<br />

Grundsicherung<br />

Als bedingungsloses Einkommen ?<br />

Seit vielen Jahren fordert der <strong>Paritätische</strong> eine Grundsicherung, die diesen Namen verdient – also eine<br />

existenzsichernde Grundsicherung. Nun gibt es eine politisch interessante Debatte um eine Grundsicherung<br />

in Form eines bedingungslosen Grundeinkommens. Vor- und Nachteile dieses Gedankens erörtert<br />

Martin Debener, als zuständiger Sekretär des Facharbeitskreises Armut und Sozialhilfe im <strong>Paritätische</strong>n<br />

Landesverband.<br />

Unterschiedliche Vertreter der Theorie<br />

Die Idee, ein bedingungsloses Grundeinkommen<br />

(BGE) für alle Menschen in unserer<br />

Gesellschaft zu zahlen, ist für die Betroffenen<br />

auf den ersten Blick sicher sehr verlockend.<br />

Das Existenzminimum würde endlich klar<br />

definiert und der Druck auf Vermittlung in<br />

den „ersten” Arbeitsmarkt – auf Arbeitsplätze<br />

die es nicht gibt – hätte ein Ende. Besonders<br />

interessant ist, dass diese Forderung<br />

nicht nur von Betroffenenvertretern wie der<br />

Bundesarbeitsgemeinschaft der Sozialhilfeinitiativen<br />

(BAG-SHI), sondern auch vom<br />

Chef der Drogeriemarktkette DM Götz Werner<br />

oder vom Direktor des Hamburger Welt-Wirtschafts-Instituts<br />

HWWI Thomas Straubhaar<br />

vertreten wird.<br />

Die Idee<br />

Mit der Einführung eines BGE würden nicht<br />

nur alle Erwerbslosen, sondern auch alle<br />

Erwerbstätigen, RentnerInnen, Kinder usw.<br />

also alle Mitglieder unserer Gesellschaft ein<br />

Grundeinkommen beziehen, – die Erwerbstätigen<br />

sogar zusätzlich zu ihrem Lohn. Hier<br />

fängt das Problem an, denn, so Rainer Roth<br />

von der FH Frankfurt,: „Dadurch wird das<br />

BGE zwangsläufig zur Lohnsubvention, zum<br />

Kombilohn (einer Kombination von Lohn und<br />

staatlichem Lohnzuschuss), der massive<br />

Lohnsenkungen möglich macht. Das ist das<br />

Hauptmotiv der Vertreter des Kapitals, die das<br />

BGE befürworten.” Unabhängig davon, ob<br />

man diese Einschätzung über das „Kapital”<br />

teilt oder nicht, scheint sicher, dass das BGE<br />

die Arbeitskosten senken würde und damit indirekt<br />

auch die Einkommen. Für die Beschäftigten<br />

hieße dies, dass sie von geringerem<br />

Lohn und zusätzlichem Grundeinkommen<br />

lebten, für die Erwerbslosen, dass ihnen nur<br />

noch das Grundeinkommen verbleibt.<br />

Die paritätische Forderung nach einer<br />

„existenzsichernden” Höhe des Grundein-<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

kommens kann so ebenfalls nicht erreicht<br />

werden, denn das BGE soll über erheblich<br />

höhere Verbrauchssteuern finanziert werden.<br />

Außerdem sollen in der Theorie einiger Vertreter<br />

der Grundsicherung auch alle anderen<br />

Sozialleistungen abgeschafft werden, wie die<br />

Sozialversicherung, Wohn-, Kindergeld usw.<br />

Hier besteht die Begründung nicht nur in der<br />

Kostenersparnis, sondern auch im Bürokratieabbau.<br />

In der Folge müssten sich aber alle<br />

Menschen selbst um ihre Kranken- Renten-<br />

und Pflegeversicherung kümmern. Die aktuell<br />

Erwerbslosen hätten so zwar ein unabhängiges<br />

bedingungsloses Einkommen, müssten<br />

davon allerdings erheblich mehr Ausgaben<br />

bestreiten. Das Modell ist also so sinnlos.<br />

Mit freundlicher Genehmigung von Dieko Müller<br />

Ein existenzsicherndes Grundeinkommen<br />

kann man so nicht definieren. Denn vor allem<br />

die geforderte parallele Abschaffung der Sozialversicherung<br />

hätte gravierende Auswirkungen.<br />

Rainer Roth schildert: „Es geht bei dieser<br />

Art Entkopplung darum, die Finanzierung der<br />

Leistungen für Arbeitslose, RentnerInnen und<br />

Kranke möglichst stark von Beiträgen auf<br />

Steuermittel zu verlagern. Mit jedem Prozentpunkt<br />

gesenkter Arbeitgeberbeiträge zur Sozialversicherung<br />

würde sich der Gesamtprofit<br />

des Kapitals um 7,5 Mrd. Euro erhöhen.<br />

Schwerpunkt<br />

Martin Debener<br />

Auch Thomas Straubhaar, Direktor des Hamburger<br />

Welt-Wirtschafts-Instituts HWWI,<br />

hebt als Folge des von ihm befürworteten<br />

bedingungslosen Grundeinkommens hervor:<br />

„In meinem Modell würde ich völlig abschaffen<br />

alles, was heute mit dem Etikett soziale<br />

Sicherungssysteme bezeichnet wird. Die<br />

brauchen wir ja dann nicht mehr, weil wir<br />

dieses Grundeinkommen haben,…”<br />

Existenzsicherndes (nicht bedingungsloses)<br />

Grundeinkommen<br />

Diesem Modell stellt der <strong>Paritätische</strong> seit Jahren<br />

die Forderung nach einer Grundsicherung<br />

für Bedürftige entgegen. Zu allererst sollte<br />

man die Kinder aus dem Leistungsbezug<br />

von SGB II und XII holen, indem dem das<br />

Kindergeld in einer Höhe gezahlt wird, die einen<br />

Leistungsbezug überflüssig macht. Nach<br />

und nach könnte dann eine steuerfinanzierte<br />

Grundsicherung für Erwerbslose und weitere<br />

Gruppen von Bedürftigen eingeführt werden.<br />

Diese Grundsicherung müsste immer verbunden<br />

sein mit weiteren sozialen Leistungen,<br />

die nicht nur auf den Arbeitsmarkt orientieren,<br />

wie Schuldnerberatung, Suchtberatung usw.<br />

Rainer Roth geht noch einen Schritt weiter.<br />

Er konkretisiert sein Modell einer Grundsicherung<br />

folgendermaßen: „In der Tat müsste<br />

Arbeitslosengeld gezahlt werden, ohne<br />

Einkommen anzurechnen, die nicht aus<br />

Erwerbstätigkeit stammen, ohne eigenes Vermögen<br />

und das Einkommen und Vermögen<br />

von Haushaltsangehörigen anzurechnen<br />

bzw. Unterhaltspflichten von Verwandten<br />

oder angebliche Pflichten eheähnlicher Partner<br />

einzufordern. In diesem Sinne kennt das<br />

Arbeitslosengeld I ebenfalls keine Bedürftigkeitsprüfung.<br />

Ein solches Arbeitslosengeld<br />

müsste allen Erwerbslosen für die gesamte<br />

Dauer der Arbeitslosigkeit gezahlt werden,<br />

ohne Anwartschaftszeiten oder vorheriges<br />

Arbeitseinkommen vorauszusetzen.”<br />

11


Qualität<br />

<strong>Paritätische</strong> Grundsicherung<br />

Eine Grundsicherung, wie sie der <strong>Paritätische</strong><br />

seit Jahren fordert, ist überfällig. Dazu gehört<br />

eine Erhöhung der Regelsätze um 20%, ein<br />

Ausbau des Kindergeldes zu einer Kindergrundsicherung,<br />

eine Erstattung der Kosten<br />

der Unterkunft in vollem Umfang und eine<br />

Anpassung der Heizkosten und Nebenkosten<br />

an die tatsächlichen Bedarfe. <strong>Der</strong> viel<br />

geforderte Abbau der Bürokratie ist auch mit<br />

den gültigen Gesetzen schon möglich. Den<br />

Interessen der Erwerbslosen wird man mit<br />

anderen Formen von Grundsicherung nicht<br />

gerecht.<br />

Keine staatliche Lohnsubvention<br />

So resümiert auch Rainer Roth treffend:<br />

„<strong>Der</strong> offene Widerspruch scheint noch nicht<br />

Zertifizierung im <strong>Paritätische</strong>n<br />

Weitere Informationen<br />

www.paritaet.org<br />

www.bag-shi.de<br />

www.tacheles-sozialhilfe.de<br />

www.klartext-info.de<br />

Rainer Roth; Zur Kritik des<br />

bedingungslosen Grundeinkommens,<br />

DVS Frankfurt 2006.<br />

Qualität durch<br />

Qualitätsgemeinschaft<br />

Zum Autor<br />

Martin Debener ist Projektentwickler/<br />

Fachberater für Armut und Sozialhilfe<br />

im <strong>Paritätische</strong>n Landesverband und<br />

Projektleiter von „Kulturarbeit mit<br />

Kindern” (siehe AD 42, S. 23)<br />

Tel.: 02 11/9 46 00-14<br />

E-Mail: debener@paritaet-nrw.org<br />

Die Qualitätsgemeinschaft Dienstleister am Arbeitsmarkt wurde im März 2003 auf Anregung der Fachberatung Arbeit<br />

von 13 paritätischen Trägern gegründet. Seit Mai dieses Jahres haben die ersten Mitglieder der Qualitätsgemeinschaft<br />

die DIN EN ISO-Zertifizierung und AZWV-Zulassung. Weitere Träger sind auf dem Weg. Doris Rix, Projektentwicklerin<br />

und Geschäftsführerin der QG beschreibt die Ziele und Arbeitsweise, Hürden und Meilensteine.<br />

