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Transforming Cities

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<strong>Transforming</strong><br />

<strong>Cities</strong><br />

1


17<br />

01<br />

Urbane<br />

Landschaften<br />

01<br />

05<br />

Wider die<br />

Verherrlichung<br />

der Arbeit<br />

07 1417<br />

05 05 05<br />

Pasta<br />

Sauna<br />

Pkeila<br />

Cool Walks &<br />

Cooltails<br />

28<br />

05<br />

Food for<br />

Thought<br />

4<br />

Lied der<br />

Täuschungen<br />

0511220217<br />

How to<br />

start a<br />

revolution<br />

MYCEL PROTEST S/GHT In.visible<br />

2<br />

2<br />

3


17<br />

01<br />

FOOD<br />

SOUND<br />

UNDERGROUND<br />

„<strong>Transforming</strong> <strong>Cities</strong>“<br />

im MaximiliansForum<br />

Elisabeth Hartung<br />

Foto: Yves Krier<br />

Der Klang der Städte, der<br />

Geschmack des Neuen und des<br />

Fremden, der Rhythmus der<br />

Veränderungen im Untergrund.<br />

Die Reihe „<strong>Transforming</strong> <strong>Cities</strong>“<br />

vermittelte 2014 Aspekte des<br />

städtischen Lebens, in denen<br />

sich sinnlich wahrnehmbar<br />

die Veränderungen im Gebilde<br />

Stadt manifestieren. Das<br />

MaximiliansForum selbst hatte<br />

in den letzten Jahren ein neues<br />

Profil bekommen, andere Menschen<br />

angezogen und neue Fragen<br />

erschlossen. Schon lange<br />

im Leben der Bildenden Kunst<br />

der Stadt verankert, öffnete es<br />

sich in den fünf Jahren seit 2010<br />

wichtigen neuen Protagonisten<br />

der Szene und internationalen<br />

Partnern.<br />

Mit ihren Projekten stellten die<br />

DesignerInnen, MusikerInnen<br />

und PerformerInnen im MaximiliansForum<br />

unter Beweis, dass<br />

Kultur aus München am Puls der<br />

Zeit ist: lebendig, mutig, visionär. Es<br />

wurden Partnerschaften geknüpft,<br />

überraschende Welten geschaffen<br />

und neue Wege bahnten sich an.<br />

Respekt und Danke, persönlich von<br />

mir all jenen, die mit ihren Projekten<br />

und Interventionen die Idee MaximiliansForum<br />

weitergetragen haben<br />

und diese Fußgängerunterführung,<br />

diesen geliebten und gehassten<br />

Ort unter der Maximilianstraße mit<br />

ihren Projekten und Interventionen<br />

permanent transformierten.<br />

Kalt lässt dieser Ort keinen. Gerade<br />

nicht in München, wo sonst<br />

alles glatt und besucherfreundlich<br />

ist. Das MaximiliansForum ist ein<br />

sonderbarer Raum, abweisend,<br />

kühl, verloren mitten in der Stadt<br />

– aber es ist auch einer der letzten<br />

Freiräume in dieser Stadt, die von<br />

den Kreativen, den Organisatoren<br />

und den BesucherInnen fordert, sich<br />

unbedingt darauf einzulassen. Wenn<br />

man das wagt, zeigt es sich von<br />

seiner wandelbaren und großzügigen<br />

Seite. Mitten in der Stadt, in der<br />

jeder Quadratmeter Verwertungszwängen<br />

unterworfen ist, eröffnen<br />

sich hier hunderte von Quadratmetern<br />

ungeahnte Möglichkeiten. Im<br />

Untergrund der Stadt erleben wir<br />

buchstäblich und konzentriert in<br />

den wechselnden Installationen und<br />

Aktionen das verändernde Potential,<br />

das unser Leben, die Gesellschaft<br />

und die Stadt prägt und wir bekommen<br />

eine Ahnung von den Möglichkeiten<br />

der Stadtentwicklung.<br />

Dieser urbane Ort repräsentiert als<br />

Zwischenraum und als Relikt eines<br />

städtebaulichen Konzepts der<br />

1970er Jahre selbst den Wandel der<br />

Stadt und des städtischen Lebens.<br />

Ein Relikt ist er, weil die großen<br />

Utopien von der autofreundlichen<br />

Stadt schon im Bauprozess durch<br />

Bürgerproteste unterbrochen wurden.<br />

Deshalb wurde eine überdimensionierte<br />

Straßenunterführung<br />

zu einer Fußgängerunterführung<br />

und dann zu einem Kulturraum mitten<br />

in der Stadt. Dieser Geschichte<br />

verpflichtet, jedoch mit dem Blick<br />

nach vorn in die Zukunft, hatten wir<br />

das Programm des Jahres 2014 den<br />

Veränderungen in der Stadt gewidmet.<br />

Die visionären und kulturellen<br />

Dimensionen der angewandten<br />

Künste haben hier im Jahr 2013<br />

erstmals ein freies Forum in München<br />

gefunden. Neue Formen des<br />

Designs und seiner Transformationen<br />

als 'Design Thinking' sind hier<br />

eingezogen. Denn es geht uns um<br />

die Gestaltung unseres Lebens im<br />

wahrsten und übertragenen Sinne<br />

des Wortes. Es geht uns auch um<br />

Partizipation. Genau deshalb richtete<br />

sich unser Blick bei der Konzeption<br />

des Sommerprogramms<br />

2014 nicht auf große Stadtbauprojekte,<br />

sondern auf die sinnlich<br />

erlebbaren Aspekte des alltäglichen<br />

Stadtlebens und die Kraft, die im<br />

Zusammenschluss vom Untergrund<br />

ausgehen kann. Buchstäblich. FOOD<br />

SOUND UNDERGROUND – Hören<br />

17<br />

4 5


Sie den Klang?<br />

„Wie wollen wir in der Stadt leben?“<br />

- Die Frage nach dem guten<br />

Leben ist in allen Veranstaltungen<br />

mitgeschwungen und wurde im<br />

gemeinsamen Erleben und in der<br />

Kommunikation an diesem speziellen<br />

Ort fokussiert – nicht über<br />

trockene Theorien. Mitten im Winter<br />

transformierte daher als Auftakt der<br />

tschechische Medienkünstler Jakub<br />

Nepras das türkisfarbig gekachelte<br />

MaximiliansForum in eine urbane<br />

Landschaft, in der er nahezu apokalyptische<br />

Bilder des großstädtischen<br />

Lebens mit Situationen archaischer<br />

Naturräume vermengte. Die einzelnen<br />

Teile der Installation konnten als<br />

Metaorganismen gelesen werden,<br />

die den heutigen Lebensentwürfen<br />

und den fundamentalen Wandlungen<br />

in Kommunikation, Technologie<br />

und Gesellschaft beeindruckende<br />

neue Formen verleihen.<br />

„Wider die Verherrlichung der Arbeit“<br />

war der Titel eines Musikprojekts<br />

von SALEWSKI am 1. Mai, dem<br />

Tag der Arbeit. Der Musikschaffende<br />

setzte sich hier einem existentiellen<br />

Experiment aus: Ununterbrochen<br />

zwölf Stunden lang Musik machen,<br />

alle zwei Stunden kommt ein Musikerkollege<br />

dazu. Ist 'Musik machen'<br />

Arbeit? Was sind denn eigentlich die<br />

gängigen Vorstellungen und Definitionen<br />

von Arbeit?<br />

Foto: Yves Krier<br />

Kein Leben und keine Arbeit ohne<br />

Essen. Die „Pasta Sauna“ der niederländischen<br />

'Eating-Designerin'<br />

Marije Vogelzang provozierte die<br />

Frage nach der richtigen Ernährungsweise<br />

und bot während aller<br />

Veranstaltungen im Mai Pasta<br />

für die Besucher an. Immigration<br />

und Esskultur prägen das Erleben<br />

der Städte nachhaltiger als neue<br />

Gebäude. Der jüdisch-tunesische<br />

Künstler und Essensexperte Rafram<br />

Chaddad erzählte eine Geschichte<br />

über die Herkunft und Tradition vom<br />

Essen im südlichen Mittelmeerraum<br />

und lud die Gäste zur „Pkeila“ ein.<br />

Unser Essen ist wesentlicher Teil<br />

kultureller Traditionen. Aber was<br />

wir jeweils essen und trinken in<br />

unserer Wohlstandsgesellschaft ist<br />

ebenso dem Zeitgeist und diversen<br />

Modeerscheinungen unterworfen.<br />

Wodurch wird aber ein Drink oder<br />

auch eine Geste oder eine Location<br />

'cool'? Diesen Fragen widmete sich<br />

eine interdisziplinäre künstlerische<br />

Feldforschung der Klasse Res<br />

Ingold und inszenierte dazu einen<br />

Abend mit Performances, Essen<br />

und Drinks. Zahllose Vietnam-<br />

Lokale und Döner-Buden vermitteln<br />

schon oberflächlich betrachtet einen<br />

Eindruck von den Veränderungen<br />

der Esskultur im Alltag der Städte<br />

Fotos: Alescha Birkenholz<br />

und zeigen, wie sehr sich die Gesellschaft<br />

im globalen Wandel befindet.<br />

„Food for Thought“ brachte eine<br />

Expertenrunde an den Tisch und<br />

setzte sich mit den Einflüssen des<br />

Internets auf unsere Formen der<br />

Nahrungsaufnahme auseinander,<br />

erläuterte, wie einem im Restaurant<br />

die Entscheidung für die Mahlzeit<br />

abgenommen wird und wie die<br />

Esskultur als Medium für politischen<br />

Aktivismus fungiert.<br />

Damit wären wir wieder beim 'Underground'.<br />

Carl Oesterhelt, der in<br />

seinen Kompositionen häufig an die<br />

Tradition der Musik und Texte der<br />

1920er Jahre anknüpft, um musikalisch<br />

das revolutionäre Potential<br />

der Musik zu evozieren, stimmte im<br />

MaximiliansForum mit einer Neukomposition<br />

„Das Lied der Täuschungen“<br />

an. Auch Anna McCarthy<br />

wendet einerseits den Blick zu<br />

vergangenen Protestbewegungen<br />

– ebenfalls nicht um sie zu verklären,<br />

sondern um deren Romantizismen<br />

zu entlarven und einen neuen<br />

Zugang und andere Formen des<br />

künstlerischen Protests zuzulassen.<br />

Frech und augenzwinkernd stellte<br />

sie erneut die Frage „How to Start a<br />

Revolution?“ in den Raum, diesmal<br />

im MaximiliansForum in Form eines<br />

opulenten Musicals.<br />

Im Sommer wurde das MaximiliansForum<br />

zu einem modellhaften<br />

Forum für innovative Lebens- und<br />

Arbeitsmodelle und Begegnungen<br />

nicht nur zwischen den Kreativen,<br />

sondern auch zwischen verschiedensten<br />

Menschen und Szenen der<br />

Stadt. Es wurde zu einem experimentellen<br />

Musikproduktionsort<br />

für ein großes Netzwerk Münchner<br />

Musikschaffender und Medienkünstler.<br />

Über einen Monat lang wurde<br />

im Untergrund nahezu durchgängig<br />

gearbeitet.<br />

Dass Protest das einzige Mittel ist,<br />

um in totalitären Staaten und den<br />

Krisengebieten der Welt auf unwürdige<br />

Zustände und Verletzungen des<br />

Rechts auf freie Meinungsäußerung<br />

Ausdruck zu verleihen, evozierte die<br />

Installation, welche die Münchner<br />

Künstlerin Monika Huber dem MaximiliansForum<br />

einschrieb. Leitmotiv<br />

und Ausgangspunkt ihrer Arbeit<br />

sind medial verbreitete Bilder aus<br />

den Protesten rund um den Taksim-<br />

Platz.<br />

Gänzlich verändert wurde das MaximiliansForum<br />

schließlich als Popup-Shop,<br />

in dem innerhalb eines<br />

Panoramas Labels aus München,<br />

Wien, Berlin, Kopenhagen, Budapest,<br />

Hongkong und Madrid Mode<br />

präsentierten und die Besucher zu<br />

Akteuren einer temporären Bühne<br />

machten und die Funktionen des<br />

öffentlichen und privaten Raumes<br />

ins Spiel brachten.<br />

Zum Abschluss der Reihe „<strong>Transforming</strong><br />

<strong>Cities</strong>“ transformierte die<br />

koreanische Künstlerin Jeongmoon<br />

Choi das MaximiliansForum selbst<br />

mit einer interaktiven Rauminstallation.<br />

Die Besucher konnten innerhalb<br />

einer aus tausenden Schnüren<br />

entwickelten minimalistischen<br />

Rauminstallation unzählige Möglichkeiten<br />

neuer Raumdefinitionen<br />

erfahren. Die gewohnte Realität<br />

löste sich buchstäblich auf und<br />

brachte innerhalb des bestehenden<br />

Raumkontinuums neue Dimensionen<br />

zum Vorschein.<br />

The end is the beginning.<br />

6 7


17<br />

01<br />

Urbane<br />

Landschaften<br />

Multimediale Installation<br />

Die Ausstellung des tschechischen<br />

Medienkünstlers Jakub Nepraš im<br />

MaximiliansForum war als Reflexion<br />

auf den aktuellen fundamentalen gesellschaftlichen<br />

und technologischen<br />

Wandel konzipiert. Wie generell in<br />

seinen komplexen und multimedialen<br />

Installationen eröffneten sich<br />

maschinenartige urbane Landschaften,<br />

die sich symbiosenhaft in die<br />

Untergrundwelt des MaximiliansForums<br />

einfügten. Bilder von der Entfremdung<br />

und Bedrohung der Natur<br />

und des Menschen vermittelt Jakub<br />

Nepraš durch sogenannte „video<br />

paintings“. So entstehen in seinen<br />

Installationen Metaorganismen, in<br />

denen er den heutigen Lebensentwürfen<br />

neue angemessene natürliche<br />

Formen verleiht.<br />

Ansicht auf „Spirit of the place“ und „Mouth“ von Jakub Nepraš<br />

Foto: Jakub Nepraš<br />

8 9


„Transmitter” von Jakub Nepraš<br />

Foto: Jakub Nepraš<br />

Besucher der Installation Fuzmalu von GOMMA<br />

Foto: Alescha Birkenholz<br />

TEXT FEHLT<br />

10 11


Foto: Yves Krier<br />

01<br />

05<br />

Wider die<br />

Verherrlichung<br />

der Arbeit<br />

Konzert von Salewski mit den Musikern<br />

Carl Oesterhelt, Sachiko Harz,<br />

Zoro Babel<br />

Raumgestaltung:<br />

Naomi Steuer-v.Westphalen<br />

Am Tag der Arbeit spielte der<br />

Münchner Musikschaffende Salewski<br />

zusammen mit den Gastmusikern<br />

Sachiko Hara (Pianistin), Zoro<br />

Babel (Metall), Manuela Rzytki<br />

(Parasite Woman), Anton Kaun<br />

(Rumpeln) und Carl Oesterhelt ein<br />

zwölf Stunden langes Konzert „Wider<br />

die Verherrlichung der Arbeit“.<br />

Als besonderes Element wurde das<br />

Geräusch der Straßenbahn, die<br />

über dem MaximiliansForum fährt,<br />

akustisch abgenommen und musikalisch<br />

verarbeitet.<br />

12 13


Foto: Yves Krier<br />

Ein Interview mit Salewski von<br />

Marcus Graßl im Auftrag der<br />

PLATFORM<br />

MG: Wie leben Sie in der Stadt?<br />

Salewksi: Ich lebe kurioserweise<br />

so, wie ich es mir schon als Kind<br />

gewünscht habe. Ich habe eine<br />

schöne Wohnung und dazu viel Zeit.<br />

Ich bin in meinen Entscheidungen<br />

sehr frei. Alle meine Beschwerden<br />

finden auf höchstem Niveau statt.<br />

Es ist eher die Frage, wo es hin<br />

geht? Manchmal wäre es mir lieber,<br />

ich könnte für eine andere Perspektive<br />

ein Stück von dem Überfluss,<br />

in dem wir leben, abgeben. Leider<br />

empfinde ich die Stadt nicht mehr<br />

als stabile Basis. Die Freiheit, die<br />

ich mir nehme, sehe ich als nicht<br />

akzeptiert an. Auch in einem multikulturellen<br />

Umfeld nicht mehr. Als<br />

Freigeist wird man immer weniger<br />

akzeptiert. Ich bin Jahrgang 1963<br />

und in Schwabing aufgewachsen.<br />

Ich kenne München noch aus Zeiten,<br />

in denen dieses Rumsanteln akzeptiert<br />

und Teil des Münchner Stadtbildes<br />

war. Das gibt es leider nicht<br />

mehr. Klar ändern sich die Dinge<br />

und das ist auch gut so. Aber es entwickelt<br />

sich definitiv weg von meiner<br />

Vorstellung vom Leben in dieser<br />

Stadt. So war die Geschichte mit<br />

„Wider die Verherrlichung der Arbeit“<br />

natürlich ein Thema für mich,<br />

da heutzutage alles an der Arbeit<br />

und der Effektivität gemessen wird.<br />

Ich bin Schlagzeuglehrer und habe<br />

regen Kontakt mit jungen Schülern,<br />

die mir von ihrem Leben erzählen.<br />

Unvorstellbar für jemanden meiner<br />

Generation, wie heutzutage am<br />

Schulhof über die Zukunft geredet<br />

wird. Für einen 20-jährigen ist es<br />

ein sehr wichtiges Thema, wie der<br />

Lebensstandard der Eltern aufrecht<br />

erhalten werden kann. Für mich<br />

war es überhaupt kein Thema, den<br />

Lebensstandard meiner Eltern zu<br />

erhalten. Selbst die Talentierten, die<br />

Musiker werden könnten, scheuen<br />

sich davor Musiker zu werden, weil<br />

sie Angst vor der Unsicherheit haben.<br />

Wenn heute jemand sagt, dass<br />

er Musiker werden möchte, ist das<br />

sozusagen eine Option. Werde ich<br />

jetzt Musiker oder mache ich dann<br />

doch diesen sicheren Studiengang?<br />

Das ist für mich sehr gewöhnungsbedürftig.<br />

MG: Wie wollen Sie denn selbst<br />

arbeiten?<br />

Salewksi: Was das Thema Arbeit<br />

angeht, ist mein Leben wirklich<br />

komplett gelungen. Ich gehe sehr<br />

gern zum Unterrichten. Ansonsten<br />

arbeite ich am Theater, das ich als<br />

sehr spannend und befriedigend<br />

empfinde. Dazu kann ich mit Bands<br />

zusammen arbeiten und Solo-Platten<br />

machen. Im Grunde genommen<br />

kann ich mir gar nicht vorstellen,<br />

noch mehr Freiheit zu haben. Da bin<br />

ich wirklich gesegnet.<br />

MG: Wie verstehen Sie Musik?<br />

Salewksi: Musik ist für mich das<br />

Wichtigste. Musik hat mir schon<br />

mehrmals das Leben gerettet, da<br />

ich oft sonst nicht gewusst hätte,<br />

wohin mit mir. Da sind immer<br />

wieder Situationen, in denen ich mir<br />

die Frage stelle, was ich jetzt ohne<br />

Musik wäre? Dann müsste ich mich<br />

mit Problembereichen befassen, mit<br />

denen ich mich eigentlich gar nicht<br />

beschäftigen will. Ich bin durchaus<br />

eskapistisch veranlagt. Und die<br />

Musik hilft mir dabei. (Anm. d. Red.:<br />

Salewski benutzt weder Internet<br />

noch besitzt er ein Handy)<br />

MG: Widerspricht sich die Verweigerung<br />

von neuen Kommunikationsmitteln<br />

nicht mit dem Interesse für<br />

neue elektronische Musik?<br />

Salewksi: Für mich nicht. Schon gar<br />

nicht deswegen, weil ich bereits in<br />

den 70ern angefangen habe, mich<br />

für elektronische Musik zu interessieren.<br />

Ich war von der ersten<br />

Sekunde an wahnsinnig fasziniert<br />

davon. Das waren damals Bands,<br />

die man heute dem Krautrock<br />

zurechnet. Tangerine Dream, Ash<br />

Ra Temple und natürlich Kraftwerk.<br />

Das liegt vielleicht auch an meinen<br />

Foto: Yves Krier<br />

14<br />

15


eskapistischen Zügen. Ich kann mich<br />

erinnern, als Jugendlicher Tolkien<br />

gelesen und dazu Tangerine Dream<br />

gehört zu haben. Mehr Eskapismus<br />

ging nicht. Seitdem habe ich diesen<br />

Hang zum Artifiziellen und auch zu<br />

Science Fiction, die elektronische<br />

Musik ja auch mit sich bringt.<br />

MG: Ist die künstliche Welt des Internets<br />

dann nicht doch sehr interessant<br />

für Sie?<br />

Salewksi: Überhaupt nicht. Das ist<br />

mir zu vulgär. Wie die Menschen im<br />

Internet ihr Innerstes präsentieren,<br />

ist mir fremd. Fremder kann mir<br />

etwas gar nicht sein. Twitter zum<br />

Beispiel. Da hört mein Gehirn auf zu<br />

denken. Mir fehlt die Verbindung zu<br />

verstehen, warum man das macht.<br />