Geschäftspolitische Entscheidung<br />

Spätestens seit Anfang 2006 müssen Träger<br />

der beruflichen Weiterbildung, die weiterhin<br />

Mittel für Bildungsgutscheinmaßnahmen der<br />

Agentur für Arbeit erhalten wollen, über ein<br />

Qualitätsmanagementsystem (QMS) verfügen.<br />

Also war es für die meisten Mitglieder der<br />

Qualitätsgemeinschaft (QG) eine rein strategische<br />

Entscheidung, in Qualitätsentwicklung<br />

zu investieren um weiterhin FbW-Maßnahmen<br />

anbieten zu können. Aber es ging auch<br />

darum, bei künftigen Qualitätsanforderungen<br />

von Kostenträgern einen Wettbewerbsvorteil<br />

zu haben. Einige Mitglieder der QG verfolgten<br />

weitere, organisationsinterne Ziele.<br />

Wie LERNEN FÖRDERN e.V. im Kreis Steinfurt,<br />

der in der Umsetzung eines QMS gemäß<br />

DIN EN ISO die Chance sieht, alle bisherigen<br />

Organisationsentwicklungsmaßnahmen<br />

ins Bewusstsein gedrungen zu sein. Die berechtigte<br />

Forderung nach einem Grundeinkommen<br />

für alle Erwerbslosen darf nicht in<br />

die Forderung nach einem bedingungslosen<br />

Grundeinkommen und schon gar nicht in<br />

die nach einem bedingungslosen Grundein-<br />

innerhalb des Vereins zu einem einheitlichen<br />

Managementsystem zusammenzufassen.<br />

Herzstück der Arbeit<br />

Das Herzstück der Qualitätsgemeinschaft<br />

Dienstleister am Arbeitsmarkt ist die Qualitätsarbeitsgruppe<br />

(QAG), in der sich die<br />

Qualitätsmanagementbeauftragten (QMB)<br />

der Unternehmen regelmäßig zu ganztägigen<br />

Workshops treffen. Zur Unterstützung beim<br />

Aufbau und der Entwicklung eines QMS gibt<br />

es hier die fachlich notwendigen Informationen<br />

entsprechend den Anforderungen der<br />

DIN EN ISO und der AZWV. So wurden z.B.<br />

als Grundlage für eine QM-Dokumentation<br />

eine einheitliche Handbuchstruktur sowie ein<br />

gemeinsames Raster für die Prozessdarstellung<br />

erarbeitet. Für eine Zertifizierung wurden<br />

die notwendigen Leistungs-, Führungs- und<br />

kommen für alle Beschäftigten umgewandelt<br />

werden. Es ist falsch, die Interessen von<br />

Erwerbslosen zu verteidigen, in dem man für<br />

die drastische Ausweitung von Kombilöhnen<br />

bzw. für massive steuerfinanzierte Lohnsubventionen<br />

eintritt.”<br />

Martin Debener<br />

Dienstleister am Arbeitsmarkt<br />

werden zertifiziert Doris Rix<br />

unterstützenden Prozesse ermittelt sowie<br />

arbeitsteilig Musterprozesse dazu erstellt, die<br />

für alle Mitglieder der QAG weitgehend nutzbar<br />

sind. Diese gemeinsame Vorgehensweise<br />

bietet die Möglichkeit einer Gruppenzertifizierung<br />

nach DIN EN ISO. Davon haben bisher<br />

vier Mitglieder der QG Gebrauch gemacht,<br />

vier weitere planen sie für das nächste Jahr.<br />

Hürden und Stolpersteine<br />

Arbeitsmarktdienstleister agieren in einem<br />

Marktsegment in dem sich die Rahmenbedingungen<br />

ständig ändern. Fortwährend<br />

müssen sich die Organisationen an<br />

neuen Förderprogrammen und Konditionen<br />

ausrichten. Original-Ton eines QMBs:<br />

„Ständig müssen wir neue Säue durch die<br />

Einrichtung treiben”. Übersetzt heißt das, neue<br />

Maßnahmen mit neuen Konzepten müssen<br />

12 arbeitsdruck 11/06


geplant und umgesetzt werden. Da fehlt oft<br />

die notwendige Zeit für die Qualitätsentwicklung.<br />

Wie schnell ein Unternehmen ein QMS<br />

aufbaut, liegt besonders daran, welche Priorität<br />

die Geschäftsführung dieser Aufgabe gibt.<br />

Dabei können Personalwechsel zu herben<br />

Rückschlägen führen. In Klartext heißt das:<br />

Qualitätsentwicklung ist viel Arbeit. Für diese<br />

Arbeit müssen auch die Ressourcen bei den<br />

MitarbeiterInnen zur Verfügung stehen.<br />

Meilensteine und Höhepunkte<br />

Für die Betriebe sind die herausragenden<br />

Ereignisse z.B. die Fertigstellung des Handbuchs<br />

oder die Einführung des QMS für alle<br />

MitarbeiterInnen, die internen Audits und die<br />

Zertifizierung. Auf diesem Weg sehe ich als<br />

Geschäftsführerin der QG oft Glanzlichter,<br />

wenn die QMBs von ihrer Arbeit berichten.<br />

Zum Beispiel, dass alle MitarbeiterInnen<br />

trotz anfänglicher Skepsis jetzt die Chancen<br />

von Qualitätsentwicklung sehen und auch<br />

die Geschäftsführung mit 100% hinter dem<br />

System steht. Oder wenn MitarbeiterInnen<br />

einer Mitgliedsorganisation, die beim externen<br />

Audit nicht befragt wurden, beim nächsten<br />

Mal unbedingt dabei sein wollen. Höhepunkte<br />

sind auch, wenn eine QMB erzählt,<br />

wie hilfreich und wichtig die Materialien sind,<br />

die im Intranet allen Mitgliedern zur Verfügung<br />

stehen. Oder wenn ein QMB darlegt,<br />

wie froh er ist, dass bald sein QMS eingeführt<br />

ist und er damit neue Maßnahmen über die<br />

festgelegten Prozesse viel besser lenken kann<br />

als bisher. Für mich bedeutet dies, der Weg<br />

von einer strategischen Entscheidung hin zu<br />

einem „gelebten” QMS ist geschafft.<br />

Basis des Erfolgs<br />

<strong>Der</strong> Erfolg der QG baut im Wesentlichen<br />

auf folgenden drei Punkten auf. Erster ist<br />

der fachliche Input von Johannes Massolle<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

(www.move-muenster.de) dem externen<br />

Qualitätsexperten. Von ihm erhalten die<br />

QMBs das Qualitäts-Know How und konkrete<br />

Werkzeuge und Methoden, die bei der<br />

Organisations- und Qualitätsentwicklung eingesetzt<br />

werden können. Und sie finden Unterstützung<br />

und Reflexionsmöglichkeiten für ihre<br />

nicht immer einfache Aufgabe der Qualitäts-<br />

entwicklung in ihren Betrieben.<br />

<strong>Der</strong> zweite Punkt ist die enge Zusammenarbeit<br />

in der Gemeinschaft. Beispielhaft sind<br />

das Vertrauen und die Offenheit, mit der die<br />

Qualitätsmanagementbeauftragten Themen<br />

diskutieren, Erfahrungen miteinander teilen<br />

und entwickelte Materialien austauschen.<br />

Dabei kommt es jenseits des Themas Qualität<br />

zu einem regen Informationsaustausch,<br />

beispielsweise zu aktuellen Fördermodali-<br />

täten. Das macht meines Erachtens die ganz<br />

besondere Qualität und den Wert dieser<br />

Arbeitsgruppe aus.<br />

<strong>Der</strong> dritte Pluspunkt ist die Struktur und der<br />

Rahmen, den die QG für ihre Mitglieder bietet.<br />

Durch die regelmäßigen Treffen der QAG bleiben<br />

die Qualitätsmanagementbeauftragten<br />

im Thema und können sich zeitnah Unterstützung<br />

holen. Darüber hinaus gibt es auf<br />

der Homepage www.qualitaet.paritaet-nrw.<br />

org einen passwortgeschützten Intranetbereich.<br />

Hier sind alle Schulungsmaterialien,<br />

Arbeitsgruppenprotokolle, Informationen zur<br />

Zertifizierung, erarbeitete Prozesse und Vorlagen<br />

für die Mitglieder jederzeit abrufbar.<br />

Als Sahnehäubchen konnten mit der<br />

DQS, der Deutschen Gesellschaft zur Zertifizierung<br />

von Managementsystemen,<br />

Sonderkonditionen ausgehandelt werden.<br />

So gibt es einen besonderen Rabatt bei der<br />

Zertifizierung.<br />

v.r.n.l.: Johannes Masolle, MOVE Organisationsberatung; Karin Hoffmann, VSB; Britta Schwecht, Die Kette;<br />

Jörg Marx, SCI Moers; Karin Dammer, ASH-Sprungbrett; Dirk Weimar, BZH; Silvia Heckmann, a.w.b.;<br />

Ludger Lünenborg, LERNEN FÖRDERN; Pia Tendeng, Stadtteil-Schule; Gaby Bremicker, RE/init;<br />

Doro Rengers, Werkstatt im Kreis Unna; Barbara Gast, Fach-Werk; Doris Rix, GF der QG Dienstleister am Arbeitsmarkt<br />

Weitere Informationen<br />

www.qualitaet.paritaet-nrw.org<br />

www.move-muenster.de<br />

Qualität<br />

Neue Arbeitsgruppe oder Einzelberatung<br />

Um weiteren Mitgliedsorganisationen des<br />

<strong>Paritätische</strong>n die Möglichkeit zu bieten,<br />

gemeinsam an der Einführung und Anwendung<br />

eines Qualitätsmanagementsystems zu<br />

arbeiten, richten wir eine neue Arbeitsgruppe<br />

für Anfänger ein, wenn es mindestens 10<br />

interessierte Mitgliedsorganisationen gibt.<br />

Sollte diese Zahl nicht erreicht werden, bieten<br />

wir für paritätische Mitgliedsorganisationen<br />

ein passgenaues Angebot zur Qualitätsentwicklung<br />

aus dem QMB- Pool an, einem Pool<br />

von ausgebildeten Qualitätsexperten beim<br />

<strong>Paritätische</strong>n <strong>NRW</strong>. In einem Vorgespräch<br />

wird geklärt, welchen Bedarf an Unterstützung<br />

Ihre Organisation bei der Qualitätsentwicklung<br />

hat. Entsprechend der Zielvorstellungen<br />

wird ein Angebot für einen Beratungsprozess<br />

erstellt, der genau auf die Voraussetzungen<br />

und die Notwendigkeiten der Einrichtung ausgerichtet<br />

ist.<br />

Doris Rix<br />

Zur Autorin<br />

Doris Rix ist Projektentwicklerin/<br />

Fachberaterin, TQM-Managerin und<br />

Geschäftsführerin der <strong>Paritätische</strong>n<br />

Qualitätsgemeinschaft Dienstleister<br />

am Arbeitsmarkt.<br />

Tel: 0 21 62/1 50 69<br />

Fax: 0 21 62/35 17 37<br />

E-Mail: doris.rix@paritaet-nrw.org<br />

Abkürzungen<br />

DQS – Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung<br />

von Managementsystemen<br />

www.dqs.de<br />

AZWV – Anerkennungs- und Zulassungsverordnung<br />

Weiterbildung<br />

www.bmas.de ➥ AZWV<br />

DIN EN ISO 9001 – Qualitätsmanagementnorm,<br />

www.wikipedia.de<br />

➥ DIN EN ISO 9001<br />

EOQ – European Organization for Quality,<br />

www.eoq.org<br />

QG – Qualitätsgemeinschaft<br />

QMS – Qualitätsmanagementsystem<br />

13


Qualität<br />

Zertifizierung in der Qualitätsgemeinschaft<br />

Zertifizierte Qualität<br />

<strong>Der</strong> Blick der Auditorin<br />

Helga Schröder arbeitet als Auditorin für die Deutsche Gesellschaft zur Zertifizierung von<br />

Managementsystemen (DQS), eine der 25 von der Bundesagentur zugelassenen fachkundigen<br />

Stellen für die Träger- und Maßnahmezulassung nach AZWV. Seit Mai hat sie Mitglieder der<br />

<strong>Paritätische</strong>n Qualitätsgemeinschaft Dienstleiter am Arbeitsmarkt (QG), auditiert und begutachtet.<br />

ad: Frau Schröder, Menschen die keine<br />

Qualitätsexperten sind, verstehen die Unterschiede<br />

zwischen den verschiedenen<br />

„Qualitätsmarken” kaum. Worauf zielt<br />

die AZWV ab? Welchen Vorteil sehen Sie<br />

für Organisationen, die sich gleichzeitig<br />

nach DIN ISO zertifizieren lassen?<br />

Helga Schröder: Die AZWV ist der Versuch,<br />

über die Sozialgesetzgebung die Qualität für<br />

öffentlich finanzierte Dienstleitungen sicherzustellen.<br />

Was ich auch für richtig halte.<br />

Die AZWV ist eine Rechtsverordnung die<br />

festlegt, dass Anbieter, welche Maßnahmen<br />

für Bildungsgutscheine der Arbeitsagentur<br />

umsetzen wollen, bestimmte Voraussetzungen<br />

erfüllen müssen. Dazu gehört auch<br />

die Forderung nach Qualitätssicherung und<br />

Qualitätsentwicklung. <strong>Der</strong> Anbieter kann die<br />

Anforderungen der AZWV rein bürokratisch<br />

erfüllen, hat dann aber noch kein Qualitätsmanagementsystem<br />

(QMS), das die dafür<br />

notwendigen Unternehmensziele festlegt und<br />

Prozesse steuert. Arbeitet ein Unternehmen<br />

aber auf Basis der DIN EN ISO 9001, ist die<br />

Qualitätsmanagementsystematik gewährleistet,<br />

die beispielsweise eine kontinuierliche<br />

Marktbeobachtung und die Ausrichtung auf<br />

den Kunden garantiert.<br />

ad: Die KollegInnen aus der QG haben<br />

berichtet, dass Ihnen die gelebte Qualität<br />

des Unternehmens bei Ihren Audits wichtig<br />

war. Wie sieht gelebte Qualität aus<br />

dem Blickwinkel der Auditorin aus?<br />

Helga Schröder: Gelebte Qualität bedeutet<br />

für mich die Fähigkeit, dass sich das eigene<br />

Unternehmen mit seinen Kunden weiterentwickelt.<br />

Im Fall der Arbeitsmarktdienstleister<br />

also mit den Kostenträgern aber auch<br />

mit den TeilnehmerInnen der Maßnahmen.<br />

Gerade bei interaktiven personenbezogenen<br />

Dienstleistungen sind die Kunden eine Art<br />

Partner, mit denen kooperiert werden muss,<br />

um den Erfolg der Arbeit zu gewährleisten,<br />

was besonders bei schwierigen TeilnehmerInnen<br />

eine Herausforderung darstellt.<br />

Gerade die DIN ISO fordert aber das Einholen<br />

von Kundenrückmeldungen. Neben der<br />

unmittelbaren Kommunikation sind auch<br />

die Fähigkeiten der MitarbeiterInnen in den<br />

Unternehmen gefordert, den TeilnehmerInnen<br />

gegenüber Erwartungen wie zu Beispiel nach<br />

Pünktlichkeit so darzustellen, dass diese sich<br />

nicht gemaßregelt, sondern abgeholt und gefördert<br />

fühlen.<br />

ad: Wenn das externe Audit ansteht,<br />

bricht oft bei MitarbeiterInnen in den<br />

Unternehmen das große Zittern aus. Wie<br />

gehen Sie damit um und wie verstehen<br />

Sie dabei ihre Rolle als Auditorin?<br />

Helga Schröder: Niemand muss vor der Begutachtung<br />

bzw. dem Audittermin Angst haben.<br />

Ich versuche die Situation so zu gestalten,<br />

dass für die Beteiligten eine entspannte<br />

Atmosphäre entsteht. Dafür sind die Auditoren<br />

der DQS entsprechend geschult, sodass ein<br />

wertschöpfendes Audit im Rahmen von Dialogen<br />

entstehen kann. Bei der DQS gibt es<br />

außerdem nach dem ersten und zweiten Jahr<br />

eine „Förderbegutachtung”. Es geht dabei<br />

nicht um das Abarbeiten einer Checkliste mit<br />

Norm- oder AZWV-Anforderungen, sondern<br />

darum, dass das Werkzeug „Norm” optimal<br />

beim Erreichen der Organisationsziele nützt.<br />

Das gilt für das gesamte Audit einschließlich<br />

Abschlussgespräch, in dem die MitarbeiterInnen<br />

die konkreten Rückmeldungen zu Stärken<br />

und zu Verbesserungsbereichen ihrer Arbeit<br />

bekommen.<br />

ad: Wie sehen die beiden Bestandteile<br />

des Audits, Systemanalyse und Systembegutachtung,<br />

konkret aus?<br />

Helga Schröder: Bei der Systemanalyse<br />

werden die QM-Dokumente überprüft. Das<br />

QM-Handbuch wird unter dem Aspekt der<br />

Zertifizierungsfähigkeit an Hand der gesetzlichen<br />

Vorgaben und der Norm überprüft. Im<br />

Gegensatz zu anderen Zertifizierungsorganisationen<br />

prüft die DQS vor Ort im Unternehmen<br />

und lässt sich die Dokumente nicht nur<br />

Helga Schröder<br />

zuschicken. Das hat den großen Vorteil, dass<br />

wesentlich konkreter geprüft werden kann.<br />

Bei Unklarheiten kann nachgefragt werden<br />

und der oder die Qualitätsmanagementbeauftragte<br />

kann offene Fragen direkt beantworten.<br />

Sind die Antworten nicht ausreichend, kann<br />

ich als Auditorin konkrete Abstimmungen zu<br />

Korrekturen oder Verbesserung rechtzeitig<br />

vornehmen. Ggf. können notwendige Ergänzungen<br />

bis zur Systembegutachtung im Unternehmen<br />

umgesetzt werden.<br />

Die Systembegutachtung findet nach einem<br />

mit dem Unternehmen abgesprochen Zeitplan<br />

statt. Anhand von konkreten Projekten wird<br />

geklärt, wie eine Dienstleistung von Anfang<br />

bis Ende aussieht. Dazu werden die MitarbeiterInnen<br />

befragt, die in der Regel ihre eigene<br />

Arbeit gut darstellen können. Überprüft wird<br />

auch, ob die notwendigen Dokumente und<br />

Aufzeichnungen vorhanden sind. Dazu gehören<br />

auch die Bereiche Daten- und Arbeitsschutz<br />

als gesetzliche Verpflichtungen.<br />

ad: In der QG Dienstleister am Arbeitsmarkt<br />

haben sich Träger zur gemeinsamen<br />

Qualitätsentwicklung zusammengeschlossen.<br />

Worin liegen Ihrer Meinung<br />

nach die Vorteile für Organisationen, die<br />

sich gemeinsam auf eine Zertifizierung<br />

vorbereiten?<br />

Helga Schröder: Aus meiner Sicht ist eine<br />

Gruppe immer mehr als die Summe der Einzelnen.<br />

So kann ein fruchtbarer Austausch<br />

über Ziele, Leitbilder und Prozesse entstehen,<br />

oder darüber wie die Unternehmensbedürfnisse<br />

und die Norm in Einklang zu bringen sind.<br />

Beispielhafte Abläufe können entwickelt und<br />

übertragen werden. Probleme mit TeilnehmerInnen<br />

aber auch mit Auftraggebern können<br />

gemeinschaftlich behandelt und Lösungsansätze<br />

entwickelt werden. Außerdem besteht<br />

die Möglichkeit einer Gruppenzertifizierung<br />

von Unternehmen mit ähnlichen Systemen.<br />

Das ist kostengünstiger als eine Einzelzertifizierung.<br />

14 arbeitsdruck 11/06


ad: Einige Mitglieder der QG haben in<br />

diesem Jahr ihre Erstzertifizierung erhalten.<br />

Jedes Jahr steht erneut ein Audit<br />

an. Was muss eine Organisation aus<br />

Ihrer Sicht machen, um ihr QMS weiterzuentwickeln?<br />

Helga Schröder: Drei Dinge halte ich eine<br />

Weiterentwicklung für wichtig:<br />

1.) Die internen Audits müssen als Instrument<br />

der Wirksamkeitsüberprüfung des<br />

QMS genutzt werden. Das kann in einer<br />

Qualitätsgemeinschaft auch bedeuten,<br />

dass gegenseitige interne Audits stattfinden.<br />

2.) Um die Marktfähigkeit des Unternehmens<br />

zu erhalten, muss der Marktbeobachtung<br />

und dem Austausch mit den Kunden<br />

hohe Aufmerksamkeit gezollt werden.<br />

Eine grundlegende Intention der DIN ISO<br />

Zertifizierung – Umsetzung<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

ist es ja, das Vertrauen in die Dienstleistung<br />

zu fördern. Sie nehmen wahrscheinlich<br />

auch einen längeren Weg zu einem<br />

Zahnarzt in Kauf, bei dem Sie aufgrund<br />

ihres Vertrauens die besseren Dienstleistungen<br />

erwarten.<br />

3.) Wichtig finde ich auch ein Kooperieren in<br />

Netzwerken. Dadurch bleiben die Beteiligten<br />

nicht bei der Binnensicht ihres Unternehmens,<br />

sondern können auch von<br />

der Außenperspektive der anderen profitieren.<br />

Gerade bei der Frage der Marktbeobachtung<br />

ist es sehr interessant, die<br />

Erfahrungen anderer zu kennen und zu<br />

nutzen.<br />

ad: Frau Schröder, vielen Dank für das<br />

Interview!<br />

Von der guten zur zertifizierten Arbeit<br />

Qualität<br />

Zum Interview:<br />

Helga Schröder ist EOQ Quality Auditorin,<br />

Trainerin und Organisationsberaterin.<br />

Sie arbeitet als Auditorin für die DQS<br />

www.consilea.de<br />

Das Interview führte Doris Rix, Projektentwicklerin<br />

und Geschäftsführerin der<br />

QG Dienstleiser am Arbeitsmarkt.<br />

E-Mail: rix@paritaet-nrw.org<br />

www.qualitaet.paritaet-nrw.org �<br />

➥Dienstleister am Arbeitsmarkt<br />

Einführung eines Qualitäts-<br />

managementsystems<br />

ASH-Sprungbrett e.V., ist Mitglied der Qualitätsgemeinschaft Dienstleister am<br />

Arbeitsmarkt. <strong>Der</strong> Verein ist seit über 20 Jahren im Rhein – Erftkreis erfolgreich für<br />

die Integration von Benachteiligten tätig. Die QMB Katharina Dammer berichtet<br />