Ich will das niemandem nehmen,<br />

aber ich kann das nicht verstehen<br />

und habe da auch absolut kein Interesse<br />

daran. Ein Freund von mir hat<br />

bereits in den 80er Jahren mit seinem<br />

C64 Computer Musik gemacht.<br />

Für mich war das absurd sich dafür<br />

zu interessieren. Ich konnte damals<br />

nur müde lächeln. Ich habe immer<br />

schon gerne Dance Music, also Funk<br />

und Disco, gehört. Allerdings kam<br />

der Sound aus dem C64 nie an die<br />

analogen Synthesizer ran.<br />

MG: Was war das Konzept der Performance<br />

„Wider der Verherrlichung<br />

der Arbeit“?<br />

Salewski beim Stimmen der E-Gitarre, Foto: Yves Krier<br />

Salewksi: Vieles wird im Leben<br />

immer über den Arbeitsplatz definiert<br />

und der Kapitalismus immer<br />

mehr zur eigenen Definition. Als<br />

der 1. Mai zum Termin der Performance<br />

vorgeschlagen wurde, war<br />

das natürlich genial. Man sitzt dort<br />

unten im MaximiliansForum und<br />

spielt. Immer wieder kommen Passanten<br />

vorbei, die vielleicht auf der<br />

Mai-Kundgebung am Marienplatz<br />

waren. Ich habe diesen Feiertag<br />

nie verstanden. Tag der Arbeit, und<br />

dann hat man frei? Das versteh ich<br />

bis heute nicht. Ich weiß ja nicht,<br />

wer den Tag der Arbeit erfunden hat.<br />

Aber ich glaube, das ist noch ein<br />

Relikt aus der Nazi-Zeit. Und jetzt<br />

sitzen linke Jugendliche mit Dreadlocks<br />

auf dem Marienplatz und<br />

hören schlechte Ska-Bands? Das ist<br />

sehr grotesk für mich. Da fand ich<br />

es natürlich spitze, nicht weit davon<br />

in einer Unterführung zu sitzen und<br />

eskapistische Klänge zu erzeugen.<br />

Für mich war der Name der Veranstaltung,<br />

gekoppelt mit dem Datum,<br />

eine wunderbare Geschichte. Wenn<br />

man Arbeitsverweigerung betreibt,<br />

dann macht es keinen Sinn nichts<br />

zu machen. Man muss ja auch dafür<br />

kämpfen, um das zu erreichen, was<br />

man sich vorstellt. Also dachte ich<br />

mir, drehen wir das ganze einfach<br />

um und machen einen Marathon<br />

daraus. Es ist natürlich schon eine<br />

Kritik an der Verherrlichung der<br />

Arbeit als solches. Ich arbeite ja<br />

gern, so ist es ja nicht. Es geht mir<br />

um die Freiwilligkeit. Ich mache<br />

freiwillig zwölf Stunden Musik, weil<br />

ich das vorher noch nie gemacht<br />

habe. Das Leben ist nicht allein<br />

gelungen, wenn man ein erfolgreiches<br />

Arbeitsleben hat. Das halte ich<br />

für einen Irrsinn. Natürlich braucht<br />

man eine Aufgabe. Ich habe mich<br />

immer gefragt, warum Arbeitslose<br />

immer gleich zusammenbrechen?<br />

Das Leben besteht doch nicht nur<br />

aus Arbeit?<br />

MG: Verstehen Sie Musik als Arbeit?<br />

Salewksi: Musik machen ist natürlich<br />

keine Arbeit. Arbeit daran ist<br />

die Organisation außen rum. In den<br />

heutigen Zeiten der Selbstoptimierung,<br />

in denen Freizeit und Arbeit<br />

ineinanderfließen, muss man natürlich<br />

aufpassen. Wenn es beispielsweise<br />

um Preisverhandlungen mit<br />

Veranstaltern der Konzerte oder Performances<br />

geht. Ich wollte in diesen<br />

zwölf Stunden erfahren, ob es mir<br />

so lange Spaß macht, oder es eben<br />

zur Arbeit wird? Die Musik ist zwölf<br />

Stunden lang tatsächlich nicht eine<br />

Sekunde zur Arbeit geworden. Da<br />

ist der Gedanke von Arbeit gar nicht<br />

erst aufgekommen. Ich war zwar<br />

eine Woche danach körperlich ziemlich<br />

im Eimer, habe aber während<br />

der Performance keine Anstrengung<br />

gespürt.<br />

MG: Wie haben diese zwölf Stunden<br />

konkret funktioniert?<br />

Salewksi: Die ersten drei Stunden<br />

habe ich zunächst alleine gespielt.<br />

Ambient und atmosphärische<br />

Klangexperimente. Der Raum klingt<br />

sehr schön und die Straßenbahn,<br />

die oben drüber fährt, haben wir<br />

in den Sound mit eingebaut. Dann<br />

kamen allmählich die anderen Musiker<br />

dazu. Es war ganz wunderbar,<br />

ein Riesenvergnüngen. Nach sechs<br />

Stunden kam man so richtig rein<br />

in die Musik. Nach acht Stunden<br />

erreichten wir einen Höhepunkt.<br />

Und irgendwann ging es dann natürlich<br />

mal bergab. Länger als zwölf<br />

Stunden wäre schwierig geworden.<br />

Ich habe gehofft, dass man eventuell<br />

in eine Art Trance verfällt. Dies<br />

war wiederum nicht der Fall. Man<br />

muss sich konzentrieren und kommt<br />

daher nicht in diesen Zustand.<br />

MG: Wie kam es zur Auswahl der<br />

Musiker? (Anton Kaun, Carl<br />

Oesterhelt, Sachiko Hara, Zoro<br />

Babel, Manuela Rzytki)<br />

Salewksi: Das sind alles Freunde,<br />

mit denen ich sonst auch Musik<br />

mache. Bis auf gewisse Absprachen<br />

war nicht viel ausgemacht.<br />

Das größte Experiment war mit der<br />

Sachiko, weil sie klassische Pianistin<br />

ist und wenig improvisierte Musik<br />

spielt. Trotzdem war es mit ihr einer<br />

der Höhepunkte. Mit Anton habe ich<br />

zu zweit noch nie Musik gemacht.<br />

Das war für mich eine spektakuläre<br />

Geschichte. Mit Carl und Manuela<br />

mache ich seit Jahrzehnten Musik.<br />

Sie waren daher die ersten Kandidaten,<br />

die mir eingefallen sind.<br />

Teilweise ist das alles natürlich sehr<br />

avantgardistisch ausgefallen.<br />

MG: Wie kam es zur Idee, die<br />

Straßenbahn über dem MaximiliansForum<br />

als Sound in die Musik<br />

aufzunehmen?<br />

Salewksi: Als ich mit Carl Oesterhelt<br />

und der PLATFORM zum ersten Mal<br />

im komplett leeren Max-Forum saß,<br />

hörten wir immer wieder das herrliche<br />

Geräusch der Straßenbahn.<br />

Da kam die Idee, den Klang dieser<br />

Straßenbahn mit in die Musik aufzunehmen.<br />

Ich habe den Musiker Zoro<br />

Babel darum gebeten mir mit dieser<br />

Idee zu helfen. Zoro war mit seiner<br />

experimentellen Musik auch mit im<br />

Boot an diesem Tag. Er ist ein sehr<br />

guter Tontechniker und macht viel<br />

im neutonischen Bereich.<br />

MG: Wie empfinden Sie den Raum<br />

des MaximiliansForums?<br />

Salewksi: Ich liebe diesen Raum. Es<br />

war gar nicht schlimm, sich in diesem<br />

Raum zwölf Stunden lang zu<br />

verbarrikadieren. Zudem klingt der<br />

Raum sehr gut. Man kann hier wirklich<br />

viel machen. Das Max-Forum<br />

klingt viel wärmer, als man denkt.<br />

Es hat zwar einen unglaublichen<br />

Hall, den man miteinbeziehen und<br />

als Bestandteil der Musik akzeptieren<br />

muss. Durch den tollen Klang<br />

und die Atmosphäre hat es jedoch<br />

etwas sehr unwirkliches, artifizielles<br />

an sich...eskapistisch eben.<br />

16 17<br />

Foto: Yves Krier


07<br />

05<br />

Pasta<br />

Sauna<br />

Foto: Yves Krier<br />

Installation mit Essensaktion und<br />

Vortrag „Eating by Design“<br />

von Marjie Vogelsang<br />

Die „Eating Designerin“ Marije<br />

Vogelzang gestaltet nicht Essen,<br />

sondern den Prozess des Essens.<br />

Im MaximiliansForum realisierte sie<br />

zum ersten Mal ein Projekt in München:<br />

„Pasta Sauna“. Innerhalb eines<br />

abgeschlossenen Raums kochte die<br />

niederländische Designerin frische<br />

Pasta und erzeugte durch die Wasserdämpfe<br />

eine Atmosphäre wie<br />

in einer Sauna. Die experimentelle<br />

Installation spielt mit den Sinnen –<br />

der Duft, die Temperatur, die Musik<br />

und der Geschmack vereinen alle<br />

Zutaten zur „Pasta Sauna“. Mit der<br />

„Pasta Sauna“ visualisiert Marije<br />

Vogelzang bekannte Phänomene:<br />

das lähmende Völlegefühl nach dem<br />

Verzehr einer großen Portion Pasta<br />

und die Trägheit eines Saunabesuchs.<br />

Die Installation verweist auf<br />

das Kochbuch „La Cucina Futurista“<br />

aus dem Jahr 1932 von Filippo<br />

Tommaso Emilio Marinetti, Gründer<br />

des Futurismus. Hier kritisiert er das<br />

Verspeisen von Pasta, da dies ungesund<br />

sei und die Menschheit unbeweglich<br />

und faul mache. Für Marinetti<br />

hängt die Transformation des<br />

Menschen und des Lebens zu einem<br />

besseren mit der Transformation der<br />

Essgewohnheiten zusammen. Trotzdem<br />

bietet Marije Vogelzang jedem<br />

Besucher ein Pastagericht an, denn<br />

gleichzeitig macht eine leckere, frische<br />

Portion Pasta auch glücklich!<br />

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Foto: Yves Krier<br />

Marije Vogelzang im Gespräch, Foto: Yves Krier<br />

„Essen nach Design”<br />

Marije Vogelzang<br />

Alle Menschen müssen essen. Das<br />

verbindet uns alle miteinander.<br />

Jeder muss essen, um zu überleben.<br />

Essen ist unsere Nahrung und<br />

unser Heilmittel. Darüber hinaus<br />

stellt Essen auch unsere innere<br />

Nahrung dar. Essen ist sozialer Kitt,<br />

Spiegel unserer Identität, der uns<br />

Trost spenden und Erinnerungen<br />

an vergessene Zeiten und versteckte<br />

Orte wecken kann. Essen kann<br />

Freude, Traurigkeit, Fröhlichkeit und<br />

das Gefühl von Verbundenheit mit<br />

sich bringen. Essen ist so viel mehr<br />

als nur Kalorien. Die Welt ist voller<br />

Menschen, die sich alle ernähren<br />

müssen. Aber die Art und Weise,<br />

wie wir Essen zu uns nehmen, was<br />

wir essen und die Rituale und Umgangsformen<br />

sind von Ort zu Ort<br />

sehr verschieden.<br />

Die Art wie wir mit Lebensmittelabfällen<br />

umgehen, wie wir Essen<br />

zubereiten und zu uns nehmen, wie<br />

wir Essen miteinander teilen: Die<br />

meisten dieser Arten und Weisen<br />

sind historisch gewachsen. Manche<br />

begründen sich auf uralten Traditionen<br />

und werden deswegen nicht<br />

angezweifelt. Aber auch Traditionen<br />

wurden irgendwann einmal erfunden.<br />

Mit dem Feuer zu kochen ist<br />

eine erfundene Zubereitungsmethode.<br />

Landwirtschaft ist eine vom<br />

Menschen gestaltete Anbaumethode.<br />

Die Suppe mit dem Löffel<br />

zu essen ist eine Wahl, die man<br />

getroffen hat und die heutzutage<br />

als die richtige Art, Suppe zu sich zu<br />

nehmen, betrachtet wird. Aber all<br />

diese Dinge, Löffel, Teller, Besteck<br />

und Essstäbchen, wurden irgendwann<br />

einmal von irgendjemandem<br />

erfunden und entworfen.<br />

Traditionen können alt sein, aber<br />

es ist nicht so, als wären sie immer<br />

dagewesen. Nachdem Essen so<br />

viel mehr bedeutet als einfach nur<br />

Ernährung, können wir Essen (oder<br />

den Akt des Essens) nehmen und<br />

„Design-Denken“ darauf anwenden.<br />

Wir können in Frage stellen, warum<br />

wir Dinge so tun, wie wir sie tun,<br />

zum Beispiel warum wir Feuer zum<br />

Kochen benutzen. Warum benutzen<br />

manche Kulturen Tische? Die Welt<br />

verändert sich ständig, deshalb<br />

sollten wir auch unsere Einstellungen<br />

zum Essen in Frage stellen<br />

und gegebenenfalls ändern. Unser<br />

Sozialleben ändert sich ständig,<br />

die Art und Weise, in der wir Arbeit<br />

und Freizeit voneinander trennen,<br />

wie Familien zusammenleben, all<br />

das spiegelt sich in der Art wie wir<br />

essen. Vielleicht brauchen wir neue<br />

Werkzeuge, Regeln und Traditionen.<br />

Die Globalisierung bringt uns<br />

verschiedene Arten von Essen und<br />

andere Esskulturen näher und technische<br />

Prozesse verändern sich. Essen<br />

war noch nie so leicht zugänglich;<br />

gleichzeitig ist uns unser Essen<br />

durch die industrielle Verarbeitung<br />

von Lebensmitteln ferner denn<br />

je. Es passiert viel im Bereich der<br />

Lebensmittelverarbeitung. Darunter<br />

auch Besorgnis erregende Dinge:<br />

Lebensmittelverschwendung, der<br />

Mangel an biologischer Vielfalt, Lebensmittelallergien<br />

und Fettleibigkeit,<br />

um nur einige der Probleme zu<br />

nennen, die den Menschen langsam<br />

bewusst werden.<br />

Wir können in Frage stellen, ob wir<br />

die Dinge weiterhin so handhaben<br />

müssen, wie wir es gewohnt sind.<br />

Können wir neue Wege und Rituale<br />

finden, und brauchen wir diese<br />

überhaupt? Meine Mutter hat mir<br />

immer gesagt, nicht mit dem Essen<br />

zu spielen, aber ich glaube sie meinte,<br />

ich solle das Essen respektieren,<br />

und heute weiß ich, dass sie Recht<br />

hatte. Wir müssen Essen heutzutage<br />

noch mehr respektieren als<br />

bisher, weil Essen scheinbar an Wert<br />

verliert. Gleichzeitig sollten wir den<br />

Wert des Essens schätzen und zelebrieren!<br />

Als Designstudentin habe<br />

ich vor 15 Jahren angefangen mit<br />

Essen zu arbeiten. Damals erschien<br />

mir Essen und Design als unvereinbar.<br />

Das ist seltsam, da Designer<br />

ja Dinge für Menschen gestalten<br />

– Autos, in denen Menschen herumfahren<br />

können, Kleidung, die Menschen<br />

tragen – aber das Wichtigste,<br />

das Menschen überhaupt brauchen,<br />

ist Essen. Dieses lebensnotwendige<br />

Thema wurde lange Jahre vernachlässigt.<br />

Heute, nach 15 Jahren<br />

Erfahrung mit diesem Thema, kann<br />

ich einen enormen und beständigen<br />

Wandel in beiden Bereichen, Essen<br />

und Design, feststellen. Es scheint<br />

mir, als ob die beiden sich langsam<br />

annähern und das Beste aus beiden<br />

Welten miteinander vereinen. Nachdem<br />

wir immer mehr Probleme mit<br />

Lebensmitteln feststellen, die es zu<br />

lösen gilt und nachdem sich unser<br />

Leben und unsere Einstellungen<br />

ständig verändern, beginnen immer<br />

mehr kreative Köpfe sich wertvolle<br />

Gedanken über diese Problematiken<br />

zu machen. Es macht mich glücklich<br />

zu sehen, dass Designer anfangen,<br />

mit Essen zu arbeiten und es als<br />

das betrachten, was es ist: Ernst zu<br />

nehmendes Material! Ich sehe mich<br />

selbst nicht als „Essens-Designer”,<br />

da ich Essen als bereits von der Natur<br />

als perfekt gestaltetes Material<br />

betrachte. Ich arbeite gerne mit dem<br />

Verb „essen” und fühle mich davon<br />

inspiriert. Die Arbeit mit Themen<br />

wie Herkunft, Kultur und sozialen<br />

und psychologischen Einflüssen<br />

gibt mir die Möglichkeit, die Welt als<br />

eine sehr einfache und mir emotional<br />

am Herzen liegend zu betrachten.<br />

Die Wirkungsmacht dieses neuen<br />

Bereichs des Essens ist für das<br />

Design enorm. Wenn ich auf meine<br />

Projekte zurückblicke, sehe ich sieben<br />

verschiedene Interessensfelder,<br />

die auch andere Designer inspirieren<br />

könnten, ebenfalls mit Essen<br />

zu arbeiten. Denn Essen ist unsere<br />

Nahrung und unsere Zukunft.<br />

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SINNE<br />

Man möchte meinen, wer sich mit<br />

Essen beschäftigt, ist sich der Sinne<br />

bewusst. Aber hast Du schon mal<br />

über den Klang Deines Essens<br />

nachgedacht? Unsere Sinne sind<br />

die schnellste und wirkmächtigste<br />

Art, Emotionen im Gehirn und im<br />

Herzen zu berühren.<br />

WISSENSCHAFT<br />

Die Ernährungswissenschaft ist<br />

immer noch ein großes Geheimnis.<br />

Aber sie kann auch eine große<br />

Inspirationsquelle darstellen! Wie<br />

viele Köche sind sich der Auswirkung<br />

des Essens auf den Körper<br />

ihrer Gäste bewusst? Wissenschaft<br />

und Essen können viele Probleme<br />

dieser Welt lösen, wenn sie vernünftig<br />

angegangen werden.<br />

KULTUR<br />

Wenn man bedenkt, wie die Menschen<br />

auf der Welt leben und wie<br />

sie ihr Essen zu sich nehmen, indem<br />

sie unterschiedliche Werkzeuge und<br />

Zutaten benutzen und dabei unterschiedliche<br />

Gewohnheiten und Rituale<br />

verfolgen, stellt man fest, dass<br />

es noch viel zu entdecken gibt. All<br />

diese kulturellen Überlieferungen<br />

und Geschichten stellen eine Inspirationsquelle<br />

dar, die nur darauf<br />

wartet, von uns entdeckt zu werden.<br />

NATUR<br />

Manchmal scheinen wir zu vergessen,<br />

dass Essen aus der Natur<br />

stammt. Designer können sich<br />

dazu inspiriert fühlen Kindern (und<br />

Erwachsenen) beizubringen, wo das<br />

Essen herkommt und wie es entsteht.<br />

Es wirkt so, als ob wir zunehmend<br />

weniger in Verbindung mit<br />

unserem Essen stünden, was uns<br />

daran hindert, den wahren Wert des<br />

Essens zu schätzen.<br />

Foto: Yves Krier<br />

PSYCHOLOGIE<br />

Es scheint, als ob uns nicht bewusst<br />

ist, wie bedeutend die Rolle der<br />

Psychologie ist, wenn es um Essen<br />

geht. Essen findet mehr im Kopf als<br />

im Bauch statt. Wir essen oft, wenn<br />

wir eigentlich gar keinen Hunger<br />

haben. Ein Bissen reicht, um vergessen<br />

geglaubte Erinnerungen in<br />

unserem Gehirn zu entschlüsseln.<br />

Essen und Liebe sind die ersten<br />

Dinge, die eine Mutter ihrem Kind<br />

gibt. Deswegen werden diese<br />

beiden Werte im Gehirn für immer<br />

verankert.<br />

GESELLSCHAFT<br />

Wir essen (mindestens) dreimal pro<br />

Tag. Weil wir alle (alle Menschen<br />

auf dieser Erde) essen, was uns<br />

die Natur bietet, liegt es in unserer<br />

Hand, wie unser Planet in Zukunft<br />

aussehen wird. Problematische<br />

Situationen mit Lebensmitteln und<br />

die immer wachsende Bevölkerung<br />

gehen uns alle an. Wir sollten uns<br />

dazu inspiriert fühlen, kreative Lösungsansätze<br />

zu finden, um Lebensmittel<br />

sinnvoller zu produzieren,<br />

besser zu transportieren und ihnen<br />

mehr Wertschätzung entgegen zu<br />

bringen.<br />

MATERIAL<br />

Als Designerin kann man Essen einfach<br />

als ein weiteres Material ansehen,<br />

an dem man unterschiedliche<br />

Techniken ausprobieren kann. Als<br />

solches ist es interessant zu sehen,<br />

dass die Projekte nie von Dauer<br />

sind. Wenn man sich für Essen als<br />

Material entscheidet, entscheidet<br />

man sich für vergängliches Design<br />

– man könnte sagen, ich designe<br />

Fäkalien!<br />

Marije Vogelzang in einem „Pasta Sauna“-Overall, Foto: Yves Krier<br />

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Zubereitung der „Pkeila“<br />