über den Weg bis zur Zertifizierung.<br />

Für die Beschäftigten des ASH-Sprungbrett<br />

war es schon immer selbstverständlich sich<br />

fachlich auf dem Laufenden zu halten, um<br />

die Teilnehmer bestens unterstützen, beraten,<br />

qualifizieren und vermitteln zu können. Das<br />

bedeutete zum Beispiel, dass man sich über<br />

gesetzliche Neuerungen und aktuelle Methoden<br />

informierte, Kooperationsbeziehungen<br />

pflegte, die Dokumentation pflegte oder Projekte<br />

zielorientiert konzipierte und ausstattete.<br />

Als klar wurde, dass nur noch zertifizierte<br />

Träger eine Chance auf öffentliche Aufträge<br />

haben, war schnell entschieden: „Wir wollen<br />

die Zertifizierung.” Daher beteiligten wir<br />

uns an der Q-Check Gruppe und der Qualitätsarbeitsgemeinschaft<br />

im <strong>Paritätische</strong>n.<br />

Ich wurde QM-Beauftragte und absolvierte<br />

eine Fortbildung zur Auditorin. Seit August<br />

2006 ist der ASH-Sprungbrett zertifiziert und<br />

ein nach AZWV zugelassener Träger.<br />

Kernaussage<br />

Wir, der Geschäftsführer mit den Leitungskräften,<br />

machten allen Mitarbeiter/innen deutlich,<br />

warum die Zertifizierung angestrebt wurde.<br />

Dabei war die Kernaussage, die bisher<br />

„selbstverständliche” gute Arbeit soll messbar<br />

und überprüfbar werden. Es ging nicht um<br />

großartige Neuerungen, die Arbeit blieb im<br />

Wesentlichen gleich, aber sie sollte transparenter<br />

werden und noch systematischer<br />

dokumentiert.<br />

Katharina Dammer<br />

Probleme und Ängste<br />

Mit den Veränderungen tauchten auch<br />

Schwierigkeiten auf. So bestand die Sorge,<br />

dass festgestellte Fehler einzelnen Personen<br />

angelastet werden könnten, oder dass mehr<br />

Transparenz zu mehr Formularen führt. Außerdem<br />

könnten festgelegte Verfahren den Bewegungsspielraum<br />

und die Individualität der<br />

Mitarbeiter/innen einschränken. Eine weitere<br />

Befürchtung war, der Veränderungsprozess<br />

könnte nur ein abstraktes, formales Gebilde<br />

sein und gar nichts mit der tatsächlichen<br />

Arbeit zu tun haben. Neben den Engpässen<br />

15


Kombilohn<br />

durch Umstrukturierungen und neue Aufträge<br />

waren es wohl diese Ängste, die gelegentlich<br />

zu Verschleppungen von Terminen führten.<br />

Ausräumen der Widerstände<br />

Die Sorgen und Widerstände wurden bei Betriebsversammlungen,<br />

Mitarbeitergesprächen<br />

und in der Runde der internen Auditoren ausführlich<br />

besprochen. Ausgeräumt wurden die<br />

Bedenken aber erst mit der Einführung und<br />

Anwendung des Systems. Die Kolleg/innen<br />

machten die Erfahrung, dass der kontinuierliche<br />

Verbesserungsprozess ernst gemeint ist:<br />

Fehlermeldungen oder Korrekturvorschläge<br />

werden konstruktiv aufgenommen, als Anlass<br />

zum Nachdenken und Handeln verstanden<br />

und nicht als Indiz für Fehler Einzelner<br />

gewertet. Die Prozessbeschreibungen und<br />

Dokumente sind brauchbar, oder sie werden<br />

angepasst. Die verbesserte Systematik hilft<br />

wirklich bei der Arbeit, bringt nicht nur Formulare,<br />

sondern auch tatsächliche Entlastung.<br />

Arbeitsmarktpolitik <strong>NRW</strong><br />

O-Töne<br />

Kurz vor dem Besuch der Auditorin besuchte<br />

ich noch mal alle Projekte und konnte dabei<br />

schon etwas über positive Auswirkungen<br />

hören:<br />

„Wir haben die Sicherheit, alles Nötige tatsächlich<br />

getan zu haben.”<br />

„Die Verbindlichkeit in der Dokumentation<br />

macht es einfacher, die Dokumente zu ergänzen<br />

und Neues einzuarbeiten.”<br />

„Die Übergabe von Projekten und das Einarbeiten<br />

neuer Mitarbeiter ist durch mehr Übersichtlichkeit<br />

und Systematik einfacher”.<br />

„Ich finde - endlich - alle Unterlagen sofort.”<br />

Auch mit QMS: Nach wie vor ist gute Arbeit<br />

gefragt – selbstverständlich!<br />

Katharina Dammer<br />

Kombilohn <strong>NRW</strong><br />

Aktueller Stand der Umsetzung<br />

<strong>Der</strong> Kombilohn <strong>NRW</strong> gewinnt an Format und Fahrt. Zahlreiche Regionen des Landes<br />

haben bereits mit der Umsetzung konkreter Projekte begonnen, weitere werden bis<br />

zum Jahresende folgen. Das ist das Ergebnis einer Umfrage, die die Gesellschaft für<br />

innovative Beschäftigungsförderung (G.I.B.) im Auftrag des Ministeriums für Arbeit,<br />

Gesundheit und Soziales des Landes <strong>NRW</strong> durchgeführt hat.<br />

Im März 2006 veröffentlichte Karl-Josef<br />

Laumann, Minister für Arbeit, Gesundheit und<br />

Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen,<br />

Eckpunkte zum Kombilohn <strong>NRW</strong>. Mit diesem<br />

Instrument sollen für die Zielgruppe der<br />

Langzeitarbeitslosen mit besonderen Vermittlungshemmnissen<br />

zusätzliche Arbeitsplätze<br />

geschaffen werden. Im Hinblick auf die Förderkonditionen<br />

sehen die Empfehlungen des<br />

Landes wie folgt aus: Mit Fördermitteln der<br />

Arbeitsgemeinschaften (ARGEn) und Optionskommunen<br />

(OK) können den Arbeitgebern<br />

die Sozialversicherungsbeiträge in Höhe<br />

von 21% des Arbeitnehmerbruttos erstattet<br />

werden. Außerdem können 21% des Arbeitnehmerbruttos<br />

als Einkommenszuschuss an<br />

den Arbeitnehmer weitergereicht werden. Und<br />

zusätzlich kann bei Personen mit erhebli-<br />

chen Vermittlungshemmnissen ein degressiv<br />

gestalteter Minderleistungsausgleich in Höhe<br />

von max. 30% gezahlt werden. Die bisherige<br />

Umsetzungspraxis hat jedoch gezeigt,<br />

dass die ARGEn/OK in vielen Regionen die<br />

Förderkonditionen den jeweiligen regionalen<br />

Gegebenheiten anpassen und sogar über die<br />

vorgeschlagenen Förderkonditionen hinausgehen.<br />

Auf der Grundlage der Landesempfehlungen<br />

ist so eine Bandbreite unterschiedlicher<br />

Fördermodelle mit verschiedenen Förderschwerpunkten<br />

entstanden.<br />

Alle machen mit<br />

Die ARGEn und OK, Regionalagenturen,<br />

Wohlfahrtsverbände und Unternehmen der<br />

freien Wirtschaft wurden in den vergangenen<br />

Monaten umfassend zum Kombilohn <strong>NRW</strong><br />

Qualifikation ergänzt die praktische Arbeit<br />

Zur Autorin<br />

Katharina Dammer ist Qualitätsmanagementbeauftragte<br />

und Fachbereichsleiterin<br />

bei ASH Sprungbrett e.V..<br />

Tel.: 0 22 71/ 9 83 30<br />

E-Mail: k.dammer@ash-sprungbrett.de<br />

Andreas Langer<br />

informiert. Die Regionalagenturen wie auch<br />

die G.I.B. unterstützen im Auftrag des MAGS<br />

die Umsetzung des Kombilohn <strong>NRW</strong> durch<br />

ein Begleitangebot. Hierzu gehören u.a. Informationsveranstaltungen,<br />

ein Beratungsservice,<br />

ein permanentes Monitoring sowie<br />

die Bereitstellung von Dokumenten (siehe<br />

www.gib.nrw.de � Kombilohn).<br />

Bereits im Juli 2006 erreichten die G.I.B.<br />

in einer vom MAGS in Auftrag gegebenen<br />

Umfrage bei ARGEn, OK und Wohlfahrtsverbänden<br />

aus nahezu allen Regionen positive<br />

Rückmeldungen über die Teilnahme am Programm.<br />

Inzwischen sind die Strukturen fast<br />

überall installiert und in zahlreichen Regionen<br />

wird Kombilohn bereits erfolgreich in unterschiedlichen<br />

Varianten umgesetzt.<br />

16 arbeitsdruck 11/06


Große Vielfalt<br />

Um die Zusätzlichkeit und Gemeinnützigkeit<br />

der Kombilohnarbeitsplätze zu gewährleisten<br />

und reguläre Arbeitsplätze nicht zu gefährden,<br />

lagen zu Beginn der Planung folgende<br />

Arbeitsfelder im Zentrum der Überlegungen:<br />

Zivildienstplätze, Wäschehol- und -bringdienste,<br />

Dienstleistungen für Unternehmen<br />

der Wohnungswirtschaft, Fair-Kaufhäuser.<br />

Außerdem wurden laut Umfrage innerhalb<br />

des sozialen Bereiches Tätigkeitsfelder wie<br />

haushaltsnahe Dienstleistungen, ambulante<br />

Pflege, Fahrdienste, Integrationshilfen,<br />

Lagerarbeiten, Garten- und Landschaftsarbeiten<br />

genannt.<br />

Möglich ist aber auch der Einsatz jenseits<br />

der Sozialwirtschaft in der freien Wirtschaft,<br />

allerdings wie im sozialen Bereich auch hier<br />

unter der Bedingung, dass die eingerichteten<br />

Arbeitsplätze das Kriterium der Zusätzlichkeit<br />

erfüllen, um Verdrängungseffekten entgegenzuwirken.<br />

Im Folgenden werden drei Beispiele genauer<br />

dargestellt. Es handelt sich dabei um die<br />

Regionen Düsseldorf, Gelsenkirchen und Ostwestfalen<br />

Lippe (OWL).<br />

Düsseldorfer Kombilohnmodell –<br />

Zivildienst wird Kombilohn<br />

Das Düsseldorfer Modell konzentriert sich auf<br />

die klar umrissene Gruppe der ehemaligen<br />

Zivildienstplätze. Diese sind per se zusätzlich.<br />

Sie erfüllen auch die Vorgabe, dass<br />

sie Düsseldorfer BürgerInnen zu Gute kommen.<br />

Von den ehemals 1639 Düsseldorfer<br />

Zivildienststellen waren im April 2006 nur<br />

379 belegt. Aus diesem Potenzial von 1260<br />

unbesetzten Stellen werden nun 200 Kombilohnarbeitsplätze<br />

entwickelt und durch die<br />

Fallmanager der ARGE mit Hilfeempfängern<br />

nach §16 SGB II besetzt. Über die praktische<br />

Umsetzung des Modells beim Pflegeservice<br />

Care24, Mitglied des <strong>Paritätische</strong>n, berichten<br />

wir in diesem Heft.<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

Kombilohn OWL –<br />

Förderung für den Freien Markt<br />

Das Modell aus OWL fördert die Beschäftigung<br />

von ALG II-Beziehern, die seit mindestens<br />

3 Jahren arbeitslos sind. Hier können<br />

zusätzlich von Unternehmen des regulären<br />

Arbeitsmarktes eingerichtete sozialversicherungspflichtige<br />

Arbeitsplätze für maximal zwei<br />

Jahre mit 42% des Arbeitgeberbruttos gefördert<br />

werden. Im Falle eines erheblichen Mehraufwandes<br />

kann für die Arbeitsaufnahme ein<br />

Einstiegsgeld beantragt werden. Dieses steht<br />

z.B. für höhere Fahrtkosten, die Anschaffung<br />

eines Fahrzeuges oder Kinderbetreuungskosten<br />

zur Verfügung. Bereits bei der Mindestver-<br />

gütung von 6,33 € beträgt die Förder-<br />

summe 5.107 € pro Jahr. Diesem steht ein<br />

Arbeitgeberanteil von 9.600 € gegenüber. Die<br />

Förderung kann in begründeten Fällen auf bis<br />

zu 70% angehoben werden, um die Minderleistung<br />

auszugleichen.<br />

Gelsenkirchener Modell –<br />

Progressive Förderung<br />

Die Zielgruppe des Gelsenkirchener Modells<br />

ist anders gelagert. Hier liegen die folgende<br />

Gruppen im Fokus: Zum einen Mini-Jobber,<br />

die ihre Hilfebedürftigkeit trotz der Nebeneinkünfte<br />

aus dieser Tätigkeit nicht beenden<br />

konnten und zum anderen erfolgreiche Absolventen<br />

beruflicher Qualifikationen. Voraussetzung<br />

der Förderung ist damit die Aktivität der<br />

Arbeitsuchenden. Abweichend von der üblichen<br />

Praxis der degressiven Förderung wird<br />

in Gelsenkirchen der Weg der progressiven<br />

Förderung beschritten. <strong>Der</strong> Arbeitgeberanteil<br />

der Sozialversicherung wird dabei im ersten<br />

Jahr mit 50%, im zweiten mit 75% und im<br />

dritten mit 100% bezuschusst. Ziel ist die<br />

nachhaltige Beschäftigung. Denn das dritte<br />

Jahr überschreitet den Zwei-Jahresrahmen<br />

des Teilzeit- und Befristungsgesetzes und<br />

unterstützt dadurch die arbeitsrechtliche Bindung.<br />

Die Kostenseite des Arbeitgebers wird<br />

bei einem Monatsverdienst von 1500,– € in<br />

den drei Jahren um 8100,– € entlastet. Ins-<br />

Kombilohn<br />

gesamt sollen in Gelsenkirchen durch dieses<br />

Modell 1000 neue Arbeitsplätze entstehen.<br />

Die Begleitstruktur<br />

Für die Entwicklung und Flankierung des<br />

Kombilohnmodells können mit Mitteln des<br />

Europäischen Sozialfonds Fachkraftstellen<br />

geschaffen werden. Mit dieser Förderung des<br />

Landes sollen erstens neue Tätigkeitsfelder<br />

generiert, zweitens Umsetzungsstrategien<br />

und -Strukturen entwickelt und implementiert<br />

und drittens die Startphase und die Vermarktung<br />

unterstützt werden. Grundlage der<br />

Zuwendung sind folgende Punkte:<br />

• Konkrete Projektbeschreibung<br />

• Nennung quantitativer und<br />

qualitativer Ziele<br />

• Positives Votum der Region<br />

• Schlüssiges Finanzierungskonzept<br />

• Letter of Intent der ARGE bzw.<br />

Optionskommune<br />

• Bereitschaft zur Mitwirkung im Rahmen<br />

von Controlling und Evaluation<br />

Es stehen gemäß der die Fördermodalitäten<br />

regelnden GDR (Gemeinsame Durchführungsregelung)<br />

jährlich je Fachkraft<br />

51.518,– € (80% der Bemessungsgrundlage)<br />

zur Verfügung. Aktuell (Mitte November<br />

2006) gilt noch immer ein Bewilligungsstop<br />

des MAGS für dieses Programm – wie<br />

für viele andere ESF-geförderte Programme.<br />

Ob Anträge für die Begleitstruktur des Kombilohns<br />

künftig wieder bewilligt werden ist fraglich;<br />

das Programm steht wohl nicht auf der<br />

Prioritätenliste des MAGS.<br />

Andreas Langer<br />

Zum Autor<br />

Andreas Langer ist Projektentwickler/<br />

Fachberater in der Fachgruppe,<br />

soziale Hilfen, Europa im <strong>Paritätische</strong>n<br />

Landesverband <strong>NRW</strong> in Düsseldorf<br />

Tel.: 02 11/9 46 00-22<br />

E-Mail: langer@paritaet-nrw.org<br />

17


Kombilohn<br />

Arbeitsmarktinstrument in der Praxis<br />

Kombilohn<br />

Beschäftigungsförderung<br />

im Alltagseinsatz<br />

Care24 – der Düsseldorfer Krankenpflegedienst bietet die gesamte Bandbreite der Pflege<br />

und Versorgung von Menschen mit schwersten körperlichen und psychischen Krankheiten an –<br />

vom Einkaufen bis zur Sterbebegleitung. Er ist einer der ersten Arbeitgeber in <strong>NRW</strong> die Kombilohnarbeitsplätze<br />

eingerichtet haben. Die Geschäftsführerin Elke Leuchtenberg berichtet<br />

in einem Gespräch mit dem Fachberater Andreas Langer über ihre Erfahrungen.<br />

Care24 betreut und pflegt in Düsseldorf seit<br />

vielen Jahren Schwerstkranke, HIV-Patienten,<br />

psychisch Erkrankte, Drogenabhängige und<br />

Wohnungslose. <strong>Der</strong> Arbeitszeiteinsatz bei<br />

den intensiven Eins zu Eins Situationen kann<br />

sich von einem kurzen Besuch bis hin zu<br />

16 oder gar 24 Stunden pro Tag erstrecken.<br />

Die Aufgaben reichen dabei von reiner Präsenz,<br />

über Einkaufen und Reinigen der Wohnung,<br />

bis hin zu künstlicher Beatmung und<br />

Sterbebegleitung. Für die Abdeckung dieser<br />

großen Bandbreite beschäftigt Care24 Sozialarbeiter,<br />

examinierte Kranken- und Altenpfleger<br />

mit unterschiedlichen Schwerpunkten,<br />

Familienpfleger sowie angelernte Hauswirtschafterinnen<br />

und seit August auch Kombilohnkräfte.<br />

Ersatz für Zivis<br />

Mitte Mai wendete sich die Düsseldorfer<br />

ARGE mit dem Vorschlag an Care24, Kombilohnarbeitsplätze<br />

anstelle von unbesetzten<br />

Zivildienststellen einzurichten. Da der Verein<br />

schon seit mehreren Jahren nicht mehr genü-<br />

Fachgruppe intern I<br />

gend Bewerbungen von Zivildienstleistenden<br />

bekommt, traf das Angebot auf offene Ohren.<br />

Die Möglichkeit, lebenserfahrene Menschen<br />

für 24 Monate anstatt für 9 Monate in der Versorgung<br />

der Patienten einsetzen zu können,<br />

machte neugierig.<br />

10 neue Stellen<br />

Nach Vorgabe der ARGE Düsseldorf kann<br />

pro 10 Mitarbeiter eine Kombilohnstelle geschaffen<br />

werden. Mit dem Betriebsrat war<br />

sich die Geschäftsführung schnell einig.<br />

So wurden bei insgesamt 68 Mitarbeitern<br />

sechs Kombilohnarbeitsplätze beantragt.<br />

Weitere vier Stellen sollen in den kommenden<br />

Monaten sukzessive im Zuge des Aufbaus<br />

des neuen Geschäftsbereiches der Alltagsbegleitung<br />

eingestellt werden. Als Stundenlohn<br />

wurden 7,50€ bei einer Wochenarbeitszeit von<br />

38,5 Stunden vereinbart. Damit liegen trotz<br />

760,– € Förderung die Kosten zwar deutlich<br />

über denen für Zivildienststellen, insgesamt<br />

wiegen aber die Vorteile die Nachteile<br />

deutlich auf.<br />

Die Fachgruppe Arbeit, soziale Hilfen, Europa des Partätischen beim Teamtraining im Hochseilgarten<br />

Elke Leuchtenberg<br />

Ein Lob an die ARGE<br />

Mit einer Arbeitsplatzbeschreibung und dem<br />

Profil für die neuen Mitarbeiter in der Hand<br />

trat Care24 an die ARGE heran und präsentierte<br />

das Konzept. Für den Beginn waren<br />

drei Einstellungen geplant, um die Integration<br />

der neuen Mitarbeiter in das Team zu gewährleisten.<br />

Ausgerichtet an der Auftragslage<br />

für diesen Bereich werden in den nächsten<br />

Monaten weitere Eintellungen folgen, sodass<br />

voraussichtlich im ersten Quartal 2007 alle<br />

Stellen besetzt sind. Binnen weniger Tage<br />

war der Antrag genehmigt. Die Fallmanager<br />

der ARGE agierten dann schnell und gezielt.<br />

Sie sorgten mit ihrer Vorauswahl dafür, dass<br />

die Bewerber in hohem Ausmaß den Anforderungen<br />

entsprachen. Das war nach den<br />

zurückliegenden Erfahrungen mit der Agentur<br />

für Arbeit eine sehr positive Überraschung.<br />

Die neuen Mitarbeiter durchliefen das übliche<br />

gestaffelte Einstellungsverfahren. Nach der<br />

Durchsicht der Unterlagen und den Vorstellungsgesprächen<br />

bekam eine Auswahl der<br />

Kandidaten die Möglichkeit zu zwei oder drei<br />

Hospitationstagen. Gerade für Quereinsteiger<br />

liegt darin auch die Chance sich gegen das<br />

Angebot zu entscheiden, was der Philosophie<br />

entspricht: Mitarbeiter sollen ihre Grenzen erkennen<br />

und äußern.<br />

Einarbeitung<br />

Wenn die Entscheidung füreinander gefallen<br />

ist, schließt sich die Phase der Einarbeitung<br />

an. Die ersten zwei bis drei Wochen gehen<br />

die Neuen mit erfahrenen Kollegen zu den<br />

Patienten. Fragen und Unsicherheiten zur Ansteckungsgefahr<br />

bei AIDS, oder zum Umgang<br />

mit Messies und Junkies können dabei beantwortet<br />

werden. Darüber hinaus sichert das<br />

Patensystem, die ständige Erreichbarkeit der<br />

pflegerischen und der hauswirtschaftlichen<br />

Pflegedienstleitungen sowie Weiterbildung<br />

und Supervision die Eingliederung ins Team.<br />

18 arbeitsdruck 11/06


Personalentwicklung<br />

Regelmäßig werden die Mitarbeiter zu Themen<br />

wie Dokumentation, Pflege und Lagern,<br />

Drogen oder Gewalt in der Pflege weitergebildet.<br />

Das gilt selbstverständlich auch für die<br />

neuen Mitarbeitern im Kombilohnmodell. Es<br />

werden gute Chancen gesehen sie durch die<br />

Personalentwicklung über die zweijährige Befristung<br />

hinaus an die Einrichtung zu binden.<br />

Die Rekrutierung neuer Mitarbeiter über das<br />

Kombilohnmodell entwickelt sich dadurch<br />

zur neuen Alternative.<br />

Alltagsbegleitung und Kombilohn<br />

Wie bereits erwähnt arbeitet Care24 an vier<br />

weiteren Kombilohnarbeitsplätzen. Sie sind<br />

im Bereich der Alltagsbegleitung geplant.<br />

Hintergrund dieser Planung ist das Modellprojekt<br />

„Mobile Dienstleistungen für Alltag<br />

und Haushalt” des Ministeriums für Arbeit,<br />

Gesundheit und Soziales des Landes <strong>NRW</strong>.<br />

Care24 ist hier eine von 15 Organisationen,<br />

die in <strong>NRW</strong> haushaltsnahe Dienstleistungen<br />

wie z.B. Hausmeisterservice, handwerkliche<br />

Hilfen sowie Familien- und Haushaltsdienste<br />

anbieten. Ziel des Projektes ist, den Arbeitsbereich<br />

der Alltagsbegleitung zu beschreiben<br />

und von Einsatzbereichen des SGB XI<br />

abzugrenzen. Beispielhaft wird dazu u.a.<br />

die Zielgruppe, die Lohnstruktur und die<br />

Kundenakquise erarbeitet.<br />

<strong>Paritätische</strong>r Gesamtverband<br />

Entwicklungs-<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

Alle gewinnen<br />

Care24 ist zuversichtlich dieses Beschäftigungsfeld<br />

nachhaltig aufzubauen und den<br />

Kombilohnarbeitern dadurch eine Zukunft<br />

bieten zu können. Denn viele Menschen<br />

wünschen sich von einem Pflegedienst Unterstützungen,<br />

die bei der Pflegekasse nicht<br />

abzurechnen sind. Die Kalkulation bei üblichen<br />

Lohnkosten bedeuten aber für die meisten<br />

Menschen, dass sie sich diese Dienste<br />

nicht leisten können. Die Subvention der Arbeitskraft<br />

in Form des Kombilohns hilft dabei<br />

allen Beteiligten. Die Kunden bekommen die<br />

erhoffte Zuwendung von der Alltagsbegleitung<br />

und die Kombilohnmitarbeiter haben<br />

eine langfristige Aufgabe und finanzielle Absicherung.<br />

Und auch die Stadt gewinnt. Statt<br />

der durchschnittlichen Transferleistung ALG-II<br />

für einen 1-Personenhaushalt von monatlich<br />

897,50 €, spart die Kommune 137,50 €,<br />

wenn sie die neue Arbeitstelle mit den maximal<br />

möglichen 760,– € fördert. Das sind für<br />

Düsseldorf bei 200 geplanten Kombilohnarbeitsplätzen<br />

in 2 Jahren 660.000 €.<br />

Kombilohn – finden wir gut<br />

Für die Erfordernisse von Care24 bietet das<br />

Kombilohnmodell sehr gute Möglichkeiten,<br />

unbesetzte Zivildienststellen langfristig zu besetzen.<br />

Gerade in der Dauerhaftigkeit liegt für<br />

die Patienten, das Unternehmen und auch die<br />

partnerschaft auf<br />

Bundesebene<br />

GemeinwohlArbeit wird Jobchance<br />

Meldungen<br />

Weitere Informationen<br />

www.arbeitsmarkt.nrw.de/aktuelles/<br />

material/mobile-dienstleistungen.pdf<br />

Zu den Autoren<br />

Andreas Langer ist Projektentwickler<br />

in der Fachgruppe Arbeit, soziale Hilfen,<br />

Europa im <strong>Paritätische</strong>n Landesverband<br />

<strong>NRW</strong><br />

Tel.: 02 11/9 46 00-22<br />

E-Mail: langer@paritaet-nrw.org<br />

Elke Leuchtenberg ist Geschäftsführerin<br />

der Care24 PflegeService gGmbH in<br />

Düsseldorf<br />

Tel.: 02 11/72 01 86<br />

E-Mail: elke.leuchtenberg@care24pflegeservice.de<br />

Reiner Mathes<br />

Ende 2004 legte der <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband ein Konzept zur „GemeinwohlArbeit ” vor. Aufbauend auf diesem Papier<br />

wurde im Januar 2005 vom Gesamtverband in den Landesverbänden des <strong>Paritätische</strong>n ein Konzeptwettbewerb ausgelobt.<br />