Foto: Yves Krier<br />

14<br />

Pkeila<br />

Vortrag und Performance von<br />

Rafram Chaddad<br />

Der Künstler und Gründer der Slow-<br />

Food-Bewegung in Israel, Rafram<br />

Chaddad, kam auf Einladung der<br />

PLATFORM nach München. Er ist<br />

ein Grenzgänger. In Tunesien wurde<br />

er als Kind jüdischer Eltern geboren,<br />

immigrierte aber schon bald<br />

nach Israel. Dennoch beschreibt er<br />

seine Identität auch als arabisch und<br />

ist mittlerweile in beiden Welten<br />

zuhause und auch viel in der übrigen<br />

Welt unterwegs. Politik und<br />

Genuss spielen eine große Rolle<br />

in seiner Arbeit. Im Maximilians-<br />

Forum hielt er einen Vortrag über<br />

den Zusammenhang von Migration<br />

und Esskultur und präsentierte eine<br />

Installation, deren Titel Pkeila dem<br />

gleichnamigen jüdisch-tunesischen<br />

Gericht entlehnt ist. Die Installation<br />

bestand aus Glas und Spinat und<br />

ist ein Teil des Boaz, eines gemeinsam<br />

mit dem Künstler Dor Guez<br />

entwickelten Projekts über „slow<br />

works“.<br />

Shakshuka - Eine Geschichte über<br />

die Herkunft und Tradition von<br />

Essen<br />

Rafram Chaddad, Künstler und<br />

Essensexperte<br />

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„Spinat-Installation“ von Rafram Chaddad, Foto: Rafram Chaddad<br />

Pkeila<br />

Sollten Sie jemals die Städte Jenin<br />

oder Nablus, beide in Palästina<br />

gelegen, besuchen, wird Ihnen<br />

vielleicht das Gericht „Shakshuka”<br />

auf den Speisekarten der ortsansässigen<br />

Restaurants auffallen. Das<br />

wundert Sie vielleicht, sofern Sie<br />

die Herkunft des Gerichtes kennen,<br />

doch es besteht tatsächlich<br />

eine enge Verbindung zur Politik in<br />

Israel. „Shakshuka“ ist ein einfaches<br />

Gericht, das ursprünglich von<br />

Juden aus Südtunesien stammt.<br />

Es besteht aus Kartoffeln, Auberginen<br />

oder Tomaten und Paprika,<br />

die langsam in einer Pfanne mit<br />

pochierten Eiern darin gebraten<br />

werden. Es fand seinen Weg nach<br />

Israel durch tunesische Einwanderer<br />

in den 1950er und 1960er Jahren<br />

und von dort aus gelangte es weiter<br />

nach Palästina. Es ist interessant,<br />

den Weg des Essens über seine<br />

nationalen Einflüsse nachzuverfolgen,<br />

doch meist sind es die sozialen<br />

Strukturen, die die Herkunft eines<br />

Gerichtes hauptsächlich bestimmen.<br />

„Shakshuka“ kam nach Palästina,<br />

weil es nicht zur elitären Küche der<br />

europäischen Juden Israels gehörte.<br />

Die Küche kam mit den europäischen<br />

Juden und wurde nicht als<br />

„jüdisch” angesehen, sondern wollte<br />

westeuropäisch wirken. Glaubt<br />

man kulturellen Anekdoten des neu<br />

entstandenen Staates Israel, wurde<br />

das Essen, das sie von ihren Familien<br />

kannten, „jüdisches Essen”<br />

genannt. Damals konnte man in<br />

Israel nur osteuropäisches jüdisches<br />

Essen finden. Von daher war<br />

es viel einfacher, die lokalen Speisekarten<br />

in Palästina zu integrieren.<br />

Viele der jüdisch-tunesischen<br />

Gerichte sind verloren gegangen.<br />

Zwei hauptsächliche Gründe dafür<br />

sind der Umzug nach Israel und<br />

die Einführung moderner Kochmethoden.<br />

Beispielsweise muss man,<br />

um eine rote Sauce zuzubereiten,<br />

Zwiebeln mit Paprika, Olivenöl und<br />

Salz eine Stunde lang langsam<br />

köcheln lassen. Heute benutzen<br />

die meisten Menschen statt dessen<br />

Tomatenmark. So verschwindet<br />

auch „Pkeila“, das Vorzeigegericht<br />

der jüdischen Küche Tunesiens, zunehmend<br />

von der Speisekarte. Ein<br />

wichtiger Aspekt der Zubereitung<br />

von „Pkeila“ ist die langwierige<br />

Arbeit des Spinatblatt-Zupfens, des<br />

Säuberns und Trocknens der Blätter<br />

auf einem Stofftuch in der Mitte des<br />

Raumes, und das spätere Kochen<br />

derer in Öl (5-6 Stunden), bis sie<br />

zu einer schwarzen Paste werden.<br />

Pkeila wird meist mit Schwarzbohnenaugen<br />

(Lubia), Rindfleisch und<br />

Kartoffeln gegessen.<br />

Als visueller Künstler tendiere ich<br />

dazu, persönliche Aspekte in meine<br />

Arbeit einfließen zu lassen und die<br />

Ästhetik und Gewohnheiten des<br />

Alltags zu untersuchen. In einer Arbeit,<br />

die ich im letzten Jahr zwei Mal<br />

zeigte, demonstrierte ich vor allem<br />

den handwerklichen Aspekt des Kochens,<br />

den die Zubereitung dieses<br />

Gerichts mit sich bringt: Die sisyphusartige<br />

Arbeit der Vorbereitung<br />

und des Kochens selbst. Die zuvor<br />

beschriebenen Gerichte sind auf<br />

Grund moderner Kochmethoden,<br />

hohem Zeitaufwand und auf Grund<br />

der Einflüsse von Einwanderung<br />

fast verschwunden. Die meisten der<br />

tunesischen Juden kamen nach Israel<br />

und ihre Ernährung änderte sich<br />

dort sofort. Olivenöl wurde durch<br />

Soja und Maisöl ersetzt und alle Fische<br />

(und mit ihnen die Fischgerichte)<br />

verschwanden vom Speiseplan.<br />

Anfang des 20. Jahrhunderts aßen<br />

Moslems in Südtunesien keinen<br />

Fisch, weil sie glaubten, Fisch stünde<br />

in Verbindung mit dem „bösen<br />

Auge.” Das Fischsymbol, das das<br />

„böse Auge” repräsentiert, existierte<br />

zwar auch bei den Juden, hielt<br />

diese aber nicht davon ab, Fisch<br />

zu essen. Juden haben auf Grund<br />

ihrer koscheren Essenstradition<br />

immer schon Fisch gegessen. An<br />

die Außenseite jedes Hauses, das<br />

im jüdischen Viertel auf der Insel<br />

Djerba erbaut wurde, wurde eine<br />

Hand mit fünf Fingern gezeichnet,<br />

die fünf Fische an einer Schnur<br />

zeigt, die ebenso wie die Verkäufer<br />

auf dem großen Fischmarkt die<br />

Fische festhält. Sie symbolisieren<br />

Hamsa, die „Hand der Fatima“ und<br />

das Symbol für „Fünf“. In den letzten<br />

Jahren wurde ich von Mitgliedern<br />

der jüdischen Gemeinde des Öfteren<br />

damit beauftragt, solche Fische<br />

an ihre Häuser zu malen. Nach einigen<br />

Jahren habe ich dieses Motiv<br />

in europäische Galerien gebracht.<br />

Als Gegenleistung für den „Schutz”,<br />

den ich ihnen durch die Fischmalerei<br />

bot, bat ich die Kuratoren, Fisch<br />

für mich zuzubereiten. Ich nahm<br />

also „echte” Arbeit und wandelte<br />

sie in Kunst um. Dadurch wurde die<br />

Arbeit halb Kunstwerk, halb mythologisches<br />

Werk. Die Gewohnheit der<br />

Moslems, keinen Fisch zu essen,<br />

änderte sich in den 1950er Jahren<br />

mit der Zunahme des Tourismus.<br />

Allerdings stammen die ältesten Rezepte<br />

für Fischgerichte von Juden:<br />

Fisch mit Sharmula (Sauce) aus<br />

getrockneten Rosen und Harissa aus<br />

Bizerte und natürlich das berühmte<br />

Fisch-Couscous. Das Originalrezept<br />

besteht aus Gerstengrieß und ist<br />

dunkelbraun. Dieses Rezept gelangte<br />

nach Sizilien, in die Gegend um<br />

Trapani, in die viele Tunesier auswanderten.<br />

Der dunkle Couscous veränderte<br />

sich über die Jahre ebenfalls. Mein<br />

Großvater verkaufte in Tunis, der<br />

Hauptstadt Tunesiens, Getreide.<br />

Langsam brachte er immer weniger<br />

Gerstengrieß mit nach Hause. Die<br />

reichen Leute verlangten weißen,<br />

industriell verarbeiteten Grieß aus<br />

Rafram Chaddad verteilt die „Pkeila“, Foto: Yves Krier<br />

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Weizen, und so wurde Gerstengrieß<br />

zur Klassenfrage. Seine Frau, meine<br />

Großmutter, war für die Hausarbeit<br />

zuständig und stellte Gerstenbrot<br />

her, das nur niedriges Ansehen<br />

genoss. Heute wäre es sogar für die<br />

niedrigeren Gesellschaftsschichten<br />

schwierig, alte Rezepte nachzukochen,<br />

selbst wenn sie sich dies zum<br />

Ziel setzten. Die Zeit verging und<br />

der Preis für Gerstengrieß ist heute<br />

in etwa zehnmal so hoch wie der<br />

für Weizengrieß. Der Weizengrieß<br />

enthält mehr Zucker und ist Ursache<br />

für moderne Krankheiten von<br />

Menschen, die nicht mehr an die<br />

ursprüngliche Art der Ernährung<br />

gewöhnt sind.<br />

Vor einem Jahr fing ich damit an,<br />

Gerste in einer Galerie in Leipzig<br />

anzubauen. Ich nannte die Arbeit<br />

„Schwarzer Schwan”, um auf die Revolution<br />

der Schwarzen gegenüber<br />

den Weißen hinzuweisen; jedoch<br />

blieben die Machtstrukturen zwischen<br />

Reich und Arm weiter erhalten.<br />

Ich schreibe über die Moderne<br />

als sich verändernde Rezepte und<br />

Zubereitungsarten. Mit dem Einzug<br />

der Moderne gingen auch nationale<br />

Bewegungen einher, darunter auch<br />

die in Israel. Mit den Einwanderungswellen<br />

nach Israel gingen viele<br />

Gerichte verloren oder gerieten in<br />

Vergessenheit. Es gab keine marokkanischen,<br />

syrischen oder irakischen<br />

Restaurants, nur „orientalische<br />

Restaurants.” Niemand wollte mit<br />

der Kultur, der sie entstammten,<br />

in Verbindung gebracht werden;<br />

der Kultur, die von der etablierten<br />

israelischen Kultur zum Feind erklärt<br />

wurde. Das Wort „orientalisch” galt<br />

als neutral und die Gerichte wurden<br />

langsam miteinander vermischt.<br />

Orientalische Restaurants begannen<br />

Kuba-Suppe von irakisch-kurdischen<br />

Juden zu servieren, Haraime aus<br />

Tripoli in Libyen und Magadara aus<br />

dem Libanon. Die Herkunft dieser<br />

Gerichte verschwand langsam. Als<br />

ich Tripoli in Libyen besuchte, ging<br />

ich in das Restaurant Oubaiaa, ein<br />

Fischlokal im Zentrum der Altstadt.<br />

Auf der Speisekarte wurde hauptsächlich<br />

hochwertiger Fisch aus der<br />

berühmten Biban-Bucht angeboten<br />

und ein gekochtes Gericht: Haraime.<br />

Daneben stand geschrieben: „altes,<br />

jüdisches Gericht”. Haraime kam als<br />

Fischgericht in würziger, roter Sauce<br />

nach Israel. Auch ein anderer Fisch<br />

kam auf dem gleichen Weg nach<br />

Israel, er wurde „marokkanischer<br />

Fisch” genannt. Der Fisch sprach<br />

zwar kein Marokkanisch und kam<br />

auch gar nicht von dort. Niemand in<br />

der jüdischen Gemeinde Marokkos<br />

hat jemals davon gehört. Letzten<br />

März traf ich in Marrakesch einen<br />

Israeli, dessen Vater aus Libyen<br />

stammt und dessen Mutter Marokkanerin<br />

ist. Er fragte mich, wo man<br />

in der Stadt Haraime essen könne.<br />

Ich schickte ihn zurück nach Ostlibyen.<br />

Es fällt mir schwer zu begreifen,<br />

dass sich selbst Libyer nicht über<br />

die Herkunft ihrer eigenen Gerichte<br />

bewusst sind. Israel, ein Staat der<br />

hauptsächlich von osteuropäischen<br />

Juden aufgebaut wurde, hatte nie<br />

eine große Fischtradition. Sie sitzen<br />

an den Küsten des Mittelmeeres<br />

und träumen von Europa. Die Sehnsucht<br />

nach Olivenöl und Fisch, die<br />

gerade erst in Israel entstanden ist,<br />

steht eher in Verbindung mit dem<br />

italienischen Trend, der momentan<br />

in New York vorherrscht, als dass er<br />

mit der lokalen palästinensischen<br />

Küche in Verbindung gebracht werden<br />

könnte.<br />

Frischer Spinat vom Markt, Foto: Rafram Chaddad<br />

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17<br />

05<br />

Cool Walks &<br />

Cooltails<br />

Ein Abend der Klasse Ingold mit<br />

Performances.<br />

Foto: Alescha Birkenholz<br />

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Was macht das Coole aus? Wodurch<br />

werden etwa ein Drink, ein Modeaccessoire<br />

oder eine Geste cool? Und<br />

weshalb werden sie plötzlich wieder<br />

uncool? Gelten in München andere<br />

Dinge und Verhaltensweisen als angesagt<br />

als in Istanbul, in Tokyo oder<br />

in der oberbayerischen Kleinstadt<br />

Pfaffenhofen?<br />

Im MaximiliansForum wurden<br />

die Resultate und offenen Fragen<br />

der künstlerischen Feldforschung<br />

einer interdisziplinären Gruppe der<br />

Akademie der Bildenden Künste<br />

München spielerisch auf die Bühne<br />

gebracht. Performative Interventionen<br />

im Publikum verwischten die<br />

Grenze zwischen Zuschauer und<br />

Darsteller. An der Bar gab es Drinks,<br />

agiert wurde im Lounge Raum und<br />

auf dem Catwalk wurden Stücke<br />

frech inszeniert.<br />

Mit Michaela Andrae, Uli Ball,<br />

Constantin von Canal, Elena Carr,<br />

Babylonia Constantinides, Katharina<br />

Deml, Daniel Door, Alexis Dworsky,<br />

Nora Endrich, Leo Heinik,Teresa<br />

Hörl, Res Ingold, Melanie Kahlke,<br />

Katharina Knaus, Lorenz Mayr,<br />

Sebastian Mayrhofer, Agnes Sowa,<br />

Raphael Weilguni, Lea Wilsdorf,<br />

Franziska Wirtensohn, Michael Wittmann,<br />

Frauke Zabel und Christine<br />

Zehntner.<br />

„Cool Walks & Cooltails“ ist das<br />

zweite Kapitel der dreiteiligen Reihe<br />

„Call it Cool“ im Rahmen des von<br />

der DFG (Deutsche Forschungsgemeinschaft)<br />

geförderten Forschungsrojekts<br />

„From Oriental to<br />

the Cool City - Changing Imaginations<br />

of Istanbul“ an der LMU.<br />

Foto: Alescha Birkenholz<br />

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28<br />

Food for<br />

Thought<br />

Tischgespräch rund um<br />

Essen und Kultur<br />

Wir brachten Experten an einen<br />

Tisch, um die verschiedenen Aspekte<br />

und Rollen des Essens zu diskutieren:<br />

Der Fokus lag auf Menschen,<br />

die Essen machen (Nico Zeilinger),<br />

über Essen schreiben (Patrik Stäbler<br />

und Sebastian Dickhaut) und die<br />

gesellschaftliche Rolle des Essens<br />

erforschen (Asli Duru). Gerade an<br />

den Veränderungen der Esskultur,<br />

die sich meist zuerst im Essverhalten<br />

in den Städten manifestiert,<br />

zeigt wie sehr sich die Gesellschaft<br />

im globalen Wandel befindet. Im<br />

von der Journalistin Evelyn Pschak<br />

moderierten Tischgespräch im Hinblick<br />

auf das Essen in den „<strong>Transforming</strong><br />

<strong>Cities</strong>“ waren folgende Fragen<br />

virulent: Welchen Einfluss hat das<br />

Internet auf die Esskultur einer<br />

Gesellschaft? Wie nimmt ein Restaurant<br />

dem Besucher die Entscheidung<br />

über eine Mahlzeit ab? Wie<br />

kann die Esskultur als Medium für<br />

politischen Aktivismus fungieren?<br />

Foto: Alescha Birkenholz<br />

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oben: Patrik Stäbler, Kochbuchautor und Blogger<br />