Die Träger wurden aufgerufen, im Rahmen eines Equalprojektes den Gemeinwohl-Ansatz für unter 25 Jährige zu erproben und<br />

diesen gemeinsam unter Projektleitung des Landesverbandes <strong>NRW</strong> weiter zu entwickeln.<br />

<strong>Der</strong> Gesamtverband beauftragte den Landesverband<br />

mit der Federführung dieses Vorhabens,<br />

das in das insgesamt 11 Träger umfassende<br />

Equal-Projekt „GemeinwohlArbeit wird<br />

Jobchance ” des <strong>Paritätische</strong>n in Thüringen<br />

eingebunden ist und seit Mitte 2005 umgesetzt<br />

wird. Fünf Träger aus vier Bundesländern<br />

arbeiten hier zusammen. Es sind<br />

der <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband LV-<strong>NRW</strong><br />

und der sci:moers gGmbH aus Nordrhein-<br />

Kombilohn Mitarbeiter die Qualität dieses Modells.<br />

Die schnelle und unbürokratische Bearbeitung<br />

des Antrages sowie die passgenaue<br />

Vermittlung der Bewerber durch die ARGE und<br />

ihre Fallmanager rundeten das Modell ab und<br />

machen Lust auf mehr.<br />

Andreas Langer<br />

Elke Leuchtenberg<br />

Westfalen, der Starthilfe Sondershausen e.V.<br />

aus Thüringen, die Integrationsgesellschaft<br />

Sachsen gGmbH aus Freital und der Bürgerservice<br />

Trier gGmbH aus Rheinland-Pfalz.<br />

Anders als beim Modellprojekt Gemeinwohl-<br />

19


Meldungen<br />

Arbeit <strong>NRW</strong> (wir berichteten ad 42), bei dem<br />

sich nordrhein-westfälische Träger aller Verbände<br />

beteiligen, liegt hier die Zielgruppe bei<br />

den unter 25 Jährigen. Mit ihnen arbeiten<br />

4 der 5 Projekte direkt zusammen. Das fünfte<br />

Teilprojekt ist für die Praxisbegleitung und<br />

Qualitätsentwicklung verantwortlich.<br />

Die fünf Teilprojekte arbeiten gemeinsam<br />

daran im Rahmen, der Umsetzung ihrer<br />

Arbeitsgelegenheiten für unter 25 Jährige eine<br />

Definition von Mindeststandards zu erarbeiten,<br />

um den Begriff der GemeinwohlArbeit<br />

zu einem Standard zu entwickeln. Ziel ist es,<br />

die GemeinwohlArbeit als sinn- und wertschöpfendes<br />

Arbeitsmarktangebot zu etablieren.<br />

Dabei finden die regionalen und trägereigenen<br />

Bedingungen Berücksichtigung.<br />

Ziele und Inhalte der Projekte sind<br />

• Mit GemeinwohlArbeit sollen Arbeitsgelegenheiten<br />

zur Erledigung zusätzlicher,<br />

öffentlicher Aufgaben im Interesse des<br />

Gemeinwohls und zur beruflichen Integration<br />

erwerbsfähiger junger Erwachsenen<br />

geschaffen werden.<br />

• GemeinwohlArbeit soll in einem regionalen<br />

System der beruflichen Integration verankert<br />

werden, mit dem Arbeitslose und<br />

Arbeit suchende junge Erwachsene, die<br />

mit den regulären Instrumenten des SGB<br />

III noch nicht integriert oder gefördert werden<br />

können, auf dem Weg ins Erwerbsleben<br />

unterstützt werden können.<br />

• Aufbauend auf einem gemeinsamen Rahmenkonzept<br />

sollen standortspezifische<br />

Ansätze, Methoden und Organisationsformen<br />

von GemeinwohlArbeit erprobt und<br />

für den Transfer aufbereitet werden.<br />

• Es soll erprobt werden, wie Wahlmöglichkeiten<br />

des Einzelnen und passgenaue<br />

Vermittlung und Besetzung der Einsatzstellen<br />

im Rahmen der GemeinwohlArbeit<br />

in Übereinstimmung zu bringen sind.<br />

• Es sollen Qualitätsstandards entwickelt<br />

und erprobt werden, durch die die besonderen<br />

Merkmale von GemeinwohlArbeit<br />

als eine Umsetzungsform für Arbeitsgelegenheiten<br />

deutlich wird.<br />

• Die entwickelten und erprobten Standards<br />

für GemeinwohlArbeit sollen in Transferveranstaltungen<br />

innerhalb der Entwicklungspartnerschaft,<br />

beim Gesamtverband<br />

und weiteren Landesverbänden, aber auch<br />

den für das SGB II zuständigen Ministerien<br />

sowie der Bundespolitik vor- und zur Diskussion<br />

gestellt werden.<br />

• Damit sollen die entwickelten und erprobten<br />

Grundlagen, dem Instrument Arbeits-<br />

gelegenheiten ein Profil und positives<br />

Image als gesellschaftlich nützliche, dem<br />

Gemeinwohl dienende Arbeit geben.<br />

Erste Ergebnisse aus der<br />

Qualitätsentwicklung<br />

Zur Entwicklung der Qualitätsstandards in<br />

der Gemeinwohlarbeit für unter 25 Jährige<br />

fanden in den vergangenen Monaten zwei<br />

mehrtägige Workshops statt. In ihnen haben<br />

die Beteiligten eine erste Definition von GemeinwohlArbeit<br />

„U 25” entwickelt und erste<br />

Kriterien und Durchführungsanforderungen<br />

für Mindest-Qualitätsstandards verabredet.<br />

Diese Standards sollen im nächsten Schritt<br />

überprüfbar gemacht werden.<br />

Die Mitglieder der Entwicklungsgemeinschaft<br />

haben für die GemeinwohlArbeit folgende Definition<br />

erarbeitet:<br />

Gemeinwohlarbeit ist ein mit Mindeststandards<br />

ausgestattetes, definiertes,<br />

Sinn und Wert schöpfendes<br />

Arbeitsmarktangebot<br />

• zur dauerhaften Stärkung und Erhaltung<br />

sozialer und persönlicher<br />

Stabilität der Teilnehmenden,<br />

• zur Förderung und Erhaltung der<br />

Beschäftigungsfähigkeit,<br />

• zur Förderung und Erhaltung<br />

der Gesundheit sowie<br />

• zur Stärkung der lokalen<br />

Ökonomie.<br />

GemeinwohlArbeit ist eine Dienstleistung<br />

für Job Center, Kommunen<br />

und soziale Einrichtungen. Sie setzt<br />

lokale Netzwerkarbeit mit regionalen<br />

Bündnispartnern voraus. GemeinwohlArbeit<br />

übernimmt brachliegende<br />

soziale, kulturelle und andere gesellschaftliche<br />

Aufgaben, die über<br />

Erwerbsarbeit nicht erfüllt werden<br />

können. Damit verhilft Gemeinwohl-<br />

Arbeit den Teilnehmenden zur gesellschaftlichen<br />

Anerkennung und trägt<br />

zur sozialen und beruflichen Integration<br />

bei. Gleichzeitig bewirkt GemeinwohlArbeit<br />

eine lokale Angebotsverbesserung<br />

sozialer, kultureller und<br />

gesellschaftlicher Dienstleistungen”.<br />

Die beteiligten Träger einigten sich des Weiteren<br />

darauf, dass nicht alle Arbeitsgelegenheiten<br />

GemeinwohlArbeit sein können. Bedarfe<br />

und Rahmenbedingungen des Auftraggebers<br />

sind genauso zu berücksichtigen, wie die Zie-<br />

le, die mit den Arbeitsgelegenheiten verfolgt<br />

werden. Nur Angebote, welche die durch die<br />

Träger entwickelten Mindeststandards erfüllen,<br />

können demnach GemeinwohlArbeit sein. Die<br />

Qualitätsanforderungen an GemeinwohlArbeit<br />

wurden unter Berücksichtigung der zum Teil<br />

unterschiedlichen zusammengetragenen An-<br />

forderungen beteiligter Anspruchsgruppen<br />

(Teilnehmende, ARGEn, Einsatzstellen und<br />

Auftraggeber) entwickelt.<br />

Drei Kernbereiche untersuchten die Projektpartner<br />

gemeinsam und formulierten daraus<br />

ihre Mindeststandards: Integrationsbegleitung,<br />

Qualifizierung, Anleitung und Begleitung<br />

beim Einsatz.<br />

Integrationsbegleitung<br />

• Einladungsschreiben für alle Interessenten<br />

mit Wegbeschreibung, Ansprechpartner,<br />

Beschreibung des Trägers und der möglichen<br />

Tätigkeiten<br />

• Schriftlicher Leitfaden „Erstgespräch” für<br />

die Berater<br />

• Mindestens 30-minütiges Erstgespräch<br />

mit jedem zugewiesenen Teilnehmer<br />

über Einsatzmöglichkeiten, Erfassung der<br />

Grunddaten, grundsätzliche und rechtliche<br />

Informationen zu Arbeitsgelegenheiten,<br />

Vereinbarung der nächsten Schritte<br />

• Transparenz gegenüber Teilnehmern über<br />

das Verhältnis von Träger und Berater zum<br />

Grundsicherungsträger<br />

• schriftliche Vereinbarung über Rechte und<br />

Pflichten zwischen Teilnehmer und Träger<br />

sowie Teilnehmer und Stelle<br />

• Für den Teilnehmer transparente Übergabe<br />

der Grundinformationen an die Einsatzstelle<br />

• Informationen über Fragen der Arbeitssicherheit<br />

• Transparente Befragung zu relevanten<br />

Informationen (persönlicher Hintergrund,<br />

berufliche Vorgeschichte, individuelle Ressourcen)<br />

und Dokumentation der Erkenntnisse)<br />

Kompetenzen, Ressourcen und<br />

Motivation erkennen<br />

• Einsatz eines beim Träger erprobten und<br />

einheitlich eingesetzten Kompetenzfeststellungsverfahrens<br />

• Ermittlung persönlicher und sozialer Handlungsmöglichkeiten<br />

sowie arbeitsmarkt-<br />

relevanter Fähigkeiten und Kompetenzen<br />

Förderbedarf feststellen –<br />

Förderung vereinbaren<br />

• Ermittlung des Förderbedarfs mittels<br />

Selbstwahrnehmung des Teilnehmers und<br />

20 arbeitsdruck 11/06


Abstimmung mit Fremdwahrnehmung aus<br />

Integrationsbegleitung und Einsatz<br />

• Schriftliche Fixierung der Förderziele, Vereinbarung<br />

verbindlicher Maßnahmen zur<br />

Umsetzung, Planung der Qualifizierungsanteile<br />

• Dokumentation der Vereinbarung mit<br />

Unterschrift von Teilnehmer und Integrationsbegleitung<br />

Überprüfung und Fortschreibung<br />

der Förderung<br />

• aktuelle Stand des Förderverlaufs ist jederzeit<br />

abrufbar<br />

• Zwischenauswertung während der Maßnahme<br />

durch mindestens ein persönliches<br />

Gespräch mit Teilnehmer (Überprüfung,<br />

ggf. Fortschreibung der Förderung)<br />

Abstimmung zwischen den beteiligten<br />

Prozessverantwortlichen<br />