unten: Evelyn Pschak, Kunsthistorikerin und Journalistin<br />

Fotos: Alescha Birkenholz<br />

Sebastian Dickhaut, Kochbuchautor und Mitbegründer der<br />

Reihe „Basic Cooking“<br />

Foto: Alescha Birkenholz<br />

Gedanken zum Tischgespräch im<br />

MaximiliansForum<br />

Evelyn Pschak<br />

Allein zu essen ist für einen philosophierenden<br />

Gelehrten ungesund,<br />

glaubt man Kant und seiner<br />

„Anthropologie in pragmatischer<br />

Hinsicht“. Allein zu philosophieren<br />

für den gelehrten Esser aber auch.<br />

Das kann und sollte man nur in<br />

Gemeinschaft tun. Und zwar am<br />

Allerbesten in einer Runde von so<br />

profund in allen Fragen des Kulinarischen<br />

Unterwiesenen wie beim<br />

Dinner Chat im MaximiliansForum:<br />

Die Wissenschaftlerin Asli Duru<br />

hat über Märkte, Nahrungsversorgung<br />

und Food „Activism“ in<br />

Istanbul promoviert und erläuterte<br />

auf dem Podium ihre Definition<br />

von Essen als „Medium politischen<br />

und künstlerischen Ausdrucks im<br />

urbanen Kampf“. Neben ihr erzählte<br />

der Journalist Patrik Stäbler von<br />

seiner Reise per Autostopp durch<br />

die deutsche Provinz, immer auf<br />

der Suche nach außergewöhnlichen<br />

Regionalgerichten und den Hütern<br />

der Rezepte. Wie sehr Essen unsere<br />

Identität prägt, hat Stäbler letztes<br />

Jahr im Buch „Speisende soll man<br />

nicht aufhalten“ festgehalten. Mittig<br />

sitzend durfte ich den Dinner Chat<br />

im MaximiliansForum moderieren,<br />

links neben mir warb Sebastian<br />

Dickhaut – Fernsehkoch, Foodfilmer,<br />

Mitgründer der Zeitschrift DelikatEssen<br />

und Autor von Kochbüchern in<br />

Millionenauflage – für die richtige<br />

Nahrungsaufnahme in der Mittagspause<br />

mit seiner Losung „Mittagessen<br />

ist Luxus. Abends essen<br />

kann jeder“. Und als Gastronom<br />

mit bayerisch-vietnamesischem<br />

Lokal im Glockenbachviertel – Dim<br />

Sum mit Schweinebratenfüllung<br />

steht im „Fei scho“ auf der Speisekarte<br />

– bereicherte Nico Zeilinger<br />

das kulinarische Quartett. Essen<br />

touchiert alles, so ließen sich die<br />

großen Themen nur im Kleinen<br />

streifen: Menschheitsgeschichte, Sozialwesen,<br />

Ethik, Wirtschaft, Kultur,<br />

Biotechnologie, Medizin, Religion.<br />

Dazu jüngste Entwicklungen und<br />

Trends wie Foodie-ismus. Hier sei<br />

eine kleine Quizfrage erlaubt: Wer<br />

weiß, was der Lokavore isst? Nun,<br />

im Gegensatz zum Veganer auch<br />

Fleisch oder Ei, gesetztenfalls, das<br />

Lebensmittel stammt aus lokaler<br />

oder regionaler Produktion und verspricht<br />

so eine gute Ökobilanz. Im<br />

Gespräch wurde diskutiert, wie Essen<br />

das Stadtbild beeinflusst. Oder<br />

warum jeder bayerische Spezialitäten<br />

kennt, aber keiner ein Gericht<br />

aus Mecklenburg-Vorpommern.<br />

Was das über Identität aussagt. Ob<br />

in der Konsequenz „fusion food“<br />

eigentlich nur „confusion“ anrichtet,<br />

metaphorisch und auf dem Teller.<br />

Und ob Essen tatsächlich Menschen<br />

näher zusammen bringt. Oder ob<br />

regionale, beziehungsweise internationale<br />

Unterschiede der Küche<br />

nicht eher betonen, wie wenig man<br />

den anderen kennt und versteht. Es<br />

wurde auch angedacht, Raupen aufs<br />

„Fei Scho“-Menü zu bringen, allein<br />

schon wegen ihres hohen Proteinund<br />

Eisengehalts sowie die Tatsache,<br />

dass essbare Insekten ohne<br />

der Umwelt zu schaden gezüchtet<br />

werden könnten (Nico Zeilinger<br />

lehnte diesen Vorschlag allerdings<br />

rundweg ab). Dabei gehörten doch<br />

schon vor vier Millionen Jahren<br />

Insekten, Eier, Früchte, Kräuter und<br />

Samen zu den ersten Nahrungsmitteln<br />

des Vormenschen in Afrika. Erst<br />

vor zwei Millionen Jahren reicherte<br />

der Australopithecus – als erster<br />

geschickter, Werkzeuge meisternder<br />

Mensch – den Speiseplan um<br />

Mitte: Asli Duru, wissenschaftliche Mitarbeiterin der LMU<br />

mit den Forschungsschwerpunkten u.a.: Esskultur und<br />

Urbanistik<br />

Unten: Nico Zeillinger, Gastronom und Leiter des<br />

bayrisch-vietnamesischen Restaurants<br />

„Fei Scho“ in München<br />

Fotos: Alescha Birkenholz<br />

Eidechsen, Flusspferde und Stachelschweine<br />

an. Die ersten Erdöfen vor<br />

27 000 Jahren, die Gärten Hinterindiens<br />

mit Feldern von Gurken, Erbsen<br />

oder Reis vor 20 000 Jahren, die<br />

erste kultivierte Gerste in Ägypten um<br />

15 000 vor Christus. Der erste Angler,<br />

3000 Jahre später in Südafrika.<br />

Und der erste Kochtopf um 10 000<br />

vor Christus. Um 4000 vor Christus<br />

werden auf Sumerischen Tafeln die<br />

ersten Köche erwähnt. Und im Lex<br />

Almanorum, dem Alemannenrecht<br />

aus dem frühen 7. Jahrhundert,<br />

wurde der Preis für ein verlorenes<br />

kulinarisches Leben festgemacht:<br />

„Wenn ein Koch, der einen Jungen<br />

oder Gehilfen hat, oder ein Bäcker<br />

getötet wird, so büßt der Täter den<br />

selben mit 40 Sol.“ Von hier bis zum<br />

à-la-carte Menu Escoffiers um 1900<br />

oder zur molekularen Gastronomie<br />

Ende des 2. Jahrtausends – nur<br />

ein Katzensprung. Wo wohl alles<br />

hinführt? Lieber Herr Zeilinger,<br />

bestimmt zu den Insekten! Es wäre<br />

schließlich nicht das erste Mal, dass<br />

Geschichte sich wiederholt.<br />

36 37


https://www.facebook.com/pages/Antikapitalist-Müslümanlar/280005652143475<br />

Politische und ethische<br />

„foodscapes“ in Istanbul<br />

Asli Duru<br />

Essen ist Teil der Infrastruktur und<br />

der öffentlichen Ressourcen einer<br />

Stadt und kulinarische Schauplätze<br />

können als politisch besetzte Orte<br />

im Stadtbild gesehen werden.<br />

Raumgestaltung, formale Vorschriften<br />

und kulturelle Konventionen<br />

prägen die Art und Weise wie<br />

Lebensmittel und Essen einzelne Ernährungszyklen<br />

mit Bauformen und<br />

der politischen Ökonomie in den<br />

Städten in Verbindung bringen.<br />

Der Zugang zu Essen in der Stadt<br />

kann im Allgemeinen als die Verfügbarkeit<br />

und Erschwinglichkeit von<br />

bestimmten Produkten, bestimmten<br />

Orten und bestimmten Methoden<br />

des Austauschs des Essens, dessen<br />

Anbau, den Einkauf und die<br />

Verteilung von Lebensmitteln auf<br />

individuelle oder kollektive Weise<br />

beschrieben werden.<br />

Ein solcher Ansatz der koexistierenden,<br />

kulinarischen Esskulturen<br />

einer Stadt erfordert ein kritisches<br />

Verständnis der politischen Konsequenzen,<br />

die durch den symbolischen<br />

und materiellen Kreislauf<br />

von Lebensmitteln im Stadtraum<br />

entstehen.<br />

Die „Erde Iftar“ oder die kommunalen,<br />

fastenbrechenden Mahlzeiten,<br />

die in Istanbul in den letzten zwei<br />

Jahren seit dem Aufstand von 2013<br />

stattfanden, stellen einen solchen<br />

Kontext dar, in dem sie die vielfältigen<br />

und oft widersprüchlichen sozialen,<br />

emotionalen, materiellen und<br />

ethischen Faktoren, die die Essensund<br />

Ernährungsgewohnheiten mit<br />

der Vorstellung, der Ausübung und<br />

der Rückeroberung einer andersartigen<br />

und integrativen Stadtpolitik<br />

miteinander in Einklang bringen.<br />

Essen zirkuliert im Verdauungssystem,<br />

in Supermärkten, auf den<br />

Esstischen, in Schulkantinen, auf<br />

Festen, in Ritualen und im Fernsehen<br />

bei der Entstehung unseres körperlichen<br />

und sozialen, politischen,<br />

und unseres wandelbaren Selbst.<br />

Als Stadtbewohner ist unsere Erfahrung<br />

von Essen stark ortsabhängig<br />

und das Stadtbild wird durch unsere<br />

alltäglichen und lebenslangen Praktiken<br />

des Essens und der Ernährung<br />

gestaltet und umgestaltet. Ein individuelles<br />

Essensumfeld bezieht sich<br />

auf alle bestehenden, vergangenen<br />

und imaginären Orte, in denen unsere<br />

regelmäßigen, gelegentlichen,<br />

kollektiven und/oder individuellen<br />

Praktiken und Rituale des Essens<br />

und der Ernährung stattfinden. Die<br />

Stadt spielt eine Schlüsselrolle in<br />

der Entstehung von individuellen,<br />

kulinarischen Umgebungen und im<br />

Gegenzug sind Essgewohnheiten<br />

Teil des Verständnisses und der<br />

Praxis von uns selbst als politische<br />

Einheiten.<br />

Individuelle kulinarische Umgebungen<br />

entstehen, wo kulturelle<br />

und soziale Codes und Normen mit<br />

hochindividualisierten, körperlichen,<br />

emotionalen und spirituellen Verbindungen<br />

mit Essen und Ernährung<br />

vernetzt sind und kontinuierlich<br />

nachjustiert werden. Fasten während<br />

des islamischen Fastenmonats<br />

Ramadan stellt eine spezifische,<br />

ethische Praxis des (Nicht-)Essens<br />

dar. Während des Ramadan kommt<br />

die selbstgewählte Abstinenz von<br />

Essen und Trinken während des<br />

Tages mit dem „Iftar“, wie das<br />

fastenbrechende Essen nach Sonnenuntergang<br />

genannt wird, zu<br />

einem Ende. Fasten kann im Allgemeinen<br />

als körperlicher Ausdruck<br />

des Selbst verstanden werden, das<br />

auf die körperliche Abhängigkeit<br />

von Nahrung als überlebenswichtig<br />

abzielt. Der fastende Körper stellt<br />

in diesem Fall das Medium dar, das<br />

auf (spirituelle) Nahrung in Form<br />

von Kalorienaufnahme verzichtet<br />

und das Verfahren stellt gleichzeitig<br />

die symbolische, performative und<br />

transformative Beziehung zwischen<br />

Nahrung und (Körper-)Raum dar.<br />

Trotz der ethischen und rituellen<br />

Isolierung des fastenden Körpers<br />

während des Tages ist die fastenbrechende<br />

Mahlzeit auch eine Zeit der<br />

Re-Sozialisierung und signalisiert<br />

den Beginn des kollektiven Teils des<br />

Fastenrituals.<br />

In vielen islamischen Kontexten<br />

wird das „Iftar” zu einem Medium,<br />

das den Gemeinschaftssinn<br />

unterstreicht: in Form von „Iftar”-<br />

Versammlungen in privaten sowie<br />

öffentlichen Einrichtungen. Seit<br />

Mitte der 1990er Jahre stellen die<br />

„Iftars” ein gängiges Beispiel für<br />

öffentliche fastenbrechende Mahlzeiten<br />

in Istanbul und vielen anderen<br />

türkischen Städten dar. Während<br />

des Ramadan stellen die Gemeinden<br />

Zelte auf oder organisieren<br />

Open-Air-Tafeln, um kostenlose<br />

„Iftars” in den zentral gelegenen<br />

Gebieten rund um Istanbul anzubieten.<br />

Trotz der zunehmenden Anzahl<br />

und Popularität der kostenlos angebotenen<br />

und leicht zugänglichen<br />

fastenbrechenden Mahlzeiten, die<br />

nur von durchschnittlicher Qualität<br />

sind, hat sich das Konzept der<br />

kommunalen „Iftars” vor allem<br />

in den Wohnvierteln der unteren<br />

Mittelschicht mehr in Richtung<br />

interkommunalen Wettbewerb<br />

und politischen Populismus entwickelt,<br />

besonders wenn sogenannte<br />

„After-Iftar“-Zusatzveranstaltungen<br />

angeboten werden, die der politischen<br />

Unterhaltung dienen, wie<br />

zum Beispiel Shows und Vorträge.<br />

Obwohl es sich um ein innovatives,<br />

kommunales Design handelt, das<br />

den Weg zu einer hybriden städtischen<br />

Esskultur geebnet hat, ist das<br />

„Iftar“-Zelt ein hoch politisierter Ort,<br />

an dem religiöse, klassenbasierte<br />

und Geschlechterhierarchien deutlich<br />

werden und weiter wiedergegeben<br />

werden. Ein sichtbarer Aspekt<br />

dessen ist, dass das Zelt einen<br />

männlich dominierten öffentlichen<br />

Raum darstellt. Unabhängig von der<br />

islamischen und/oder traditionellen,<br />

geschlechterspezifischen Sitzordnung<br />

in manchen „Iftar”-Zelten, gibt<br />

es für Frauen und Kinder deutlich<br />

weniger Sitzmöglichkeiten, Tische<br />

und Gelegenheiten sich anzustellen.<br />

Das kommunale „Iftar” ist auch ein<br />

hierarchischer Ort innerhalb der<br />

Stadt, an dem der sunnitisch-islamische<br />

Glaube und dessen Praxis eine<br />

bestimmte (Sunniten-)Beziehung zu<br />

Essen, Ernährung, Moral und Spiritualität<br />

verbreitet.<br />

Die „Erde Iftar” ist eine gemeinschaftliche,<br />

alternative, aktivistische,<br />

fastenbrechende Veranstaltung, die<br />

viel öffentliche Aufmerksamkeit,<br />

Unterstützung und Beteiligung vor<br />

allem während des Jahres 2013,<br />

dem Jahr der Demonstrationen,<br />

und in der Zeit nach der Gezi Park-<br />

Besetzung, erzielt hat. „Erde Iftars”<br />

wurde zuerst von einer antikapitalistischen,<br />

muslimischen Aktivistengruppe<br />

initiiert und bezieht sich im<br />

einfachsten Sinne auf Menschen,<br />

die sich an den Straßen entlang zu<br />

einer „Bring-your-own“ / Bringeund-Teile-Deine-Iftar-Mahlzeit-<br />

Aktion<br />

zusammenfinden. Aktivistische<br />

„Straßeniftars” wurden auch schon<br />

vor 2013 initiiert, waren aber kleiner<br />

und waren die Gegenreaktion<br />

auf die populistischen, hierarchischen<br />

Abendessenveranstaltungen,<br />

sogenannte „Ramadan-Spektakel“<br />

der islamischen Elite, die offiziellen,<br />

halboffiziellen, geschlossenen<br />

und offenen und quasi-politischen<br />

Dinner-Parties, die während des<br />

Ramadan veranstaltet wurden. Die<br />

„Erde Iftar” kann im Großen und<br />

Ganzen als Graswurzelbewegung<br />

mit islamischen und nicht-islamischen<br />

Motiven beschrieben werden,<br />

die für Einbeziehung, Geselligkeit<br />

und Solidarität stehen und sich<br />

gegen politische Korruption, Gewalt<br />

und Hierarchien richten. Die<br />

Veranstaltung war sowohl letztes<br />

als auch in diesem Jahr mehrere<br />

hundert Meter lang und fand in der<br />

Fußgängerzone von Istanbul statt.<br />

Sie wurde an jedem Tag des Ramadan<br />

in einer anderen Nachbarschaft<br />

organisiert. Die Rückeroberung<br />

des Fastenbrechen-Rituals durch<br />

die „Erde Iftar” hat zu einer neuen<br />

kulinarischen Umgebung innerhalb<br />

des Stadtraumes geführt, wo eine<br />

stark politisierte und multi-ethische<br />

Esskultur stattfindet, um Widerstand<br />

zu leisten. Dabei werden die Hierarchien,<br />

wer die Tische deckt, wo<br />

sie gedeckt werden und für wen sie<br />

gedeckt werden, umkehrt.<br />

38 39


Carl Oesterhelt mit Peter Brombacher<br />

(Stimme), Sachiko Hara<br />

(Piano), Mathis Mayr (Violoncello),<br />

Stefan Schreiber (Bassklarinette),<br />

Anton Kaun (Noise) und Carl<br />

Oesterhelt (Metallophon, Indisches<br />

Harmonium)<br />

Carl Osterhelt stimmte das Lied<br />

der Täuschungen an, ein für das<br />

MaximiliansForum und die Reihe<br />

<strong>Transforming</strong> <strong>Cities</strong> komponiertes<br />

Konzert zwischen Neurasthenie, Romantik,<br />

Depression, Aggression und<br />

Verzweiflung, verstärkt durch Texte<br />

von Emil M. Cioran und Noisemusik<br />

von Anton Kaun.<br />

4<br />

Lied der<br />

Täuschungen<br />

Peter Brombacher, Sachiko Hara, Mathis Mayr,<br />

Carl Oesterhelt, Stefan Schreiber, Anton Kaun (v.l.n.r.)<br />

Foto: Yves Krier<br />

40 41


Carl Oesterhelt<br />

Foto: Yves Krier<br />

Dirk Wagner<br />

über Carl Oesterhelt<br />

„Mehr als vierhundert Interessierte<br />

hat meine Musik eh nie<br />

erreicht“, begründet der Münchner<br />

Komponist und Musiker<br />

Carl Oesterhelt den Verzicht auf<br />

einen Vertrieb für sein eigenes<br />

Label „The Society Of Dilettanti“,<br />

das neben anderen auch jene<br />

Kompositionen von Oesterhelt<br />

veröffentlicht, die der Autodidakt<br />

mit dem Münchner Rundfunkorchester<br />

eingespielt hat.<br />

Dass der Mann, der mit seiner<br />

Musik angeblich nie mehr als<br />

vierhundert Interessierte erreicht,<br />

unter anderem auch den<br />

Hörspielpreis der Kriegsblinden<br />

für eine Zusammenarbeit mit<br />

Michaela Melián erhielt, verschweigt<br />

er nicht etwa aus Bescheidenheit.<br />

Vielmehr geraten<br />

solche Wertschätzungen seines<br />

Œuvres leicht aus seinem<br />

Blickfeld, das zu sehr vorwärts<br />

gerichtet ist, um sich mit der<br />

Archivierung seiner bisherigen<br />

Errungenschaften aufzuhalten. Es<br />

wundert darum geradezu, wenn<br />

eine Publikation auf „The Society<br />

Of Dilettanti“ dann ausgerechnet<br />

den doch rückwärts gewandten<br />

Titel „Retrospektive“ trägt. Neben<br />

besagten Kompositionen für das<br />

Rundfunkorchester sind in jener<br />

Retrospektive auch Arbeiten zu<br />

hören, die Oesterhelt mit Unterstützung<br />

der Münchner Kammerspiele<br />

entwickelte. „Das war ein großes<br />

Glück für mich, weil deren Intendant<br />

Johan Simons der einzige ist,<br />

der mir erlaubt, mit einem riesen<br />

Ensemble zu arbeiten,“ resümiert<br />

Oesterhelt seine Arbeit als Musiker<br />

und Komponist in den Kammerspielen,<br />

die aus einer Zusammenarbeit<br />

mit Schorsch Kamerun hervorging,<br />

jenem Sänger der Goldenen Zitronen<br />

also, dessen kreatives Schaffen<br />

sich über die Jahre auch immer<br />

mehr auf die Theaterarbeit verlagert<br />

hatte. „Carl ist ja großartig für so<br />

eine Art Zwanziger Jahre-Kunstlied,<br />

das dann vielleicht noch in Form<br />

von Terry Riley oder Philipp Glass<br />

in den Sechzigern wieder aufkam.“,<br />

schwärmt Schorsch Kamerun.<br />

Allerdings muss sich solches „Art<br />

Zwanziger Jahre-Kunstlied“ dann<br />

auch die Frage gefallen lassen, ob<br />

es ein knappes Jahrhundert später<br />

immer noch dessen einstige Provokanz<br />

besitzt, mit der es vorwärts<br />

gerichtet verkrustete Strukturen<br />

aufbrechen wollte, oder ob solche<br />

Neuauflage von Berg, Webern oder<br />

Strauss am Ende nicht die einstige<br />

Avantgarde zur heutigen Nostalgie<br />

verklärt. Kitzelt die Spitze am Ende<br />

nur noch, wo sie einst so forsch zu<br />

stechen wusste? Ist sie am Ende<br />

auch nur, was Hermann Hesse der<br />

Musik von Richard Strauss vorwarf:<br />

„virtuos, raffiniert, voll handwerklicher<br />

Schönheit, aber ohne Zentrum,<br />

nur Selbstzweck“? Das wäre wohl<br />

das Unverschämteste, was man<br />

Oesterhelts Kompositionen nachsagen<br />

kann, die ja eben nicht handwerklich<br />

schön sein wollen. Mit der<br />

Meidung jedweder Harmoniesucht<br />

positioniert Oesterhelt sich vielmehr<br />

in einer Gesellschaft, in der sogar<br />

Sozialdemokraten jedes Klassenbewusstsein<br />

abschaffen wollten: „Es<br />

gibt keine Schichten,“ sagte etwa<br />

Müntefering von der SPD 2006 und<br />

Foto: Yves Krier<br />

42 43


schuf mit solcher Negierung von<br />

Schichten erfolgreich die Unterschicht<br />

ab. Also sprachlich, nicht<br />

politisch, wohlgemerkt. Zusammen<br />

mit Schorsch Kamerun antwortete<br />

Oesterhelt 2009 mit einem „Konzert<br />

zur Revolution“ und erinnert<br />

mit Texten von Oskar Maria Graf,<br />

Ernst Toller, Erich Mühsam, Kurt<br />

Tucholsky und weiteren Zeitzeugen<br />

und Visionären an Möglichkeiten,<br />

die seit 1927 ungenutzt blieben, die<br />

Oesterhelt aber nun wenigstens<br />

wieder musikalisch aufgreift. Nicht<br />

der Nostalgie wegen, sondern um<br />

wieder Visionen zu schaffen. Denn<br />

wirklich aufbegehrend empfindet<br />

Oesterhelt, der als Schlagzeuger<br />

auch in Pop- und Rockformationen<br />

wie The Merricks, MS John Soda<br />

oder Freiwillige Selbstkontrolle<br />

mitspielte und mitspielt, einen<br />

vermeintlich zeitgemäßeren Punkrock<br />

auch nicht: „Mir ist nicht klar,<br />

warum die Punkrocker alle nicht<br />

aufhören wollen,“ lästert er über<br />

eine gealterte Jugendkultur, die so<br />

tut, als sei der Rollator, auf dem<br />

sie sich mittlerweile stützt, auch<br />

nichts anderes als ein Skateboard,<br />

auf dem sie forever young durchs<br />

Nachtleben brettert. Dieses Nachtleben<br />

hat Oesterhelt wahrscheinlich<br />

nie wirklich interessiert. Stattdessen<br />

fuhr er schon früher mit einem<br />

Aufnahmegerät zu verschiedenen<br />

Musikern, die er unabhängig voneinander<br />

Teile seiner Kompositionen<br />

auf ihren Instrumenten einspielen<br />

ließ. Am Computer mischte Oesterhelt<br />

dann alle Aufnahmen zu einer<br />

Musik, die er als Carlo Fashion<br />

veröffentlichte, weil er sie gleich<br />

einem Modeschöpfer mehr kreierte<br />

und zuschnitt. Nachdem die letzte<br />

Veröffentlichung als Carlo Fashion<br />

„Requiem“ hieß, würde es nur noch<br />

einen weiteren Nachtrag geben, an<br />

dem er bereits arbeitet, verrät Carl<br />

Oesterhelt: „Staub“. Die Möglichkeit<br />

einer Wiederauferstehung ignoriert<br />

der weltliche Komponist, der Akzente<br />

in die Vergänglichkeit setzt,<br />

statt Wegweiser für die Ewigkeit<br />

zu schaffen. Der Ewigkeit gehören<br />

ohnehin mehr die Grabsteine<br />

als die Wegweiser. Entsprechend<br />

verschwinden Oesterhelts Kompositionen<br />

häufig nach einer einzigen<br />

Aufführung. Bestenfalls auf Tonträgern<br />

mag man sie zumindest<br />

ausschnittsweise noch dokumentieren.<br />

Das Augenmerk des Kreativen<br />

richtet sich derweil schon auf neue<br />

Projekte: auf die Einladung der<br />

Krautrock-Legende Hans Joachim<br />

Irmler von der Band Faust in dessen<br />

Klangbadstudio zum Beispiel, oder<br />

auf die Zusammenarbeit mit dem in<br />

München wohnenden Krachkünstler<br />

Anton Kaun für das MaximiliansForum.<br />

Nicht selten probt Oesterhelt<br />

mit einem Ensemble wochenlang<br />

für eine einzige Aufführung: „Ich liebe<br />

es, nur einmal aufzuführen.“ Weil<br />

zumindest die auf seinem eigenen<br />

Label veröffentlichten Dokumente<br />

aber nicht über einen Vertrieb erhältlich<br />

sind, muss man sie übrigens<br />

auf Konzerten von Carl Oesterhelt<br />

kaufen, oder im befreundeten<br />

Schallplattenladen Optimal in der<br />

Kolosseumstraße 6, 80469 München<br />

(Tel.: 089 268185), mit dem Oesterhelt<br />

ein leider aus der Mode gekommenes<br />

Klassenbewusstsein eint.<br />

Carl Oesterhelt und Anton Kaun (v.l.n.r.)<br />

Foto: Yves Krier<br />

44 45


Anna McCarthy und Manuela Rzytki (v.l.n.r.)<br />

Foto: Yves Krier<br />

05<br />

How to<br />

start a<br />

revolution<br />

Anna McCarthy<br />

Mit Tom Wu (Schlagzeug, Percussion),<br />

Antenne Danger (Fake Flügel),<br />

Tagar (Gitarre, Störgeräusche),<br />

Manuela Rzytki (Gesang, Tanz), Joe<br />

Masi (Sound), Anton Kaun (Licht),<br />

und in virtueller Realität: Die Bored<br />

Rebels<br />

Ausgehend von ihrem facettenreichen,<br />

augenzwinkernden Langzeitprojekt<br />

„How to Start a Revolution“,<br />

das sich mit der Romantisierung<br />

und den synästhetischen Manipulationstaktiken<br />

von Revolution, Rebellion<br />

und zeitgenössischer Geschichte<br />

befasst, schafft Anna McCarthy<br />

eine Musical-Adaption ihres Mikro-<br />

Kosmos. Es verschmelzen Fakt und<br />

Fiktion, unterschiedliche Ebenen<br />

tun sich auf, endlose Übertragungen<br />

finden statt, um Szenarien zu<br />

schaffen, die den Betrachter und<br />

seine Wahrnehmung von Wirklichkeit<br />

zunehmend verwirren. „How to<br />

Start a Revolution“ hat sich bislang<br />

in Festnahmen, Archiven, Filmen,<br />

Fotos und Liedern manifestiert; jetzt<br />

ist die Zeit reif für die ultimative, romantische<br />

Geste: Das How to Start<br />

a Revolution-Musical. Tanz, Gesang,<br />

Geschrei und Gelächter angesichts<br />

der Frage: Wie spät ist es? Es ist<br />

eine Prophezeiung, ein poetisches<br />

Pop-Spektakel.<br />

46 47


“As Coroner I must aver,<br />

I thoroughly examined<br />

her. And she’s not only<br />

merely dead, she’s really<br />

most sincerely dead.”<br />

“What ever happened to<br />

The gang that I once knew?<br />

The gang who said it’d be<br />

true<br />

Oh, what happened to<br />

The light I gave to you<br />

What will I do with it now?”<br />

“Well, that really is very<br />

interesting,<br />

and in colour too.<br />

But you wouldn’t believe it<br />

if I didn’t know better...<br />

That that wasn’t all!”<br />

“He was a daddy long legs...<br />

“Whatever you do,<br />

do not mix the colors”<br />

“Come all ye young rebels,<br />

and list while I sing.<br />

For the love of one’s country<br />

is a terrible thing.”<br />

“Gold is on the rise,<br />

the markets are white not black<br />

Fresh meat from fat farmers<br />

for fresh faced youngsters.<br />

Their look unto the world is a rose-tinted one<br />

The wars going on on TV<br />

and the Internet are entertaining,<br />

at most a burden.<br />

Trips with a troll on cheap airlines<br />

are taken from time to time<br />

Only to realise that home is the only place<br />

where cheeks are rosy<br />

like your mama’s tea cosy”<br />

I got a book daddy,<br />

I’m gonna kill you daddy,<br />

if you don’t stop daddy...”<br />

“M: Could this be heaven daddy ?<br />

A: I think you better<br />

watch out little one.<br />

It looks like there’s a storm a<br />

brewing out yonder.<br />

It’s coming our way.<br />

Look at dem doves fly.<br />

You better grab your little doggy<br />

and bring em inside, ya hear ?”<br />

Oben: Tom Wu, Tagar, Anna McCarthy, Manuela Rzytki,<br />

Anette Danger (v.l.n.r.)<br />

Unten: unten: Tagar, Anna McCarthy, Manuela Rzytki (v.l.n.r.)<br />

Fotos: Yves Krier<br />

“Believing that you are bad, you<br />

make everybody sad,<br />

but you are a silly lad, you dog<br />

gone hooligan...<br />

Hooligan stay in your bed, hooligan,<br />

one onze a let,<br />

hooligan we’ll make your skin quill.”<br />

48 49


"Cos I just love your brain (...) "<br />

“I got me a gun<br />

and I don’t know<br />

how to use it<br />

hold my hand,<br />

close your eyes,<br />

I will abuse it.”<br />

“...Remember,<br />

walking in the sand. Remember,<br />

walking hand in hand...”<br />

“I’m the leader of the gang<br />

I am...”<br />

Anna McCarthy<br />

Foto: Yves Krier<br />

“They were glorious years<br />

upon which I can look back at<br />

“A brief overview of these<br />

three past generations,<br />

starting with the<br />

IRA, going on to Dylanesque<br />

hippie critiquey and<br />

ricochet back atcha to the<br />

with wonder, respect and awe<br />

and tell my children and future<br />

grandchildren about.<br />

Rest Sweet Rest.”<br />

present day aka NOW all<br />

packed into one jammy<br />

folk song!<br />

Ready ?....Ready!”<br />

Tagar, Anna McCarthy, Manuela<br />

Rzytki (v.l.n.r.)<br />

Foto: Yves Krier<br />

“REBELS, CHEAP AS W/ CHIPS ...”<br />

“Sorry, these rebels are<br />

no longer available in<br />

Tagar an der E-Gitarre<br />

Foto: Yves Krier<br />

your country.”<br />

50 51


Setting „Mycel“ im MaximiliansForum<br />

Foto: Alescha Birkenholz<br />

Musikperformance in vier Akten<br />

11<br />

Konzept: Benedikt Brachtel<br />

Komponisten: Gabriel Hahn,<br />

Lukas Rabe und Benedikt Brachtel<br />

Ausstattung: Claudia Irro,<br />

Stefan Britze.<br />

Mitwirkende: Gabriel Hahn,<br />

Lukas Rabe, Maximilian Lange,<br />

Daniel Hermann-Collini, Konrad<br />

Wehrmeister, Lukas Biehler, Tilman<br />

Porschütz, David Goldberg u.a.<br />

MYCEL<br />

52 53


Foto: Alescha Birkenholz<br />

Foto: Alescha Birkenholz<br />

Das MaximiliansForum wurde im<br />

Juli zu einem experimentellen<br />

Musikproduktionsort für ein großes<br />

Netzwerk Münchner Musiker,<br />

Medienkünstler und Musikschaffender.<br />

„MYCEL“ ist eine Multikanal-<br />

Musikperformance in vier Akten. Für<br />

vier Abende im Juli wurden gezielt<br />

Stücke und Spielanweisungen geschrieben<br />

und live von Performern<br />

im MaximiliansForum aufgeführt.<br />

Die Live-Performances wurden<br />

aufgezeichnet und bis zum nächsten<br />

Akt bzw. Abend in der Installation<br />

zwei Mal täglich ausgestrahlt.<br />

Der Begriff Mycel ist der Botanik<br />

entlehnt. Im allgemeinen Sprachgebrauch<br />

werden als Pilze nur die<br />

sichtbaren Fruchtkörper bezeichnet.<br />

Der eigentliche Pilz ist jedoch das<br />

feine, meist unsichtbare Geflecht<br />

im Boden. Dieses Geflecht finden<br />

wir nahezu überall, z.B. Mycel der<br />

Informationen, der Menschen, der<br />

Musik.<br />

„MYCEL“ bewegte sich auf all diesen<br />

Ebenen, schaffte vertikale und<br />

horizontale Verbindungen, kausale<br />

Abhängigkeiten, die die künstlerische<br />

Auseinandersetzung mit den<br />

Themenkomplexen evozieren. An<br />

vier Abenden wurden stichpunktartig<br />

musikevolutionäre Zustände der<br />

Historie aufgegriffen und kreativ<br />

verarbeitet. Die Musiker kommunizierten<br />

über ein Netzwerk, welches<br />

durch das jeweils veränderte<br />

akustische Setting, durch verschiedene<br />

Spielweisen der Kompositionen<br />

sowie in der mobilen Raumund<br />

Bühnengestaltung dargestellt<br />

wurde.<br />

Welcher Prozess steht hinter einem<br />

fertigen Produkt, wie etwa<br />

einem musikalischen Werk, welche<br />

Rolle spielt die Musik heute in der<br />

Gesellschaft und welchen Standpunkt<br />

nimmt dabei der Rezipient<br />

ein? Basierend auf dem szenisch/<br />

dramaturgischen Konzept „MYCEL“<br />

schrieben Gabriel Hahn, Lukas<br />

Rabe und Benedikt Brachtel (GTA<br />

Hoffmann) die Musik der ersten drei<br />

Abende für jeweils acht Performer.<br />

Am vierten Abend (26.7.) wurden<br />

die vorangegangenen Aufnahmen<br />

von Maxim Wolzyn und Musikern<br />

des SVS Kollektivs re-organisiert,<br />

collagiert, geremixed.<br />

Foto: Elisabeth Hartung<br />

54 55


Niklas Barth über „Mycel“<br />

„Mycel“ ist eine Musikperformance<br />

in vier Akten über das Wuchern der<br />

Musik. Vom 11.-26. Juli 2014 verwandelten<br />

die Musiker und Komponisten<br />

des Künstlerkollektivs SVS<br />

– Selbstversorgersound das MaximiliansForum<br />

in ein serielles Echtzeit-Experiment,<br />

das Elemente des<br />

Konzerts, des Theatralen, sowie der<br />

Installation miteinander verketteten.<br />

Die vier Live-Performance-Abende<br />

führten dabei historisch-evolutionäre<br />

Konfigurationen von Gesellschaft<br />

und Musik vor und machten sie in<br />

einer interaktiven Rauminstallation<br />

direkt erfahrbar. Das Mycel ist dabei<br />

nicht schlicht eine Generalmetapher,<br />

sondern der Akt des Vernetzens<br />

selbst. Es ist die Logik des szenischdramaturgischen<br />

Konzepts, für das<br />

sich Benedikt Brachtel sowie Claudia<br />

Irro und Stefan Britze verantwortlich<br />

zeigen. Als botanischer Begriff bezeichnet<br />

es das unsichtbare und fein<br />

verästelte Pilzgeflecht im Boden.<br />

Hier ist jeder Punkt rhizomatisch mit<br />

allen anderen vernetzt, bleibt aber<br />

dennoch heterogen für sich bestehen.<br />

Als philosophischer Begriff ist<br />

das Rhizom zwar längst zum Gassenhauer<br />

verkommen, seine Pointe<br />

hat man jedoch oft verkannt: Man<br />

kann es nur „machen“.<br />

Gabriel Hahn, Lukas Rabe und<br />

Benedikt Brachtel haben die Musik<br />

für die ersten drei Akte komponiert.<br />

Bei diesen szenischen Abenden<br />

kommunizierten je acht Performer<br />

in einem Raum-Netzwerk, das sich<br />

durch ein variables akustisches<br />

Setting (24-Kanal Spatialisierung<br />

konfiguriert durch Paul Oomen,<br />

4DSOUND), die Kompositionen<br />

sowie die transformative Bühnengestaltung<br />

selbst immer wieder<br />

neu anordnete. Das Publikum floss<br />

durch dieses Netzwerk hindurch und<br />

knüpfte sich über den ihm eigenen<br />

Hörwinkel seine individuelle Soundstruktur.<br />

Die vier Abende variierten<br />

dabei stets ihr Thema der Konstellation<br />

von musikalischer Produktion<br />

und deren Rezeption. Im ersten Akt<br />

ertönen die Sphärenklänge von<br />

Planetenumlaufbahnfrequenzen.<br />

Non-intentional music: Über experimentell-akustische<br />

Instrumente<br />

und I-Ging-Synthesizer rauscht eine<br />

natürlich-mystische Struktur durch<br />

die Performer hindurch. Im Spiel<br />

von Kosmos und Kontingenz wird<br />

klangliche Natur mimetisch abgebildet.<br />

Aus dem Klang als Ereignis<br />

formen sich tonale Spannungsfelder,<br />

aus dem Rhythmus dieser<br />

klingenden Sphären entsteht das<br />

Ritual einer sich selbst bewusst werdenden<br />

mythischen Gemeinschaft.<br />

Der zweite Akt verortet die Musik<br />

im klassischen Spannungsfeld<br />

von wirtschaftlicher Abhängigkeit,<br />

sozialer Funktion und künstlerischer<br />

Autonomie. Die natürlich-rauschenden<br />

tonalen Formen verdichten sich<br />

in kulturellen Orten. Sie werden<br />

gleichzeitig ästhetisch autark sowie<br />

Träger gesellschaftlicher Selbststellungsversuche.<br />

Die Musik wird konzertant<br />

und zum theatralen Ereignis.<br />

Im choreographierten Spiel von<br />

Bühne und Publikum, von tonalen<br />

und sozialen Spannungsverhältnissen<br />

eröffnet sich ein Raum, in dem<br />

die Musik als reine Emotion frei<br />

flottiert. Über Vokalpolyphonie und<br />

Kammermusik im digitalen Processing<br />

empfängt das Publikum nun<br />

ihre Stimmungen. Ihr Sinn ist der<br />

Sinn einer Aufführung, ihr Zweck<br />

ihre soziale Wirkung. Der dritte<br />

Akt schreibt diese Kristallisationsprozesse<br />

fort. Die tonale Ur-Masse<br />

erstarrt zu einem monolithischen<br />

Installationsklumpen im Zentrum<br />

des Mycels. Dabei entledigt sie sich<br />

ihrer Funktionalität. Die Moderne<br />

erreicht ihren Gipfel der Selbstbezüglichkeit<br />

und schwingt sich auf in<br />

die Höhen der Abstraktion, wenn sie<br />

die Tonalität des Tons selbst feiert. In<br />

einer Midi-Suite für acht monophone<br />

Synthesizer erkauft sie sich die<br />

Gleichberechtigung aller Töne durch<br />

den metaphorischen Ausschluss des<br />

Publikums.<br />

Der vierte und letzte Akt spielt nun<br />

in unserer breiten Gegenwart, die<br />

durch die Gleichzeitigkeit alles Abwesenden<br />

geprägt ist. Wir sind aus<br />

der Zeit der allgemein geltenden<br />

Formen heraus. Gerade deshalb ist<br />

unsere Zeit aber auch die der Intensitäten<br />

und Präsenzen, der temporären<br />

Assoziationen, der geloopten<br />

Rhythmen und der nur flüchtigen<br />

Geräusche. An diesem Abend<br />

werden die vorausgegangenen<br />

Aufnahmen von Maxim Wolzyn und<br />

Musikern des SVS-Kollektivs reorganisiert,<br />

collagiert und geremixed.<br />

Im Tanz verschaltet sich Wissen und<br />

Ekstase. Die starre lineare Form<br />

multipliziert sich zu einem Raum im<br />

Raum: das MaximiliansForum wird<br />

zum Club. Multikanal-Techno von<br />

Null auf Hundert in drei Stunden.<br />

Oben:<br />

Eine Tänzerin von„Mycel“<br />

Unten:<br />

Besucher während einer der<br />

vier Akte von „Mycel“<br />

Fotos: Alescha Birkenholz<br />

56 57


Foto: Vivi D‘Angelo<br />

Eine Ausstellung von Monika Huber,<br />

ein Vortrag von Heinz Schütz und<br />

ein Gespräch zwischen<br />

Ulrich Wilmes und der Künstlerin<br />

Die Münchner Künstlerin Monika<br />

Huber präsentierte im Kontext der<br />

Reihe „<strong>Transforming</strong> <strong>Cities</strong>“ ihre<br />

jüngste Videoarbeit „Protest“, deren<br />

Leitmotiv die kritische Auseinandersetzung<br />

mit der Bildberichterstattung<br />

über gewalttätige Konflikte<br />

in den Fernsehnachrichten ist. Im<br />

Zentrum stehen Bilder des urbanen<br />

und suburbanen Widerstandes und<br />

damit verbundene Fragen nach den<br />

Möglichkeiten der Malerei in der<br />

Gegenwart sowie der Authentizität,<br />

Austauschbarkeit und Rezeption<br />

massenmedial transportierter<br />

Bilder. Als Grundlage ihrer malerischen<br />

Bearbeitung dienten Videoclips<br />

aus dem Jahr 2013, die Szenen<br />

von den ersten gewaltsamen<br />

Ausschreitungen auf dem Istanbuler<br />

Taksim-Platz gegen das autoritäre<br />

Erdogan-Regime in der Türkei zeigen.<br />

In bewusster Anlehnung an die<br />

Ikonographie der amerikanischen<br />

Pop Art geht es Monika Huber nicht<br />

mehr vorrangig um die Abbildung<br />

unserer neuen Wirklichkeit, sondern<br />

auch um die Reflexion der Mechanismen<br />

unserer Wahrnehmung, der<br />

Funktion von Bildern, von Medien<br />

und dem aktuellen Spannungsfeld<br />

zwischen virtuellem und realem<br />

Geschehen.<br />

22<br />

PROTEST<br />

Wolfger Pöhlmann<br />

58 59


Ausschnitt der malerisch bearbeiteten Videoprojektion von Monika Huber, Foto: Vivi D‘Angelo<br />