• beteiligte Prozessverantwortliche (Integrationsbegleiter,<br />

Anleiter bzw. Begleiter<br />

beim Einsatz und Qualifizierer stimmen<br />

Einschätzung der Kompetenzen des Teilnehmers<br />

ab<br />

• Dokumentation der Einschätzung durch<br />

Anleitung und Qualifizierung wird durch<br />

Integrationsbegleiter dokumentiert, Rückmeldung<br />

darüber an den Teilnehmer<br />

Abschlussbericht und<br />

Perspektivvorschlag<br />

• Auswertung der Maßnahme in persönlichem<br />

Abschlussgespräch und Erarbeitung<br />

eines Perspektivvorschlages<br />

• Abstimmung mit Grundsicherungsträger<br />

über Perspektivvorschlag<br />

• Dokumentation des Perspektivvorschlags<br />

für Grundsicherungsträger<br />

• Qualifizierte Abschluss-Bescheinigung<br />

für Teilnehmer<br />

Qualifizierung<br />

• Teilnehmer erhält ein über die Einarbeitung<br />

hinaus gehendes Angebot zur Förderung<br />

der Fähigkeiten für das Einsatzfeld.<br />

Vermittlung durch einen festen Ansprechpartner<br />

• Aktualisierung der Bewerbungsunterlagen<br />

des Teilnehmers<br />

• Qualifizierung orientiert sich am<br />

Förderplan<br />

• Rückmeldung über Verlauf und Ergebnisse<br />

an die Integrationsbegleitung<br />

• Berücksichtigung der Ergebnisse in der<br />

Abschlussauswertung und dem Perspektivvorschlag<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

Anleitung / Begleitung beim Einsatz<br />

• Anleitung und Einsatzbegleitung durch<br />

fachpraktisch erfahrene Personen mit<br />

Kompetenz in der Anleitung<br />

• Für Anleitung/Begleitung Einsatz feste<br />

Ansprechpartner mit fest angestelltem<br />

bzw. ehrenamtlichem Personal<br />

• Vertragliche Vereinbarung über Anleitung/<br />

Begleitung beim Einsatz zwischen Träger<br />

und Einsatzstelle<br />

• Rückmeldung über Verlauf und Ergebnisse<br />

des Einsatzes an die Integrationsbegleitung,<br />

fließt Abschlussbewertung und Perspektivvorschlag<br />

ein<br />

Die hier aufgeführten Zwischenergebnisse<br />

sind ein Ausschnitt des bisherigen Projektverlaufs<br />

zwischen den beteiligten Trägern<br />

und bilden den gegenwärtigen Projektstand<br />

(Oktober 2006) ab. In einem nächsten Schritt<br />

wird ein Fragebogen zur Selbstbewertung erstellt,<br />

in einem Testlauf an den beteiligten<br />

Standorten die Ist-Situation dokumentiert und<br />

bei Praxisbesuchen vor Ort das Ergebnis<br />

der Selbstbewertung analysiert werden. Die<br />

Erkenntnisse und die Erfahrungen mit dem<br />

Instrument werden in einem dritten Workshop<br />

im Februar diskutiert und ausgewertet.<br />

Reiner Mathes<br />

<strong>Der</strong> <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband<br />

LV-<strong>NRW</strong><br />

Reiner Mathes<br />

Tel.: 02 01/8 95 33-22<br />

E-Mail: reiner.mathes@paritaet-nrw.org<br />

Fachgruppe intern II<br />

Wie weiter? Strategiediskussion in mittlerer Höhe.<br />

sci:moers gGmbH,<br />

Jörg Marx<br />

Tel.: 0 28 41/97 29 12<br />

E-Mail: joerg-marx@sci-moers.de<br />

Starthilfe Sondershausen e.V.<br />

Jürgen Rauschenbach, Babett Daume<br />

Tel.: 0 36 32/5 42 99 71<br />

E-Mail: starthilfe-sondershausen@t-online.de<br />

Integrationsgesellschaft Sachsen gGmbH<br />

Karoline Emmerlich<br />

Tel.: 03 51/6 51 00 42<br />

E-Mail: karoline.emmerlich@igssachsen.de<br />

Bürgerservice Trier gGmbH<br />

Klaus Ritter, Gudrun Meyer<br />

Tel.: 06 51/82 50-0<br />

E-Mail: klaus.ritter@bues-trier.de<br />

Meldungen<br />

Integrationsgesellschaft Sachsen gGmbH<br />

Zum Autor<br />

Reiner Mathes ist Fachberater<br />

Arbeit/Bundesjugendkoordinator im<br />

<strong>Paritätische</strong>n Landesverband <strong>NRW</strong> und<br />

Geschäftsführer der Freien Trägergruppe<br />

in der LAG Jugendsozialarbeit <strong>NRW</strong><br />

Tel.: 02 01/8 95 33-22<br />

E-Mail.: mathes@paritaet-nrw.org<br />

21


Meldungen<br />

Zum Geburtstag<br />

25 Jahre Dalke gGmbH<br />

Integrationsunternehmen der ersten<br />

Stunde feiert Jubiläum<br />

Im September 1981 wurde mit der Gründung der Firma Dalke gGmbH in Gütersloh ein Meilenstein<br />

für die Entwicklung eines erfolgreichen und passgenauen Integrationsinstrumentes für behinderte<br />

Menschen in den allgemeinen Arbeitsmarkt gelegt. Mit einem Festakt und einer Podiumsdiskussion<br />

mit Fachleuten wurde in diesem Jahr das Jubiläum gefeiert.<br />

Auf Initiative und den Privatmitteln der beiden<br />

heutigen Geschäftsführer Rolf Simon<br />

und Helmut Landwehr sowie des damaligen<br />

ärztlichen Direktors der Westfälischen<br />

Klinik für Psychiatrie in Gütersloh, Professor<br />

Dr. Dr. Klaus Dörner wurden 1981 die ersten<br />

sechs Mitarbeiter eingestellt und ein LKW<br />

als Betriebsmittelgrundlage angeschafft. <strong>Der</strong><br />

Umsatz im Gründungsjahr betrug 58.000<br />

DM. Heute arbeiten insgesamt 52 behinderte<br />

und nichtbehinderte MitarbeiterInnen bei<br />

Dalke und erwirtschaften einem Jahresumsatz<br />

von 2,95 Mio. Euro. Dies ist unter anderem<br />

durch eine aktive Betriebsführung möglich<br />

geworden, die das Ziel hat, Arbeitsplätze für<br />

behinderte Menschen zu schaffen. Im Jahre<br />

1992 eröffnete das Unternehmen mit dem<br />

Neubau an der Carl-Zeiss-Straße einen zweiten<br />

Standort in Gütersloh.<br />

Starke Partner<br />

Von Beginn an gibt es eine enge Zusammenarbeit<br />

mit der Firma Miele in Gütersloh.<br />

Ausgehend von einfachen Montage- und Verpackungsarbeiten<br />

ist Dalke inzwischen seit<br />

vielen Jahren aktiv in komplette Produktionsketten<br />

für die Firma Miele eingebunden und<br />

im Zuge des firmeninternen Qualitätsmanagements<br />

von Miele zertifiziert.<br />

Integrationsfirmen im Jahr 2031<br />

Wie arbeiten Integrationsfirmen im Jahr 2031<br />

und wie sieht der Arbeitsmarkt für behinderte<br />

Menschen aus, war die Frage an die Experten<br />

der Podiumsdiskussion. Die aktuelle<br />

Diskussion um einen dritten Arbeitsmarkt und<br />

die bisherigen Erfahrungen in der beruflichen<br />

Integration behinderter Menschen wurden bei<br />

den Beiträgen berücksichtigt.<br />

Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner hält Integrationsunternehmen<br />

auch im Jahr 2031 für wichtig.<br />

Er könnte sich allerdings vorstellen, dass<br />

v.r.n.l.: Dr. Markus Miele Geschäftsführender Gesellschafter der Fa. Miele & Cie KG;<br />

Helmut Landwehr und Rolf Simon Geschäftsführer DALKE gGmbH;<br />

MdB Klaus Brandner Arbeitsmarkt- und sozialpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion;<br />

Prof. Dr. Dr. Klaus Dörner Gesellschafter der DALKE gGmbH und ehem. ärztl. Direktor der Westf. Klinik;<br />

Ulrich Adlhoch Leiter des Integrationsamtes Münster beim LWL;<br />

Arndt Schwendy Vorsitzender der BAG Integrationsfirmen Fotograf Jörg Sänger<br />

die behinderten Mitarbeiter, unterstützt durch<br />

Minderleistungsausgleich und Beratung des<br />

Arbeitgebers und Arbeitnehmers, nicht mehr<br />

in Sonderformen sondern, direkt in Unternehmen<br />

des allgemeinen Arbeitsmarktes<br />

eingegliedert sind. Für die Unternehmen ist<br />

in dieser Zukunft die Beschäftigung von behinderten<br />

Mitarbeitern eine Selbstverständlichkeit<br />

geworden, die auch gesellschaftliche<br />

Anerkennung bringt.<br />

Klaus Brandner, Mitglied des Bundestages<br />

und aktueller Verfechter eines dritten Arbeitsmarktes,<br />

sieht als Organisationsstruktur für<br />

einen bis dahin entstanden gemeinwohlorientierten<br />

Arbeitsmarkt auch die Integrationsunternehmen.<br />

Ulrich Adlhoch, Leiter des Integrationsamtes<br />

beim Landschaftsverband Westfalen-<br />

Lippe sieht die Weiterentwicklung für Inte-<br />

grationsunternehmen auch im Rahmen der<br />

Globalisierung. Seine Vision wäre ein weiterer<br />

Firmenstandort der Dalke gGmbH im Jahre<br />

2031 in China.<br />

Die guten Erfahrungen in der Zusammenarbeit,<br />

allerdings auch die Notwendigkeit für<br />

ein Integrationsunternehmen im Produktionsablauf<br />

einer großen Firma wie Miele als<br />

Zulieferer immer aktuell am Ball zu sein,<br />

hob Dr. Markus Miele als geschäftsführender<br />

Gesellschafter der Miele & Cie. KG hervor.<br />

Auch im Jahre 2031 wünscht sich Miele eine<br />

engagierte Zusammenarbeit mit der Firma<br />

Dalke.<br />

Das Jubiläum und die Diskussion zeigen auf<br />

beeindruckende Art und Weise, dass Integrationsunternehmen<br />

ein wichtiger Baustein<br />

zur Integration besonderer Zielgruppen in den<br />

Arbeitsmarkt sind und auch bleiben werden.<br />

Thomas Tenambergen<br />

Zum Autor<br />

Thomas Tenambergen ist<br />

Projektentwickler/Fachberater im<br />

<strong>Paritätische</strong>n Landesverband.<br />

Tel.: 0 25 72/ 820 23<br />

E-Mail: tenambergen@paritaet-nrw.org<br />

22 arbeitsdruck 11/06


Willkommen beim <strong>Paritätische</strong>n<br />

arbeitsdruck 11/06<br />

Meldungen<br />

EinLaden Espelkamp gGmbH<br />

Neues „Soziales Kaufhaus” im <strong>Paritätische</strong>n<br />

Im Zentrum der Stadt Espelkamp entstand im Rahmen eines Kooperationsprojektes der beiden<br />

paritätischen Träger Hexenhaus e.V. und Zentrallager gGmbH im Jahre 2006 ein „Soziales Kaufhaus”.<br />