Foto: Monika Huber<br />

Nachrichten: Der Aufstand im Bild<br />

Gekürzte Fassung eines Vortrags zu<br />

Monika Hubers Installation<br />

„Protest“ im MaximiliansForum<br />

Heinz Schütz<br />

Unser politisches Weltbild wird ganz<br />

entscheidend durch die Nachrichten<br />

in den Medien geprägt. In ihrer<br />

Summe formen sie eine Art Paralleluniversum,<br />

das die politische<br />

Wirklichkeit medial gefiltert konstruiert<br />

und dabei selbst zum Politikum<br />

mutiert. Sein eigenständiger Charakter<br />

zeigt sich besonders deutlich<br />

in seiner Tendenz zur medialen<br />

Selbsterregung: Journalistische<br />

Gleichschaltung und monatelange<br />

Dauerberichterstattung (re)produzieren<br />

singuläre Ereignisse als einen<br />

von Tageszeitungen, Talkshows und<br />

sozialen Netzwerken befeuerten<br />

Medienhype. Die mediale Selbsterregung,<br />

die eine Art von kollektiver<br />

Gehirnwäsche bewirkt, generiert<br />

eine emotionale Atmosphäre, die<br />

sich mit Vorliebe moralisierend<br />

auflädt und dabei im Hintergrund<br />

unausgesprochen politische Einstellungen<br />

transportiert. In der medialen<br />

Selbsterregung verbinden sich<br />

markttechnische Gesetze – eingeführte<br />

Nachrichtenthemen funktionieren<br />

wie eingeführte Marken<br />

– und eine Ästhetik des Spektakels,<br />

die mit ihrer Vorliebe für Personen<br />

– Guttenberg, Wulff, Steinbrück,<br />

Tebartz-van Elst, Gurlitt – zur Soap-<br />

Opera mit Enthüllungscharakter<br />

neigt. Die mediale Exekution einzelner<br />

Personen fördert kompensatorisch-unterhaltsam<br />

die moralische<br />

Empörung. Unter geht dabei die<br />

auf analytische Abstraktion angewiesene<br />

Darstellung politischer<br />

Zusammenhänge und die Kritik der<br />

bestehenden systemischen Verwerfungen.<br />

Sie lassen sich so gut<br />

wie nicht in die Form „fortgesetztes<br />

Nachrichtenepos mit singulären<br />

Protagonisten“ gießen.<br />

Die mediale Selbsterregung stellt<br />

sich auch dann ein, wenn die<br />

Erregung, die von Demonstrationen,<br />

Protesten und kriegsartigen<br />

Revolten ausgeht, vom Medium<br />

gleichsam absorbiert wird. Wenn die<br />

Revolte endet und das Spektakuläre<br />

des Aufstands in Alltagspolitik<br />

übergeht, endet gewöhnlich die<br />

Berichterstattung. Das Spektakuläre<br />

der Demonstration und die<br />

Spektakelsehnsucht der Medien<br />

überlagern sich, geht es in Demonstrationen<br />

doch darum, über den<br />

öffentlichen, und das heißt letztlich<br />

immer auch den medialen Auftritt<br />

auf den politischen Diskurs einzuwirken.<br />

Aufstände hingegen greifen<br />

offen zur Gewalt. Ihre Absicht ist es,<br />

die politische Realität unmittelbar<br />

zu verändern und das Personal, das<br />

den Status quo aufrechterhält, aus<br />

den Machtpositionen zu katapultieren.<br />

Ihr Spektakuläres ist letztlich<br />

die Gewalt, über die dann berichtet<br />

und die in Bildern demonstriert<br />

wird. Dabei kommt dem eingesetzten<br />

Bildmaterial bei Nachrichten<br />

über Demonstrationen und Revolten<br />

eine besondere, keineswegs nur<br />

informative, sondern durchaus eigenwertige<br />

Bedeutung zu. Nicht zuletzt<br />

davon handelt Monika Hubers<br />

Installation „Protest“. Die von Huber<br />

eingesetzten Bilder entstammen ihrem<br />

Archiv, das sie mit Bildern von<br />

Aufständen aus den Fernsehnachrichten<br />

angelegt hat. Es reicht von<br />

den Demonstrationen und Platzbesetzungen<br />

in Nordafrika – sie wurden<br />

einst euphorisch „arabischer<br />

Frühling“ genannt – über Taksim-<br />

Platz und Maidan-Platz bis hinein in<br />

die jüngste Gegenwart. Die in der<br />

MaximiliansForum-Installation verwendeten<br />

Bilder verweisen auf die<br />

von der türkischen Regierung Erdogan<br />

gewaltsam niedergeschlagene,<br />

vom Gezi-Park ausgehende Revolte<br />

im Frühjahr 2013, ein Verweis, der<br />

zwangsläufig nur für diejenigen<br />

erkenntlich ist, die das Abgebildete<br />

wiedererkennen. Dies entspricht<br />

dem Defizit, das allen dokumentarischen<br />

Bildern eignet: Sie bedürfen,<br />

wenn das Abgebildete nicht ohnehin<br />

bekannt ist, des identifizierenden<br />

Textes. In den Nachrichten wird<br />

er gewöhnlich von den SprecherInnen<br />

geliefert, wobei die Texte nicht<br />

nur die Bilder verorten, sondern sie<br />

auch selbstreferentiell und illustrativ<br />

in Dienst nehmen. So werden<br />

etwa bei Berichten über die Pharmaindustrie<br />

einfach Pillenabfüllanlagen<br />

oder Weißbekittelte im Labor<br />

eingeblendet, bei Kriegen fahrende<br />

Panzer und fliegende Bomber, bei<br />

Aufständen Steinewerfer, Polizeikohorten<br />

und Scharfschützen. Das Bild<br />

verdoppelt hier einfach tautologisch<br />

das Gesagte und funktioniert wie<br />

ein Lexem aus einem Bildwörterbuch.<br />

Als „Lexem“ kann ein und<br />

derselbe dokumentarische Bildbeitrag<br />

unterschiedliche Nachrichtentexte<br />

illustrieren. Dabei löst sich das<br />

Bild vom fotografierten, konkreten<br />

Ereignis. Es versprachlicht sich und<br />

funktioniert wie ein Begriff, gleichzeitig<br />

wirkt das freigesetzte Bild<br />

einfach als Bild. Neben seiner Bedeutung<br />

wie „dies ist ein Aufstand“<br />

appelliert es über das Sichtbare an<br />

die Emotionen. Dieser Appell, der<br />

nun durchaus auch als Appell zum<br />

politischen Handeln verstanden<br />

werden könnte, verpufft aufgrund<br />

der Nachrichtenflut und der Distanz<br />

zum Wahrgenommenen. Die Bilder,<br />

die von Frühstückstischen und<br />

Wohnzimmercouchen aus betrachtet<br />

werden, bleiben trotz ihrer<br />

Nähe weit weg. Der paralysierende<br />

Schwall von Nachrichten produziert<br />

zum einen das Gefühl ohnmächtiger<br />

Überforderung, zum anderen die<br />

Genugtuung an Infotainment und<br />

Medienhpye zu partizipieren. Mit<br />

ihrem Video „Protest“, das auf eine<br />

Seite der Untergrundpassage des<br />

MaximilansForums projiziert wurde,<br />

verringert Monika Huber die Distanz<br />

zu den Nachrichten und eignet sich<br />

Aufnahmen der Istanbuler Revolte<br />

als Malerin an. Mit raschen Gesten<br />

übermalte sie während des Abspielens<br />

die aufgenommenen Nachrichtenbilder,<br />

die nun im Videoloop<br />

unter den Pinselspuren und Farbschlieren<br />

verschwinden, auftauchen<br />

und wieder verschwinden. Isolierte,<br />

gestische Details der Revolte treten<br />

eindringlich in den Vordergrund,<br />

andere, kurz aufscheinende Bilder<br />

erscheinen wie immer schon bekannte<br />

Ikonen des Aufstands. Hinter<br />

dem Farbnebel wirken die einstigen<br />

Nachrichten wie im Unterbewussten<br />

sedimentierte Eindrücke, wie eine<br />

Art Traumsprache des Aufstands,<br />

die sich an der Oberfläche artiku-<br />

liert und wieder absinkt, wobei die<br />

Insistenz dieses Vorgangs mit der<br />

Insistenz der Revoltierenden koinzidiert.<br />

Auf der anderen Seite der Passage<br />

brachte Huber die bewegten Bilder<br />

– nun in Farbe, aber ebenfalls<br />

pinselgestisch kommentiert – zum<br />

Stillstand. Hier nun werden die<br />

einstigen Nachrichten zum Monument<br />

der Revolte. Es setzt sich aus<br />

„archetypischen“ Einzelmomenten<br />

zusammen, die vom Tumult auf der<br />

Straße, über den behelmten Polizisten<br />

mit Gewehr im Anschlag, bis zum<br />

hingestreckten Opfer reichen. Die<br />

einzelnen Szenen werden wie auf<br />

einer Bühne von hinten beleuchtet<br />

und lassen auch an eindringliche<br />

Filmbilder denken. Unter Münchens<br />

Maximilianstraße formen sie ein<br />

Erinnerungszeichen. An einem Ort,<br />

der fern aller Aufstände als luxurierende<br />

Insel erscheint, weist es nicht<br />

nur auf die zurückliegende Revolte,<br />

es lässt sich auch als Vorschein<br />

möglicher kommender Aufstände<br />

betrachten.<br />

60 61


Künstlergespräch zwischen Monika<br />

Huber und Ulrich Wilmes zur<br />

Ausstellung „PROTEST – Monika<br />

Huber“ am 22.09.2014 im MaximiliansForum<br />

Ulrich Wilmes: Was war für dich der<br />

Auslöser, dich mit diesen Bildern zu<br />

beschäftigen als eine gegenstandslose<br />

Malerin?<br />

Monika Huber: Das Jahr 2011 war<br />

für mich ein großer Einschnitt gewesen.<br />

Ich hatte eine Ausstellung im<br />

Goethe-Institut in Athen, das in der<br />

Nähe des Syntagma-Platzes liegt,<br />

den ich täglich mehrmals überquerte.<br />

Die Atmosphäre in der Stadt<br />

war durch die täglichen Demonstrationen<br />

sehr aufgeladen. Zurück<br />

in München, begann ich, die Fernsehnachrichten<br />

von Protesten fotografisch<br />

zu dokumentieren. Ich war<br />

sehr irritiert von der Direktheit der<br />

Bilder; die Technologie der Smartphones<br />

machte es möglich, direkt<br />

aus den Demonstrationen heraus,<br />

fast ungefiltert und mit ungewöhnlichen<br />

Perspektiven zu berichten. Wir<br />

bekamen Bilder zu sehen, die uns<br />

mitten ins Geschehen der Proteste<br />

katapultierten.<br />

UW: Du zeigst Bilder, die nicht<br />

identifizierbar sind, die an einem<br />

bestimmten Tag aus dem Fernseher<br />

aufgenommen worden sind, das<br />

steht fest. Aber für den Betrachter<br />

sind weder Ort noch Zeit nachvollziehbar<br />

und dadurch bekommen die<br />

Bilder eine Zeitlosigkeit oder eine<br />

Allgemeingültigkeit, die über das<br />

jeweilige Ereignis hinaus weist. Ist<br />

das für dich dann auch als Malerin<br />

der Ansatz gewesen, diese Werkreihe<br />

umzusetzen, gibt es einen speziellen<br />

malerischen Zugang zu diesen<br />

Bildern oder ist es mehr doch ein<br />

politisches Engagement, welches<br />

dich treibt?<br />

MH: 2011/12 überschlugen sich die<br />

politischen Ereignisse des sogenannten<br />

„arabischen Frühlings“. Ich<br />

stellte fest, dass viele dieser Nachrichtenbilder<br />

aus den verschiedensten<br />

Konfliktländern sich ähnelten<br />

und austauschbar erschienen. Auch<br />

die zeitliche Einordnung war nicht<br />

mehr möglich, sobald das Bild aus<br />

dem Nachrichtenkontext herausgelöst<br />

war. Natürlich kann man die<br />

Nachrichtenbilder durch gewisse<br />

Attribute, Kleidung etc. verifizieren<br />

und damit an bestimmte Orte knüpfen.<br />

Aber in bürgerkriegsähnlichen<br />

Situationen heben sich die Unterscheidungskriterien<br />

fast auf. Durch<br />

diese Unbestimmtheit von Ort und<br />

Zeit bekommen diese Bilder etwas<br />

Universelles und man hat den Eindruck<br />

als würden sich die Ereignisse<br />

permanent wiederholen.<br />

UW: Du fotografierst den Bildschirm,<br />

die Bilder auf dem Fernseher,<br />

ab. Dadurch ist natürlich schon<br />

mal gegeben, dass es eben keine<br />

hohe Auflösung, keine große Qualität<br />

haben kann in dem Sinne, dass<br />

es gestochen scharfe Abbilder sind.<br />

Und dann verfremdest du die Bilder.<br />

Sie werden bewusst unscharf abgezogen.<br />

Dann bearbeitest du diese<br />

mit Farbe und schlussendlich, was<br />

Foto: Vivi D‘Angelo<br />

ein ziemlich komplizierter Prozess<br />

ist, wird das Bild reproduziert und<br />

das ist dann im Grunde genommen<br />

die Arbeit. Aber vielleicht kannst du<br />

nochmal genau sagen, wie dieser<br />

Bearbeitungsprozess und wie dieser<br />

Verfremdungsprozess funktionieren.<br />

MH: Meine Bilder, die ich von den<br />

täglichen Nachrichten abfotografiere,<br />

werden mit einer hochauflösenden<br />

Kamera aufgenommen, jedoch<br />

sind die gesendeten Handyvideos<br />

meist unscharf. Oft sieht man nur<br />

rudimentäre Formen und Strukturen<br />

von Menschen, von Orten und<br />

Ereignissen. Aus dem fotografierten<br />

Fernsehbild schneide ich anschließend<br />

ein Hochformat heraus und<br />

bearbeite das Bild malerisch, meist<br />

mit schwarzer und weißer Farbe.<br />

Dadurch versuche ich nochmals<br />

einen intensiveren Fokus auf das<br />

Geschehen zu legen und kritische<br />

Situationen herauszuschälen, die im<br />

Moment der Bewegung der Filmaufnahme<br />

nicht erkennbar sind. Dieser<br />

Prozess der malerischen Bearbeitung<br />

wird zu einem permanenten<br />

Sichtbar-Unsichtbar-Werden der<br />

Ereignisse. Zuletzt fotografiere ich<br />

die übermalte Fotografie und ziehe<br />

sie als Print ab.<br />

UW: Um es mit einem Schlagwort<br />

zu benennen, geht es dir dabei um<br />

eine Auslöschung oder um diese<br />

Dialektik von Auslöschung und Hervorhebung,<br />

was ist da für dich dann<br />

das Entscheidende?<br />

MH: Durch die tägliche Konfrontation<br />

mit diesen Nachrichtenbildern,<br />

tauche ich natürlich intensiver in die<br />

politischen Ereignisse ein. Jetzt haben<br />

wir die letzten Jahre täglich so<br />

viele Demonstrationen, Bürgerkriege<br />

und Kriege in den nordafrikanischen<br />

Ländern und im Nahen Osten<br />

in den Nachrichten mitverfolgt, die<br />

politische Lage hat sich dort keineswegs<br />

entspannt, sondern vieles<br />

hat sich verschlechtert und aktuell<br />

sehen wir die brutale Vorgehensweise<br />

der IS. Ich frage mich hier schon,<br />

wie manipulativ diese Nachrichtenbilder<br />

eingesetzt werden und aus<br />

welchem politischen Blickwinkel<br />

heraus ein Ereignis gezeigt wird.<br />

UW: Mir ist aufgefallen, dass bestimmte<br />

Filmsequenzen in verschiedenen<br />

Zusammenhängen immer<br />

wieder gezeigt werden und man<br />

den Eindruck hat: Aha, es ging heute<br />

nichts über die Agenturen, was<br />

interessant ist, also nehmen wir das<br />

Bild von gestern, vorgestern oder<br />

von letzter Woche. Aber die wirkliche<br />

Manipulation, die besteht ja in<br />

der Berichterstattung selbst.<br />

MH: Wenn man die gesendeten<br />

Bildnachrichten der verschiedenen<br />

Sendeanstalten vergleicht, bemerkt<br />

man, dass diese nahezu identisch<br />

sind.<br />

UW: Auch darin sehe ich ein Muster.<br />

MH: Und genau hier wird es spannend,<br />

weil politische Haltungen zu<br />

Tage treten und deutlich wird, dass<br />

es verschiedene politische und<br />

wirtschaftliche Interessen und Verflechtungen<br />

gibt, die die Berichterstattung<br />

beeinflussen. Mich interessierte<br />

zu Beginn der Arbeit an dem<br />

Fotografieprojekt „Einsdreißig“<br />

warum so viele Menschen plötzlich<br />

auf die Straße gehen? Warum jetzt<br />

und nicht schon früher? Nehmen<br />

wir z.B. Jemen - es ist ein Land, in<br />

dem 70 Prozent der Bevölkerung<br />

jung und online ist und ihr tägliches<br />

Problem die mangelnde Versorgung<br />

mit Energie ist, um miteinander<br />

kommunizieren zu können. Soziale<br />

Medien sind zu einem wesentlichen<br />

Element der Kommunikation geworden.<br />

Eine weitere Frage drängt sich<br />

mir auf: Von welchen Konflikten gibt<br />

es überhaupt Bilder? Wird Krieg erst<br />

Realität, wenn er fotografisch dokumentiert<br />

ist, oder was geschieht,<br />

wenn es keine Bilder vom Krieg und<br />

sonstigen gewalttätigen Exzessen<br />

mehr gibt.<br />

UW: Die Abwesenheit von Bildern<br />

spielt natürlich ebenfalls eine ganz<br />

große Rolle. Wo keine Bilder sind,<br />

existieren trotzdem Konflikte, bloß<br />

wir erfahren nichts davon.<br />

MH: Ja, die Konflikte, die nicht bebildert<br />

werden können, verschwinden<br />

einfach aus den Fernsehnachrichten.<br />

Wir haben meist nur einen<br />

oder zwei Konflikte im Fokus der<br />

Nachrichtensendungen und das ist<br />

im Moment hauptsächlich die Ukraine<br />

und der Irak; aktuell durch die<br />

Gewalt der IS auch wieder Syrien.<br />

Zu viele Konfliktsituationen werden<br />

in den Nachrichtensendungen nicht<br />

gleichzeitig angesprochen, da man<br />

damit die Zuschauer überfordern<br />

würde. In meiner Archiv-Arbeit<br />

bemühe ich mich, alle globalen Konflikte<br />

festzuhalten.<br />

UW: Wir haben ja vorhin auch schon<br />

von gewissen Mustern gesprochen,<br />

einmal, wie diese ganzen Konflikte<br />

sich in Nordafrika und dann im<br />

Nahen Osten entwickelt und weiterentwickelt<br />

haben. Die Weltgemeinschaft<br />

sieht zu via Nachrichten. Die<br />

Diplomatie ist mehr oder weniger<br />

hilflos bzw. man gewinnt zunehmend<br />

den Eindruck, von Interessen<br />

gesteuert zu werden, die nicht unbedingt<br />

unsere Interessen sind. Und<br />

dann eskaliert eine Situation dermaßen,<br />

dass sich die Politik dann<br />

zum Handeln gezwungen sieht und<br />

Handeln heißt dann immer Gewalt.<br />

Und man fragt sich: Wie sind denn<br />

solche Konflikte überhaupt lösbar?<br />

UW: Wenn die Kunst tatsächlich<br />

etwas anders machen kann als<br />

Nachrichtenbilder, dann ist es eben<br />

der Versuch, diese Propaganda<br />

auszublenden und bestimmte Bilder<br />

und Inhalte in einem Kontext zu diskutieren,<br />

der ein größeres Problemfeld<br />

zieht als das, was uns tagtäglich<br />

vorgesetzt wird.<br />

MH: Ich denke, einen Künstler sollte<br />

es interessieren, wie sich unsere<br />

Bilderwelt verändert. Mit meiner<br />

Arbeit versuche ich ein Bewusstsein<br />

für diesen neuen Bildtypus<br />

der Medienbilder zu schaffen. Es<br />

geht um die veränderte Form von<br />

Wahrnehmung. Nach fast vier<br />

Jahren des täglichen Archivierens<br />

dieser Nachrichtenbilder sehe ich,<br />

dass diese Bilder nicht einfach auf<br />

uns zukommen, nein, sie sind das<br />

Ergebnis des politischen Handelns<br />

oder Nichthandelns der internationalen<br />

Gemeinschaft.<br />

UW: Und eine Künstlerin wie du<br />

belegt ihre Bilder mit einer ganz<br />

anderen Funktion als ein Pressefotograf<br />

oder ein Fernsehjournalist.<br />

Sie kann natürlich mit ihren Bildern<br />

die Wahrnehmung, die bestimmte<br />

Bilder in uns auslösen, oder die<br />

Wahrnehmung, mit denen wir den<br />

Bildern tagtäglich begegnen, viel<br />

weiter spannen. Deine Bilder machen<br />

dabei auch ganz deutlich, dass<br />

es dir um alles geht, aber bloß nicht<br />

darum, Gewalt in irgendeiner Weise<br />

als ein ästhetisches Objekt auszuschlachten.<br />

MH: Eine künstlerische Arbeit ist<br />

niemals nur eine rein ästhetische<br />

Auseinandersetzung. Als Künstlerin<br />

habe ich ebenso eine Verantwortung<br />

für die gewählten Inhalte, als auch<br />

für deren gestalterische Umsetzung.<br />

Meine Bilder wollen nicht nur etwas<br />

wiedergeben, was wir bereits sehen<br />

und das Gesehene bestätigen. Sie<br />

sollen vielmehr eine neue Wahrnehmungsebene<br />

aufmachen, ebenso<br />

vergleichbar meiner Arbeit an den<br />

ungegenständlichen Bildern. Bilder<br />

sind Impulse, Katalysatoren. Sie<br />

zeigen Veränderungsprozesse und<br />

stoßen neue Gedanken an. Natürlich<br />

kann ich die Welt damit nicht<br />

verändern, aber ein politisches Bewusstsein<br />

schaffen. Politisch verantwortlich<br />

handeln muss jeder selbst.<br />

62 63


POP UP Store mit internationalen<br />

Designern in einer Installation von<br />

Peter Baur<br />

Auf Einladung des Maximilians-<br />

Forums in München verlässt der<br />

„SIGHT STORE“ die gewohnte<br />

Umgebung in Wien, um als Teil des<br />

Jahresprogramms „<strong>Transforming</strong><br />

<strong>Cities</strong>“ in der Passage zeitgenössische<br />

Mode zu präsentieren. Eingebettet<br />

in eine Installation des<br />

Künstlers und Bühnenbildners Peter<br />

Baur wurden im Rahmen eines<br />

viertägigen Pop Up Shops über 20<br />

verschiedene Modelabels aus Wien,<br />

München, Berlin, Kopenhagen,<br />

Budapest, Hongkong und Madrid<br />

gezeigt. Peter Baur projiziert in die<br />

Passage ein Panorama aus urbanen<br />

Bildsequenzen, die mit Fragen eines<br />

Raum- und Öffentlichkeitsbegriffs<br />

spielen. Die Videoinstallation bildet<br />

gemeinsam mit der Mode eine<br />

temporäre Bühne, in der die BesucherInnen<br />

zu AkteurInnen werden.<br />

Zur Eröffnung am 2. Oktober sprach<br />

Andreas Spiegl (Akademie der bildenden<br />

Künste Wien).<br />

BesucherInnen konnten die Mode<br />

auch erwerben.<br />

Die beteiligten Modelabels waren:<br />

Akjumii, Ansoho, Awareness &<br />

Consiousness, Base Range, Brandmair,<br />

Diarte, Dörte Kaufmann, Essl,<br />

Fixxed, Gon, Henrik Vibskov, Hilda.<br />

Henri, Idamari, J’ai mal à la tête,<br />

Katharina Schmid, Mangelware,<br />

Meshit, Mija T. Rosa, Nanushka,<br />

Reality Studio, Rosa Mosa, Sight,<br />

Werkprunk<br />

02<br />

S/GHT<br />

Im „POP UP Sight Store“, Foto: Yves Krier<br />

64 65


Außenansicht des „POP UP Sight Store“ im MaximiliansForum, Foto: Yves Krier<br />

Andreas Spiegl über S/GHT<br />

Die städtische Lage des MaximiliansForums<br />

in einer Passage im<br />

Zentrum Münchens bildete den<br />

Ausgangspunkt für das Projekt von<br />

S/GHT. Die Tatsache, dass Walter<br />

Benjamin seine Gedanken über die<br />

Veränderungen der Städte im 19.<br />

und 20. Jahrhundert im so genannten<br />

»Passagen-Werk« versammelte,<br />

bestätigt nur die Bedeutung der<br />

Passagen für das Entstehen moderner<br />

Stadtvorstellungen. Passagen<br />

sind hybride Figuren des Urbanen:<br />

als überdachte Durchgänge formulieren<br />

sie einen urbanen Innenraum<br />

und erfüllen zugleich die Koordinaten<br />

eines Außenraums, den Charme<br />

einer Straße, die Fußgängerinnen<br />

und Fußgängern vorbehalten ist.<br />

Eine Passage ist ein Zwischenraum,<br />

ein Verbindungsstück, das die Verbindung<br />

selbst zum Raum erhebt.<br />

Die Menschen, die sie verwenden,<br />

charakterisiert sie buchstäblich als<br />

Passantinnen und Passanten – als<br />

Bewohner eines Übergangs: und sei<br />

es der Übergang von einer Stadtvorstellung<br />

zur nächsten, ein unterirdischer<br />

Übergang ins subkulturelle<br />

Milieu städtischer Veränderung – ein<br />

Ort als Indikator für „<strong>Transforming</strong><br />

<strong>Cities</strong>“.<br />

Mit ihren Schaufenstern und Läden<br />

waren sie dem Flanieren gewidmet,<br />

dem „Window-Shopping“ als einer<br />

Form des Konsums mit den Augen,<br />

einer Ökonomie des Blicks. Was<br />

sich dem Blick zeigt, ist das Mögliche,<br />

die Vorstellung anders sein zu<br />

können, ein anderes Leben führen<br />

zu können und die schicksalhafte<br />

Identität zu wechseln, ein Spiel mit<br />

imaginären Identitäten und die Ökonomie<br />

vom Tausch.<br />

Für S/GHT, einen Multi-Label-Store<br />

aus Wien, lieferten all diese Punkte<br />

die idealen Bedingungen, um Mode<br />

von 25 Labels aus verschiedensten<br />

Ländern der Welt in der Passage<br />

vorzustellen. In Zusammenarbeit<br />

mit dem Künstler und Bühnenbildner<br />

Peter Baur wurde ein Display<br />

entwickelt, das die kulturelle Geschichte<br />

der Passagen reflektierte<br />

und zugleich die Infrastruktur für<br />

die Präsentation der Mode zur<br />

Verfügung stellte. In Anlehnung an<br />

die Panoramen im 19. Jahrhundert,<br />

die oft in den Passagen zu finden<br />

waren und die Möglichkeit imaginärer<br />

Reisen in andere Räume und<br />

Zeiten boten, gestaltete Peter Baur<br />

eine Videoinstallation, die entlang<br />

der Wände des MaximiliansForums<br />

zirkulierte und eine panoramatische<br />

Szenerie als Folie für die Modepräsentation<br />

bildete. Als zentrales<br />

Motiv für das Video diente ihm das<br />

Licht, ein historisches Spektrum des<br />

Lichts vom Feuer, von Sonnenuntergängen<br />

und Straßenbeleuchtungen<br />

bis hin zu Autoscheinwerfern und<br />

dem Sternenhimmel, eine kleine<br />

Kosmologie des Lichts im Herzen<br />

der Stadt, die helfen sollte, die<br />

Kleidung und die Passantinnen und<br />

Passanten ins rechte Licht zu rücken,<br />

in die Passage zwischen möglichen<br />

Identitäten. Die Kleidungsstücke<br />

schienen schwerelos im Raum zu<br />

schweben – wie Charaktere und<br />

Rollen für ein imaginäres Stück. Wer<br />

den Raum betrat, betrat auch den<br />

Lichtkegel der Videoprojektionen,<br />

um damit selbst als Schattenfigur<br />

eine Rolle in der Kosmologie des<br />

Lichts und der Möglichkeiten zu<br />

spielen. Auf diese Weise verwandelte<br />

sich der Ausstellungsraum zur<br />

Bühne für ein Stück, das sich aus<br />

dem Dialog zwischen Passantinnen<br />

und Passanten sowie Kleidungsstücken<br />

entwickelte, ein Libretto<br />

für die Vorstellung einer anderen<br />

Identität, ein Spiel mit Sehnsüchten<br />

und möglichen Selbstbildern.<br />

Zugleich wurde die Trennung von<br />

„Kunst und Mode“ in verschiedene<br />

Genres reflektiert, zur Diskussion<br />

gestellt wie ein Übergang zwischen<br />

diesen Disziplinen aussehen kann,<br />

wie die Passage in eine interdisziplinäre<br />

Wahrnehmung von Kunst und<br />

Mode vermittelt werden kann. Die<br />

Aufteilung in freie und angewandte<br />

Kunst scheint brüchig zu werden,<br />

fransig genug, um eine Verknüpfung<br />

der beiden wagen zu können. Das<br />

Projekt von S/GHT zielte auf eine<br />

transdisziplinäre Praxis, die sich<br />

als Paradigma für einen zeitgenössischen<br />

Kulturbegriff abzeichnet,<br />

als Nahtstelle für die Säumnisse<br />

einer arbeitsteiligen Gesellschaft,<br />

deren Spezialisierungen mehr zu<br />

trennen als zu verbinden scheinen.<br />

Die Städte verwandeln sich radikal,<br />

verwandeln sich im Zuge einer<br />

mobil gewordenen Gesellschaft<br />

mit heterogenen Kulturvorstellungen.<br />

Die Geschichte von Ein- und<br />

Ausschlussmechanismen scheint<br />

so weit bekannt, dass sie keine<br />

Antworten mehr bietet, um auf die<br />

gegenwärtigen Anforderungen an<br />

das Urbane zu reagieren. Die Städte<br />

ändern sich stetig und charakterisieren<br />

die Bewohnerinnen und Bewohner<br />

selbst als Passantinnen und<br />

Passanten ihrer eigenen Stadt. Die<br />

zeitgenössische Stadt ist selbst zur<br />

Passage geworden. In diesem Sinne<br />

betrachtete S/GHT die Passage<br />

des MaximiliansForums als kleine<br />

Stadt in der Stadt, als Mikrostadt<br />

und Modell für die Makroebene<br />

gegenwärtiger Stadtentwicklungen.<br />

So versteht sich auch die Rolle der<br />

Besucherinnen und Besucher, die in<br />

unserem Ambiente zu Akteurinnen<br />

und Akteuren wurden, sich emanzipierten<br />

vom bloßen Betrachten,<br />

um selbst die Rollen einzunehmen,<br />

die das Bild der Stadt nachhaltig<br />

verändern.<br />

66 67


Installation von Jeongmoon Choi<br />

Die Berliner Künstlerin Jeongmoon<br />

Choi bildete mit ihrer Installation im<br />

MaximiliansForum den Abschluss<br />

der Reihe „<strong>Transforming</strong> <strong>Cities</strong>“. Die<br />

sich verändernde Stadt mit ihren<br />

verschiedenen Perspektiven auf<br />

urbane Lebensweisen vermittelte<br />

sie durch eine interaktive Rauminstallation,<br />

in der der Betrachter die<br />

ihm unzähligen Möglichkeiten der<br />

Raumdefinition entdecken konnte.<br />

Mit erstaunlicher Phantasie und besonderer<br />

Ästhetik schuf „in.visible“<br />

ein Konstrukt von Grenzziehungen<br />

und grenzenlos schwebendem Kontinuum.<br />

Was unsichtbar wird, ist die<br />

gewohnte Realität, was sichtbar gemacht<br />

wird, ist eine neue, auf klare<br />

Strukturen reduzierte Dimension.<br />

17<br />

In.visible<br />

Rauminstallation mit Neonfäden von<br />

Jeongmoon Choi im MaximiliansForum<br />

Foto: Alescha Birkenholz<br />

68 69


Fotos: Alescha Birkenholz<br />

Im Kontext der Reihe „<strong>Transforming</strong><br />

<strong>Cities</strong>“ präsentierte Jeongmoon<br />

Choi ihre erste Ausstellung in<br />

München. Die ortsspezifisch entwickelte<br />

UV-Rauminstallation folgt der<br />

Werkserie „Drawing in Space“, mit<br />

der die koreanische Künstlerin ein<br />

neues Ausdrucksmedium erschlossen<br />

hat – zwischen Bild und Objekt,<br />

Abbildung und Abstraktion. Mit<br />

Licht, Strich und Faden begibt sich<br />

„in.visible“ auf die Spur des konkreten<br />

Raums, macht ihn in seiner Beiläufigkeit<br />

und Wesentlichkeit, seiner<br />

Materialisierung und Dematerialisierung<br />

erfahrbar und stellt dabei<br />

Standpunkte, Blickwinkel und die<br />

gewohnte Wahrnehmung infrage.<br />

Was zunächst wie eine dreidimensionale<br />

Zeichnung aus geometrischen<br />

Formen oder eine Computer-Animation<br />

anmutet, ist ein<br />

komplexes System aus fein gesponnenen<br />

einzelnen Fäden, die von<br />

Hand durch Wände, Boden und Decke<br />

des Ausstellungsraums gewebt<br />

werden und für das Auge nur durch<br />

ultraviolettes Licht wahrnehmbar<br />

sind. Im Wechselspiel von Flächen<br />

und Linien sowie der Kontrastbeziehung<br />

verschiedener Perspektiven<br />

entstand eine besondere Raum- und<br />

Tiefenwirkung am Übergang von<br />

der Zwei- in die Dreidimensionalität,<br />

von der Wirklichkeit in die Illusion.<br />

Fluoreszierende Fadenzeichnungen<br />

lösen die gegebenen räumlichen<br />

Koordinaten heraus, übertragen sie<br />

vom Raum in die Fläche und von<br />

der Fläche zurück in den Raum, um<br />

neue, auf klare Strukturen reduzierte<br />

Realitäten entstehen zu lassen.<br />

Verdichtungen, Verzerrungen und<br />

Spiegelungen der Linienführung<br />

schaffen unerwartete Sichtweisen,<br />

räumliche Bezüge und Seitenverhältnisse.<br />

Fadengitter und -raster<br />

durchziehen den Raum, transzendieren<br />

tradierte Raumgrenzen und<br />

forderten den Betrachter in einem<br />

ständigen Wechsel von Innen und<br />

Außen dazu auf, seine Position im<br />

Raum zu überprüfen. „in.visible“ ist<br />

ein physisch erfahrbares Spiel mit<br />

visueller Raumwahrnehmung und<br />

räumlicher Orientierung, ist digitale<br />

Ästhetik mit analogen Gestaltungsverfahren,<br />

zwischen Anwesenheit<br />

und Verschwinden.<br />

70 71


Foto: Alescha Birkenholz<br />

72 73


<strong>Transforming</strong><br />

<strong>Cities</strong> –<br />

die Akteure<br />

17.01.14- 09.02.14 - Jakub Nepraš<br />

Jakub Nepraš<br />

Der tschechische Medienkünstler<br />

Jakub Nepraš ist 1981 in Prag<br />

geboren. Nach seinem Abschluss<br />

2006 an der Academy of Fine Arts<br />

in Prag schloss er sich dem kreativen<br />

Kollektiv Studio Trafaˇ cka<br />

an.<br />

Jakub Nepraš arbeitet mit Video-,<br />

Sound- und Licht-Installationen in<br />

Kombination mit klassischen Kunstmaterialien.<br />

www.jakubnepras.com<br />

01.05.14 - Wider die Verherrlichung<br />

der Arbeit<br />

Salewski<br />

Der Musikschaffende und Popmusiker<br />

Salewski ist 1963 in München<br />

geboren. Er hat ein klassisches Musikstudium<br />

(Klavier/Schlagzeug) in<br />

München absolviert und unterrichtet<br />

heute Musik. Salewski musiziert in<br />

folgenden Bands und Projekten:<br />

Musica Povera, Koschka Valerianka<br />

Phantom Band, River. Mit Schorsch<br />

Kamerun macht er Theatermusik.<br />

07.05.14 -<br />

Pasta Sauna<br />

Marije Vogelzang<br />

Die 1978 geborene, niederländische<br />

Künstlerin Marije Vogelzang<br />

bezeichnet sich selbst als „Eating<br />

Designer“. Nach ihrem Studium an<br />

der Design Academy Eindhoven<br />

arbeitet sie seit 2000 im Bereich<br />

„Food Design“ mit renommierten<br />

Partnern zusammen wie Droog<br />

design, Turnover, Ilse Crawford,<br />

Edelkoort und Marlies Dekkers.<br />

2004 eröffnete sie das Restaurant<br />

und Designatelier „Proef“in Rotterdam,<br />

2006 eine Zweigstelle in<br />

Amsterdam. Vogelzang hält Vorträge,<br />

veranstaltet sogenannte „Food<br />

Events“ und entwickelt Projekte und<br />

Installationen für Museen, Galerien<br />

und Kulturinstitutionen.<br />

www.marijevogelzang.nl<br />

14.05.14 - Pkeila<br />

Rafram Chaddad<br />

Der israelisch-tunesische Künstler<br />

und Buchautor Rafram Chaddad ist<br />

1976 in Djerba, Tunesien geboren. Er<br />

hat Kunst an der Musrara School of<br />

Photography and New Media in Jerusalem<br />

studiert und ist Slow-Food-<br />

Repräsentant in Israel. Zum Thema<br />

Essen arbeitet er seit 2005 und hält<br />

weltweit Vorträge zu „Slow Food“, so<br />

etwa 2012 auf dem internationalen<br />

Slow Food Kongress in Turin. Als<br />

Gastkünstler der Halle 14 in Leipzig<br />

hat er einen Beitrag für die Ausstellung<br />

„The Politics and Pleasures of<br />

Food“ realisiert. Im Herbst 2014 ist<br />

er Gastkünstler im Künstlerhaus<br />

Bethanien in Berlin.<br />

www.rafram.com<br />

17.05.14 - Cool Walks & Cooltails<br />

Klasse Ingold der Akademie der<br />

Bildenden Künste, München<br />

Seit 1995 ist der Schweizer Künstler<br />

Res Ingold, Jahrgang 1954,<br />

Professor für Kunstpädagogik und<br />

interdisziplinäre Projekte an der<br />

Akademie der Bildenden Künste in<br />

München. Sein zentrales Werk ist<br />

die Fluggesellschaft Ingold Airlines.<br />

Das Studium in seiner Klasse ist interdisziplinär<br />

und projektorientiert.<br />

www.i-crew.org //<br />

www.ingolduniversal.com<br />

28.05.14 - Food for Thought<br />

Sebastian Dickhaut<br />

Sebastian Dickhaut ist 1963 geborener<br />

Hesse und lebt aktuell in München<br />

als kulinarischer Autor und<br />

Journalist, Foodfilmer und Wunderwürzer.<br />

Als gelernter Koch arbeitete<br />

er in exklusiven Restaurants, bevor<br />

er zur Tageszeitung wechselte, den<br />

Restaurantführer DelikatEssen und<br />