Im Juni 2006 konnte der <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband die EinLaden Espelkamp gGmbH<br />

als neues Mitglied begrüßen.<br />

Das soziale Kaufhaus ist zurzeit an zwei<br />

Standorten untergebracht und teilt sich in<br />

zwei zentrale Bereiche auf:<br />

• Kleinteile (Kleidung, Spielzeug,<br />

Kleingeräte, Haushaltsartikel u.ä.)<br />

• Möbel<br />

Es wird durch laufende Spenden bzw. Auflösungen<br />

/ Entrümpelungen von Privathaushalten<br />

ausgestattet.<br />

Nachfrage groß – Angebot groß<br />

Spezialgebiet – Förderung von Frauen<br />

Neben dem Angebot an preiswerter Kleidung<br />

und Möbeln für benachteiligte Menschen verfolgt<br />

das Projekt insbesondere die berufliche<br />

Qualifizierung und Beschäftigung von Frauen.<br />

Für diese ist die Arbeitsmarktsituation in Espelkamp<br />

besonders schlecht. Im Mittelpunkt<br />

des Arbeitsprojektes steht die individuelle und<br />

ganzheitlich orientierte berufliche Förderung<br />

der Teilnehmerinnen, die in der Regel Arbeitslosengeld<br />

II beziehen. Aktuell führt der Träger<br />

eine Bildungsmaßnahme durch, die sich primär<br />

an Frauen unter 25 Jahren (U 25) mit<br />

und ohne Ausbildung sowie langzeitarbeitslose<br />

Bezieherinnen von Grundsicherung.<br />

Soziale und fachliche Qualifizierung<br />

Das Projekt dient der Stabilisierung der Persönlichkeit<br />

der TeilnehmerInnen. Dazu werden<br />

sie (wieder) an arbeitsweltbezogene Bedingungen<br />

und an (fremd-) strukturierte Betriebsabläufe<br />

gewöhnt. Ergänzt werden diese<br />

Schritte durch die berufsbezogene Qualifizierung<br />

und im optimalen Fall findet der Einsatz<br />

im EinLaden nach einer Vermittlung seine<br />

Fortsetzung auf dem ersten Arbeitsmarkt.<br />

In folgenden Aufgabengebieten stehen fachliche<br />

Qualifizierungen zur Auswahl:<br />

• Abholung<br />

(Spenden, Haushaltsauflösungen)<br />

• Sortierung<br />

(Entsorgung, Verarbeitung, Verkauf,<br />

Lagerung)<br />

• Aufarbeitung<br />

(Recycling, Waschen, Nähen, Reparatur)<br />

• Verwaltung<br />

(Büro, EDV, Internet, Logistik)<br />

• Verkauf<br />

(Kundenorientierung, -akquise,<br />

Dekoration, Kasse)<br />

• Hauswirtschaft<br />

(Cafeteria, Hygiene, Reinigung)<br />

Probleme und Lösungen<br />

Aber Arbeitslosigkeit ist nicht das einzige<br />

Problem der Frauen. Weitere sind beispielsweise<br />

soziale Schwierigkeiten, familiäre Konflikte,<br />

problematische Scheidungen, Gewalterfahrungen,<br />

Migrationshintergrund mit Sprachschwierigkeiten,<br />

Straffälligkeit, Langzeit-<br />

arbeitslosigkeit.<br />

Durch ein integriertes psychosoziales Informations-<br />

und Beratungsangebot erhalten die<br />

Frauen Unterstützung bei der Bewältigung<br />

dieser Schwierigkeiten. Hier arbeitet das Projekt<br />

eng mit dem Hexenhaus e.V. zusammen,<br />

denn mit der Bewältigung der dringendsten<br />

Probleme wie einer fehlenden Kinderbetreuung,<br />

einer schwierigen Wohn- sowie finanziellen<br />

Situation oder Überschuldung wird<br />

der Schritt in eine dauerhafte Erwerbstätigkeit<br />

vorbereitet.<br />

Nachfrage groß – Angebot groß<br />

Bereits im ersten Jahr des Bestehens ist<br />

feststellbar, dass ein derartiges Angebot in<br />

Espelkamp fehlte. Sowohl die Angebote des<br />

sozialen Kaufhauses werden intensiv genutzt<br />

als auch die Qualifizierungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten<br />

intensiv nachgefragt,<br />

erläutert die Geschäftsführerin Julia Fontana.<br />

Und einen Wunsch gibt es für das neue Projekt<br />

auch. Gerne würde man im Jahr 2007<br />

die zwei Standorte zusammenlegen und die<br />

breite Palette an Waren und Dienstleistungen<br />

in Espelkamp unter einem Dach anbieten.<br />

Thomas Tenambergen<br />

Zum Autor<br />

Thomas Tenambergen ist<br />

Projektentwickler/Fachberater im<br />

<strong>Paritätische</strong>n Landesverband.<br />

Tel.: 0 25 72/ 820 23<br />

E-Mail: tenambergen@paritaet-nrw.org<br />

Fachgruppe intern III<br />

<strong>Paritätische</strong> Projektentwickler mit Kollegen angrenzender<br />

Fachgebiete bei der gemeinsamen Lösung ganz praktischer<br />

Probleme.<br />

23


Meldungen<br />

Fachgruppe Arbeit, soziale Hilfen, Europa<br />

Die Leute in der<br />

Fachgruppe<br />

Guido Severin<br />

Seit Januar 2003 arbeitet er als Fachberater<br />

im Bereich Organisation und Finanzen<br />

mit Dienstsitz in der Landesgeschäftsstelle<br />

in Wuppertal. Er ist 31 Jahre alt<br />

und verheiratet, kommt aus Hamm in<br />

Westfalen und wohnt in Leverkusen.<br />

Sein Studium zum Diplomkaufmann im<br />

Fachbereich Gesundheitswesen absol-<br />

vierte er nach seiner Ausbildung zum Bürokaufmann<br />

an der Fachhochschule Osnabrück. Im Anschluss begann er beim<br />

<strong>Paritätische</strong>n Wohlfahrtsverband. Er ist zuständig für die finanzielle<br />

Abwicklung von Projekten der Fachgruppe, zurzeit schwerpunktmäßig<br />

für das Modellprojekt „Gemeinwohlarbeit <strong>NRW</strong>”.<br />

Hobbies<br />

Laufen, Reisen, Schwimmen<br />

Lebensphilosophie<br />

Wenn man die Welt verändern will, muss man<br />

bei sich selbst anfangen<br />

Broschüre Verbundausbildung in <strong>NRW</strong><br />

Bitte beachten Sie die Broschüre „Verbundausbildung in <strong>NRW</strong>”,<br />

die einem Teil der Auflage beiliegt. Fragen oder Bestellungen an<br />

andreas.langer@paritaet-nrw.org, 02 11/94 600-22.<br />

Herausgeber: <strong>Der</strong> <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband<br />

Landesverband Nordrhein-Westfalen e.V.<br />

Loher Str. 7, 42283 Wuppertal<br />

Tel.: 0202/28 22-0, Fax: 0202/28 22-110<br />

www.paritaet-nrw.org<br />

Redaktion: Werner Lüttkenhorst (verantwortlich),<br />

Andreas Langer<br />

Redaktionsadresse:<br />

<strong>Der</strong> <strong>Paritätische</strong><br />

Ernst-Abbe-Weg 50, 40589 Düsseldorf<br />

Tel.: 0211/94 600-22, Fax: 0211/94 600-10<br />

E-Mail: langer@paritaet-nrw.org<br />

Namentlich gekennzeichnete Artikel geben nicht<br />

unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.<br />

Satz: Bianca Wittmann, E-Mail: bw@designfee.com<br />

Druck: Heider Druck GmbH, Bergisch Gladbach<br />

COMPLIMENT<br />

Schulung älterer Arbeitnehmer<br />

im Sozialbereich<br />

COMPLIMENT – Competence Development and Age-Diversity –<br />

Selbstgesteuertes Lernen und Kompetenzentwicklung mit älteren<br />

und jüngeren Beschäftigten des Sozialen Sektors<br />

Im Oktober 2006 – startete die <strong>Paritätische</strong><br />

Akademie vor dem Hintergrund<br />

des demographischen Wandels ein<br />

zweijähriges europäisches Projekt<br />

zur Entwicklung eines Leitfadens, mit<br />

dem lernfördernde Strukturen für ältere<br />

Mitarbeiter in Sozialbetrieben entwickelt werden. <strong>Der</strong> <strong>Paritätische</strong> Wohlfahrtsverband<br />

begleitet das Projekt u.a. durch die Fachgruppe Arbeit. <strong>Der</strong><br />

geplante Leitfaden enthält eine Anleitung und methodische Grundlagen,<br />

mit denen sowohl jüngere als auch ältere Beschäftigte innerhalb der Freien<br />

Wohlfahrtspflege auf ihre Arbeitssituation im fortgeschrittenen Lebensalter<br />

vorbereitet werden.<br />

Durch die Zusammenarbeit mit Organisationen aus 6 EU-Ländern<br />

(Deutschland, Italien, Schweden, Niederlande, Polen und Spanien)<br />

ermöglicht das Projekt einen europäischen Vergleich und prüft die Übertragbarkeit<br />

in den Sozialen Sektor der verschiedenen Länder.<br />

Ausgehend von der Notwendigkeit des lebenslangen und selbstgesteuerten<br />

Lernens wird sowohl mit Arbeitnehmern als auch mit Arbeitgebern<br />

zusammengearbeitet. In 5 ausgewählten Piloteinrichtungen vorrangig aus<br />

dem Bereich der Behinderten- und Altenhilfe (2 in <strong>NRW</strong>) wird gemeinsam<br />

ein Kompetenz- und Anforderungsprofil für die MitarbeiterInnen erarbeitet<br />

und im Rahmen eines Schulungskonzeptes modellhaft umgesetzt.<br />

Das entwickelte Konzept wird anschließend an die Politik und interessierte<br />

sozialen Unternehmen weitergegeben.<br />

Rückfragen an<br />

Thomas Tenambergen, Projektentwickler/Fachberater im<br />

<strong>Paritätische</strong>n Landesverband. Tel.: 0 25 72/ 820 23<br />

E-Mail: tenambergen@paritaet-nrw.org<br />

Das Letzte<br />

Arbeitslose sterben früher<br />

Elmar Brähler, Leiter des Instituts für medizinische Psychologie sagt, dass<br />

Arbeitslose eine kürzere Lebenserwartung als Erwerbstätige haben. Laut<br />

der Studie der Universität Leipzig kommen bei Erwerbslosen insbesondere<br />

Depressionen, Suchtkrankheiten, Erschöpfungssymptome, Bluthochdruck<br />

und Herzinfarkt viel häufiger vor als bei Menschen die einer Arbeit nachgehen.<br />

Dadurch steigt ihre Sterblichkeit zwei Jahre nach dem Jobverlust<br />

auf das vierfache. Bereits die Angst vor einer drohenden Arbeitslosigkeit<br />

schädigt die Gesundheit.<br />

Die Redaktion wünscht ein gutes und gesundes neues Jahr 2007!<br />

24 arbeitsdruck 11/06

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