die Reihe Basic Cooking mitbegründete<br />

und 1998 als Food-Korrespondent<br />

nach Australien ging. Nach seiner<br />

Rückkehr eröffnet er den Laden<br />

HUKODI in München. Hier schreibt<br />

er für Kochbuchverlage, Magazine,<br />

Food-Portale und seine Blogs und<br />

hält Kochkurse.<br />

www.sebastian-dickhaut.de<br />

Asli Duru<br />

Die türkische Forscherin hat 2012<br />

in Geographie an der Carleton<br />

University in Kanada promoviert.<br />

Ihre Forschungsschwerpunkte sind<br />

Esskultur, Urbanistik, Feminismus<br />

und Umweltschutzbewegung.<br />

Aktuell ist sie Mitarbeiterin der<br />

Ludwig-Maximilians-Universität<br />

München und erarbeitet das Projekt<br />

„From Oriental to the Cool City:<br />

Changing Imaginations of Istanbul“<br />

des Emmy-Noether-Programms der<br />

Deutschen Forschungsgemeinschaft<br />

(DFG).<br />

Evelyn Pschak<br />

Evelyn Pschak hat in Aix-en-Provence,<br />

Straßburg, Ludwigsburg und<br />

Korpilahti studiert. Die in München<br />

lebende Kunsthistorikerin arbeitet<br />

als Journalistin für die Ressorts Kultur,<br />

Reise und Kulinarisches. Manchmal<br />

- immer häufiger - gerät dieses<br />

Dreierlei zum großen Ganzen. Dann<br />

ist Evelyn Pschak glücklich. Sehr.<br />

Patrik Stäbler<br />

Patrik Stäbler, geboren 1980, hat in<br />

München und Detroit Kommunikationswissenschaften<br />

studiert. Nach<br />

einer Reise um die Welt und einem<br />

Volontariat in der Provinz kehrte er<br />

zurück in die seiner Meinung nach<br />

„provinziellste aller Weltstädte“ –<br />

nach München. Dort lebt Stäbler<br />

heute als Journalist und Autor von<br />

Büchern wie „Speisende soll man<br />

nicht aufhalten“.<br />

www.deutschland-isst.info/<br />

patrik-staebler<br />

Nico Zeilinger<br />

Nico Zeilinger wurde 1979 in Stuttgart<br />

geboren und im Alter von zehn<br />

Jahren nach München gekommen.<br />

Schon während seines Geographie-<br />

Studiums hat er in der Gastronomie<br />

gearbeitet und dann 2009 erste<br />

Läden in München selbst geführt:<br />

die Eisdiele Jessas und die Event-<br />

Location Josef, beide im Münchner<br />

Glockenbachviertel. Seit 2011 leitet er<br />

zusammen mit der Vietnamesin Luu<br />

Alzingers das Fei Scho Restaurant<br />

in der Kolosseumstraße in München<br />

und plant aktuell eine Suppenküche<br />

in der Pestalozzistraße zu eröffnen.<br />

www.fei-scho.de<br />

04.06.14 - Lied der Täuschungen<br />

Carl Oesterhelt<br />

Carl Friedrich Oesterhelt wurde<br />

1968 in München geboren. Als<br />

Komponist und international tätiger<br />

Musiker spielt er in den „strangepop“-Bands<br />

FSK und Merricks und<br />

komponierte u.a. die Musik von<br />

Schorsch Kameruns Inszenierung<br />

„Peter Pan, Konzert zur Revolution“<br />

und „München Komplett“ an<br />

den Münchner Kammerspielen.<br />

Unter seinem Label „The Society of<br />

Dilettanti“ veröffentlicht er 2013 die<br />

Alben „Konzert zur Revolution“ und<br />

„Retrospektive“.<br />

www.the-society-of-dilettanti.com<br />

05.06.14 - How to Start a<br />

Revolution: The Musical<br />

Anna McCarthy<br />

Anna McCarthy, 1981 in München<br />

geboren, hat an der Akademie der<br />

Bildenden Künste München und der<br />

Glasgow School of Art studiert. Ihre<br />

künstlerischen Ideen bringt sie mit<br />

den Mitteln der Malerei, Zeichnung,<br />

Installation, Performance und Film<br />

zum Ausdruck. Zudem ist sie Bassistin<br />

und singt bei der Münchner<br />

„Damenkapelle“. Zuletzt widmeten ihr<br />

die Galerien Esther Donatz, München,<br />

Glasmoog, Köln und Niklas Schechinger<br />

Fine Arts, Hamburg, Einzelausstellungen.<br />

www.annamccarthy.de<br />

74<br />

75


11./16./19./26.06. - MYCEL<br />

Benedikt Brachtel<br />

Benedikt Brachtel ist 1985 in München<br />

geboren und international tätiger<br />

Komponist, Produzent, Musiker<br />

und DJ. Als Kind von Musikern kam<br />

er schon früh mit Jazz in Berührung<br />

und spielt mehrere Instrumente.<br />

Er hat ein Studium der Jazzgitarre<br />

und Jazzkomposition an der Anton<br />

Bruckner Universität in Linz u. a. bei<br />

Peter O‘Mara und Christoph Cech.<br />

Seine große Leidenschaft gilt jedoch<br />

der elektronischen Musik. Als<br />

Komponist und Produzent arbeitet<br />

Brachtel mit Pollyester, Columbus<br />

und GTA Hoffmann und ist bei Labels<br />

wie Universal und Mayolove Music<br />

vertreten. Seit 2007 kooperiert er mit<br />

den Münchner Kammerspielen und<br />

komponiert u.a. die Musik für die<br />

Inszenierungen „Das war auf einer<br />

Lichtung da sie zum ersten Mal Geld<br />

dafür nahm“ und „Jiggy Porsche<br />

taucht ab“. www.benibrachtel.com<br />

Lukas Rabe hat an der Hochschule<br />

für Musik und Theater in Leipzig sowie<br />

am Pariser Konservatorium Jazz<br />

und Arrangement studiert. Am Klavier,<br />

am Synthesizer, auf der Bühne,<br />

im Studio - Lukas Rabe ist in vielen<br />

Bereichen tätig. Dabei ist er neben<br />

der akustischen auch der visuellen<br />

Ebene verbunden: als Jongleur<br />

und als Komponist für Videos und<br />

Kunstprojekte. Er komponiert u.a.<br />

für den MDR Rundfunkchor und ist<br />

als Bühnenmusiker am Stadttheater<br />

Heilbronn, am Thalia Theater Halle<br />

und am Theater Rudolstadt engagiert.<br />

www.lukasrabe.com<br />

22.-28.09.2014 – Protest<br />

Monika Huber<br />

Monika Huber wurde 1959 in<br />

Dingolfing geboren. Die in München<br />

lebende Künstlerin arbeitet mit den<br />

Medien Fotografie, Malerei und<br />

Film. Bis 1985 studiert sie freie Malerei<br />

an der Akademie der Bildenden<br />

Künste München und widmete<br />

sich der abstrakten Malerei. Mit den<br />

Neuerungen des digitalen Zeitalters<br />

überdachte sie jedoch ihren künstlerischen<br />

Ansatz: angesichts realer<br />

Fotos von Nachrichtenbeiträgen,<br />

die über Handyvideos für jeden frei<br />

zur Verfügung stehen, fand sie eine<br />

neue Bildsprache. 2012 zeigte sie<br />

im Haus der Kunst in München ihre<br />

Fotografie-Reihe „Einsdreißig“, die<br />

erstmals Gegenständlichkeit in ihr<br />

Werk brachte. Im Sommer 2013 entschloss<br />

sich Huber zum ersten Mal<br />

mit dem Medium Video zu arbeiten.<br />

www.monikahuber.com<br />

Heinz Schütz<br />

Der Kunst- und Theaterkritiker Heinz<br />

Schütz ist 1953 in Memmingen<br />

geboren und studierte in München<br />

und Wien. 1985-1987 war er Kunstund<br />

Theaterkritiker für die Süddeutsche<br />

Zeitung, seit 1987 ständiger<br />

Korrespondent der Zeitschrift<br />

„Kunstforum international“. Er<br />

doziert an verschiedenen Hochschulen<br />

und veröffentlicht zahlreiche<br />

Publikationen zur zeitgenössischen<br />

Kunst. Zu seiner kuratorischen Tätigkeit<br />

gehörte u.a. die Ausstellung<br />

„Performing the City“ in der Halle<br />

der Lothringer 13 in München.<br />

Ulrich Wilmes (geb. 1953 in Essen)<br />

studierte Kunstgeschichte und<br />

Germanistik an der Ruhr-Universität<br />

Bochum und promovierte mit einer<br />

Dissertation über „Rosso Fiorentino<br />

und der Manierismus“. Nach Stationen<br />

am Westfälischen Landesmuseum<br />

für Kunst- und Kulturgeschichte<br />

und für Skulptur Projekte Münster<br />

arbeitete er von 1988-1991 als Kurator<br />

am Portikus, Frankfurt am Main.<br />

Von 1991 bis 2000 war er Sammlungsleiter<br />

für Gegenwartskunst an<br />

der Städtischen Galerie im Lenbachhaus<br />

München und ab 1995 stellvertretender<br />

Direktor. 2000 wechselte<br />

er als stellvertretender Direktor an<br />

das Museum Ludwig in Köln. Seit<br />

April 2008 ist Ulrich Wilmes Hauptkurator<br />

am Haus der Kunst in München.<br />

Er verantwortete zahlreiche<br />

Ausstellungen und Publikationen<br />

zur internationalen zeitgenössischen<br />

Kunst, u.a. Dan Graham, Jörg<br />

Immendorff, On Kawara, Ellsworth<br />

Kelly, Per Kirkeby, Matt Mullican,<br />

Gerhard Richter, Ulrich Rückriem, Ed<br />

Ruscha, Lawrence Weiner.<br />

02.10.14 –<br />

05.10.14 - Sight<br />

S/GHT steht für die Verbindungsstellen<br />

zwischen Kunst und Mode.<br />

Ausgangsbasis dafür ist der gleichnamige<br />

Multi-Label-Store in Wien,<br />

der seit 2013 ein Projekt realisiert,<br />

das die Arbeiten von jungen Designern<br />

mit der Praxis von Künstlern<br />

verknüpft. Für die sogenannten<br />

S/GHT POP UPs werden Displays<br />

entwickelt, die sowohl den künstlerischen<br />

Zugriff auf Fragen einer<br />

Identitäts- und Körperpolitik im<br />

Bezug auf Mode als auch Fragen der<br />

Raum- und Öffentlichkeitsbegriffe<br />

reflektieren. www.sight.at<br />

Peter Baur wurde 1983 in Mühlacker<br />

bei Stuttgart geboren. Er ist mit der<br />

Inszenierung von Räumen genauso<br />

vertraut wie mit der Analyse dieser.<br />

Im MaximiliansForum verband<br />

Baur die Passage mit dem Thema<br />

des Panoramas, zwei historisch<br />

verwandter Figuren. Er lebt und<br />

arbeitet als bildender Künstler und<br />

Bühnenbildner in Wien.<br />

Andreas Spiegl<br />

Geboren 1964, studierte Andreas<br />

Spiegl Kunstgeschichte an der<br />

Universität Wien und unterrichtet<br />

seit 1990 am Institut für Kunst- und<br />

Kulturwissenschaften an der Akademie<br />

der bildenden Künste Wien, an<br />

der er auch seit 2003 das Amt des<br />

Vizerektors für Lehre und Forschung<br />

innehat. Seine Arbeitsschwerpunkte<br />

verknüpfen raumtheoretische Fragen<br />

mit Subjekt- und Medientheorien.<br />

Er arbeitet zudem als freier<br />

Kurator und Kunstkritiker.<br />

17.10.14-<br />

14.11.14 - In.visible<br />

Jeongmoon Choi<br />

Jeongmoon Choi wurde 1966 in<br />

Seoul geboren und absolvierte 1990<br />

ihren Master in freier Kunst an der<br />

Sungshin University. 1995 zog die<br />

Künstlerin nach Deutschland und<br />

studierte bis 2001 Freie Kunst an der<br />

Hochschule für Bildende Kunst in<br />

Kassel. Seit Ende der 1990er Jahre<br />

setzt sie sich intensiv mit den Themen<br />

Behausung und Natur auseinander.<br />

So hat sie sich zunächst mit<br />

dem Inneren von Räumen beschäftigt,<br />

um nun mehr und mehr in den<br />

öffentlichen Raum zu gehen und<br />

Lebensräume von außen zu betrachten.<br />

www.jeongmoon.de<br />

Maxim Wolzyn<br />

Der junge Berliner Komponist, DJ<br />

und Produzent hat 2014 sein Debütalbum<br />

auf SVS Records veröffentlicht.<br />

Das „Intercity Express“ Album<br />

entstand über einen Zeitraum von<br />

drei Jahren, meist während Wolzyns<br />

Reisen durch ganz Deutschland mit<br />

dem Zug als Teil des Günther Lause<br />

Duos. Hier werden in Reminiszenz<br />

an die Berliner Dub-Techno-Tradition<br />

die komplexen Netzwerke von<br />

Eisenbahnstrecken und Tunnelsystemen<br />

neu musikalisch interpretiert.<br />

76<br />

77


Impressum<br />

Diese Publikation zum Programm<br />

„<strong>Transforming</strong> <strong>Cities</strong>“<br />

im MaximiliansForum erscheint im<br />

Rahmen der Kooperation zwischen<br />

PLATFORM und dem<br />

Kulturreferat der Stadt München im<br />

November 2014<br />

Programmverantwortung:<br />

Elisabeth Hartung<br />

Kuratorische Assistenz:<br />

Erinn Carstens, Sasha Gora,<br />

Mirko Kahl<br />

Projektorganisation Kulturreferat:<br />

Lisa Hörstmann<br />

Herausgeberin:<br />

Elisabeth Hartung<br />

Redaktion:<br />

Erinn Carstens<br />

Schlusskorrektur:<br />

Felix Gantner, Nina Holm, Moritz<br />

Schmalhorst<br />

Texte:<br />

Niklas Barth, Rafram Chaddad,<br />

Asli Duru, Marcus Graßl, Elisabeth<br />

Hartung, Monika Huber, Mirko Kahl,<br />

Evelyn Pschak, Heinz Schütz,<br />

Andreas Spiegl, Marije Vogelzang,<br />

Dirk Wagner, Ulrich Wilmes<br />

Grafische Gestaltung:<br />

Kollektiv X (Xuyen Dam, Daria Malek)<br />

© 2014, die AutorInnen und<br />

FotografInnen<br />

PLATFORM<br />

Kistlerhofstr. 70, Haus 60<br />

81379 München<br />

www.platform-muenchen.de<br />

Team PLATFORM:<br />

Elisabeth Hartung<br />

Projektleitung<br />

Nina Holm<br />

Projektassistenz<br />

Natalie Cada, Erinn Carstens, Sasha<br />

Gora, Mirko Kahl, Frédéric Singer<br />

VolontärInnen 2013/2014<br />

Träger:<br />

Münchner Arbeit gGmbH<br />

Geschäftsführung:<br />

Gerhard Scherbaum, Johann Stelzer<br />

Vorsitzender des Aufsichtsrates:<br />

Josef Schmid<br />

Registergericht München, HRB 98967<br />

ISBN 978-3-9816807-1-3<br />

Urheberschaft und Bildrechte sind<br />

durch die PLATFORM so weit wie<br />

möglich geklärt. Bei Unklarheiten<br />

kontaktieren Sie bitte<br />

contact@platform-muenchen.de<br />

Foto: Elisabeth Hartung<br />

Foto Umschlag: Alescha Birkenholz<br />

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